Generalaudienzen 2005-2013 20088

Mittwoch, 20. August 2008

20088
Liebe Brüder und Schwestern!


Die Kirche stellt uns jeden Tag einen oder mehrere Heilige und Selige zur Betrachtung vor, die wir um Fürbitte anrufen oder nachahmen können. In dieser Woche zum Beispiel gedenken wir einiger Heiliger, die vom gläubigen Volk tief verehrt werden. Gestern war der Gedenktag des hl. Johannes Eudes, der angesichts des Rigorismus der Jansenisten - wir befinden uns im 17. Jahrhundert - eine milde Frömmigkeit förderte, als deren unerschöpfliche Quellen er die Heiligsten Herzen Jesu und Mariä aufzeigte. Heute gedenken wir des hl. Bernhard von Clairvaux, der von Papst Pius VIII. als »Doctor mellifluus - honigfließender Lehrer« bezeichnet wurde, weil er sich dadurch auszeichnete, »aus den biblischen Texten den in ihnen verborgenen Sinn herauszudestillieren«. Dieser Mystiker, der sich danach sehnte, in das »helle Tal« der Kontemplation versenkt zu leben, sah sich aufgrund der Ereignisse dazu veranlaßt, durch Europa zu reisen, um der Kirche in den Bedürfnissen der Zeit zu dienen und den christlichen Glauben zu verteidigen. Er wurde auch »marianischer Lehrer« genannt, und zwar nicht, weil er so viel über die Gottesmutter geschrieben hätte, sondern weil er es verstand, ihre grundlegende Rolle in der Kirche zu erkennen, wobei er sie als das vollkommene Vorbild des monastischen Lebens und jeder anderen Form christlichen Lebens vorstellte.

Morgen werden wir des heiligen Papstes Pius X. gedenken, der in einer schwierigen Zeit lebte. Als Johannes Paul II. 1985 seinen Geburtsort besuchte, sagte er über ihn: »Er hat für die Freiheit der Kirche gekämpft und gelitten, und er zeigte sich bereit, für diese Freiheit Privilegien und Ehrungen zu opfern, sowie Spott und Unverständnis auf sich zu nehmen, da er diese Freiheit als letzte Garantie für die Unversehrtheit und Kohärenz des Glaubens erachtete« (Insegnamenti di Giovanni Paolo II, VIII, 1, 1985, S. 1818).

Der kommende Freitag ist der allerseligsten Jungfrau Maria Königin geweiht, ein Gedenktag, der 1954 vom Diener Gottes Pius XII. eingeführt wurde. Die vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewünschte liturgische Erneuerung wollte ihn als Ergänzung zum Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel einrichten, da diese beiden Privilegien ein einziges Geheimnis bilden. Am Samstag werden wir schließlich zur hl. Rosa von Lima beten, die die erste kanonisierte Heilige auf dem lateinamerikanischen Kontinent sowie dessen erste Schutzpatronin ist. Die hl. Rosa pflegte immer zu sagen: »Wenn die Menschen wüßten, was es bedeutet, im Stand der Gnade zu leben, dann würden sie vor keinem Leiden zurückschrecken und gerne jegliche Pein erleiden, da die Gnade Frucht der Geduld ist.« Sie starb 1617 im Alter von 31 Jahren nach einem kurzen Leben voller Leid und Entbehrungen am Fest des heiligen Apostels Bartholomäus, den sie tief verehrt hatte, da er ein besonders schmerzvolles Martyrium erlitten hatte.

Liebe Brüder und Schwestern, Tag für Tag gibt uns die Kirche also die Möglichkeit, in Gemeinschaft mit den Heiligen voranzugehen. Hans Urs von Balthasar schrieb, daß die Heiligen der wichtigste Kommentar zum Evangelium seien, sozusagen dessen Verwirklichung im Alltag, und daß sie uns somit wirklich den Zugang zu Jesus eröffneten. Der französische Schriftsteller Jean Guitton beschrieb sie als die »Spektralfarben des Lichtes«, denn mit den ihnen jeweils eigenen Farbtönen und Akzentuierungen spiegeln sie das Licht der Heiligkeit Gottes wider. Wie wichtig und fruchtbringend ist es daher, die Kenntnis und Verehrung der Heiligen zu pflegen, neben der täglichen Betrachtung des Wortes Gottes und der kindlichen Liebe zur Gottesmutter!

Die Ferienzeit ist sicherlich eine geeignete Zeit, um die Lebensbeschreibungen und Schriften einzelner heiliger Männer oder Frauen zur Hand zu nehmen, doch bietet uns letztlich jeder einzelne Tag des Jahres die Gelegenheit, mit unseren himmlischen Schutzpatronen vertraut zu werden. Ihre menschliche und geistliche Erfahrung zeigt, daß die Heiligkeit kein Luxus und kein Privileg für einige wenige ist, und auch kein Ziel, das ein normalsterblicher Mensch nicht erreichen könnte. In Wirklichkeit ist sie die gemeinsame Bestimmung aller Menschen, die dazu berufen sind, Kinder Gottes zu sein, das heißt die gemeinsame Bestimmung aller Getauften. Die Heiligkeit ist ein Angebot, das an alle gerichtet ist. Natürlich sind nicht alle Heiligen gleich, denn sie sind ja, wie ich bereits gesagt habe, das Spektrum des göttlichen Lichts. Und nicht notwendigerweise sind die großen Heiligen immer jene, die außergewöhnliche Charismen besitzen. Es gibt nämlich auch sehr viele, deren Namen Gott allein kennt, da sie auf Erden dem Anschein nach ein ganz normales Leben geführt haben. Und eben diese »normalen« Heiligen sind jene Heiligen, die Gott für gewöhnlich will. Ihr Vorbild bezeugt, daß man nur dann, wenn man mit dem Herrn in Verbindung bleibt, von seinem Frieden und seiner Freude erfüllt wird und dazu fähig wird, überall Ruhe, Hoffnung und Optimismus zu verbreiten. Gerade in Anbetracht der Verschiedenheit ihrer Charismen bemerkt Bernanos - ein großer französischer Schriftsteller, der immer von der Idee der Heiligen fasziniert war und viele von ihnen in seinen Romanen zitierte -, daß »jedes Heiligenleben wie eine neue Frühjahrsblüte ist«. Möge dies auch für uns so sein! Lassen wir uns von der übernatürlichen Faszination der Heiligkeit anziehen! Diese Gnade erwirke uns Maria, die Königin aller Heiligen, Mutter und Zuflucht der Sünder.

Ein herzliches Willkommen hier in Castel Gandolfo sage ich euch, liebe Brüder und Schwestern aus dem deutschen Sprachraum. In der Taufe sind wir Kinder Gottes geworden. Als Getaufte sind wir zur Heiligkeit berufen: Die Liebe Gottes soll durch uns in die Welt ausstrahlen. Dabei helfen uns die Heiligen, die uns die Kirche Tag für Tag vor Augen stellt. Die Heiligen sind gelebtes Evangelium. Ihr Beispiel zeigt uns, wie auch wir heute die Frohbotschaft Christi konkret leben können. Vertraut auf die Hilfe der Heiligen. Sie sind uns Fürsprecher und Begleiter auf all unseren Wegen.



Mittwoch, 27. August 2008: Der Hl. Paulus (2): Das Leben des Hl. Paulus vor und nach Damaskus

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Liebe Brüder und Schwestern!

In der letzten Katechese vor den Ferien - vor zwei Monaten, Anfang Juli - hatte ich aus Anlaß des Paulus-Jahres mit einer neuen Themenreihe begonnen, wobei ich mich mit der Welt befaßte, in der der hl. Paulus lebte. Heute möchte ich, hieran anknüpfend, meine Reflexion über den Völkerapostel fortsetzen und kurz seine Biographie vorstellen. Während wir uns am kommenden Mittwoch dem außergewöhnlichen Ereignis widmen werden, das sich auf dem Weg nach Damaskus zutrug, der Bekehrung des Paulus, jenem grundlegenden Wendepunkt in seinem Leben aufgrund der Begegnung mit Christus, wollen wir heute einen kurzen Gesamtüberblick über sein Leben geben. Biographische Angaben über Paulus finden wir im Brief an Philemon, in dem er sich selbst als »alten Mann« bezeichnet (
Phm 9, »presbytes«), und in der Apostelgeschichte, wo er im Augenblick der Steinigung des Stephanus als »junger Mann« beschrieben wird (7,58: »neanías«). Diese beiden Altersangaben zu seiner Person sind offensichtlich recht allgemein gehalten, aber gemäß alten Berechnungen wurde ein Mann als »jung« bezeichnet, wenn er rund 30 Jahre alt war, während er »alt« genannt wurde, wenn er ein Lebensalter von rund 60 Jahren erreicht hatte. Letztlich aber hängt das Geburtsdatum des Paulus zum Großteil von der Datierung des Briefes an Philemon ab. Die Überlieferung datiert dessen Abfassung in die Zeit seiner Gefangenschaft in Rom, Mitte der 60er Jahre. Paulus soll um das Jahr 8 geboren sein, somit wäre er ungefähr sechzig Jahre alt gewesen, und bei der Steinigung des Stephanus rund 30 Jahre. Dies dürfte die richtige zeitliche Reihenfolge sein. Und die Feier des Paulus-Jahres, das wir begehen, folgt genau dieser Chronologie. Das Jahr 2008 wurde in Erinnerung an seine Geburt um das Jahr 8 gewählt. Wie dem auch sei: er wurde in Tarsus in Zilizien geboren (vgl. Ac 22,3). Diese Stadt war das Verwaltungszentrum der Region und hatte im Jahr 51 v. Chr. keinen Geringeren als Marcus Tullius Cicero zum Prokonsul, während Tarsus zehn Jahre später, im Jahr 41, Schauplatz der ersten Begegnung zwischen Marcus Antonius und Kleopatra war. Er war Diasporajude und sprach Griechisch, obwohl er einen Namen lateinischen Ursprungs trug, der übrigens durch Assonanz vom ursprünglichen jüdischen Namen Saul/Saulos abgeleitet ist, und er hatte das römische Bürgerrecht (vgl. Ac 22,25-28). Paulus steht daher an der Grenze zu drei verschiedenen Kulturen - der römischen, griechischen und jüdischen -, und vielleicht war er auch gerade deshalb zu einer fruchtbringenden universalistischen Offenheit, zur Vermittlung zwischen den Kulturen und zur wahren Universalität bereit. Er erlernte auch ein Handwerk, das er vielleicht vom Vater übernommen hatte und bei dem es sich um den Beruf des »Zeltmachers« handelte (vgl. Ac 18,3, »skenopoiòs«), worunter wahrscheinlich jemand zu verstehen ist, der Ziegenrohwolle und Leinenfasern bearbeitet, um Matten oder Zelte herzustellen (Ac 20,33-35). Im Alter von 12 bis 13 Jahren, in jenem Alter also, in dem ein jüdischer Junge »bar mizwa« (»Sohn des Gebots«) wird, verließ Paulus Tarsus und siedelte nach Jerusalem über, wo er zu Füßen von Rabbi Gamaliël dem Alten, einem Neffen des großen Rabbi Hillèl, nach den strengsten Vorschriften der Pharisäer ausgebildet wurde und dabei großen Eifer für die mosaische Thora entwickelte (vgl. Ga 1,14 Ph 3,5-6 Ac 22,3 Ac 23,6 Ac 26,5).

Auf der Grundlage dieser hohen Orthodoxie, die er in Jerusalem in der Schule des Hillèl gelernt hatte, sah er in der neuen Bewegung, die sich auf Jesus von Nazaret berief, eine Gefahr, eine Bedrohung für die jüdische Identität und für die wahre Orthodoxie der Väter. Daraus läßt sich die Tatsache erklären, daß er stolz »die Kirche verfolgte«, wie er es dreimal in seinen Briefen zugegeben hat (1Co 15,9 Ga 1,13 Ph 3,6). Auch wenn es nicht leicht ist, sich konkret vorzustellen, worin diese Verfolgung bestand, ist auf jeden Fall davon auszugehen, daß seine Haltung von Intoleranz geprägt war. In diesem Kontext steht das Ereignis bei Damaskus, auf das wir in der nächsten Katechese zu sprechen kommen werden. Sicher ist, daß sich von diesem Augenblick an sein Leben änderte und er zu einem unermüdlichen Apostel des Evangeliums wurde. In der Tat ging Paulus mehr durch sein Wirken als Christ, ja als Apostel in die Geschichte ein als durch seine Taten als Pharisäer. Traditionsgemäß wird sein apostolisches Wirken auf der Grundlage seiner drei Missionsreisen untergliedert, zu der als vierte seine Überführung nach Rom als Gefangener hinzukam. Über sie alle berichtet Lukas in der Apostelgeschichte. Bei diesen drei Missionsreisen ist jedoch die erste von den beiden anderen zu unterscheiden.

Während der ersten Reise trug Paulus nämlich nicht direkt die Verantwortung (vgl. Ac 13-14): sie war vielmehr dem Zyprioten Barnabas anvertraut. Gemeinsam brachen sie als Gesandte jener Kirche von Antiochien am Orontes auf (vgl. Ac 13,1-3), und, nachdem sie vom Hafen von Seleuzia an der syrischen Küste aus in See gestochen waren, durchquerten sie die Insel Zypern von Salamis bis nach Paphos; von dort aus gelangten sie an die Südküste Anatoliens, in der heutigen Türkei, und besuchten die Städte Attalia, Perge in Pamphylien, Antiochia in Pisidien, Ikonion, Lystra und Derbe, von wo aus sie an ihren Ausgangsort zurückkehrten. Auf diese Weise ist die Kirche der Völker, die Kirche der Heiden entstanden. In der Zwischenzeit war vor allem in Jerusalem eine heftige Diskussion um die Frage entbrannt, inwieweit die Heidenchristen verpflichtet seien, auch das Leben und Gesetz Israels anzunehmen (verschiedene Regeln und Vorschriften, die Israel von der übrigen Welt trennten), um wirklich an den Verheißungen der Propheten Anteil zu haben und tatsächlich das Erbe Israels zu übernehmen. Zur Lösung dieses für die im Entstehen begriffene Kirche fundamentalen Problems trat in Jerusalem das sogenannte »Apostelkonzil« zusammen, um über dieses Problem zu beraten, von dem die konkrete Entstehung einer universalen Kirche abhing. Es wurde beschlossen, den bekehrten Heiden nicht die Befolgung des mosaischen Gesetzes aufzuerlegen (vgl. Ac 15,6-30): sie waren also nicht an die Vorschriften des jüdischen Glaubens gebunden; die einzige Notwendigkeit bestand darin, Christus zugehörig zu sein und mit Christus und nach seinem Wort zu leben. Wenn sie nämlich Christus zugehörten, gehörten sie auch zu Abraham und zu Gott und hatten Anteil an allen Verheißungen. Nach diesem entscheidenden Ereignis trennte sich Paulus von Barnabas, wählte Silas und begann seine zweite Missionsreise (vgl. Ac 15,36-18 Ac 15,22). Nachdem er Syrien und Zilizien durchquert hatte, besuchte er erneut die Stadt Lystra, wo er Timotheus mitnahm (eine sehr wichtige Gestalt für die entstehende Kirche, Sohn einer Jüdin und eines Heiden) und ihn beschneiden ließ. Danach zog er durch Mittelanatolien und erreichte die Stadt Troas an der Nordküste des Ägäischen Meeres. Hier kam es erneut zu einem bedeutenden Ereignis: Im Traum sah er auf der gegenüberliegenden Seite des Meeres, das heißt in Europa, einen Mazedonier, der ihm zurief. »Komm herüber, und hilf uns!« Es war das künftige Europa, das um die Hilfe und das Licht des Evangeliums bat. Von dieser Vision angespornt, machte er sich auf den Weg nach Europa. Er fuhr mit dem Schiff nach Mazedonien und gelangte so nach Europa. In Neapolis ging er an Land und kam nach Philippi, wo er eine schöne Gemeinde gründete. Dann fuhr er weiter nach Thessalonich, mußte aber aufgrund der Schwierigkeiten, die ihm von den Juden bereitet wurden, die Stadt verlassen und gelangte schließlich über Beröa nach Athen. In dieser Hauptstadt der antiken griechischen Kultur predigte er zunächst auf der Agorà und dann auf dem Areopag zu den Heiden und den Griechen. Seine Rede auf dem Areopag, die in der Apostelgeschichte dokumentiert ist, ist ein Vorbild dafür, wie das Evangelium auf die griechische Kultur übertragen wird; wie den Griechen verständlich gemacht werden kann, daß dieser Gott der Christen, der Juden, nicht ein ihrer Kultur fremder Gott ist, sondern der unbekannte, von ihnen erwartete Gott, die wahre Antwort auf die tiefsten Fragen ihrer Kultur. Von Athen aus begab er sich dann nach Korinth, wo er für eineinhalb Jahre blieb. Dort kam es zu einem chronologisch ganz klar einzuordnenden Ereignis, dem am zuverlässigsten belegten seiner ganzen Biographie. Er wurde nämlich bei seinem ersten Aufenthalt in Korinth vom Gouverneur der Senatorenprovinz Achaia, dem Prokonsul Gallio, vorgeladen, da er eines unrechtmäßigen Kultes angeklagt worden war. Über diesen Gallio und seine Zeit in Korinth gibt es eine antike Inschrift, die in Delphi gefunden wurde und dokumentiert, daß er in den Jahren 51 bis 53 Prokonsul von Korinth war. Damit haben wir also eine absolut zuv rlässige Zeitangabe. Der Aufenthalt des Paulus muß also in diese Jahre fallen. Wir können davon ausgehen, daß er um das Jahr 50 angekommen und bis 52 geblieben ist. Von Korinth aus fuhr er über Kenchreä, den östlichen Hafen der Stadt, nach Palästina und kam nach Cäsarea, von wo aus er sich nach Jerusalem begab, um schließlich nach Antiochia am Orontes zurückzukehren.

Die dritte Missionsreise (vgl. Ac 18,23-21,16) begann wie immer in Antiochia, das zum Ausgangspunkt der Kirche der Heiden und der Heidenmission geworden war, und es war auch der Ort, an dem der Begriff »Christen« geprägt wurde. Hier wurden, so berichtet der hl. Lukas, die Jünger Jesu zum ersten Mal »Christen« genannt. Von dort aus steuerte Paulus geradewegs auf Ephesus zu, die Hauptstadt der Provinz Asien, wo er sich zwei Jahre lang aufhielt und einen Dienst leistete, der sich sehr fruchtbringend auf die ganze Region auswirkte. Von Ephesus aus schrieb Paulus seine Briefe an die Thessalonicher und die Korinther. Die Bevölkerung der Stadt wurde aber von den dortigen Silberschmieden gegen ihn aufgewiegelt, die ihre Einnahmen aufgrund des Rückgangs des Artemis-Kultes schwinden sahen (der ihr in Ephesus geweihte Tempel, das Artemysion, war eines der sieben Weltwunder der Antike); daher mußte er nach Norden fliehen. Nachdem er erneut durch Mazedonien gezogen war, fuhr er wieder hinunter nach Griechenland, wahrscheinlich nach Korinth, wo er sich drei Monate lang aufhielt und den berühmten Brief an die Römer schrieb.

Von dort aus kehrte er wieder zurück: er machte sich erneut auf den Weg nach Mazedonien, erreichte mit dem Schiff Troas, streifte die Inseln Mitylene, Chios und Samos und gelangte schließlich nach Milet, wo er eine bedeutende Rede vor den Ältesten der Kirche von Ephesus hielt, in der er ein Bild vom wahren Hirten der Kirche entwarf (vgl. Ac 20). Von dort aus segelte er wieder nach Tyrus, von wo aus er Cäsarea erreichte, um ein weiteres Mal nach Jerusalem hinaufzuziehen. Dort wurde er aufgrund eines Mißverständnisses verhaftet: einige Juden hatten andere Juden griechischer Herkunft, die von Paulus in den ausschließlich den Israeliten vorbehaltenen Bereich des Tempels mitgenommen worden waren, fälschlich für Heiden gehalten. Die dafür vorgesehene Todesstrafe blieb ihm erspart dank des Eingreifens des römischen Tribuns, der den Tempelbereich bewachte (vgl. Ac 21,27-36); dies ereignete sich, als Antonius Felix kaiserlicher Prokurator in Judäa war. Nach einer gewissen Zeit im Gefängnis (über deren Dauer die Meinungen auseinandergehen) legte Paulus als römischer Bürger beim Kaiser (in jener Zeit regierte Nero) Berufung ein; der nachfolgende Prokurator, Porzius Festius, schickte ihn dann in militärischem Gewahrsam nach Rom.

Auf seiner Reise nach Rom hielt er sich auf den Mittelmeerinseln Kreta und Malta auf und erreichte dann die Städte Syrakus, Rhegion und Puteoli. Die Christen Roms reisten ihm auf der Via Appia bis zum Forum Appii entgegen (das circa 70 Kilometer südlich von der Hauptstadt liegt), und andere bis nach Tres Tabernae (circa 40 Kilometer). In Rom begegnete er den führenden Männern der jüdischen Gemeinde, denen er anvertraute, daß er »um der Hoffnung Israels willen « seine Fesseln trage (Ac 28,20). Der Bericht des Lukas endet mit der Erwähnung der beiden Jahre, die er in Rom, von einem Soldaten bewacht, verbracht hatte, wobei aber weder die Verurteilung durch den Kaiser (Nero) noch der Tod des Angeklagten erwähnt wird. Spätere Überlieferungen berichten von seiner Befreiung, die dann eine Missionsreise nach Spanien sowie einen späteren Abstecher nach Osten möglich gemacht hätte, genauer gesagt nach Kreta, Ephesus und Nikopolis in Epirus. Ebenfalls auf hypothetischer Grundlage vermutet man eine erneute Verhaftung und eine zweite Gefangenschaft in Rom (wo er die drei sogenannten »Pastoralbriefe« geschrieben haben soll, das heißt die beiden Briefe an Timotheus und den an Titus). Auch sei es zu einem zweiten Prozeß gekommen, der zu seinen Ungunsten ausgegangen sei. Trotzdem sehen sich viele Paulus-Forscher aus mehreren Gründen dazu veranlaßt, die Biographie des Apostels mit dem Bericht des Lukas in der Apostelgeschichte enden zu lassen.

Auf sein Martyrium werden wir in unseren Katechesen an späterer Stelle zurückkommen. Bei dieser kurzen Aufzählung der Reisen des Paulus mag es vorerst genügen festzuhalten, daß er sich der Verkündigung des Evangeliums gewidmet hat, ohne seine Kräfte zu schonen. Dabei hat er eine Reihe von schweren Prüfungen auf sich nehmen müssen, die er im zweiten Brief an die Korinther aufzählt (vgl. 11,21-28). Im übrigen schreibt er selbst: »Alles tue ich für das Evangelium« (1Co 9,23), und er versuchte, mit vollkommener Großherzigkeit das vorzuleben, was er »Sorge für alle Gemeinden« nennt (2Co 11,28). Wir sehen einen Einsatz, der sich einzig und allein erklären läßt durch eine Seele, die wirklich vom Licht des Evangeliums fasziniert und in Christus verliebt ist; eine Seele, die von einer tiefen Überzeugung getragen ist: wir müssen der Welt das Licht Christi bringen und allen das Evangelium verkünden. Dies scheint mir die Quintessenz dieses kurzen Überblicks über die Reisen des hl. Paulus zu sein: seine Leidenschaft für das Evangelium zu sehen und so die Größe, die Schönheit und die tiefe Notwendigkeit des Evangeliums für uns alle zu erkennen. Bitten wir, daß der Herr, der Paulus sein Licht hat schauen lassen, ihn sein Wort hat hören lassen und sein Herz im Innersten angerührt hat, auch uns sein Licht schauen lasse, damit auch unser Herz von seinem Wort berührt werde und auch wir der Welt von heute das Licht des Evangeliums und die Wahrheit Christi, nach der sie so sehr dürstet, bringen können.

APPELL ZUR SITUATION IN INDIEN


Mit tiefer Trauer habe ich von den Gewalttaten gegen die christlichen Gemeinden im indischen Staat Orissa erfahren, die im Anschluß an die beklagenswerte Ermordung des Hindu-Führers Swami Lakshmananda Saraswati zum Ausbruch gekommen sind. Bisher sind einige Menschen getötet und weitere verletzt worden. Es kam darüber hinaus zur Zerstörung von Gotteshäusern und Gemeindezentren, kirchlichem Eigentum und privaten Wohnhäusern. Während ich jeden Angriff auf das menschliche Leben, dessen Heiligkeit die Achtung aller erfordert, entschieden verurteile, bringe ich meine geistige Nähe und Solidarität den Brüdern und Schwestern im Glauben zum Ausdruck, die so hart geprüft werden. Ich bitte den Herrn inständig, daß er sie begleiten und stützen möge in dieser Zeit des Leidens und daß er ihnen die Kraft gebe, den Dienst der Liebe zum Wohl aller fortzusetzen. Ich fordere die Religionsführer und die zivilen Autoritäten auf zusammenzuarbeiten, um unter den Mitgliedern der verschiedenen Gemeinschaften das friedliche Zusammenleben und die Eintracht wiederherzustellen, die stets Kennzeichen der indischen Gesellschaft gewesen sind.
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Heute wollen wir die Reihe unserer Mittwochskatechesen über den Apostel Paulus fortsetzen und uns hierbei zunächst einige wichtige Etappen seines Lebens anschauen. Biographische Eckdaten wie sein Geburtsjahr und das erreichte Lebensalter sind uns nicht genau bekannt. Paulus selbst bezeichnet sich im Brief an Philemon als einen alten Mann (vgl. Phlm Phm 9), was nach damaliger Vorstellung ein Alter von etwa 60 Jahren besagt. Wenn dieser Brief, wie es die Überlieferung will, in der Gefangenschaft kurz vor seinem Tod um 67 n. Chr. geschrieben worden ist, dann wäre Paulus etwa im Jahre 8 geboren. Dieser Berechnung folgt die Kirche, wenn sie heuer das Paulusjahr begeht. Paulus hieß eigentlich Saulus und wurde in Tarsus in der heutigen Türkei in eine jüdische Familie hineingeboren. Er sprach auch griechisch und besaß das römische Bürgerrecht. Vom Vater hatte er vielleicht den Beruf eines Zeltmachers erlernt. Daneben erhielt er eine strenge religiöse Erziehung, die er in Jerusalem bei dem berühmten Rabbi Gamaliël noch vertiefte. Als eifrigem Juden war ihm der neue Weg der Christen ein großes Ärgernis, den er hart verfolgte. Nachdem er jedoch in einer Vision bei Damaskus Jesus selbst begegnet war, ließ er sich taufen und sein Haß wandelte sich in glühende Christusliebe. Auf drei Missionsreisen nach Zypern, Kleinasien und Griechenland wurde er zum Apostel der nicht-jüdischen Völker und festigte seine Mission durch zahlreiche Briefe an die von ihm gegründeten Gemeinden. Paulus war mit drei Kulturen - der jüdischen, der griechischen und der römischen - vertraut und daher besonders befähigt, verschiedenen Geisteswelten die Frohbotschaft Christi zu eröffnen. Unermüdlich widmete er sich diesem Auftrag, getreu seiner Maxime: „Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an seiner Verheißung teilzuhaben“ (1Co 9,23).
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Sehr herzlich grüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache, die vielen jungen Menschen und besonders die Ministranten aus der Steiermark. Der heilige Paulus sei uns allen ein Vorbild, mutige Zeugen des Evangeliums in Wort und Tat zu sein. Ich wünsche euch von Herzen eine gute Zeit in Rom.


Mittwoch, 3. September 2008: Der Hl. Paulus (3): Das Damaskuserlebnis des Hl. Paulus

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Liebe Brüder und Schwestern!

Die heutige Katechese soll dem Erlebnis des hl. Paulus auf dem Weg nach Damaskus gewidmet sein, also jenem Erlebnis, das man gemeinhin seine Bekehrung nennt. Gerade auf der Straße vor Damaskus ereignete sich nämlich Anfang der Dreißigerjahre des 1. Jahrhunderts der entscheidende Augenblick im Leben des Paulus - nach einer Zeit, in der er die Kirche verfolgt hatte. Darüber ist viel und natürlich unter verschiedenen Gesichtspunkten geschrieben worden. Sicher ist, daß dort eine Wende, ja eine Umkehr der Sichtweise erfolgt ist. Ganz unerwartet begann er nun alles, was für ihn bis dahin das höchste Ideal, ja gleichsam den Grund seiner Existenz darstellte, als »Verlust« und »Unrat« anzusehen (vgl.
Ph 3,7-8). Was war geschehen?

Wir haben dazu zwei Arten von Quellen. Die erste und bekannteste sind die Berichte aus der Feder des Lukas, der in der Apostelgeschichte dreimal von dem Ereignis berichtet (vgl. 9,1-19; 22,3-21; 26,4-23). Der durchschnittlich gebildete Leser ist vielleicht versucht, zu sehr bei einigen Details stehenzubleiben, wie dem Licht vom Himmel, dem Zu-Boden-Stürzen, der Stimme, die ruft, dem neuen Zustand der Blindheit, der Heilung, als fielen gleichsam Schuppen von den Augen, und dem Fasten. Aber alle diese Details beziehen sich auf den Mittelpunkt des Geschehens: Der auferstandene Christus erscheint als ein strahlendes Licht und spricht zu Saulus, verwandelt dessen Denken und Leben. Der Glanz des Auferstandenen läßt ihn erblinden: So tritt auch äußerlich das zutage, was seine innere Wirklichkeit war, seine Blindheit gegenüber der Wahrheit, dem Licht, das Christus ist. Und dann öffnet sein endgültiges »Ja« zu Christus in der Taufe wieder seine Augen, läßt ihn wirklich sehen.

In der frühen Kirche wurde die Taufe auch »Erleuchtung« genannt, weil dieses Sakrament das Licht schenkt und wirklich sehen läßt. Alles, was somit theologisch angedeutet wird, verwirklicht sich in Paulus auch leiblich: Nachdem er von seiner inneren Blindheit geheilt ist, sieht er gut. Der hl. Paulus ist also nicht von einem Gedanken, sondern von einem Ereignis verwandelt worden, von der unwiderstehlichen Gegenwart des Auferstandenen, an der er fortan nie zweifeln können wird, so stark war die Offenkundigkeit des Ereignisses, dieser Begegnung. Sie änderte das Leben des Paulus grundlegend; in diesem Sinn kann und muß man von einer Bekehrung sprechen. Diese Begegnung bildet den Mittelpunkt der Erzählung des hl. Lukas, der möglicherweise einen Bericht benutzt hat, der wahrscheinlich in der Gemeinde von Damaskus entstanden ist. Daran läßt das Lokalkolorit denken, das durch die Gegenwart des Hananias und die Namen sowohl der Straße als auch des Eigentümers des Hauses, in dem Paulus wohnte, vermittelt wird (vgl. Ac 9,11).

Die zweite Art von Quellen über die Bekehrung stellen die Briefe des hl. Paulus dar. Er hat nie im einzelnen über dieses Ereignis gesprochen, weil er, so denke ich, annehmen konnte, daß alle das Wesentliche dieser seiner Geschichte kannten, denn alle wußten ja, daß er vom Verfolger in einen eifrigen Apostel Christi verwandelt worden war. Und das war nicht infolge eines eigenen Nachdenkens geschehen, sondern aufgrund eines bedeutsamen Ereignisses, einer Begegnung mit dem Auferstandenen. Auch wenn er nicht von den Details spricht, spielt er verschiedene Male auf diese äußerst wichtige Tatsache an, daß nämlich auch er Zeuge der Auferstehung Jesu ist, deren Offenbarung er unmittelbar von Jesus selbst empfangen hat, zusammen mit der Sendung als Apostel. Der klarste Text dazu findet sich in seiner Erzählung darüber, was den Mittelpunkt der Heilsgeschichte bildet: der Tod und die Auferstehung Jesu und die Erscheinungen vor den Zeugen (vgl. 1Co 15). Mit Worten der ältesten Überlieferung, die auch er von der Kirche von Jerusalem empfangen hat, sagt er, daß der am Kreuz gestorbene, begrabene und auferstandene Jesus nach der Auferstehung zuerst dem Kephas, also Petrus, dann den Zwölf, danach fünfhundert Brüdern erschienen war, die zum Großteil zu jener Zeit noch lebten; dann dem Jakobus, dann allen Aposteln. Und zu dieser aus der Überlieferung empfangenen Erzählung fügt er hinzu: »Als letztem von allen erschien er auch mir« (1Co 15,8). So gibt er zu verstehen, daß dies das Fundament seines Apostolats und seines neuen Lebens ist. Es gibt noch andere Texte, in denen dasselbe zum Vorschein kommt: »Durch Jesus Christus haben wir die Gnade des Apostelamts empfangen « (vgl. Rm 1,5); und weiter: »Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen?« (1Co 9,1), Worte, mit denen er auf etwas anspielt, das alle wissen. Und schließlich ist in dem am meisten verbreiteten Text (Ga 1,15-17) zu lesen: »Als aber Gott, der mich schon im Mutterleib auserwählt und durch seine Gnade berufen hat, mir in seiner Güte seinen Sohn offenbarte, damit ich ihn unter den Heiden verkündige, da zog ich keinen Menschen zu Rate; ich ging auch nicht sogleich nach Jerusalem hinauf zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern zog nach Arabien und kehrte dann wieder nach Damaskus zurück«. In dieser »Selbstverteidigung « hebt er entschieden hervor, daß auch er wahrer Zeuge des Auferstandenen ist, eine eigene Sendung hat, die er unmittelbar vom Auferstandenen empfangen hat.

So können wir sehen, daß die beiden Quellen, die Apostelgeschichte und die Briefe des hl. Paulus, im grundlegenden Punkt zusammengehen und übereinstimmen: Der Auferstandene hat zu Paulus gesprochen, er hat ihn zum Apostolat berufen, aus ihm einen wahren Apostel gemacht, einen Zeugen der Auferstehung, mit dem besonderen Auftrag, das Evangelium den Heiden, der griechisch-römischen Welt, zu verkünden. Und gleichzeitig hat Paulus gelernt, daß er trotz der Unmittelbarkeit seiner Beziehung zum Auferstandenen in die Gemeinschaft der Kirche eintreten muß, daß er sich taufen lassen und im Einklang mit den anderen Aposteln leben muß. Nur in dieser Gemeinschaft mit allen wird er ein wahrer Apostel sein können, wie er im Ersten Brief an die Korinther ausdrücklich schreibt: »Ob nun ich verkündige oder die anderen: das ist unsere Botschaft, und das ist der Glaube, den ihr angenommen habt« (15, 11). Es gibt nur eine Verkündigung des Auferstandenen, denn Christus gibt es nur einen.

Wie man sieht, interpretiert Paulus an allen diesen Stellen diesen Augenblick nie als ein Bekehrungsgeschehen. Warum? Darüber gibt es viele Hypothesen, aber für mich liegt der Grund klar auf der Hand. Diese Wende seines Lebens, diese Verwandlung seines ganzen Seins war nicht das Ergebnis eines psychologischen Prozesses, einer intellektuellen oder moralischen Reifung oder Evolution, sondern sie kam von außen: Sie war nicht das Ergebnis seines Denkens, sondern der Begegnung mit Jesus Christus. In diesem Sinne war es nicht einfach eine Bekehrung, ein Reifwerden seines »Ich«, sondern es war Tod und Auferstehung für ihn selbst: Eine Existenz starb, und eine andere neue entstand daraus mit dem auferstandenen Christus. Auf keine andere Weise kann diese Erneuerung des Paulus erklärt werden. Sämtliche psychologischen Analysen können das Problem weder klären noch lösen. Allein das Ereignis, die starke Begegnung mit Christus, ist der Schlüssel zum Verstehen dessen, was geschehen war: Tod und Auferstehung, Erneuerung durch den, der sich ihm gezeigt und mit ihm gesprochen hatte. In diesem tieferen Sinn können und müssen wir von Bekehrung sprechen. Diese Begegnung ist eine wirkliche Erneuerung, die alle seine Maßstäbe geändert hat. Jetzt kann er sagen, daß das, was vorher für ihn wesentlich und grundlegend war, zu »Unrat« geworden ist; es ist kein »Verdienst« mehr, sondern Verlust, weil nunmehr allein das Leben in Christus zählt.

Dennoch dürfen wir nicht denken, Paulus sei auf diese Weise in ein blindes Geschehen eingeschlossen worden. Wahr ist das Gegenteil, weil der auferstandene Christus das Licht der Wahrheit, das Licht Gottes selbst ist. Das hat sein Herz geweitet, es offen für alle gemacht. In diesem Augenblick hat er nichts von alldem verloren, was es an Gutem und Wahrem in seinem Leben, in seinem Erbe gegeben hat, sondern er hat auf neue Weise die Weisheit, die Wahrheit, die Tiefe des Gesetzes und der Propheten verstanden und hat sich diese auf neue Weise wieder angeeignet. Gleichzeitig hat sich seine Vernunft der Weisheit der Heiden geöffnet; da er sich mit ganzem Herzen Christus geöffnet hatte, ist er zu einem umfassenden Dialog mit allen fähig geworden, fähig, allen alles zu werden. So konnte er wirklich der Apostel der Heiden sein.

Während wir nun zu uns selbst kommen, fragen wir uns: Was will das für uns besagen? Es will heißen, daß auch für uns das Christentum keine neue Philosophie oder eine neue Moral ist. Wir sind nur dann Christen, wenn wir Christus begegnen. Gewiß zeigt er sich uns nicht auf diese unwiderstehliche, leuchtende Art, wie er es mit Paulus getan hat, um aus ihm den Apostel aller Völker zu machen. Aber auch wir können Christus begegnen, in der Lektüre der Heiligen Schrift, im Gebet, im liturgischen Leben der Kirche. Wir können das Herz Christi berühren und spüren, daß er unser Herz berührt. Erst in dieser persönlichen Beziehung mit Christus, erst in dieser Begegnung mit dem Auferstandenen werden wir wirklich Christen. Und so öffnet sich unsere Vernunft, es eröffnet sich uns die ganze Weisheit Christi und der ganze Reichtum der Wahrheit. Wir bitten also den Herrn, daß er uns erleuchte, daß er uns in unserer Welt die Begegnung mit seiner Gegenwart schenke, und uns so einen lebendigen Glauben, ein offenes Herz, eine große Liebe für alle gebe, die fähig ist, die Welt zu erneuern.

In der Reihe der Katechesen über den heiligen Paulus wollen wir uns heute dem sogenannten Damaskuserlebnis zuwenden. Dreimal wird dieses prägende Ereignis in der Apostelgeschichte erzählt. Demnach war Saulus, wie Paulus ursprünglich hieß, mit dem Auftrag unterwegs, die Christen aufzuspüren, zu verhaften und nach Jerusalem zu bringen. In der Nähe von Damaskus wurde er jedoch von einem hellen Licht umstrahlt; er stürzte zur Erde und hörte die Stimme Jesu: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“ (Ac 9,4). Nach der Vision war Paulus erblindet, doch als der Christ Hananias ihm in Damaskus die Hände auflegte, fiel es wie Schuppen von seinen Augen und, vom Heiligen Geist erfüllt, ließ er sich taufen. Diese ausführliche Erzählung in der Apostelgeschichte steht in einem gewissen Kontrast zu den eher nüchternen Aussagen darüber in den Paulusbriefen. Dort schildert der Völkerapostel keine Einzelheiten und deutet das Ereignis weniger als seine Bekehrung, sondern als eine persönliche Begegnung mit Christus, die ihm den Anstoß gibt, alles Vorherige als Unrat aufzugeben (Ph 3,8) und stattdessen unermüdlich als Zeuge des Auferstandenen zu wirken. Paulus zeigt uns die zentrale Bedeutung der Person Christi für unseren Glauben: Ihm ist nicht nur der historische Jesus, sondern der lebendige Christus erschienen. Dieser Christus bestimmt unsere Identität als Christen; in ihm, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, finden wir den tiefsten Sinn unseres Lebens. Wer das erkannt hat, kann diese Wahrheit nicht mehr für sich behalten, er muß sie weitergeben.
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Ein frohes „Grüß Gott“ sage ich allen deutschsprachigen Pilgern und Besuchern, besonders den Kirchenchören aus der Diözese Eichstätt mit ihrem Bischof. In diesem Paulusjahr lade ich euch alle ein, den Spuren des großen Apostels nachzugehen, seine Briefe zu lesen und zu meditieren und auch die an ihn erinnernden Orte, von denen einige sich in Rom befinden, zu besuchen. Der Herr geleite euch auf euren Wegen!





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