(Contra Haereses) 219

219

19. Kapitel: Widersprüche in der Samenlehre

1.

Welches aber ist ihre Lehre von dem Samen? Er soll von ihrer Mutter nach der Gestalt der Engel, die den Erlöser umgaben, als ein gestalt- und wesenloses und unvollkommenes Ding empfangen und in dem Demiurgen ohne sein Wissen niedergelegt sein, damit er von diesem in die von ihm erschaffene Seele hineingesät würde und Vollendung und Gestalt erhalte. Da ist zunächst zu erwidern, daß dann auch die Engel, die den Heiland umgeben, unvollkommen, gestalt- und formlos sein müssen, da diese Eigenschaften dem nach ihrem Vorbild erschaffenen Samen zukommen sollen.



2.

Zweitens, behaupten sie, habe der Schöpfer nichts davon gewußt, daß in ihm der Same niedergelegt wurde, noch daß er in den Menschen etwas hineingesät habe. Doch diese leere und nichtige Behauptung kann auf keine Weise bewiesen werden. Wie hätte ihm jener Vorgang unbekannt bleiben können, wenn der Samen irgend eine Wesenheit oder eigene Beschaffenheit gehabt hätte? War er aber ohne Wesenheit und ohne Beschaffenheit und ein Nichts, dann blieb er ihm folgerichtig unbekannt. Was nämlich irgend eine eigene Bewegung oder Beschaffenheit, sei es Wärme oder Schnelligkeit oder Süßigkeit oder Unterschied in der Helligkeit irgendwie besitzt, das kann sich der Kenntnis der Menschen nicht entziehen, sobald es mit ihnen zusammentrifft, um wieviel weniger also dem Schöpfergotte dieses Weltalls, bei dem ja gerechterweise ihr Same unbekannt ist, da er weder irgend eine nützliche Eigenschaft noch irgend eine tätige Wesenheit besitzt und überhaupt gar nicht existiert. Hierauf bezieht sich denn wohl auch das Wort des Herrn: „Für jedes unnütze Wort, das die Menschen reden werden, werden sie am Tage des Gerichtes Rechenschaft ablegen“ (Mt 12,36). Sie alle, die solche müßige Reden in die Ohren der Menschen einblasen, werden am Tage des Gerichtes erscheinen, um Rechenschaft über das abzulegen, was sie töricht vermutet und gegen Gott gelogen haben, daß sie nämlich wegen des Samens Wesenheit das geistige Pleroma erkannten, weil das Animalische sinnlicher Zuchtmittel bedürfe; der Demiurg aber, der diesen gesamten Samen von der Mutter in sich aufnahm, der habe all dieses nicht gewußt und keine Ahnung von dem gehabt, was sich auf das Pleroma bezog.



3.

Sie wollen die Geistigen sein, weil ein Teilchen von dem Pleroma des Vaters in ihrer Seele niedergelegt wäre, indem sie aus derselben Wesenheit ihre Seele empfangen hätten wie ihr Demiurg, Der aber den gesamten Samen auf einmal von der Mutter in sich aufnahm und in sich behielt, der sei animalisch geblieben und habe gar nichts von den oberen Dingen verstanden, die sie selbst erkennen können, während sie noch auf Erden sind. Geht solche Prahlerei nicht wider allen Verstand? Derselbe Same soll ihren Seelen Erkenntnis und Vollendung gegeben haben, dem Gott aber, der sie selbst machte, Unwissenheit gebracht haben. Das ist in der Tat eine hirnverbrannte Verrücktheit!



4.

Ganz ebenso töricht ist es, wenn sie sagen, durch die Einsenkung bekomme der Same Gestalt und Wachstum und werde fähig, die vollkommene Vernunft in sich aufzunehmen. Die Vermischung mit der Materie, die nach ihnen ihre Wesenheit aus der Unwissenheit und dem Fehltritt empfing, wird ihm also passender und nützlicher sein, als es ihr väterliches Licht war. Aus seiner Anschauung geboren, war es nämlich ohne Form und Gestalt; aus der Materie aber empfing es Form, Gestalt, Wachstum und Vollendung. Wenn nun für das geistige Wesen das Licht vom Pleroma die Ursache war, daß es weder Form noch eigene Größe hatte, die Herabkunft auf die Erde aber ihm alles dieses verlieh und es zur Vollendung brachte, dann war ihm anscheinend der Aufenthalt in der sogenannten Finsternis viel zuträglicher und nützlicher als das Licht ihres Vaters. Ist es aber nicht eine lächerliche Behauptung, daß ihre Mutter dermaßen in die Materie versunken war, daß sie fast erstickte und um ein Haar umgekommen wäre, wenn sie sich nicht kraft der Hilfe des Vaters emporgeschwungen und über sich selbst erhoben hätte, daß aber ihr Same in ebenderselben Materie Wachstum, Gestalt und die Fähigkeit erhalte, das vollkommene Wort in sich aufzunehmen, wo er doch in einem ungleichen und ungewohnten Elemente aufging, da nach ihnen das Irdische dem Geistigen und das Geistige dem Irdischen entgegengesetzt ist? Wie also konnte ein so kleiner Same in dem entgegengesetzten und ungewohnten Elemente wachsen, gestaltet werden und zur Vollendung gelangen?



5.

Weiterhin wird man noch fragen können: Hat ihre Mutter, wie sie die Engel sah, den Samen auf einmal geboren oder stückweise? Ist er auf einmal hervorgebracht und zugleich empfangen worden, dann wird er jetzt kein kleines Kind mehr sein, dann braucht er nicht mehr in die jetzigen Menschen herniederzusteigen. Ist er aber stückweise hervorgebracht, dann kann er nicht nach der Gestalt der Engel, welche sie erblickte, empfangen sein. Denn nur einmal sah sie die Engel und empfing zugleich, also mußte sie auf einmal die gebären, deren Bilder sie auf einmal empfangen hatte.



6.

Doch warum hat ihre Mutter, da sie doch diese Engel zusammen mit dem Erlöser schaute, nur jene Bilder und nicht auch sein Bild empfangen, wo er doch schöner ist als jene? Gefiel er ihr etwa nicht, und empfing sie deswegen nicht bei seinem Anblicke? 

   Wie aber konnte der Demiurg als vollkommen in seiner Art mit eigner Größe und Gestalt hervorgebracht werden? Das Geistige, das doch tätiger sein muß als das Seelische, emanierte als unvollkommenes Wesen und mußte, um Gestalt, Vollkommenheit und die Fähigkeit zu erlangen, das vollkommene Wort in sich aufzunehmen, in eine Seele hinabsteigen? Wenn es denn aber in irdischen und seelischen Menschen gebildet wird, dann ist es doch nicht mehr das Ebenbild der Engel, die sie auch Lichter nennen, sondern der Menschen auf Erden. Nicht mehr das Ebenbild der Engel wird es haben und ihre Gestalt, sondern der Seelen, in denen es Gestalt empfängt. Wie nämlich das Wasser die Form des Gefäßes annimmt, in welches es gegossen wird, und beim Gefrieren die Gestalt des Gefäßes, in dem es gefriert, und sogar die Seelen die Gestalt ihres Körpers besitzen und sich ihrem Gefäße anpassen, wie wir soeben gesagt haben, so wird auch dieser Same, der im Menschen Festigkeit und Gestalt gewinnt, die Gestalt des Menschen haben und nicht die der Engel. Wie kann also dieser Same nach dem Bilde der Engel sein, der nach dem Bilde der Menschen gestaltet wird? Und wozu mußte das Geistige noch in das Fleisch herniedersteigen? Das Fleisch zwar, wenn es gerettet werden soll, bedarf des Geistes, um in ihm geheiligt und verklärt zu werden, damit „das Sterbliche von dem Unsterblichen verschlungen werde“ (2Co 5,4)— aber keineswegs bedarf der Geist der irdischen Dinge. Nicht wir heben den Geist, sondern der Geist hebt uns empor.



7.

Noch handgreiflicher und offenkundiger für jedermann zeigt sich die Falschheit ihrer Lehre vom Samen, wenn sie behaupten, daß die Seelen, welche von ihrer Mutter den Samen empfangen hätten, besser seien als die übrigen und deswegen von dem Demiurgen geehrt und zu Fürsten, Königen und Priestern bestellt seien. Wenn das wahr wäre, dann hätten zuerst doch die Hohenpriester Annas und Kaiphas und die übrigen Hohenpriester, Gesetzeslehrer und Fürsten des Volkes dem Herrn geglaubt und ihn erkannt, und vor allen auch der König Herodes. Nun aber fielen weder dieser noch diese Hohenpriester, noch die Führer und Vorsteher des Volkes ihm zu, sondern im Gegenteil die Bettler am Wege, die Tauben, die Blinden und die von den andern gestoßen und verachtet wurden, weshalb Paulus sagt: „Betrachtet, Brüder, eure Berufung; nicht viele Weise sind unter euch, noch Vornehme, noch Mächtige, sondern das vor der Welt Verächtliche hat Gott auserwählt!“ (1Co 1,26 ff.) Also waren die Seelen der Großen wegen der Abstammung des Samens nicht besser und wurden deswegen von dem Demiurgen nicht geehrt.



8.

Das Gesagte genügt wohl, um nachzuweisen, dass ihre Lehre schwach, haltlos und nichtig ist. Man braucht nicht, wie das Sprichwort sagt, das ganze Meer auszutrinken, um zu erkennen, daß sein Wasser salzig ist. Wie jemand von einem tönernen Standbilde, das mit Bronze vergoldet ist, um den Schein eines goldenen zu erwecken, ein kleines Teilchen von seiner Masse wegnimmt und zeigt, daß es bloß Ton ist, um die, welche die Wahrheit suchen, von ihrem Irrtum zu befreien, so haben auch wir nicht nur einen kleinen Teil, sondern alle wichtigeren Hauptstücke ihres Lehrgebäudes aufgelöst und allen, die sich nicht wissentlich wollen verführen lassen, dargelegt, wie nichtswürdig, hinterlistig, verführerisch und gefährlich die Lehre der Valentinianer und aller der Häretiker ist, die den Schöpfer und Urheber dieser Welt, ihren Demiurgen, den einzig wahren Gott, übel behandeln, indem wir ihren unsicheren Weg aufdeckten.



9.

Wenn einer bei Sinnen ist und nur ein wenig von der Wahrheit versteht, kann er es nicht ertragen, dass jemand sagt, über dem Demiurgen sei noch ein anderer Gott Vater; der Eingeborene und das Wort Gottes, das sie aus einer Abschwächung hervorgegangen sein lassen, seien etwas Verschiedenes. Und wieder etwas anderes sei Christus, der nach den übrigen Äonen zusammen mit dem Hl. Geist erschaffen sein soll; und wieder etwas anderes der Erlöser, der nicht einmal vom Vater des Weltalls, sondern von den niederen Äonen künstlich zusammengestellt und notgedrungen hervorgebracht sein soll, so daß, wenn sie nicht in Unwissenheit und Niedrigkeit gewesen wären, weder Christus, noch der Hl. Geist, noch der Horos, noch der Heiland, noch die Engel, noch ihre Mutter samt ihrem Samen und der übrigen Welt hervorgebracht wäre. Und alles wäre wüst und leer von so vielen Gütern geblieben. Nicht bloß gegen den Schöpfer der Welt versündigen sie sich also, indem sie ihn aus einem Fehltritt hervorgegangen sein lassen, sondern auch gegen Christus und gegen den Hl. Geist, die wegen des Fehltrittes ausgesandt wurden, und ähnlich auch gegen den Erlöser. Unerträglich ist ihr ferneres Geschwätz, das sie den Gleichnisreden listig anzupassen versuchen, wodurch sie sich und ihre Anhänger in die größte Gottlosigkeit stürzen.




220

20. Kapitel: Das Leben Jesu hat nichts mit ihrer Lehre gemein

1.

Im folgenden zeigen wir, daß sie die Gleichnisreden und Handlungen des Herrn ohne Grund und Ursache ihrer Dichtung einverleiben. Das Leiden, welches den zwölften Äonen betroffen hat, sagen sie, sei dadurch angedeutet, daß das Leiden des Erlösers von dem zwölften Apostel ausging und im zwölften Monate sich ereignete. Nur ein Jahr nämlich soll der Erlöser nach der Taufe gepredigt haben. Auch in der blutflüssigen Frau sei jene Tatsache angedeutet, denn zwölf Jahre hatte sie gelitten und durch die Berührung des Rocksaumes hätte sie von jener vorzüglichen Kraft, die vom Erlöser ausging, Heilung erlangt. Das sei jene leidende Kraft, die sich ausdehnte, in die Unendlichkeit überfloß, so daß sie in Gefahr geriet, in die Allsubstanz aufgelöst zu werden, und erst stehen blieb und vom Leiden befreit wurde, als sie die erste Vierheit, die durch den Rocksaum bezeichnet wird, erreicht hatte.



2.

Das Leiden des zwölften Äonen also soll durch Judas angezeigt werden. Doch wie kann Judas, der aus der Zwölfzahl ein für allemal ausgestoßen wurde, zu einem Vergleich herangezogen werden? Der Äon, dessen Abbild Judas sein soll, wurde nach der Abstoßung der Enthymesis wieder aufgenommen — Judas aber wurde abgesetzt und ausgestoßen und an seiner Stelle wurde Matthias geweiht, wie geschrieben steht: „Sein Vorsteheramt soll ein anderer erhalten“ (Ac 1,20). Soll also Judas das Abbild des zwölften Äonen sein, dann hätten sie sagen müssen, auch dieser sei aus dem Pleroma ausgestoßen, und an seiner Stelle sei ein anderer hervorgebracht oder ausgesandt worden. Ferner: der Äon soll gelitten haben, Judas übte den Verrat, Christus aber kam zu dem bitteren Leiden, wie sie selbst eingestehen, und nicht Judas. Wie kann also Judas, der den verriet, der, um uns zu erlösen, leiden mußte, Abbild und Gleichnis des leidenden Äonen sein?



3.

Weiter kann man das Leiden Christi und das des Äonen nicht gleich oder ähnlich nennen. Der Äon erlitt Auflösung und Verlust, so daß er bei seinem Leiden in Gefahr kam, zugrunde zu gehen. Christus aber, unser Herr, ertrug mutvoll, ein eigentliches Leiden, durch welches er nicht nur nicht in Gefahr geriet, verloren zu gehen, sondern den verlorenen Menschen in seiner Kraft stärkte und zur Unvergänglichkeit wiederherstellte. Der Äon litt, indem er den Vater suchte und ihn nicht finden konnte; unser Herr litt, um die, welche vom Vater abgeirrt waren, zur Erkenntnis und in den Schoß des Vaters zurückzuführen. Jener geriet ins Verderben, weil er die Größe des Vaters suchte? Uns brachte Christus durch sein Leiden die Erlösung, indem er uns die Erkenntnis des Vaters schenkte. Als Frucht seines Leidens brachte der Äon einen, weiblichen, kraftlosen, schwachen, gestaltlosen und untätigen Samen hervor; sein Leiden brachte uns Kraft und Stärke. Indem der Herr durch sein Leiden „in die Höhe fuhr, führte er die Gefangenschaft gefangen, brachte Gaben den Menschen“ (Ep 4,8)und gab denen, die an ihn glauben, die Kraft, über Schlangen und Skorpionen und über alle Kraft des Bösen, d. h. über den Fürsten der Apostasie dahinzuschreiten. Unser Herr hat durch sein Leiden den Tod vernichtet, den Irrtum aufgehoben, die Vernichtung unschädlich gemacht und die Unwissenheit vertrieben, er hat das Leben geoffenbart und die Wahrheit gezeigt und Unvergänglichkeit geschenkt. Ihr Äon aber hat dafür die Unwissenheit eingesetzt und ein gestaltloses Wesen geboren, aus dem nach ihnen alle irdischen Werke hervorgingen, der Tod, die Vergänglichkeit, der Irrtum und alles Ähnliche.



4.

Also war weder Judas als der zwölfte Apostel, noch das Leiden unseres Herrn das Abbild des leidenden Äonen. Keine Gleichheit oder Ähnlichkeit ist in den genannten Stücken zu finden, noch in ihrer Zahl. Daß Judas der zwölfte Apostel gewesen ist, darin stimmen alle nach dem Evangelium überein; der Äon ist nicht der zwölfte, sondern der dreißigste. Denn nach ihrer Lehre sind weder bloß zwölf Äonen hervorgebracht, noch dieser an zwölfter Stelle, sondern an dreißigster Stelle lassen sie ihn hervorgegangen sein. Wie kann also der an zwölfter Stelle stehende Judas das Abbild und Gleichnis jenes Äonen sein, der der Reihenfolge nach der dreißigste ist?



5.

Wenn sie aber sagen, daß der zugrunde gehende Judas ein Abbild ihrer Enthymesis sei, so wird dennoch das Abbild keineswegs ihrer Wahrheit gleichen. Die von dem Äonen ausgestoßene Enthymesis nämlich, die von Christus später gestaltet und dann von dem Erlöser klug gemacht wurde und die alles, was außerhalb des Pleroma ist, nach dem Ebenbilde der im Pleroma befindlichen Dinge gestaltete, wurde zuletzt in das Pleroma wieder aufgenommen und paarweise mit dem Erlöser verbunden, der aus allem gemacht war. Judas aber, einmal ausgestoßen, wurde nie wieder in die Zahl der Jünger aufgenommen, sonst könnte nie ein anderer an seiner Stelle gezählt worden sein. Sagt doch von ihm der Herr: „Wehe dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird“ (Mt 26,24)und „es wäre ihm besser, wenn er nie geboren wäre“ (Mt 14,21)und er nennt ihn den „Sohn des Verderbens“ (Jn 17,12). Soll nun aber Judas nicht das Abbild der Enthymesis sein, sondern vielmehr des mit ihr verbundenen Leidens, dann stimmen die Zahlen wiederum nicht überein. Dieser Judas nämlich wurde hinausgeworfen und an seine Stelle Matthias gesetzt; dort aber haben wir den Äonen, der in Gefahr geriet, aufgelöst zu werden und unterzugehen, die Enthymesis und das Leiden, denn diese drei unterscheiden sie voneinander, indem sie den Äonen wieder eingesetzt werden lassen, der Enthymesis Gestalt verleihen und das Leiden, von diesen getrennt, zur Materie machen. Da demnach hier drei sind, der Äon, die Enthymesis und das Leiden, Judas und Matthias aber nur zwei sind, so können sie nicht das Abbild sein.




221

21. Kapitel: Die zwölf Apostel haben mit den zwölf Äonen nichts zu tun

1.

Wenn aber die zwölf Apostel nur ein Abbild jener zwölf Äonen sein sollen, die der Anthropos mit der Ekklesia hervorgebracht hat, dann müßten auch die übrigen zehn Äonen, die vom Wort und Leben hervorgebracht wurden, ihr Abbild in anderen zehn Aposteln haben. Denn unvernünftig ist es, daß die jüngeren und deshalb minderen Äonen vom Heiland durch die Auswahl der Apostel angezeigt wurden, die älteren und deswegen besseren aber nicht, da der Erlöser, wenn er schon die Apostel erwählte, um durch sie die Äonen des Pleroma anzuzeigen, auch andere zehn Apostel hätte erwählen können und vor diesen auch andere acht, um durch die vorbildliche Zahl der Apostel auch die Haupt- und Urachtheit anzuzeigen, aber nicht ein Vielfaches von zehn. Denn nach den zwölf Aposteln hat unser Herr noch bekanntlich siebzig andere vor sich her gesandt. Siebzig aber kann weder von acht noch von zehn noch von dreißig das Abbild sein. Was ist also der Grund dafür, daß die minderen Äonen, wie gesagt, durch die Apostel angedeutet werden, nicht aber die vorzüglicheren, aus denen diese entstanden sind? Sind die zwölf Apostel deswegen erwählt, daß sie die Zwölfzahl der Äonen anzeigen, dann müßten auch die siebzig als Abbild von siebzig Äonen erwählt sein, so daß sie nicht mehr von dreißig, sondern von zweiundachtzig reden müssen. Wer nämlich wegen des Abbildes der im Pleroma befindlichen Äonen die Apostel auswählt, der muß sich schon konsequent bleiben, für alle Apostel das Vorbild beibehalten und sie als den Typus der Äonen des Pleroma nachweisen.



2.

Doch darf man auch Paulus nicht übergehen, sondern muß sie fragen, als Abbild welches Äonen denn dieser Apostel uns überliefert wurde. War er vielleicht das Abbild ihres zusammengesetzten Erlösers, zu dem alle etwas beitrugen, so daß er auch das All genannt wird, weil er etwas von allem hat? Wie ihn gar prächtig der Dichter Hesiod gezeichnet hat, indem er ihn Pandora, d. h. Geschenk aller, nannte, weil von allen die beste Gabe in ihm niedergelegt war. Und hiermit hat es folgende Bewandtnis: Hermes, wie es im griechischen Texte heißt, 

   ??µ?????? te ?????? ?a? ?p????p?? ???? 

   ?? a?t??? ??t?et?[55] oder auf deutsch: 

   Trug und täuschende Worte und heimlichen Wandel 

   Legte er nieder in sie, 

   um die törichten Menschen zu verführen, daß sie ihren Hirngespinsten glauben möchten. Leto nämlich, ihre Mutter, bewog heimlich[56] ohne Wissen des Demiurgen die Äonen, tiefe und unaussprechliche Geheimnisse denen zu verkünden, welchen die Ohren juckten. Und nicht allein durch Hesiod hat ihre Mutter dies Geheimnis verkünden lassen, sondern auch sehr weise durch den Dichter Pindar. Pelops, dessen Fleisch ohne Wissen des Demiurgen von seinem Vater in Stücke gehackt, von allen Göttern aber gesammelt, zusammengetragen und zusammengesetzt wurde, bezeichnet auch die Pandora. Von dieser betört, reden sie ebendasselbe, derselben Art und Gesinnung wie jene.




222

22. Kapitel: Dauer der Lehrtätigkeit Jesu

1.

Daß aber auch ihre Dreißig nicht Stich hält und sie daher bald mehr, bald weniger Äonen im Pleroma erfinden, haben wir bereits gezeigt. Also ist es nichts mit ihren dreißig Äonen, noch empfing deshalb der Heiland in seinem dreißigsten Lebensjahre die Taufe, um ihre dreißig verschwiegenen Äonen anzuzeigen, sonst .müßten sie ihn zuerst aus dem allgemeinen Pleroma hinausweisen und verstoßen. Daß er im zwölften Monate gelitten und nach der Taufe nur ein Jahr gepredigt habe, das suchen sie aus dem Propheten, nachzuweisen, der da sagt: „Er verkündete das Gnadenjahr des Herrn und den Tag der Vergeltung“ (Is 61,2) . Die da die Tiefe des Bythos wollen ergründet haben, sind blind und wissen nicht, was Isaias Gnadenjahr und Tag der Vergeltung nennt. Nicht von dem Tag, der zwölf Stunden hat, spricht der Prophet, noch mißt er mit einem Jahr von zwölf Monaten. Denn in Gleichnissen und Bildern sprechen eingestandenermaßen die Propheten, und nicht nach dem gewöhnlichen Sinn der Worte.



2.

Tag der Vergeltung heißt also der Tag, an dem der Herr einem jeden nach seinen Werken vergelten wird, d. h. das Gericht. Das Gnadenjahr des Herrn aber ist die gegenwärtige Zeit, in der von ihm die, welche an ihn glauben, berufen werden und Gott angenehm werden, d. h. die gesamte Zeit von seiner Ankunft bis zur Vollendung, in der er die, welche gerettet werden, wie Früchte einsammelt. Denn auf das Gnadenjahr folgt nach dem Worte des Propheten der Tag der Vergeltung, so daß also der Prophet gelogen hätte, wenn der Herr nur ein Jahr gepredigt und er von diesem Jahr gesprochen hätte. Wo ist nämlich der Tag der Vergeltung? Vorübergegangen ist das Jahr und noch ist der Tag der Vergeltung nicht da, sondern immer noch läßt er seine Sonne aufgehen über Gute und Böse und regnen über Gerechte und Gottlose (Mt 4,55) . Verfolgung erleiden die Gerechten und werden geschlagen und getötet; in Überfluß aber schwimmen die Sünder, „bei Zither und Harfenspiel trinken sie und achten nicht auf die Werke des Herrn“ (Is 5,12). Der Text verlangt aber, daß beides verbunden wird, und daß auf das Jahr der Tag der Vergeltung folgt. Es heißt nämlich: „Zu verkünden das Gnadenjahr des Herrn und den Tag der Vergeltung.“ Mit Recht also versteht man unter Gnadenjahr des Herrn die gegenwärtige Zeit, in der wir berufen und von dem Herrn gerettet werden. Darauf folgt der Tag der Vergeltung, d. h. das Gericht. Doch wird diese gegenwärtige Zeit nicht bloß Jahr genannt, bei den Propheten sowohl wie bei Paulus, sondern auch Tag. Dessen eingedenk sagt der Apostel u. a. im Römerbriefe: „Wie geschrieben steht: Deinetwegen sind wir des Todes den ganzen Tag und sind erachtet wie Schlachtschafe“ (Rm 8,86). Hier steht also „ganzer Tag“ für die ganze gegenwärtige Zeit, in der wir Verfolgung dulden und wie Schafe dahingeschlachtet werden. Wie demnach das Wort Tag nicht einen Zeitraum von zwölf Stunden bezeichnet, sondern die ganze Zeit, in der, die an Christus glauben, seinetwegen leiden und getötet werden, so bedeutet dort Jahr nicht einen Zeitraum von zwölf Monaten, sondern die ganze Zeit des Glaubens, wo die Menschen auf das Wort der Predigt hin glauben und die Gott angenehm werden, die sich mit ihm verbinden.



3.

Sehr verwundern muß man sich jedoch, wie die, welche von sich behaupten, daß sie die tiefsten Geheimnisse Gottes gefunden hätten, in den Evangelien nicht geforscht haben, wie oft nach der Taufe der Herr zur Osterzeit nach Jerusalem hinaufgestiegen ist, wie es bei den Juden Sitte war, jedes Jahr zu dieser Zeit aus allen Gegenden in Jerusalem zusammenzukommen und dort das Osterfest zu feiern. Das erstemal zog er zum Osterfeste hinauf, wie er zu Kana in Galiläa Wasser in Wein verwandelte, bei welcher Gelegenheit geschrieben steht: „Und viele glaubten an ihn, da sie die Zeichen sahen, welche er wirkte“ (Jn 2,23). So ist bei Johannes, dem Jünger des Herrn, zu lesen. Nachdem er von dort sich zurückgezogen, findet man ihn in Samaria wieder, wo er mit der Samaritanerin das Gespräch hatte und den Sohn des Hauptmannes von ferne durch sein Wort heilte, indem er sprach: „Geh hin, dein Sohn lebt!“ (Ebd. 4,50) . Darauf stieg er zum zweitenmal wiederum zum Osterfeste hinauf nach Jerusalem, als er den Gichtbrüchigen, der achtunddreißig Jahre am Schwemmteiche gelegen hatte, heilte, indem er ihm befahl, aufzustehen, sein Bett zu nehmen und zu gehen. Darauf zog er auf das andere Ufer des Galiläischen Meeres, sättigte dort mit fünf Broten jene große Menge, die ihm dorthin gefolgt war, wobei noch zwölf Körbe mit Brosamen übrig blieben. Als er dann Lazarus von den Toten auferweckt hatte und die Pharisäer ihm nachstellten, zog er sich nach der Stadt Ephrem zurück, von wo aus er sich sechs Tage vor dem Osterfest nach Bethanien begab, um von dort nach Jerusalem hinaufzusteigen, das Osterlamm zu essen und am Tage darauf zu leiden. Daß aber diese drei Osterfeste nicht ein Jahr sind, wird ein jeder wohl zugeben. Sollten aber die, welche alles zu wissen sich brüsten, nicht wissen, daß der Monat, in welchem der Herr das Pascha gefeiert und gelitten hat, nicht der zwölfte, sondern der erste ist, dann mögen sie es von Moses lernen. Falsch also ist ihre Erklärung vom Jahr und vom zwölften Monat, und sie müssen entweder diese oder das Evangelium verwerfen. — Wie hätte außerdem der Heiland nur ein Jahr gepredigt?



4.

Mit dreißig Jahren wurde er getauft, dann kam er in dem für einen Lehrer richtigen Alter nach Jerusalem, so daß er mit Recht von allen Lehrer sich nennen hörte. Denn nicht schien er ein anderer zu sein, als er war, wie es die möchten, die ihn als eine bloße Erscheinung auffassen, sondern was er war, das schien er auch. Da er also als Lehrer auftrat, hatte er auch das Alter des Lehrers, indem er die menschliche Natur weder verschmähte, noch überholte, noch in sich das Gesetz des menschlichen Geschlechtes aufhob, sondern jedes Alter durch die Ähnlichkeit mit ihm heiligte. Ist er doch gekommen, um alle zu retten, alle, die durch ihn für Gott wiedergeboren werden, die Säuglinge und die Kleinen, die Kinder, die Jünglinge und die Greise. So durchlebte er jedes Lebensalter, wurde den Säuglingen zuliebe ein Säugling und heiligte die Säuglinge; wurde den Kindern zuliebe ein Kind und heiligte die, welche in diesem Alter stehen, indem er Ihnen das Vorbild der Frömmigkeit, der Gerechtigkeit und des Gehorsames gab; wurde den Jünglingen zuliebe ein Jüngling, wurde ihnen ein Vorbild und heiligte sie für den Herrn. So wurde er auch den Männern zuliebe ein Mann, um allen ein vollkommener Lehrer zu sein, nicht nur, indem er die Wahrheit vortrug, sondern auch dem Alter nach, indem er auch die Männer heiligte, indem er ihnen zum Vorbild wurde. Und schließlich schritt er auch zum Tode, damit er, der Erstgeborene aus den Toten, auch selbst in allem den Vorrang behaupte (Col 1,18) . Er, der Fürst des Lebens und der erste von allen, wollte auch allen voranleuchten.



5.

Um aber ihre Phantasterei in betreff des „Gnadenjahres des Herrn“ zu bestätigen, sagen sie, er habe nur ein Jahr gepredigt und im zwölften Monat gelitten. So vergessen sie ihre eigne Lehre, der Mensch müsse alles durchmachen und streichen aus seinem Leben das notwendigste und ehrenvollste Alter, jenes nämlich, in dem er als Lehrer allen voranleuchtete. Wie soll er denn Schüler haben, wenn er nicht gelehrt hat? Denn als er zur Taufe kam, hatte er die Dreißig noch nicht vollendet, so nämlich gibt Lukas seine Jahre an, indem er schreibt: „Jesus aber war ungefähr ins dreißigste Jahr gehend“ (Lc 3,23). Nach der Taufe hat er nur noch ein Jahr gepredigt und gelitten, nachdem er das dreißigste Jahr vollendet hatte? Damals war er erst ein Jüngling, der das Alter der Reife noch nicht erreicht hatte. Allgemein aber gilt das dreißigste Jahr erst als der Anfang der Reife, die sich bis in das vierzigste Jahr erstreckt. Vom vierzigsten bis zum fünfzigsten Jahr reicht das Alter der Vollendung, welches unser Herr hatte, als er lehrte. Das bezeugen das Evangelium und die Priester in Kleinasien, die es so von Johannes, dem Schüler des Herrn, empfangen haben. Dieser aber blieb mit ihnen zusammen bis zu den Zeiten Trajans. Manche aber von ihnen haben nicht nur Johannes, sondern auch andere Apostel gesehen und dieses ebenso von ihnen empfangen und sind dafür Zeugen. Wem soll man nun mehr glauben? Ihnen oder dem Ptolemäus, der die Apostel niemals gesehen hat, ja nicht im Traume einmal zu den Füßen eines Apostels gesessen hat?



6.

Haben doch die Juden selbst, die damals mit unserm Herrn Jesus Christus sich stritten, ganz offenkundig dieselbe Ansicht gehabt. Als nämlich der Herr zu ihnen sprach: „Abraham, euer Vater, frohlockte, meinen Tag zu sehen, er sah ihn und freute sich“, da antworteten sie ihm: ,,Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt und hast Abraham gesehen?“ (Joh. 8,56f.) . So spricht man zutreffenderweise von dem, der die fünfundvierzig schon überschritten, das fünfzigste Jahr aber noch nicht erreicht hat, aber immerhin nicht mehr weit davon entfernt ist. Von einem, der erst dreißig Jahre alt ist, müßte man doch sagen: „Du bist noch nicht vierzig Jahre alt.“ Die ihn einer Lüge überführen wollten, die werden ihm doch nicht so viele Jahre mehr zulegen, als er offensichtlich hatte, sondern sein Alter möglichst genau angeben, sei es, daß sie es genau aus den amtlichen Listen wußten, oder sei es, daß sie ihn nach dem Augenschein für älter als vierzig, nicht bloß als dreißig halten mußten. Man kann doch vernünftigerweise nicht annehmen, daß sie ihm zwanzig Jahre hinzulogen, indem sie nachweisen wollen, daß er zu Abrahams Zeiten noch nicht gelebt habe. Wie sie ihn sahen, so sprachen sie auch. Wie er aber aussah, so war er auch der Wahrheit nach. Also war er nicht mehr weit von fünfzig, und deswegen sprachen sie zu ihm: „Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt und hast Abraham gesehen?“ Folglich hat er nicht bloß ein Jahr gepredigt und im zwölften Monat gelitten. Der Zeitraum vom dreißigsten bis zum fünfzigsten Jahre wird nämlich niemals bloß ein Jahr betragen, es sei denn, daß bei ihren Äonen, die der Reihe nach bei dem Bythos im Pleroma sitzen, die einzelnen Jahre so lange dauern, wie von ihnen schon der Dichter Homer spricht, indem er von ihrer armen gefallenen Mutter inspiriert ist: 

   ?? d? ?e?? p?? ???? ?a??µe??? ???????t? 

   ???s?? ?? dap?d? 

   was auf deutsch etwa heißt: 

   Doch die Götter bei Zeus ratschlagten, indem sie saßen 

   auf dem goldenen Estrich (Ilias 4,1) .




223

23. Kapitel: Das blutflüssige Weib

1.

Auch in betreff jenes Weibes, das am Blutfluß leidend den Rocksaum berührte und geheilt wurde, sind sie offenkundig im Irrtum. Dieses Weib soll ja die zwölfte Kraft bedeuten, den zwölften Äonen, der in Irrtum geriet und sich ins Unendliche ausdehnte. Erstlich ist nämlich jener Äon gar nicht der zwölfte, wie wir gezeigt haben. Zum Überfluß aber auch dies ihnen zugegeben, so sollen von den zwölf Äonen elf zwar ohne Leiden geblieben sein, der zwölfte aber nicht. Das Weib hingegen war elf Jahre krank und wurde erst im zwölften Jahre geheilt. Wenn nun umgekehrt die elf Äonen unheilbar krank gewesen und der zwölfte geheilt worden wäre, dann könnte man noch mit einiger Wahrscheinlichkeit das Weib ihr Abbild nennen. Weil sie aber elf Jahre krank war und nicht geheilt wurde und erst im zwölften Jahre geheilt wurde, darum ist es unmöglich, darum kann sie nicht das Abbild des zwölften Äonen sein, der allein in Leiden geriet, während die übrigen elf überhaupt nicht gelitten haben. Der Wesenheit und Beschaffenheit nach kann ja bisweilen das Abbild vom Urbild verschieden sein, in dem Äußeren aber und in den Grundzügen muß immer die Ähnlichkeit bestehen und den Vergleichungspunkt für beide hergeben.



2.

Doch nicht bei diesem Weibe allein ist angegeben, wie viele Jahre sie krank war, welche Jahre denn gerade zu ihrem Luftgebilde passen sollen, sondern es wurde auch ein Weib geheilt, das achtzehn Jahre krank war, von welcher der Herr sagt: „Diese Tochter Abrahams aber, die Satan achtzehn Jahre gebunden hielt, sollte am Sabbate nicht gelöst werden?“ (Lc 13,16) War also jenes Weib ein Abbild des zwölften Äonen, dann muß diese das Abbild des achtzehnten Äonen sein. Doch so viele gibt es nicht, sonst müßte ihre Haupt- und Urachtheit den leidenden Äonen hinzugezählt werden. Und da noch einer geheilt wurde, der achtunddreißig Jahre krank war (Jn 5,5) , so müßten sie auch noch einen achtunddreißigsten leidenden Äonen haben. Wenn nämlich alle Handlungen des Heilandes ein Abbild von den Vorgängen im Pleroma sein sollen, dann muß man auch dabei bleiben. Sie können nun weder die nach achtzehn Jahren noch den nach achtunddreißig Jahren Geheilten ihrer Dichtung anpassen. Unklug und ungereimt ist es aber, zu sagen, daß der Heiland in einigen Fällen das Abbild gewahrt und in anderen nicht gewahrt habe. Also besteht zwischen dem Abbild des Weibes und den Vorgängen bei den Äonen bewiesenermaßen keine Ähnlichkeit.





(Contra Haereses) 219