Generalaudienzen 2005-2013 7019

Mittwoch, 7. Januar 2009: Der Hl. Paulus (17):: die Spiritualisierung der Kultidee

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Liebe Brüder und Schwestern!

Bei dieser ersten Generalaudienz 2009 möchte ich euch allen herzliche Glückwünsche für das eben begonnene neue Jahr aussprechen. Beleben wir in uns von neuem den Einsatz, Christus den Geist und das Herz zu öffnen, um seine wahren Freunde zu sein und als solche zu leben. Die Gemeinschaft mit ihm wird bewirken, daß dieses Jahr trotz seiner unvermeidlichen Schwierigkeiten ein Weg voller Freude und Frieden ist. Denn nur wenn wir mit Jesus vereint bleiben, wird das neue Jahr gut und glücklich sein.

Der Einsatz für die Einheit mit Christus ist das Beispiel, das uns auch der hl. Paulus gibt. In Fortsetzung der ihm gewidmeten Katechesen wollen wir uns heute mit einem der wichtigsten Aspekte seines Denkens befassen, dem Aspekt, der den Kult oder Gottesdienst betrifft, den zu vollziehen die Christen berufen sind. In der Vergangenheit sprach man gern von einer eher antikultischen Tendenz des Apostels, von einer »Spiritualisierung« der Kultidee. Heute verstehen wir besser, daß Paulus im Kreuz Christi eine historische Wende sieht, die die Wirklichkeit des Kultes radikal umformt und erneuert. Es gibt vor allem drei Textstellen im Brief an die Römer, in denen diese neue Sicht des Kultes zutage tritt.

1. Nachdem Paulus von der »Erlösung in Christus Jesus« gesprochen hat, fährt er in
Rm 3,25 mit einer für uns geheimnisvollen Formulierung fort und sagt: »Ihn hat Gott hingestellt als ein Sühnemittel durch den Glauben an sein Blut«. Mit diesem für uns etwas seltsamen Ausdruck - »Sühnemittel« oder auch »Sühnedeckel« - spielt der hl. Paulus auf die sogenannte goldene »Deckplatte « des antiken Tempels an, das heißt den thronartigen Deckel der Bundeslade, der als Berührungspunkt zwischen Gott und dem Menschen gedacht war, als Punkt seiner geheimnisvollen Gegenwart in der Welt der Menschen. Diese »Deckplatte« wurde am großen Versöhnungstag - »jom kippur« - mit dem Blut der Opfertiere besprengt - dem Blut, das symbolisch die Sünden des abgelaufenen Jahres mit Gott in Berührung brachte; und so wurden die in den Abgrund der göttlichen Güte geworfenen Sünden gleichsam von der Kraft Gottes aufgesogen, überwunden und vergeben. Das Leben begann von neuem.

Der hl. Paulus spielt auf diesen Ritus an und sagt: Dieser Ritus war Ausdruck der Sehnsucht, daß wirklich alle unsere Schuld in den Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit gelegt und so zum Verschwinden gebracht werden könnte. Mit dem Blut von Tieren jedoch wird dieser Prozeß nicht verwirklicht. Es bedurfte eines wirklicheren Kontakts zwischen menschlicher Schuld und göttlicher Liebe. Dieser Kontakt hat im Kreuz Christi stattgefunden. Christus, wahrer Sohn Gottes, der wahrer Mensch geworden ist, hat unsere ganze Schuld in sich aufgenommen. Er selbst ist der Ort des Kontakts zwischen menschlicher Armseligkeit und göttlichem Erbarmen; in seinem Herzen zergeht die traurige Masse des von der Menschheit begangenen Bösen und erneuert sich das Leben.

Mit der Offenbarung dieser Änderung sagt uns der hl. Paulus: Mit dem Kreuz Christi - dem höchsten Akt der zu menschlicher Liebe gewordenen göttlichen Liebe - ist der alte Kult mit den Tieropfern im Tempel von Jerusalem zu Ende. Dieser symbolische Kult, ein Kult der Sehnsucht, ist jetzt durch den wirklichen Gottesdienst ersetzt: die Liebe Gottes, die in Christus Fleisch geworden und im Tod am Kreuz zu ihrer Vollkommenheit geführt worden ist. Dies ist also keine Spiritualisierung eines wirklichen Kultes, sondern im Gegenteil: der wirkliche Kult, die wahre gottmenschliche Liebe ersetzt den symbolischen und vorläufigen Kult. Das Kreuz Christi, seine Liebe mit Fleisch und Blut ist der wirkliche Kult, da er der Wirklichkeit Gottes und des Menschen entspricht. Schon vor der äußeren Zerstörung des Tempels war für Paulus die Zeit des Tempels und seines Kultes zu Ende: Paulus befindet sich hier in vollkommenem Einklang mit den Worten Jesu, der das Ende des Tempels und einen anderen Tempel angekündigt hatte, »der nicht von Menschenhand gemacht ist« - den Tempel seines auferstandenen Leibes (vgl. Mc 14,58 Jn 2,19ff.). Das ist der erste Textabschnitt.

2. Der zweite Text, von dem ich heute sprechen möchte, findet sich im ersten Vers des 12. Kapitels des Briefes an die Römer. Wir haben ihn gehört, und ich wiederhole ihn nochmals: »Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst.« In diesen Worten vollzieht sich ein scheinbares Paradox: Während das Opfer normalerweise den Tod des Opfers erfordert, spricht Paulus davon hingegen in bezug auf das Leben des Christen. Der Ausdruck »euch selbst darbringen« nimmt in Anbetracht des folgenden Opferbegriffs die kultische Nuance »als Opfer geben«, »sich opfern« an. Die Ermahnung »euch selbst darzubringen« bezieht sich auf die ganze Person; in der Tat lädt er in Rm 6,13 dazu ein, »euch selbst zur Verfügung zu stellen«. Im übrigen deckt sich die ausdrückliche Bezugnahme auf die körperliche Dimension des Christen mit der Einladung: »Verherrlicht also Gott in eurem Leib!« (1Co 6,20): Es handelt sich also darum, Gott im konkretesten alltäglichen Dasein zu ehren, das aus beziehungsmäßiger und wahrnehmbarer Sichtbarkeit besteht.

Ein derartiges Verhalten wird von Paulus als »lebendiges und heiliges Opfer, das Gott gefällt« bezeichnet. Genau hier begegnen wir dem Wort »Opfer«. Im herkömmlichen Sprachgebrauch gehört dieser Begriff in einen sakralen Kontext und dient dazu, die Schlachtung eines Tieres zu bezeichnen, von dem ein Teil zu Ehren der Götter verbrannt und ein anderer Teil von den Opfernden bei einem Mahl gegessen werden kann. Paulus wendet ihn hingegen auf das Leben des Christen an. Er kennzeichnet nämlich ein solches Opfer, indem er sich dreier Adjektive bedient. Das erste - »lebendig« - bringt eine Lebendigkeit zum Ausdruck. Das zweite - »heilig« - erinnert an die paulinische Vorstellung von einer Heiligkeit, die nicht an Orte oder Gegenstände gebunden ist, sondern an die Person der Christen selbst. Das dritte - »Gott wohlgefällig« - weist möglicherweise auf den häufigen biblischen Ausdruck des Opfers »von beruhigendem Duft« hin (vgl. Lv 1,13 Lv 1,17 Lv 23,18 Lv 26,31 usw.).

Gleich anschließend definiert Paulus diese neue Lebensart so: Das ist »für euch der wahre und angemessene Gottesdienst«. Die Kommentatoren des Textes wissen wohl, daß der griechische Ausdruck (»tên logikên latreían«) nicht leicht zu übersetzen ist. Die lateinische Bibel übersetzt ihn mit »rationabile obsequium«. Dasselbe Wort »rationabile« erscheint im ersten Eucharistischen Hochgebet, dem Römischen Kanon: In ihm bittet man Gott darum, dieses Opfer als »rationabile« anzunehmen. Die übliche deutsche Übersetzung »der wahre und angemessene Gottesdienst« gibt nicht alle Nuancen des griechischen Textes (noch des lateinischen) wieder. Auf jeden Fall handelt es sich nicht um einen weniger wirklichen oder gar allein metaphorischen Gottesdienst, sondern um einen konkreteren und wirklicheren Gottesdienst - einen Gottesdienst, in dem der Mensch in seiner Ganzheit als ein vernunftbegabtes Wesen selbst Anbetung, Verherrlichung des lebendigen Gottes wird.

Diese paulinische Formel, die dann im Römischen Eucharistischen Hochgebet wiederkehrt, ist Frucht einer langen Entwicklung der religiösen Erfahrung in den Christus vorangehenden Jahrhunderten. In dieser Erfahrung treffen theologische Entwicklungen des Alten Testaments und griechische Denkströmungen aufeinander. Ich möchte wenigstens einige Elemente dieser Entwicklung aufzeigen. Die Propheten und viele Psalmen kritisieren scharf die blutigen Tempelopfer. So heißt es zum Beispiel in Psalm 50, in dem es Gott ist, der spricht: »Hätte ich Hunger, ich brauchte es dir nicht zu sagen, denn mein ist die Welt und was sie erfüllt. Soll ich denn das Fleisch von Stieren essen und das Blut von Böcken trinken? Bring Gott als Opfer dein Lob…« (12-14). Im selben Sinn sagt der folgende Psalm 51: »Schlachtopfer willst du nicht, ich würde sie dir geben. An Brandopfern hast du kein Gefallen. Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerknirschter Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verschmähen« (18f.). Im Buch Daniel finden wir zur Zeit der erneuten Zerstörung des Tempels durch das hellenistische Regime (2. Jh. v. Chr.) einen neuen Schritt in dieselbe Richtung. Mitten im Feuer - das heißt in der Verfolgung, im Leiden - betet Asarja so: »Wir haben in dieser Zeit weder Vorsteher noch Propheten und keinen, der uns anführt, weder Brandopfer noch Schlachtopfer, weder Speiseopfer noch Räucherwerk, noch einen Ort, um dir die Erstlingsgaben darzubringen und um Erbarmen zu finden bei dir. Du aber nimm uns an! Wir kommen mit zerknirschtem Herzen und demütigem Sinn. Wie Brandopfer von Widdern und Stieren, wie Tausende fetter Lämmer, so gelte heute unser Opfer vor dir und verschaffe uns bei dir Sühne …« (Da 3,38ff.). In der Zerstörung des Heiligtums und des Kultes, in dieser Lage der Entbehrung jeden Anzeichens der Gegenwart Gottes bringt der Gläubige sein zerknirschtes Herz als wahres Brandopfer dar - seine Sehnsucht nach Gott.

Wir sehen eine wichtige, schöne Entwicklung, die aber eine Gefahr in sich birgt. Es handelt sich um eine Spiritualisierung, eine Moralisierung des Gottesdienstes: Der Kult wird nur zu einer Sache des Herzens, des Geistes. Doch es fehlt der Leib, es fehlt die Gemeinschaft. So ist zum Beispiel verständlich, daß Psalm 51 und auch das Buch Daniel trotz der Kritik am Kult die Rückkehr zur Zeit der Opfer herbeisehnen. Doch es handelt sich um eine erneuerte Zeit, um ein erneuertes Opfer in einer Synthese, die noch nicht vorhersehbar, die noch nicht denkbar war.

Kehren wir zum hl. Paulus zurück. Er ist Erbe dieser Entwicklungen, der Sehnsucht nach dem wahren Gottesdienst, in dem der Mensch selbst Herrlichkeit Gottes wird, lebendige Anbetung mit seinem ganzen Sein. In diesem Sinn sagt er zu den Römern, »sich selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst« (Rm 12,1). Paulus wiederholt so, worauf er bereits im 3. Kapitel hingewiesen hatte: Die Zeit der Tieropfer, der Ersatzopfer, ist vorbei. Es ist die Zeit des wahren Gottesdienstes gekommen. Aber hier besteht auch die Gefahr eines Mißverständnisses: Dieser neue Kult könnte leicht in einem moralistischen Sinn interpretiert werden: Indem wir unser Leben darbringen, verrichten wir den wahren Gottesdienst. Auf diese Weise würde der Kult mit den Tieren durch den Moralismus ersetzt: Der Mensch würde alles aus sich heraus mit seiner moralischen Anstrengung tun. Und das war gewiß nicht die Absicht des hl. Paulus. Aber es bleibt die Frage: Wie sollen wir also diesen »wahren und angemessenen Gottesdienst« interpretieren? Paulus nimmt immer an, daß wir »eins in Christus Jesus« geworden sind (Ga 3,28), daß wir in der Taufe gestorben sind (vgl. Rm 1) und jetzt mit Christus, für Christus, in Christus leben. In dieser Vereinigung - und nur so - können wir in ihm und mit ihm »lebendiges Opfer« werden, den »wahren Gottesdienst« tun. Die geopferten Tiere hätten den Menschen, die Selbsthingabe des Menschen ersetzen sollen und konnten das nicht. Jesus Christus ist in seiner Hingabe an den Vater und an uns kein Ersatz, sondern trägt das menschliche Sein, unsere Schuld und unsere Sehnsucht wirklich in sich; er verkörpert uns wirklich, er nimmt uns in sich auf. In der Gemeinschaft mit Christus, die im Glauben und in den Sakramenten verwirklicht wird, werden wir trotz aller unserer Unzulänglichkeiten lebendiges Opfer: Es verwirklicht sich der »wahre Gottesdienst«.

Diese Synthese liegt dem Römischen Hochgebet zugrunde, in dem man darum betet, daß dieses Opfer »rationabile« werde - daß der wahre und angemessene Gottesdienst verwirklicht werde. Die Kirche weiß, daß in der Allerheiligsten Eucharistie die Selbsthingabe Christi, sein wahres Opfer gegenwärtig wird. Aber die Kirche betet, daß die feiernde Gemeinde wirklich mit Christus vereint sei, verwandelt werde; sie betet, daß wir selbst zu dem werden, was wir mit unseren Kräften nicht sein können: ein Opfer »rationabile«, das Gott wohlgefällig ist. So deutet das Eucharistische Hochgebet in rechter Weise die Worte des hl. Paulus. Der hl. Augustinus hat dies alles auf wunderbare Weise im zehnten Buch seines »Gottesstaates« (De civitate Dei) erklärt. Ich zitiere nur zwei Sätze. »Dies ist das Opfer der Christen: Obwohl wir viele sind, sind wir nur ein Leib in Christus« … »Die ganze erlöste Gemeinschaft (›civitas‹), das heißt die Vereinigung und die Gesellschaft der Heiligen, ist Gottes Opfer durch den Hohenpriester, der sich selbst hingegeben hat« (10,6: CCL 47,27 ff.).

3. Zum Schluß noch ein kurzes Wort über den dritten Textabschnitt aus dem Brief an die Römer, der den neuen Gottesdienst betrifft. Der hl. Paulus sagt es im 15. Kapitel so: »Ich tat es kraft der Gnade, die mir von Gott gegeben ist, damit ich als Diener (›Liturge‹) Christi Jesu für die Heiden wirke und das Evangelium Gottes wie ein Priester verwalte (›hierourgein‹), denn die Heiden sollen eine Opfergabe werden, die Gott gefällt, geheiligt im Heiligen Geist« (15,15f.). Ich möchte nur zwei Aspekte dieses wunderbaren Textes hervorheben, was die in den Paulusbriefen einzigartige Terminologie betrifft. Zunächst deutet der hl. Paulus sein missionarisches Wirken unter den Völkern der Welt, um die universale Kirche zu errichten, als priesterliches Handeln. Die Verkündigung des Evangeliums, um die Völker in der Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus zu einen, ist eine »priesterliche« Handlung. Der Apostel des Evangeliums ist ein wahrer Priester; er tut das, was die Mitte des Priestertums ist: Er bereitet das wahre Opfer. Und dann der zweite Aspekt: Das Ziel der missionarischen Handlung ist - so können wir sagen - die kosmische Liturgie: daß die in Christus vereinten Völker, die Welt als solche, Herrlichkeit Gottes werden, »gottgefälliges, im Heiligen Geist geheiligtes Opfer«. Hier erscheint im paulinischen Begriff vom Gottesdienst der dynamische Aspekt, der Aspekt der Hoffnung: Die Selbsthingabe Christi schließt das Bestreben danach ein, alle in die Gemeinschaft seines Leibes einzubeziehen, die Welt zu einen. Nur in Gemeinschaft mit Christus, dem Menschen schlechthin, der eins ist mit Gott, wird die Welt so, wie wir alle sie ersehnen: Spiegel der göttlichen Liebe. Diese Dynamik ist immer in der Eucharistie gegenwärtig - diese Dynamik muß unser Leben inspirieren und formen. Und mit dieser Dynamik beginnen wir das neue Jahr. Danke für eure Geduld.

In dieser ersten Generalaudienz des neuen Jahres setzen wir die Katechesen über den heiligen Paulus fort. Das heutige Thema handelt von der Lehre des Apostels über den Gottesdienst. Für Paulus ist Christus mit seinem Kreuzesopfer der neue und wahre Gottesdienst. Der alte, vorläufige Tempelkult mit seinen Tieropfern konnte keine wirkliche Sühne für die menschliche Schuld erbringen. Christus hat als wahrer Gott und Mensch die göttliche Barmherzigkeit und das menschliche Elend zusammengeführt. Ihn hat der Vater „dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne, wirksam durch den Glauben“, wie Paulus im Römerbrief (3, 25) sagt. So ist das Kreuz Christi, der höchste Akt der göttlichen Liebe, der wirkliche Gottesdienst, der der Wahrheit Gottes und des Menschen entspricht. Diese Wirklichkeit umfaßt auch das Leben der Gläubigen. Der Apostel fordert dazu auf, sich selbst als „lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist der wahre und angemessene Gottesdienst“ (Rm 12,1). Paulus gebraucht hier ein Adjektiv (logikos: vernunft-, geistgemäß), das in seiner Bedeutungsfülle nicht einfach wiedergegeben werden kann. Es geht darum, daß wir Gott mit unserem ganzen Menschsein dienen, in allem den Willen Gottes suchen und so gemäß unserem Glauben und unserer menschlichen Würde leben. Diesen Gottesdienst können wir aber nur in Gemeinschaft mit Christus, in Ihm und mit Ihm, vollziehen. Und in diese Gemeinschaft des Leibes Christi sind alle Menschen gerufen, damit die Welt ein Spiegel der göttlichen Liebe werde.
* * *


Einen herzlichen Gruß richte ich an die deutschsprachigen Pilger und Besucher hier in der Audienzhalle. Euch sowie allen, die über Rundfunk und Fernsehen mit uns verbunden sind, wünsche ich ein gesegnetes neues Jahr. In Gemeinschaft mit Christus wird unser Weg auch inmitten unvermeidbarer Schwierigkeiten voller Freude und Zuversicht sein. Der Herr lasse sein Angesicht über euch leuchten und schenke euch seinen Frieden!



Mittwoch, 14. Januar 2009: Der Hl. Paulus (18): die theologische Sicht der Briefe an die Kolosser und an die Epheser

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Liebe Brüder und Schwestern!

In der paulinischen Briefsammlung gibt es zwei Briefe - den an die Kolosser und den an die Epheser -, die man gewissermaßen als »Zwillinge« betrachten kann. Beide enthalten nämlich Ausdrucksweisen, die nur in ihnen zu finden sind, und man hat ausgerechnet, daß sich mehr als ein Drittel der Worte des Briefes an die Kolosser auch im Brief an die Epheser finden. Während man zum Beispiel im Kolosserbrief wörtlich die Aufforderung liest: »Belehrt und ermahnt einander in aller Weisheit! Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie sie der Geist eingibt« (
Col 3,16), wird im Epheserbrief in gleicher Weise empfohlen: »Laßt in eurer Mitte Psalmen, Hymnen und Lieder erklingen, wie der Geist sie eingibt. Singt und jubelt aus vollem Herzen zum Lob des Herrn!« (Ep 5,19). Über diese Worte wollen wir nachdenken: Das Herz - und so auch die Stimme - soll mit Psalmen und Hymnen singen, um in die Tradition des Gebets der ganzen Kirche des Alten und des Neuen Testaments einzutreten; so lernen wir, mit uns und untereinander und mit Gott zusammenzusein. Darüber hinaus findet sich in beiden Briefen eine sogenannte »Hausordnung«, die in den anderen Paulusbriefen fehlt, das heißt eine Reihe von Empfehlungen, die an Ehemänner und Ehefrauen, an Eltern und Kinder, an Herren und Sklaven gerichtet sind (vgl. Col 3,18-4,1 bzw. Ep 5,22-6,9).

Noch wichtiger ist die Feststellung, daß nur in diesen beiden Briefen der Titel »Haupt«, kephalé, bezeugt ist, der Jesus Christus gegeben wird. Dieser Titel wird auf einer zweifachen Ebene verwendet. In einem ersten Sinn wird Christus als Haupt der Kirche verstanden (vgl. Col 2,18-19 und Ep 4,15-16). Das bedeutet zweierlei: zunächst, daß er der Herrschende, der Leiter, der Verantwortliche ist, der die christliche Gemeinde als ihr Oberhaupt und Herr leitet (vgl. Kol Col 1,18, »Er ist das Haupt des Leibes, der Leib aber ist die Kirche.«) Und die zweite Bedeutung ist dann, daß er gleichsam der Kopf ist, der allen Gliedern des Leibes, denen er übergeordnet ist, Impulse verleiht und sie belebt (nach Col 2,19 muß man sich nämlich »an das Haupt halten, von dem aus der ganze Leib durch Gelenke und Bänder versorgt und zusammengehalten wird«): Das heißt, daß er nicht nur einer ist, der befiehlt, sondern einer, der organisch mit uns verbunden ist, von dem auch die Kraft zum rechten Handeln kommt.

In beiden Fällen wird die Kirche als Christus unterstellt angesehen, sowohl um ihrer höheren Leitung - den Geboten - zu folgen, als auch um alle lebensspendenden Einflüsse zu empfangen, die von ihm ausgehen. Seine Gebote sind nicht Worte oder Befehle, sondern lebensspendende Kräfte, die von ihm herrühren und uns helfen.

Dieser Gedanke wird besonders im Brief an die Epheser entfaltet, wo sogar die Ämter der Kirche, statt auf den Heiligen Geist zurückgeführt zu werden (wie in 1Co 12), vom auferstandenen Christus zugeteilt werden: Er ist es, der »den einen das Apostelamt gab, andere als Propheten einsetzte, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer« (Ep 4,11). Und »durch ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt in jedem einzelnen Gelenk. Jedes trägt mit der Kraft, die ihm zugemessen ist. So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut« (4,16). Denn Christus ist ganz darauf ausgerichtet, »die Kirche herrlich vor sich erscheinen zu lassen, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos« (Ep 5,27). Damit sagt er uns, daß die Kraft, mit der er die Kirche errichtet, mit der er die Kirche leitet, mit der er der Kirche auch die rechte Richtung gibt, seine Liebe ist.

Die erste Bedeutung ist also Christus, Haupt der Kirche: sowohl was die Leitung als auch und vor allem was die Inspiration und organische Belebung durch seine Liebe betrifft. In einem zweiten Sinn wird Christus dann nicht nur als Haupt der Kirche gesehen, sondern als Haupt der himmlischen Mächte und des ganzen Kosmos. So lesen wir im Brief an die Kolosser, daß Gott »die Fürsten und Gewalten entwaffnet und öffentlich zur Schau gestellt hat; durch Christus hat er über sie triumphiert« (2,15). In ähnlicher Weise finden wir im Brief an die Epheser geschrieben, daß Gott mit seiner Auferstehung Christus »hoch über alle Fürsten und Gewalten, Mächte und Herrschaften und über jeden Namen erhoben hat, der nicht nur in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen genannt wird« (1,21). Mit diesen Worten übertragen uns die beiden Briefe eine äußerst positive und fruchtbare Botschaft. Nämlich: Christus braucht keinen eventuellen Konkurrenten zu fürchten, da er jeglicher Form der Macht überlegen ist, die sich anmaßen würde, den Menschen zu erniedrigen. Nur er »hat uns geliebt und sich für uns hingegeben« (Ep 5,2). Deshalb müssen wir, wenn wir mit Christus vereint sind, keinen Feind und keine Widrigkeit fürchten; das bedeutet also, daß wir uns fest an ihn halten müssen, ohne ihn loszulassen!

Für die heidnische Welt, die an eine Welt voller großenteils gefährlicher Geister glaubte, gegen die man sich verteidigen mußte, erschien die Botschaft, daß Christus der einzige Sieger war und daß der, der mit Christus war, niemanden zu fürchten hatte, als eine echte Befreiung. Dasselbe gilt auch für das heutige Heidentum, denn auch die jetzigen Anhänger ähnlicher Ideologien sehen die Welt von gefährlichen Mächten erfüllt. Ihnen muß verkündet werden, daß Christus der Sieger ist, so daß der, der mit Christus ist, der mit ihm vereint bleibt, nichts und niemanden zu fürchten braucht. Mir scheint dies auch für uns wichtig zu sein, daß wir lernen müssen, allen Ängsten entgegenzutreten, weil er über jeder Herrschaft steht, weil er der wahre Herr der Welt ist.

Sogar der ganze Kosmos ist ihm unterstellt und auf ihn als sein Haupt ausgerichtet. Berühmt sind die Worte aus dem Brief an die Epheser, wo die Rede ist vom Plan Gottes, »in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist« (1,10). Ähnlich ist im Brief an die Kolosser zu lesen: »Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare « (1,16) und »alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut« (1,20). Es gibt da also nicht auf der einen Seite die große materielle Welt und auf der anderen diese kleine Wirklichkeit der Geschichte unserer Erde, die Welt der Menschen: alles ist eins in Christus. Er ist das Haupt des Kosmos; auch der Kosmos ist von ihm geschaffen, ist für uns geschaffen, insofern wir mit Ihm vereint sind. Das ist eine vernünftige und personalistische Sicht des Universums. Und ich würde sagen, eine universalistischere Sicht als diese konnte nicht entworfen werden, und sie kommt allein dem auferstandenen Christus zu. Christus ist der Pantokrátor (Allherrscher), dem alles unterworfen ist: Da denkt man eben an den Allherrscher Christus, der die Apsis der byzantinischen Kirchen schmückt und manchmal in der Höhe über der ganzen Welt oder auch auf einem Regenbogen thronend dargestellt ist, um auf seine Gleichstellung mit Gott selbst, an dessen Rechte er aufgestiegen ist (vgl. Ep 1,20 Col 3,1), und somit auch auf seine unvergleichliche Funktion als Lenker des Schicksals der Menschen hinzuweisen.

Eine derartige Sicht kann nur von der Kirche erfaßt werden, nicht in dem Sinn, daß sie sich unrechtmäßig das aneignen wollte, was ihr nicht zusteht, sondern in einem anderen zweifachen Sinn: sowohl insofern die Kirche anerkennt, daß Christus in gewisser Weise größer ist als sie, da sich seine Herrschaft auch über ihre Grenzen hinaus erstreckt, als auch insofern nur die Kirche als Leib Christi betrachtet wird, nicht der Kosmos. All dies bedeutet, daß wir die irdischen Wirklichkeiten positiv betrachten müssen, da Christus sie in sich zusammenfaßt, und daß wir gleichzeitig unsere besondere kirchliche Identität, die der Identität Christi selbst am ähnlichsten ist, in Fülle leben müssen.

Es gibt dann auch einen besonderen Begriff, der für diese beiden Briefe typisch ist, nämlich den Begriff »Geheimnis«. Einmal ist die Rede vom »Geheimnis des Willens« Gottes (Ep 1,9) und andere Male vom »Geheimnis Christi« (Ep 3,4 Col 4,3) oder sogar vom »göttlichen Geheimnis, das Christus ist. In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen« (Col 2,2-3). Es bedeutet den unergründlichen göttlichen Plan für das Los des Menschen, der Völker und der Welt. Mit dieser Sprache sagen uns die beiden Briefe, daß sich in Christus die Erfüllung dieses Geheimnisses findet. Wenn wir mit Christus sind, wissen wir, auch wenn wir verstandesmäßig nicht alles begreifen können, daß wir uns im Kern des »Geheimnisses« und auf dem Weg der Wahrheit befinden. Er ist es, der in seiner Ganzheit und nicht nur unter einem Aspekt seiner Person oder in einem Moment seines Daseins in sich die Fülle des unergründlichen göttlichen Heilsplanes trägt. In ihm nimmt das Gestalt an, was »die vielfältige Weisheit Gottes« genannt wird (Ep 3,10), »denn in ihm allein wohnt wirklich die ganze Fülle Gottes« (Col 2,9). Von nun an ist es also nicht mehr möglich, das Wohlgefallen Gottes, seine erhabene Verfügung zu denken und anzubeten, ohne uns persönlich mit Christus in Person auseinanderzusetzen, in dem jenes »Geheimnis« Fleisch annimmt und berührbar wahrgenommen werden kann. So gelangt man dahin, den »unergründlichen Reichtum Christi« (Ep 3,8) zu betrachten, der jedes menschliche Begreifen übersteigt. Nicht daß Gott keine Spuren seines Vorbeigehens hinterlassen hätte, da ja Christus selbst die Spur Gottes, seine erhabenste Spur ist; aber man wird sich »der Länge und Breite, der Höhe und Tiefe« dieses Geheimnisses bewußt, »das alle Erkenntnis übersteigt« (Ep 3,18-19). Die rein intellektuellen Kategorien erweisen sich hier als unzureichend, und indem man anerkennt, daß viele Dinge jenseits unserer Vernunftfähigkeiten liegen, muß man der demütigen und freudigen Betrachtung nicht nur des Geistes, sondern auch des Herzens vertrauen. Im übrigen sagen uns die Kirchenväter, daß die Liebe mehr versteht als die Vernunft allein.

Ein letztes Wort muß zu dem bereits oben erwähnten Begriff gesagt werden, der die Kirche als Braut Christi betrifft. Im Zweiten Brief an die Korinther hatte der Apostel Paulus die christliche Gemeinde mit einer Verlobten verglichen, indem er schrieb: »Denn ich liebe euch mit der Eifersucht Gottes; ich habe euch einem einzigen Mann verlobt, um euch als reine Jungfrau zu Christus zu führen« (2Co 11,2). Der Brief an die Epheser entfaltet dieses Bild und präzisiert, daß die Kirche nicht nur eine Verlobte ist, sondern die wirkliche Braut Christi. Er hat sie sozusagen für sich erobert, und er hat das um den Preis seines Lebens getan: Wie der Text sagt, »hat er sich selbst für sie hingegeben« (Ep 5,25). Welcher Liebesbeweis kann größer sein als dieser? Aber darüber hinaus ist er um ihre Schönheit besorgt: nicht nur um jene bereits mit der Taufe erworbene, sondern auch um jene, die jeden Tag dank eines untadeligen Lebens »ohne Falten und Flecken« in ihrem moralischen Verhalten wachsen muß (vgl. Ep 5,26-27). Von hier ist der Schritt zur allgemeinen Erfahrung der christlichen Ehe kurz; ja, es ist nicht einmal ganz klar, welches für den Verfasser des Briefes der anfängliche Bezugspunkt ist: ob es die Beziehung Christus - Kirche ist, in deren Licht die Verbindung eines Mannes mit einer Frau zu denken ist, oder ob es die erfahrungsmäßige Gegebenheit der ehelichen Verbindung ist, in deren Licht die Beziehung zwischen Christus und der Kirche zu denken ist. Aber beide Aspekte erhellen sich gegenseitig: Wir lernen, was die Ehe ist, im Licht der Gemeinschaft Christi und der Kirche, wir lernen, wie Christus sich mit uns vereint, wenn wir an das Geheimnis der Ehe denken. Auf jeden Fall steht unser Brief gleichsam auf halbem Weg zwischen dem Propheten Hosea, der die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk in den Begriffen der bereits vollzogenen Hochzeit andeutete (vgl. Os 2,4 Os 2,16 Os 2,21), und dem Seher der Offenbarung des Johannes, der die eschatologische Begegnung zwischen der Kirche und dem Lamm als eine freudvolle und unvergängliche Hochzeit in Aussicht stellen wird (vgl. Ap 19,7-9 Ap 21,9).

Es gäbe noch viel zu sagen, aber mir scheint, daß man aus dem Dargelegten schon verstehen kann, daß diese beiden Briefe eine große Katechese sind, aus der wir nicht nur lernen können, wie wir gute Christen sein, sondern auch wie wir wirklich Menschen werden können. Wenn wir beginnen zu verstehen, daß der Kosmos die Spur Christi ist, lernen wir unsere richtige Beziehung zum Kosmos, mit allen Problemen der Bewahrung des Kosmos. Wir lernen, ihn mit der Vernunft zu sehen, aber mit einer von der Liebe bewegten Vernunft, und mit der Demut und Achtung, die es erlauben, in rechter Weise zu handeln. Und wenn wir denken, daß die Kirche der Leib Christi ist, daß Christus sich selbst für sie hingegeben hat, lernen wir, wie wir mit Christus die gegenseitige Liebe leben können, die Liebe, die uns mit Gott vereint und die uns im anderen das Bild Christi, Christus selbst sehen läßt. Beten wir zum Herrn, daß er uns helfen möge, die Heilige Schrift, sein Wort gut zu betrachten und so zu lernen, wirklich gut zu leben.

Heute möchte ich über zwei Briefe des heiligen Paulus sprechen, über den Brief an die Kolosser und den an die Epheser. Diese beiden Schreiben weisen eine große Übereinstimmung auf; vor allem aber findet sich nur hier der Titel „Haupt“ für Christus. Zum einen wird Christus als Haupt der Kirche bezeichnet: Er ist der Herr, der die Gemeinschaft der Gläubigen leitet und führt, und er ist das Haupt, das die Glieder des Leibes anregt und belebt. Die Kirche ist der zum Haupt gehörende Leib. Sie ist dem Herrn unterstellt, um ihm zu folgen und von ihm die Lebensader zu empfangen. Zum anderen wird Christus als das Haupt der himmlischen Mächte und des ganzen Kosmos gesehen. Jesus Christus ist der Herrscher über das All, der Pantokrator, der Allherrscher. „In ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, … alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen“, sagt der berühmte Hymnus aus dem Kolosserbrief (1, 16). Der unergründliche Plan Gottes über den Menschen und die Welt findet in Christus seine Erfüllung. In ihm hat das Geheimnis des göttlichen Willens, die Weisheit Gottes Gestalt angenommen. Ein weiterer wichtiger Gedanke in diesen beiden Briefen ist die Sicht der Kirche als Braut Christi. Jesus Christus hat sich die Kirche erworben, die er liebt und für die er sich hingegeben hat (vgl. Ep 5,25). Gewissermaßen erleuchten die Beziehung Christus-Kirche und die eheliche Verbindung von Mann und Frau einander gegenseitig. Dieses Bild zeigt uns, wie wir als Christen in Gemeinschaft mit dem Herrn leben sollen.
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Mit Freude heiße ich alle Pilger und Besucher aus dem deutschen Sprachraum willkommen. Christus ist Anfang und Ende, der Mittler der Schöpfung und der Erlösung. Durch die Taufe gehören wir Christus an. Wenn wir an Ihm festhalten, dann brauchen wir nichts und niemanden zu fürchten. Er führt uns auf Pfaden des Lichtes und des Lebens. Zum Beginn dieses neuen Jahres wünsche ich euch, daß euch alle Tage sein Segen begleiten möge.





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