Generalaudienzen 2005-2013 22108

Mittwoch, 22. Oktober 2008: Der Hl. Paulus (9): Die zentrale Rolle des auferstandenen Jesus im Geheimnis der Erlösung

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Liebe Brüder und Schwestern!

In den Katechesen der vergangenen Wochen haben wir über die »Bekehrung« des hl. Paulus nachgedacht, die Frucht seiner persönlichen Begegnung mit dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus war, und wir haben uns die Frage gestellt, welcher Art die Beziehung des Völkerapostels zum irdischen Jesus gewesen ist. Heute möchte ich über die Lehre sprechen, die uns der hl. Paulus über die zentrale Rolle des auferstandenen Christus im Heilsmysterium hinterlassen hat, also über seine Christologie. In Wahrheit steht der auferstandene Christus, dessen »Name größer als alle Namen ist«, im Zentrum jeder Betrachtung. Christus ist für den Apostel das Maß für die Bewertung von Ereignissen und Sachverhalten, das Ziel jeder Anstrengung, die er für die Verkündigung des Evangeliums unternimmt, die große Leidenschaft, die seine Schritte auf den Straßen der Welt voranbringt. Und es handelt sich um einen lebendigen, konkreten Christus: den Christus - wie Paulus sagt -, »der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat« (
Ga 2,20). Diese Person, die mich liebt, mit der ich sprechen kann, die mich anhört und mir antwortet, ist wirklich das Prinzip, um die Welt zu verstehen und den Weg in der Geschichte zu finden.

Wer die Schriften des hl. Paulus gelesen hat, weiß gut, daß er sich nicht darum bemüht hat, über Einzelheiten aus dem Leben zu berichten, auch wenn wir annehmen können, daß er in seinen Katechesen viel mehr über den vorösterlichen Jesus erzählt hat als er in den Briefen schreibt, die Ermahnungen in besonderen Situationen sind. Seine pastoralen und theologischen Absichten waren so sehr auf die Erbauung der entstehenden Gemeinden ausgerichtet, daß er spontan alles auf die Verkündigung Jesu Christi als den »Herrn« konzentrierte, der jetzt lebt und mitten unter den Seinen gegenwärtig ist. Daher stammt die charakteristische Wesentlichkeit der paulinischen Christologie, die mit einer ständigen und genauen Sorge die Tiefen des Geheimnisses entfaltet: Gewiß geht es darum, den lebendigen Jesus zu verkünden, seine Lehre, aber vor allem die zentrale Wirklichkeit seines Todes und seiner Auferstehung als Höhepunkt seines irdischen Daseins und Wurzel der folgenden Entwicklung des gesamten christlichen Glaubens, der ganzen Wirklichkeit der Kirche. Für den Apostel ist die Auferstehung kein für sich stehendes, vom Tod abgetrenntes Ereignis: Der Auferstandene ist immer derjenige, der vorher gekreuzigt worden ist. Auch als Auferstandener trägt er seine Wunden: Das Leiden ist in ihm gegenwärtig, und man kann mit Pascal sagen, daß er bis zum Ende der Welt leidet, obwohl er der Auferstandene ist und mit uns und für uns lebt. Diese Identität des Auferstandenen mit dem gekreuzigten Christus hatte Paulus auf dem Weg nach Damaskus erkannt: In jenem Augenblick offenbarte sich ihm klar und deutlich, daß der Gekreuzigte der Auferstandene und der Auferstandene der Gekreuzigte ist, der zu Paulus sagt: »Warum verfolgst du mich?« (Ac 9,4). Paulus verfolgt Christus in der Kirche und begreift dann, daß das Kreuz eine Verfluchung Gottes ist (vgl. Dt 21,23), aber Opfer für unsere Erlösung.

Der Apostel betrachtet fasziniert das verborgene Geheimnis des Gekreuzigten-Auferstandenen und geht über die von Christus in seiner Menschheit erlittenen Leiden (irdische Dimension) zu jener ewigen Existenz zurück, in der dieser ganz eins mit dem Vater ist (vorzeitliche Dimension): »Als aber die Zeit erfüllt war«, so schreibt er, »sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen« (Ga 4,4-5). Diese beiden Dimensionen, die ewige Präexistenz beim Vater und die Herabkunft des Herrn in der Menschwerdung, werden bereits im Alten Testament in der Gestalt der Weisheit angekündigt. Wir finden in den Weisheitsbüchern des Alten Testaments einige Texte, die die Rolle der vor der Schöpfung der Welt existierenden Weisheit hervorheben. In diesem Sinn müssen Abschnitte wie der folgende aus dem 90. Psalm gelesen werden: »Ehe die Berge geboren wurden, die Erde entstand und das Weltall, bist du, o Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit« (V. 2); oder Stellen wie jene, die von der schöpferischen Weisheit spricht: »Der Herr hat mich geschaffen im Anfang seiner Wege, vor seinen Werken in der Urzeit; in frühester Zeit wurde ich gebildet, am Anfang, beim Ursprung der Erde« (Pr 8,22-23). Beeindruckend ist auch der Lobpreis der Weisheit in dem gleichnamigen Buch: »Machtvoll entfaltet sie ihre Kraft von einem Ende zum andern und durchwaltet voll Güte das All« (Sg 8,1).

Dieselben Weisheitstexte, die von der ewigen Präexistenz der Weisheit sprechen, sprechen auch vom Herabstieg, von der Erniedrigung dieser Weisheit, die sich ein Zelt unter den Menschen errichtet hat. So hören wir bereits die Worte des Johannesevangeliums anklingen, das von der Wohnstatt, dem Zelt des Leibes des Herrn spricht. Im Alten Testament ist ein Zelt errichtet worden: Hier wird auf den Tempel hingewiesen, auf den Kult gemäß der »Thora«; aber aus der Sicht des Neuen Testaments können wir verstehen, daß dieses Zelt eigentlich nur eine Vorankündigung des viel wirklicheren und bedeutsameren Zeltes war: des Zeltes des Leibes Christi. Und wir sehen bereits in den Büchern des Alten Testaments, daß diese Erniedrigung der Weisheit, ihre Herabkunft im Fleisch, auch die Möglichkeit einschließt, daß sie abgelehnt wird. Bei der Entfaltung seiner Christologie beruft sich der hl. Paulus gerade auf diese Weisheitsperspektive: Er erkennt in Jesus die ewige, seit jeher existierende Weisheit, die Weisheit, die herabkommt und sich unter uns ein Zelt errichtet, und so kann er Christus als »Gottes Kraft und Gottes Weisheit« beschreiben; so kann er sagen, daß Gott Christus »für uns zur Weisheit gemacht hat, zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung« (1Co 1,24 1Co 1,30). In ähnlicher Weise erklärt Paulus, daß Christus so wie die Weisheit vor allem von den Machthabern dieser Welt abgelehnt werden kann (vgl. 1Co 2,6-9), so daß in den Plänen Gottes eine paradoxe Situation entstehen kann: das Kreuz, das sich in den Heilsweg für das ganze Menschengeschlecht umkehren wird.

Eine Weiterentwicklung dieses Weisheitszyklus, bei der die Weisheit erniedrigt wird, um dann trotz der Ablehnung erhöht zu werden, findet sich in dem berühmten Hymnus im Brief an die Philipper (vgl. Ph 2,6-11). Es handelt sich um einen der erhabensten Texte des ganzen Neuen Testaments. Die Exegeten stimmen mit großer Mehrheit darin überein, daß diese Perikope eine Fassung wiedergibt, die vor dem Text des Briefes an die Philipper liegt. Das ist eine Tatsache von großer Wichtigkeit, da es bedeutet, daß das Judentum vor Paulus an die Gottheit Jesu glaubte. Mit anderen Worten: Der Glaube an die Gottheit Jesu ist keine hellenistische Erfindung, die lange nach dem irdischen Leben Jesu entstanden wäre; eine Erfindung, die ihn unter Vergessen seines Menschseins vergöttlicht hätte; in Wirklichkeit sehen wir, daß das erste Judenchristentum an die Gottheit Jesu glaubte; ja, wir können sagen, daß die Apostel selbst in den großen Augenblicken des Lebens ihres Meisters verstanden haben, daß er der Sohn Gottes war, wie der hl. Petrus in Cäsarea Philippi sagte: »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes« (Mt 16,16). Kehren wir jedoch zum Hymnus des Briefes an die Philipper zurück. Die Struktur dieses Textes kann in drei Strophen gegliedert werden, die die Hauptmomente des von Christus vollbrachten Weges veranschaulichen. Seine Präexistenz wird mit den Worten ausgedrückt: »Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein« (V. 6); es folgt dann die freiwillige Erniedrigung des Sohnes in der zweiten Strophe: »Er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen« (V. 7), bis hin zur Selbsterniedrigung: »Er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz« (V. 8). Die dritte Strophe kündigt die Antwort des Vaters auf die Erniedrigung des Sohnes an: »Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen« (V. 9). Was auffällt, ist der Gegensatz zwischen der radikalen Erniedrigung und der folgenden Verherrlichung in der Glorie Gottes. Es ist offensichtlich, daß diese zweite Strophe im Gegensatz zum Anspruch Adams steht, der sich selbst zu Gott machen wollte; sie steht auch im Gegensatz zu dem Vorgehen der Erbauer des Turms von Babel, die aus eigener Kraft die Brücke zum Himmel errichten und sich selbst zu Göttern machen wollten. Aber diese von Stolz geleitete Unternehmung endete in der Selbstzerstörung: Nicht so gelangt man zum Himmel, zum wahren Glück, zu Gott. Die Haltung des Gottessohnes ist das genaue Gegenteil: Nicht der Stolz, sondern die Demut, die Verwirklichung der Liebe ist, und die Liebe ist göttlich. Die Initiative der Erniedrigung, der radikalen Demut Christi, mit der er dem menschlichen Stolz widerspricht, ist in Wirklichkeit Ausdruck der göttlichen Liebe; ihr folgt jene Erhöhung in den Himmel, zu der uns Gott mit seiner Liebe zieht.

Außer dem Brief an die Philipper gibt es noch andere Stellen der paulinischen Literatur, wo die Themen der Präexistenz und der Herabkunft des Gottessohnes auf die Erde miteinander verbunden sind. Eine erneute Feststellung der Angleichung zwischen Weisheit und Christus mit allen damit verbundenen kosmischen und anthropologischen Folgen findet sich im Ersten Brief an Timotheus: »Wahrhaftig, das Geheimnis unseres Glaubens ist groß: Er wurde offenbart im Fleisch, gerechtfertigt durch den Geist, geschaut von den Engeln, verkündet unter den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit« (Ph 3,16). Vor allem aufgrund dieser Prämissen läßt sich die Funktion Christi als des einzigen Mittlers vor dem Hintergrund des einen Gottes des Alten Testaments besser definieren (vgl. 1Tm 2,5 mit Bezug auf Is 43,10-11 Is 44,6). Christus ist die wahre Brücke, die uns zum Himmel führt, zur Gemeinschaft mit Gott.

Und schließlich nur noch eine Andeutung zu den letzten Entwicklungen der Christologie des hl. Paulus in den Briefen an die Kolosser und an die Epheser. Im ersten wird Christus als »der Erstgeborene der ganzen Schöpfung« bezeichnet (1,15-20). Dieses Wort »der Erstgeborene« beinhaltet, daß der Erste von vielen Söhnen, der Erste von vielen Brüdern und Schwestern herabgekommen ist, um uns an sich zu ziehen und uns zu seinen Brüdern und Schwestern zu machen. Im Brief an die Epheser finden wir eine schöne Darstellung des göttlichen Heilsplanes, wenn Paulus sagt, daß Gott in Christus alles zusammenfassen wollte (vgl. Ep 1,23). Christus ist die Zusammenfassung von allem, er verbindet alles und führt uns zu Gott. Und er versetzt uns damit in eine Bewegung des Herabstiegs und des Aufstiegs, indem er uns einlädt, an seiner Demut teilzuhaben, das heißt an seiner Liebe zum Nächsten, um so auch an seiner Verherrlichung teilzuhaben, indem wir mit ihm Söhne im Sohn werden. Bitten wir darum, daß der Herr uns helfe, uns seiner Demut, seiner Liebe anzugleichen, um so an seiner Vergöttlichung Anteil zu haben.

In den vergangenen Katechesen haben wir uns mit der Bekehrung des Apostels Paulus sowie mit seinem Verhältnis zur Gemeinschaft der Kirche und zur historischen Gestalt des Jesus von Nazareth befaßt. Heute wenden wir uns der Lehre des Völkerapostels über die zentrale Rolle des auferstandenen Christus im Geheimnis unserer Erlösung zu. Paulus will in seinen Schriften und in seiner Predigt das Wesentliche verkünden: Christus ist am Kreuz gestorben und auferstanden, um uns zu erlösen. Diese Kernaussage unseres Glaubens kann jedoch nur auf dem Hintergrund der ewigen Existenz des Sohnes - an der Seite des Vaters und ganz eins mit dem Vater - in ihrer Tiefe verstanden werden. Was im Alten Testament bereits im Bild der Weisheit Gottes vorgezeichnet war, die in die Welt eintritt und dort Ablehnung erfährt, beschreibt Paulus im berühmten Hymnus des Philipperbriefs: Christus war Gott gleich, doch er entäußerte sich, wurde den Menschen gleich und war gehorsam bis zum Tod am Kreuz. Darum hat Gott ihn über alle erhöht, und jeder Mund bekennt: „Jesus Christus ist der Herr“ (vgl. Ph 2,6-11). In diesem Heilsplan Gottes sind wir Menschen und die ganze Schöpfung nicht unbeteiligte Zuschauer, sondern Christus ist der Erstgeborene, an dessen Wesen und Gestalt wir teilhaben sollen (vgl. Rm 8,29), bis er das All ganz und gar beherrscht (vgl. Ep 1,23).

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Einen frohen Gruß richte ich an die Gläubigen aus dem deutschen Sprachraum. Besonders begrüße ich die Wallfahrer aus dem Bistum Erfurt und die Pilgergruppe aus dem Bistum Osnabrück, in Begleitung von Bischof Dr. Franz-Josef Bode, sowie die Teilnehmer des Internationalen Lehrer-Kongresses der Maria-Ward-Schulen und die Delegation aus Traunstein vom Kaufhaus Unterforsthuber mit Prälat Waxenberger. Der Herr schenke euch allen die Gnade, das Geheimnis Christi immer tiefer zu erkennen und immer mehr wie er zu empfinden und zu leben. Allen wünsche ich einen gesegneten Aufenthalt in Rom!



Mittwoch, 29. Oktober 2008: Der Hl. Paulus (10): Die Bedeutung der Christologie - Die Kreuzestheologie

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Liebe Brüder und Schwestern!

In der persönlichen Erfahrung des hl. Paulus gibt es eine unumstößliche Tatsache: Während er anfangs ein Verfolger gewesen war und gegen die Christen Gewalt angewandt hatte, war er seit dem Augenblick seiner Bekehrung auf dem Weg nach Damaskus auf die Seite des gekreuzigten Christus gewechselt und hatte ihn zu seinem Lebensinhalt und zum Grund seiner Verkündigung gemacht. In seinem Leben hat er sich ganz für die Seelen aufgerieben (vgl.
2Co 12,15); dabei war sein Dasein alles andere als ruhig und behütet vor Gefahren und Schwierigkeiten. In der Begegnung mit Jesus war ihm die zentrale Bedeutung des Kreuzes klar geworden: Er hatte erkannt, daß Jesus für alle und für ihn selbst gestorben und auferstanden war. Beides war wichtig: die Universalität, nämlich daß Jesus wirklich für alle gestorben ist; und die Subjektivität: Er ist auch für mich gestorben. Im Kreuz hatte sich also die ungeschuldete und barmherzige Liebe Gottes offenbart. Diese Liebe hatte Paulus vor allem an sich selbst erfahren (vgl. Ga 2,20) und wurde vom Sünder zum Gläubigen, vom Verfolger zum Apostel. Tag für Tag erfuhr er in seinem neuen Leben, daß das Heil »Gnade« war, daß alles vom Tod Christi herrührte und nicht von seinen eigenen Verdiensten, die es im übrigen gar nicht gab. Das »Evangelium der Gnade« wurde so für ihn zur einzigen Möglichkeit, das Kreuz zu verstehen, das nicht nur das Kriterium seiner neuen Existenz, sondern auch die Antwort an seine Gesprächspartner ist. Zu ihnen gehörten vor allem die Juden, die ihre Hoffnung auf die Werke setzten und von diesen das Heil erwarteten; weiter waren da die Griechen, die dem Kreuz ihre menschliche Weisheit entgegensetzten; schließlich gab es jene Häretikergruppen, die sich nach ihrem Lebensmodell ihre eigene Vorstellung vom Christentum gebildet hatten.

Für den hl. Paulus hat das Kreuz einen grundlegenden Primat in der Geschichte der Menschheit; es stellt den Brennpunkt seiner Theologie dar, denn vom Kreuz reden heißt vom Heil als der jedem Geschöpf geschenkten Gnade reden. Das Thema des Kreuzes Christi wird ein wesentliches und vorrangiges Element der Verkündigung des Apostels: Das deutlichste Beispiel dafür betrifft die Gemeinde von Korinth. Vor einer Kirche, in der es in besorgniserregender Weise Unordnung und Skandale gab, wo durch Parteiungen und innere Spaltungen, die die Einheit des Leibes Christi belasteten, die Gemeinschaft bedroht war, tritt Paulus nicht mit glänzenden Reden oder Weisheitslehren in Erscheinung, sondern mit der Verkündigung Christi, des gekreuzigten Christus. Seine Kraft liegt nicht in der Sprache der Überredung, sondern paradoxerweise in der Schwachheit und Furcht dessen, der sich allein der »Kraft Gottes« anvertraut (vgl. 1Co 2,1-4). Das Kreuz ist aufgrund all dessen, was es darstellt, und somit auch wegen der in ihm enthaltenen theologischen Botschaft Ärgernis und Torheit. Der Apostel sagt das mit beeindruckender Kraft, und wir tun gut daran, es uns in seinen eigenen Worten anzuhören: »Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft. Es heißt nämlich in der Schrift: Ich lasse die Weisheit der Weisen vergehen und die Klugheit der Klugen verschwinden. Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortführer in dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als Torheit entlarvt? Denn da die Welt angesichts der Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit Gott nicht erkannte, beschloß Gott, alle, die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten. Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit« (1Co 1,18-23).

Die ersten christlichen Gemeinden, an die sich Paulus wendet, wissen sehr gut, daß Jesus auferstanden ist und lebt; der Apostel will nicht nur die Korinther oder die Galater, sondern uns alle daran erinnern, daß der Auferstandene immer derjenige ist, der gekreuzigt wurde. Das »Ärgernis« und die »Torheit« des Kreuzes liegen eben darin, daß gerade dort, wo es nur Scheitern, Schmerz, Niederlage zu geben scheint, die ganze Macht der unendlichen Liebe Gottes ist, weil das Kreuz Ausdruck der Liebe und die Liebe die wahre Macht ist, die sich gerade in dieser scheinbaren Schwäche offenbart. Für die Juden ist das Kreuz »skandalon«, das heißt eine Falle oder ein Stolperstein: Es scheint ein Hindernis für den Glauben des frommen Israeliten zu sein, der Mühe hat, etwas ähnliches in der Heiligen Schrift zu finden. Mit viel Mut scheint Paulus hier zu sagen, daß sehr viel auf dem Spiel steht: Für die Juden widerspricht das Kreuz dem Wesen Gottes selbst, der sich durch wunderbare Zeichen offenbart hat. Das Kreuz Christi anzunehmen, bedeutet daher, eine tiefgreifende Umkehr in der Art der Gottesbeziehung zu vollziehen. Wenn für die Juden der Grund für die Ablehnung des Kreuzes in der Offenbarung liegt, das heißt in der Treue zum Gott der Väter, so ist für die Griechen, das heißt für die Heiden, das Urteilskriterium für den Widerstand gegen das Kreuz, die Vernunft. Für Letztere ist das Kreuz nämlich »moría«, Torheit, wörtlich Schalheit, das heißt eine Speise ohne Salz; mehr als ein Irrtum ist es also eine Beleidigung für den gesunden Menschenverstand.

Paulus selbst hat bei mehr als einer Gelegenheit die bittere Erfahrung der Ablehnung der christlichen Botschaft gemacht, die für »schal«, bedeutungslos und nicht einmal für wert gehalten wurde, auf der Ebene der rationalen Logik beachtet zu werden. Für alle, die wie die Griechen die Vollkommenheit im Geist, im reinen Denken sahen, war es bereits unannehmbar, daß Gott Mensch werden und somit in alle Begrenztheiten des Raumes und der Zeit eintauchen könnte. Entschieden unbegreiflich war es dann zu glauben, daß ein Gott an einem Kreuz enden könnte! Und wir sehen, daß diese griechische Logik auch die allgemeine Logik unserer Zeit ist. Wie hätte der Begriff »apátheia«, Gleichgültigkeit, als Abwesenheit von Leidenschaften in Gott, einen Gott erfassen können, der Mensch geworden und gescheitert ist, der dann sogar den Leib wieder angenommen hätte, um als Auferstandener zu leben? »Darüber werden wir ein anderes Mal sprechen« (Ac 17,32), sagten die Athener geringschätzig zu Paulus, als sie ihn von der Auferstehung der Toten reden hörten. Sie hielten für Vollkommenheit die Befreiung vom Leib, der als Gefängnis aufgefaßt wurde; mußten sie da nicht die Wiederannahme des Leibes als eine Verirrung ansehen? In der antiken Kultur schien es keinen Platz für die Botschaft vom fleischgewordenen Gott zu geben. Das ganze Ereignis »Jesus von Nazaret« schien völlig von der vollkommensten Schalheit gekennzeichnet zu sein, deren sinnbildlichster Ausdruck gewiß das Kreuz war.

Warum aber hat Paulus gerade dieses Wort vom Kreuz zum Kernpunkt seiner Verkündigung gemacht? Die Antwort fällt nicht schwer: Das Kreuz offenbart »die Kraft Gottes« (vgl. 1Co 1,24), die sich von der menschlichen Kraft unterscheidet; es offenbart nämlich seine Liebe: »Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen« (ebd. V. 25). Im Abstand von Jahrhunderten seit Paulus sehen wir, daß in der Geschichte das Kreuz gesiegt hat und nicht die Weisheit, die sich dem Kreuz widersetzt. Der Gekreuzigte ist Weisheit, weil er tatsächlich offenbar macht, wer Gott ist, nämlich die Kraft der Liebe, die bis ans Kreuz geht, um den Menschen zu retten. Gott bedient sich der Handlungsweisen und Mittel, die uns auf den ersten Blick als Schwäche erscheinen. Der Gekreuzigte enthüllt einerseits die Schwachheit des Menschen und andererseits die wahre Kraft Gottes, nämlich die Unentgeltlichkeit der Liebe: gerade diese totale Unentgeltlichkeit der Liebe ist die wahre Weisheit. Das hat der hl. Paulus bis in sein eigenes Fleisch erfahren und gibt uns davon Zeugnis in den verschiedenen Abschnitten seines geistlichen Weges, die zu klaren Bezugspunkten für jeden Jünger Jesu geworden sind: »Er aber antwortete mir: Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit« (2Co 12,9); und weiter: »Das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen« (1Co 1,27). Der Apostel identifiziert sich so weit mit Christus, daß auch er, wenngleich inmitten so vieler Prüfungen, im Glauben des Sohnes Gottes lebt, der ihn geliebt und sich für seine und für die Sünden aller hingegeben hat (vgl. Ga 1,4 Ga 2,20). Diese autobiographische Anmerkung des Apostels wird beispielhaft für uns alle.

Der hl. Paulus hat im Zweiten Brief an die Korinther (5,14-21) eine wunderbare Synthese der Kreuzestheologie dargelegt, wo alles zwischen zwei grundlegenden Aussagen eingeschlossen ist: einerseits ist Christus, den Gott für uns zur Sünde gemacht hat (V. 21), für alle gestorben (V. 14); andererseits hat Gott uns mit sich versöhnt, indem er uns unsere Verfehlungen nicht anrechnete (VV. 18-20). Durch diesen »Dienst der Versöhnung« sind wir von jeder Versklavung freigekauft (vgl. 1Co 6,20 1Co 7,23). Hier wird deutlich, wie wichtig dies alles für unser Leben ist. Auch wir können in diesen »Dienst der Versöhnung« eintreten, der immer den Verzicht auf die eigene Überlegenheit und die Entscheidung für die Torheit der Liebe voraussetzt. Der hl. Paulus hat auf sein Leben verzichtet, als er sich selbst ganz für den Dienst der Versöhnung, den Dienst des Kreuzes, das Rettung für uns alle ist, hingegeben hat. Und das sollen auch wir tun können: Wir können unsere Kraft in der Demut der Liebe und unsere Weisheit in der Schwachheit des Verzichts finden, um so in die Kraft Gottes einzutreten. Wir alle müssen unser Leben nach dieser wahren Weisheit gestalten: Nicht für uns selber leben, sondern im Glauben an jenen Gott, von dem wir alle sagen können: »Er hat mich geliebt und sich für mich hingegeben.«

Im Kreuz Christi bündelt sich wie in einem Brennpunkt die Theologie des heiligen Paulus. Wenn der Apostel vom Kreuz spricht, nimmt er die Erlösung insgesamt in den Blick: Das vom Kreuzestod Christi ausgehende Heil ist geschenkte Gnade, die unserem menschlichen Tun vorausgeht. Im Kreuz offenbart sich die unentgeltliche und barmherzige Liebe Gottes zu den Menschen; es ist das Herzstück der christlichen Botschaft. Für die jüdischen Glaubensgenossen des Paulus hingegen ist das Kreuz ein Ärgernis, ein Hindernis des Glaubens, da es dem Wesen Gottes selbst zu widersprechen scheint. Es fordert zu einer völlig neuen Gottesbeziehung heraus. Für das griechische Denken seiner Zeit steht das Kreuz zudem im Widerspruch zur Vernunft, es ist Torheit, eine Beleidigung des gesunden Menschenverstandes. Schon ein Gott, der Mensch wird und sich in Raum und Zeit eingrenzen läßt, ist für die Griechen unannehmbar; und zu glauben, daß Gott am Kreuz enden könnte, ist erst recht unvorstellbar. Für Paulus aber ist das Kreuz „Gottes Kraft und Weisheit“. Der Gekreuzigte enthüllt, wer Gott wirklich ist, nämlich die Macht unerschöpflicher Liebe. Christus hat sich für unsere Sünden hingegeben und ist für alle gestorben. Er ist zur Sühne für uns geworden und hat uns mit sich versöhnt. In der Schwachheit des Kreuzes entdecken wir die Kraft des Geistes Gottes, im Blick auf den Gekreuzigten können wir unsere eigene Schwachheit annehmen und der unser Leben tragenden Liebe Christi gewiß werden.
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Liebe Brüder und Schwestern!
Gerne heiße ich alle Gäste deutscher Sprache bei dieser Audienz willkommen; besonders grüße ich heute die Gemeinschaft der Ludgerus­schule in Vechta. Getauft auf Christi Tod und Auferstehung wollen wir unser Leben unter das Geheimnis des Kreuzes, des Zeichens der Liebe Gottes stellen und mit Paulus sagen: „Ich will mich allein des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen, durch das mir ich die Welt gekreuzigt ist, und ich der Welt“ (Ga 6,14). Werden wir nicht müde, die Liebe des Gekreuzigten in Wort und Tat zu verkünden. Bitten wir den Herrn, daß er uns dies verstehen und leben lehrt.



Mittwoch, 5. November 2008: Der Hl. Paulus (11): Die Bedeutung der Christologie - Die Auferstehung

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Liebe Brüder und Schwestern!

»Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos … und ihr seid immer noch in euren Sünden« (
1Co 15,14 1Co 15,17). Mit diesen deutlichen Worten des Ersten Briefes an die Korinther gibt der hl. Paulus zu verstehen, welche entscheidende Bedeutung er der Auferstehung Jesu beimißt. In diesem Ereignis liegt nämlich die Lösung des Problems, das vom Drama des Kreuzes aufgeworfen wurde. Das Kreuz allein könnte den christlichen Glauben nicht erklären, ja es bliebe eine Tragödie, ein Zeichen für die Absurdität des Seins. Das Ostergeheimnis besteht darin, daß jener Gekreuzigte »am dritten Tag auferweckt worden ist, gemäß der Schrift« (1Co 15,4) - so bezeugt es die frühchristliche Überlieferung. Hier liegt der Schlußstein der paulinischen Theologie: Alles dreht sich um dieses Gravitationszentrum. Die ganze Lehre des Apostels Paulus geht vom Geheimnis dessen aus, den der Vater vom Tod auferweckt hat, und kehrt zu ihm zurück. Die Auferstehung ist ein grundlegendes Faktum, gleichsam ein vorweggenommenes Axiom (vgl. 1Co 15,12), auf Grund dessen Paulus seine synthetische Verkündigung (»kerygma«) formulieren kann: Er, der gekreuzigt wurde und auf diese Weise die unendliche Liebe Gottes zum Menschen offenkundig gemacht hat, ist auferstanden und lebt unter uns.

Es ist wichtig, den Zusammenhang zwischen der Verkündigung der Auferstehung, wie sie Paulus formuliert, und jener, die in den ersten vorpaulinischen christlichen Gemeinden gebräuchlich war, zu erfassen. Hier kann man wirklich die Wichtigkeit der Überlieferung erkennen, die dem Apostel vorausgeht und die er mit großer Ehrfurcht und Achtsamkeit weitergeben will. Der in Kapitel 15,1-11 des Ersten Briefes an die Korinther enthaltene Text über die Auferstehung hebt treffend den Zusammenhang zwischen »empfangen« und »überliefern« hervor. Der hl. Paulus mißt der wörtlichen Wiedergabe der Überlieferung große Bedeutung bei; am Ende des hier angeführten Abschnitts unterstreicht er: »Ob nun ich verkündige oder die anderen: das ist unsere Botschaft« (1Co 15,11), und rückt damit die Einheit des »kerygmas«, der Botschaft für alle Gläubigen und für alle jene, die die Auferweckung Christi verkünden werden, ins Licht. Die Überlieferung, an die er anknüpft, ist die Quelle, aus der er schöpft. Die Originalität seiner Christologie geht niemals auf Kosten der Treue zur Tradition. Das »kerygma« der Apostel geht immer der persönlichen Bearbeitung durch Paulus voraus. Jedes seiner Argumente geht von der gemeinsamen Tradition aus, in der sich der Glaube ausdrückt, den alle Kirchen teilen, die eine einzige Kirche bilden. Und so bietet der hl. Paulus für alle Zeiten ein Modell dafür, wie man Theologie betreiben und wie man predigen soll. Der Theologe, der Prediger schafft keine neuen Welt- und Lebensanschauungen, sondern steht im Dienst der überlieferten Wahrheit, im Dienst der realen Tatsache Christi, des Kreuzes, der Auferstehung. Seine Aufgabe ist es, uns heute zu helfen, hinter den althergebrachten Worten die Wirklichkeit des »Gott mit uns«, also die Wirklichkeit des wahren Lebens, zu begreifen.

Hier ist eine Präzisierung angebracht: Wenn der hl. Paulus die Auferstehung verkündet, geht es ihm nicht darum, eine in sich abgeschlossene lehrmäßige Darstellung vorzulegen - er will nicht eine Art Handbuch der Theologie schreiben -, sondern er stellt sich dem Thema, indem er auf die Zweifel und konkreten Fragen antwortet, die von den Gläubigen an ihn gerichtet wurden; es ist also eine aus der Gelegenheit heraus entstandene Rede, aber voller Glauben und gelebter Theologie. Hierbei ist eine Konzentration auf das Wesentliche festzustellen: Wir sind »gerechtfertigt«, das heißt gerecht gemacht, gerettet worden, durch Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist. In den Vordergrund tritt vor allem die Tatsache der Auferstehung, ohne die das christliche Leben schlicht und einfach widersinnig wäre. An jenem Ostermorgen geschah etwas Außergewöhnliches, Neues und zugleich sehr Konkretes, das von sehr klaren und von zahlreichen Zeugen wahrgenommenen Zeichen gekennzeichnet war. Wie für die anderen Verfasser des Neuen Testaments ist auch für Paulus die Auferstehung mit dem Zeugnis dessen verbunden, der eine direkte Erfahrung mit dem Auferstandenen gemacht hat. Es geht darum, nicht allein mit den Augen oder mit den Sinnen zu sehen und zu erleben, sondern auch mit einem inneren Licht, das uns dazu bringt, das zu erkennen, was die äußeren Sinne als objektive Gegebenheit wahrnehmen. Deshalb mißt Paulus - wie die vier Evangelien - dem Thema Erscheinungen eine grundlegende Bedeutung bei: sie sind die Grundbedingung für den Glauben an den Auferstandenen, der das Grab leer zurückgelassen hat. Diese beiden Tatsachen sind wichtig: Das Grab ist leer, und Jesus ist wirklich erschienen. So entsteht jene Kette der Überlieferung, die durch das Zeugnis der Apostel und der ersten Jünger die nachfolgenden Generationen, bis herauf zu uns, erreichen wird. Die erste Folge beziehungsweise die erste Form, dieses Zeugnis zum Ausdruck zu bringen, besteht darin, über die Auferstehung Christi als Synthese der Botschaft des Evangeliums und als Höhepunkt eines Heilsweges zu predigen. Dies alles tut Paulus bei verschiedenen Gelegenheiten: Das kann man in den Briefen und in der Apostelgeschichte nachlesen, aus denen stets ersichtlich wird, daß das Wesentliche für ihn darin besteht, Zeuge der Auferstehung zu sein. Ich möchte hier nur einen Text zitieren: Paulus war in Jerusalem verhaftet worden und stand nun als Angeklagter vor dem Hohen Rat. In dieser Situation, in der es für ihn um Tod oder Leben geht, macht er deutlich, was Sinn und Inhalt seiner ganzen Verkündigung ist: »Wegen der Hoffnung und wegen der Auferstehung der Toten stehe ich vor Gericht« (Ac 23,6). Diesen Satz wiederholt Paulus ständig in seinen Briefen (vgl. 1Th 1,9 1Th 4,13-18 1Th 5,10), in denen er sich auch auf seine persönliche Erfahrung, auf seine persönliche Begegnung mit dem auferstandenen Christus beruft (vgl. Ga 1,15-16 1Co 9,1).

Aber wir können uns fragen: Worin besteht für den hl. Paulus der tiefe Sinn des Ereignisses der Auferstehung Jesu? Was sagt es uns im Abstand von zweitausend Jahren? Ist die Aussage »Christus ist auferstanden « auch für uns aktuell? Warum ist die Auferstehung für ihn und für uns heute ein so entscheidendes Thema? Auf diese Frage gibt Paulus am Anfang des Briefes an die Römer feierlich Antwort, wobei er sich zu Beginn auf das »Evangelium Gottes« bezieht, »das Evangelium von seinem Sohn, der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids, der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten« (Rm 1,3-4). Paulus weiß gut und sagt es viele Male, daß Jesus immer, vom Augenblick seiner Menschwerdung an, Gottes Sohn war. Die Neuheit der Auferstehung besteht darin, daß Jesus aus der Niedrigkeit seines irdischen Daseins erhöht und als Sohn Gottes »in Macht« eingesetzt wird. Der bis zum Tod am Kreuz erniedrigte Jesus kann jetzt zu den Elf sagen: »Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde« (Mt 28,18). Es erfüllt sich, was Psalm 2,8 sagt: »Fordere von mir, und ich gebe dir die Völker zum Erbe, die Enden der Erde zum Eigentum. « Deshalb beginnt mit der Auferstehung die Verkündigung des Evangeliums Christi an alle Völker - es bricht das Reich Christi an, dieses neue Reich, das keine andere Macht kennt als die Macht der Wahrheit und der Liebe. Die Auferstehung offenbart also endgültig die wahre Identität und außerordentliche Gestalt des Gekreuzigten. Eine unvergleichliche und höchste Würde: Jesus ist Gott! Mehr als in der Menschwerdung offenbart sich für den hl. Paulus die geheimnisvolle Identität Jesu im Geheimnis der Auferstehung. Während der Titel Christus, das heißt der »Messias«, der »Gesalbte«, bei Paulus zum Eigennamen Jesu zu werden beginnt und der Beiname »Herr« auf seine persönliche Beziehung zu den Gläubigen hinweist, bezeichnet jetzt der Titel »Sohn Gottes« die innige Beziehung Jesu zu Gott, eine Beziehung, die im Ostergeschehen voll offenbar wird. Man kann also sagen, daß Jesus auferstanden ist, um Herr über Tote und Lebende (vgl. Rm 14,9 2Co 5,15) oder, anders gesagt, unser Heiland zu sein (vgl. Rm 4,25).

Dies alles hat wichtige Konsequenzen für unser Glaubensleben: Wir sind berufen, bis ins Innerste unseres Seins am gesamten Geschehen des Todes und der Auferstehung Christi teilzuhaben. Der Apostel sagt: Wir sind »mit Christus gestorben« und glauben, daß »wir auch mit ihm leben werden« (Rm 6,8-9). Das wird in eine Anteilnahme an den Leiden Christi umgesetzt, die jener vollen Gleichgestaltung mit ihm durch die Auferstehung vorausgeht, nach der wir voll Hoffnung streben. Und genau das ist auch dem hl. Paulus widerfahren, dessen persönliche Erfahrung in den Briefen in ebenso betrübten wie realistischen Tönen beschrieben wird: »Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinen Leiden; sein Tod soll mich prägen. So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen« (Ph 3,10-11; vgl. 2Tm 2,8-12). Die Theologie des Kreuzes ist keine Theorie - sie ist die Wirklichkeit des christlichen Lebens. Im Glauben an Jesus Christus zu leben, die Wahrheit und die Liebe zu leben, schließt täglich Verzicht und Leid ein. Das Christentum ist kein bequemer Weg, es ist vielmehr ein anstrengender, ein zu erklimmender steiler Weg, freilich erleuchtet vom Licht Christi und von der großen Hoffnung, die von ihm ausgeht. Der hl. Augustinus sagt: Den Christen wird das Leiden nicht erspart, ja es trifft sie noch etwas mehr, denn den Glauben zu leben, ist Ausdruck des Mutes, sich dem Leben und der Geschichte mit größerer Tiefe zu stellen. Doch nur so, durch die Erfahrung des Leids, erkennen wir das Leben in seiner Tiefe, in seiner Schönheit, in der großen Hoffnung, die der gekreuzigte und auferstandene Christus weckt. Der Glaubende sieht sich also zwischen zwei Pole gestellt: auf der einen Seite die Auferstehung, die in gewisser Weise schon in uns gegenwärtig und wirksam ist (vgl. Col 3,1-4 Ep 2,6); auf der anderen Seite die Dringlichkeit, sich in jenen Prozeß einzubringen, der alle und alles zu der Fülle führt, wie sie im Brief an die Römer mit einem kühnen Bild beschrieben wird: Wie die ganze Schöpfung seufzt und in Geburtswehen liegt, so seufzen auch wir in Erwartung der Erlösung unseres Leibes, unserer Erlösung und Auferstehung (vgl. Rm 8,18-23).

Zusammenfassend können wir mit dem hl. Paulus sagen, daß der wahre Gläubige das Heil erreicht, wenn er mit seinem Mund bekennt, daß Jesus der Herr ist, und mit seinem Herzen glaubt, daß ihn Gott von den Toten auferweckt hat (vgl. Rm 10,9). Wichtig ist vor allem das Herz, das an Christus glaubt und im Glauben den Auferstandenen »berührt«; es genügt aber nicht, den Glauben im Herzen zu tragen, wir müssen ihn auch mit dem Mund bekennen und mit unserem Leben bezeugen und so die Wahrheit vom Kreuz und von der Auferstehung in unserer Geschichte gegenwärtig machen. Auf diese Weise bringt sich nämlich der Christ in jenen Prozeß ein, dank dessen der erste Adam, der irdische, der dem Verderben und dem Tod ausgesetzt ist, in den letzten Adam, den himmlischen und unverweslichen, verwandelt wird (vgl. 1Co 15,20-22 1Co 15,42-49). Dieser Prozeß hat mit der Auferstehung Christi begonnen, auf die sich daher die Hoffnung gründet, daß eines Tages auch wir mit Christus in unsere wahre Heimat eintreten können, die im Himmel ist. Von dieser Hoffnung getragen, gehen wir voll Mut und Freude unseren Weg weiter.

„Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos“ (1Co 15,14). Diese Worte des heiligen Paulus machen deutlich, daß das Ausschlaggebende des christlichen Glaubens die Auferstehung Jesu ist. Christus, der uns durch die Hingabe am Kreuz seine bedingungslose Liebe gezeigt hat, er ist auferstanden und lebt unter uns. Auf dieser Tatsache baut Paulus seine Verkündigung auf. Der Apostel stützt sich hierbei mit großer Ehrfurcht auf die Tradition, die ihm vorausgeht. Gerade beim Thema der Auferstehung hebt er den Zusammenhang zwischen Empfangen und Weitergeben hervor; denn die Einheit der apostolischen Überlieferung steht über der persönlichen Darstellung des Ereignisses. Der Auferstandene ist den Aposteln mehrfach erschienen und hat so ihre Zeugenschaft gefestigt. Der erste Ausdruck dieses Zeugnisses ist die Predigt von der Auferstehung als Zusammenfassung des Evangeliums und Gipfel des Heilsweges. Diese führt zu einer lebendigen Begegnung mit Christus, in der sich der Auferstandene als Sohn Gottes, als Herr über Leben und Tod zeigt. Unsere menschliche Wirklichkeit ist für das Leben geschaffen und geht in Christus insgesamt auf Gott zu; wir dürfen teilhaben an seinem Heilswerk: Wenn wir auch in dieser Welt nicht immer vom Leiden verschont bleiben, so trägt uns doch die Hoffnung, daß wir an seinem Leben in Fülle Anteil erhalten werden. Wie Paulus sagt: „Sind wir mit Christus gestorben, so glauben wir auch, daß wir mit ihm leben“ (Rm 6,8).
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Liebe Brüder und Schwestern!

Ganz herzlich heiße ich alle Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen. Heute begrüße ich besonders die Oberinnen der Schwestern von der hl. Elisabeth und die Pressesprecher der deutschen Bischöfe. Euch alle lade ich ein, stets Zeugen der Hoffnung zu sein für das wahre Leben und die Gemeinschaft mit Christus. Gottes Geist schenke euch den Frieden des Herzens und die Freude des Glaubens.




Generalaudienzen 2005-2013 22108