Generalaudienzen 2005-2013 20108

Mittwoch, 2. Januar 2008: Die Gottesmutterschaft Marias

20108

Liebe Brüder und Schwestern!

Liebe Brüder und Schwestern! Eine alte Segensformel, die im Buch Numeri wiedergegeben wird, lautet: »Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil« (
Nb 6,24-26). Mit diesen Worten, die uns die Liturgie gestern, am ersten Tag des Jahres, noch einmal hören ließ, möchte ich allen Anwesenden und denen, die mir an diesem Weihnachtsfest liebevolle Bekundungen ihrer geistlichen Nähe zukommen ließen, meine herzlichsten Wünsche zum Ausdruck bringen.

Gestern haben wir das Hochfest der Gottesmutter Maria gefeiert. »Gottesmutter«, »Theotokos« ist der Titel, der Maria im 5. Jahrhundert, genauer gesagt auf dem Konzil von Ephesus im Jahre 431, offiziell zuerkannt wurde, der sich aber in der christlichen Volksfrömmigkeit bereits seit dem 3. Jahrhundert durchgesetzt hatte, im Zusammenhang mit den heftigen Diskussionen jener Zeit über die Person Christi. Mit diesem Titel hob man hervor, daß Christus Gott ist und daß er wirklich als Mensch aus Maria geboren ist: So wurde seine Einheit als wahrer Gott und wahrer Mensch gewahrt. In Wahrheit ging es in der Debatte, auch wenn sie Maria zu betreffen schien, im wesentlichen um den Sohn. Um die volle Menschheit Jesu zu wahren, schlugen einige Väter einen etwas milderen Ausdruck vor: anstelle des Titels »Theotokos« den Titel »Christotokos«, »Mutter Christi«. Das wurde jedoch zu Recht als eine Bedrohung für die Lehre der vollen Einheit der Gottheit mit der Menschheit Christi betrachtet. Daher wurde nach ausführlicher Diskussion auf dem Konzil von Ephesus im Jahre 431, wie ich bereits sagte, einerseits die Einheit der beiden Naturen - der göttlichen und der menschlichen - in der Person des Sohnes Gottes (vgl. DS 250) und andererseits die Rechtmäßigkeit der Zuerkennung des Titels »Theotokos«, Gottesmutter, an die Jungfrau Maria (ebd., 251) feierlich bestätigt.

Nach diesem Konzil verzeichnete man einen wahren Ausbruch der Marienverehrung, und zahlreiche der Gottesmutter geweihte Kirchen wurden erbaut. Unter diesen nimmt die Basilika »Santa Maria Maggiore« hier in Rom eine herausragende Stellung ein. Die Lehre, die die Gottesmutter Maria betrifft, wurde außerdem im Konzil von Chalkedon (451) erneut bestätigt. Es erklärte, daß Christus »wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch« ist, »der Menschheit nach … unsertwegen und um unseres Heiles willen aus Maria, der Jungfrau [und] Gottesgebärerin, geboren« (DS 301). Bekanntlich hat das II. Vatikanische Konzil in einem Kapitel der dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium, dem achten, die Lehre über Maria zusammengefaßt und ihre Gottesmutterschaft bekräftigt. Das Kapitel heißt: »Die selige jungfräuliche Gottesmutter Maria im Geheimnis Christi und der Kirche«.

Die Bezeichnung als Gottesmutter, die so eng mit dem Weihnachtsfest verbunden ist, ist daher der grundlegende Name, unter dem die Gemeinschaft der Gläubigen, so können wir sagen, schon immer die allerseligste Jungfrau verehrt hat. Sie bringt die Sendung Marias in der Heilsgeschichte gut zum Ausdruck. Alle anderen Titel, die Unserer Lieben Frau zuerkannt werden, haben ihre Grundlage in ihrer Berufung, die Mutter des Erlösers zu sein, das menschliche Geschöpf, das von Gott auserwählt wurde, um den Heilsplan zu verwirklichen, in dessen Mittelpunkt das große Geheimnis der Menschwerdung des göttlichen Wortes steht. In diesen Festtagen haben wir vor der Krippe innegehalten, um die Darstellung der Geburt Christi zu betrachten. Im Mittelpunkt des Geschehens finden wir die Jungfrau Maria, die denen, die zum Heiland kommen, um ihn anzubeten, das Jesuskind zur Betrachtung darbietet: den Hirten, den armen Menschen von Betlehem, den Sterndeutern, die aus dem Osten gekommen sind. Später, am Fest der »Darstellung des Herrn«, das wir am 2. Februar feiern, werden es der alte Simeon und die Prophetin Hanna sein, die aus den Händen der Mutter das kleine Kind empfangen und es anbeten. Die christliche Volksfrömmigkeit hat stets die Geburt Jesu und die Gottesmutterschaft Marias als zwei Aspekte des einen Geheimnisses der Menschwerdung des göttlichen Wortes betrachtet, und daher hat sie die Geburt Christi nie als eine Sache der Vergangenheit angesehen. Wir sind »Zeitgenossen« der Hirten, der Sterndeuter, des Simeon und der Hanna, und während wir mit ihnen gehen, sind wir voll Freude, weil Gott der »Gott mit uns« sein will und eine Mutter hat, die unsere Mutter ist.

Vom Titel »Gottesmutter« leiten sich auch alle anderen Titel ab, mit denen die Kirche Unsere Liebe Frau ehrt, aber dieser ist der grundlegende. Denken wir an das Privileg der »Unbefleckten Empfängnis«, also daran, daß sie von ihrer Empfängnis an frei von Sünde war: Maria wurde vor jedem Sündenmakel bewahrt, weil sie die Mutter des Erlösers sein sollte. Dasselbe gilt für den Titel »die in den Himmel Aufgenommene«: Sie, die den Heiland hervorgebracht hat, konnte nicht der Verwesung unterworfen sein, die aus der Erbsünde kommt. Und wir wissen, daß all diese Privilegien nicht gewährt wurden, um Maria von uns zu entfernen, sondern um sie im Gegenteil in unsere Nähe zu bringen; in der Tat ist diese Frau, da sie vollkommen bei Gott ist, uns sehr nahe und hilft uns als Mutter und als Schwester. Auch der einzigartige und einmalige Platz, den Maria in der Gemeinschaft der Gläubigen einnimmt, entspringt ihrer grundlegenden Berufung, die Mutter des Erlösers zu sein. Gerade als diese ist Maria auch die Mutter des mystischen Leibes Christi, der die Kirche ist. Zu Recht erkannte Paul VI. daher während des II. Vatikanischen Konzils, am 21. November 1964, Maria feierlich den Titel »Mutter der Kirche« zu.

Gerade weil sie die Mutter der Kirche ist, ist die Jungfrau auch Mutter eines jeden von uns, die wir Glieder des mystischen Leibes Christi sind. Am Kreuz hat Jesus die Mutter jedem seiner Jünger anvertraut, und gleichzeitig hat er jeden Jünger der Liebe seiner Mutter anvertraut. Der Evangelist Johannes schließt den kurzen und eindrucksvollen Bericht mit den Worten: »Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich« (Jn 19,27). So lautet die deutsche Übersetzung der griechischen Worte »eis tà ídia«: Er nahm sie auf in seine eigene Wirklichkeit, in sein eigenes Sein. So gehört sie zu seinem Leben, und die beiden Leben durchdringen einander; und dieses Sie-Aufnehmen (eis tà ídia) in das eigene Leben ist das Vermächtnis des Herrn. Im erhabensten Augenblick der Erfüllung der Sendung als Messias hinterläßt Jesus also jedem seiner Jünger als kostbares Erbe seine Mutter, die Jungfrau Maria.

Liebe Brüder und Schwestern, in diesen ersten Tagen des Jahres sind wir eingeladen, die Bedeutung der Gegenwart Marias im Leben der Kirche und in unserer persönlichen Existenz aufmerksam zu betrachten. Vertrauen wir uns ihr an, auf daß sie unsere Schritte in diesem neuen Zeitabschnitt leiten möge, den der Herr uns zu leben schenkt, und uns helfe, wahre Freunde ihres Sohnes zu sein und so auch mutige Erbauer seines Reiches in der Welt, des Reiches des Lichtes und der Wahrheit. Allen ein gutes neues Jahr! Das ist der Wunsch, den ich in dieser ersten Generalaudienz des Jahres 2008 an alle hier Anwesenden und an eure Angehörigen richten möchte. Das neue Jahr, das unter dem Zeichen der Jungfrau Maria begonnen hat, möge uns immer stärker ihre mütterliche Gegenwart spüren lassen, so daß wir, getragen und getröstet vom Schutz der Jungfrau, mit erneuertem Blick das Antlitz ihres Sohnes Jesus betrachten und auf den Wegen des Guten schneller voranschreiten können.

Noch einmal allen ein gutes neues Jahr!

Die heutige Generalaudienz steht ganz im Zeichen des Hochfests der Gottesmutter Maria, das wir gestern, am Oktavtag von Weihnachten, gefeiert haben. Bereits seit dem dritten Jahrhundert wurde Maria von den Gläubigen als Mutter Gottes, als Gottesgebärerin (Theotokos)verehrt. Die feierliche Verkündigung der Gottesmutterschaft Mariens erfolgte dann auf dem Konzil von Ephesus im Jahr 431: Die Väter wollten mit dem Titel Theotokos die Einheit der göttlichen und der menschlichen Natur in Jesus Christus, der von der Jungfrau Maria geboren wurde, unterstreichen. Die Erwählung Mariens zur Mutter des göttlichen Erlösers begründet auch alle weiteren Vorzüge wie ihre unbefleckte Empfängnis und ihre Aufnahme in den Himmel, mit denen Gott sie ausgezeichnet hat. Zugleich erwächst aus der Gottesmutterschaft Mariens ihre untrennbare Verbundenheit mit dem Geheimnis Christi und der Kirche und damit mit jedem von uns. Als Mutter der Kirche ist Maria auch unsere Mutter. Wie Johannes hat Christus am Kreuz auch uns ihrer mütterlichen Liebe anvertraut, und wir sind eingeladen, Maria zu uns zu nehmen, sie in unser Eigen aufzunehmen. So gehört Maria zum Leben eines jeden Christen. Sie führt uns sicher zu ihrem Sohn und hilft uns, treue Jünger Jesu zu sein.
* * *


Ein herzliches Willkommen zu dieser ersten Generalaudienz im neuen Jahr sage ich allen deutschsprachigen Pilgern und Besuchern. Besonders grüße ich natürlich die Alumnen und die Leitung des Priesterseminars St. Wolfgang in Regensburg und den Mainzer Domchor. Herzlichen Dank für den Gesang, wir hören uns ja dann nochmal an Dreikönig. Die Liturgie der Kirche eröffnet das Kalenderjahr mit dem biblischen Segenswort, das uns allen gilt: "Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil" (Nb 6,24-26). Allen ein gesegnetes neues Jahr!



Mittwoch, 9. Januar 2008: Der Heilige Augustinus (1)

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Liebe Brüder und Schwestern!

Nach den großen Weihnachtsfeierlichkeiten möchte ich zu den Betrachtungen über die Kirchenväter zurückkehren und heute über den größten Vater der lateinischen Kirche sprechen, den hl. Augustinus: Als ein Mann voll Leidenschaft und Glauben, von höchster Intelligenz und unermüdlicher pastoraler Sorge ist dieser große Heilige und Kirchenlehrer zumindest dem Rufe nach oft denen bekannt, die das Christentum nicht kennen oder nicht mit ihm vertraut sind, da er eine sehr tiefe Spur im kulturellen Leben des Abendlandes und der ganzen Welt hinterlassen hat. Aufgrund seiner einzigartigen Bedeutung hatte der hl. Augustinus einen sehr großen Einfluß, und man könnte einerseits behaupten, daß alle Wege der lateinischen christlichen Literatur nach Hippo führen (dem heutigen Annaba an der Küste Algeriens), dem Ort, wo er Bischof war, und andererseits, daß von dieser Stadt des römischen Afrikas, deren Bischof Augustinus von 395 bis zu seinem Tod im Jahr 430 war, viele andere Wege des nachfolgenden Christentums und der abendländischen Kultur ausgehen.

Selten konnte eine Zivilisation einen Menschen von solcher Geistesgröße vorweisen, der es verstand, ihre Werte aufzunehmen und ihren inneren Reichtum zu erhöhen, indem er Ideen und Formen erfand, von denen sich die Nachfahren nähren würden, wie auch Paul VI. hervorhob: »Man kann sagen, daß das gesamte Denken der Antike in seinem Werk zusammenfließt und von ihm Denkströmungen ausgehen, die die gesamte Lehrtradition der nachfolgenden Jahrhunderte durchdringen« (AAS, 62, 1970, S. 426). Augustinus ist darüber hinaus der Kirchenvater, der die größte Zahl von Werken hinterlassen hat. Sein Biograph Possidius sagt: Es schien unmöglich, daß ein Mann so vieles in seinem Leben zu schreiben vermochte. Über diese verschiedenen Werke werden wir bei einer der nächsten Begegnungen sprechen. Heute wird unsere Aufmerksamkeit seinem Leben vorbehalten sein, das sich aus seinen Schriften gut rekonstruieren läßt, insbesondere aus den Confessiones, der außergewöhnlichen geistlichen Autobiographie, die zum Lob Gottes geschrieben wurde und sein berühmtestes Werk ist. Und das mit Recht, denn es sind gerade die Confessiones des Augustinus mit ihrer Aufmerksamkeit für die Innerlichkeit und die Psychologie, die ein einzigartiges Vorbild in der abendländischen Literatur, und nicht nur der abendländischen, auch der nichtreligiösen Literatur bis hin zur Moderne, darstellen. Diese Aufmerksamkeit für das geistliche Leben, für das Geheimnis des Ich, für das Geheimnis Gottes, das sich im Ich verbirgt, ist etwas Außerordentliches und noch nie Dagewesenes und bleibt für immer sozusagen ein geistlicher Höhepunkt.

Wir wollen aber nun auf sein Leben zu sprechen kommen: Augustinus wurde in Thagaste - in der Provinz Numidien im römischen Afrika - am 13. November 354 als Sohn des Patricius, eines Heiden, der später Katechumene wurde, und Monika, einer eifrigen Christin, geboren. Diese leidenschaftliche Frau, die als Heilige verehrt wird, übte sehr großen Einfluß auf den Sohn aus und erzog ihn im christlichen Glauben. Augustinus hatte auch das Salz als Zeichen der Aufnahme in das Katechumenat empfangen. Und er ist immer von der Gestalt Jesu Christi fasziniert geblieben; ja, er sagt, daß er Jesus immer geliebt habe, sich aber immer mehr vom kirchlichen Glauben, von der kirchlichen Praxis entfernt habe, wie es auch heute bei vielen Jugendlichen geschieht.

Augustinus hatte auch einen Bruder, Navigius, und eine Schwester, deren Namen wir nicht kennen und die später, nachdem sie Witwe geworden war, an der Spitze eines Frauenklosters stand. Der Knabe von sehr lebhafter Intelligenz erhielt eine gute Erziehung, auch wenn er nicht immer ein vorbildlicher Schüler war. Er studierte jedoch gut die Grammatik, zuerst in seiner Geburtsstadt, dann in Madaura und ab 370 Rhetorik in Karthago, der Hauptstadt des römischen Afrika: Er beherrschte perfekt die lateinische Sprache, gelangte jedoch nicht zu einer ebensolchen Beherrschung des Griechischen und erlernte nicht das von seinen Landsleuten gesprochene Punische. Gerade in Karthago las Augustinus zum ersten Mal den Hortensius, eine später verlorengegangene Schrift Ciceros, die am Anfang seines Bekehrungsweges steht. Der Text Ciceros weckte nämlich in ihm die Liebe zur Weisheit, wie er dann als Bischof in den Confessiones schreiben wird: »Jenes Buch änderte wahrlich meinen Sinn«, so sehr, daß »plötzlich jede eitle Hoffnung ihren Wert verlor und ich mit einer unglaublichen Glut des Herzens die Unsterblichkeit der Weisheit ersehnte« (III, 4,7).

Da er aber überzeugt war, daß man ohne Jesus nicht behaupten könne, die Wahrheit wirklich gefunden zu haben, und weil ihm in diesem fesselnden Buch jener Name fehlte, begann er sofort, nachdem er es gelesen hatte, die Heilige Schrift, die Bibel zu lesen. Aber er war davon enttäuscht. Nicht nur, weil der lateinische Stil der Übersetzung der Heiligen Schrift unzulänglich war, sondern auch, weil ihm der Inhalt selbst unbefriedigend erschien. In den Erzählungen der Schrift über Kriege und andere menschliche Angelegenheiten fand er nicht die Höhe der Philosophie, den Glanz der Suche nach der Wahrheit, die ihr eigen ist. Dennoch wollte er nicht ohne Gott leben und suchte daher eine Religion, die seiner Sehnsucht nach Wahrheit und auch seiner Sehnsucht, Jesus näherzukommen, entsprach. So ging er den Manichäern ins Netz, die sich als Christen ausgaben und eine völlig rationale Religion versprachen. Sie behaupteten, daß die Welt in zwei Prinzipien geteilt sei: das Gute und das Böse. Und damit wäre die ganze Komplexität der menschlichen Geschichte zu erklären. Auch die dualistische Moral gefiel dem hl. Augustinus, weil sie eine sehr hohe Moral für die Erwählten mit sich brachte: Und für den, der ihr, so wie er, anhing, war ein Leben möglich, das der Situation der Zeit sehr viel angemessener war, besonders für einen jungen Menschen. Er wurde also Manichäer und war in jenem Augenblick davon überzeugt, die Synthese zwischen Rationalität, Wahrheitssuche und Liebe zu Jesus Christus gefunden zu haben. Und das hatte auch einen konkreten Vorteil für sein Leben: die Zugehörigkeit zu den Manichäern eröffnete nämlich bequeme Perspektiven für eine Karriere. Jener Religion anzugehören, die so viele einflußreiche Persönlichkeiten zu ihren Anhängern zählte, gestattete ihm, die mit einer Frau eingegangene Beziehung fortzusetzen und in seiner Karriere voranzukommen. Von dieser Frau hatte er einen Sohn, Adeodatus, den er sehr liebte; er war sehr intelligent und sollte später bei der Vorbereitung auf die Taufe am Comer See zugegen sein und an jenen »Dialogen« teilnehmen, die der hl. Augustinus uns überliefert hat. Leider starb der Knabe frühzeitig. Mit ungefähr zwanzig Jahren lehrte Augustinus Grammatik in seiner Geburtsstadt, kehrte aber bald nach Karthago zurück, wo er ein brillanter und gefeierter Rhetorikmeister wurde. Mit der Zeit jedoch begann Augustinus sich vom Glauben der Manichäer zu entfernen, die ihn gerade vom intellektuellen Gesichtspunkt her enttäuschten, insofern sie unfähig waren, seine Zweifel zu klären, und er übersiedelte nach Rom und dann nach Mailand, wo sich damals der Sitz des Kaiserhofes befand und wo er dank des Interesses und der Empfehlungen des Präfekten von Rom, des Heiden Symmachus, der dem Bischof von Mailand, dem hl. Ambrosius, feindlich gesinnt war, eine einflußreiche Stelle erhalten hatte.

In Mailand nahm Augustinus - anfänglich um seine rhetorischen Kenntnisse weiter zu vertiefen - die Gewohnheit an, die sehr schönen Predigten des Bischofs Ambrosius anzuhören, der der Vertreter des Kaisers für Norditalien gewesen war, und der afrikanische Rhetor war vom Wort des großen Mailänder Bischofs fasziniert; und nicht nur von seiner Rhetorik, sondern vor allem der Inhalt rührte immer mehr sein Herz. Das große Problem des Alten Testaments, nämlich das Fehlen rhetorischer Schönheit und philosophischer Größe, erfuhr in den Predigten des hl. Ambrosius dank der typologischen Auslegung des Alten Testaments eine Lösung: Augustinus begriff, daß das ganze Alte Testament ein Weg zu Jesus Christus ist. So fand er den Schlüssel, um die Schönheit und auch die philosophische Tiefe des Alten Testaments zu verstehen, und begriff die ganze Einheit des Geheimnisses Christi in der Geschichte und auch die Synthese zwischen Philosophie, Rationalität und Glaube im »Logos«, in Christus, dem ewigen Wort, das Fleisch geworden ist.

In kurzer Zeit wurde Augustinus sich bewußt, daß die allegorische Lesart der Schrift und die neuplatonische Philosophie, die vom Mailänder Bischof angewandt wurden, ihm erlaubten, die intellektuellen Schwierigkeiten zu lösen, die ihm, als er jünger war, bei seiner ersten Annäherung an die biblischen Texte unüberwindbar erschienen waren.

Der Lektüre der Schriften der Philosophen ließ Augustinus somit die erneute Lektüre der Schrift und vor allem der Briefe des Paulus folgen. Die Bekehrung zum Christentum am 15. August 386 stellte somit den Höhepunkt eines langen und mühsamen inneren Weges dar, von dem wir noch in einer weiteren Katechese sprechen werden, und der Afrikaner begab sich aufs Land im Norden von Mailand am Comer See - zusammen mit seiner Mutter Monika, seinem Sohn Adeodatus und einer kleinen Gruppe von Freunden -, um sich auf die Taufe vorzubereiten. So wurde Augustinus mit 32 Jahren am 24. April 387 von Ambrosius in der Osternacht im Mailänder Dom getauft.

Nach der Taufe beschloß Augustinus, mit den Freunden nach Afrika zurückzugehen, wobei er sich mit dem Gedanken trug, ein Gemeinschaftsleben monastischer Art im Dienst Gottes zu führen. Aber als sie in Ostia auf die Abreise warteten, erkrankte plötzlich seine Mutter und starb wenig später, was dem Sohn das Herz zerriß. Nachdem er schließlich in die Heimat zurückgekehrt war, ließ sich der Bekehrte in Hippo nieder, um ein Kloster zu gründen. In dieser afrikanischen Küstenstadt wurde er trotz seines Widerstands 391 zum Priester geweiht und begann mit einigen Gefährten das monastische Leben, an das er seit langem dachte, und teilte seine Zeit zwischen Gebet, Studium und Predigttätigkeit auf. Er wollte nur im Dienst der Wahrheit stehen, er fühlte sich nicht zum pastoralen Leben berufen, begriff aber dann, daß der Ruf Gottes genau darin bestand, Hirt unter den anderen zu sein und so das Geschenk der Wahrheit den anderen zu bringen. In Hippo wurde er vier Jahre später, im Jahr 395, zum Bischof geweiht. Während Augustinus weiter das Studium der Schrift und der Texte der christlichen Tradition vertiefte, war er ein vorbildlicher Bischof in seinem unermüdlichen pastoralen Einsatz: Mehrmals in der Woche predigte er für seine Gläubigen, unterstützte die Armen und die Waisen, sorgte für die Ausbildung des Klerus und die Organisation von Frauen- und Männerklöstern. In kurzer Zeit behauptete sich der ehemalige Rhetor als einer der bedeutendsten Vertreter des Christentums jener Zeit: Der Bischof von Hippo, der in den über 35 Jahren als Bischof in der Leitung seiner Diözese äußerst aktiv war - mit bemerkenswerten Auswirkungen auch auf das zivile Leben -, übte in der Tat einen großen Einfluß auf die Leitung der katholischen Kirche des römischen Afrika und ganz allgemein im Christentum seiner Zeit aus, wobei er religiösen Strömungen und hartnäckigen und spalterischen Irrlehren wie dem Manichäismus, dem Donatismus und dem Pelagianismus, die den christlichen Glauben an den einen und an Erbarmen reichen Gott gefährdeten, entgegentrat.

Und Augustinus vertraute sich Gott jeden Tag an, bis zum Ende seines Lebens: Während seine Stadt Hippo seit fast drei Monaten von den vandalischen Invasoren belagert wurde, bat der von einem Fieber befallene Bischof - wie sein Freund Possidius in der Vita Augustini berichtet - darum, mit großen Buchstaben die Bußpsalmen abzuschreiben, »und ließ die Blätter an der Wand befestigen, so daß er sie vom Bett aus während seiner Krankheit sehen und lesen konnte, und er vergoß unablässig heiße Tränen« (31,2). So vergingen die letzten Tage des Lebens des Augustinus, der am 28. August 430 starb, als er noch nicht 76 Jahre alt war. Seinen Werken, seiner Botschaft und seiner inneren Verfassung werden wir die nächsten Begegnungen widmen.

In der Reihe der Mittwochskatechesen will ich mich von heute an mit dem hl. Augustinus befassen, dem bedeutendsten und im christlichen Abendland einflußreichsten Kirchenvater, einem Menschen voller Leidenschaft, der sich ebenso durch höchste Intelligenz wie - nach der Bekehrung - durch großen Glaubenseifer auszeichnete und der sich als Bischof in einem unermüdlichen seelsorglichen Einsatz bewährte. Unter dem enormen Umfang der von ihm überlieferten Bücher, Predigten und Briefe tritt vor allem das autobiographische Werk der »Bekenntnisse« hervor, das zu einem Modell für Autobiographien bis in die Neuzeit herein geworden ist. Darin schildert er seine bewegte Jugend, wie er zunächst von Monika, der Mutter, in den Glauben hineinwächst, ihn dann verliert, nach Neuem sucht, immer auf dem Wege bleibt und schließlich wieder auf mühsamen Wegen in die Kirche hineinfindet.

Augustinus kam im Jahre 354 in Thagaste in Numidien, dem heutigen Algerien, zur Welt. Sein Vater Patrizius war Heide, dann Katechumene. Seine Mutter, die hl. Monika, war dagegen eine ganz eifrige Christin, die Augustinus und seine Geschwister - er hatte einen Bruder und eine Schwester, die dann als Witwe Nonne und Äbtissin geworden ist - im christlichen Glauben unterwies. Er erhielt vor allem eine sehr gute Ausbildung in der Rhetorik, die damals eine der wichtigsten Disziplinen war und in der er selber ein gefeierter Lehrer wurde. Er hat allerdings beklagt, daß er als Schüler im Griechischen faul war, denn später als Bischof hätte er es gut brauchen können. Aber da war es zu spät.

Die Suche nach einer rechten »Lebensphilosophie« führte Augustinus zunächst zum Manichäismus, zu einem System, das erklärte, die Welt beruhe auf zwei Prinzipien, dem guten und dem bösen; so lasse sich alles erklären. Und die Moral sei zweigeteilt: für die Erwählten, die auf der Höhe angekommen sind, sehr streng und für die anderen auf der Vorstufe etwas lockerer. Und da er sich auf der Vorstufe fühlte, war dies für ihn sozusagen eine angenehme religiöse und philosophische Beheimatung. In seiner beruflichen Laufbahn kam er über Rom schließlich nach Mailand, in eine bedeutende Position als Rhetor am Kaiserhof. Unter dem Eindruck der Predigten des Bischofs Ambrosius bekehrte er sich aber und wurde in der Osternacht 387 getauft. Daraufhin entschloß er sich, in seine Heimat zurückzukehren; unterwegs erlitt er einen großen Schmerz durch den Tod seiner Mutter, die hier in Ostia, im damaligen Hafen von Rom, gestorben ist und begraben wurde. Er gründete zu Hause eine klösterliche Gemeinschaft, eigentlich eine Philosophengemeinschaft mit christlichem Grund, wurde aber bei einem Aufenthalt in Hippo während des Besuchs der Eucharistiefeier zu seiner Überraschung vom betagten Bischof Valerius nach vorn beordert, der sagte: Ich brauche schon lange einen Priester, der gut predigen kann - der Bischof konnte es nämlich nicht -, und so weihte er ihn zum Priester. Augustinus hatte gedacht, er sei nur zur Philosophie berufen, und er litt zunächst, als man ihm das pastorale Amt, das Priestertum, verlieh. Aber ist dann ganz hineingewachsen, wurde 395 Bischof, wirkte fast 40 Jahre segensreich dort und starb 430 während der Belagerung der Stadt durch die Vandalen.
* * *


Von Herzen begrüße ich die Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern. Der hl. Augustinus lebte immer in der Suche nach Gott, in der Suche, Jesus Christus näher und ähnlicher zu werden. Auch wir wollen stets die Nähe des Schöpfers und die Nähe Jesu Christi suchen, in dem Gott menschliches Antlitz hat und Ihm helfen, daß er uns bereit macht, das Gute selber zu tun und es in der Welt zu verbreiten. Der Herr geleite euch auf allen Wegen dieses noch jungen Jahres!


Mittwoch, 16. Januar 2008: Der Heilige Augustinus (2)

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Liebe Brüder und Schwestern!

Wie schon am vergangenen Mittwoch will ich heute über den großen Bischof von Hippo, den hl. Augustinus, sprechen. Vier Jahre vor seinem Tod wollte er seinen Nachfolger ernennen. Dazu versammelte er am 26. September 426 das Volk in der Friedensbasilika in Hippo, um den Gläubigen den Mann vorzustellen, den er für diese Aufgabe bestimmt hatte. Er sagte: »In diesem Leben sind wir alle sterblich, aber der letzte Tag dieses Lebens ist für jeden einzelnen immer ungewiß. Trotzdem hofft man in der Kindheit, zum Jünglingsalter zu gelangen; im Jünglingsalter zur Jugend; in der Jugend zum Erwachsenenalter; im Erwachsenenalter zur Zeit der Reife; in der Zeit der Reife zum Alter. Man ist nicht sicher, dahin zu gelangen, aber man hofft darauf. Das Alter hat hingegen keinen weiteren Zeitabschnitt vor sich, auf den es hoffen könnte; seine Dauer selbst ist ungewiß… Ich kam durch Gottes Willen in der Blüte meines Lebens in diese Stadt; aber jetzt ist meine Jugend vorüber, und ich bin nun alt« (EP 213,1). An dieser Stelle nannte Augustinus den Namen des designierten Nachfolgers, des Priesters Heraclius. Die Versammlung brach in zustimmenden Beifall aus und wiederholte dreiundzwanzig Mal: »Gedankt sei Gott! Gelobt sei Christus!« Mit weiteren Akklamationen stimmten die Gläubigen außerdem allem zu, was Augustinus dann hinsichtlich seiner künftigen Vorhaben sagte: er wollte die ihm noch verbleibenden Jahre einem intensiveren Studium der Heiligen Schrift widmen (vgl. Ep 213,6).

In der Tat, die nachfolgenden vier Jahre waren Jahre einer außerordentlichen intellektuellen Aktivität: Er vollendete wichtige Werke, nahm weitere, nicht weniger anspruchsvolle in Angriff, hielt öffentliche Debatten mit den Irrlehrern - er suchte immer den Dialog -, er griff ein, um den Frieden in den afrikanischen Provinzen zu fördern, die von den Barbarenstämmen aus dem Süden bedroht wurden. In diesem Sinn schrieb er an den Comes Darius, der nach Afrika gekommen war, um den Streit zwischen dem Comes Bonifatius und dem kaiserlichen Hof beizulegen, den die Stämme der Mauren für ihre Überfälle ausnutzten: »Der größte Ehrentitel« - sagte er in dem Brief - »besteht darin, den Krieg mit dem Wort statt Menschen mit dem Schwert zu töten, und mit dem Frieden für den Frieden zu sorgen oder ihn aufrechtzuerhalten und nicht mit dem Krieg. Gewiß, auch diejenigen, die kämpfen, suchen, wenn sie gut sind, zweifellos den Frieden, aber um den Preis, Blut zu vergießen. Du hingegen bist entsandt worden, um zu verhindern, daß man versuche, irgend jemandes Blut zu vergießen« (EP 229,2). Die Hoffnung auf eine Befriedung der afrikanischen Gebiete wurde leider enttäuscht: Im Mai 429 passierten die Vandalen die Straße von Gibraltar, nachdem sie aus Rache von Bonifatius selbst nach Afrika eingeladen worden waren, und fielen in Mauretanien ein. Die Invasion erreichte schnell die anderen reichen afrikanischen Provinzen. Im Mai oder Juni des Jahres 430 standen »die Zerstörer des Römischen Reiches«, wie Possidius jene Barbaren nennt (Vita, 30,1), vor Hippo, das sie belagerten.

In der Stadt hatte auch Bonifatius Zuflucht gesucht, der sich zu spät mit dem Hof ausgesöhnt hatte und nun vergeblich versuchte, den Invasoren den Weg zu versperren. Der Biograph Possidius beschreibt den Schmerz des Augustinus: »Mehr als sonst waren die Tränen Tag und Nacht sein Brot, er war nunmehr ans Ende seines Lebens gelangt und fristete mehr als die anderen in Bitterkeit und Trauer sein vorgerücktes Dasein« (Vita, 28,6). Und er erklärt: »Er, jener Mann Gottes, sah nämlich die Gemetzel und die Zerstörungen der Städte; die Häuser auf dem Land verfallen und die Einwohner von den Feinden getötet oder in die Flucht geschlagen und zerstreut; die Kirchen ihrer Priester und Diener beraubt; die heiligen Jungfrauen und die Ordensleute überallhin zerstreut; unter ihnen die einen unter der Folter gestorben, die anderen mit dem Schwert getötet, wieder andere gefangengenommen, die Integrität der Seele und des Leibes und auch den Glauben verloren, von den Feinden in schmerzhafte und lange Sklaverei geführt« (ebd., 28,8).

Obwohl er alt und müde war, stand Augustinus weiterhin in vorderster Linie und tröstete sich selbst und die anderen mit dem Gebet und der Betrachtung über die geheimnisvollen Pläne der Vorsehung. Er sprach diesbezüglich vom »Greisenalter der Welt« - und diese römische Welt war tatsächlich alt -, er sprach von diesem Alter, wie er es schon Jahre zuvor getan hatte, um die aus Italien kommenden Flüchtlinge zu trösten, als im Jahr 410 die Goten Alarichs die Stadt Rom erstürmt hatten. Im Alter, sagte er, gibt es Krankheiten in Fülle: Husten, Katarrh, Triefäugigkeit, Angst, Erschöpfung. Aber auch wenn die Welt altert, ist Christus ewig jung. Und daher die Aufforderung: »Lehne nicht ab, vereint mit Christus jung zu werden, auch in der alten Welt. Er sagt zu dir: Fürchte dich nicht, deine Jugend wird sich erneuern wie die des Adlers« (vgl. Serm. 81,8). Der Christ darf also auch in schwierigen Situationen nicht verzagen, sondern muß sich dafür einsetzen, dem zu helfen, der in Not ist. Das rät der große Lehrer, als er dem Bischof von Thiava, Honoratus, antwortet, der ihn gefragt hatte, ob unter der Bedrängnis der Barbareneinfälle ein Bischof oder ein Priester oder irgendein Mann der Kirche fliehen dürfe, um sein Leben zu retten: »Wenn für alle gleichermaßen Gefahr besteht, das heißt für Bischöfe, Kleriker und Laien, so sollen diejenigen, die der anderen bedürfen, nicht von denen verlassen werden, derer sie bedürfen. In diesem Fall sollen sich alle an sichere Orte begeben; wenn aber einige bleiben müssen, sollen sie nicht von denen verlassen werden, die die Pflicht haben, ihnen mit dem heiligen Dienst beizustehen, so daß sie sich entweder gemeinsam in Sicherheit bringen oder gemeinsam das Unglück ertragen, das sie nach dem Willen des Familienoberhauptes erdulden sollen« (EP 228,2). Und er schloß: »Das ist der höchste Beweis der Liebe« (ebd., 3). Wie sollte man in diesen Worten nicht die heroische Botschaft wiedererkennen, die im Lauf der Jahrhunderte so viele Priester angenommen und sich zu eigen gemacht haben?

Indessen leistete die Stadt Hippo Widerstand. Das Kloster-Haus des Augustinus hatte seine Tore geöffnet, um die Mitbrüder im Bischofsamt aufzunehmen, die um Gastfreundschaft ersuchten. Unter diesen befand sich auch sein ehemaliger Schüler Possidius, der uns so das direkte Zeugnis jener letzten, dramatischen Tage hinterlassen konnte. »Im dritten Monat jener Belagerung« - berichtet er - »legte er sich mit Fieber ins Bett: Es war seine letzte Krankheit« (Vita, 29,3). Der heilige Greis nutze jene endlich freie Zeit, um sich mit größerer Intensität dem Gebet zu widmen. Er pflegte zu sagen, daß keiner, weder Bischof noch Ordensmann noch Laie, möge seine Lebensführung noch so untadelig erscheinen, dem Tod ohne eine angemessene Buße entgegentreten darf. Daher wiederholte er ständig unter Tränen die Bußpsalmen, die er so oft mit dem Volk gebetet hatte (vgl. ebd., 31,2).

Je mehr sich die Krankheit verschlimmerte, desto mehr verspürte der sterbende Bischof das Bedürfnis nach Einsamkeit und Gebet: »Um von niemandem in seiner Sammlung gestört zu werden, bat er ungefähr zehn Tage vor seinem Hinscheiden uns Anwesende, außerhalb der Stunden, in denen die Ärzte kamen, um ihn zu untersuchen, oder man ihm das Essen brachte, niemanden in seine Kammer eintreten zu lassen. Sein Wille wurde genau erfüllt, und diese ganze Zeit verbrachte er im Gebet« (ebd. 31,3). Er verschied am 28. August 430: Sein großes Herz hatte endlich Ruhe gefunden in Gott.

Zur Grablegung seines Leibes - informiert uns Possidius - wurde Gott das Opfer dargebracht, an dem wir teilnahmen, und dann wurde er bestattet (Vita 31,5). Sein Leib wurde an ungewissem Datum nach Sardinien übertragen und von dort im Jahr 725 nach Pavia in die Basilika »San Pietro in Ciel d’oro«, wo er auch heute ruht. Sein erster Biograph gibt über ihn dieses abschließende Urteil ab: »Er hinterließ der Kirche einen sehr zahlreichen Klerus, wie auch Männer- und Frauenklöster voller Menschen, die sich der Enthaltsamkeit im Gehorsam gegenüber ihren Oberen geweiht hatten, zusammen mit den Bibliotheken, die seine Bücher und Reden sowie die anderer Heiliger enthielten, aus denen man erfährt, worin durch die Gnade Gottes sein Verdienst und seine Größe in der Kirche bestanden habe, und in denen die Gläubigen ihn immer lebendig vorfinden« (Possidius, Vita, 31,8). Das ist ein Urteil, dem wir uns anschließen können: in seinen Schriften »finden« auch wir ihn »lebendig« vor. Wenn ich die Schriften des hl. Augustinus lese, habe ich nicht den Eindruck, daß es sich um einen Mann handelt, der vor mehr oder weniger 1600 Jahren gestorben ist, sondern ich spüre ihn wie einen Menschen von heute: einen Freund, einen Zeitgenossen, der zu mir spricht, der mit seinem frischen und aktuellen Glauben zu uns spricht. Im hl. Augustinus, der in seinen Schriften zu mir, zu uns spricht, sehen wir die bleibende Aktualität seines Glaubens; des Glaubens, der von Christus kommt, dem ewigen, fleischgewordenen Wort, Gottessohn und Menschensohn. Und wir können sehen, daß dieser Glaube nicht von gestern ist, auch wenn er gestern verkündet wurde; er ist immer von heute, weil Christus wirklich gestern, heute und in Ewigkeit ist. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. So ermutigt uns der hl. Augustinus dazu, uns diesem immer lebendigen Christus anzuvertrauen und so den Weg des Lebens zu finden.

Letzte Woche haben wir begonnen, über den heiligen Augustinus zu sprechen. Heute möchte ich kurz seine letzten Lebensjahre behandeln. Im Jahr 426, vier Jahre vor seinem Tode, bestimmte er in einer Versammlung der Gläubigen seinen Nachfolger, den Priester Eraclius. Er selbst wollte sich in den ihm verbleibenden Jahren vermehrt dem Studium der Heiligen Schrift widmen. So folgten in der Tat vier Jahre einer außergewöhnlichen intellektuellen Tätigkeit, die die Vollendung wie Inangriffnahme bedeutender Werke sah, ebenso öffentliche Diskussionen mit Häretikern und Bemühungen um die Förderung des Friedens in den afrikanischen Provinzen. Die Hoffnung auf Frieden wurde jedoch enttäuscht, als die Vandalen von der Straße von Gibraltar her Nordafrika zu erobern begannen und schließlich im Jahr 430 die Stadt Hippo belagerten. Trotz seines Alters war Augustinus an vorderster Front tätig und bestärkte die leidgeplagte Bevölkerung im Vertrauen auf den geheimnisvollen Plan der göttlichen Vorsehung. Er erinnerte daran, daß der Christ angesichts des Unheils nicht verzagen darf, sondern sich bemühen muß, der Not Abhilfe zu leisten. Hippo war Zufluchtsort vieler schutzsuchender Menschen, und Augustinus hatte die Bischöfe, die vor den Barbaren fliehen mußten, in sein Haus aufgenommen. Unter ihnen war auch Possidius, sein späterer Biograph, der uns ein direktes Zeugnis dieser letzten dramatischen Tage hinterlassen hat. Im dritten Monat der Belagerung Hippos erkrankte Augustinus schwer. Im Bewußtsein, daß niemand „ohne eine angemessene und zutreffende Buße aus dem Leben scheiden kann“, verbrachte er seine letzten Lebenstage in intensivem Gebet und ließ sich dazu die Bußpsalmen Davids an die Wand vor seinem Bett heften. Am 28. August 430 schließlich fand das Herz dieses großen Bischofs und Kirchenlehrers seine Ruhe in Gott.
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Gerne grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache. Sein Einsatz bis zum Lebensende und sein Sterben zeigen uns nochmals die Größe dieses Menschen. Sein Beispiel und seine Lehre sind lebendig in seinen Schriften, sprechen zu uns, lebendig und gegenwärtig auch heute. Wir wollen im Vertrauen auf Gottes Gnade unseren Weg gehen. Der Herr segne und geleite euch alle Tage.

APPELL


Übermorgen, am Freitag, den 18. Januar, beginnt traditionsgemäß die Gebetswoche für die Einheit der Christen. In diesem Jahr kommt ihr eine besondere Bedeutung zu, da sie zum einhundertsten Mal stattfindet. Ihr Thema ist die Aufforderung, die der hl. Paulus an die Thessalonicher richtet: »Betet ohne Unterlaß!« (
1Th 5,17). Gerne mache ich mir diese Aufforderung zu eigen und richte sie an die ganze Kirche. Ja, es ist notwendig, ohne Unterlaß zu beten und Gott beharrlich um das große Geschenk der Einheit aller Jünger des Herrn zu bitten. Die unversiegbare Kraft des Heiligen Geistes sporne uns zu einem aufrichtigen Engagement in der Suche nach Einheit an, damit wir alle gemeinsam bezeugen können, daß Christus der einzige Erlöser der Welt ist.





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