Generalaudienzen 2005-2013 19046

Mittwoch, 19. April 2006

19046

Liebe Brüder und Schwestern!

Zu Beginn der heutigen Generalaudienz, die in der Atmosphäre österlicher Freude stattfindet, möchte ich zusammen mit euch dem Herrn danken, der mir, nachdem er mich vor genau einem Jahr dazu berufen hat, als Nachfolger des Apostels Petrus der Kirche zu dienen - danke für eure Freude, danke für eure Zustimmung - stets mit seiner unentbehrlichen Hilfe beisteht. Wie schnell die Zeit vergeht! Es ist bereits ein Jahr vergangen, seitdem die im Konklave versammelten Kardinäle meine arme Person in die Nachfolge des verstorbenen Dieners Gottes, des geliebten und großen Papstes Johannes Paul II., gewählt haben, was für mich völlig unerwartet und überraschend kam. Ich bin innerlich bewegt, wenn ich daran zurückdenke, wie ich unmittelbar nach meiner Wahl zum ersten Mal auf der Mittleren Loggia der Basilika den hier auf diesem Platz versammelten Gläubigen gegenüberstand. Die Erinnerung an jene Begegnung hat sich mir im Geist und im Herzen eingeprägt; auf sie folgten viele weitere Begegnungen, die mich erfahren ließen, wie sehr das zutrifft, was ich während der festlichen Konzelebration sagte, mit der ich die Ausübung des Petrusamtes feierlich begonnen habe: »So darf ich auch wissen: Ich brauche nicht allein zu tragen, was ich wahrhaftig allein nicht tragen könnte« (in O.R. dt., Nr. 17, 29.4.2005, S. 2). Und ich spüre immer mehr, daß ich diese Aufgabe, diese Sendung allein nicht tragen könnte. Aber ich spüre auch, daß ihr sie mit mir tragt: So befinde ich mich in einer großen Gemeinschaft, und zusammen können wir die vom Herrn erhaltene Sendung voranbringen. Eine unersetzliche Hilfe ist mir der himmlische Schutz Gottes und der Heiligen; und eure Nähe, liebe Freunde, die ihr mir stets eure Nachsicht und Liebe schenkt, gibt mir Kraft. Von ganzem Herzen danke ich allen, die auf verschiedene Weise nah an meiner Seite stehen oder mich aus der Ferne im Geiste mit ihrer Zuneigung und ihrem Gebet begleiten. Ich bitte jeden von euch, mich auch weiterhin zu unterstützen und Gott zu bitten, daß er mich ein milder und standhafter Hirte seiner Kirche sein lasse.

Der Evangelist Johannes berichtet, daß Jesus nach seiner Auferstehung Petrus dazu berufen hat, für seine Herde Sorge zu tragen (vgl.
Jn 21,15-23). Wer hätte sich damals nach menschlichem Ermessen die Entwicklung vorzustellen vermocht, die jene kleine Gruppe von Jüngern des Herrn im Laufe der Jahrhunderte erfahren hat? Petrus zusammen mit den Aposteln und dann ihre Nachfolger haben zunächst in Jerusalem und dann bis an die Grenzen der Erde mutig die Botschaft des Evangeliums verbreitet, dessen grundlegender und unverzichtbarer Kern das Ostergeheimnis ist: das Leiden, der Tod und die Auferstehung Christi. Dieses Geheimnis feiert die Kirche zu Ostern und läßt seinen freudigen Nachklang in den darauffolgenden Tagen andauern; sie singt das Halleluja des Triumphes Christi über das Böse und den Tod. »Die Feier des Osterfestes an einem bestimmten Tag im Kalender«, sagt der heilige Papst Leo der Große, »erinnert uns an das ewige Fest, das jede menschliche Zeit überwindet«. »Das jetzige Osterfest«, so merkt er noch an, »ist der Schatten des zukünftigen Osterfestes. Deshalb feiern wir es, um von einem jährlich wiederkehrenden Fest zu einem immerwährenden Fest überzugehen.« Die Freude dieser Tage umfaßt das ganze Kirchenjahr und wird besonders am Sonntag erneuert, dem Tag, der dem Gedächtnis der Auferstehung des Herrn geweiht ist. An diesem Tag, der gleichsam das »kleine Osterfest« jeder Woche ist, verkündet die zur heiligen Messe zusammengekommene liturgische Versammlung im Credo, daß Jesus am dritten Tage auferstanden ist, und fügt hinzu, daß wir »die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt« erwarten. Auf diese Weise wird gezeigt, daß das Ereignis des Todes und der Auferstehung Jesu den Mittelpunkt unseres Glaubens bildet und daß auf dieser Verkündigung die Kirche gegründet ist und wächst. Auf einprägsame Weise sagt der hl. Augustinus: »Meine Lieben, betrachten wir die Auferstehung Christi: In der Tat, wie sein Leiden und Sterben unser altes Leben bedeutete, so ist seine Auferstehung Sakrament des neuen Lebens… Du hast geglaubt, du bist getauft worden: Das alte Leben ist gestorben, am Kreuz getötet, in der Taufe begraben worden. Das alte Leben, in dem du gelebt hast, ist begraben worden: das neue Leben möge auferstehen. Lebe gut: Lebe so, daß du lebst, auf daß du, wenn du gestorben sein wirst, nicht stirbst« (Sermo 229/E 9,3).

Die Abschnitte der Evangelien, die von den Erscheinungen des Auferstandenen berichten, schließen gewöhnlich mit der Aufforderung, jede Ungewißheit zu überwinden, das Ereignis mit der Heiligen Schrift zu vergleichen, zu verkünden, daß Jesus jenseits des Todes der auf ewig Lebendige ist, Quelle neuen Lebens für all diejenigen, die glauben. So geschieht es zum Beispiel im Fall der Maria Magdalena (vgl. Jn 20,11-18), die das Grab offen und leer vorfindet und sofort fürchtet, daß der Leichnam des Herrn weggebracht worden sei. Da ruft sie der Herr beim Namen, und in diesem Augenblick vollzieht sich in ihr ein tiefgreifender Wandel: Die Mutlosigkeit und Verunsicherung verwandeln sich in Freude und Begeisterung. Sie begibt sich eilends zu den Aposteln und verkündet: »Ich habe den Herrn gesehen« (Jn 20,18). So ist es: Wer dem auferstandenen Jesus begegnet, wird innerlich verwandelt; man kann den Auferstandenen nicht »sehen«, ohne an ihn zu »glauben«. Beten wir zu ihm, damit er jeden von uns beim Namen ruft und uns auf diese Weise bekehrt, indem er uns zur »Einsicht« des Glaubens hin öffnet. Der Glaube entsteht aus der persönlichen Begegnung mit dem auferstandenen Christus und wird zum Überschwang des Mutes und der Freiheit, der uns in die Welt hinausrufen läßt: Jesus ist auferstanden und lebt für immer. Das ist die Sendung der Jünger des Herrn jedes Zeitalters und auch unserer heutigen Zeit: »Ihr seid mit Christus auferweckt; darum«, so mahnt der hl. Paulus, »strebt nach dem, was im Himmel ist … Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische!« (Col 3,1-2). Das heißt nicht, daß man sich den täglichen Pflichten entziehen, sich nicht mehr um irdische Angelegenheiten kümmern soll; es bedeutet vielmehr, jeder menschlichen Tätigkeit wie durch einen übernatürlichen Hauch Leben zu verleihen, es bedeutet, frohe Verkünder und Zeugen der Auferstehung Christi zu werden, der in Ewigkeit lebt (vgl. Jn 20,25 Lc 24,33-34).

Liebe Brüder und Schwestern, im Osterfest seines eingeborenen Sohnes offenbart Gott vollkommen sich selbst, seine siegreiche Kraft über die Kräfte des Todes, die Kraft der dreifaltigen Liebe. Die Jungfrau Maria, die mit dem Leiden, dem Tod und der Auferstehung des Sohnes zutiefst verbunden war und zu Füßen des Kreuzes Mutter aller Gläubigen geworden ist, helfe uns, dieses Geheimnis der Liebe zu begreifen, das die Herzen verwandelt, und lasse uns die österliche Freude in Fülle auskosten, damit wir sie dann unsererseits den Männern und Frauen des dritten Jahrtausends weitergeben können.

Seit einem Jahr darf ich der Kirche Gottes als Nachfolger des heiligen Apostels Petrus dienen. Wenn sich heute meine Wahl durch die im Konklave versammelten Kardinäle bereits einmal jährt - wie schnell die Zeit vergeht! -, weiß ich sehr gut, daß ich das mir anvertraute Amt niemals alleine, sondern nur mit der Hilfe Gottes und unter dem Schutz Seiner Heiligen tragen konnte und kann. Und dabei, liebe Freunde, ist mir eure Nähe, die sich in so vielen Formen manifestiert, und euer Gebet, das ihr mir täglich schenkt, eine unerläßliche Stütze! Dafür danke ich euch von ganzem Herzen.

Im Evangelium hören wir von der Berufung des Petrus zum Hirten des neuen Volkes Gottes. Wer hätte gedacht, welch großes Werk sich im Laufe der Jahrhunderte aus der kleinen Schar der Apostel entwickelt hat. Die Jünger haben wirklich den Auftrag Christi erfüllt und seine Frohbotschaft „bis an die Grenzen der Erde" getragen; und sie bleiben auch heute dieser Sendung treu! Dabei sind sie selbst ganz getragen vom zentralen Geheimnis des christlichen Glaubens: der österlichen Botschaft vom Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi, der das Böse und den Tod endgültig besiegt hat. Wir Christen wissen, daß uns die alljährliche Osterfeier hinüberführt zu jenem ewigen Fest, das jede menschliche Zeit übersteigt.
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Mit herzlicher österlicher Freude grüße ich die zahlreichen Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache, besonders die Teilnehmer der Jugenddiözesanwallfahrt Regensburg, die Bundespolizeiseelsorge in Bayern, die Diözesanräte aus Rottenburg-Stuttgart mit ihrem Bischof und die vielen anderen größeren und kleineren Gruppen. Die Freude des auferstandenen Herrn Jesus Christus erfülle eure Herzen und mache euer Leben hell. Euch allen einen glücklichen und gesegneten Tag!
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Mit großem Schmerz habe ich die Nachricht von dem schrecklichen Attentat vernommen, das am vergangenen Montag in Tel Aviv in Israel geschehen ist, und ich empfinde es als meine Pflicht, diesen Terrorakt auf das Entschiedenste zu verurteilen. Durch derartige verabscheuungswürdige Taten können die wenn auch legitimen Rechte eines Volkes nicht gewahrt werden. Der Herr, der Friedensfürst, stehe den Israeli und den Palästinensern bei, damit sie sich nicht auf tragische Abwege treiben lassen, sondern die Schritte wieder aufnehmen, die sie dahin führen mögen, als Kinder desselben himmlischen Vaters Seite an Seite in Frieden und Sicherheit zu leben.



Mittwoch, 26. April 2006

26046

Liebe Brüder und Schwestern!

Danke für eure Zuneigung! In der neuen, vor kurzem begonnenen Katechesereihe versuchen wir, den ursprünglichen Plan der Kirche, wie der Herr sie gewollt hat, zu verstehen, um so auch unseren Standort, unser christliches Leben in der großen Gemeinschaft der Kirche, besser zu erfassen. Bis jetzt haben wir verstanden, daß die kirchliche Gemeinschaft vom Heiligen Geist aufgebaut und gestützt und vom apostolischen Dienst behütet und gefördert wird. Und diese Gemeinschaft, die wir Kirche nennen, erstreckt sich nicht nur auf alle Gläubigen in einem bestimmten geschichtlichen Zeitabschnitt, sondern sie umfaßt alle Zeiten und alle Generationen. Wir haben es also mit einer doppelten Universalität zu tun: mit der synchronen Universalität - wir sind mit den Gläubigen in allen Teilen der Welt vereint - und auch mit einer sogenannten diachronen Universalität, das heißt, alle Zeiten gehören zu uns, auch die Gläubigen der Vergangenheit und die der Zukunft bilden mit uns eine einzige große Gemeinschaft. Der Geist erscheint als Garant der aktiven Präsenz des Geheimnisses in der Geschichte, als derjenige, der die Verwirklichung des Geheimnisses durch die Jahrhunderte hindurch gewährleistet. Es ist dem Parakleten zu verdanken, daß die Erfahrung des Auferstandenen, die von der apostolischen Gemeinschaft in der Anfangszeit der Kirche gemacht wurde, von den nachfolgenden Generationen stets gelebt werden kann, da sie im Glauben, im Gottesdienst und in der Gemeinschaft des durch die Zeit pilgernden Gottesvolkes weitergegeben und gegenwärtig gemacht wird. Und so erleben wir jetzt, in der Osterzeit, die Begegnung mit dem Auferstandenen nicht nur als etwas Vergangenes, sondern wir erleben sie in der gegenwärtigen Gemeinschaft des Glaubens, der Liturgie und des Lebens der Kirche. In dieser Weitergabe der Heilsgüter, die in der Kraft des Geistes die christliche Gemeinschaft zu einer ständigen Vergegenwärtigung der ersten Gemeinschaft macht, besteht die apostolische Tradition der Kirche. Sie wird so genannt, weil sie aus dem Zeugnis der Apostel und der Gemeinschaft der Jünger in der Anfangszeit entstanden und unter der Führung des Heiligen Geistes in die Schriften des Neuen Testaments und in das sakramentale Leben, in das Glaubensleben aufgenommen worden ist. Und auf sie - auf diese Tradition, die die ganze, stets aktuelle Wirklichkeit der Gabe Jesu ist - nimmt die Kirche ständig Bezug durch die ununterbrochene Sukzession des apostolischen Dienstes: sie ist ihre Grundlage und ihre Richtschnur.

Jesus beschränkte zwar während seines Erdenlebens seine Sendung noch auf das Haus Israel, gab aber bereits zu verstehen, daß die Gabe nicht nur für das Volk Israel, sondern für die ganze Welt und alle Zeiten bestimmt war. Der Auferstandene vertraut dann den Aposteln ausdrücklich (vgl.
Lc 6,13) die Aufgabe an, alle Völker zu Jüngern zu machen, und sichert ihnen seine Gegenwart und seine Hilfe bis ans Ende der Zeiten zu (vgl. Mt 28,19f.). Die Universalität des Heils erfordert zudem, daß das Gedächtnis des Pascha in der Geschichte bis zur glorreichen Wiederkehr Christi ununterbrochen gefeiert wird (vgl. 1Co 11,26). Wer wird die heilbringende Gegenwart des Herrn Jesus durch den Dienst der Apostel - der Häupter des endzeitlichen Israel (vgl. Mt 19,28) - und durch das ganze Leben des Volkes des Neuen Bundes verwirklichen? Die Antwort ist klar: der Heilige Geist. Die Apostelgeschichte zeigt - in Fortführung des Lukasevangeliums - in lebendiger Weise, wie der Geist, die von Christus Entsandten und die von ihnen gesammelte Gemeinde einander durchdringen. Dank des Wirkens des Parakleten können die Apostel und ihre Nachfolger die Sendung, die sie vom Auferstandenen erhalten haben, in der Zeit verwirklichen: »Ihr seid Zeugen dafür. Und ich werde die Gabe, die mein Vater verheißen hat, zu euch herabsenden …« (Lc 24,48f.). »Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde« (Ac 1,8). Und diese anfangs unglaubliche Verheißung hat sich bereits zur Zeit der Apostel erfüllt: »Zeugen dieser Ereignisse sind wir und der Heilige Geist, den Gott allen verliehen hat, die ihm gehorchen« (Ac 5,32).

Es ist also der Geist selbst, der durch die Handauflegung und das Gebet der Apostel die neuen Missionare des Evangeliums weiht und aussendet (so zum Beispiel in Ac 13,3f. und 1Tm 4,14). Es ist interessant zu beobachten, daß es an einigen Stellen heißt, Paulus bestelle die Ältesten in den Gemeinden (vgl. Ac 14,23), während an anderen Stellen gesagt wird, daß es der Heilige Geist sei, der die Hirten der Herde einsetzt (vgl. Ac 20,28). Das Wirken des Geistes und das Handeln des Paulus erweisen sich so als tief voneinander durchdrungen. In der Stunde hoher Entscheidungen für das Leben der Kirche ist der Geist anwesend, um sie zu führen. Diese Anwesenheit und Führung des Heiligen Geistes ist besonders beim Apostelkonzil in Jerusalem zu spüren, in dessen Schlußworten die Aussage zu vernehmen ist: »Der Heilige Geist und wir haben beschlossen …« (Ac 15,28); die Kirche wächst und schreitet voran »in der Furcht vor dem Herrn und … durch die Hilfe des Heiligen Geistes« (Ac 9,31). Diese ständige Verwirklichung der aktiven Präsenz Jesu, des Herrn, in seinem Volk, die vom Heiligen Geist bewirkt wird und in der Kirche durch den apostolischen Dienst und die brüderliche Gemeinschaft zum Ausdruck kommt, ist das, was man im theologischen Sinn unter dem Begriff Tradition versteht: Sie ist nicht einfach die materielle Weitergabe dessen, was den Aposteln am Anfang geschenkt wurde, sondern sie ist die wirksame Gegenwart des gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus, der die von ihm gesammelte Gemeinde im Heiligen Geist begleitet und führt.

Die Tradition ist die Gemeinschaft der um die rechtmäßigen Bischöfe herum versammelten Gläubigen im Laufe der Geschichte, eine Gemeinschaft, die der Heilige Geist nährt, indem er die Verbindung zwischen der Erfahrung des apostolischen Glaubens, wie sie in der ursprünglichen Gemeinschaft der Jünger gelebt wurde, und der gegenwärtigen Christuserfahrung in seiner Kirche sicherstellt. Mit anderen Worten, die Tradition ist die organische Kontinuität der Kirche, des heiligen Tempels Gottes, des Vaters, errichtet auf dem Fundament der Apostel und zusammengehalten vom Schlußstein, Christus, durch das belebende Wirken des Geistes: »Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut; der Schlußstein ist Christus Jesus selbst. Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn. Durch ihn werdet auch ihr im Geist zu einer Wohnung Gottes erbaut« (Ep 2,19-22). Dank der Tradition, die durch den Dienst der Apostel und ihrer Nachfolger gewährleistet ist, erreichen das Wasser, das aus der Seite Christi fließt, und sein heilendes Blut die Frauen und Männer aller Zeiten. So ist die Tradition die ständige Gegenwart des Retters, der kommt, um uns zu begegnen und uns im Geist durch den Dienst seiner Kirche zu Ehren des Vaters zu erlösen und zu heiligen.

Zum Abschluß können wir also zusammenfassend sagen, daß die Tradition nicht die Weitergabe von Dingen oder Worten, keine Ansammlung toter Dinge ist. Die Tradition ist der lebendige Fluß, der uns mit den Ursprüngen verbindet, der lebendige Fluß, in dem die Ursprünge stets gegenwärtig sind, der große Fluß, der uns zum Hafen der Ewigkeit führt. Und weil das so ist, wird in diesem lebendigen Fluß immer wieder das Wort des Herrn verwirklicht, das wir am Anfang aus dem Mund des Lektors gehört haben: »Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,20).

Heute vor genau 20 Jahren ereignete sich der tragische Unfall in der Atomzentrale von Tschernobyl. Aus diesem Anlaß fühle ich mich verpflichtet, den Familien, Verbänden, Behörden und christlichen Gemeinschaften meine aufrichtige Anerkennung auszusprechen, die sich im Laufe dieser Jahre dafür eingesetzt haben, Erwachsene und besonders Kinder, die von den Folgen dieses leidvollen Ereignisses betroffen sind, aufzunehmen und zu behandeln. Während wir noch einmal für die Opfer einer Katastrophe mit derartigen Ausmaßen und für die Menschen beten, deren Körper davon gezeichnet sind, bitten wir den Herrn um die Erleuchtung derjenigen, die für das Los der Menschheit verantwortlich sind, damit sie mit vereinten Kräften ihre ganze Energie in den Dienst am Frieden setzen und dabei die Bedürfnisse des Menschen und der Natur achten.
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Das Erlösungswerk Christi setzt sich nach dem Willen des Auferstandenen in der Gemeinschaft der Gläubigen aller Länder und aller Zeiten fort. Diese Verheißung verbindet der Herr mit dem Missionsauftrag an die Apostel, den wir zu Beginn dieser Audienz gehört haben: „Geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern ... Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,19-20).

Die andauernde Gegenwart Christi in der Gemeinschaft der Gläubigen vollzieht sich durch das Wirken des Heiligen Geistes. Er macht die Apostel zu mutigen Zeugen des Auferstandenen (vgl. Ac 1,8); er ist am Werk, wenn die Apostel und ihre Nachfolger durch Handauflegung und Gebet Hirten für das Volk Gottes bestellen (vgl. Ac 20,28). Das Wirken des Geistes bewahrt die Kirche auf ihrem Weg durch die Zeit im Glauben der Apostel und in der Gemeinschaft mit Christus. So erschließt sich die theologische Bedeutung dessen, was wir mit dem Wort Tradition meinen; das ist nicht Übermittlung von irgendwelchen Wörten oder Sachen, sondern es ist die lebendige Gegenwart, der Strom der lebendigen Gegenwart des verherrlichten Herrn Jesus Christus, der sein Volk durch den Heiligen Geist und durch den Dienst der von ihm eingesetzten Hirten beständig leitet und führt, alle Tage er selbst unser Hirte ist.
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Herzlich heiße ich die Pilger und Besucher deutscher Sprache willkommen und grüße heute besonders die Wallfahrer aus dem Erzbistum München und Freising angeführt von ihrem Erzbischof, meinem Nachfolger auf dem Stuhl des hl. Korbinian, Kardinal Wetter. Herzlich willkommen alle! Die Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus mache euch zu unermüdlichen Zeugen seiner Liebe zu den Menschen. Dabei stärke und begleite euch der Heilige Geist.



Mittwoch, 3. Mai 2006

30506

Liebe Brüder und Schwestern!

In diesen Katechesen wollen wir ein wenig verstehen, was die Kirche ist. Das letzte Mal haben wir über das Thema der apostolischen Tradition nachgedacht. Wir haben gesehen, daß sie keine Ansammlung von Dingen oder Worten ist, kein Behältnis für tote Dinge; die Tradition ist der Fluß des neuen Lebens, der von den Ursprüngen kommt, von Christus bis zu uns, und uns in die Geschichte Gottes mit der Menschheit einbindet. Dieses Thema der Tradition ist so wichtig, daß ich heute noch einmal dabei verweilen möchte: Es ist nämlich von großer Bedeutung für das Leben der Kirche. Das Zweite Vatikanische Konzil hat diesbezüglich hervorgehoben, daß die Tradition vor allem in ihrem Ursprung »apostolisch« ist: »Was Gott zum Heil aller Völker geoffenbart hatte, das sollte - so hat er in Güte verfügt - für alle Zeiten unversehrt erhalten bleiben und allen Geschlechtern weitergegeben werden. Darum hat Christus der Herr, in dem die ganze Offenbarung des höchsten Gottes sich vollendet (vgl.
2Co 1,20 3,16-4,6), den Aposteln geboten, das Evangelium […] allen zu predigen als die Quelle jeglicher Heilswahrheit und Sittenlehre und ihnen so göttliche Gaben mitzuteilen« (Dogmatische Konstitution Dei Verbum DV 7). Das Konzil hält weiter fest, daß diese Aufgabe »durch die Apostel, die durch mündliche Predigt, durch Beispiel und Einrichtungen weitergaben, was sie aus Christi Mund, im Umgang mit ihm und durch seine Werke empfangen oder was sie unter der Eingebung des Heiligen Geistes gelernt hatten«, treu ausgeführt worden sei (ebd.). Mit den Aposteln, fügt das Konzil hinzu, arbeiteten auch Männer aus ihrem Umkreis zusammen, »die unter der Inspiration des gleichen Heiligen Geistes die Botschaft vom Heil niederschrieben« (ebd.).

Als Häupter des endzeitlichen Israel - auch sie zwölf an der Zahl wie die Stämme des auserwählten Volkes - setzen die Apostel die vom Herrn begonnene »Sammlung« fort, und sie tun dies vor allem, indem sie die empfangene Gabe, die Frohe Botschaft vom Reich, das in Jesus Christus zu den Menschen gekommen ist, treu weitergeben. Ihre Zahl bringt nicht nur die Kontinuität mit der heiligen Wurzel, dem Israel der zwölf Stämme, zum Ausdruck, sondern auch die universale Bestimmung ihres Dienstes, Boten des Heils zu sein bis an die äußersten Grenzen der Erde. Das kann man aus dem symbolischen Wert ersehen, den die Zahlen in der semitischen Welt besitzen: Die Zwölf ergibt sich aus der Multiplikation der Drei, der vollkommenen Zahl, mit der Vier, der Zahl, die auf die vier Himmelsrichtungen und somit auf die gesamte Welt verweist.

Die durch die Verkündigung des Evangeliums entstandene Gemeinde versteht sich als eine Gemeinschaft, die durch das Wort derer zusammengerufen wurde, die als erste den Herrn erfahren hatten und von ihm ausgesandt wurden. Sie weiß, daß sie auf die Führung der Zwölf ebenso zählen kann wie auf die Führung derjenigen, die ihnen im Laufe der Zeit als ihre Nachfolger im Dienst am Wort und im Dienst an der Gemeinschaft folgen. Die Gemeinde fühlt sich daher verpflichtet, die »Frohe Botschaft« der aktuellen, im Heiligen Geist wirksamen Gegenwart des Herrn und seines Ostergeheimnisses an die anderen weiterzugeben. Das wird an einigen Stellen der paulinischen Briefe hervorgehoben: »Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe« (1Co 15,3). Und das ist wichtig. Der hl. Paulus, der, wie man weiß, ursprünglich persönlich von Christus berufen wurde, ist ein wahrer Apostel, und dennoch zählt auch für ihn grundlegend die Treue zu dem, was er empfangen hat. Er wollte kein neues, sozusagen »paulinisches« Christentum »erfinden«. Deshalb bestand er darauf: »Vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe«. Er hat das Ursprungsgeschenk überliefert, das vom Herrn kommt und die Wahrheit ist, die rettet. Am Ende seines Lebens schreibt er dann an Timotheus: »Bewahre das dir anvertraute kostbare Gut durch die Kraft des Heiligen Geistes, der in uns wohnt« (2Tm 1,14). Das zeigt auf wirksame Weise auch das folgende antike christliche Glaubenszeugnis, das von Tertullian um das Jahr 200 niedergeschrieben wurde: »(Die Apostel) bezeugten zuerst in Judäa den Glauben an Jesus Christus und gründeten Gemeinden. Und als sie sich bald darauf über die ganze Welt verbreiteten, verkündeten sie dieselbe Lehre und denselben Glauben den Völkern und gründeten in jeder Stadt Gemeinden. Von diesen entliehen dann die anderen Gemeinden den Ableger ihres Glaubens und die Samenkörner der Lehre und entleihen sie beständig weiter, um wirklich Gemeinden zu sein. Dadurch werden auch sie als Abkömmlinge der Gemeinden der Apostel wie apostolische Gemeinden angesehen« (De praescriptione haereticorum, 20: PL 2,32).

Das Zweite Vatikanische Konzil kommentiert: »Was von den Aposteln überliefert wurde, umfaßt alles, was dem Volk Gottes hilft, ein heiliges Leben zu führen und den Glauben zu mehren. So führt die Kirche in Lehre, Leben und Kult durch die Zeiten weiter und übermittelt allen Geschlechtern alles, was sie selber ist, alles, was sie glaubt« (Dogmatische Konstitution Dei Verbum DV 8). Die Kirche überliefert all das, was sie ist und glaubt. Sie überliefert es im Gottesdienst, im Leben, in der Lehre. Die Tradition ist also das lebendige Evangelium, das von den Aposteln in seiner Integrität auf der Grundlage der Fülle ihrer einzigartigen und unwiederholbaren Erfahrung verkündet wurde: Durch sie wird der Glaube den anderen Menschen übermittelt - bis zu uns, bis zum Ende der Welt. Die Tradition ist deshalb die Geschichte des Heiligen Geistes, der in der Geschichte der Kirche durch die Vermittlung der Apostel und ihrer Nachfolger in treuer Kontinuität mit der Erfahrung der Anfänge wirkt. So präzisiert der heilige Papst Clemens von Rom am Ende des ersten Jahrhunderts: »Die Apostel«, so schreibt er, »die vom Herrn Jesus Christus gesandt worden waren, haben uns das Evangelium verkündet; Jesus Christus aber wurde von Gott gesandt. Christus kommt also von Gott, die Apostel von Christus: Beide gehen ordnungsgemäß vom Willen des Vaters aus… Unsere Apostel erhielten durch unseren Herrn Jesus Christus Kenntnis davon, daß um die Bischofswürde Streitigkeiten entstehen würden. In genauer Voraussicht dessen, was eintreten würde, setzten sie deshalb die Gewählten ein und erteilten ihnen die Weisung, daß im Fall ihres Todes andere erprobte Männer ihren Dienst übernehmen sollten« (Ad Corinthios, 42.44: ).

Diese Kette des Dienstes reicht bis in die heutige Zeit und wird bis zum Ende der Welt andauern. Denn der Auftrag, den Jesus den Aposteln erteilt hatte, wurde von ihnen an ihre Nachfolger weitergeben. Über die Erfahrung des persönlichen Kontakts mit Christus hinaus - eine einzigartige und unwiederholbare Erfahrung - haben die Apostel die vom Meister erhaltene hohe Sendung in die Welt auf ihre Nachfolger übertragen. Die Bezeichnung »Apostel« kommt vom griechischen Wort »apostéllein«, was »senden« heißt. Die apostolische Sendung schließt - wie der Text von Mt 28,19f. zeigt - einen pastoralen (»Macht alle Menschen zu meinen Jüngern«), einen liturgischen (»tauft sie…«) und einen prophetischen Dienst (»lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe«) ein, der durch die Nähe des Herrn bis zum Ende der Zeiten gewährleistet ist (»Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt«). So machen auch wir, auf eine andere Weise als die Apostel, eine wahre und persönliche Erfahrung der Gegenwart des auferstandenen Herrn. Durch den apostolischen Dienst ist es also Christus selbst, der zu dem kommt, der zum Glauben berufen ist. Der Abstand der Jahrhunderte ist überwunden, und der Auferstandene bringt sich, lebendig und wirksam, für uns im Heute der Kirche und der Welt dar. Das ist unsere große Freude. Im lebendigen Fluß der Tradition ist Christus nicht zweitausend Jahre entfernt, sondern wirklich unter uns gegenwärtig und schenkt uns die Wahrheit, schenkt uns das Licht, das uns leben und den Weg in die Zukunft finden läßt.

In der heutigen Katechese werfen wir nochmals einen Blick auf die apostolische Überlieferung, denn dieses Thema ist von weitreichender Bedeutung für das Leben der Kirche. Was Gott zum Heil aller Völker offenbart hat, will er auch zu allen Zeiten an die Menschen weitergeben. Darum, so erklärt das II. Vatikanische Konzil, hat „Christus den Aposteln geboten, das Evangelium (…) allen zu predigen als die Quelle jeglicher Heilswahrheit und Sittenlehre …“ (Dei Verbum DV 7). Die Apostel wurden von Männern aus ihrem Umkreis unterstützt, die „unter der Inspiration des gleichen Heiligen Geistes die Botschaft vom Heil niederschrieben“ (ebd.).

Das Wort Apostel bedeutet „Gesandter“ - einer, der in allem und für alle den Aussendenden vertritt. Kraft ihrer einzigartigen Begegnung mit Christus rufen die Apostel eine Gemeinschaft zusammen: es ist die Kirche, in der die Verkündigung des Evangeliums durch die Mittlerschaft der Apostel und ihrer Nachfolger lebendig bleibt. Auf Jesu Wort hin machen sie Menschen zu Jüngern, sie taufen sie und lehren sie, die Gebote zu befolgen (vgl. Mt 28,19). So sieht sich die Kirche stets in der Pflicht, die „Gute Nachricht“ der authentischen Gegenwart des Herrn und seines Ostergeheimnisses durch die Zeiten weiterzugeben. Dabei führt und begleitet sie der Heilige Geist.
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Frohen Herzens grüße ich alle deutschsprachigen Gäste. Heute heiße ich besonders die Pilger vom Bund katholischer Unternehmer und die Journalistengruppe aus Bayern willkommen. Euch alle ermuntere ich, Christi Wort und Beispiel in der Welt lebendig zu halten und Boten seines Friedens für alle Menschen zu werden. Die Freude des Heiligen Geistes begleite euch durch die Zeit. Euch allen einen schönen und gesegneten Aufenthalt hier in Rom!



Mittwoch, 10. Mai 2006

10056
Liebe Brüder und Schwestern!


Bei den letzten beiden Audienzen haben wir über die Bedeutung der Tradition in der Kirche nachgedacht und gesehen, daß sie die ständige Gegenwart des Wortes und des Lebens Jesu in seinem Volk ist. Aber um gegenwärtig zu sein, braucht das Wort eine Person, einen Zeugen. Und so entsteht dieses wechselseitige Verhältnis: Einerseits braucht das Wort die Person, aber andererseits ist die Person, der Zeuge, an das Wort gebunden, das ihm anvertraut ist und nicht von ihm erfunden wurde. Dieses wechselseitige Verhältnis des Inhalts - dem Wort Gottes, dem Leben des Herrn - und der Person, die es weitergibt, ist ein Wesensmerkmal der Struktur der Kirche. Und so wollen wir heute über diesen personalen Aspekt der Kirche nachdenken.

Der Herr hatte diesen, wie wir gesehen haben, eingeführt, als er die Zwölf zusammenrief, in denen das künftige Volk Gottes repräsentiert war. In Treue zu dem Auftrag, den sie vom Herrn empfangen haben, vervollständigen die Zwölf nach dessen Himmelfahrt zunächst ihre Zahl durch die Wahl des Matthias an Stelle des Judas (vgl.
Ac 1,15-26); dann haben sie nach und nach andere an den ihnen übertragenen Aufgaben teilnehmen lassen, damit sie ihren Dienst weiterführen. Der Auferstandene selbst beruft Paulus (vgl. Ga 1,1), aber Paulus, obgleich vom Herrn selbst zum Apostel berufen, vergleicht seine Verkündigung mit dem Evangelium der Zwölf (vgl. ebd., 1,18) und trägt Sorge, das weiterzugeben, was er empfangen hat (vgl. 1Co 11,23 15,3-4). Bei der Verteilung der missionarischen Aufgaben wird Paulus in die Reihe der Apostel aufgenommen, zusammen mit anderen, zum Beispiel mit Barnabas (vgl. Ga 2,9). So wie am Anfang des Apostelstandes eine Berufung und Sendung durch den Auferstandenen steht, so wird die nachfolgende Berufung und Sendung anderer in der Kraft des Heiligen Geistes durch den erfolgen, der bereits in das apostolische Amt eingesetzt worden ist. Das ist der Weg, auf dem dieses Amt fortdauern wird, das dann ab der zweiten Generation Bischofsamt, »episkopé«, heißen wird.

Es ist vielleicht nützlich, kurz zu erklären, was »vescovo« [auf deutsch: Bischof] bedeutet. Es handelt sich um die italienische Form des griechischen Wortes »epískopos«. Dieser Begriff bezeichnet jemanden, der die Dinge von oben betrachtet, der mit dem Herzen schaut. So nennt der hl. Petrus selbst in seinem ersten Brief den Herrn Jesus »Hirt und Bischof eurer Seelen« (2,25). Und nach diesem Vorbild des Herrn, der der erste Bischof und Hirt der Seelen ist, haben sich die Nachfolger der Apostel dann Bischöfe, »epískopoi«, genannt. Ihnen ist das Amt der »episkopé« anvertraut. Genau diese Aufgabe des Bischofs wird sich im Vergleich zu den Anfängen allmählich weiter entwickeln, um schließlich die - bereits bei Ignatius von Antiochien am Beginn des 2. Jahrhunderts (vgl. Ad Magnesios, 6,1: ) klar bezeugte - Gestalt des dreifachen Amtes anzunehmen: Bischof, Priester und Diakon. Diese Entwicklung geschah unter der Führung des Geistes Gottes, welcher der Kirche bei der Unterscheidung der wahren Formen der apostolischen Nachfolge hilft. Sie werden inmitten einer Vielfalt von Erfahrungen und charismatischen sowie amtlichen Ausdrucksformen, wie sie in den Urgemeinden vorhanden waren, immer besser definiert.

Somit erscheint die Nachfolge im Bischofsamt als Kontinuität des apostolischen Dienstes, als Garantie für das Festhalten an der apostolischen Tradition - Wort und Leben -, die uns vom Herrn anvertraut worden ist. Das Band zwischen dem Bischofskollegium und der Urgemeinde der Apostel ist vor allem in der Linie der historischen Kontinuität zu verstehen. Wie wir gesehen haben, wird den Zwölfen zuerst Matthias zugerechnet, dann Paulus, dann Barnabas, dann weitere, bis sich in der zweiten und dritten Generation das Amt des Bischofs herausbildet. In dieser historischen Kette kommt also die Kontinuität zum Ausdruck. Und in der Kontinuität der Nachfolge liegt die Garantie für das Ausharren des Apostelkollegiums, das Christus um sich versammelt hat, in der kirchlichen Gemeinschaft. Aber diese Kontinuität, die wir zunächst in der historischen Kontinuität der Ämter sehen, ist auch im geistlichen Sinn zu verstehen, weil die apostolische Nachfolge im Amt als bevorzugter Ort des Wirkens und der Weitergabe des Heiligen Geistes betrachtet wird. Ein deutliches Echo dieser Überzeugungen findet sich zum Beispiel in dem folgenden Text des Irenäus von Lyon (2. Hälfte des 2. Jahrhunderts): »Die in der ganzen Welt sichtbare Tradition der Apostel zeigt sich in jeder Kirche all denen, die die Wahrheit sehen wollen, und wir können die Bischöfe aufzählen, die von den Aposteln in den einzelnen Kirchen eingesetzt wurden, und ihre Nachfolger bis zu uns … (Die Apostel) wollten in der Tat, daß diejenigen, die sie als ihre Nachfolger zurückließen, indem sie ihnen die eigene Sendung der Lehre übertrugen, in allem absolut vollkommen und ohne Tadel seien. Wenn sie richtig verstanden hätten, so hätten sie weiterhin große Vorteile geerntet; wenn sie gefehlt hätten, so hätten sie einen sehr großen Schaden erlitten« (Adversus haereses, III, 3,1: ).

Irenäus, der hier auf dieses Netz der apostolischen Nachfolge als Garantie für das Verbleiben im Wort des Herrn hinweist, richtet dann seine Aufmerksamkeit auf jene »höchste und älteste und allen bekannte« Kirche, die »von den beiden glorreichsten Aposteln Petrus und Paulus in Rom gegründet und eingerichtet worden ist«, wobei er die Glaubenstradition hervorhebt, die in ihr durch die Nachfolge der Bischöfe von den Aposteln bis zu uns gelangt. Für Irenäus und die universale Kirche wird auf diese Weise die bischöfliche Nachfolge der Kirche Roms Zeichen, Kriterium und Garantie für die ununterbrochene Weitergabe des apostolischen Glaubens: »Aufgrund ihrer besonderen Vorrangigkeit (›propter potiorem principalitatem‹) muß mit dieser Kirche jede Kirche in Einklang stehen, das heißt die Gläubigen überall auf der Welt, weil in ihr die Tradition der Apostel immer bewahrt worden ist…« (Adversus haereses, III, 3,2: ). Die apostolische Sukzession, die auf der Grundlage der Gemeinschaft mit der Kirche Roms beglaubigt wird, ist also das Kriterium dafür, daß die einzelnen Kirchen in der Tradition des gemeinsamen apostolischen Glaubens verbleiben, der durch diesen Kanal vom Ursprung bis zu uns gelangen konnte: »Durch diese Ordnung und durch diese Sukzession sind die Tradition, die in der Kirche seit den Aposteln vorhanden ist, und die Verkündigung der Wahrheit bis zu uns gelangt. Und das ist der vollständigste Beweis dafür, daß der Glaube der eine und derselbe lebendig machende Glaube ist, der von den Aposteln herkommt, der in der Wahrheit bewahrt und weitergegeben worden ist« (ebd., III, 3,3: ).

Nach diesen Zeugnissen der frühen Kirche besteht die Apostolizität der kirchlichen Gemeinschaft in der Treue zur Lehre und Praxis der Apostel, durch die die historische und geistige Einheit der Kirche mit Christus sichergestellt ist. Die apostolische Nachfolge des Bischofsamtes ist der Weg, der die getreue Weitergabe des apostolischen Zeugnisses garantiert. Was die Apostel in der Beziehung zwischen dem Herrn Jesus und der Kirche des Ursprungs darstellen, das stellt in analoger Weise die Nachfolge des apostolischen Amtes in der Beziehung zwischen der Kirche des Ursprungs und der heutigen Kirche dar. Es ist keine rein materielle Verkettung; es ist vielmehr das historische Werkzeug, dessen sich der Heilige Geist bedient, um den Herrn Jesus, Haupt seines Volkes, durch all jene gegenwärtig zu machen, die durch die Handauflegung und das Gebet der Bischöfe für das Amt geweiht worden sind. Durch die apostolische Sukzession ist es also Jesus Christus, der zu uns kommt: Er ist es, der im Wort der Apostel und ihrer Nachfolger zu uns spricht; er ist es, der durch ihre Hände in den Sakramenten wirkt; in ihrem Blick ist es sein Blick, der uns umfängt und uns spüren läßt, daß wir geliebt werden und im Herzen Gottes angenommen sind. Und auch heute, wie am Anfang, ist Christus selbst der wahre Hirt und Hüter unserer Seelen, dem wir mit großem Vertrauen, voll Dankbarkeit und Freude folgen.

Die Kirche hat ihren Ursprung im Willen und im historischen Wirken Christi, der die Apostel um sich gesammelt und sie mit seiner Vollmacht als Hirten der Kirche eingesetzt hat. Die Zwölf berufen ihrerseits weitere Männer und senden sie aus, damit sie in der Kraft des Geistes Aufgaben der missionarischen Verkündigung und der Gemeindeleitung übernehmen. Auch der vom Auferstandenen selbst berufene Apostel Paulus übt seinen Dienst in Übereinstimmung mit den übrigen Aposteln aus. Unter der Führung des Geistes Gottes nimmt so das von Christus begründete kirchliche Amt der Bischöfe, Priester und Diakone konkrete Formen an.

Die apostolische Sukzession, die ununterbrochene Kette der Inhaber des Bischofsamtes, verbindet die Kirche unserer Zeit auf historische und auf geistliche Weise mit dem Apostelkollegium des Ursprungs. Sie gibt die Garantie für das treue Festhalten an Worten und Werken der Apostel und damit an Jesus Christus selbst. Der Heilige Geist bewirkt, daß in den jeweils von ihren Vorgängern geweihten Bischöfen Christus selbst als Haupt und Hirte seines Volkes gegenwärtig ist.
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Als Bischof der Kirche von Rom, die auf dem Fundament der Apostel Petrus und Paulus gegründet ist und in der durch Gottes Gnade die apostolische Tradition immer bewahrt wurde, begrüße ich euch alle, liebe Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern. Danken wir Christus für das Geschenk der Kirche, für die Worte, die er durch ihre Hirten an uns richtet, und für die Sakramente, mit denen er uns heiligt. Euch allen wünsche ich einen gesegneten Tag!




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