Generalaudienzen 2005-2013 41109

Mittwoch, 4. November 2009: Zwei theologische Modelle im Vergleich: der hl. Bernhard von Clairvaux und Abaelard

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Liebe Brüder und Schwestern!

In der letzten Katechese habe ich die wichtigsten Wesensmerkmale der monastischen und der scholastischen Theologie des 12. Jahrhunderts vorgestellt, die wir in einem gewissen Sinn »Theologie des Herzens« und »Theologie der Vernunft« nennen könnten. Unter den Vertretern der beiden theologischen Strömungen hat sich eine umfangreiche und bisweilen hitzige Debatte entwickelt, die von der Kontroverse zwischen dem hl. Bernhard von Clairvaux und Abaelard symbolisch verkörpert wird.

Um diese Auseinandersetzung zwischen den beiden großen Lehrmeistern zu verstehen, ist es angebracht, daran zu erinnern, daß die Theologie, soweit dies möglich ist, die Suche nach einem vernünftigen Verständnis der Geheimnisse der christlichen Offenbarung ist, die aufgrund des Glaubens geglaubt werden: »fides quaerens intellectum« - der Glaube sucht die Verstehbarkeit -, um eine kurze und einprägsame traditionelle Definition zu gebrauchen. Während also der hl. Bernhard, ein typischer Vertreter der monastischen Theologie, den Akzent auf den ersten Teil der Definition, das heißt auf die »fides«, den Glauben, legt, besteht Abaelard, der Scholastiker ist, auf dem zweiten Teil, das heißt dem »intellectus«, dem Verstehen durch die Vernunft. Für Bernhard ist der Glaube selbst mit einer inneren Gewißheit ausgestattet, die auf das Zeugnis der Schrift und die Lehre der Kirchenväter gegründet ist. Zudem wird der Glaube durch das Zeugnis der Heiligen und durch die Inspiration des Heiligen Geistes in der Seele der einzelnen Gläubigen gestärkt. In den Fällen von Zweifel und Zweideutigkeit wird der Glaube durch die Ausübung des kirchlichen Lehramtes geschützt und erleuchtet. So hat Bernhard Mühe, sich mit Abaelard und allgemeiner mit denjenigen zu einigen, die die Wahrheit des Glaubens der kritischen Prüfung durch die Vernunft unterzogen; eine Prüfung, die seiner Ansicht nach eine ernste Gefahr mit sich brachte, nämlich die Gefahr des Intellektualismus, der Relativierung der Wahrheit, der Infragestellung der Glaubenswahrheiten selbst. In einer solchen Vorgehensweise sah Bernhard eine bis zur Skrupellosigkeit vorangetriebene Kühnheit, Frucht des Hochmuts der menschlichen Intelligenz, die den Anspruch erhebt, das Geheimnis Gottes »einzufangen«. In einem seiner Briefe schreibt er bekümmert: »Das menschliche Verstandesdenken nimmt alles in Besitz und läßt nichts mehr für den Glauben übrig. Es setzt sich mit dem auseinander, was über ihm steht, erforscht, was höher ist als es selbst, es bricht in die Welt Gottes ein, verfälscht die Geheimnisse des Glaubens mehr als sie zu erhellen; was verschlossen und versiegelt ist, öffnet es nicht, sondern entwurzelt es, und was es für sich als nicht beschreitbar befindet, sieht es als nichtig an und lehnt es ab, daran zu glauben« (Epistula CLXXXVIII,1: PL 182, I, 353).

Für Bernhard hat die Theologie ein einziges Ziel: die lebendige und innige Erfahrung Gottes zu fördern. Die Theologie ist also eine Hilfe, um den Herrn immer mehr und immer besser zu lieben, wie der Titel der Abhandlung über die Pflicht zur Gottesliebe lautet: De diligendo Deo. Auf diesem Weg gibt es verschiedene Stufen, die Bernhard eingehend beschreibt, bis hin zum Gipfel, wenn sich die Seele des Gläubigen in den Höhen der Liebe berauscht. Die menschliche Seele kann schon auf Erden diese mystische Vereinigung mit dem göttlichen Wort erreichen, eine Vereinigung, die der »Doctor Mellifluus« als »geistliche Hochzeit« beschreibt. Das göttliche Wort besucht sie, überwindet die letzten Widerstände, erleuchtet sie, entflammt und verwandelt sie. In einer solchen mystischen Vereinigung erfreut sie sich einer großen Heiterkeit und Süße und singt ihrem Bräutigam einen Freudenhymnus. Wie ich in der Katechese, die dem Leben und der Lehre des hl. Bernhard gewidmet war, in Erinnerung gerufen habe, kann sich für ihn die Theologie nur am kontemplativen Gebet nähren, mit anderen Worten an der affektiven Vereinigung des Herzens und des Geistes mit Gott.

Abaelard, der unter anderem gerade derjenige ist, der den Begriff »Theologie« in dem Sinn eingeführt hat, in dem wir ihn heute verstehen, steht hingegen in einer anderen Perspektive. In der Bretagne in Frankreich geboren, war dieser berühmte Lehrer des 12. Jahrhunderts mit einer äußerst lebhaften Intelligenz begabt, und seine Berufung war das Studium. Er beschäftigte sich zuerst mit der Philosophie und wandte dann die in dieser Disziplin erlangten Ergebnisse auf die Theologie an, als deren Lehrer er in der gebildetesten Stadt jener Zeit, Paris, und in der Folge in den Klöstern wirkte, in denen er lebte. Er war ein brillanter Redner: Seinen Vorlesungen folgten ganze Scharen von Studenten. Er war ein religiöser Geist, aber eine ruhelose Persönlichkeit; sein Leben war voller Überraschungsmomente: Er widersetzte sich seinen Lehrern, hatte ein Kind mit einer gebildeten und intelligenten Frau, Heloise. Er polemisierte häufig mit seinen Theologenkollegen und erlitt auch kirchliche Verurteilungen, starb jedoch in voller Gemeinschaft mit der Kirche, deren Autorität er sich im Geiste des Glaubens unterwarf. Gerade der hl. Bernhard trug zur Verurteilung einiger Lehren Abaelards auf der Provinzsynode von Sens im Jahr 1140 bei und forderte auch das Eingreifen von Papst Innozenz II. Der Abt von Clairvaux beanstandete, wie wir in Erinnerung gerufen haben, die allzu intellektualistische Methode Abaelards, die in seinen Augen den Glauben auf eine einfache, von der offenbarten Wahrheit losgelöste Meinung reduzierte. Bernhards Befürchtungen waren nicht unbegründet und wurden im übrigen auch von anderen großen Denkern der Zeit geteilt. Tatsächlich schwächte ein übertriebener Gebrauch der Philosophie in gefährlicher Weise Abaelards Dreifaltigkeitslehre und damit seine Vorstellung von Gott. Auf dem Gebiet der Moral war seine Lehre nicht frei von Zweideutigkeit: Er bestand darauf, die Absicht des Subjekts als die einzige Quelle zu betrachten, um Güte oder Bosheit der moralischen Akte zu beschreiben, wodurch er die objektive Bedeutung und den moralischen Wert der Handlungen vernachlässigte: ein gefährlicher Subjektivismus. Das ist - wie wir wissen - ein sehr aktueller Aspekt für unsere Zeit, in der die Kultur häufig von einer zunehmenden Tendenz zum ethischen Relativismus geprägt erscheint: Allein das Ich entscheidet darüber, was für mich in diesem Augenblick gut ist. Dennoch darf man auch die großen Verdienste Abaelards nicht vergessen, der viele Schüler gehabt und entscheidend zur Entwicklung der scholastischen Theologie beigetragen hat, die dazu bestimmt war, sich im darauffolgenden Jahrhundert auf reifere und fruchtbarere Weise zum Ausdruck zu bringen. Nicht unterbewertet werden dürfen auch einige seiner Einsichten, wie zum Beispiel, wenn er sagt, daß es in den nichtchristlichen Traditionen bereits eine Vorbereitung auf die Aufnahme Christi, des göttlichen Wortes, gibt.

Was können wir heute aus der oft in hitzigen Tönen geführten Auseinandersetzung zwischen Bernhard und Abaelard und im allgemeinen zwischen der monastischen und der scholastischen Theologie lernen? Vor allem glaube ich, daß sie den Nutzen und die Notwendigkeit einer gesunden theologischen Diskussion in der Kirche zeigt; vor allem dann, wenn die diskutierten Fragen nicht vom Lehramt definiert wurden, das allerdings ein nicht aufzugebender Bezugspunkt bleibt. Der hl. Bernhard, aber auch Abaelard anerkannten immer ohne Zögern die Autorität des Lehramtes. Zudem erinnern uns die Verurteilungen, die letzterer erlitten hat, daran, daß es im theologischen Bereich ein Gleichgewicht zwischen dem geben muß, was wir die architektonischen Prinzipien nennen können, die uns von der Offenbarung gegeben sind und daher stets die vorrangige Bedeutung bewahren, und jenen Auslegungsprinzipien, die uns von der Philosophie, das heißt von der Vernunft, nahegelegt werden und die eine wichtige, aber nur instrumentelle Funktion haben. Wenn dieses Gleichgewicht zwischen der Architektur und den Instrumenten der Interpretation verlorengeht, läuft die theologische Reflexion Gefahr, von Irrtümern verdorben zu werden, und da ist es dann das Lehramt, dem die Ausübung jenes notwendigen Dienstes an der Wahrheit obliegt, der ihm zukommt. Darüber hinaus muß hervorgehoben werden, daß zu den Motivationen, die Bernhard dazu führten, gegen Abaelard aufzutreten und das Eingreifen des Lehramtes anzuregen, auch die Sorge gehörte, die einfachen und bescheidenen Gläubigen zu schützen, die verteidigt werden müssen, wenn sie Gefahr laufen, von allzu persönlichen Meinungen und von gewissenlosen theologischen Argumentationen, die ihren Glauben gefährden könnten, verwirrt oder abgelenkt zu werden.

Ich möchte schließlich daran erinnern, daß die theologische Auseinandersetzung zwischen Bernhard und Abaelard mit einer vollen Versöhnung zwischen den beiden ihren Abschluß gefunden hat - dank der Vermittlung eines gemeinsamen Freundes, des Abts von Cluny, Petrus Venerabilis, von dem ich in einer der vorhergehenden Katechesen gesprochen habe. Abaelard zeigte Demut, indem er seine Irrtümer anerkannte, und Bernhard ließ großes Wohlwollen walten. Bei beiden überwog das, was einem wirklich am Herzen liegen muß, wenn eine theologische Kontroverse entsteht, das heißt, den Glauben der Kirche zu schützen und die Wahrheit in der Liebe triumphieren zu lassen. Möge dies auch heute die Haltung sein, mit der man in der Kirche Auseinandersetzungen führt, wobei man als Ziel stets die Suche nach der Wahrheit vor Augen hat.

Im Anschluß an die letzte Katechese über die monastische und die scholastische Theologie möchte ich heute über die Auseinandersetzung zwischen dem heiligen Bernhard von Clairvaux und Abelard, zwei Vertretern dieser beiden Richtungen, sprechen. Dabei ging es im Grunde um das Verhältnis von Glaube und Vernunft bei der theologischen Suche nach einem Verstehen der Geheimnisse der Offenbarung. Für Bernhard besitzt der Glaube eine innere Gewißheit, die sich auf das Zeugnis der Heiligen Schrift und der Kirchenväter und auf das Lehramt stützt. Das Nachdenken über die Glaubenswahrheiten steht im Dienst der Gotteserfahrung und will eine größere Liebe zu Gott entfachen. Abelard hingegen, ein geborener Denker und brillanter Redner, untersuchte die theologischen Fragestellungen mit scharfem Verstand und der aus dem Studium der Philosophie gewonnenen Denkweise. In intellektualistischem Überschwang geriet er aber auch auf Abwege, denn er achtete zu wenig auf das gebotene Verhältnis zwischen der im Glauben angenommenen göttlichen Offenbarung und den philosophisch-rationalen Instrumenten, mit denen wir das Geheimnis Gottes in einem gewissen Maß erschließen können. Nach jahrelanger und in voller Schärfe geführter Debatte zwischen den beiden Theologen sah Abelard demütig seine Fehler ein, und Bernhard zeigte große Güte, so daß es zu einer Versöhnung in der Gemeinschaft der Kirche kommen konnte. Beiden lagen die Bewahrung des Glaubens und der Sieg der Wahrheit in der Liebe am Herzen, was die Grundhaltung in einer jeden theologischen Diskussion sein sollte.
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Ganz herzlich grüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher und heiße heute besonders die Gruppe der Auerbacher Schulschwestern willkommen. Bitten wir Gott um die Gnade, am offenbarten Glauben und an der Gemeinschaft der Kirche festzuhalten und uns jederzeit mit Herz und Verstand in den Dienst der Wahrheit und der Liebe zu stellen. Der Herr begleite euch alle mit seinem Segen.



Mittwoch, 11. November 2009: Die cluniazensische Reform

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute vormittag möchte ich über eine monastische Bewegung sprechen, die in den Jahrhunderten des Mittelalters große Bedeutung hatte und auf die ich bereits in früheren Katechesen hingewiesen habe. Es handelt sich um den Orden von Cluny, der zur Zeit seiner größten Ausdehnung am Beginn des 12. Jahrhunderts fast 1200 Klöster zählte: eine wirklich beeindruckende Zahl! Im Jahr 910, also genau vor 1100 Jahren, wurde infolge der Schenkung Wilhelms I. des Frommen, Herzog von Aquitanien, in Cluny ein Kloster gegründet und der Leitung von Abt Berno unterstellt. Zu jener Zeit war das abendländische Mönchtum, das einige Jahrhunderte vorher mit dem hl. Benedikt aufgeblüht war, aus verschiedenen Gründen sehr verfallen: die instabilen politischen und sozialen Verhältnisse, die durch die ständigen Invasionen und Verwüstungen von Völkern verursacht wurden, die nicht in das europäische Gewebe integriert waren; weiter die verbreitete Armut und vor allem die Abhängigkeit der Abteien von den örtlichen Herren, die alles kontrollierten, was in ihren territorialen Zuständigkeitsbereich gehörte. In einem solchen Umfeld stellte Cluny die Seele einer tiefgreifenden Erneuerung des monastischen Lebens dar, um es zu seiner ursprünglichen Inspiration zurückzuführen.

In Cluny wurde die Einhaltung der Regel des hl. Benedikt mit einigen Anpassungen, die bereits von anderen Reformern eingeführt worden waren, wiederhergestellt. Vor allem wollte man die zentrale Rolle gewährleisten, die die Liturgie im christlichen Leben einnehmen muß. Die cluniazensischen Mönche widmeten sich mit Liebe und großer Sorgfalt der Feier der liturgischen Tagzeiten, dem Psalmengesang, Prozessionen, die ebenso fromm wie feierlich waren, und vor allem der Feier der heiligen Messe. Sie förderten die geistliche Musik; sie wollten, daß Architektur und Kunst zur Schönheit und Feierlichkeit der Riten beitrügen; sie bereicherten den liturgischen Kalender durch besondere Feiern, wie zum Beispiel Anfang November mit dem Festtag Allerseelen, den auch wir vor kurzem gefeiert haben; sie stärkten die Verehrung der Jungfrau Maria. Der Liturgie wurde so große Bedeutung beigemessen, da die Mönche von Cluny überzeugt waren, daß sie Teilhabe an der himmlischen Liturgie sei. Und die Mönche fühlten sich dafür verantwortlich, am Altar Gottes für die Lebenden und die Verstorbenen Fürsprache zu halten, da so viele Gläubige sie eindringlich darum baten, ihrer im Gebet zu gedenken. Im übrigen hatte Wilhelm I. der Fromme die Entstehung der Abtei von Cluny gerade zu diesem Zweck gewollt. In dem alten Dokument, das deren Stiftung bezeugt, lesen wir: »Ich lege mit dieser Schenkung fest, daß in Cluny ein Kloster für Ordensmönche errichtet werden soll, zu Ehren der heiligen Apostel Petrus und Paulus, und daß sich dort Mönche versammeln sollen, die nach der Regel des hl. Benedikt leben (…), daß dort ein ehrwürdiger Zufluchtsort des Gebets mit Gelübden und Gebetsanliegen aufgesucht und mit aller Sehnsucht und innerer Glut das himmlische Leben gesucht und begehrt werde und eifrig Gebete, Anrufungen und flehentliche Bitten an den Herrn gerichtet werden.« Um diese Atmosphäre des Gebets zu bewahren und zu nähren, betonte die cluniazensische Regel die Wichtigkeit des Schweigens, dessen Disziplin sich die Mönche bereitwillig unterstellten, da sie überzeugt waren, daß die Reinheit der Tugenden, nach der sie strebten, eine tiefe und beständige Sammlung erforderte. Da wundert es nicht, daß schon sehr bald ein Ruf der Heiligkeit das Kloster von Cluny umgab und viele andere klösterliche Kommunitäten beschlossen, seinen Regeln zu folgen. Viele Fürsten und Päpste baten die Äbte von Cluny, ihre Reform zu verbreiten, so daß sich in kurzer Zeit ein enges Netz von Klöstern ausbreitete, die entweder durch richtiggehende juristische Bande oder durch eine Art charismatischer Angliederung an Cluny gebunden waren. So begann sich in den verschiedenen Regionen Frankreichs, in Italien, in Spanien, in Deutschland und in Ungarn ein Europa des Geistes abzuzeichnen.

Der Erfolg von Cluny wurde vor allem durch die hohe Spiritualität, die dort gepflegt wurde, aber auch durch einige andere Bedingungen sichergestellt, die deren Entfaltung begünstigten. Im Unterschied zu dem, was bis dahin üblich gewesen war, wurden das Kloster von Cluny und die von ihm abhängigen Kommunitäten als von der Jurisdiktion der Ortsbischöfe unabhängig und direkt der Jurisdiktion des Papstes unterstellt anerkannt. Das brachte eine besondere Verbundenheit mit dem Stuhl Petri mit sich, und gerade dank des Schutzes und der Ermutigung der Päpste konnten sich die Ideale der Reinheit und Treue, die die cluniazensische Reform zu verfolgen trachtete, rasch verbreiten. Darüber hinaus wurden die Äbte, anders als es an anderen Orten üblich war, ohne jede Einmischung der weltlichen Obrigkeiten gewählt. Wahrhaft würdige Personen folgten aufeinander bei der Leitung von Cluny und den zahlreichen abhängigen monastischen Kommunitäten: Abt Odo von Cluny, von dem ich vor zwei Monaten in einer Katechese gesprochen habe, und andere große Persönlichkeiten wie Aymardus, Maiolus, Odilo und vor allem Hugo der Große, die ihren Dienst über lange Zeiten hindurch ausübten und auf diese Weise die Stabilität der in die Wege geleiteten Reform und ihre Verbreitung sicherstellten. Außer Odo werden Maiolus, Odilo und Hugo als Heilige verehrt.

Die cluniazensische Reform hatte nicht nur hinsichtlich der Reinigung und des Wiedererwachens des monastischen Lebens positive Auswirkungen, sondern auch im Leben der Weltkirche. In der Tat stellte das Streben nach der Vollkommenheit im Sinne des Evangeliums einen Ansporn dar, zwei schwerwiegende Übel zu bekämpfen, die die Kirche jener Zeit quälten: die Simonie, das heißt die Erwerbung pastoraler Ämter gegen Entgelt, und die Unmoral des Weltklerus. Die Äbte von Cluny mit ihrem geistlichen Ansehen, die cluniazensischen Mönche, die Bischöfe wurden, einige von ihnen sogar Päpste, waren Protagonisten dieser beeindruckenden geistlichen Erneuerungsbewegung. Und es fehlte nicht an Früchten: Der Zölibat der Priester wurde wieder geschätzt und gelebt, und für die Übernahme der kirchlichen Ämter wurden durchsichtigere Verfahren eingeführt.

Bedeutsam waren auch die Vorteile, die der Gesellschaft durch die von der cluniazensischen Reform inspirierten Klöster zuteil wurden. In einer Zeit, in der sich einzig und allein die kirchlichen Einrichtungen um die Notleidenden kümmerten, wurde die Nächstenliebe voll Engagement praktiziert. In allen Häusern war der Almosenier (Almosenpfleger) beauftragt, die Wanderer und bedürftigen Pilger, die Priester und Ordensleute auf Reisen und vor allem die Armen zu beherbergen, die kamen und um Speise und ein Dach für einige Tage baten. Nicht weniger wichtig waren zwei weitere, für die mittelalterliche Kultur typische Einrichtungen, die von Cluny gefördert wurden: die sogenannten »Waffenruhen Gottes« und der »Gottesfriede«. In einer Zeit, die stark von Gewalt und Rachsucht gezeichnet war, wurden mit den »Waffenruhen Gottes« - anläßlich bestimmter religiöser Feste und einiger Wochentage - lange Perioden der Nichtkriegsführung sichergestellt. Mit dem »Gottesfrieden« forderte man unter Androhung einer kanonischen Strafe, wehrlose Menschen und heilige Orte zu achten.

Im Bewußtsein der Völker Europas wurde so jener langsam heranreifende Prozeß gestärkt, der dazu führen sollte, in immer klarerer Weise zwei Grundelemente für den Aufbau der Gesellschaft anzuerkennen, nämlich den Wert der menschlichen Person und das vorrangige Gut des Friedens. Außerdem verfügten - wie das auch für die anderen monastischen Gründungen zutraf - die cluniazensischen Klöster über umfangreiche Besitzungen, die durch eine sorgfältige Nutzung zur Entwicklung der Wirtschaft beitrugen. Neben der manuellen Arbeit fehlten auch nicht einige typische kulturelle Tätigkeiten des mittelalterlichen Mönchtums, wie Schulen für Kinder, der Aufbau von Bibliotheken, die Skriptorien für die Abschrift der Bücher.

Auf diese Weise hat die in weiten Gebieten des europäischen Kontinents verbreitete cluniazensische Erfahrung vor tausend Jahren, als der Prozeß der Herausbildung der europäischen Identität in vollem Gang war, ihren bedeutsamen und wertvollen Beitrag geleistet. Sie hat den Vorrang der Güter des Geistes in Erinnerung gerufen; sie hat das Streben nach den Dingen Gottes wach gehalten; sie hat Initiativen und Einrichtungen zur Förderung der menschlichen Werte inspiriert und gefördert; sie hat zu einem Geist des Friedens erzogen. Liebe Brüder und Schwestern, beten wir, daß alle, denen ein echter Humanismus und die Zukunft Europas am Herzen liegen, das reiche kulturelle und religiöse Erbe dieser Jahrhunderte wiederzuentdecken, zu schätzen und zu verteidigen wissen.

Die Reformbewegung von Cluny war im Mittelalter nicht nur für die geistliche Erneuerung der Kirche von größter Bedeutung, sondern auch für die Identitätsbildung eines christlichen Europas. 910 gründete Herzog Wilhelm III. von Aquitanien im burgundischen Cluny ein Benediktinerkloster, das rasch zu einem wichtigen geistlichen Zentrum werden sollte. Das abendländische Mönchtum war aufgrund verschiedener politischer und sozialer Umstände im Verfall begriffen. Cluny brachte hier eine Wende und neue Blüte durch die Rückführung des monastischen Lebens auf seine ursprünglichen Ideale und die erneute Einhaltung der Benediktregel. Im Mittelpunkt stand dabei die Feier der Liturgie, die einen Vorgeschmack und eine Teilnahme an der Liturgie des Himmels darstellt. Dazu gehörte auch die Förderung der Musik, der Kunst und Architektur, vor allem aber die Schaffung eines Klimas des Gebets in Stille und innerer Sammlung. Viele Klöster schlossen sich der Reform von Cluny an oder waren Gründungen dieser Abtei, so daß schon bald ein Netz cluniazensischer Klöster Europa überzog. Die Verbreitung der Bewegung wurde auch dadurch begünstigt, daß die Klöster nicht der bischöflichen oder weltlichen Gewalt unterstellt waren, sondern direkt unter dem Schutz des Papstes standen. So konnte die cluniazensische Reform auf die ganze Kirche ausstrahlen und mithelfen, die Übel der Zeit - die Simonie, d.h. den Kauf von kirchlichen Ämtern, und die Unmoral vieler Kleriker - zu bekämpfen. Die Gesellschaft insgesamt profitierte von den sozial-karitativen Tätigkeiten sowie den wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen der Klöster. Die Bewegung von Cluny hat so auch Anteil an dem langen Prozeß der europäischen Völker, der zur Anerkennung der Werte der menschlichen Person und des Friedens als Grundlagen der Gesellschaft führte.
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Gerne begrüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache. Das religiöse und kulturelle Erbe des mittelalterlichen Mönchtums ist Auftrag an uns heute. In Treue zum Evangelium und zum christlichen Menschenbild wollen wir die Zukunft Europas und der Welt mitgestalten. Dabei führe und leite uns der Heilige Geist. Euch allen wünsche ich eine gute Zeit in Rom!



Mittwoch, 18. November 2009: Die Kathedrale von der romanischen bis zur gotischen Architektur,: der theologische Hintergrund

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Liebe Brüder und Schwestern!

In den Katechesen der vergangenen Wochen habe ich einige Aspekte der mittelalterlichen Theologie vorgestellt. Aber der christliche Glaube, der in den Männern und Frauen jener Jahrhunderte tief verwurzelt war, brachte nicht nur Meisterwerke der theologischen Literatur, des Denkens und des Glaubens, hervor. Er inspirierte auch eine der erhabensten künstlerischen Schöpfungen der Weltkultur: die Kathedralen, ein wahrer Ruhm des christlichen Mittelalters. Tatsächlich erlebte man in Europa ab dem Anfang des 11. Jahrhunderts ungefähr drei Jahrhunderte lang einen außerordentlichen künstlerischen Eifer. Ein mittelalterlicher Chronist beschreibt die Begeisterung und Arbeitsamkeit jener Zeit folgendermaßen: »Es geschah, daß man auf der ganzen Welt, aber besonders in Italien und in den Regionen Galliens, begann, die Kirchen neu zu erbauen, obwohl viele noch in gutem Zustand waren und eine solche Restaurierung nicht nötig gehabt hätten. Es war wie ein Wettbewerb unter den Völkern; man hätte glauben können, daß die Welt, während sie die alten Lumpen abschüttelte, sich überall mit dem weißen Gewand neuer Kirchen kleiden wollte. Kurz und gut, fast alle Kathedralkirchen, eine große Zahl von Klosterkirchen und sogar Dorforatorien wurden von den Gläubigen damals restauriert« (Rodulfus Glaber, Historiarum 3,4).

Verschiedene Faktoren trugen zu dieser Neugeburt der religiösen Architektur bei. Das waren vor allem günstigere historische Umstände, wie eine größere politische Sicherheit, die von einem stetigen Bevölkerungswachstum und der fortschreitenden Entwicklung der Städte, des Handels und des Reichtums begleitet war. Außerdem fanden die Architekten immer ausgefeiltere technische Lösungen, um die Dimensionen der Gebäude zu erhöhen und dabei gleichzeitig deren Festigkeit und Majestät sicherzustellen. Es war jedoch hauptsächlich der Glut und dem geistlichen Eifer des in voller Expansion befindlichen Mönchtums zu verdanken, daß Abteikirchen errichtet wurden, wo die Liturgie würdig und feierlich gefeiert werden konnte und es den Gläubigen möglich war, im Gebet zu verharren, angezogen von der Verehrung der Reliquien der Heiligen, Ziel unaufhörlicher Wallfahrten. So entstanden die romanischen Kirchen und Kathedralen, die durch die Längsentwicklung der Schiffe, um zahlreiche Gläubige aufzunehmen, gekennzeichnet waren; sehr solide Kirchen mit dicken Mauern, steinernen Gewölben und einfachen und wesentlichen Linien. Eine Neuheit stellte die Einführung der Skulpturen dar. Da die romanischen Kirchen der Ort des klösterlichen Gebets und des Gottesdienstes der Gläubigen waren, sorgten sich die Bildhauer nicht so sehr um die technische Perfektion, sondern pflegten vor allem die erzieherische Zielsetzung. Da es galt, in den Seelen starke Eindrücke zu wecken, Gefühle, die dazu anregen konnten, dem Laster, dem Bösen zu entfliehen und die Tugend, das Gute zu praktizieren, war das immer wiederkehrende Thema die Darstellung Christi als Weltenrichter, umgeben von den Gestalten der Apokalypse. Im allgemeinen sind es die Portale der romanischen Kirchen, die diese Darstellung bieten, um zu unterstreichen, daß Christus die Tür ist, die zum Himmel führt. Wenn die Gläubigen die Schwelle des heiligen Gebäudes überschreiten, treten sie in eine Zeit und einen Raum ein, die sich von denen des gewöhnlichen Lebens unterscheiden. Jenseits des Portals der Kirche konnten die an Christus, den gerechten und barmherzigen Herrscher Glaubenden der Absicht der Künstler entsprechend eine Vorwegnahme der ewigen Seligkeit in der Feier der Liturgie und in den Werken der Frömmigkeit auskosten, die im Inneren des heiligen Gebäudes vollbracht wurden.

Im 12. und 13. Jahrhundert verbreitete sich vom Norden Frankreichs aus bei der Errichtung der Sakralbauten eine andere Art von Architektur, nämlich der gotische Stil, der gegenüber dem romanischen zwei neue Merkmale aufwies, den vertikalen Schwung und die Helligkeit. Die gotischen Kathedralen ließen eine Synthese von Glaube und Kunst erkennen, die durch die universale und faszinierende Sprache der Schönheit zum Ausdruck kommt, die noch heute Staunen erweckt. Dank der Einführung der Spitzbogengewölbe, die auf starken Pfeilern ruhten, war es möglich, deren Höhe beachtlich zu steigern. Der Schwung nach oben wollte zum Gebet einladen und war selbst ein Gebet. Die gotische Kathedrale wollte auf diese Weise in ihren architektonischen Linien die Sehnsucht der Seelen nach Gott umsetzen. Darüber hinaus konnten mit den angewandten neuen technischen Lösungen die Außenmauern durchbrochen und mit vielfarbigen Glasfenstern verschönt werden. Mit anderen Worten, die Fenster wurden zu großen hellen Bildern, die sich sehr gut dazu eigneten, das Volk im Glauben zu unterweisen. Auf ihnen wurden - Szene für Szene - das Leben eines Heiligen, ein Gleichnis oder andere biblische Ereignisse erzählt. Von den bemalten Fenstern ergoß sich eine Lichtflut über die Gläubigen, um ihnen die Heilsgeschichte zu erzählen und sie in diese Geschichte miteinzubeziehen.

Ein weiterer Wert der gotischen Kathedralen besteht in der Tatsache, daß an ihrer Errichtung und an ihrer Ausschmückung in unterschiedlicher, aber einstimmiger Weise die gesamte christliche und weltliche Gemeinde teilnahm; es beteiligten sich die Einfachen und die Mächtigen, die Analphabeten und die Gelehrten, denn in diesem gemeinsamen Haus wurden alle Gläubigen im Glauben unterrichtet. Die gotische Skulptur hat aus den Kathedralen eine »Bibel aus Stein« gemacht, indem sie die Episoden des Evangeliums darstellen und die Inhalte des Kirchenjahres erläutern, von der Geburt bis zur Verherrlichung des Herrn. Zudem verbreitete sich in jenen Jahrhunderten zunehmend die Wahrnehmung des Menschseins des Herrn, und die Leiden seiner Passion wurden realistisch dargestellt: Der leidende Christus (»Christus patiens«) wurde zu einem von allen geliebten Bild und war geeignet, zu Frömmigkeit und zur Reue der Sünden zu inspirieren. Es fehlten auch nicht die Gestalten aus dem Alten Testament, deren Geschichte auf diese Weise den Gläubigen, die die Kathedralen besuchten, als Teil der einen gemeinsamen Heilsgeschichte vertraut wurde. Mit ihren Gesichtern voller Schönheit, Milde und Klugheit offenbart die gotische Skulptur des 13. Jahrhunderts eine glückliche und heitere Frömmigkeit, die es liebt, eine herzliche und kindliche Verehrung gegenüber der Mutter Gottes zum Ausdruck zu bringen, die bisweilen als junge, lächelnde und mütterliche Frau gesehen und vor allem als mächtige und barmherzige Herrin über Himmel und Erde dargestellt wird. Die Gläubigen, die in die gotischen Kathedralen strömten, fanden dort auch gern künstlerische Ausdrucksformen vor, die an die Heiligen, Vorbilder christlichen Lebens und Fürsprecher bei Gott, erinnern sollten. Und es fehlte nicht an »weltlichen« Aspekten des Daseins; so erscheinen da und dort Darstellungen der Arbeit auf den Feldern, der Wissenschaften und der Künste. Alles war an dem Ort, an dem die Liturgie gefeiert wurde, auf Gott hin ausgerichtet und ihm dargeboten. Wir können den Sinn, der einer gotischen Kathedrale zugeschrieben wurde, besser verstehen, wenn wir den Text der Inschrift auf dem Mittelportal von Saint-Denis in Paris bedenken: »Besucher, der du die Schönheit dieser Tore preisen willst, laß dich weder vom Gold noch von der Pracht blenden, sondern vielmehr von der mühsamen Arbeit. Hier glänzt ein berühmtes Werk, aber der Himmel wolle es, daß dieses berühmte glänzende Werk die Geister erstrahlen lasse, damit sie sich mit den leuchtenden Wahrheiten auf den Weg zum wahren Licht machen, wo Christus die wahre Tür ist.«

Liebe Brüder und Schwestern, ich möchte jetzt zwei Elemente der romanischen und gotischen Kunst hervorheben, die auch für uns nützlich sind. Das erste: Die Hauptwerke der Kunst, die in den vergangenen Jahrhunderten in Europa entstanden sind, können nicht verstanden werden, wenn man nicht der religiösen Seele Rechnung trägt, die sie inspiriert hat. Ein Künstler, der stets die Begegnung zwischen Ästhetik und Glaube bezeugt hat, Marc Chagall, hat geschrieben, daß »die Maler jahrhundertelang ihren Pinsel in jenes farbige Alphabet eingetaucht haben, das die Bibel war«. Wenn der Glaube, der besonders in der Liturgie gefeiert wird, der Kunst begegnet, entsteht ein tiefer Einklang, da beide von Gott sprechen können und wollen und so das Unsichtbare sichtbar machen. Ich möchte dies bei der Begegnung mit den Künstlern am 21. November vermitteln, indem ich ihnen gegenüber jenes Angebot der Freundschaft zwischen christlicher Spiritualität und Kunst erneuere, das von meinen verehrten Vorgängern, besonders von den Dienern Gottes Paul VI. und Johannes Paul II., erhofft wurde. Das zweite Element: Die Kraft des romanischen Stils und der Glanz der gotischen Kathedralen erinnern uns daran, daß die »via pulchritudinis«, der Weg der Schönheit, ein bevorzugter und faszinierender Weg ist, um sich dem Geheimnis Gottes zu nähern. Was ist die Schönheit, die Schriftsteller, Dichter, Musiker und Künstler betrachten und in ihre Sprache umsetzen, wenn nicht der Widerschein des Glanzes des ewigen Wortes, das Fleisch geworden ist? Der hl. Augustinus sagt: »Frage die Schönheit der Erde, frage die Schönheit des Meeres, frage die Schönheit der weiten und alles durchdringenden Luft. Frage die Schönheit des Himmels, frage die Ordnung der Sterne, frage die Sonne, die mit ihrem Glanz den Tag erhellt; frage den Mond, der mit seinem Schein die Finsternis der Nacht mäßigt. Frage die wilden Tiere, die sich im Wasser bewegen, auf der Erde wandeln, in der Luft fliegen: Seelen, die sich verbergen, Leiber, die sich zeigen; Sichtbares, das sich leiten läßt, Unsichtbares, das leitet. Frage sie! Alle werden dir antworten: Wir sind schön! Ihre Schönheit ist ein Bekenntnis. Diese vergängliche Schönheit, wer hat sie erschaffen, wenn nicht die unvergängliche Schönheit?« (Sermo CCXLI, 2: PL 38,1134).

Liebe Brüder und Schwestern, der Herr helfe uns, den Weg der Schönheit als einen der vielleicht anziehendsten und faszinierendsten Wege wiederzuentdecken, um Gott zu begegnen und ihn zu lieben.

In den vergangenen Katechesen habe ich verschiedene Aspekte der mittelalterlichen Theologie behandelt. Der christliche Glaube äußert sich jedoch nicht nur in Wort und Schrift, sondern inspiriert auch große Meisterwerke der bildenden Kunst. Dazu gehören die eindrucksvollen romanischen und gotischen Kathedralen, von denen es auch in West- und Mitteldeutschland bedeutende Beispiele gibt: Denken wir an die romanischen Dome in Mainz, Worms, Speyer und Münster oder auch an die imposanten gotischen Kathedralen in Köln, Bamberg, Naumburg, Magdeburg und Halberstadt. In die romanischen Dome trat man durch ein mit reichem Skulpturenschmuck verziertes Portal ein, das Christus als die Tür, die zum Himmel führt, symbolisierte. Das ausgedehnte Langhaus ist wie ein Prozessionsweg und kennzeichnet die romanische Kirche als Ort monastischen Gebets. Ein Wandel des geistlichen Verständnisses zeigt sich im gotischen Kirchenbau. Das gotische Gebäude ist in die Vertikale, zum Himmel hin, ausgerichtet, und die Wände sind durch große Glasfenster aufgebrochen. So wird das Gotteshaus zu einem lichtdurchfluteten Raum. Dieser will alle Schichten des Gottesvolks im Glauben stärken: mit den Glasmalereien als bebilderter Heilsgeschichte, mit den ausdrucksstarken Skulpturen und den Reliquienschreinen, in denen die Heiligen sozusagen leibhaft anwesend sind. Beide Baustile bringen zum Ausdruck, daß die Schönheit ein bevorzugter Zugang zum Geheimnis Gottes ist. Die gläubigen Künstler versuchten in ihre Sprache zu übersetzen, was sie als Widerschein des Glanzes des fleischgewordenen Ewigen Wortes Gottes erfahren haben. Der Glaube verbindet sich mit der Kunst zu einem tiefen Einklang, in dem sich der unsichtbare Gott sichtbar macht.
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Ganz herzlich grüße ich alle deutschsprachigen Gäste. Die vielen Zeugnisse großer christlicher Kunst, die wir hier in Rom und in unserer Heimat sehen, laden uns ein, Gott für die Macht seiner Liebe zu danken, mit der er uns Menschen auch durch die Schönheit nahekommt. Euch allen wünsche ich einen gesegneten Aufenthalt in der Ewigen Stadt.




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