Generalaudienzen 2005-2013 19101

Mittwoch, 19. Oktober 2011: Das „große Hallel“ Psalm 136 (135)

19101
Ps 136


Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich mit euch einen Psalm betrachten, der die ganze Heilsgeschichte zusammenfaßt, von der das Alte Testament uns Zeugnis gibt. Es handelt sich um ein großes Loblied, das den Herrn in den zahlreichen immer wiederkehrenden Offenbarungen seiner Güte in der Geschichte der Menschheit preist; es ist Psalm 136 – oder 135 nach der griechisch-lateinischen Überlieferung. Als feierliches Dankgebet, bekannt als das »große Hallel«, wird dieser Psalm traditionell am Ende des jüdischen Passahmahls gesungen, und auch Jesus hat ihn wohl beim Letzten Abendmahl gebetet, das er mit seinen Jüngern feierte. Denn darauf scheint die Bemerkung der Evangelisten hinzuweisen: »Nach dem Lobgesang gingen sie zum Ölberg hinaus« (Mt 26,30 Mc 14,26). Der Horizont des Lobes erleuchtet so den schweren Gang nach Golgota. Der ganze Psalm 136 läuft in litaneiartiger Form ab, unterteilt von der antiphonalen Wiederholung »denn seine Huld währt ewig«. In dem Werk werden die vielen Wunder Gottes in der Geschichte der Menschheit sowie seine ständigen Eingriffe zugunsten seines Volkes aufgezählt. Und auf jede Verkündigung des Heilswirkens des Herrn antwortet die Antiphon, wobei der Hauptbeweggrund der Lobpreis ist: die ewige Liebe Gottes, eine Liebe, die – entsprechend dem hebräischen Begriff, der hier verwendet wird – Treue, Barmherzigkeit, Güte, Gnade, Fürsorge einschließt.

Dies ist das Leitmotiv des ganzen Psalms, das stets in derselben Form wiederholt wird, während seine konkreten, paradigmatischen Ausdrucksformen wechseln: die Schöpfung, die Befreiung durch den Exodus, das Geschenk des Landes, der unablässige fürsorgliche Beistand, den der Herr seinem Volk und allen Geschöpfen gewährt. Nach einer dreifachen Aufforderung, Gott, dem Herrscher, zu danken (V. 1–3) wird der Herr gepriesen als der, der »große Wunder tut« (V. 4). Das erste von ihnen ist die Schöpfung: der Himmel, die Erde, die Gestirne (V. 5–9). Die geschaffene Welt ist nicht einfach nur ein Hintergrund, vor dem das Heilswirken Gottes stattfindet, sondern sie ist der Anfang jenes wunderbaren Wirkens. Durch die Schöpfung zeigt sich der Herr in all seiner Güte und Schönheit, er geht eine Bindung mit dem Leben ein und offenbart sein Wohlwollen, aus dem jedes andere Heilswirken hervorgeht. Und in unserem Psalm, in dem das erste Kapitel der Genesis Widerhall findet, wird die geschaffene Welt in ihren Hauptelementen zusammengefaßt, wobei insbesondere die Gestirne hervorgehoben werden, die Sonne, der Mond, die Sterne: wunderbare Geschöpfe, die den Tag und die Nacht regieren. Von der Schöpfung des Menschen wird hier nicht gesprochen, aber er ist immer gegenwärtig; Sonne und Mond sind für ihn – für den Menschen – da, um der Zeit des Menschen einen Rhythmus zu verleihen und ihn, vor allem durch das Anzeigen der liturgischen Zeiten, in Beziehung zum Schöpfer zu stellen. Und gleich darauf wird das Passahfest in Erinnerung gerufen. Der Übergang zur Offenbarung Gottes in der Geschichte beginnt mit dem großen Ereignis der Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft, dem Exodus, der in seinen bedeutendsten Elementen dargelegt wird: die Befreiung aus Ägypten mit der Plage, die über die Erstgeburt Ägyptens kommt, der Auszug aus Ägypten, der Durchzug durch das Rote Meer, der Weg durch die Wüste bis zum Einzug in das Gelobte Land (V. 10–20). Wir sind in der Ursprungszeit der Geschichte Israels. Gott hat machtvoll eingegriffen, um sein Volk in die Freiheit zu führen: Durch Mose, seinen Gesandten, hat er sich gegen den Pharao durchgesetzt und sich in seiner ganzen Größe offenbart. Und schließlich hat er den Widerstand der Ägypter gebrochen mit der schrecklichen Geißel des Todes der Erstgeborenen. So kann Israel das Land der Knechtschaft verlassen, mit dem Gold seiner Unterdrücker (vgl. ), die Hand »voll Zuversicht« (Ex 14,8) erhoben im jubelnden Zeichen des Sieges.

Auch am Roten Meer handelt der Herr mit barmherziger Macht. Israel ist beim Anblick der Ägypter, die ihm nachstellen, so erschrocken, daß es bereut, Ägypten verlassen zu haben (vgl. ). Unser Psalm sagt, daß Gott vor ihm »das Schilfmeer zerschnitt in zwei Teile […] und Israel hindurchführte zwischen den Wassern […] und den Pharao ins Meer stürzte samt seinem Heer« (V. 13–15). Das Bild vom Roten Meer, das in zwei Teile »zerschnitten« ist, erinnert an die Idee vom Meer als einem großen Ungeheuer, das in zwei Teile zerschlagen und so außer Gefecht gesetzt wird. Die Macht des Herrn überwindet die gefährlichen Gewalten der Natur und die des von Menschen aufgestellten Heeres: Das Meer, das dem Volk Gottes den Weg zu versperren schien, läßt Israel trockenen Fußes hindurch ziehen und schließt sich dann wieder über den Ägyptern und verschlingt sie. »Die starke Hand und der hoch erhobene Arm« des Herrn (vgl. Dtn Dt 5,15 Dt 7,19 Dt 26,8) zeigen sich so in all ihrer rettenden Kraft: Der ungerechte Unterdrücker ist besiegt, vom Wasser verschlungen, während das Volk Gottes »hindurchzieht«, um seinen Weg in die Freiheit fortzusetzen. Auf diesen Weg nimmt unser Psalm jetzt Bezug, indem er mit einem ganz kurzen Satz den langen Pilgerweg Israels in das Gelobte Land beschreibt: »der sein Volk durch die Wüste führte, / denn seine Huld währt ewig« (V. 16). Diese wenigen Worte enthalten eine Erfahrung von 40 Jahren, eine entscheidende Zeit für Israel: Indem es sich vom Herrn führen läßt, lernt es, aus dem Glauben, im Gehorsam und in der Fügsamkeit gegenüber dem Gesetz Gottes zu leben. Es sind schwere Jahre, die von der Härte des Lebens in der Wüste geprägt sind, aber auch glückliche Jahre – Jahre der Zuversicht auf den Herrn, des kindlichen Vertrauens; es ist die Zeit der »Jugend «, wie der Prophet Jeremia sagt, als er im Namen des Herrn zu Israel spricht, mit Worten voll Zärtlichkeit und Sehnsucht: »Ich denke an deine Jugendtreue, an die Liebe deiner Brautzeit, wie du mir in die Wüste gefolgt bist, im Land ohne Aussaat« (Jr 2,2). Wie der Hirte im Psalm 23, den wir in einer Katechese betrachtet haben, hat der Herr sein Volk 40 Jahre lang geführt. Er hat es erzogen und geliebt und ins Gelobte Land geführt, indem er auch die Widerstände und die Gegnerschaft feindlicher Völker überwunden hat, die seinen Heilsweg behindern wollten (vgl. V. 17–20).

In der Abfolge der »großen Wunder«, die unser Psalm aufzählt, gelangt man so zum Augenblick des abschließenden Geschenks der Erfüllung der göttlichen Verheißung, die an die Väter ergangen war: »Und der ihr Land zum Erbe gab, / denn seine Huld währt ewig, der es Israel gab, seinem Knecht, / denn seine Huld währt ewig« (V. 21–22). Im Lobpreis der immerwährenden Huld des Herrn wird jetzt das Geschenk des Landes in Erinnerung gerufen, ein Geschenk, das das Volk empfangen muß, ohne es sich jemals anzueignen; es soll stets in einer Haltung erkenntlicher und dankbarer Annahme leben. Israel empfängt das Land, in dem es leben soll, zum »Erbe«: Dieser Ausdruck bezeichnet ganz allgemein den Besitz eines Gutes, das von einem anderen empfangen wurde, ein Eigentumsrecht, das sich insbesondere auf den väterlichen Besitz bezieht.

Eine der besonderen Eigenschaften Gottes ist das »Schenken«; und jetzt, am Ende des Exodus, tritt Israel, der Empfänger des Geschenks, wie ein Sohn in das Land der erfüllten Verheißung ein. Die Zeit des Umherwanderns, das Leben in Zelten, das von Vorläufigkeit geprägt war, ist beendet. Jetzt ist die glückliche Zeit der Stabilität angebrochen, der Freude, Häuser zu bauen, Weinberge zu pflanzen, in Sicherheit zu leben (vgl. Dtn 8,7–13). Es ist jedoch auch die Zeit der Versuchung zur Götzenverehrung, der Verunreinigung durch die Heiden, der Unabhängigkeit, die den göttlichen Ursprung des Geschenks vergessen läßt. Daher erwähnt der Psalmist die Erniedrigung und die Feinde, eine todbringende Wirklichkeit, in der der Herr sich noch einmal als Retter erweist: »der an uns dachte in unserer Erniedrigung, / denn seine Huld währt ewig, und uns den Feinden entriß, / denn seine Huld währt ewig« (V. 23–24).

An diesem Punkt stellt sich die Frage: Wie können wir diesen Psalm zu unserem Gebet machen, wie können wir uns diesen Psalm für unser Gebet aneignen? Wichtig ist der Rahmen des Psalms, am Anfang und am Ende: Es ist die Schöpfung. Wir werden auf diesen Punkt noch einmal zurückkommen: die Schöpfung als das große Geschenk Gottes, von dem wir leben, in dem er sich in seiner Güte und Größe offenbart. Die Vergegenwärtigung der Schöpfung als Geschenk Gottes stellt also einen gemeinsamen Aspekt für uns alle dar. Dann folgt die Heilsgeschichte. Natürlich können wir sagen: Die Befreiung aus Ägypten, die Zeit der Wüste, der Einzug in das Heilige Land und all die anderen Probleme sind sehr fern von uns, sind nicht unsere Geschichte. Wir müssen jedoch auf die Grundstruktur dieses Gebets achten. Die Grundstruktur ist, daß Israel der Güte des Herrn gedenkt.

In dieser Geschichte gibt es viele finstere Täler, es geht oft durch Schwierigkeiten und Tod hindurch, aber Israel erinnert sich, daß Gott gut war, und kann in diesem finsteren Tal überleben, in diesem Tal des Todes, weil es sich erinnert. Es besitzt die Erinnerung an die Güte des Herrn, an seine Macht; seine Barmherzigkeit währt ewig. Und das ist auch für uns wichtig: Erinnerung an die Güte des Herrn zu besitzen. Die Erinnerung wird zur Kraft der Hoffnung. Die Erinnerung sagt uns: Gott ist da, Gott ist gut, seine Barmherzigkeit währt ewig. Und so öffnet die Erinnerung auch an einem finsteren Tag, in einer finsteren Zeit den Weg in die Zukunft: Sie ist das Licht und der Stern, die uns leiten. Auch wir besitzen eine Erinnerung an das Gute, an die barmherzige, ewige Liebe Gottes. Bereits die Geschichte Israels stellt auch für uns eine Erinnerung dar: daß Gott sich offenbart, sich sein Volk erschaffen hat. Dann ist Gott Mensch geworden, einer von uns: Er hat mit uns gelebt, er hat mit uns gelitten, er ist für uns gestorben. Er bleibt bei uns im Sakrament und im Wort. Es ist eine Geschichte, eine Erinnerung an die Güte Gottes, die uns seine Güte zusichert: Seine Huld währt ewig.

Und auch in den 2000 Jahren der Kirchengeschichte zeigt sich immer wieder die Güte des Herrn. Nach der finsteren Zeit der nationalsozialistischen und kommunistischen Verfolgung hat Gott uns befreit, hat er gezeigt, daß er gut ist, daß er Kraft hat, daß seine Barmherzigkeit ewig währt. Und so wie diese Erinnerung an Gottes Güte in der gemeinsamen, kollektiven Geschichte gegenwärtig ist, uns hilft, für uns zum Stern der Hoffnung wird, so hat jeder auch seine persönliche Heilsgeschichte, und wir müssen uns diese Geschichte wirklich zunutze machen, müssen die großen Dinge, die er auch in meinem Leben getan hat, stets in Erinnerung behalten, um Vertrauen zu haben: Seine Huld währt ewig. Und wenn ich heute in der dunklen Nacht bin, dann befreit er mich morgen, denn seine Huld währt ewig.

Wenden wir uns wieder dem Psalm zu, denn am Ende kommt er auf die Schöpfung zurück. Er sagt, daß der Herr »allen Geschöpfen Nahrung gibt, / denn seine Huld währt ewig« (V. 25). Das Gebet des Psalms schließt mit einer Aufforderung zum Lobpreis: »Danket dem Gott des Himmels, / denn seine Huld währt ewig«. Der Herr ist ein guter und fürsorglicher Vater, der seinen Kindern das Erbe schenkt und allen Nahrung zum Leben gibt. Der Gott, der Himmel und Erde und die großen himmlischen Leuchten erschaffen hat, der in die Geschichte der Menschen eintritt, um all seine Kinder zum Heil zu führen, ist der Gott, der das Universum mit seiner guten Gegenwart erfüllt, indem er für das Leben Sorge trägt und Brot gibt. Die unsichtbare Kraft des Schöpfers und Herrn, die im Psalm gepriesen wird, offenbart sich im kleinen sichtbaren Brot, das er uns gibt, durch das er uns leben läßt. Und so symbolisiert und umfaßt dieses tägliche Brot die Liebe Gottes als Vater und öffnet uns hin zur neutestamentlichen Vollendung, zu jenem »Brot des Lebens «, der Eucharistie, die uns in unserem Leben als Gläubige begleitet und die ein Vorgeschmack ist auf die Freude des messianischen Mahls im Himmel.

Brüder und Schwestern, der Lobpreis des Psalms 136 hat uns Rückschau halten lassen auf die wichtigsten Abschnitte der Heilsgeschichte, bis hin zum Paschamysterium, in dem das Heilswirken Gottes seinen Höhepunkt erreicht. Mit dankbarer Freude wollen wir daher den Schöpfer, Retter und treuen Vater preisen. Er »hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat« (Jn 3,16). In der Fülle der Zeiten wird der Sohn Gottes Mensch, um das Leben hinzugeben, zum Heil eines jeden von uns, und schenkt sich hin als Brot im eucharistischen Geheimnis, um uns in seinen Bund eintreten zu lassen, der uns zu Kindern macht. Soviel erlangt die barmherzige Güte Gottes und die Erhabenheit seiner »immerwährenden Huld«. Daher möchte ich diese Katechese beenden, indem ich mir die Worte zu eigen mache, die der hl. Johannes in seinem Ersten Brief schreibt und die wir uns in unserem Gebet stets vergegenwärtigen sollten: »Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es« (1Jn 3,1). Danke.
* * *


Mit Freude grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache, heute besonders das Domkapitel der Diözese Graz-Seckau, das anläßlich seines 225jährigen Bestehens den Aposteln Petrus und Paulus die Ehre erweist. Wir wollen uns die Psalmen immer neu als Gebet zu eigen machen und uns hineinnehmen lassen in das Vertrauen des Volkes Israel auf die Liebe und Güte des Herrn, die nie endet. Der Heilige Geist geleite euch bei all eurem Tun.



Audienzhalle

Mittwoch, 26. Oktober 2011 - Gebet zur Vorbereitung auf die Begegnung in Assisi

26101
Pilger der Wahrheit, Pilger des Friedens

Liebe Brüder und Schwestern!

Ich freue mich, euch in der Basilika Sankt Peter zu begrüßen, und heiße euch alle herzlich willkommen. Ich hoffe, daß ihr trotz des Regens einen schönen Tag verbringen könnt. Und wenn auch leider die große Audienz geteilt werden mußte, sollen doch der Segen und die Freude Gottes mit euch gehen. Bezeugt dem Herrn eure Dankbarkeit, euren Glauben. Tragt den Glauben und die Freude des Glaubens in die Welt hinaus und in den Alltag hinein. In diesem Sinne erteile ich am Schluß allen von Herzen meinen Apostolischen Segen.
* * *


Liebe Brüder und Schwestern!

Heute nimmt die gewohnte Begegnung der Generalaudienz eine besondere Form an, denn wir stehen am Vortag des »Tages der Reflexion, des Dialogs und des Gebets für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt«, der morgen in Assisi stattfinden wird, 25 Jahre nach der historischen Begegnung, die vom sel. Johannes Paul II. einberufen wurde. Ich habe diesen Tag unter das Motto »Pilger der Wahrheit, Pilger des Friedens« gestellt, um die Verpflichtung zur Förderung des wahren Wohls der Menschheit und zur Errichtung des Friedens zum Ausdruck zu bringen, die wir feierlich erneuern wollen, zusammen mit den Anhängern verschiedener Religionen sowie mit Menschen, die nicht gläubig, aber aufrichtig auf der Suche nach der Wahrheit sind. Ich hatte bereits einmal Gelegenheit zu sagen: »Wer unterwegs zu Gott ist, kann nicht umhin, den Frieden zu vermitteln, wer den Frieden aufbaut, kann nicht umhin, sich Gott zu nähern.«

Als Christen sind wir überzeugt, daß der wertvollste Beitrag, den wir für die Sache des Friedens leisten können, das Gebet ist. Aus diesem Grund versammeln wir uns heute, als Kirche von Rom, zusammen mit den in der Stadt anwesenden Pilgern, um das Wort Gottes zu hören und in gläubiger Gesinnung um das Geschenk des Friedens zu bitten. Der Herr kann unseren Verstand und unsere Herzen erleuchten und uns dahin führen, Baumeister der Gerechtigkeit und der Versöhnung in unserem Alltag und in der Welt zu sein. Im Abschnitt aus dem Buch des Propheten Sacharja haben wir gerade eine Verkündigung voll Hoffnung und Licht vernommen (vgl.
Za 9,10). Gott verheißt das Heil, er lädt ein, »laut zu jubeln«, denn dieses Heil wird nun verwirklicht. Es ist von einem König die Rede: »Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft« (V. 9).

Der Verkündigte ist jedoch kein König, der mit menschlicher Macht, mit Waffengewalt auftritt; er ist kein König, der mit politischer und militärischer Macht herrscht; er ist ein friedfertiger König, der mit Demut und Güte vor Gott und den Menschen regiert, ein König, der anders ist als die großen Herrscher der Welt: Er »reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin«, sagt der Prophet (ebd.). Er offenbart sich, indem er auf dem Tier der einfachen Menschen, der Armen, reitet, im Gegensatz zu den Streitwagen der Heere der Mächtigen der Erde. Ja, er ist sogar ein König, der diese Wagen vernichten, die Kriegsbogen zerbrechen, für die Völker den Frieden verkünden wird (vgl. V. 10).

Wer aber ist dieser König, von dem der Prophet Sacharja spricht? Gehen wir für einen Augenblick nach Betlehem und hören wir noch einmal, was der Engel zu den Hirten sagt, die Nachtwache hielten bei ihrer Herde. Der Engel verkündet eine Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll und die an ein armseliges Zeichen gebunden ist: ein Kind, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt (vgl. ). Und das himmlische Heer singt: »Verherrlicht ist Gott in der Höhe, / und auf Erden ist Friede / bei den Menschen seiner Gnade« (V. 14), bei den Menschen guten Willens. Die Geburt jenes Kindes, das Jesus ist, verkündet der ganzen Welt Frieden.

Aber betrachten wir nun auch die Augenblicke gegen Ende des Lebens Christi, als er in Jerusalem einzieht und von einer jubelnden Menge empfangen wird. Die Verkündigung der Ankunft eines demütigen und friedfertigen Königs durch den Propheten Sacharja kehrte den Jüngern Jesu besonders nach den Ereignissen des Leidens, des Todes und der Auferstehung, des Ostergeheimnisses, ins Gedächtnis zurück, als sie mit den Augen des Glaubens zu jenem freudigen Einzug des Meisters in die Heilige Stadt zurückkehrten. Er reitet auf einer geborgten Eselin (vgl. ): Er ist nicht auf einem prunkvollen Wagen, nicht zu Pferd wie die Großen. Er zieht nicht von einem mächtigen Heer aus Wagen und Reitern begleitet in Jerusalem ein. Er ist ein armer König, der König der Armen Gottes. Im griechischen Text steht der Begriff »praeîs«, was »die Friedfertigen, die Gütigen« bedeutet. Jesus ist der König der »anawim«, jener, deren Herz frei ist vom Verlangen nach Macht und materiellem Reichtum, vom Willen und Streben nach Herrschaft über den anderen. Jesus ist der König derer, die die innere Freiheit besitzen, die fähig macht, die Habgier, den Egoismus, der in der Welt ist, zu überwinden, und die wissen, daß Gott allein ihr Reichtum ist. Jesus ist ein armer König unter den Armen, gütig unter jenen, die gütig sein wollen. Auf diese Weise ist er der König des Friedens, durch die Macht Gottes, die Macht des Guten, die Macht der Liebe. Er ist ein König, der die Streitwagen und Schlachtpferde vernichten, die Kriegsbogen zerbrechen wird; ein König, der den Frieden am Kreuz verwirklicht, wo er Himmel und Erde miteinander verbindet und eine brüderliche Brücke zwischen allen Menschen schlägt. Das Kreuz ist der neue »Bogen des Friedens«, Zeichen und Werkzeug der Versöhnung, der Vergebung, des Verständnisses, Zeichen, daß die Liebe stärker ist als alle Gewalt und jede Unterdrückung, stärker als der Tod: Das Böse wird durch das Gute, durch die Liebe überwunden.

Dies ist das neue Reich des Friedens, in dem Christus der König ist; und es ist ein Reich, das sich über die ganze Erde ausbreitet. Der Prophet Sacharja verkündigt, daß die Herrschaft dieses friedfertigen, gütigen Königs »von Meer zu Meer und vom Euphrat bis an die Enden der Erde« reichen wird (Za 9,10). Das Reich, das mit Christus beginnt, hat universale Dimensionen. Der Horizont dieses armen, friedfertigen Königs ist nicht ein Gebiet, ein Staat, sondern die Enden der Erde; über alle ethnischen, sprachlichen, kulturellen Grenzen hinweg schafft er Gemeinschaft, schafft er Einheit. Und wo sehen wir diese Verkündigung sich heute verwirklichen? Im großen Netz der eucharistischen Gemeinschaften, das sich über die ganze Erde ausbreitet, tritt die Prophezeiung Sacharjas wieder leuchtend zutage. Es ist ein großes Mosaik von Gemeinschaften, in denen das Liebesopfer dieses friedfertigen und gütigen Königs gegenwärtig wird; es ist das große Mosaik des »Friedensreiches« Jesu, von Meer zu Meer bis an die Enden der Erde, eine Vielzahl von »Inseln des Friedens«, die Frieden ausstrahlen. Überall hin, in jede Wirklichkeit, in jede Kultur, von den großen Städten mit ihren Mietshäusern bis in die kleinen Dörfer mit den bescheidenen Hütten, von den mächtigen Kathedralen bis hin zu den kleinen Kapellen kommt er, wird er gegenwärtig; und wenn sie mit ihm in Gemeinschaft treten, sind auch die Menschen untereinander in einem einzigen Leib vereint und überwinden Spaltung, Feindschaft, Groll. Der Herr kommt in der Eucharistie, um uns unserem Individualismus zu entreißen, unseren Parteilichkeiten, die die anderen ausschließen, um uns zu einem einzigen Leib zu machen, zu einem einzigen Reich des Friedens in einer gespaltenen Welt.

Wie aber können wir dieses Reich des Friedens aufbauen, dessen König Christus ist? Das ist das Gebot, das er seinen Aposteln und durch sie uns allen hinterläßt: »Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern… Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,19). Wie Jesus, so müssen die Friedensboten seines Reiches sich auf den Weg machen, müssen seiner Aufforderung nachkommen. Sie müssen gehen, aber nicht mit der Macht des Krieges oder mit Herrschergewalt. Im Evangeliumsabschnitt, den wir gehört haben, sendet Jesus 72 Jünger aus in die große Ernte, die Welt, und fordert sie auf, den Herrn der Ernte zu bitten, es nie an Arbeitern in seiner Ernte fehlen zu lassen (vgl. ).

Er sendet sie jedoch nicht mit Machtmitteln aus, sondern »wie Schafe mitten unter die Wölfe« (V. 3), ohne Geldbeutel, Vorratstasche und Schuhe (vgl. V. 4). Der hl. Johannes Chrysostomus kommentiert in einer seiner Predigten: »Solange wir Lämmer sind, siegen wir. Mögen auch unzählige Wölfe uns umgeben, wir siegen doch und gewinnen die Oberhand. Wenn wir dagegen selbst zu Wölfen werden, unterliegen wir; es fehlt uns dann eben die Hilfe des Hirten« (In Matthaeum homiliae 33,1: ). Die Christen dürfen nie der Versuchung nachgeben, Wölfe unter Wölfen zu werden; Christi Reich des Friedens breitet sich nicht durch Macht, durch Kraft, durch Gewalt aus, sondern durch die Selbsthingabe, durch die Liebe, die bis zum Äußersten geht, auch gegenüber den Feinden. Jesus überwindet die Welt nicht mit Waffengewalt, sondern durch die Kraft des Kreuzes, die wahrhaft den Sieg gewährt. Und für den, der Jünger des Herrn, sein Gesandter, sein will, hat dies zur Folge, daß er auch zum Leiden und zum Martyrium, zur Hingabe des Lebens für ihn bereit sein muß, damit das Gute, die Liebe, der Frieden in der Welt triumphieren können. Das ist die Voraussetzung, um beim Eintritt in jede Wirklichkeit sagen zu können: »Friede diesem Haus!« (Lc 10,5).

Vor dem Petersdom befinden sich zwei große Statuen der hll. Petrus und Paulus, die leicht zu erkennen sind: Der hl. Petrus hält die Schlüssel in der Hand, der hl. Paulus dagegen hält ein Schwert in Händen. Wer seine Geschichte nicht kennt, könnte meinen, es handle sich um einen großen Feldherrn, der mächtige Heere geführt, mit dem Schwert Völker und Nationen unterworfen und sich mit dem Blut anderer Menschen Ruhm und Reichtum verschafft hat. Genau das Gegenteil ist jedoch der Fall: Das Schwert, das er in Händen hält, ist das Werkzeug, mit dem Paulus hingerichtet wurde, durch das er das Martyrium erlitt und sein eigenes Blut vergoß. Seine Schlacht war nicht die der Gewalt, des Krieges, sondern die des Martyriums für Christus. Seine einzige Waffe war es, »Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten« zu verkünden (1Co 2,2). Seine Verkündigung gründete nicht auf »Überredung durch gewandte und kluge Worte, sondern war mit dem Erweis von Geist und Kraft verbunden« (V. 4). Er widmete sein Leben dem Überbringen der Botschaft des Evangeliums von Versöhnung und Frieden und wandte all seine Kräfte auf, damit sie bis an die Enden der Erde vernommen würde. Und das war seine Kraft: Er hat kein ruhiges, bequemes Leben gesucht, fernab von Schwierigkeiten und Widrigkeiten, sondern hat sich für das Evangelium verausgabt, hat sich selbst ganz und ohne jeden Vorbehalt hingegeben und ist so zum großen Boten des Friedens und der Versöhnung Christi geworden. Das Schwert, das der hl. Paulus in Händen hält, spielt auch auf die Macht der Wahrheit an, die oft verletzen, wehtun kann: Der Apostel ist dieser Wahrheit bis ins Letzte treu geblieben, er hat ihr gedient, hat für sie gelitten, hat sein Leben für sie hingegeben. Dieselbe Logik gilt auch für uns, wenn wir Boten des Friedensreiches sein wollen, das der Prophet Sacharja verkündigt hat und das von Christus verwirklicht wurde: Wir müssen bereit sein, persönlich dafür einzustehen und Unverständnis, Zurückweisung, Verfolgung am eigenen Leib zu erleiden. Nicht das Schwert des Eroberers errichtet den Frieden, sondern das Schwert des Leidenden, der sein Leben hinzugeben weiß.

Liebe Brüder und Schwestern, als Christen wollen wir Gott um das Geschenk des Friedens bitten. Wir wollen ihn bitten, uns zu Werkzeugen seines Friedens zu machen in einer Welt, die noch immer von Haß, von Spaltungen, von Egoismen, von Kriegen zerrissen ist. Wir wollen ihn bitten, daß die morgige Begegnung in Assisi den Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit fördern und einen Lichtstrahl bringen möge, der in der Lage ist, den Verstand und das Herz aller Menschen zu erleuchten, damit der Groll der Vergebung weiche, die Spaltung der Versöhnung, der Haß der Liebe, die Gewalt der Güte, und in der Welt Frieden herrsche. Amen.
* * *


Liebe Brüder und Schwestern aus den Ländern deutscher Sprache! Danke! Einen herzlichen Gruß richte ich zunächst an die Teilnehmer der Romwallfahrt des Internationalen Kolpingwerks. Seit der Seligsprechung von Adolph Kolping sind zwanzig Jahre vergangen. Wir hoffen alle, daß die Heiligsprechung nahe ist, aber wir brauchen noch Gebet dazu, damit wir das Wunder erhalten, das nötig ist. Aber ich freue mich, daß so viele gekommen sind, und ich sehe darin doch die Kraft des Kolpingwerks, welche eine Kraft des Glaubens in unserem Land ist. Wie ihr wißt und soeben gehört habt, werde ich morgen in Assisi zusammen mit Vertretern verschiedener Religionen einen Tag der Reflexion, des Gesprächs und des Gebets für den Frieden und die Gerechtigkeit in der Welt halten. Ich möchte euch einladen, euch im Gebet mit mir zu verbinden und den Herrn um seinen Segen für ein friedliches Miteinander aller Menschen und Völker zu bitten. Der dreifaltige Gott begleite uns bei unserem Reden und Tun und lasse uns stets seiner Nähe gewiß sein. Euch allen wünsche ich einen frohen Aufenthalt in Rom.






Audienzhalle

Mittwoch, 2. November 2011: Gedenken an die verstorbenen Gläubigen

21111

Liebe Brüder und Schwestern!

Nach der Feier des Hochfestes Allerheiligen lädt die Kirche uns heute ein, aller verstorbenen Gläubigen zu gedenken, unseren Blick den Gesichtern der vielen Menschen zuzuwenden, die uns vorausgegangen sind und den irdischen Weg beendet haben. In der Audienz an diesem Tag möchte ich euch daher einige einfache Gedanken über die Wirklichkeit des Todes vorlegen, die für uns Christen von der Auferstehung Christi erleuchtet ist, um unseren Glauben an das ewige Leben zu erneuern.

Wie ich bereits gestern beim Angelus sagte, geht man in diesen Tagen zum Friedhof, um für nahestehende Menschen zu beten, die von uns gegangen sind, gleichsam um ihnen einen Besuch abzustatten, ihnen noch einmal unsere Liebe zu bekunden, ihre Nähe zu spüren. Auf diese Weise erinnern wir uns auch an einen Artikel des Glaubensbekenntnisses: In der Gemeinschaft der Heiligen besteht eine enge Verbindung zwischen uns, die wir noch auf dieser Erde wandeln, und den vielen Brüdern und Schwestern, die bereits in die Ewigkeit eingegangen sind. Schon immer hat der Mensch für seine Toten Sorge getragen und versucht, ihnen durch die Aufmerksamkeit, die Fürsorge, die Liebe eine Art zweites Leben zu schenken. In gewisser Weise möchte man ihre Lebenserfahrung bewahren; und wie sie gelebt, was sie geliebt, was sie gefürchtet, was sie gehofft und was sie verabscheut haben, das entdecken wir paradoxerweise gerade an den Gräbern, vor denen die Erinnerungen in Fülle wach werden. Sie sind gleichsam ein Spiegel ihrer Welt. Warum ist das so? Weil der Tod – obwohl er oft ein fast verbotenes Thema in unserer Gesellschaft ist und ständig versucht wird, den bloßen Gedanken an den Tod aus unserem Bewußtsein zu vertreiben – einen jeden von uns betrifft, er betrifft den Menschen jeder Zeit und an jedem Ort. Und angesichts dieses Geheimnisses suchen wir alle, auch unbewußt, nach etwas, das uns einlädt zu hoffen, nach einem Zeichen, das uns Trost spendet, das uns einen Horizont öffnet, das uns noch eine Zukunft gibt. Der Weg des Todes ist in Wirklichkeit ein Weg der Hoffnung, und wenn wir über unsere Friedhöfe gehen und auch die Inschriften auf den Gräbern lesen, dann legen wir einen Weg zurück, der von der Hoffnung auf Ewigkeit geprägt ist.

Wir fragen uns jedoch: Warum empfinden wir Angst vor dem Tod? Warum hat die Menschheit zu einem großen Teil sich nie damit abgefunden zu glauben, daß jenseits des Todes einfach nur das Nichts ist? Ich würde sagen, daß es vielfältige Antworten gibt: Wir fürchten den Tod, weil wir Angst haben vor dem Nichts, vor dem Aufbrechen zu etwas, das wir nicht kennen, das uns unbekannt ist. Daher verspüren wir in uns eine Ablehnung, weil wir nicht akzeptieren können, daß all das Schöne und Große, das in einem ganzen Leben verwirklicht wurde, plötzlich ausgelöscht wird, in den Abgrund des Nichts fällt. Vor allem spüren wir, daß die Liebe Ewigkeit verlangt und erbittet, und wir können unmöglich akzeptieren, daß der Tod sie in einem einzigen Augenblick zerstört. Auch fürchten wir uns vor dem Tod, weil wir gegen Ende des Lebens spüren, daß es ein Urteil über unser Handeln gibt, darüber, wie wir unser Leben geführt haben, vor allem über die dunklen Punkte, die wir oft geschickt aus unserem Gewissen verdrängen können oder zu verdrängen versuchen. Ich würde sagen, daß gerade die Frage des Gerichts oft der Sorge zugrunde liegt, die der Mensch aller Zeiten den Verstorbenen erweist, der Aufmerksamkeit gegenüber den Personen, die ihm etwas bedeutet haben und die auf dem Weg des irdischen Lebens nicht mehr bei ihm sind. In gewissem Sinne sind die Gesten der Zuneigung, der Liebe, mit denen der Verstorbene umgeben ist, ein Schutz, der ihm erwiesen wird, in der Überzeugung, daß er auf das Urteil nicht ohne Wirkung bleibt. Das können wir in den meisten Kulturen sehen, die die Geschichte des Menschen prägen. Heute ist die Welt, zumindest scheinbar, viel rationaler geworden, oder besser gesagt hat sich die Tendenz verbreitet zu meinen, daß man jeder Wirklichkeit mit den Kriterien der empirischen Wissenschaft begegnen muß und daß man auch auf die große Frage des Todes nicht so sehr mit dem Glauben, sondern von erfahrbaren, empirischen Kenntnissen her antworten sollte. Man führt sich jedoch nicht ausreichend zu Bewußtsein, daß man gerade so in Formen des Spiritismus verfallen ist, bei dem Versuch, mit der Welt jenseits des Todes irgendwie in Kontakt zu stehen, gleichsam mit der Vorstellung, daß es eine Wirklichkeit gibt, die letztlich ein Abbild des Diesseits wäre.

Liebe Freunde, das Hochfest Allerheiligen und der Gedenktag Allerseelen sagen uns, daß nur wer im Tod eine große Hoffnung erkennt, auch ein Leben leben kann, das von der Hoffnung ausgeht. Wenn wir den Menschen ausschließlich auf seine horizontale Dimension verkürzen, auf das, was empirisch wahrnehmbar ist, dann verliert das Leben seinen tieferen Sinn. Der Mensch braucht Ewigkeit, und jede andere Hoffnung ist für ihn zu kurz, zu begrenzt. Der Mensch läßt sich nur erklären, wenn es eine Liebe gibt, die jede Isolierung überwindet, auch die des Todes, in einer Ganzheit, die auch Raum und Zeit übersteigt. Der Mensch läßt sich nur dann erklären, findet nur dann seinen tieferen Sinn, wenn es Gott gibt. Und wir wissen, daß Gott aus seiner Ferne herausgetreten und zu uns gekommen ist, daß er in unser Leben eingetreten ist und zu uns sagt: »Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben« ().

Denken wir einen Augenblick an die Szene auf dem Kalvarienberg, und hören wir noch einmal die Worte, die Jesus vom Kreuz herab an den Verbrecher richtet, der zu seiner Rechten gekreuzigt ist: »Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein« (
Lc 23,43). Denken wir an die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus, als sie ihn, nachdem sie ein Stück des Weges mit dem auferstandenen Jesus gegangen sind, erkennen und noch in derselben Stunde nach Jerusalem aufbrechen, um die Auferstehung des Herrn zu verkündigen (vgl. ). Mit neuer Klarheit kommen ihnen die Worte des Meisters wieder in den Sinn: »Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich! Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten?« (). Gott hat sich wirklich gezeigt, er ist zugänglich geworden, er hat die Welt so sehr geliebt, »daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat« (Jn 3,16), und im erhabensten Akt der Liebe am Kreuz, indem er in den Abgrund des Todes hinabgestiegen ist, hat er ihn überwunden, ist er auferstanden und hat er auch uns die Tore der Ewigkeit geöffnet. Christus trägt uns durch die Nacht des Todes, durch die er selbst hindurchgegangen ist; er ist der gute Hirt, dessen Führung man sich ohne jegliche Angst anvertrauen kann, denn er kennt den Weg gut, auch durch die Finsternis hindurch. Jeden Sonntag bekräftigen wir, wenn wir das Glaubensbekenntnis sprechen, diese Wahrheit. Und wenn wir auf die Friedhöfe gehen, um mit Zuneigung und Liebe für unsere Verstorbenen zu beten, dann sind wir erneut eingeladen, mutig und kraftvoll unseren Glauben an das ewige Leben zu erneuern, ja mit dieser großen Hoffnung zu leben und sie der Welt zu bezeugen: Jenseits der Gegenwart ist nicht das Nichts. Und gerade der Glaube an das ewige Leben gibt dem Christen den Mut, unsere Erde noch mehr zu lieben und uns dafür einzusetzen, ihr eine Zukunft aufzubauen, um ihr eine wahre und sichere Hoffnung zu schenken. Danke.

* * *

Einen herzlichen Gruß richte ich an alle Pilger deutscher Sprache. Auch zu uns heute sagt Christus: »Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt« (Jn 11,25). So ist dies ein Tag, um unseren Glauben an das Ewige Leben und unsere Hoffnung neu zu bekräftigen, von dieser Hoffnung her unser Leben zu vollbringen, und sie so auch vor den Mitmenschen glaubhaft zu machen. Gott behüte euch und führe euch auf allen euren Wegen.





Petersplatz

Mittwoch, 9. November 2011: Psalm 119 (118)


Generalaudienzen 2005-2013 19101