(Contra Haereses) 301

1. Kapitel: Die Apostel im Vollbesitz der Wahrheit

301 1.

Von keinem andern als von denen, durch welche das Evangelium an uns gelangt ist, haben wir Gottes Heilsplan gelernt. Was sie zuerst gepredigt und dann nach dem Willen Gottes uns schriftlich überliefert haben, das sollte das Fundament und die Grundsäule unseres Glaubens werden. Frevelhaft ist die Behauptung, sie hätten gepredigt, bevor sie die vollkommene Kenntnis besessen hätten, wie jene zu sagen sich erkühnen, die sich rühmen, die Apostel verbessern zu können. Nicht eher nämlich zogen sie aus bis an die Grenzen der Erde, allen die frohe Botschaft zu bringen und den himmlischen Frieden den Menschen zu verkünden, als unser Herr von den Toten auferstanden war und sie alle die Kraft des Heiligen Geistes empfangen hatten, der über sie kam. Dadurch empfingen sie die Fülle von allem und die vollkommene Erkenntnis, und so besitzt auch jeder einzelne von ihnen das Evangelium Gottes, Matthäus verfaßte seine Evangelienschrift bei den Hebräern in hebräischer Sprache, als Petrus und Paulus zu Rom das Evangelium verkündeten und die Kirche gründeten. Nach deren Tode zeichnete Markus, der Schüler und Dolmetscher Petri, dessen Predigt für uns auf. Ähnlich hat Lukas, der Begleiter Pauli, das von diesem verkündete Evangelium in einem Buch niedergelegt. Zuletzt gab Johannes, der Schüler des Herrn, der an seiner Brust ruhte, während seines Aufenthaltes zu Ephesus in Asien das Evangelium heraus.



2.

Sie alle lehren uns einen Gott als Schöpfer des Himmels und der Erde, wie ihn Gesetz und Propheten verkünden, und einen Christus als den Sohn Gottes. Wenn also jemand ihnen nicht glaubt, dann verachtet er die Mitgenossen des Herrn, verachtet auch Christus den Herrn selbst, verachtet auch seinen Vater und ist durch sich selbst gerichtet, weil er seinem Heile hartnäckig widerstrebt. Das aber tun alle Häretiker.





2. Kapitel: Schrift oder Tradition werden nach Belieben verworfen

302 1.

Widerlegt man nämlich die Häretiker aus den Schriften, dann erheben sie gegen eben diese Schriften die Anklage, daß sie nicht zuverlässig seien, keine Autorität besäßen, auf verschiedene Weise verstanden werden könnten, und daß aus ihnen die Wahrheit zu finden nur die imstande seien, die die Tradition verstünden. Diese sei nämlich nicht niedergeschrieben, sondern werde durch die lebendige Stimme überliefert, weswegen auch Paulus sage: „Weisheit reden wir unter den Vollkommenen, aber nicht die Weisheit dieser Welt“ (
1Co 2,6). Unter dieser Weisheit versteht jeder von ihnen natürlich das von ihm erfundene System, so daß nach Ihnen die Wahrheit bald bei Valentinus, bald bei Markion, bald bei Cerinth ist. Später war sie natürlich bei Basilides oder bei einem seiner Widersacher, der auch nichts Rechtes vorbringen konnte. Denn verdreht sind sie alle, und trotzdem schämen sie sich nicht, sich selbst als die Richtschnur der Wahrheit hinzustellen.



2.

Berufen wir uns aber ihnen gegenüber auf die apostolische Tradition, die durch die Nachfolge der Priester in der Kirche bewahrt wird, dann verwerfen sie wieder die Tradition, nennen sich klüger als Priester und Apostel und sagen, sie hätten allein die Wahrheit gefunden. Die Apostel hätten den Worten des Heilandes noch allerlei aus dem Gesetz beigemischt; und nicht bloß die Apostel, sondern auch der Herr habe seine Aussprüche teils vom Demiurgen, teils aus dem Ort der Mitte, teils von dem Allerhöchsten. Sie aber wüssten klar, rein und schlicht das darin verborgene Geheimnis — fürwahr, eine ganz unverschämte Gotteslästerung! So stehen sie also weder auf dem Boden der Schrift, noch der Tradition.



3.

Gleichsam gegen Schlangen, die sich glatt nach allen Seiten herauszuwinden suchen, haben wir also zu kämpfen. Deshalb müssen wir ihnen auch von allen Seiten entgegentreten; vielleicht, daß wir dann einige von ihnen durch die[64] Zurückweisung stutzig machen und bewegen können, zur Wahrheit zurückzukehren. Denn wenn es auch nicht leicht ist, daß eine Seele, die vom Irrtum umgarnt ist, wieder vernünftig wird, so ist es doch nicht absolut unmöglich, daß sie dem Irrtum entrinne, wenn ihr die Wahrheit entgegengehalten wird.





3. Kapitel: Was wahre Tradition ist

303 1.

Die von den Aposteln in der ganzen Welt verkündete Tradition kann in jeder Kirche jeder finden, der die Wahrheit sehen will, und wir können die von den Aposteln eingesetzten Bischöfe der einzelnen Kirchen aufzählen und ihre Nachfolger bis auf unsere Tage. Diese haben von den Wahngebilden jener nichts gelehrt und nichts gehört. Denn wenn die Apostel verborgene Geheimnisse gewußt hätten, die sie in besonderem, geheimem Unterricht nur die Vollkommenen lehrten, dann hätten sie die Geheimnisse am ehesten denen übergeben, denen sie sogar die Kirchen anvertrauten. Ganz vollkommen nämlich und in allem untadelig wünschten sie die, denen sie ihren Lehrstuhl übergaben, und die sie als ihre Nachfolger zurückließen, von deren gutem oder schlechtem Verhalten für das Wohl und Wehe der Ihrigen soviel abhing.



2.

Weil es aber zu weitläufig wäre, in einem Werke wie dem vorliegenden die apostolische Nachfolge aller Kirchen aufzuzählen, so werden wir nur die apostolische Tradition und Glaubenspredigt der größten und ältesten und allbekannten Kirche, die von den beiden ruhmreichen Aposteln Petrus und Paulus zu Rom gegründet und gebaut ist, darlegen, wie sie durch die Nachfolge ihrer Bischöfe bis auf unsere Tage gekommen ist. So widerlegen wir alle, die wie auch immer aus Eigenliebe oder Ruhmsucht oder Blindheit oder Mißverstand Konventikel gründen. Mit der römischen Kirche nämlich muß wegen ihres besonderen Vorranges jede Kirche übereinstimmen, d. h. die Gläubigen von allerwärts, denn in ihr ist immer die apostolische Tradition bewahrt von denen, die von allen Seiten kommen[65] .



3.

Nachdem also die seligen Apostel die Kirche gegründet and eingerichtet hatten, übertrugen sie dem Linus den Episkopat zur Verwaltung der Kirche. Diesen Linus erwähnt Paulus in seinem Briefe an Timotheus. Auf ihn folgt Anacletus. Nach ihm erhält an dritter Stelle den Episkopat Klemens, der die Apostel noch sah und mit ihnen verkehrte. Er vernahm also noch mit eignen Ohren ihre Predigt und Lehre, wie überhaupt damals noch viele lebten, die von den Aposteln unterrichtet waren. Als unter seiner Regierung ein nicht unbedeutender Zwist unter den Brüdern in Korinth ausbrach, da sandte die römische Kirche ein ganz nachdrückliches Schreiben an die Korinther, riet ihnen eindringlich zum Frieden und frischte ihren Glauben auf und verkündete die Tradition, die sie unlängst von den Aposteln empfangen hatte. Es gebe einen allmächtigen Gott, der Himmel und Erde erschaffen und den Menschen gebildet und die Sintflut geschickt und den Abraham berufen habe; der das Volk aus dem Lande Ägypten hinausgeführt, zum Moses gesprochen, das Gesetz gegeben, die Propheten gesandt, dem Teufel und seinen Engeln aber das ewige Feuer bereitet habe. Daß dieser als der Vater unseres Herrn Jesu Christi von den Kirchen verkündet wird und dies als apostolische Tradition aufzufassen ist, können alle, die da wollen, aus jenem Briefe entnehmen; denn der Brief ist älter als die neuen Falschlehrer, die sich über dem Weltenschöpfer und Demiurgen noch einen andern Gott zurechtlügen.

  Auf genannten Klemens folgte Evaristus, auf Evaristus Alexander, als sechster von den Aposteln wurde Sixtus aufgestellt, nach diesem kam Telesphoros, der glorreiche Märtyrer, dann Hyginus, dann Pius, dann Anicetus. Nachdem dann auf Anicetus Soter gefolgt war, hat jetzt als zwölfter von den Aposteln Eleutherius den Episkopat inne. In dieser Ordnung und Reihenfolge ist die kirchliche apostolische Überlieferung auf uns gekommen, und vollkommen schlüssig ist der Beweis, daß es derselbe Leben spendende Glaube sei, den die Kirche von den Aposteln empfangen, bis jetzt bewahrt und in Wahrheit uns überliefert hat.



4.

Dasselbe hat auch Polykarp immer gelehrt, wie er es von den Aposteln gelernt und der Kirche es überliefert hatte, und wie es auch allein die Wahrheit ist. Er war nicht allein von den Aposteln unterrichtet und hatte noch mit vielen verkehrt, die unsern Herrn Christus gesehen haben, sondern war von den Aposteln auch zum Bischof von Smyrna für Kleinasien eingesetzt worden. Auch wir sahen ihn noch in unserer Jugend; denn er lebte gar lange und erlitt erst in hohem Greisenalter ein sehr ruhmreiches und denkwürdiges Martyrium. Mit seiner Lehre stimmen alle Kirchen in Asien und die Nachfolger des Polykarp überein, und sein Ansehen ist gewiß größer und sein Zeugnis zuverlässiger als das des Valentin und Markion und der übrigen Narren. Unter Anicet führte Polykarp bei seinem Aufenthalt in Rom viele von den genannten Häretikern in die Kirche zurück, indem er predigte, daß er einzig und allein die Wahrheit von den Aposteln empfangen habe, die auch von der Kirche überliefert worden ist. Noch leben die, welche ihn erzählen hörten, daß Johannes, der Schüler des Herrn, einst in Ephesus ein Bad nehmen wollte; wie er aber drinnen den Cerinth erblickte, sprang er ungebadet aus dem Bade heraus, indem er sagte, er fürchte, daß das Bad einstürze, wenn Cerinth, der Feind der Wahrheit, drinnen sei. So begegnete auch einst Polykarp dem Markion, und als dieser ihn fragte: „Kennst du mich?“ antwortete er ihm: „Ich kenne dich, du Erstgeborener des Satans!“ Eine solche Furcht hatten die Apostel und ihre Schüler, auch nur ein Wort mit denen zu wechseln, die die Wahrheit geschändet hatten. Sagt doch auch Paulus: „Einen ketzerischen Menschen meide, wenn du ihn einmal[66] zurechtgewiesen hast, und wisse, daß ein solcher verkehrten Sinnes ist und frevelhaft und durch sich selbst verurteilt“ (
Tt 3,10). Auch hat Polykarp einen ganz vorzüglichen Brief an die Philippenser hinterlassen, aus dem die Art seines Glaubens und die Predigt der Wahrheit die entnehmen können, welche um ihr Heil besorgt sein wollen. Ebenso ist auch die Kirche von Ephesus, die von Paulus gegründet wurde, und in der Johannes bis zu den Zeiten des Trajan verweilte, ein treuer Zeuge der apostolischen Tradition.





4. Kapitel: Allein in der Kirche ist die wahre Tradition

304 1.

Angesichts solcher Beweise darf man nicht lange bei andern nach der Wahrheit suchen. Ohne Mühe kann man sie von der Kirche in Empfang nehmen. In sie haben die Apostel wie in eine reiche Schatzkammer auf das vollständigste alles hineingetragen, was zur Wahrheit gehört, so daß jeder, der will, aus ihr den Trunk des Lebens schöpfen kann. Sie ist der Eingang zum Leben; alle übrigen sind „Räuber und Diebe“ (
Jn 10,1). Diese muß man deshalb meiden, alles aber, was zur Kirche gehört, auf das innigste lieben und die Überlieferung der Wahrheit umklammern. Sollte jedoch über eine unbedeutende Frage ein Zwiespalt entstehen, dann muß man auf die ältesten Kirchen zurückgehen, in denen die Apostel gewirkt haben, und von ihnen die klare und sichere Entscheidung über die strittige Frage annehmen. Hätten nämlich die Apostel nichts Schriftliches uns hinterlassen, dann müßte man eben der Ordnung der Tradition folgen, die sie den Vorstehern der Kirchen übergeben haben.



2.

Diese Anordnung befolgen viele Barbarenvölker, die an Christum glauben. Ohne Papier und Tinte haben sie ihr Heil durch den Heiligen Geist in ihren Herzen geschrieben, und sorgfältig bewahren sie die alte Tradition. An einen Gott glauben sie als den Schöpfer des Himmels und der Erde und alles dessen, was darin ist, durch Jesum Christum, Gottes Sohn, der aus überfließender Liebe gegen sein Geschöpf aus der Jungfrau geboren werden wollte, der in sich den Menschen mit Gott vereinigte, unter Pontius Pilatus litt, auferstand, in Herrlichkeit aufgenommen wurde und in Majestät kommen wird als der Erlöser derjenigen, die gerettet werden, und als Richter derer, die gerichtet werden. In das ewige Feuer wird er die Entsteller der Wahrheit und die Verächter seines Vaters und seiner Ankunft schicken. Die diesen Glauben ohne Schrift angenommen haben, sind hinsichtlich unserer Sprache zwar Barbaren, in Anbetracht ihrer Gesinnung, ihrer Gebräuche und ihres Lebenswandels freilich wegen ihres Glaubens höchst weise und Gott wohlgefällig, da sie in aller Gerechtigkeit, Keuschheit und Weisheit wandeln. Käme ihnen einer mit den häretischen Erfindungen und wollte darüber mit ihnen in ihrer Sprache reden, dann würden sie sich sogleich die Ohren zuhalten und weit, weit fliehen, weil sie das gotteslästerliche Gerede nicht ertragen könnten. All deren Wundergerede hat in ihrem Geiste keinen Platz, denn keine[67] Versammlung oder Unterweisung hat bei ihnen bisher stattgefunden.



3.

Vor Valentin nämlich gab es keine Valentinianer, vor Markion keine Markioniten, noch gab es irgend einen der anderen Bösgesinnten, die wir oben aufgezählt haben, bevor die Urheber und Erfinder jener Bosheiten auftraten. Valentinus kam nach Rom unter Hyginus, wuchs unter Pius und zog sich hin bis Anicetus. Vor Markion noch war Kerdon; unter Hyginus, dem achten Bischof, kam er noch in die Kirche und legte das Glaubensbekenntnis ab. Bald lehrte er im Geheimen, bald wieder trat er als Bekenner auf und wurde schließlich von einigen seiner falschen Lehren überführt und von der Gemeinschaft der Frommen ausgeschlossen. Ihm folgte Markion, der unter Anicet, dem zehnten Bischof, zu Einfluß gelangte. Die übrigen sog. Gnostiker aber stammen, wie gezeigt, von Menander, dem Schüler des Simon, ab; jeder von ihnen hatte seine besondere Lehre, deren Vater und Vorsteher jeder selbst war. Doch sind diese alle erst viel später, in den mittleren Zeiten der Kirche, zu ihrer Apostasie gekommen.





5. Kapitel: Christus, die vollkommene Wahrheit

305 1.

Da also die apostolische Tradition, wie gesagt in der Kirche ist und bleibt, so wollen wir zurückkehren zu dem Beweise aus den Schriften der Apostel, die das Evangelium verfaßt haben, indem wir aus dem, was sie als Lehre über Gott geschrieben haben, den Nachweis führen, daß unser Herr Jesus Christus die Wahrheit, und daß keine Lüge in ihm ist. So hat auch David seine Geburt aus der Jungfrau und seine Auferstehung von den Toten verkündet, indem er sagte: „Die Wahrheit ist aus der Erde hervorgegangen“ (
Ps 84,12). Aber auch die Apostel sind als Schüler der Wahrheit außerhalb aller Lüge, denn die Lüge hat ebensowenig Anteil an der Wahrheit wie die Finsternis an dem Licht, denn die Gegenwart des einen schließt die des andern aus. Da also unser Herr die Wahrheit war, konnte er nicht lügen, und den er als Frucht des Fehltritts kannte, den würde er nicht als Gott und Gott von allem, als höchsten König und seinen Vater bekennen, der Vollkommene den Unvollkommenen, der Geistige den Seelischen, der im Pleroma Befindliche den nicht zum Pleroma Gehörigen. Auch würden seine Schüler keinen andern Gott oder Herrn nennen außer dem, der in Wahrheit Gott und aller Herr ist. Falsch also ist die Behauptung jener eitlen Sophisten, die da sagen, die Apostel hätten nach Art von Schauspielern ihre Lehre nach der Fassungskraft ihrer Zuhörer eingerichtet und ihre Antworten nach den Vorurteilen der Frager. Den Blinden hätten sie ihrer Blindheit entsprechend Blindes vorgefabelt, den Schwachen aber gemäß ihrer Schwachheit, den Irrenden gemäß ihres Irrtums und denen, die da glaubten, daß Gott allein der Demiurg sei, dieses verkündet, denen aber, die den unnennbaren Vater fassen konnten, hätten sie durch Beispiele und Rätsel dies unaussprechliche Geheimnis kundgetan. Also nicht nach der Wahrheit, sondern wie Schauspieler und nach der Auffassung eines jeden hätten der Herr und die Apostel ihr Lehramt ausgeübt.



2.

Doch damit heilen sie keinen, noch machen sie ihn lebendig, sondern erschweren und vermehren vielmehr ihre eigne Unwissenheit. Viel wahrhaftiger als sie erweist sich das Gesetz, das jeden verdammt, der einen Blinden am Wege in die Irre schickt (Dt 27,18) . Die Apostel nämlich, die gesendet wurden, um die Irrenden aufzusuchen, den Blinden das Gesicht und den Kranken Heilung zu bringen, redeten gewiß nicht mit ihnen nach ihrer vorgefaßten Meinung, sondern gemäß der Offenbarung der Wahrheit. Handelt jemand recht, wenn er Blinden, die schon am Rande eines Abgrundes wandeln, rät, jenen höchst gefährlichen Weg fortzusetzen, gleich als ob er der rechte wäre und sie auf ihm glücklich zum Ziel kommen würden? Oder welcher Arzt, der einen Kranken heilen will, wird nach den Gelüsten der Kranken handeln, statt nach den Vorschriften der Heilkunde? Daß aber der Herr wie ein Arzt zu den Kranken gekommen ist, das bezeugt er selbst mit den Worten: „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zur Buße zu rufen, sondern die Sünder“ (Lc 5,31 f.). Wie sollen sonst die Kranken zu Kräften kommen und die Sünder Buße tun? Vielleicht indem sie in demselben Zustand verharren, oder indem sie im Gegenteil eine große Veränderung und Umkehr des früheren Lebenswandels vornehmen, durch den sie keine kleine Krankheit und nicht wenige Sünden sich zugezogen haben? Die Unwissenheit aber, die Mutter von diesem allen, wird durch die Erkenntnis ausgetrieben. Deshalb brachte der Herr seinen Schülern die Erkenntnis; durch sie heilte er die Kranken und hielt die Sünder von der Sünde zurück. Nicht also sprach er zu ihnen nach ihrer früheren Meinung, noch antwortete er den Fragenden nach ihrem Vorurteil, sondern nach der Lehre des Heils, ohne Verstellung und ohne Ansehen der Person.



3.

Das kann man auch aus den Reden des Herrn beweisen. Denen aus der Beschneidung zeigte er Christum als den Sohn Gottes, wie er von den Propheten verkündet war, d. h., er offenbarte sich als den, der die Freiheit der Menschen wiederherstellen und ihnen die unvergängliche Erbschaft zuweisen wollte. Die Heiden aber unterrichteten die Apostel in der Weise, daß sie die Eitelkeit von Holz und Stein verlassen sollten, die sie für Götter hielten, den wahren Gott aber anbeten sollten, der das ganze menschliche Geschlecht gemacht und geschaffen habe und durch seine Schöpfung ernähre, mehre und festige und ihm Existenz verleihe; daß sie seinen Sohn Jesus Christus erwarten sollten, der uns vom Verderben durch sein Blut erlöst hat, damit wir sein heiliges Volk wären, der auch vom Himmel in der Kraft des Vaters kommen und Gericht abhalten werde über alle, der alles Gute von Gott denen schenken werde, die seine Gebote beobachtet hätten. Als dieser Haupteckstein[68] in den letzten Zeiten erscheinend, sammelte und vereinigte er alle von nah und fern, d. h. Beschneidung und Vorhaut, „erweiterte Japhet und gab ihm Platz im Hause Sems“ (Gn 9,27).





6. Kapitel: Der Vater und der Sohn sind wahrer Gott

306 1.

Weder der Herr, noch der Heilige Geist, noch die Apostel hätten den, der nicht Gott war, jemals Gott ohne Vorbehalt und Einschränkung genannt, wenn er nicht Gott in Wahrheit wäre, noch hätten sie ihrerseits jemand als Herrn bezeichnet außer dem allerhöchsten Gott Vater und seinem Sohn, der die Herrschaft über die ganze Schöpfung von seinem Vater empfing, wie geschrieben steht: „Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis daß ich lege deine Feinde zum Schemel deiner Füße“ (
Ps 109,1). D. h. der Vater sprach mit dem Sohne und gab ihm zum Erbe die Heiden und unterwarf ihm alle seine Feinde. Da nun der Vater Herr ist und der Sohn in Wahrheit Herr, so bezeichnet der Heilige Geist mit Recht beide als Herren. Und wenn die Schrift wiederum bei der Zerstörung Sodomas sagt: „Und es regnete der Herr über Sodoma und Gomorrha Feuer und Schwefel von dem Herrn des Himmels“ (Gn 19,24), so bezeichnet sie hier ebenfalls den Sohn, der mit Abraham gesprochen hat und von dem Vater die Gewalt empfangen hatte, die Sodomiter wegen ihrer Gottlosigkeit zu bestrafen. Ähnlich heißt es: „Dein Thron, o Gott, steht in Ewigkeit. Ein Szepter der Gerechtigkeit ist das Szepter Deines Reiches. Du liebtest die Gerechtigkeit und haßtest das Unrecht, deshalb hat Dich, o Herr, Dein Gott gesalbt“ (Ps 44,7 f.). Beide nämlich bezeichnete der Heilige Geist als Gott, den Sohn, der gesalbt wird, und den Vater, der salbt. Und ferner: „Gott steht in der Versammlung der Götter, in ihrer Mitte aber richtet er die Götter“ (Ps 81,1). Vom Vater und vom Sohne spricht er und von denen, welche die Kindschaft empfangen haben, und diese sind die Kirche. Das nämlich ist die Versammlung Gottes, welche Gott, d. h. der Sohn selbst, durch sich zustande gebracht hat. Und abermals heißt es von ihm: „Gott, der Herr der Götter, hat geredet und rief die Erde“ (Ps. 49,l). Und wer ist der Herr, von dem er sprach: „Gott wird sichtbar kommen, unser Gott, und er wird nicht schweigen“ (Ps 49,3)? Das ist der Sohn, der in sichtbarer Gestalt zu den Menschen kam und spricht: „Offenkundig bin ich denen geworden, die mich nicht suchen“ (Is 65,1). Wer aber sind die Götter? Die, zu denen er spricht: „Ich habe gesagt, Götter seid ihr und Söhne des Allerhöchsten allzumal“ (Ps 81,6), die nämlich, welche die Gnade „der Kindschaft erlangt haben, durch welche wir rufen: Abba, Vater“ (Rm 8,15).



2.

Kein anderer also, wie gesagt, heißt Gott oder wird Herr genannt als jener allerhöchste Gott und Herr, der auch zu Moses sprach: „Ich bin, der ich bin. Sage also den Söhnen Israels: Der, welcher ist, hat mich zu euch gesandt“ (Ex 3,14). Sein Sohn ist Jesus Christus, unser Herr, der die zu Söhnen Gottes macht, die an seinen Namen glauben. Und abermals spricht der Sohn zu Moses, wenn es heißt: „Ich bin herabgestiegen, dieses Volk zu erretten“ (Ex 3,8). Denn er ist es, der herabstieg und hinaufstieg, die Menschen zu erlösen. Durch den Sohn also, der im Vater ist und in sich den Vater hat, der da ist, hat sich Gott geoffenbart, indem der Vater für den Sohn Zeugnis ablegt und der Sohn den Vater verkündigt. In diesem Sinne spricht Isaias: „Und ich bin Zeuge, spricht Gott der Herr, und der Sohn, den ich erwählt habe, damit ihr erkennet und glaubet und einsehet, daß ich es bin“ (Is 43,10).



3.

Wenn aber die Schrift Götter die nennt, welche es nicht sind, dann nennt sie diese nicht schlechthin Götter, sondern gebraucht noch irgend einen Zusatz oder eine Bezeichnung, aus der hervorgeht, daß sie nicht in Wirklichkeit Götter sind. So z. B. bei David: „Die Götter der Heiden sind Bilder von Dämonen“ (Ps 95,5)und: „Fremden Göttern sollt ihr nicht nachfolgen“ (Ps 80,10). Dadurch also, daß sie sagt: Götter der Heiden — den Heiden nämlich ist der wahre Gott unbekannt — und dadurch, daß sie sie fremde Götter nennt, hat sie ausgeschlossen, daß sie wahre Götter wären. Aber auch ihrerseits hat sie gesagt, was sie in Wahrheit sind: Bilder von Dämonen. Und wenn Isaias sagt: „Zuschanden sollen alle werden, die Gott lästern und unnütze Bilder machen; ich bin Zeuge, spricht der Herr“ (Vgl. Jes. Is 44,9), so hat er abgelehnt, daß es Götter sind, und gebraucht nur[69] diese Bezeichnung, damit wir wissen, von wem er redet. Ebenso spricht Jeremias: „Die Götter, die nicht Himmel noch Erde gemacht haben, sollen von der Erde verschwinden, die unter dem Himmel ist“ (Jr 10,11), und indem er ihnen die Vernichtung wünscht, zeigt er deutlich, daß sie keine Götter sind. Und als Elias ganz Israel auf den Berg Karmel zusammengerufen hatte, sagt er zu dem Volke, um es vom Götzendienste abzubringen: „Wie lange werdet ihr noch hinken nach beiden Seiten? Wenn einer der Herr Gott ist, so folgt diesem!“ (3 Kön. 18,21) Und bei dem Brandopfer spricht er so zu den Priestern der Götzenbilder: „Ihr werdet anrufen im Namen eurer Götter, und ich werde anrufen im Namen des Herrn, meines Gottes, und welcher Gott heute uns erhören wird, der ist der wahre Gott“ (Ebd. 18,24). Mit diesen Worten kennzeichnet der Prophet ihre vermeintlichen Götter als keine wahren Götter, und er bekehrte sie auch zu dem Gott, an den er selbst glaubte, und der in Wahrheit Gott war, wie er ihn auch mit den Worten anrief: „Herr Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs, erhöre mich heute, damit dieses ganze Volk hier erkenne, daß Du der Gott Israels bist“ (Ebd. 18,36).



4.

Auch ich also rufe Dich an, Herr Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs und Israels, der Du der Vater unseres Herrn Jesu Christi bist, — o Gott, der Du durch die Größe Deiner Barmherzigkeit so freundlich Dich uns geoffenbart hast, der Du die Erde und den Himmel gemacht hast, Du allerhöchster Herr, Du einziger und wahrer Gott, über dem es keinen andern Gott gibt, laß doch durch unsern Herrn Jesus Christus den Heiligen Geist in uns herrschen, lasse doch jeden, der dieses Buch liest, Dich erkennen, daß Du allein Gott bist, in Dir stark werden und abstehen von aller häretischen, gottlosen und frevelhaften Gesinnung!



5.

Ebenso scheidet der Apostel Paulus die, welche nicht Götter sind, von dem, der in Wahrheit Gott ist, wenn er sagt: „Wenn ihr einst denen dientet, die nicht Götter waren, so erkennet ihr jetzt Gott und werdet von Gott erkannt“ (Vgl. Gal. Ga 4,8 f.). Und wenn er abermals von dem Antichrist sagt: „Der sich widersetzt und erhebt über alles, was Gott heißt oder göttlich verehrt wird“ (2Th 2,4), so meint er die, welche von denen, die Gott nicht kennen, Götter genannt werden, d. h. die Götzen. Denn der Allvater heißt Gott und ist es, und über ihn wird sich der Antichrist nicht erheben, sondern über die, welche Götter genannt werden und es nicht sind. Das bestätigt Paulus selbst, indem er sagt: „Wir wissen, daß ihr Götze nichts ist, und daß kein anderer Gott ist als der eine. Denn wenn es auch solche gibt, die Götter genannt werden, sei es im Himmel oder auf der Erde, so haben wir doch nur einen Gott, den Vater, von dem alles ist, und für den wir sind, und einen Herrn Jesum Christum, durch welchen alles ist und wir durch ihn“ (1Co 8,4 ff.). Er unterscheidet also scharf, die Götter genannt werden, es aber nicht sind, von dem einen Gott Vater, aus dem alles ist, und bekannte auch für seine Person auf das bestimmteste den einen Herrn Jesus Christus. Wenn er aber sagt: „Sei es im Himmel oder auf der Erde“, so will er damit nicht, wie manche es deuten, die Schöpfer der Welt bezeichnen, sondern er drückt sich nur ähnlich aus wie Moses, der da sagt: „Du sollst dir kein Bild von Gott machen, weder im Himmel oben, noch auf der Erde unten, noch im Wasser unter der Erde“ (Dt 5,8). Was er aber mit dem Himmel meint, erklärt er selbst, indem er sagt: „Daß du nicht etwa deine Augen zum Himmel erhebest und die Sonne schauest und den Mond und die Sterne und alle Pracht des Himmels, und dich irrest und sie anbetest und ihnen dienest“ (Ebd. 4,19). Moses selbst, der Mann Gottes, durfte zwar als Gott vor Pharao sich zeigen (Vgl. Ex. Ex 7,1) , aber er wird von den Propheten wahrlich nicht Gott oder Herr genannt; sondern einen treuen Knecht und Diener Gottes (He 3,5 nach Nb 12,7) nennt ihn der Geist, wie er es in Wirklichkeit auch war.





7. Kapitel: Exegese über 2 Kor. 4,4

307 1.

Wenn sie aber sagen, Paulus habe offenkundig einen Gott dieser Welt von dem Gott unterschieden, der über alle Hoheit, Zeit und Macht erhaben ist, indem er spricht: „In ihnen hat der Gott dieser Welt ungläubige Herzen verblendet“ (
2Co 4,4), so trifft uns keine Schuld, daß die, welche von sich behaupten, übergöttliche Geheimnisse zu wissen, nicht einmal Paulus zu lesen verstehen. Wie wir schon anderwärts und an vielen Stellen gezeigt haben, versetzt Paulus häufig die Wörter; wenn nun jemand nach dieser seiner Gewohnheit liest: „In ihnen hat Gott“, dann ein wenig absetzt und fortfahrend in eins liest: „dieser Welt ungläubige Herzen verblendet“, so wird er die Wahrheit finden: „Gott hat die Herzen der Ungläubigen dieser Welt verblendet.“ Das ergibt sich aus dem[70] Absetzen. Denn nicht von einem Gott dieser Welt spricht Paulus, gleich als ob er über jenem noch einen andern kennen würde, sondern Gott bekannte er als Gott, aber die Ungläubigen nennt er von dieser Welt, weil sie die zukünftige Unvergänglichkeit nicht erben werden. Wie aber Gott die Herzen der Ungläubigen verblendet hat, das werden wir im Verlauf unserer Abhandlung aus Paulus selbst zeigen, um für jetzt nicht zu weit von unserm Thema abzuschweifen.



2.

Daß Paulus jedoch wegen der Schnelligkeit seiner Reden und wegen seines ungestümen Geistes häufig Umstellungen anwendet, das kann man aus vielen andern Stellen ersehen. So sagt er im Galaterbriefe: „Wozu also das Gesetz der Werke? ... Es ist gegeben worden, bis daß der Same käme, dem die Verheißung gegeben war; angeordnet ist es durch Engel in der Hand des Mittlers“ (Ga 3,19). Die richtige Ordnung nämlich ist diese: „Wozu also das Gesetz der Werke? Angeordnet ist es durch Engel in der Hand des Mittlers, eingesetzt aber, bis daß der Same kommt, dem die Verheißung gegeben war, so daß der Mensch fragt, der Geist aber antwortet.“ Und indem er im zweiten Thessalonicherbriefe von dem Antichrist spricht, sagt er: „Dann wird jener Bösewicht offenbar werden, welchen der Herr Jesus wird töten mit dem Hauch seines Mundes und zunichte machen durch die Gegenwart seiner Ankunft, ihn, dessen Ankunft stattfindet gemäß dem Wirken des Satans in aller Kraft und in den Zeichen und Wundern der Lüge“ (Vgl. 2 Thess. 2,8f.). Die Reihenfolge der Worte aber ist diese: „Dann wird offenbar werden der Bösewicht, dessen Ankunft gemäß dem Wirken des Satans stattfindet, in aller Kraft und in den Zeichen und Wundern der Lüge, den der Herr Jesus töten wird durch den Hauch seines Mundes und zunichte machen durch die Gegenwart seiner Ankunft.“ Denn nicht sagt er, daß die Ankunft des Herrn nach dem Wirken des Satans stattfinden werde, sondern die Ankunft des Bösewichtes, den wir auch Antichrist nennen. Wenn also jemand beim Lesen nicht achtgibt und beim Sprechen nicht die gehörigen Pausen macht, dann ergibt sich nicht bloß ein ungehöriger, sondern sogar gotteslästerlicher Sinn, gleich als ob die Ankunft des Herrn gemäß der Wirksamkeit des Satans erfolgen werde. Wie man also bei solchen Stellen durch das Lesen die richtige Wortstellung andeuten muß, um den eigentlichen Sinn der Stelle zu erhalten, so lesen wir auch dort nicht: ,,Gott dieser Welt“, sondern bloß Gott, den wir wahrhaft Gott nennen; hören aber von den Ungläubigen und Verblendeten dieser Welt, daß sie das künftige Leben nicht erben werden.





8. Kapitel: Exegese über Mt. 6,24

308 1.

Nachdem nun auch dieser verleumderische Einwand zurückgewiesen ist, erhellt ganz deutlich, daß weder die Propheten noch die Apostel jemals einen andern Gott genannt oder Herrn geheißen haben außer dem wahren und einzigen Gott. Um so mehr bekennt auch der Herr selbst, der da befahl, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist (
Mt 22,21) , den Kaiser als Kaiser und Gott als Gott. Ähnlich erklärt er selbst das Wort: „Ihr könnt nicht zweien Herren dienen“, dahin: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Mt 6,24). Gott nennt er Gott und Mammon Mammon. Den Mammon nennt er nicht Herrn, wenn er sagt: „Ihr könnt nicht zweien Herren dienen“, sondern er lehrt seine Schüler, Gott zu dienen, aber vom Mammon sich nicht unterwerfen und beherrschen zu lassen. „Denn“, sagt er, wer Sünde tut, ist ein Knecht der Sünde“ (Jn 8,34). Wie er also die, welche der Sünde dienen, Knechte der Sünde nennt, aber keinesfalls die Sünde selbst Gott, so nennt er die, welche dem Mammon dienen, Knechte des Mammons, aber den Mammon nicht Gott. Mammon aber heißt in der jüdischen Sprache, die auch die Samariter reden, geizig und habgierig — was auf hebräisch auch „Mamuel“ heißt — oder es bedeutet einen Schlemmer, der der Gaumenlust nicht widerstehen kann. Mag es nun diesen oder jenen Sinn haben, wir können nicht Gott dienen und dem Mammon.



2.

Aber auch als er den Teufel den Starken nannte, nicht schlechthin, sondern nur im Vergleich zu uns, da bezeichnete sich selbst der Herr als den schlechthin und in Wahrheit Starken, indem er sagte, „daß keiner anders die Gefäße des Starken rauben könne, als wenn er ihn vorher binde; und dann wird er sein Haus plündern“ (Vgl. Mt. Mt 12,29).[71] Denn nicht war er stark gegen den, der ihn band und sein Haus ausraubte, sondern gegen die Menschen, die er gebrauchte, da er ihren Sinn von Gott ablenkte. Diese hat der Herr befreit, wie auch Jeremias sagt: „Erlöst hat der Herr Jakob und ihn aus der Hand dessen entrissen, der stärker war als er“ (Jr 31,11). Wenn er nun den nicht genannt hätte, der ihn band und seine Gefäße ihm entwand, und ihn nur so schlechthin den Starken genannt, dann wäre der Starke unbesiegt. Aber er fügte noch den hinzu, der ihn bezwang. Der da bindet, hält fest, und der gebunden wird, wird festgehalten. Und da hört der Vergleich auf, damit der abtrünnige Knecht nicht mit dem Herrn verglichen wird, noch irgend etwas von dem, was geschaffen und untergeordnet ist, mit dem Worte Gottes verglichen wird, mit unserm Herrn Jesus Christus, durch den alles gemacht worden ist.



3.

Daß nämlich Engel und Erzengel, Throne und Herrschaften von dem allerhöchsten Gott durch sein Wort geschaffen und gemacht sind, das hat Johannes deutlich kundgetan. Denn nachdem er von diesem Worte Gottes gesagt hat, daß es im Vater war, fügt er hinzu: „Alles ist durch dasselbe gemacht worden, und ohne dasselbe ist nichts gemacht worden“ (Jn 1,3). Und nachdem David alles einzelne, was wir genannt haben, die Himmel und alle ihre Kräfte als Lobpreis Gottes aufgezählt hat, fügt er hinzu: „Er sprach, befahl und es wurde erschaffen, er sprach, und es war gemacht“ (Ps 32,9 Ps 148,5). Wem also befahl er? Dem Worte natürlich, „durch welches die Himmel gefestigt wurden, und durch den Hauch seines Mundes all ihre Kraft“ (Ps 32,6). Daß er aber alles aus freiem Willen und nach seinem Gutdünken gemacht hat, bezeugt wiederum derselbe David, indem er sagt: „Unser Gott hat oben im Himmel und auf Erden alles gemacht, wie er es wollte“ (Vgl Ps 113,11). Schöpfer aber und Geschöpfe, Ursache und Wirkung sind verschiedene Dinge. Er nämlich ist unerschaffen, ohne Anfang und ohne Ende, gebraucht nichts und genügt sich selbst und verleiht allem übrigen das Dasein. Was aber von ihm erschaffen worden ist, hat einen Anfang genommen. Was aber einen Anfang genommen hat, kann auch wieder aufgelöst werden, ist untergeordnet und bedarf dessen, der es erschuf. Also muß auch bei denen, die sich wenn auch nur ein geringes Unterscheidungsvermögen bewahrt haben, ein verschiedener Ausdruck gebraucht werden, so daß der Gott, welcher alles gemacht hat, samt seinem Worte allein rechtmäßig Gott und Herr genannt wird, das Erschaffene aber an diesem Ausdruck keinen Anteil haben noch darauf Anspruch erheben darf, da er allein dem Schöpfer zukommt.






(Contra Haereses) 301