Generalaudienzen 2005-2013 21027

Mittwoch, 21. Februar 2007

21027

Liebe Brüder und Schwestern!

Der Aschermittwoch, den wir heute feiern, ist für uns Christen ein besonderer Tag, der von einem tiefen Geist der Sammlung und des Nachdenkens gekennzeichnet ist. Wir nehmen in der Tat den Weg der Fastenzeit auf, der aus dem Hören des Wortes Gottes, aus Gebet und Buße besteht. Es sind 40 Tage, in denen uns die Liturgie helfen wird, die wesentlichen Etappen des Heilsgeheimnisses wieder zu erleben. Wie wir wissen, war der Mensch geschaffen worden, um Gottes Freund zu sein. Doch die Sünde der Stammeltern hat diese Beziehung des Vertrauens und der Liebe zerbrochen und daher die Menschheit unfähig gemacht, ihre ursprüngliche Berufung zu verwirklichen. Aber dank des Erlösungsopfers Christi wurden wir aus der Macht des Bösen losgekauft: Christus ist in der Tat, so schreibt der Apostel Johannes, zum Sühneopfer für unsere Sünden geworden (vgl.
1Jn 2,2); und der hl. Petrus fügt hinzu: Er ist der Sünden wegen ein einziges Mal gestorben (vgl. 1P 3,18).

Auch der Getaufte, der in Christus für die Sünde tot ist, wird zu neuem Leben geboren; er wird unverdient in der Würde als Kind Gottes wiederhergestellt. Deshalb wurde in der christlichen Urgemeinde die Taufe als »die erste Auferstehung « betrachtet (vgl. Ap 20,5 Rm 6,1-11 Jn 5,25-28). Seit den Ursprüngen wird daher die Fastenzeit als eine Zeit der unmittelbaren Vorbereitung auf die Taufe gelebt, die in der Osternacht feierlich gespendet werden soll. Die ganze Fastenzeit war ein Weg hin zu dieser großen Begegnung mit Christus, zu diesem Eintauchen in Christus und dieser Erneuerung des Lebens. Wir sind schon getauft, aber die Taufe ist in unserem Alltagsleben oft nicht sehr wirksam. Darum ist auch für uns die Fastenzeit ein neues »Katechumenat«, in dem wir erneut unserer Taufe entgegengehen, um sie wieder neu zu entdecken und zutiefst wieder zu erleben, um wieder wirklich Christen zu werden. Die Fastenzeit ist also eine Gelegenheit, um wieder neu Christen »zu werden«, durch einen ständigen Prozeß des inneren Wandels und des Fortschreitens in der Erkenntnis und in der Liebe Christi. Die Umkehr geschieht nie ein für allemal, sondern sie ist ein Prozeß, ein innerer Weg während unseres ganzen Lebens. Dieser Weg der dem Evangelium entsprechenden Umkehr darf sich gewiß nicht auf eine besondere Periode des Jahres beschränken: Es ist ein Weg, der jeden Tag zu gehen ist, der den ganzen Bogen der Existenz, jeden Tag unseres Lebens umfassen muß. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Fastenzeit für jeden Christen und für alle kirchlichen Gemeinschaften die günstige geistliche Zeit, um sich mit größerer Beharrlichkeit darin zu üben, Gott zu suchen, indem man sein Herz Christus öffnet. Der hl. Augustinus hat einmal gesagt, daß unser Leben eine einzige Übung der Sehnsucht ist, uns Gott zu nähern, fähig zu werden, Gott in unser Sein eintreten zu lassen. »Das ganze Leben des eifrigen Christen« - sagt er - »ist heilige Sehnsucht «. Wenn es so ist, sind wir in der Fastenzeit noch mehr dazu angeregt, »unseren Sehnsüchten die Wurzeln der Eitelkeit zu entreißen«, um das Herz dazu zu erziehen, sich nach Gott zu sehnen, das heißt ihn zu lieben. Der hl. Augustinus sagt weiter: »Deus [Gott]: diese beiden Silben sind alles, was wir ersehnen« (vgl. Tract. in Jn 4). Und hoffen wir, daß wir wirklich anfangen, uns nach Gott zu sehnen und so das wahre Leben, die Liebe selbst und die Wahrheit zu ersehnen.

Äußerst angebracht klingt da die vom Evangelisten Markus wiedergegebene Ermahnung Jesu: »Kehrt um, und glaubt an das Evangelium« (vgl. Mc 1,15). Die aufrichtige Sehnsucht nach Gott bringt uns dazu, das Böse abzulehnen und das Gute zu vollbringen. Diese Umkehr des Herzens ist vor allem ungeschuldetes Geschenk Gottes, der uns für sich geschaffen und uns in Jesus Christus erlöst hat: Unser wahres Glück besteht darin, daß wir in ihm bleiben (vgl. Jn 15,3). Aus diesem Grund kommt er selbst unserer Sehnsucht mit seiner Gnade zuvor und begleitet unsere Bemühungen zur Umkehr. Umkehren: Was heißt das wirklich? Umkehren heißt Gott suchen, mit Gott gehen, die Lehren seines Sohnes, Jesu Christi, willig befolgen. Umkehren ist nicht ein Bemühen um Selbstverwirklichung, denn der Mensch ist nicht der »Architekt« seines eigenen ewigen Schicksals. Wir haben uns nicht selbst gemacht. Deshalb ist die Selbstverwirklichung ein Widerspruch und für uns auch zu wenig. Wir haben eine höhere Bestimmung. Wir könnten sagen, daß die Umkehr gerade darin besteht, sich nicht als »Schöpfer« seiner selbst zu betrachten und so die Wahrheit zu entdecken, denn wir sind nicht die Urheber von uns selbst. Umkehr besteht darin, frei und mit Liebe zu akzeptieren, daß wir in allem von Gott, unserem wahren Schöpfer, abhängig sind, daß wir von der Liebe abhängig sind. Das ist nicht Abhängigkeit, sondern Freiheit. Umkehren bedeutet also, nicht dem eigenen, persönlichen Erfolg nachzujagen - der etwas ist, was vorübergeht -, sondern sich unter Aufgeben jeder menschlichen Sicherheit mit Einfachheit und Vertrauen auf die Nachfolge des Herrn einzulassen, damit für jeden, wie die sel. Teresa von Kalkutta immer wieder gern sagte, Jesus »mein Alles in allem« werde. Wer sich von ihm ergreifen läßt, fürchtet nicht, sein Leben zu verlieren, denn er hat uns am Kreuz geliebt und sich selbst für uns hingegeben. Und gerade wenn wir unser Leben aus Liebe verlieren, finden wir es wieder.

Ich wollte die unermeßliche Liebe, die Gott für uns hat, in der Botschaft für die Fastenzeit hervorheben, die vor wenigen Tagen veröffentlicht worden ist, damit die Christen jeder Gemeinde während der Fastenzeit zusammen mit Maria und Johannes, dem Lieblingsjünger, geistig innehalten können vor dem, der am Kreuz für die Menschheit das Opfer seines Lebens vollbracht hat (vgl. Jn 19,25). Ja, liebe Brüder und Schwestern, das Kreuz ist die endgültige Offenbarung der göttlichen Liebe und Barmherzigkeit auch für uns, Männer und Frauen unserer Zeit, die wir allzu oft von Sorgen und irdischen Augenblicksinteressen abgelenkt werden. Gott ist die Liebe, und seine Liebe ist das Geheimnis unseres Glücks. Um aber in dieses Geheimnis der Liebe einzutreten, gibt es keinen anderen Weg als den, uns zu verlieren, uns hinzugeben, eben den Weg des Kreuzes. »Wer mein Jünger sein will« - sagt der Herr -, »der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach« (Mc 8,34). Das ist der Grund, warum die Liturgie der Fastenzeit, während sie uns auffordert, nachzudenken und zu beten, uns dazu anregt, die Buße und das Opfer stärker aufzuwerten, um die Sünde und das Böse zu meiden und den Egoismus und die Gleichgültigkeit zu besiegen. Das Gebet, das Fasten und die Buße, die Werke der Nächstenliebe gegenüber den Brüdern werden so geistliche Wege, die eingeschlagen werden müssen, um zu Gott zurückzukehren, als Antwort auf die wiederholten Aufrufe zur Umkehr, die auch in der heutigen Liturgie enthalten sind (vgl. Jl 2,12-13 Mt 6,16-18).

Liebe Brüder und Schwestern, die Fastenzeit, die wir heute mit dem strengen und bedeutungsvollen Ritus der Auflegung des Aschenkreuzes beginnen, möge für alle eine erneuerte Erfahrung der barmherzigen Liebe Christi sein, der am Kreuz sein Blut für uns vergossen hat. Begeben wir uns fügsam in seine Schule, um zu lernen, unsererseits seine Liebe dem Nächsten »wiederzuschenken «, besonders all jenen, die leiden und sich in Schwierigkeiten befinden. Das ist die Sendung jedes Jüngers Christi; aber um sie zu erfüllen, ist es nötig, im Hören seines Wortes zu verbleiben und sich beständig von seinem Leib und seinem Blut zu nähren. Der Weg der Fastenzeit, der in der alten Kirche ein Weg hin zur christlichen Initiation, hin zur Taufe und zur Eucharistie war, möge für uns Getaufte eine »eucharistische« Zeit sein, in der wir eifriger am Opfer der Eucharistie teilnehmen. Die Jungfrau Maria erfuhr, nachdem sie das schmerzhafte Leiden ihres göttlichen Sohnes mit ihm geteilt hatte, die Freude seiner Auferstehung. Möge sie uns in dieser Fastenzeit begleiten hin zum Ostergeheimnis, der höchsten Offenbarung der Liebe Gottes.

Eine gute Fastenzeit euch allen!

Mit dem heutigen Aschermittwoch treten wir wieder in die vorösterliche Bußzeit ein. Diese Zeit des aufmerksamen Hinhörens auf Gottes Wort ist begleitet durch das Gebet und die Gesinnung der Buße. In der frühen Christenheit war die Fastenzeit vor allem eine Periode der Vorbereitung auf die Taufe, die in der Osternacht feierlich gespendet wurde. Den bereits Getauften gibt diese heilige Zeit Gelegenheit, über die Bedeutung der eigenen Taufe nachzudenken und sich in einem Prozeß innerer Läuterung des Lebens als Christ bewußt zu werden.

„Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (Mc 1,15). Diese Mahnung Christi, die wir in der Liturgie heute hören, bietet einen passenden Einstieg in die Fastenzeit. Umkehren heißt aus einer tiefen Sehnsucht heraus Gott neu suchen, sich mit Christus auf den Weg machen und seinen Weisungen folgen. Die Umkehr läßt uns erkennen, daß wir nicht unsere eigenen Schöpfer, sondern aus Gottes Liebe geschaffen sind. Wer sich Gott überläßt, der versteht, daß sein Leben in der liebenden Hingabe des Sohnes Gottes am Kreuz geborgen ist.
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Einen herzlichen Gruß richte ich an die deutschsprachigen Pilger. Gerade in der Fastenzeit offenbart der Herr seine erbarmende Liebe. Diese Liebe wollen wir konkret werden lassen, indem wir sie an die Mitmenschen weiterschenken. Der Heilige Geist stärke euch dabei und begleite euch allezeit!



Mittwoch, 7. März 2007: Der Hl. Clemens, Bischof von Rom

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Ansprache von Papst Benedikt XVI. an die Bischöfe und Gläubigen der Diözesen Piemont und Valle d’Aosta in der Petersbasilika am 7. März:

Liebe Brüder und Schwestern!

Es ist mir eine Freude, euch zu empfangen, und ich heiße einen jeden von euch herzlich willkommen. Ich grüße vor allem die Pilger aus den Diözesen der Kirchenprovinz Piemont, die ihre Bischöfe beim »Ad-limina«-Besuch begleiten. Liebe Freunde, der christliche Glaube steht auch in Piemont und im Aosta-Tal vielen Herausforderungen gegenüber, die im heutigen soziokulturellen Kontext auf den agnostischen Tendenzen beruhen, die sich im Hinblick auf die Lehre zeigen, sowie auf den Forderungen nach voller ethischer und moralischer Unabhängigkeit. Es ist sicher nicht leicht, heute das Evangelium zu verkünden und zu bezeugen. Dennoch - und das konnte ich in all meinen Gesprächen und Begegnungen feststellen - ist im Volk weiterhin eine feste geistliche Grundlage vorhanden, die sich unter anderem in der Aufmerksamkeit für die Erfordernisse des christlichen Lebens offenbart, in dem inneren Verlangen nach Gott, im Wiederentdecken der Bedeutung des Betens, in der Hochschätzung gegenüber dem einsatzfreudigen Priester und seinem Dienst. Zu spüren ist auch seitens der Laien und der im Apostolat tätigen Gruppen ein verstärktes Bedürfnis, nach Heiligkeit zu streben, dem hohen Maßstab des christlichen Lebens. Liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst, ich wende mich jetzt an euch: Angesichts der Schwierigkeiten, denen die eurer Hirtensorge anvertrauten kirchlichen Gemeinschaften begegnen, fordere ich euch auf, mutig voranzugehen und ihnen zu helfen, daß sie dem Herrn treu nachfolgen, indem ihr ihre geistlichen Fähigkeiten und die Charismen jedes einzelnen fördert. Erinnert sie daran, daß uns - wie der Apostel Paulus schon bekräftig hat - keine Schwierigkeit von der Liebe Christi trennen kann (vgl.
Rm 8,35-39). Bezeugt deshalb eifrig und mit vereinten Kräften, ihr Hirten zusammen mit den Priestern, den geweihten Personen und den Laien, eure gemeinsame Zustimmung zu Christus und erbaut die Kirche in der Liebe und Wahrheit. Die Gottesmutter, die vom Volk in Piemont seit jeher mit inniger Verehrung angerufen wird, stehe euch bei, sie erleuchte und stärke euch.

Mein Gruß geht nun an die hier anwesenden Jugendlichen, vor allem die Schüler der Schule »Don Carlo Costamagna« aus Busto Arsizio und die Schüler der Don-Bosco-Schule aus Canonica d’Adda. Liebe Freunde, die Fastenzeit, in der wir stehen, soll für euch eine gute Gelegenheit sein, das Geschenk der Nachfolge Christi zu entdecken und zu lernen, mit seiner Hilfe immer dem Willen des göttlichen Vaters zuzustimmen.

Und so gehen wir den rechten Weg, den Weg, der uns in die Zukunft führt.

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Der Hl. Clemens, Bischof von Rom

Liebe Brüder und Schwestern!

In den vergangenen Monaten haben wir über die Gestalten der einzelnen Apostel und über die ersten Zeugen des christlichen Glaubens nachgedacht, die die neutestamentlichen Schriften erwähnen. Nun widmen wir unsere Aufmerksamkeit den Apostolischen Vätern, das heißt der ersten und zweiten Generation der Kirche nach den Aposteln. Und so können wir sehen, wie der Weg der Kirche in der Geschichte beginnt.

Der hl. Clemens, Bischof von Rom in den letzten Jahren des 1. Jahrhunderts, ist nach Linus und Cletus der dritte Nachfolger des Petrus. Was sein Leben betrifft, ist das bedeutendste Zeugnis jenes des hl. Irenäus, Bischof von Lyon bis 202. Er bestätigt, daß Clemens »die Apostel gesehen hatte«, »mit ihnen zusammengetroffen war« und »noch ihre Predigt in den Ohren und ihre Überlieferung vor Augen hatte« (Adv. haer. 3,3,3). Spätere Zeugnisse, aus der Zeit zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert, schreiben Clemens den Titel eines Märtyrers zu.

Die Autorität und das Ansehen dieses Bischofs von Rom waren derart, daß ihm verschiedene Schriften zugeschrieben wurden; aber das einzig gesicherte Werk ist der Brief an die Korinther. Eusebius von Cäsarea, der große »Archivar« der Anfänge des Christentums, stellt ihn mit folgenden Worten dar: »Ein umfangreicher und wunderbarer Brief des Clemens ist uns überliefert, der als echt anerkannt ist. Er hatte ihn im Namen der Kirche von Rom an die Kirche von Korinth geschrieben… Wir wissen, daß er seit langer Zeit und so auch in unseren Tagen noch während der Versammlungen der Gläubigen öffentlich gelesen wird« (Hist. Eccl.3,16). Diesem Brief wurde ein gleichsam kanonischer Charakter zugeschrieben. Zu Beginn dieses in griechischer Sprache geschriebenen Textes bedauert Clemens, daß »die plötzlichen Unglücke, die sich Schlag auf Schlag ereignet haben« (1,1), ihn an einem rechtzeitigen Eingreifen gehindert hätten. Diese »Unglücke« sind wohl mit der Verfolgung unter Domitian gleichzusetzen: Deshalb muß das Datum der Abfassung des Briefes auf die Zeit unmittelbar nach dem Tod des Kaisers und nach dem Ende der Verfolgung, das heißt gleich nach dem Jahr 96, angesetzt werden.

Das Eingreifen von Clemens - wir befinden uns noch im 1. Jahrhundert - war aufgrund der schwerwiegenden Probleme, in denen sich die Kirche von Korinth befand, dringend erforderlich: Die Presbyter der Gemeinde waren nämlich von einigen jungen Gegnern abgesetzt worden. Die traurige Begebenheit wird wiederum vom hl. Irenäus erwähnt, der schreibt: »Als unter Clemens ein nicht kleiner Zwist unter den Brüdern in Korinth ausgebrochen war, sandte die Kirche von Rom einen sehr wichtigen Brief an die Korinther, um sie im Frieden zu versöhnen, ihren Glauben zu erneuern und die Überlieferung zu verkünden, die sie vor kurzer Zeit von den Aposteln empfangen hatte« (Adv. haer. 3,3,3). Wir könnten also sagen, daß dieser Brief eine erste Ausübung des Römischen Primats nach dem Tod des hl. Petrus darstellt. Der Brief des Clemens greift Themen wieder auf, die dem hl. Paulus am Herzen lagen, der zwei große Briefe an die Korinther geschrieben hatte: insbesondere die stets aktuelle theologische Dialektik zwischen dem Indikativ des Heils und dem Imperativ des moralischen Bemühens. Allem voran steht die frohe Verkündigung der rettenden Gnade. Der Herr kommt uns zuvor und schenkt uns die Vergebung, er schenkt uns seine Liebe, die Gnade, Christen zu sein, seine Brüder und Schwestern. Das ist eine Verkündigung, die unser Leben mit Freude erfüllt und unserem Handeln Sicherheit gibt: Der Herr kommt uns immer mit seiner Güte zuvor, und die Güte des Herrn ist immer größer als alle unsere Sünden. Es ist jedoch notwendig, daß wir uns konsequent auf das empfangene Geschenk einlassen und auf die Verkündigung des Heils mit einem hochherzigen und mutigen Weg der Umkehr antworten. Im Vergleich zum Modell des Paulus besteht die Neuheit darin, daß Clemens auf den lehrmäßigen und den praktischen Teil, die fester Bestandteil aller Paulusbriefe waren, ein »großes Gebet« folgen läßt, das den Brief praktisch abschließt.

Der unmittelbare Anlaß des Briefes erschließt dem Bischof von Rom die Möglichkeit einer umfassenden Darlegung über die Identität der Kirche und ihrer Sendung. Wenn es in Korinth Mißbräuche gegeben habe - bemerkt Clemens -, müsse der Grund in der Schwächung der Liebe und anderer unverzichtbarer christlicher Tugenden gesucht werden. Deshalb ruft er die Gläubigen zur Demut und zur brüderlichen Liebe auf, zwei wirklich grundlegende Tugenden des In-der- Kirche-Seins: »Wir sind ein heiliger Teil«, so mahnt er, »wir erfüllen also alles das, was zur Heiligkeit gehört« (30,1). Im besonderen erinnert der Bischof von Rom daran, daß der Herr selber »bestimmt hat, wo und durch wen die liturgischen Dienste vollzogen werden sollen, damit alles, was heilig und mit seinem Wohlgefallen verrichtet wird, seinem Willen angenehm sei … Dem Hohenpriester sind nämlich eigene liturgische Funktionen übertragen, den Priestern ist ein eigener Platz zugewiesen worden, den Leviten obliegen ihnen eigene Dienste. Der Laie ist an die für die Laien geltenden Vorschriften gebunden« (40,1-5): Man beachte, daß hier, in diesem Brief am Ende des 1. Jahrhunderts, zum ersten Mal in der christlichen Literatur der griechische Begriff »laikós« vorkommt, was »Glied des ›laos‹«, das heißt »des Volkes Gottes«, bedeutet.

Indem sich Clemens auf die Liturgie des alten Israel bezieht, enthüllt er auf diese Weise sein Ideal der Kirche. Sie wird vereint von dem »über uns ausgegossenen einzigen Geist der Gnade«, der in den verschiedenen Gliedern des Leibes Christi weht, in dem alle, vereint ohne jede Trennung, »Glieder untereinander« sind (46,6-7). Die klare Unterscheidung zwischen dem »Laien« und der Hierarchie bedeutet keineswegs einen Gegensatz, sondern nur diese organische Verbindung eines Leibes, eines Organismus, mit den verschiedenen Funktionen. Die Kirche ist in der Tat nicht ein Ort von Verwirrung und Anarchie, wo einer in jedem Augenblick tun kann, was er will: Jeder übt in diesem Organismus, der mit einer klar gegliederten Struktur ausgestattet ist, entsprechend der empfangenen Berufung seinen Dienst aus. Was die Vorsteher der Gemeinden betrifft, bringt Clemens klar die Lehre der apostolischen Sukzession zum Ausdruck. Die Normen, die sie regeln, stammen im letzten von Gott selbst. Der Vater hat Jesus Christus gesandt, der seinerseits die Apostel ausgesandt hat. Diese entsandten dann die ersten Vorsteher der Gemeinden und legten fest, daß ihnen andere würdige Männer nachfolgen sollten. Alles erfolgt also »geordnet vom Willen Gottes« (42). Mit diesen Worten, mit diesen Sätzen hebt der hl. Clemens hervor, daß die Kirche eine sakramentale und keine politische Struktur hat. Das Wirken Gottes, das uns in der Liturgie entgegenkommt, geht unseren Entscheidungen und unseren Ideen voraus. Die Kirche ist vor allem Gabe Gottes und nicht unser Geschöpf, und deshalb gewährleistet diese sakramentale Struktur nicht nur die gemeinsame Ordnung, sondern auch diesen Vorrang der Gabe Gottes, derer wir alle bedürfen.

Schließlich verleiht das »große Gebet« den vorhergehenden Argumentationen einen kosmischen Atem. Clemens lobt und dankt Gott für seine wunderbare Vorsehung der Liebe, die die Welt erschaffen hat und fortfährt, sie zu retten und zu heiligen. Besondere Bedeutung nimmt die Anrufung für die Regierenden an. Nach den Texten des Neuen Testaments stellt sie das älteste Gebet für die politischen Institutionen dar. Kurz nach der Verfolgung hören somit die Christen, obwohl sie wissen, daß die Verfolgungen weitergehen würden, nicht auf, für jene Obrigkeiten zu beten, die sie ungerechterweise verurteilt hatten. Der Grund dafür ist vor allem christologischer Natur: Man muß für die Verfolger beten, wie es Jesus am Kreuz getan hat. Aber dieses Gebet enthält auch eine Lehre, die über die Jahrhunderte hinweg die Haltung der Christen gegenüber der Politik und dem Staat leitet. Indem Clemens für die Obrigkeiten betet, erkennt er die Legitimität der politischen Institutionen in der von Gott festgelegten Ordnung an; gleichzeitig äußert er die Sorge, daß die Obrigkeiten Gott gegenüber fügsam sein und »die Macht, die Gott ihnen gegeben hat, in Frieden und Milde fromm ausüben mögen « (61,2). Der Kaiser ist nicht alles. Es zeigt sich eine andere Hoheit, deren Ursprung und Wesen nicht von dieser Welt sind, sondern »von dort oben«: Es ist die Hoheit der Wahrheit, die auch gegenüber dem Staat das Recht einfordert, gehört zu werden.

So setzt sich der Brief des Clemens mit zahlreichen Themen von bleibender Aktualität auseinander. Er ist um so bedeutsamer, da er vom 1. Jahrhundert an die Sorge der Kirche von Rom darstellt, die gegenüber allen anderen Kirchen den Vorsitz in der Liebe führt. Mit demselben Geist wollen wir uns dort, wo der Bischof von Rom sich zur Stimme der ganzen Welt macht, die Anrufungen des »großen Gebets« zu eigen machen: »Ja, o Herr, laß über uns dein Antlitz leuchten im Gut des Friedens; schütze uns mit deiner mächtigen Hand … Wir danken dir durch den Hohenpriester und Führer unserer Seelen, Jesus Christus, durch den dir sei Ehre und Lob, jetzt und von Geschlecht zu Geschlecht und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen« (60-61).

Nach den Katechesen über die Apostel und die ersten Zeugen des Glaubens im Neuen Testament wollen wir uns ab heute den „Apostolischen Vätern“ zuwenden. Dabei möchte ich mit dem heiligen Papst Clemens I., dem dritten Nachfolger des Apostels Petrus, beginnen.

Clemens war Zeuge der Verkündigung und des Wirkens der Apostel. Ein wertvolles Dokument ist sein Brief an die Korinther, der nach der Verfolgung Kaiser Domitians um das Jahr 96 abgefaßt wurde. Dieser Brief ist ein frühes Zeugnis der Sorge der Kirche von Rom, die den Vorsitz in der Liebe führt, gegenüber den anderen Kirchen. Innerhalb der Gemeinde von Korinth waren Konflikte und Spaltungen aufgetreten. Clemens will die Christen in Korinth im Frieden versöhnen und sie im Glauben und in der Treue zur apostolischen Überlieferung stärken. Er ermahnt sie zur Demut und dazu, in brüderlicher Liebe alles zu tun, „was zur Heiligung gehört“ (30,1). Zugleich erinnert Clemens daran, daß den einzelnen Gliedern des Leibes Christi gemäß der empfangenen Berufung verschiedene Dienste und Aufgaben zukommen. Die Unterscheidung der hierarchischen Ämter von den Diensten der Gläubigen stellt dabei kein Problem dar. Beide stehen vielmehr in einer organischen Einheit. Clemens beschließt seinen Brief mit einem Gebet, einem Lobpreis der göttlichen Vorsehung und Liebe, durch die der Herr die Welt erschaffen hat, sie weiter erhält und rettet.
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Gerne grüße ich alle Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache, besonders die Seminaristen und Diakone der Diözese Eichstätt. Als getaufte Christen sind wir Glieder des einen Leibes Christi, der Kirche. Mit dem Beistand des Heiligen Geistes wollen wir die Dienste und Aufgaben verrichten, zu denen uns der Herr berufen hat. So können wir in dieser organischen Einheit des Leibes Christi, jeder an seiner Stelle, glaubwürdig Gottes Liebe zu den Menschen bezeugen. Von Herzen grüße ich euch alle, wünsche euch einen gesegneten Aufenthalt in Rom und eine gesegnete Fastenzeit.



Mittwoch, 14. März 2007: Der Hl. Ignatius, Bischof von Antiochien

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Liebe Brüder und Schwestern!

Wie wir es schon am vergangenen Mittwoch getan haben, sprechen wir über die Persönlichkeiten der entstehenden Kirche. Vorige Woche haben wir über Papst Clemens I., den dritten Nachfolger des hl. Petrus, gesprochen. Heute sprechen wir über den hl. Ignatius, der von 70 bis 107, dem Jahr seines Martyriums, der dritte Bischof von Antiochien war. Zu jener Zeit waren Rom, Alexandrien und Antiochien die drei großen Metropolen des Römischen Reiches. Das Konzil von Nizäa spricht von drei »Primaten«: dem Primat Roms, aber auch Alexandrien und Antiochien haben in einem gewissen Sinn an einem »Primat« teil. Der hl. Ignatius war Bischof von Antiochien, das in der heutigen Türkei liegt. Hier, in Antiochien, entstand, wie wir aus der Apostelgeschichte wissen, eine blühende christliche Gemeinde: Ihr erster Bischof war der Apostel Petrus - so sagt uns die Überlieferung -, und dort »nannte man die Jünger zum erstenmal Christen« (
Ac 11,26). Eusebius von Cäsarea, ein Historiker des 4. Jahrhunderts, widmet dem Leben und literarischen Werk des Ignatius ein ganzes Kapitel seiner »Kirchengeschichte« (Historia Ecclesiastica 3,36). Er schreibt: »Aus Syrien wurde Ignatius nach Rom geschickt und wegen seines Zeugnisses für Christus den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen. Während seiner Reise durch Kleinasien, unter strengster Bewachung (die Soldaten, die ihn bewachen, nennt er in seinem Brief an die Römer 5,1 die ›zehn Leoparden‹), stärkte er in den einzelnen Städten, wo er haltmachte, durch Predigten und Mahnungen die Kirchengemeinden; vor allem mahnte er sie inständig, sich vor den Häresien zu hüten, die sich damals zu verbreiten begannen; und er legte ihnen dringend ans Herz, nicht von der Überlieferung der Apostel abzurücken«. Die erste Etappe der Reise des Ignatius hin zum Martyrium war die Stadt Smyrna, wo der hl. Polykarp, ein Jünger des hl. Johannes, Bischof war. Dort schrieb Ignatius vier Briefe an die Kirchen von Ephesus, Magnesia, Tralles und Rom. »Nachdem er von Smyrna abgefahren war«, schreibt Eusebius weiter, »kam Ignatius nach Troas und schickte von dort neue Briefe ab«: zwei an die Kirchen von Philadelphia und Smyrna und einen an Bischof Polykarp. Eusebius vervollständigt so das Verzeichnis der Briefe, die uns von der Kirche des ersten Jahrhunderts als kostbarer Schatz überliefert worden sind. Beim Lesen dieser Texte spürt man die Frische des Glaubens jener Generation, die noch die Apostel gekannt hatte. Man spürt in diesen Briefen auch die glühende Liebe eines Heiligen. Von Troas aus erreichte der Märtyrer schließlich Rom, wo er im Flavischen Amphitheater den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen wurde.

Kein Kirchenvater hat den brennenden Wunsch nach der Vereinigung mit Christus und nach dem Leben in ihm mit der Intensität des Ignatius zum Ausdruck gebracht. Deshalb haben wir den Abschnitt des Evangeliums über den Weinberg gelesen, der nach dem Johannesevangelium Jesus ist. Tatsächlich fließen in Ignatius zwei geistliche »Strömungen« zusammen: jene des Paulus, die ganz auf die Vereinigung mit Christus ausgerichtet ist, und jene des Johannes, die auf das Leben in ihm konzentriert ist. Diese beiden Strömungen münden ihrerseits in die Nachfolge Christi ein, zu dem sich Ignatius mehrmals als »meinem« oder »unserem Gott« bekennt. So fleht Ignatius die Christen von Rom an, sein Martyrium nicht zu verhindern, weil er ungeduldig darauf warte, »sich mit Jesus Christus zu vereinigen«. Und er erklärt: »Es ist schön für mich, durch den Tod zu (eis)Jesus Christus zu gehen, anstatt als König zu herrschen bis an die Grenzen der Erde. Ihn, der für mich gestorben ist, suche ich; ihn, der für uns auferstanden ist, ersehne ich… Laßt mich ein Nachahmer des Leidens meines Gottes sein!« (Brief an die Römer 5-6). In diesen von Liebe brennenden Worten kann man den unverkennbaren christologischen »Realismus« wahrnehmen, wie er für die Kirche von Antiochien typisch ist und mehr denn je auf die Fleischwerdung des Sohnes Gottes und seine wahre und konkrete Menschlichkeit achtet: Jesus Christus, schreibt Ignatius an die Smyrnäer, »ist wahrhaftig aus dem Geschlecht Davids«, »er wurde wahrhaftig von einer Jungfrau geboren«, »er wurde wahrhaftig für uns ans Kreuz genagelt« (1,1).

Das unwiderstehliche Streben des Ignatius hin zur Vereinigung mit Christus begründet im wahrsten Sinne des Wortes eine »Mystik der Einheit«. Er selbst definiert sich als »einen Mann, dem die Aufgabe der Einheit anvertraut ist« (Brief an die Philadelphier 8,1). Für Ignatius ist die Einheit vor allem eine Eigenschaft Gottes, der, während er in drei Personen existiert, in absoluter Einheit einer ist. Er wiederholt oft, daß Gott Einheit ist und daß sie sich nur in Gott im reinen und ursprünglichen Zustand befindet. Die Einheit, die auf dieser Erde seitens der Christen verwirklicht werden soll, ist nichts anderes als eine Nachahmung, die dem göttlichen Archetyp soweit als möglich entspricht. Auf diese Weise gelangt Ignatius zur Ausarbeitung einer Sicht der Kirche, die aus nächster Nähe an manche Formulierungen des Briefes an die Korinther von Clemens von Rom erinnert. »Es ziemt sich für euch«, schreibt er zum Beispiel an die Christen von Ephesus, »entsprechend dem Denken des Bischofs voranzuschreiten, was ihr ja schon tut. Denn euer zu Recht gerühmtes und seines Gottes würdiges Kollegium der Presbyter ist so harmonisch mit dem Bischof verbunden wie die Saiten mit der Zither. Deshalb wird in eurer Eintracht und in eurer symphonischen Liebe Jesus Christus besungen. Und so werdet ihr, jeder einzelne, zu einem Chor, damit ihr, nachdem ihr den Ton Gottes in der Einheit übernommen habt, in der Symphonie der Eintracht mit einer Stimme singt« (4,1-2). Nachdem er den Smyrnäern nahegelegt hatte, »nichts, was die Kirche betrifft, ohne den Bischof zu tun« (8,1), vertraut er dem Polykarp an: »Ich gebe mein Leben hin für die, die dem Bischof, den Presbytern und Diakonen gefügig sind. Möge ich mit ihnen meinen Teil erhalten können bei Gott. Müht euch miteinander, kämpft gemeinsam, lauft gemeinsam, leidet gemeinsam, schlaft und wacht gemeinsam als Verwalter Gottes, seine Hausgenossen und Diener. Versucht, dem zu gefallen, für den ihr kämpft und von dem ihr den Lohn empfangt. Keiner von euch werde fahnenflüchtig. Eure Taufe bleibe als Schild, der Glaube als Helm, die Liebe als Speer, die Geduld als Rüstung« (Brief an Polykarp 6,1-2).

Insgesamt kann man in den Briefen des Ignatius eine Art konstante und fruchtbare Dialektik zwischen zwei charakteristischen Aspekten des christlichen Lebens wahrnehmen: einerseits die hierarchische Struktur der kirchlichen Gemeinschaft und andererseits die grundlegende Einheit, die alle Gläubigen untereinander in Christus verbindet. Folglich dürfen die Rollen nicht einander entgegengesetzt werden. Im Gegenteil, das Beharren auf der Gemeinschaft der Gläubigen untereinander und mit ihren Hirten wird durch beredte Bilder und Analogien ständig neu formuliert: die Zither, die Saiten, die Tongebung, das Konzert, die Symphonie. Die besondere Verantwortung der Bischöfe, der Presbyter und der Diakone beim Aufbau der Gemeinde ist offenkundig. Für sie gilt vor allem die Aufforderung zur Liebe und Einheit. »Seid eins«, schreibt Ignatius an die Magnesier und greift damit das Gebet Jesu beim Letzten Abendmahl auf: »Eine Bitte, ein Sinn, eine Hoffnung in der Liebe… Macht euch alle eilends auf den Weg zu Jesus Christus wie zu dem einen Tempel Gottes, wie zu dem einen Altar: Er ist einer und, ausgehend von dem einen Vater, ist er mit ihm vereint geblieben und zu ihm in der Einheit zurückgekehrt« (7,1-2). Ignatius schreibt als erster in der christlichen Literatur der Kirche das Adjektiv »katholisch« zu, das heißt »universal«: »Wo Jesus Christus ist«, sagt er, »dort ist die katholische Kirche« (Brief an die Smyrnäer 8,2). Und gerade im Dienst der Einheit an der katholischen Kirche übt die christliche Gemeinde von Rom eine Art Primat in der Liebe aus: »In Rom führt sie den Vorsitz, Gottes würdig, ehrwürdig, würdig, selig genannt zu werden… Sie führt den Vorsitz in der Liebe, die das Gesetz Christi hat und den Namen des Vaters führt« (Brief an die Römer, Prolog).

Wie man sieht, ist Ignatius wirklich der »Lehrer der Einheit«: Einheit Gottes und Einheit Christi (gegen die verschiedenen Häresien, die in Umlauf zu kommen begannen und in Christus den Menschen und Gott trennten), Einheit der Kirche, Einheit der Gläubigen »im Glauben und in der Liebe, die von nichts übertroffen werden« (Brief an die Smyrnäer 6,1). Schließlich fordert der »Realismus« des Ignatius die Gläubigen von gestern und heute, uns alle zu einer fortschreitenden Synthese zwischen Angleichung an Christus (Vereinigung mit ihm, Leben in ihm) und Hingabe an seine Kirche (Einheit mit dem Bischof, hochherziger Dienst an der Gemeinde und der Welt) auf. Man muß also zu einer Synthese zwischen Gemeinschaft der Kirche in ihrem Inneren und Sendung der Verkündigung des Evangeliums für die anderen gelangen, bis durch die eine Dimension die andere spricht und die Gläubigen immer mehr »im Besitz jenes ungeteilten Geistes sind, der Jesus Christus selbst ist« (Brief an die Magnesier 15). Indem ich diese »Gnade der Einheit« vom Herrn erflehe und in der Überzeugung, den Vorsitz der Liebe der ganzen Kirche zu führen (vgl. Brief an die Römer, Prolog), richte ich an euch denselben Wunsch, mit dem der Brief des Ignatius an die Christen von Tralles schließt: »Liebt einander mit ungeteiltem Herzen. Meine Seele opfert sich für euch nicht nur jetzt, sondern auch, wenn sie zu Gott gelangt sein wird… Mögt ihr in Christus makellos vorgefunden werden können« (13). Und beten wir, damit der Herr uns helfe, diese Einheit zu erreichen und endlich ohne Makel vorgefunden werden zu können, denn es ist die Liebe, die die Seelen läutert.

Die heutige Katechese ist dem Kirchenvater Ignatius von Antiochien gewidmet. Dank einer von Eusebius von Cäsarea verfaßten Lebensbeschreibung wissen wir, daß Ignatius über drei Jahrzehnte als Bischof vorbildlich für die christliche Gemeinde in der antiken Metropole Antiochien sorgte. Aufgrund seines mutigen Bekenntnisses wurde er in Zeiten der Verfolgung zum Tode verurteilt und als Gefangener nach Rom überstellt. Während dieser Reise wandte er sich mit Briefen an Gemeinden und an Mitbrüder im Bischofsamt. Sieben dieser kostbaren Texte, aus denen die Glaubenskraft und die Hirtensorge eines Nachfolgers der Apostel spricht, sind uns erhalten.

Das Hauptaugenmerk der Briefe des Ignatius liegt auf der Einheit mit Christus und auf der Einheit in der Kirche. Wie der Evangelist Johannes und der Apostel Paulus fordert Ignatius die Gläubigen auf, innig mit Jesus vereint zu sein und den menschgewordenen Sohn Gottes in ihrem Leben nachzuahmen. So sieht er auch sein eigenes bevorstehendes Martyrium als abschließende und krönende Etappe seines Weges zu Christus hin, dessen Leiden er teilen möchte. Aber auch die Gläubigen untereinander sollen die Einheit im Glauben und in der Liebe bewahren, in deren Dienst ganz besonders die Bischöfe, die Priester und die Diakone stehen.
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Mit Freude begrüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache. Das Beispiel und die Lehre des heiligen Ignatius von Antiochien seien uns Ansporn auf unserem Weg der Nachfolge Christi in der Gemeinschaft der Kirche. Wenn wir mit Christus vereint sind, wird unser Dienst an unseren Brüdern und Schwestern und unser Dienst für die Welt reiche Frucht bringen. Der Herr schenke euch und euren Familien seinen reichen Segen und gesegnete Tage hier in Rom!
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Liebe Brüder und Schwestern, ich richte einen herzlichen Willkommensgruß an die Pilger italienischer Sprache. In besonderer Weise grüße ich die Gläubigen aus den Diözesen Apuliens, die mit ihren Bischöfen aus Anlaß des »Ad-limina«-Besuches hierhergekommen sind. Seid willkommen und habt Dank für euren Besuch! Liebe Freunde, ich ermutige euch, euch immer stärker in die Sendung der Kirche miteinbezogen zu fühlen, um mit neuem apostolischen Elan den zahlreichen sozialen und religiösen Herausforderungen der gegenwärtigen Zeit entgegenzutreten. Bei den Gesprächen mit euren Bischöfen habe ich bereits gehört, daß die Kirche in Apulien stets lebendig, dynamisch und von Glauben erfüllt ist. Liebe Brüder im Bischofsamt, führt all jene, die eurer pastoralen Sorge anvertraut sind, zur persönlichen Begegnung mit Christus, der unter uns lebt, und tut dies in vollkommener Treue zu seinem Evangelium und zu den sich aus ihm ergebenden moralischen Anforderungen.






Generalaudienzen 2005-2013 21027