Generalaudienzen 2005-2013 25106

Mittwoch, 25. Oktober 2006: Paulus von Tarsus

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Liebe Brüder und Schwestern!

Wir haben unsere Betrachtungen zu den zwölf Aposteln, die von Jesus während seines Lebens auf Erden berufen worden sind, abgeschlossen. Heute beginnen wir, uns den Gestalten anderer wichtiger Persönlichkeiten der Urkirche zuzuwenden. Auch sie haben ihr Leben für den Herrn, für das Evangelium und für die Kirche hingegeben. Es handelt sich um Männer und auch um Frauen, die, wie Lukas in der Apostelgeschichte schreibt, »für den Namen Jesu Christi, unseres Herrn, ihr Leben eingesetzt haben« (
Ac 15,26).

Der erste von ihnen, der vom auferstandenen Herrn selbst dazu berufen wurde, auch ein wahrer Apostel zu sein, ist zweifellos Paulus von Tarsus. Er leuchtet in der Kirchengeschichte wie ein Stern erster Größe, und dies nicht nur in der Geschichte der Urkirche. Der hl. Johannes Chrysostomos preist ihn als eine Persönlichkeit, die sogar viele Engel und Erzengel übertrifft (vgl. Panegyrikos 7,3). Dante Alighieri läßt sich vom Bericht des Lukas in der Apostelgeschichte (vgl. Ac 9,15) inspirieren, wenn er ihn in der Göttlichen Komödie »vaso di elezione - Gefäß der Erwählung« nennt (Hölle 2,28), was »von Gott auserwähltes Werkzeug« bedeutet. Andere haben ihn den »dreizehnten Apostel« genannt - und in der Tat besteht er selbst nachdrücklich darauf, ein echter Apostel zu sein, da er vom Auferstandenen berufen wurde - oder sogar »der Erste nach dem Einzigen«. Sicher ist er in der Anfangszeit der Kirche nach Jesus die Persönlichkeit, über die wir am meisten wissen. Wir besitzen nämlich nicht nur den Bericht des Lukas über ihn in der Apostelgeschichte, sondern auch eine Reihe von Briefen, die direkt aus seiner Hand stammen und uns unmittelbar seine Persönlichkeit und sein Denken enthüllen. Lukas teilt uns mit, daß sein ursprünglicher Name »Saulus« lautete (vgl. Ac 7,58 Ac 8,1 usw. ), auf hebräisch »Saul« (vgl. Ac 9,4 Ac 9,17 Ac 22,7 Ac 22,13 Ac 26,14), wie König Saul (vgl. Ac 13,21), und daß er ein Diasporajude war, da die Stadt Tarsus an der Grenze zwischen Anatolien und Syrien lag. Er war bereits sehr früh nach Jerusalem gegangen, um zu Füßen des großen Rabbi Gamaliël das mosaische Gesetz genau zu studieren (vgl. Ac 22,3). Er hatte auch ein grobes Handwerk gelernt, das des Zeltmachers (vgl. Ac 18,3), was ihm später ermöglichen sollte, persönlich für seinen Lebensunterhalt aufzukommen, ohne den Gemeinden zur Last zu fallen (vgl. Ac 20,34 1Co 4,12 2Co 12,13-14).

Es war für ihn ein entscheidender Moment, als er die Gemeinschaft derer kennenlernte, die sich als Jünger Jesu bekannten. Von ihnen erfuhr er von einem neuen Glauben - einem neuen »Weg«, wie man sagte -, der nicht so sehr das Gesetz Gottes in den Mittelpunkt stellte, als vielmehr die Person des gekreuzigten und auferstandenen Jesus, mit dem nun die Vergebung der Sünden verbunden wurde. Als eifernder Jude hielt Saulus diese Botschaft für unannehmbar, ja für skandalös und fühlte sich daher verpflichtet, die Anhänger Christi auch außerhalb Jerusalems zu verfolgen. Zu Beginn der Dreißigerjahre des ersten Jahrhunderts wurde Saulus auf dem Weg nach Damaskus nach seinen eigenen Worten »von Christus ergriffen« (Ph 3,12). Während Lukas in allen Einzelheiten von der Begebenheit berichtet - wie das Licht des Auferstandenen Saulus berührt und sein ganzes Leben von Grund auf verändert habe -, geht er selbst in seinen Briefen sofort auf das Wesentliche ein und spricht nicht nur von einer Vision (vgl. 1Co 9,1), sondern von einer Erleuchtung (vgl. 2Co 4,6) und vor allem von einer Offenbarung und Berufung in der Begegnung mit dem Auferstandenen (vgl. Ga 1,15-16). Tatsächlich wird er sich ausdrücklich als »berufener Apostel« (vgl. Rm 1,1 1Co 1,1) oder »Apostel durch Gottes Willen« (2Co 1,1 Ep 1,1 Col 1,1) bezeichnen, um damit gleichsam zu betonen, daß seine Bekehrung nicht das Ergebnis eines Denk- und Reflexionsprozesses war, sondern die Frucht eines göttlichen Eingreifens, einer unvorhersehbaren göttlichen Gnade.

Von da an wurde nach seinen eigenen Worten alles, was vorher für ihn einen Gewinn darstellte, paradoxerweise zu Verlust und Unrat (vgl. Ph 3,7-10). Und von jenem Augenblick an stellte er alle seine Kräfte ausschließlich in den Dienst Jesu Christi und seines Evangeliums. Nun wird sein Leben das eines Apostels, der vorbehaltlos »allen alles werden« möchte (vgl. 1Co 9,22). Daraus ergibt sich für uns eine sehr wichtige Lehre: Das, worauf es ankommt, ist, Jesus Christus in den Mittelpunkt des eigenen Lebens zu stellen, so daß unsere Identität im wesentlichen von der Begegnung, von der Gemeinschaft mit Christus und seinem Wort geprägt wird. In seinem Licht wird jeder andere Wert bewahrt und gleichzeitig von möglicherweise vorhandenen Unreinheiten befreit. Eine andere grundlegende Lehre, die uns Paulus vermittelt, ist der universale Atem, der sein Apostolat auszeichnet. Als besonders dringlich empfand er das Problem des Zugangs der Heiden zu Gott, der in dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus allen Menschen ohne Ausnahme das Heil anbietet. Deshalb widmete er sich selbst der Aufgabe, dieses Evangelium, wörtlich die »gute Botschaft«, bekannt zu machen, das heißt die Botschaft der Gnade, die dazu bestimmt ist, den Menschen mit Gott, mit sich selbst und mit den anderen zu versöhnen. Er hatte vom ersten Augenblick an verstanden, daß dies eine Wirklichkeit ist, die nicht nur die Juden betraf oder eine bestimmte Personengruppe, sondern daß sie universale Bedeutung hatte und alle betraf, weil Gott der Gott aller ist. Ausgangspunkt für seine Reisen war die Gemeinde von Antiochia in Syrien, wo zum ersten Mal das Evangelium den Griechen verkündet wurde und wo auch der Name »Christen« geprägt wurde (vgl. Ac 11,20 Ac 11,26), mit dem die gemeint sind, die an Christus glauben. Von dort brach er zunächst nach Zypern auf und reiste danach mehrmals in die Regionen Kleinasiens (Pisidien, Lykaonien, Galatien) und später nach Europa (Mazedonien, Griechenland). Die wichtigsten Städte waren Ephesus, Philippi, Thessalonich, Korinth, nicht zu vergessen Beröa, Athen und Milet.

Das Apostolat des Paulus blieb nicht verschont von Schwierigkeiten, die er aus Liebe zu Christus mutig auf sich nahm. Er erwähnt selbst, daß er »Mühsal ertrug …, im Gefängnis war …, geschlagen wurde, oft in Todesgefahr war…: dreimal wurde ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch… Ich war oft auf Reisen, gefährdet durch Flüsse, gefährdet durch Räuber, gefährdet durch das eigene Volk, gefährdet durch Heiden, gefährdet in der Stadt, gefährdet in der Wüste, gefährdet auf dem Meer, gefährdet durch falsche Brüder. Ich erduldete Mühsal und Plage, durchwachte viele Nächte, ertrug Hunger und Durst, häufiges Fasten, Kälte und Blöße. Um von allem andern zu schweigen, weise ich noch auf den täglichen Andrang zu mir und die Sorge für alle Gemeinden hin« (2Co 11,23-38). Aus einem Abschnitt des Römerbriefes (vgl. 15,24. 28) geht seine Absicht hervor, bis nach Spanien, zur äußersten Grenze des Abendlandes, zu gelangen, um überall, bis an die Grenzen der damals bekannten Welt, das Evangelium zu verkünden. Wie sollte man einen solchen Mann nicht bewundern? Wie sollte man dem Herrn nicht dafür danken, daß er uns einen Apostel von diesem Format geschenkt hat? Es ist klar, daß es ihm nicht möglich gewesen wäre, so schwierigen und manchmal verzweifelten Situationen entgegenzutreten, wenn es nicht einen Grund von absolutem Wert gegeben hätte, angesichts dessen keine Grenze für unüberwindbar gehalten werden konnte. Für Paulus ist dieser Grund, wie wir wissen, Jesus Christus, von dem er schreibt: »Denn die Liebe Christi drängt uns …, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie« - für uns, für alle - »starb und auferweckt wurde« (2Co 5,14-15).

In der Tat wird der Apostel unter Kaiser Nero hier in Rom, wo wir seine sterblichen Überreste bewahren und verehren, das äußerste Zeugnis des Blutes ablegen. So schrieb über ihn Clemens von Rom, mein Vorgänger auf diesem Apostolischen Stuhl am Ende des ersten Jahrhunderts: »Wegen Eifersucht und Streit hat Paulus den Beweis seiner Ausdauer erbracht… Er hatte die ganze Welt Gerechtigkeit gelehrt, war bis in den äußersten Westen vorgedrungen und hatte vor den Machthabern sein Zeugnis abgelegt, so wurde er weggenommen von dieser Welt und ging ein in den heiligen Ort, das größte Beispiel der Geduld« (An die Korinther, 5). Der Herr helfe uns, die Aufforderung in die Tat umzusetzen, die uns der Apostel in seinen Briefen hinterlassen hat: »Nehmt mich zum Vorbild, wie ich Christus zum Vorbild nehme« (1Co 11,1).

Nach den Katechesen über die zwölf von Jesus direkt berufenen Apostel wenden wir uns nun in den Mittwochsaudienzen einigen anderen bedeutenden Gestalten der Urkirche zu. Unter ihnen ragt ohne Zweifel Paulus von Tarsus hervor. Seine Persönlichkeit und sein Denken kennen wir aus der Apostelgeschichte und vor allem aus seinen zahlreichen Briefen im Neuen Testament. Paulus - ursprünglich hieß er Saulus und war von Beruf Zeltmacher - stammte aus der Stadt Tarsus in der jüdischen Diaspora und war ein Schüler des berühmten Schriftgelehrten Gamaliël in Jerusalem. Als Eiferer für den Glauben der Väter verfolgte er zunächst die Anhänger Jesu. Doch die Begegnung mit Christus, das Berufungserlebnis auf dem Weg nach Damaskus hat das Leben des Saulus radikal verändert. Der Herr hat gerade ihn, den Verfolger der ersten Christen, zu seinem Werkzeug auserwählt, damit er den Völkern das Evangelium bringe. Die Liebe Christi machte den Saulus zum Paulus; der so zum Apostel Berufene stellte sein ganzes Leben in den Dienst Jesu und der Frohen Botschaft. Unermüdlich und unter allerlei Schwierigkeiten und Verfolgungen verkündete er auf seinen Missionsreisen den Heiden das Heil, das uns im gekreuzigten und auferstandenen Christus geschenkt ist. Und diesen Glauben hat Paulus mit seinem Blutzeugnis hier in Rom besiegelt.
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Einen herzlichen Willkommensgruß richte ich an alle Pilger und Besucher deutscher Sprache. Der Apostel Paulus hat alles aufgegeben für Christus, den er als den wirklichen Gewinn erkannt hat. Seine Einladung, die er nicht nur an die Leser seiner Briefe, sondern an die Christen aller Zeiten gerichtet hat, wollen wir mit Gottes Hilfe aufnehmen: "Nehmt mich zum Vorbild, wie ich Christus zum Vorbild nehme" (1Co 11,1). Die Begegnung mit den Heiligen hier in Rom stärke euren Glauben. Euch allen wünsche ich gesegnete Zeit!



Mittwoch, 8. November 2006: Das neue Leben in Christus - Leitgedanke der Paulus-Briefe

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Liebe Brüder und Schwestern!

In der letzten Katechese vor vierzehn Tagen habe ich versucht, die wesentlichen Züge der Biographie des Apostels Paulus nachzuzeichnen. Wir haben gesehen, wie die Begegnung mit Christus auf der Straße nach Damaskus sein Leben buchstäblich »revolutioniert« hat. Christus wurde der Sinn seines Daseins und der tiefe Beweggrund für seine ganze apostolische Arbeit. Nach dem Namen Gottes, der über 500mal vorkommt, wird in seinen Briefen am häufigsten der Name Christi genannt (380mal). Es ist daher wichtig, daß wir uns bewußt werden, wie sehr Jesus Christus das Leben eines Menschen und auch unser eigenes Leben prägen kann. Tatsächlich ist Jesus Christus der Höhepunkt der Heilsgeschichte und daher der wirklich entscheidende Punkt auch im Dialog mit den anderen Religionen.

Im Hinblick auf Paulus könnten wir die grundlegende Frage folgendermaßen formulieren: Wie vollzieht sich die Begegnung eines Menschen mit Christus? Und worin besteht die daraus erwachsende Beziehung? In der Antwort, die Paulus gibt, lassen sich zwei verschiedene Momente wahrnehmen. An erster Stelle hilft uns Paulus, den absolut grundlegenden und unersetzlichen Wert des Glaubens zu verstehen. So schreibt er im Brief an die Römer: »Denn wir sind der Überzeugung, daß der Mensch gerecht wird durch Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes« (3,28). Und ebenso auch im Brief an die Galater: »Weil wir aber erkannt haben, daß der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir dazu gekommen, an Christus Jesus zu glauben, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus, und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht« (2,16). »Gerecht werden« heißt »gerecht gemacht werden«, also angenommen zu sein von der barmherzigen Gerechtigkeit Gottes, mit ihm in Gemeinschaft zu treten und infolgedessen eine viel authentischere Beziehung zu allen unseren Brüdern herstellen zu können, auf der Grundlage einer vollkommenen Vergebung unserer Sünden. Paulus sagt also in aller Deutlichkeit, daß dieser Daseinszustand nicht von etwaigen guten Werken unsererseits abhängt, sondern rein von der Gnade Gottes: »Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus« (
Rm 3,24).

Mit diesen Worten bringt der hl. Paulus den grundlegenden Inhalt seiner Bekehrung zum Ausdruck, die neue Ausrichtung seines Lebens, die seiner Begegnung mit dem auferstandenen Christus entspringt. Vor seiner Bekehrung war Paulus keineswegs ein Mensch, der Gott und seinem Gesetz fernstand. Im Gegenteil, er war ein strenggläubiger Jude, treu gegenüber den Vorschriften bis hin zum Fanatismus. Im Licht der Begegnung mit Christus verstand er jedoch, daß er auf diese Weise versucht hatte, sich selbst und seine eigene Gerechtigkeit aufzubauen, und daß er mit dieser ganzen Gerechtigkeit nur für sich selbst gelebt hatte. Er verstand, daß eine neue Ausrichtung seines Lebens absolut notwendig war. Und diese neue Ausrichtung finden wir in seinen Worten ausgedrückt: »Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat« (Ga 2,20). Paulus lebt also nicht mehr für sich selbst und für seine Gerechtigkeit. Er lebt aus Christus und mit Christus, indem er sich selbst hingibt und nicht mehr sich selbst sucht und die eigene Person aufbaut. Das ist die neue Gerechtigkeit, die neue Ausrichtung, die uns vom Herrn und durch den Glauben geschenkt wird. Vor dem Kreuz Christi, dem höchsten Ausdruck seiner Selbsthingabe, gibt es niemanden, der sich selbst und seine eigene, selbstgemachte und für sich selbst geschaffene Gerechtigkeit rühmen könnte! An anderer Stelle erläutert Paulus diesen Gedanken, indem er in Anlehnung an Jeremia schreibt: »Wer sich also rühmen will, der rühme sich des Herrn« (1Co 1,31 vgl. Jr 9,22f.); oder: »Ich aber will mich allein des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt« (Ga 6,14).

Beim Nachdenken darüber, was Rechtfertigung - Rechtfertigung nicht durch die Werke, sondern durch den Glauben - bedeutet, sind wir somit beim zweiten Moment angelangt, das die vom hl. Paulus in seinem eigenen Leben beschriebene christliche Identität definiert. Die christliche Identität setzt sich aus zwei Elementen zusammen: sich nicht selbst zu suchen, sondern sich von Christus zu empfangen und sich mit Christus hinzugeben und so persönlich am Geschehen Christi teilzunehmen, bis hin zum Versenken in ihn und zur Teilhabe an seinem Tod ebenso wie an seinem Leben. Eben das schreibt Paulus im Brief an die Römer: Wir sind »auf seinen Tod getauft worden, … wir wurden mit ihm begraben, … mit ihm … vereinigt … So sollt auch ihr euch als Menschen begreifen, die für die Sünde tot sind, aber für Gott leben in Christus Jesus« (Rm 6,3 Rm 6,4 Rm 6,5 Rm 6,11). Gerade dieser letzte Satz ist bezeichnend: Für Paulus ist es nämlich nicht genug zu sagen, daß die Christen Getaufte oder Gläubige sind; für ihn ist es ebenso wichtig zu sagen, daß sie »in Christus Jesus« sind (vgl. auch Rm 8,1 Rm 8,2 Rm 8,39 Rm 12,5 Rm 16,3 Rm 16,7 Rm 16,10 1Co 1,2 1Co 1,3). An anderen Stellen kehrt er die Worte um und schreibt: »Christus ist in uns/euch« (vgl. Rm 8,10 2Co 13,5) oder »in mir« (Ga 2,20). Dieses gegenseitige Durchdrungensein von Christus und dem Christen, das für die Lehre des Paulus charakteristisch ist, vervollständigt das, was er über den Glauben sagt. Obwohl uns nämlich der Glaube tief mit Christus vereint, läßt er den Unterschied zwischen ihm und uns deutlich hervortreten. Aber nach Paulus gibt es im Leben des Christen auch ein Element, das wir »mystisch« nennen können, da es eine Identifizierung mit Christus unsererseits und mit uns von seiten Christi einschließt. In diesem Sinn geht der Apostel sogar soweit, unsere Leiden als »Leiden Christi«, die uns »zuteil geworden sind« (2Co 1,5) zu bezeichnen, denn »wohin wir auch kommen, immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird« (2Co 4,10).

All das müssen wir in unser Alltagsleben hineintragen, indem wir dem Beispiel des Paulus folgen, der immer mit dieser großen geistlichen Weite gelebt hat. Einerseits muß uns der Glaube in einer ständigen Haltung der Demut, ja der Anbetung und des Lobes gegenüber Gott erhalten. Was wir als Christen sind, verdanken wir nämlich nur ihm und seiner Gnade. Da nichts und niemand seinen Platz einnehmen kann, ist es daher notwendig, daß wir nichts anderem und niemandem anderen die Verehrung entgegenbringen, die wir ihm entgegenbringen. Kein Götze darf unser geistliches Universum verunreinigen, denn sonst würden wir, anstatt die erworbene Freiheit zu genießen, in eine Form entwürdigender Knechtschaft zurückfallen. Andererseits muß unsere radikale Zugehörigkeit zu Christus und die Tatsache, daß »wir in ihm sind«, uns eine Haltung vollkommenen Vertrauens und unermeßlicher Freude einflößen. Letztlich müssen wir nämlich mit dem hl. Paulus ausrufen: »Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?« (Rm 8,31). Und die Antwort darauf ist: Nichts und niemand kann »uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn« (Rm 8,39). Unser christliches Leben ist also auf den stärksten und sichersten Felsen gegründet, den man sich vorstellen kann. Und aus ihm beziehen wir unsere ganze Kraft, genau wie der Apostel schreibt: »Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt« (Ph 4,13).

Gestützt von diesen großen Empfindungen, die Paulus uns mitteilt, nehmen wir also unser Leben in Angriff, mit seinen Freuden und seinen Leiden. Wenn wir diese Empfindungen selbst erfahren, werden wir verstehen können, wie wahr das ist, was der Apostel schreibt: »Ich weiß, wem ich Glauben geschenkt habe, und ich bin überzeugt, daß er die Macht hat, das mir anvertraute Gut bis zu jenem Tag zu bewahren« (2Tm 1,12), das heißt bis zum Tag unserer endgültigen Begegnung mit Christus, dem Richter, dem Erlöser der Welt und unserem Erlöser.

Das Thema der letzten Katechese war die Bekehrung des Apostels Paulus. Auf der Straße nach Damaskus begegnet Saulus dem auferstandenen Christus und dieses Ereignis verwandelt sein Leben. Das neue Leben in Christus ist ein Leitgedanke der Paulus-Briefe. Heute wollen wir zwei Aspekte näher betrachten: den Glauben als Grundlage der neuen Existenz und die persönliche Teilhabe am Leben Jesu. Nur durch den Glauben an Jesus Christus werden wir gerecht, sagt uns Paulus (vgl. Ga 2,16). Von uns aus haben wir keinen Anspruch auf die Gnade Gottes. Denn vor dem Kreuz, dem Zeichen der selbstlosen Hingabe Christi, kann niemand selbstgerecht sein. „Wer sich rühmen will, der rühme sich des Herrn“ (1Co 1,31). Hinzu kommt das zweite Moment, das „In-Christus“-Sein. Diese „mystische“ Komponente der Teilhabe bedeutet ein Sichhineinversetzen von uns in Ihn und von Ihm in uns. Beide Aspekte beinhalten auch einen Appell: als Glaubende in einer beständigen Haltung der Demut und des Gebets Christus nachzufolgen wie auch aus der Gegenwart Christi in uns tiefes Vertrauen und Freude zu schöpfen.
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Von Herzen grüße ich alle deutschsprachigen Gäste, heute besonders den Bund der historischen Schützenbruderschaften. Bezeugt einander durch gute Taten die Liebe Gottes! Das Licht der göttlichen Wahrheit geleite euch alle Tage durch euer Leben!



Mittwoch, 15. November 2006

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Liebe Brüder und Schwestern!

Auch heute kommen wir, wie schon in den beiden vorangegangenen Katechesen, auf den hl. Paulus und sein Denken zurück. Wir haben hier einen wirklich großen Heiligen vor uns, nicht nur im Hinblick auf das konkrete Apostolat, sondern auch hinsichtlich seiner außergewöhnlich tiefen und reiche Anregungen vermittelnden theologischen Lehre. Nachdem wir das letzte Mal darüber nachgedacht haben, was Paulus über die zentrale Stellung, die Jesus Christus in unserem Glaubensleben einnimmt, geschrieben hat, wollen wir heute betrachten, was er über den Heiligen Geist und seine Gegenwart in uns lehrt; denn auch hier hat uns der Apostel etwas sehr Bedeutsames zu sagen.

Wir wissen, was der hl. Lukas bei der Beschreibung des Pfingstereignisses in der Apostelgeschichte über den Heiligen Geist sagt. Der Pfingstgeist bringt einen starken Anstoß mit sich, die Aufgabe der Mission anzunehmen, um das Evangelium auf den Straßen der Welt zu bezeugen. Tatsächlich berichtet die Apostelgeschichte von einer ganzen Reihe von Missionen, die von den Aposteln durchgeführt wurden, zuerst in Samarien, dann entlang der Küste Palästinas, dann weiter bis nach Syrien. Berichtet wird vor allem von den drei großen Missionsreisen des Paulus, wie ich schon bei einer der letzten Mittwochsaudienzen erwähnt habe. Der hl. Paulus aber spricht in seinen Briefen auch unter einem anderen Blickwinkel über den Heiligen Geist. Er beschränkt sich nicht darauf, nur die dynamische und handelnde Dimension der dritten Person der Heiligsten Dreifaltigkeit zu beschreiben, sondern er erklärt auch die Gegenwart des Geistes im Leben des Christen, dessen Identität durch ihn gekennzeichnet ist. Mit anderen Worten, Paulus denkt über den Heiligen Geist nach, indem er dessen Einfluß nicht nur auf das Handeln, sondern auch auf das Sein des Christen darlegt. In der Tat ist er es, der uns sagt, daß der Geist Gottes in uns wohnt (vgl.
Rm 8,9 1Co 3,16) und daß »Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz« sandte (Ga 4,6). Für Paulus prägt uns also der Geist bis in die innersten Tiefen unseres persönlichen Seins. Dazu einige seiner Worte, denen besondere Bedeutung zukommt: »Denn das Gesetz des Geistes und des Lebens in Christus Jesus hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes… Denn ihr habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, so daß ihr euch immer noch fürchten müßtet, sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater!« (Rm 8,2 Rm 8,15); da wir seine Kinder sind, dürfen wir zu Gott »Vater« sagen. Man sieht also deutlich, daß der Christ, noch bevor er handelt, bereits eine reiche und fruchtbare Innerlichkeit besitzt, die ihm durch die Sakramente der Taufe und der Firmung geschenkt worden ist, eine Innerlichkeit, die ihn in eine objektive und ursprüngliche Beziehung der Kindschaft gegenüber Gott stellt. Darin besteht unsere große Würde: nicht nur Ebenbild, sondern Kinder Gottes zu sein. Und das ist eine Einladung, unsere Kindschaft zu leben, uns immer mehr bewußt zu sein, daß wir Kinder in der großen Familie Gottes sind. Es ist eine Einladung, dieses objektive Geschenk in eine subjektive Wirklichkeit zu verwandeln, die für unser Denken, unser Handeln und unser Sein maßgebend ist. Gott betrachtet uns als seine Kinder, denn er hat uns zu einer Würde erhoben, die der Würde Jesu, des einzigen wahren Sohnes im vollen Sinn, ähnlich, wenn auch nicht gleich ist. In ihm wird uns die Kindschaft und die vertrauensvolle Freiheit in Beziehung zum Vater geschenkt oder auch zurückgegeben.

So entdecken wir, daß für den Christen der Geist nicht mehr nur der »Geist Gottes« ist, wie es gewöhnlich im Alten Testament heißt und im christlichen Sprachgebrauch beibehalten wird (vgl. Gn 41,38 Ex 31,3 1Co 2,11 1Co 2,12 Ph 3,3 usw.). Und ebenso wenig ist er nur ein im allgemeinen Sinne verstandener »heiliger Geist«, nach der Ausdrucksweise des Alten Testaments (vgl. Is 63,10 Is 63,11 Ps 51,13) und der Schriften des Judentums (Qumran, rabbinische Lehre). Zur Besonderheit des christlichen Glaubens gehört in der Tat das Bekenntnis einer ursprünglichen Mitteilung dieses Geistes seitens des auferstandenen Herrn, der selbst »lebendigmachender Geist« geworden ist (1Co 15,45). Gerade deshalb spricht der hl. Paulus unmittelbar vom »Geist Christi« (Rm 8,9), vom »Geist des Sohnes« (Ga 4,6) oder vom »Geist Jesu Christi« (Ph 1,19). Es ist, als wollte er sagen, daß nicht nur Gott Vater im Sohn sichtbar ist (vgl. Jn 14,9), sondern daß auch der Geist Gottes im Leben und im Wirken des gekreuzigten und auferstandenen Herrn zum Ausdruck kommt!

Und noch etwas Wichtiges lehrt uns Paulus: Er sagt, daß es ohne die Gegenwart des Geistes in uns kein echtes Gebet gibt. Er schreibt nämlich: »So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen« - wie wahr ist es doch, daß wir nicht wissen, wie wir mit Gott sprechen sollen! -, »der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können. Und Gott, der die Herzen erforscht, weiß, was die Absicht des Geistes ist: Er tritt so, wie Gott es will, für die Heiligen ein« (Rm 8,26-27). Es ist, als würde man sagen, daß der Heilige Geist, also der Geist des Vaters und des Sohnes, nunmehr wie die Seele unserer Seele ist, der geheimste Teil unseres Seins, aus dem ununterbrochen eine Bewegung des Gebets zu Gott aufsteigt, die wir nicht einmal genau bestimmen können. Der Geist, der in uns immer wach ist, gleicht nämlich unsere Mängel aus und bringt dem Vater unsere Anbetung und unsere tiefsten Wünsche dar. Natürlich erfordert das eine tiefe und lebendige Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist. Das ist eine Einladung, immer empfänglicher, immer aufmerksamer für diese Gegenwart des Geistes in uns zu sein, sie in Gebet zu verwandeln, diese Gegenwart zu spüren und so beten zu lernen - zu lernen, als Kinder im Heiligen Geist mit dem Vater zu sprechen.

Aber es gibt noch einen anderen charakteristischen Aspekt des Geistes, den uns der hl. Paulus erklärt: seine Verbindung mit der Liebe. So schreibt der Apostel: »Die Hoffnung aber läßt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist« (Rm 5,5). In meiner Enzyklika Deus caritas est habe ich einen sehr ausdrucksstarken Satz des hl. Augustinus zitiert: »Wenn du die Liebe siehst, siehst du die Heiligste Dreifaltigkeit« (), und habe weiter erklärt: »Der Geist ist nämlich die innere Kraft, die das Herz [der Gläubigen] mit dem Herzen Christi in Einklang bringt und sie bewegt, die Mitmenschen so zu lieben, wie er sie geliebt hat« (ebd.). Der Geist führt uns ein in den Rhythmus des göttlichen Lebens, das ein Leben der Liebe ist, und läßt uns so persönlich an den Beziehungen zwischen Vater und Sohn teilhaben. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß Paulus, als er die verschiedenen Früchte des Geistes aufzählt, an die erste Stelle die Liebe setzt: »Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede usw.« (Ga 5,22). Und da die Liebe von ihrem Wesen her vereint, heißt dies vor allem, daß der Geist innerhalb der christlichen Gemeinde Schöpfer von Gemeinschaft ist, wie wir zu Beginn der heiligen Messe mit einem Wort des Paulus sagen: »… die Gemeinschaft des Heiligen Geistes [das heißt, jene Gemeinschaft, die von ihm bewirkt wird] sei mit euch« (2Co 13,13). Andererseits ist es jedoch auch wahr, daß uns der Geist dazu anspornt, Beziehungen der Liebe zu anderen Menschen zu knüpfen. Wenn wir also lieben, geben wir dem Geist Raum, gestatten wir ihm, vollkommenen Ausdruck zu finden. So versteht man, warum Paulus im selben Kapitel des Römerbriefes die beiden Ermahnungen nebeneinander stellt: »Laßt euch vom Geist entflammen« und: »Vergeltet niemand Böses mit Bösem« (Rm 12,11 Rm 12,17).

Schließlich ist der Geist nach dem hl. Paulus ein reiches Unterpfand, das uns von Gott selbst als erster Anteil und zugleich als Gewährleistung unseres künftigen Erbes gegeben worden ist (vgl. 2Co 1,22 2Co 5,5 Ep 1,13-14). So lernen wir von Paulus, daß das Wirken des Geistes unser Leben auf die großen Werte der Liebe, der Freude, der Gemeinschaft und der Hoffnung ausrichtet. An uns liegt es, jeden Tag diese Erfahrung zu machen, indem wir den inneren Anregungen des Heiligen Geistes folgen, bei der Unterscheidung unterstützt und erleuchtet von der Führung des Apostels.

In der heutigen Katechese sprechen wir erneut vom Apostel Paulus, der uns in seinen Briefen einen tiefen Einblick in das Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche gewährt. Paulus erinnert die Gemeinde in Rom eindrücklich daran: „Ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater!“ (Rm 8,15). Der Geist Gottes wohnt in unserem Herzen und eröffnet uns eine innige Beziehung zur Heiligsten Dreifaltigkeit, die unser Vorstellungsvermögen bei weitem übersteigt. Gerade in unserer menschlichen Schwachheit wird der Heilige Geist zur Seele unseres Betens und wenn wir uns für sein mächtiges Wirken öffnen, führt er uns in das göttliche Leben ein. Dieses göttliche Leben ist vor allem die Liebe, die durch den Heiligen Geist in unsere Herzen eingegossen ist (vgl. Rm 5,5). Der geisterfüllte Mensch wird auch zum Förderer der Einheit unter den Gläubigen und in der Menschheitsfamilie. Schließlich ist der Geist Gottes „der erste Anteil des Erbes, das wir erhalten sollen“ (2Co 1,14), wenn wir nach unserem Tod in die ewige Gemeinschaft mit Gott eingehen.
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Mit diesen Gedanken begrüße ich die Pilger und Besucher deutscher Sprache, ganz besonders die Wallfahrer aus dem Fürstentum Liechtenstein mit Erzbischof Wolfgang Haas. Der Reichtum und die Tiefe des christlichen Lebens, die uns der Apostel Paulus zeigt, mögen uns helfen, durch das Wirken des Heiligen Geistes im Glauben und in der Liebe zu Gott und unseren Mitmenschen zu wachsen. Euch allen wünsche ich einen segensreichen Aufenthalt in der Ewigen Stadt!



Mittwoch, 22. November 2006

22116

Liebe Brüder und Schwestern!

Heute schließen wir unsere Begegnungen mit dem Apostel Paulus ab und widmen ihm eine letzte Betrachtung. Wir können in der Tat nicht von ihm Abschied nehmen, ohne auf ein entscheidendes Element seines Wirkens und eines der wichtigsten Themen seines Denkens einzugehen: die Wirklichkeit der Kirche. Wir müssen vor allem feststellen, daß seine erste Begegnung mit der Person Jesu durch das Zeugnis der christlichen Gemeinde von Jerusalem geschah. Es war eine heftige Begegnung. Kaum hatte er die neue Gruppe von Gläubigen kennengelernt, wurde er sogleich zu ihrem leidenschaftlichen Verfolger. Das bekennt er selbst an drei Stellen in drei verschiedenen Briefen: »Ich habe die Kirche Gottes verfolgt«, schreibt er (vgl.
1Co 15,9 Ga 1,13 Ph 3,6), um gleichsam sein Verhalten als das schlimmste Verbrechen darzustellen.

Die Geschichte zeigt uns, daß man normalerweise durch die Kirche zu Jesus kommt! In gewissem Sinne bewahrheitete sich das, wie gesagt, auch bei Paulus, der vor der Begegnung mit Jesus zuerst der Kirche begegnete. Diese Begegnung war in seinem Fall jedoch kontraproduktiv; sie bewirkte keine Zustimmung, sondern heftige Ablehnung. Die Zustimmung zur Kirche wurde im Fall des Paulus von einem direkten Eingreifen Christi bestimmt, der sich, als er sich ihm auf dem Weg nach Damaskus offenbarte, mit der Kirche identifizierte und ihm zu verstehen gab, daß die Kirche zu verfolgen bedeutete, ihn, den Herrn, zu verfolgen. In der Tat sagte der Auferstandene zu Paulus, dem Verfolger der Kirche: »Saul, Saul, warum verfolgst du mich?« (Ac 9,4). Indem er die Kirche verfolgte, verfolgte er Christus. Paulus bekehrte sich also gleichzeitig zu Christus und zur Kirche. Von daher versteht man, warum die Kirche später in den Gedanken, im Herzen und im Wirken des Paulus so gegenwärtig war. Das war vor allem deshalb so, weil er in den verschiedenen Städten, in die er sich als Verkünder des Evangeliums begab, im wahrsten Sinn des Wortes viele Kirchen gründete. Wenn er von seiner »Sorge für alle Gemeinden« (2Co 11,28) spricht, denkt er an die verschiedenen christlichen Gemeinden, die nach und nach in Galatien, in Ionien, in Mazedonien und in Achaia entstanden waren. Einige jener Kirchen bereiteten ihm auch Sorgen und Kummer, wie dies zum Beispiel in den Gemeinden Galatiens der Fall war, die er sich »einem anderen Evangelium« zuwenden sah (Ga 1,6). Er stellte sich dem mit großer Entschlossenheit entgegen. Mit den von ihm gegründeten Gemeinden fühlte er sich jedoch nicht in gleichgültiger und bürokratischer, sondern in inniger und leidenschaftlicher Weise verbunden. So bezeichnet er zum Beispiel die Philipper als »meine geliebten Brüder, nach denen ich mich sehne, meine Freude und mein Ehrenkranz« (Ph 4,1). Manchmal vergleicht er die verschiedenen Gemeinden mit einem Empfehlungsschreiben, das einzig ist in seiner Art: »Unser Empfehlungsschreiben seid ihr; es ist eingeschrieben in unser Herz, und alle Menschen können es lesen und verstehen« (2Co 3,2). Wieder an anderen Stellen zeigt er ihnen gegenüber nicht nur ein echtes Gefühl der Vaterschaft, sondern sogar der Mutterschaft, wenn er sich an seine Adressaten wendet mit den Worten: »meine Kinder, für die ich von neuem Geburtswehen erleide, bis Christus in euch Gestalt annimmt« (Ga 4,19 vgl. auch 1Co 4,14-15 1Th 2,7-8).

In seinen Briefen erläutert uns Paulus auch seine Lehre über die Kirche als solche. So ist seine originäre Definition der Kirche als »Leib Christi« wohlbekannt, die wir bei keinem anderen christlichen Autor des 1. Jahrhunderts finden (vgl. 1Co 12,27 Ep 4,12 Ep 5,30 Col 1,24). Die tiefste Wurzel dieser überraschenden Bezeichnung für die Kirche finden wir im Sakrament des Leibes Christi. Der hl. Paulus sagt: »Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib« (1Co 10,17). In der Eucharistie gibt uns Christus seinen Leib und macht uns zu seinem Leib. In diesem Sinn sagt der hl. Paulus zu den Galatern: »Ihr alle seid ›einer‹ in Christus« (Ga 3,28). Mit all dem gibt Paulus uns zu verstehen, daß es nicht nur eine Zugehörigkeit der Kirche zu Christus gibt, sondern auch eine gewisse Art der »Ineinssetzung« und Identifizierung der Kirche mit Christus selbst. Darin also hat das Große und Edle der Kirche, und damit das Große und Edle von uns allen, die wir ihr angehören, seinen Ursprung: daß wir Glieder Christi sind, gleichsam eine Erweiterung seiner persönlichen Gegenwart in der Welt. Und daraus folgt natürlich unsere Pflicht, wirklich in Übereinstimmung mit Christus zu leben. Daraus ergeben sich auch die Ermahnungen des Paulus hinsichtlich der verschiedenen Charismen, die die christliche Gemeinde beseelen und ihr eine Struktur geben. Sie lassen sich alle auf eine einzige Quelle zurückführen, die der Geist des Vaters und des Sohnes ist, wobei man wohl weiß, daß es in der Kirche niemanden gibt, der ohne Charismen ist, wie der Apostel schreibt: »Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt« (1Co 12,7). Wichtig ist jedoch, daß alle Charismen zum Aufbau der Gemeinde zusammenwirken und nicht zur Ursache von Spaltungen werden. In diesem Zusammenhang stellt Paulus die rhetorische Frage: »Ist denn Christus zerteilt?« (1Co 1,13). Er weiß gut und lehrt uns, daß es notwendig ist, »die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält. Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist« (Ep 4,3-4).

Die Notwendigkeit der Einheit hervorzuheben bedeutet natürlich nicht, dafür einzutreten, daß das kirchliche Leben nach einer einzigen Vorgehensweise einförmig gemacht oder verflacht werden sollte. An einer anderen Stelle lehrt Paulus, »den Geist nicht auszulöschen« (vgl. 1Th 5,19), also der unvorhersehbaren Dynamik der charismatischen Offenbarungen des Geistes, der Quelle immer neuer Energie und Lebenskraft ist, großzügig Raum zu schaffen. Wenn es aber ein Kriterium gibt, auf das Paulus großen Wert legt, so ist es die gegenseitige Erbauung: »Alles geschehe so, daß es aufbaut« (1Co 14,26). Alles muß dazu beitragen, das kirchliche Gefüge in geordneter Weise aufzubauen, und zwar nicht nur ohne Stillstand, sondern auch ohne Kehrtwendungen und ohne Brüche. Es gibt dann auch einen Paulusbrief, der die Kirche als Braut Christi beschreibt (vgl. Ep 5,21-33). Damit wird eine alte Metapher der Propheten wiederaufgenommen, die das Volk Israel zur Braut des Bundesgottes machte (vgl. Os 2,4 Os 2,21 Is 54,5-8): Dies geschieht, um deutlich zu machen, wie innig die Beziehungen zwischen Christus und seiner Kirche sind, sowohl in dem Sinne, daß sie Objekt zärtlichster Liebe von seiten ihres Herrn ist, als auch in dem Sinne, daß die Liebe gegenseitig sein muß und daß somit auch wir als Glieder der Kirche leidenschaftliche Treue zu ihm zeigen müssen.

Letztendlich geht es also um eine Gemeinschaftsbeziehung: um die sozusagen »vertikale« Beziehung zwischen Jesus Christus und uns allen, aber auch um jene »horizontale« Beziehung zwischen all jenen, die sich in der Welt dadurch auszeichnen, daß sie »den Namen Jesu Christi, unseres Herrn, überall anrufen« (1Co 1,2). Das kennzeichnet uns: Wir gehören zu jenen, die den Namen Jesu Christi, des Herrn, anrufen. Es ist deshalb gut verständlich, wie wünschenswert es ist, daß sich das verwirklicht, was Paulus selbst wünscht, wenn er an die Korinther schreibt: »Wenn aber alle prophetisch reden und ein Ungläubiger oder Unkundiger kommt herein, dann wird ihm von allen ins Gewissen geredet und er fühlt sich von allen ins Verhör genommen; was in seinem Herzen verborgen ist, wird aufgedeckt. Und so wird er sich niederwerfen, Gott anbeten und ausrufen: Wahrhaftig, Gott ist bei euch!« (1Co 14,24-25). So sollten unsere liturgischen Versammlungen sein. Ein Nichtchrist, der zu einer unserer Versammlungen kommt, sollte am Ende sagen können: »Wahrhaftig, Gott ist mit euch«! Bitten wir den Herrn, so in Gemeinschaft mit Christus und in Gemeinschaft untereinander zu sein.

Ich möchte die Katechesen über Paulus heute mit einem Blick auf die Beziehung des Apostels zur Kirche abschließen. In der Regel gelangen die Menschen durch Vermittlung der Kirche zu Christus. Paulus ist schon vor seinem Erlebnis auf dem Weg nach Damaskus dem Herrn begegnet - wenn auch als Verfolger der Freunde Jesu. Der direkte Anruf des Auferstandenen bewirkte seine Bekehrung zu Christus und zugleich zur Kirche. Die Kirche war dann stets in seinem Denken und Handeln gegenwärtig - auch durch die Gründung von Gemeinden an zahlreichen Orten. In seinen Briefen legt uns Paulus seine Lehre über die Kirche vor. Auf originäre Weise beschreibt er sie als „Leib Christi“. Alle Getauften sind Glieder des einen Christus. Damit kommt nicht nur die Zugehörigkeit der Glaubenden zu Christus zum Ausdruck, sondern auch eine Art „Ineinssetzung“ der Kirche mit Christus. Ein anderes Bild bezeichnet die Kirche als „Braut Christi“. Sie ist ganz vom Herrn geliebt, und wir als Teil der Kirche schulden Christus unsere Treue. So ist die Kirche zutiefst auch Gemeinschaft, in der die Christusbeziehung das tragende Element ist.
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Mit Freude heiße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher willkommen. Durch die Taufe sind wir Glieder des Leibes Christi, der Kirche. Der hohen Berufung, Christus zu den Menschen zu bringen, wollen wir auch in unserem täglichen Leben gerecht werden. Tragt dazu bei, daß das Zeugnis der Kirche vor der Welt klar leuchten kann und dann auch wirklich Frucht bringt in Glaube, Hoffnung und Liebe. Dazu begleite ich euch alle mit meinem Segen.
Appell für den Libanon


Mit tiefem Schmerz habe ich Kenntnis erhalten von der Ermordung des Industrieministers der libanesischen Regierung, Herrn Pierre Gemayel. Während ich dieses brutale Attentat entschieden verurteile, versichere ich die trauernde Familie und das geliebte libanesische Volk meines Gebets und meiner geistlichen Nähe. Angesichts der dunklen Mächte, die versuchen, das Land zu zerstören, lade ich alle Libanesen ein, sich nicht vom Haß besiegen zu lassen, sondern die nationale Einheit, die Gerechtigkeit und die Versöhnung zu festigen und gemeinsam am Aufbau einer friedlichen Zukunft zu arbeiten. Schließlich lade ich die Verantwortlichen der Länder, denen das Schicksal jener Region am Herzen liegt, dazu ein, an einer globalen Verhandlungslösung für die verschiedenen Situationen der Ungerechtigkeit mitzuwirken, von denen die Region bereits seit zu vielen Jahren gezeichnet ist.




Generalaudienzen 2005-2013 25106