Generalaudienzen 2005-2013 61206

Mittwoch, 6. Dezember 2006: Apostolische Reise in die Türkei

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Liebe Brüder und Schwestern!

Wie es nunmehr nach jeder Apostolischen Reise üblich ist, möchte ich im Lauf dieser Generalaudienz noch einmal die verschiedenen Etappen der Pilgerreise vorüberziehen lassen, die ich von Dienstag bis Freitag vergangener Woche in die Türkei unternommen habe. Ein Besuch, der sich, wie ihr wißt, in verschiedener Hinsicht als nicht leicht darstellte, den aber Gott von Anfang an begleitet hat und der deshalb glücklich verwirklicht werden konnte. Wie ich darum gebeten hatte, die Reise durch das Gebet vorzubereiten und zu begleiten, so bitte ich euch jetzt darum, mit mir zusammen dem Herrn für ihren Verlauf und ihren Abschluß zu danken. Ihm vertraue ich die Früchte an, die - so hoffe ich - aus ihr hervorgehen mögen, sowohl für die Beziehungen mit unseren orthodoxen Brüdern als auch für den Dialog mit den Muslimen. An erster Stelle empfinde ich es als meine Pflicht, dem Präsidenten der Republik, dem Ministerpräsidenten und den anderen Obrigkeiten erneut meinen Dank zum Ausdruck zu bringen. Sie haben mich mit großer Zuvorkommenheit empfangen und die notwendigen Bedingungen sichergestellt, damit alles auf bestmögliche Weise vor sich gehen konnte. Sodann ergeht mein brüderlicher Dank an die Bischöfe der katholischen Kirche in der Türkei und ihre Mitarbeiter für alles, was sie getan haben. Einen besonderen Dank richte ich an den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I., der mich in seinem Haus empfangen hat, an den Armenischen Patriarchen Mesrob II., an den Syrisch-Orthodoxen Metropoliten Mor Filüksinos und an die anderen religiösen Autoritäten. Während der ganzen Reise habe ich mich geistlich unterstützt gefühlt von meinen verehrten Vorgängern, den Dienern Gottes Paul VI. und Johannes Paul II., die beide eine denkwürdige Reise in die Türkei unternommen haben, und vor allem vom sel. Johannes XXIII., der von 1935 bis 1944 Päpstlicher Vertreter in jenem edlen Land war und dort ein an Zuneigung und Verehrung reiches Andenken hinterlassen hat.

Mit Bezugnahme auf die vom Zweiten Vatikanischen Konzil vorgelegte Sicht der Kirche (vgl. Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 14-16) könnte ich sagen, daß auch die Pastoralreisen des Papstes zur Verwirklichung ihrer Sendung beitragen, die sich »in konzentrischen Kreisen « vollzieht. Im innersten Kreis stärkt der Nachfolger Petri die Katholiken im Glauben, im mittleren Kreis begegnet er den anderen Christen, im äußeren Kreis wendet er sich an die Nichtchristen und an die gesamte Menschheit. Der erste Tag meines Besuches in der Türkei vollzog sich im Bereich dieses dritten und weitesten »Kreises«: Ich traf mit dem Ministerpräsidenten, mit dem Präsidenten der Republik und mit dem Präsidenten für religiöse Angelegenheiten zusammen und richtete an letzteren meine erste Ansprache; ich habe dem Mausoleum des »Vaters des Vaterlandes«, Mustafa Kemal Atatürk, die Ehre erwiesen; anschließend hatte ich Gelegenheit, in der Apostolischen Nuntiatur von Ankara zum Diplomatischen Korps zu sprechen. Diese dichte Reihe von Begegnungen bildete einen wichtigen Teil des Besuches, besonders angesichts der Tatsache, daß die Türkei ein Land mit sehr großer muslimischer Mehrheit ist, das aber von einer Verfassung geregelt wird, welche die Laizität des Staates festschreibt. Es ist daher ein Land, das emblematisch ist bezüglich der großen Herausforderung, die sich uns heute weltweit stellt: Einerseits müssen wir nämlich die Wirklichkeit Gottes und die öffentliche Bedeutung des religiösen Glaubens wieder entdecken, und andererseits müssen wir sicherstellen, daß die Ausübung dieses Glaubens frei ist, ohne fundamentalistische Entstellungen und fähig, jede Form von Gewalt entschieden abzulehnen. So hatte ich die willkommene Gelegenheit, meine Wertschätzung gegenüber den Muslimen und der islamischen Kultur zu erneuern. Zugleich konnte ich immer wieder unterstreichen, wie wichtig es ist, daß Christen und Muslime sich gemeinsam für den Menschen, für das Leben, für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen. Dabei habe ich betont, daß die Unterscheidung zwischen der weltlichen und der religiösen Sphäre einen Wert darstellt und daß der Staat dem Bürger und den Religionsgemeinschaften die tatsächliche Freiheit der Religionsausübung gewährleisten muß. Im Bereich des interreligiösen Dialogs hat mir die göttliche Vorsehung gewährt, kurz vor dem Ende meiner Reise eine anfangs nicht vorgesehene Geste zu vollziehen, die sich als sehr bedeutsam erwiesen hat: der Besuch in der berühmten Blauen Moschee von Istanbul. Während ich einige Minuten in innerer Sammlung an jenem Ort des Gebets verharrte, wandte ich mich an den einen Herrn des Himmels und der Erde, den barmherzigen Vater der gesamten Menschheit. Mögen alle Gläubigen sich als seine Geschöpfe erkennen und Zeugnis von wahrer Brüderlichkeit geben!

Der zweite Tag hat mich nach Ephesus geführt; ich befand mich also sogleich im innersten »Kreis« der Reise, in direktem Kontakt mit der katholischen Gemeinschaft. Bei Ephesus, an einem schönen Ort mit dem Namen »Nachtigallenhügel «, von wo aus man auf das Ägäische Meer blickt, befindet sich das Heiligtum vom Haus Marias. Es ist eine kleine alte Kapelle, die um ein kleines Haus herum entstanden ist, das nach einer sehr alten Überlieferung der Apostel Johannes für die Jungfrau Maria errichten ließ, nachdem er sie mit sich nach Ephesus genommen hatte. Jesus selbst hatte sie einander anvertraut, als er vor seinem Tod am Kreuz zu Maria gesagt hatte: »Frau, siehe, dein Sohn!«, und zu Johannes: »Siehe, deine Mutter!« (
Jn 19,26-27). Die archäologischen Forschungen haben gezeigt, daß jener Ort seit undenklichen Zeiten eine Stätte der Marienverehrung ist. Sie ist auch den Muslimen lieb, die sich gewöhnlich dorthin begeben, um diejenige zu verehren, die sie »Meryem Ana«, Mutter Maria, nennen. Im Garten vor dem Heiligtum habe ich für eine Gruppe von Gläubigen, die aus der nahen Stadt Izmir und aus anderen Gegenden der Türkei und auch aus dem Ausland gekommen waren, die heilige Messe gefeiert. Beim »Haus Marias« haben wir uns wirklich »zu Hause« gefühlt und in jener friedlichen Atmosphäre für den Frieden im Heiligen Land und in der ganzen Welt gebetet. Dort habe ich auch an den römischen Priester Don Andrea Santoro erinnert, der auf türkischem Boden das Evangelium mit seinem Blut bezeugt hat.

Der mittlere »Kreis«, jener der ökumenischen Beziehungen, machte den zentralen Teil dieser Reise aus, die anläßlich des Festes des hl. Andreas, am 30. November, stattfand. Dieser Anlaß bot den idealen Rahmen für die Festigung der brüderlichen Beziehungen zwischen dem Bischof von Rom, dem Nachfolger des Petrus, und dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, der Kirche, die der Überlieferung nach vom heiligen Apostel Andreas, dem Bruder des Simon Petrus, gegründet wurde. Auf den Spuren von Paul VI., der mit dem Patriarchen Athenagoras zusammengetroffen war, und von Johannes Paul II., der vom Nachfolger des Athenagoras, Dimitrios I., empfangen wurde, habe ich zusammen mit seiner Heiligkeit Bartholomaios I. diese Geste von hohem symbolischem Wert erneuert, um den beiderseitigen Einsatz für die Fortsetzung des Weges zur Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft zwischen Katholiken und Orthodoxen zu bestätigen. Um diesen festen Vorsatz zu bekräftigen, habe ich zusammen mit dem Ökumenischen Patriarchen eine »Gemeinsame Erklärung« unterschrieben, die eine weitere Etappe auf diesem Weg darstellt. Es war besonders bedeutsam, daß dieser Akt am Ende der feierlichen Liturgie des Festes des hl. Andreas stattfand, bei der ich anwesend war und die mit dem zweifachen Segen abschloß, den der Bischof von Rom und der Patriarch von Konstantinopel, die Nachfolger der Apostel Petrus und Andreas, erteilten. Auf diese Weise haben wir zum Ausdruck gebracht, daß die Grundlage aller ökumenischen Bemühungen immer das Gebet und die beharrliche Anrufung des Heiligen Geistes ist. In demselben Bereich hatte ich in Istanbul die Freude, dem Patriarchen der armenisch-apostolischen Kirche, Seiner Seligkeit Mesrob II., einen Besuch abzustatten sowie dem syrisch-orthodoxen Metropoliten zu begegnen. Außerdem möchte ich in diesem Zusammenhang an mein Gespräch mit dem Großrabbiner der Türkei erinnern.

Zum Abschluß meines Besuches kehrte ich - unmittelbar vor meiner Abreise nach Rom - zum innersten »Kreis« zurück, das heißt ich begegnete der katholischen Gemeinschaft, die in der lateinischen Heilig-Geist-Kathedrale von Istanbul in ihrer Gesamtheit anwesend war. Dieser Messe haben auch der Ökumenische Patriarch, der Armenische Patriarch, der Syrisch-Orthodoxe Metropolit und die Vertreter der protestantischen Kirchen beigewohnt. Somit waren alle Christen in der Verschiedenheit der Traditionen, Riten und Sprachen im Gebet vereint. Gestärkt vom Wort Christi, der den Gläubigen »Ströme von lebendigem Wasser« (Jn 7,38) verheißt, und gestärkt vom Bild der in einem einzigen Leib vereinten vielen Glieder (vgl. 1 Kor 12,12-13) haben wir die Erfahrung eines neuen Pfingsten erlebt.

Liebe Brüder und Schwestern, ich bin hierher in den Vatikan zurückgekehrt, mit einem von Dankbarkeit gegenüber Gott erfüllten Herzen und mit Empfindungen aufrichtiger Zuneigung und Wertschätzung für die Einwohner der geliebten türkischen Nation, von denen ich mich angenommen und verstanden gefühlt habe. Die Sympathie und die Herzlichkeit, mit der sie mich umgaben, trotz der unvermeidlichen Schwierigkeiten, die mein Besuch für den normalen Ablauf ihres Alltagslebens mit sich brachte, bleiben für mich eine lebendige Erinnerung, die mich zum Gebet drängt. Der allmächtige und barmherzige Gott möge dem türkischen Volk, seinen Regierenden und den Vertretern der verschiedenen Religionen dabei helfen, miteinander eine Zukunft des Friedens zu bauen, so daß die Türkei eine »Brücke« der Freundschaft und der brüderlichen Zusammenarbeit zwischen West und Ost sein kann. Beten wir außerdem darum, daß durch die Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria der Heilige Geist diese Apostolische Reise fruchtbar werden lasse und auf der ganzen Welt die Sendung der Kirche belebe, die von Christus eingesetzt wurde, um allen Völkern das Evangelium der Wahrheit, des Friedens und der Liebe zu verkünden.

Voller Dankbarkeit gegenüber Gott blicke ich auf meine Apostolische Reise in die Türkei zurück. Ich danke den vielen Menschen, die mich und meine Begleiter so freundlich aufgenommen haben. Schwerpunkte der Türkeireise waren drei Aspekte der universalen Mission des Nachfolgers Petri: Ich wollte die katholische Gemeinschaft stärken, auf die anderen Christen zugehen und allen Menschen die Botschaft der Liebe und des Friedens bringen. Am ersten Tag, beim Treffen mit Politikern und Diplomaten herrschte Einvernehmen darüber, daß jedem Menschen die Freiheit des Gewissens und der Religionsausübung zuerkannt werden muß. In Ephesus, beim „Haus Marias“ haben wir uns wirklich „zu Hause“ gefühlt und für den Frieden in der ganzen Welt gebetet. Ein echter Höhepunkt waren die Begegnung mit dem ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. und der gemeinsame Segen zum Fest des heiligen Andreas. Der Aufenthalt endete mit einem Gottesdienst in der lateinischen Heilig-Geist-Kathedrale in Istanbul. Vereint im Gebet ließen die Christen verschiedener Traditionen und Sprachen das Pfingstereignis lebendig werden. Möge Gott selbst meine Reise fruchtbar machen!
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Von Herzen grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache. Dankt mit mir dem Herrn für den reichen Ertrag meiner Apostolischen Reise in die Türkei! Euch allen wünsche ich einen gesegneten Aufenthalt hier in Rom.



Mittwoch, 13. Dezember 2006

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Liebe Brüder und Schwestern!

Nachdem wir lange über den großen Apostel Paulus gesprochen haben, betrachten wir heute seine beiden engsten Mitarbeiter: Timotheus und Titus. An sie sind drei Briefe gerichtet, die traditionell Paulus zugeschrieben werden; zwei sind an Timotheus und einer ist an Titus gerichtet.

Timotheus ist ein griechischer Name und bedeutet »der Gott ehrt«. Während ihn Lukas in der Apostelgeschichte sechsmal erwähnt, nimmt Paulus in seinen Briefen siebzehnmal auf ihn Bezug (und ein weiteres Mal finden wir ihn im Hebräerbrief). Daraus kann man schließen, daß Timotheus in den Augen des Paulus große Achtung genoß, auch wenn Lukas nicht beabsichtigt, uns alles zu erzählen, was ihn betrifft. Der Apostel betraute ihn in der Tat mit bedeutenden Missionen und sah in ihm gleichsam ein »alter ego«, wie aus dem großen Lob hervorgeht, mit dem er ihn im Brief an die Philipper bedenkt: »Ich habe keinen Gleichgesinnten (›isópsychon‹), der so aufrichtig um eure Sache besorgt ist« (2,20).

Timotheus wurde in Lystra (
CA 200 Kilometer nordwestlich von Tarsus) als Sohn einer jüdischen Mutter und eines heidnischen Vaters geboren (vgl. Ac 16,1). Der Umstand, daß die Mutter eine Mischehe eingegangen war und den Sohn nicht hatte beschneiden lassen, läßt uns vermuten, daß Timotheus nicht in einer strenggläubigen Familie aufgewachsen ist, auch wenn gesagt wird, daß er von Kindheit an die heiligen Schriften kannte (vgl. 2Tm 3,15). Überliefert ist uns der Name der Mutter, Eunike, und auch der Name der Großmutter, Loïs (vgl. 2Tm 1,5). Als Paulus am Beginn seiner zweiten Missionsreise durch Lystra kam, wählte er Timotheus zum Begleiter, da er ihm »von den Brüdern in Lystra und Ikonion empfohlen worden« war (Ac 16,2), ließ ihn aber »mit Rücksicht auf die Juden, die in jenen Gegenden wohnten« (Ac 16,3), beschneiden. Mit Paulus und Silas zusammen durchquerte Timotheus Kleinasien bis nach Troas, von wo er nach Mazedonien übersetzte. Außerdem erfahren wir, daß Timotheus in Philippi verschont blieb, als Paulus und Silas der Störung der öffentlichen Ordnung beschuldigt und ins Gefängnis geworfen wurden, weil sie sich der Ausbeutung eines jungen Mädchens als Wahrsagerin durch einige skrupellose Personen widersetzten (vgl. Ac 16,16-40). Als Paulus dann gezwungen war, bis nach Athen weiterzureisen, traf ihn Timotheus in jener Stadt und wurde von dort zu der jungen Gemeinde von Thessalonich gesandt, um sich nach ihr zu erkundigen und sie im Glauben zu stärken (vgl. 1Th 3,1-2). Er traf dann den Apostel in Korinth wieder, überbrachte ihm gute Nachrichten über die Thessalonicher und arbeitete mit ihm bei der Evangelisierung dieser Stadt zusammen (vgl. 2Co 1,19).

Wir treffen Timotheus während der dritten Missionsreise des Paulus in Ephesus wieder. Von dort schrieb der Apostel wahrscheinlich an Philemon und an die Philipper, und in beiden Briefen erscheint Timotheus als Mitabsender (vgl. Phm 1 Ph 1,1). Von Ephesus sandte ihn Paulus, zusammen mit einem gewissen Erastus, nach Mazedonien (vgl. Ac 19,22) und dann auch nach Korinth mit dem Auftrag, einen Brief zu überbringen, in dem er den Korinthern nahelegte, ihn gut aufzunehmen (vgl. 1Co 4,17 16,10-11). Wir finden ihn noch einmal als Mitabsender des Zweiten Briefes an die Korinther, und als Paulus von Korinth aus den Brief an die Römer schreibt, fügt er zusammen mit den Grüßen der anderen die des Timotheus hinzu (vgl. Rm 16,21). Von Korinth reiste der Jünger wieder ab, um nach Troas, an der asiatischen Küste des Ägäischen Meeres, zu gelangen und dort auf den Apostel zu warten, der zum Abschluß seiner dritten Missionsreise auf dem Weg nach Jerusalem war (Ac 21,4). Von diesem Zeitpunkt an übermitteln uns die antiken Quellen nur noch einen einzigen Hinweis auf die Biographie des Timotheus, nämlich im Brief an die Hebräer, wo zu lesen ist: »Wißt, daß unser Bruder Timotheus freigelassen worden ist; sobald er kommt, werde ich mit ihm zusammen euch besuchen« (He 13,23). Abschließend können wir sagen, daß die Gestalt des Timotheus als die eines bedeutenden Hirten hervortritt. Nach der späteren Kirchengeschichte des Eusebius war Timotheus der erste Bischof von Ephesus (vgl. 3,4). Einige seiner Reliquien, die aus Konstantinopel stammen, befinden sich seit 1239 in Italien in der Kathedrale von Termoli in der Region Molise.

Was die Gestalt des Titus betrifft, dessen Name lateinischen Ursprungs ist, so wissen wir, daß er gebürtiger Grieche war, also ein Heide (vgl. Ga 2,3). Paulus nahm ihn nach Jerusalem mit, zum sogenannten Apostelkonzil, bei dem der Verkündigung des von den einschränkenden Vorschriften des mosaischen Gesetzes freien Evangeliums an die Heiden feierlich zugestimmt wurde. In dem an ihn gerichteten Brief lobt ihn der Apostel, indem er ihn »seinen echten Sohn aufgrund des gemeinsamen Glaubens« nennt (Tt 1,4). Nach der Abreise des Timotheus aus Korinth sandte Paulus den Titus dorthin mit der Aufgabe, jene unfügsame Gemeinde zum Gehorsam zurückzuführen. Titus stellte den Frieden zwischen der Kirche von Korinth und dem Apostel wieder her, der an sie die folgenden Worte schrieb: »Gott, der die Niedergeschlagenen aufrichtet, hat auch uns aufgerichtet, und zwar durch die Ankunft des Titus - nicht nur durch seine Ankunft, sondern auch durch den Trost, den er bei euch erfahren hatte. Er erzählte uns von eurer Sehnsucht, eurer Klage, eurem Eifer für mich … Wir wurden aber nicht nur getröstet, sondern darüber hinaus erfreut durch die Freude des Titus, dessen Geist neue Kraft gefunden hat durch euch alle« (2Co 7,6-7 2Co 7,13). Titus wurde dann noch einmal von Paulus - der ihn als »mein Gefährte und mein Mitarbeiter« bezeichnete (2Co 8,23) - nach Korinth geschickt, um dort den Abschluß der Spendensammlung zugunsten der Christen von Jerusalem zu organisieren (vgl. 2Co 8,6). Weitere Nachrichten, die aus den Pastoralbriefen stammen, bezeichnen ihn als Bischof von Kreta (vgl. Tt 1,5), von wo aus er Paulus auf dessen Einladung hin in Nikopolis in Epirus traf (vgl. Tt 3,12). Später ging er auch nach Dalmatien (vgl. 2Tm 4,10). Über die nachfolgenden Ortswechsel des Titus und über seinen Tod besitzen wir keine weiteren Informationen.

Wenn wir zum Abschluß die beiden Gestalten des Timotheus und des Titus gemeinsam betrachten, bemerken wir einige sehr bedeutsame Tatsachen. Das wichtigste ist, daß sich Paulus bei der Verwirklichung seiner Missionen auf Mitarbeiter stützte. Als Gründer und Hirt vieler Gemeinden bleibt er natürlich der Apostel schlechthin. Es wird jedoch deutlich, daß er nicht alles allein machte, sondern sich auf Vertrauenspersonen stützte, die seine Mühen und seine Verantwortung teilten. Eine weitere Beobachtung betrifft die Verfügbarkeit dieser Mitarbeiter. Die Quellen, die Timotheus und Titus betreffen, heben deutlich ihre Bereitwilligkeit bei der Übernahme verschiedener Aufträge hervor, die oft darin bestanden, Paulus auch unter nicht einfachen Umständen zu vertreten. Mit einem Wort, sie lehren uns, dem Evangelium großherzig zu dienen, wobei wir wissen, daß dies auch einen Dienst an der Kirche einschließt. Nehmen wir schließlich die Ermahnung auf, die der Apostel Paulus in seinem Brief an Titus richtet: »Ich will, daß du dafür eintrittst, damit alle, die zum Glauben an Gott gekommen sind, sich nach Kräften bemühen, das Gute zu tun. So ist es gut und für alle Menschen nützlich« (Tt 3,8). Durch unseren konkreten Einsatz müssen und können wir die Wahrheit dieser Worte entdecken und gerade in dieser Adventszeit auch reich an guten Werken werden und so Christus, unserem Retter, die Tore der Welt öffnen.

Heute möchte ich mit euch über die Apostelschüler Timotheus und Titus, die Mitarbeiter des heiligen Paulus, nachdenken. Wir kennen sie aus der Apostelgeschichte und aus den paulinischen Briefen. Sie sind auch die Adressaten der drei dem Apostel Paulus zugeschriebenen Pastoralbriefe. Timotheus, den Paulus auf seiner zweiten Missionsreise kennenlernte, wurde ein enger Vertrauter des Völkerapostels, der ihn mit vielen wichtigen Missionen beauftragte. Sein Name begegnet uns auch als Mitabsender einiger Briefe des Paulus. Nach dem Zeugnis des antiken Kirchengeschichtsschreibers Eusebius von Cäsarea war Timotheus der erste Bischof von Ephesus.

Titus, der zweite große Apostelschüler, begleitete Paulus auf dem sogenannten Apostelkonzil in Jerusalem. Laut dem Titusbrief betraute Paulus ihn mit dem weiteren Aufbau der Kirche auf Kreta. Später wirkte er auch in Dalmatien. An Timotheus und Titus sehen wir, wie sich Paulus in der Ausübung seiner Sendung als Apostel auf zuverlässige Mitarbeiter stützt, die seine Mühen und seine Verantwortung teilen. Beide lehren und zeigen uns, bereitwillig und hochherzig dem Evangelium und somit der Kirche selbst zu dienen.
* * *


Einen frohen Gruß richte ich an alle deutschsprachigen Pilger und Besucher. Besonders grüße ich die Delegation aus Oberösterreich mit dem Friedenslicht aus Bethlehem. Die heiligen Timotheus und Titus mögen uns helfen, in unseren konkreten Aufgaben die Frohe Botschaft zu leben und zu Aposteln im Alltag zu werden. Dazu schenke uns der Herr seinen Heiligen Geist. Ich segne euch alle in dieser adventlichen Stunde auf dem Weg zu Weihnachten!



Mittwoch, 20. Dezember 2006

20126

Liebe Brüder und Schwestern!

»Der Herr ist nahe, kommt wir beten ihn an«. Mit diesem Ruf lädt uns die Liturgie in diesen letzten Adventstagen ein, uns gleichsam auf den Zehenspitzen der Grotte von Betlehem zu nähern, wo das außerordentliche Ereignis geschehen ist, das den Lauf der Geschichte verändert hat: die Geburt des Erlösers. In der Weihnachtsnacht werden wir noch einmal vor der Krippe innehalten, um staunend das »menschgewordene Göttliche Wort« zu betrachten. Empfindungen der Freude und der Dankbarkeit werden sich wie jedes Jahr in unseren Herzen erneuern, wenn wir die weihnachtlichen Melodien hören, die in so vielen Sprachen dasselbe außergewöhnliche Wunder besingen. Der Schöpfer des Universums kam aus Liebe, um seine Wohnung unter den Menschen zu nehmen. Im Philipperbrief sagt der hl. Paulus: Christus »war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich« (
Ph 2,6-7). Und der Apostel fügt hinzu, daß sein Leben das eines Menschen war und er sich erniedrigte. An Weihnachten werden wir die Verwirklichung dieses erhabenen Geheimnisses der Gnade und der Barmherzigkeit erneut erleben.

Der hl. Paulus sagt an anderer Stelle: »Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen« (Ga 4,4-5). Tatsächlich erwartete das auserwählte Volk seit vielen Jahrhunderten den Messias, aber es stellte sich ihn als einen mächtigen und siegreichen Feldherrn vor, der die Seinen von der unterdrückenden Fremdherrschaft befreien würde. Der Erlöser wurde dagegen in der Stille und in äußerster Armut geboren. Er kam als Licht, das jeden Menschen erleuchtet, sagt der Evangelist Johannes, »aber die Seinen nahmen ihn nicht auf« (Jn 1,11). Der Apostel fügt jedoch hinzu: »Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden« (1,12). Das verheißene Licht erleuchtete die Herzen derer, die in wachsamer und tätiger Erwartung ausgeharrt hatten.

Die Adventsliturgie ermahnt auch uns, wachsam und nüchtern zu sein, um uns nicht lähmen zu lassen von der Sünde und den übertriebenen Sorgen der Welt. Wir können nämlich nur wachend und betend den Glanz der Geburt Christi erkennen und aufnehmen. Der hl. Maximus von Turin, ein Bischof des 4./5. Jahrhunderts, unterstreicht in einer seiner Predigten: »Die Zeit gemahnt uns, daß der Tag der Geburt des Herrn ganz nahe ist. Die Welt selbst mit ihren Bedrängnissen bringt den Hinweis auf etwas Bevorstehendes zum Ausdruck, durch das sie erneuert werden wird, und in ungeduldiger Erwartung sehnt sie sich danach, daß der Glanz einer helleren Sonne ihr Dunkel erleuchte… Diese Erwartung der Schöpfung nun überzeugt auch uns, das Kommen Christi, der neuen Sonne, zu erwarten« (Disc. 61a,1-3). Die Schöpfung selbst führt uns also dazu, daß wir den, der kommen wird, entdecken und erkennen.

Die Frage aber ist: Erwartet die Menschheit unserer Zeit noch einen Erlöser? Man hat den Eindruck, daß viele Gott als etwas betrachten, das nicht in den Bereich ihrer Interessen fällt. Sie brauchen ihn scheinbar nicht; sie leben, als ob es ihn nicht gäbe oder, schlimmer noch, als ob er ein »Hindernis« wäre, das beseitigt werden muß, damit man sich selbst verwirklichen kann. Auch von den Gläubigen lassen sich sicherlich manche durch verführerische Trugbilder verlocken und durch Lehren auf Abwege führen, die illusorische, schnellere Möglichkeiten anbieten, um das Glück zu erreichen. Und dennoch sucht die Menschheit heute - auch in ihren Widersprüchen, Ängsten und dramatischen Situationen oder gerade wegen ihnen - einen Weg der Erneuerung, des Heils; sie sucht einen Erlöser und erwartet, manchmal unbewußt, das Kommen des Erlösers, der unsere Welt und unser Leben erneuert, das Kommen Christi, des einzigen wirklichen Erlösers des Menschen, und zwar des ganzen Menschen. Sicher bieten falsche Propheten weiterhin eine Erlösung zu einem »billigen Preis« an, die am Ende immer bittere Enttäuschungen hervorruft. Gerade die Geschichte der letzten 50 Jahre zeigt diese Suche nach einem Erlöser zu einem »billigen Preis« und macht all die Enttäuschungen deutlich, die daraus entstanden sind. Unsere Aufgabe als Christen ist es, mit dem Zeugnis unseres Lebens die Wahrheit des Weihnachtsfestes zu verbreiten, die Christus jedem Mann und jeder Frau guten Willens bringt. Jesus wird in der Armut der Krippe geboren und kommt, um allen jene Freude und jenen Frieden zu schenken, der allein das Sehnen des menschlichen Herzens stillen kann.

Aber wie sollen wir uns darauf vorbereiten, dem Herrn, der kommt, unser Herz zu öffnen? Die geistliche Haltung der wachsamen und betenden Erwartung bleibt das grundlegende Kennzeichen des Christen in dieser Adventszeit. Das ist die Haltung, welche die Hauptpersonen jener Zeit auszeichnete: Zacharias und Elisabet, die Hirten, die Heiligen Drei Könige, das einfache und demütige Volk. Vor allem die Erwartung Marias und Josephs! Letztere haben mehr als alle anderen in eigener Person das Bangen und die Sorge um das Kind, das geboren werden sollte, erfahren. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie sie die letzten Tage verbracht haben, in der Erwartung, den Neugeborenen in ihre Arme schließen zu können. Ihre Haltung soll auch die unsere sein, liebe Brüder und Schwestern! Hören wir dazu die Ermahnung des schon zitierten Bischofs von Turin, des hl. Maximus: »Während wir uns darauf vorbereiten, die Geburt des Herrn anzunehmen, wollen wir uns mit reinen Gewändern, ohne Flecken bekleiden. Ich spreche vom Kleid der Seele, nicht von jenem des Leibes. Bekleiden wir uns nicht mit Gewändern aus Seide, sondern mit heiligen Werken! Die prunkvollen Kleider können die Glieder des Leibes bedecken, aber sie schmücken nicht das Gewissen« (ebd.).

Wenn das Jesuskind unter uns zur Welt kommt, soll es uns nicht unaufmerksam antreffen oder nur damit beschäftigt, unser Zuhause mit Lichtern zu schmücken. Bereiten wir vielmehr in unseren Herzen und unseren Familien eine würdige Wohnung vor, in der es sich mit Glauben und Liebe aufgenommen fühlt. Die Jungfrau Maria und der hl. Joseph mögen uns helfen, das Weihnachtsgeheimnis mit erneutem Staunen und friedenstiftender innerer Freude zu erleben. Mit diesen Empfindungen möchte ich euch allen meine herzlichen Wünsche für ein heiliges und glückliches Weihnachtsfest zum Ausdruck bringen, euch allen, die ihr hier seid und auch euren Familienangehörigen; besonders denke ich an alle, die in Schwierigkeiten sind oder körperliches und seelisches Leid tragen. Gesegnete Weihnachten euch allen!

„Der Herr ist nahe; kommt, wir beten ihn an.“ Mit diesem Ruf lädt uns die Liturgie in diesen letzten Tagen des Advents ein, auf das Geschehen von Bethlehem zuzugehen. In der Heiligen Nacht dürfen wir wieder staunend das menschgewordene Göttliche Wort in der Krippe betrachten. Der Schöpfer des Himmels und der Erde nimmt Wohnung unter den Menschen. Der Sohn Gottes entäußert sich und wird den Menschen gleich (vgl. Ph 2,7). Nicht in Glanz und Glorie, sondern in Stille und in Armut wird der lang ersehnte Messias geboren.

Und heute, brauchen die Menschen noch einen Erlöser? Oft hat es den Anschein, daß viele Gott als jemanden betrachten, der nicht in den Bereich ihrer Interessen fällt. Sie leben so, als ob es ihn nicht gäbe oder, noch schlimmer, als ob er ein Hindernis wäre, das umgangen werden muß, um auf der Straße des Erfolgs voranzukommen. Doch suchen die Menschen auch in unserer Zeit den Heiland und erwarten, mitunter unbewußt, das Kommen Christi, des einen wahren Erlösers des Menschen. Unsere Aufgabe ist es, ihnen mit dem Zeugnis unseres Lebens die Wahrheit von Weihnachten zu verkünden: daß Christus allein alles menschliche Sehnen nach Heil und Frieden stillen kann.
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In der Freude der nahen Feier der Geburt Christi grüße ich alle Pilger und Besucher aus dem deutschen Sprachraum. Jesus Christus kommt in die Welt, damit wir Kinder Gottes werden. Bereiten wir dem Göttlichen Kind eine Wohnstatt der Liebe und des Glaubens in unseren Herzen und in unseren Familien. - Euch und euren Lieben wünsche ich schon heute ein gesegnetes Weihnachtsfest und den Frieden des menschgewordenen Gottessohnes!



Mittwoch, 27. Dezember 2006

27126

Liebe Brüder und Schwestern!

Die heutige Begegnung findet in weihnachtlicher Atmosphäre statt, die erfüllt ist von tiefer Freude über die Geburt des Herrn. Wir haben gerade - vorgestern - dieses Geheimnis gefeiert, dessen Nachklang die Liturgie dieser Tage durchzieht. Es ist ein Geheimnis des Lichtes, das die Menschen aller Zeiten im Glauben neu erleben können. In unseren Herzen hören wir die Worte des Evangelisten Johannes, dessen Fest wir heute feiern: »Et Verbum caro factum est - Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt« (
Jn 1,14). An Weihnachten also ist Gott gekommen, um unter uns zu wohnen; er ist für uns gekommen, um bei uns zu bleiben. Eine Frage durchzieht diese 2000 Jahre christlicher Geschichte: »Aber warum hat er es getan, warum ist Gott Mensch geworden?«

Bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage hilft uns der Gesang, den die Engel an der Grotte von Betlehem anstimmten: »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade« (Lc 2,14). Der Gesang der Heiligen Nacht, der in das Gloria eingegangen ist, gehört inzwischen zur Liturgie, ebenso wie die anderen drei Cantica des Neuen Testaments, die Bezug nehmen auf die Geburt und auf die Kindheit Jesu: das Benedictus, das Magnificat und das Nunc dimittis. Während diese in die morgendliche Laudes, in das abendliche Vespergebet und in das Nachtgebet der Komplet eingefügt sind, hat das Gloria seinen Platz innerhalb der heiligen Messe gefunden. Den Worten der Engel wurden seit dem 2. Jahrhundert einige Anrufungen hinzugefügt: »Wir loben dich, wir preisen dich, wir beten dich an, wir rühmen dich und danken dir, denn groß ist deine Herrlichkeit« und später noch weitere: »Herr und Gott, Lamm Gottes, Sohn des Vaters, du nimmst hinweg die Sünde der Welt …«, bis sich ein großer Lobgesang herausgebildet hatte, der zum ersten Mal in der Weihnachtsmesse und dann an allen Festtagen gesungen wurde. Das Gloria wurde am Beginn der Eucharistiefeier eingefügt und soll die Kontinuität unterstreichen, die zwischen der Geburt und dem Tod Christi besteht, zwischen Weihnachten und Ostern, die nicht voneinander trennbare Aspekte ein- und desselben Heilsgeheimnisses sind.

Das Evangelium berichtet, daß das große himmlische Heer der Engel sang: »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade«. Die Engel verkünden den Hirten, daß die Geburt Jesu Ehre »ist« für Gott in der Höhe, und daß sie Friede auf Erden »ist« für die Menschen seiner Gnade. Zu Recht besteht daher der Brauch, zur Verdeutlichung des Weihnachtsgeheimnisses, das in der Krippe seine Erfüllung fand, diese Worte der Engel an der Grotte anzubringen. Das Wort »Ehre« (doxa) zeigt den Glanz Gottes an, der das dankbare Lob der Geschöpfe hervorruft. Der hl. Paulus wird von der »Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi « sprechen (2Co 4,6). »Friede« (eirene)faßt die Fülle der messianischen Gaben zusammen, die Erlösung also, die, wie ebenfalls der Apostel Paulus sagt, mit Christus selbst identifiziert wird: »Denn er ist unser Friede« (Ep 2,14). Schließlich gibt es noch den Hinweis auf die Menschen »seiner Gnade«. Im allgemeinen Sprachgebrauch läßt »Gnade« oder »guter Wille« (eudokia) an den »guten Willen« der Menschen denken, hier jedoch ist damit das »gute Wollen« Gottes gegenüber den Menschen gemeint, das keine Grenzen kennt. Denn das ist die Weihnachtsbotschaft: Durch die Geburt Jesu hat Gott sein gutes Wollen gegenüber allen offenbart.

Kehren wir zur Frage »Warum ist Gott Mensch geworden?« zurück. Der hl. Irenäus schreibt: »Das Wort ist zum Nutzen der Menschen Austeiler der Gnadengaben geworden, die der Vater schenkt. … Die Herrlichkeit Gottes ist der lebende Mensch - vivens homo -, das Leben des Menschen die Gottesschau« (Adv. Haer. 20,7). Gottes Ruhm offenbart sich also in der Erlösung des Menschen, den Gott - wie der Evangelist Johannes sagt - so sehr geliebt hat »daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat« (Jn 3,16). Denn die Liebe ist der letzte Grund der Menschwerdung Christi. Vielsagend ist diesbezüglich die Reflexion des Theologen H. U. von Balthasar, der schrieb, daß Gott nicht in erster Linie absolute Macht ist, sondern absolute Liebe, deren Hoheit sich nicht darin offenbart, daß sie das, was ihr gehört, für sich behält, sondern in ihrer Hingabe (vgl. Theologie der drei Tage I,4). Der Gott, den wir in der Krippe betrachten, ist der Gott, der Liebe ist.

So klingt die Verkündigung der Engel für uns auch wie eine Einladung: Ehre »sei« Gott in der Höhe, Friede auf Erden »sei« den Menschen seiner Gnade. Die einzige Art und Weise, Gott zu verherrlichen und den Frieden in der Welt aufzubauen, besteht in der demütigen und vertrauensvollen Annahme der Weihnachtsgabe: der Liebe. Der Gesang der Engel kann so zu einem Gebet werden, das oft wiederholt werden muß, und nicht nur jetzt in der Weihnachtszeit. Ein Lobgesang für Gott in der Höhe und eine inständige Bitte um Frieden auf Erden, die zum konkreten Einsatz werden soll, diesen mit unserem Leben aufzubauen: Das ist die Aufgabe, die das Weihnachtsfest uns anvertraut.

Diese Generalaudienz steht ganz im Zeichen von Weihnachten, das wir vorgestern gefeiert haben. Heute begehen wir zudem das Fest des Apostels und Evangelisten Johannes, der die Menschwerdung des Gottessohnes in wenigen dichten Worten zusammenfaßt: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt" (Jn 1,14).

Was bedeutet dieses große Geheimnis unseres Glaubens? Warum ist Gott Mensch geworden? Der Gesang der Engel in Bethlehem hilft uns, auf diese Fragen zu antworten: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade" (Lc 2,14). Die Geburt Christi ist zugleich Verherrlichung Gottes und Friede für die Menschen. Der Friede steht für die Fülle aller messianischen Gaben, für das Heil, das Christus selbst ist. Der heilige Irenäus schreibt dazu: „Das Wort ist zum Nutzen der Menschen Austeiler der Gnadengaben geworden, die der Vater schenkt. … Die Herrlichkeit Gottes ist der lebendige Mensch; das Leben des Menschen die Gottesschau" (Adv. Haer. IV, 20, 5.7). Gottes Herrlichkeit offenbart sich im Heil des Menschen, für den der Vater seinen Sohn hingibt. Der tiefste Grund der Menschwerdung ist also die Liebe Gottes, der uns die Erlösung schenken will.
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Einen frohen weihnachtlichen Gruß richte ich an die Pilger aus den Ländern deutscher Sprache und aus Belgien. Wir alle sind eingeladen, mit unserem Lobpreis und mit unserem Leben in die Frohbotschaft der Engel von Bethlehem einzustimmen. Nehmen wir den Frieden Christi in uns auf, damit in uns und durch uns die Liebe Gottes sichtbar werde. Euch und euren Lieben wünsche ich eine segensreiche Weihnachtszeit!






Generalaudienzen 2005-2013 61206