Generalaudienzen 2005-2013 13041

Mittwoch, 13. April 2011: Heiligkeit

13041

Liebe Brüder und Schwestern!

In den Generalaudienzen der beiden letzten Jahre haben uns die Gestalten vieler Heiliger begleitet: Wir konnten sie näher kennenlernen und verstehen, daß die gesamte Kirchengeschichte von diesen Männern und Frauen geprägt ist, die mit ihrem Glauben, mit ihrer Liebe, mit ihrem Leben Leuchtfeuer für viele Generationen waren und dies auch für uns sind. Die Heiligen offenbaren auf verschiedene Weise die machtvolle und verwandelnde Gegenwart des Auferstandenen; sie haben Christus ihr Leben so vollkommen übereignet, daß sie mit dem hl. Paulus sagen können: »Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir« (
Ga 2,20). Wenn wir ihrem Vorbild folgen, um ihre Fürsprache bitten, ihre Gemeinschaft suchen, dann verbindet uns das »mit Christus, von dem als Quelle und Haupt jegliche Gnade und das Leben des Gottesvolkes selbst ausgehen« (Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium LG 50). Zum Abschluß dieser Katechesereihe möchte ich nun einige Betrachtungen darüber anstellen, was Heiligkeit ist.

Was bedeutet es, heilig zu sein? Wer ist zur Heiligkeit berufen? Oft ist man noch geneigt zu glauben, daß die Heiligkeit ein Ziel ist, das wenigen Auserwählten vorbehalten ist. Der hl. Paulus dagegen spricht vom großen Plan Gottes und sagt: »Denn in ihm [Christus] hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott« (Ep 1,4). Und er meint uns alle. Im Mittelpunkt des göttlichen Plans steht Christus, in dem Gott sein Antlitz zeigt: Das seit ewigen Zeiten verborgene Geheimnis wurde im fleischgewordenen Wort in Fülle offenbar. Und dann sagt Paulus: »Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen« (Col 1,19). In Christus ist der lebendige Gott zu uns gekommen, ist er sichtbar, hörbar, spürbar geworden, damit wir alle aus seiner Fülle Gnade und Wahrheit empfangen können (vgl. ). Die ganze christliche Existenz kennt daher nur ein einziges höchstes Gesetz, das der hl. Paulus in einer Formel zum Ausdruck bringt, die sich in allen seinen Schriften findet: in Christus Jesus. Die Heiligkeit, die Fülle des christlichen Lebens besteht nicht darin, außerordentliche Taten zu tun, sondern darin, mit Christus vereint zu sein, seine Geheimnisse zu leben, uns seine Einstellungen, seine Gedanken, sein Verhalten zu eigen zu machen.

Das Maß der Heiligkeit ist durch das Format gegeben, das Christus in uns erlangt, dadurch, wie sehr wir in der Kraft des Heiligen Geistes unser ganzes Leben nach seinem Leben formen. Das ist die Gleichgestaltung mit Christus, wie der hl. Paulus sagt: »Alle, die er im voraus erkannt hat, hat er auch im voraus dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben « (Rm 8,29). Und der hl. Augustinus ruft aus: »Mein Leben, ganz von dir erfüllt, wird erst dann wahres Leben sein« (Bekenntnisse, 10,28). In der Konstitution über die Kirche spricht das Zweite Vatikanische Konzil deutlich über den universalen Ruf zur Heiligkeit und sagt, daß niemand davon ausgenommen ist: »In den verschiedenen Verhältnissen und Aufgaben des Lebens wird die eine Heiligkeit von allen entfaltet, die sich vom Geist Gottes leiten lassen und … dem armen, demütigen, das Kreuz tragenden Christus folgen und so der Teilnahme an seiner Herrlichkeit würdig werden« (LG 41).

Aber es bleibt die Frage: Wie können wir den Weg der Heiligkeit beschreiten, auf diesen Ruf antworten? Kann ich das aus eigener Kraft? Die Antwort ist klar: Ein heiliges Leben ist nicht in erster Linie Frucht unserer Anstrengungen, unseres Handelns, denn es ist Gott – der dreimal heilige Gott (vgl. Is 6,3) – , der uns heilig macht, es ist das Wirken des Heiligen Geistes, der uns von innen her beseelt, es ist das Leben des auferstandenen Christus, das uns mitgeteilt wird und uns verwandelt. Um es noch einmal mit den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils zu sagen: »Die Anhänger Christi sind von Gott nicht kraft ihrer Werke, sondern aufgrund seines gnädigen Ratschlusses berufen und in Jesus dem Herrn gerechtfertigt, in der Taufe des Glaubens wahrhaft Kinder Gottes und der göttlichen Natur teilhaftig und so wirklich heilig geworden. Sie müssen daher die Heiligung, die sie empfangen haben, mit Gottes Gnade im Leben bewahren und zur vollen Entfaltung bringen« (ebd., 40). Die Heiligkeit wurzelt also letztlich in der Taufgnade, im Eingepfropftsein in das Ostergeheimnis Christi, wodurch uns sein Geist, sein Leben als der Auferstandene mitgeteilt wird. Der hl. Paulus hebt die Verwandlung, die die Taufgnade im Menschen wirkt, sehr stark hervor, und er prägt schließlich eine neue Terminologie, die mit der Präposition »mit« gebildet wird: mit Christus »mitgestorben «, »mit-begraben«, »mit-auferstanden«, »mit-belebt«; unser Schicksal ist unlöslich mit dem seinen verbunden. Er schreibt: »Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben« (Rm 6,4).

Aber Gott achtet stets unsere Freiheit und bittet darum, daß wir dieses Geschenk annehmen und die Anforderungen leben, die es mit sich bringt. Er bittet darum, daß wir uns durch das Wirken des Heiligen Geistes verwandeln lassen und unseren Willen dem Willen Gottes gleichgestalten. Wie kann es geschehen, daß unser Denken und unser Handeln zum Denken und Handeln mit Christus, zum Denken und Handeln Christi werden? Was ist die Seele der Heiligkeit? Das erläutert wiederum das Zweite Vatikanische Konzil; es sagt uns, daß die christliche Heiligkeit nichts anderes als die in Fülle gelebte Liebe ist. »Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm (1Jn 4,16). Gott aber gießt seine Liebe in unseren Herzen aus durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist (vgl. Röm Rm 5,5). Daher ist die erste und notwendigste Gabe die Liebe, durch die wir Gott über alles und den Nächsten um Gottes willen lieben.

Damit aber die Liebe wie ein guter Same in der Seele wachse und Frucht bringe, muß jeder Gläubige das Wort Gottes bereitwillig hören und seinen Willen mit Hilfe seiner Gnade in der Tat erfüllen, an den Sakramenten, vor allem der Eucharistie, und an den gottesdienstlichen Handlungen häufig teilnehmen und sich standhaft dem Gebet, der Selbstverleugnung, dem tatkräftigen Bruderdienst und der Übung aller Tugenden widmen. Denn die Liebe als Band der Vollkommenheit und Fülle des Gesetzes (vgl. Kol Col 3,14 Rm 13,10) leitet und beseelt alle Mittel der Heiligung und führt sie zum Ziel« (Lumen gentium LG 42). Vielleicht ist diese Sprache des Zweiten Vatikanischen Konzils für uns noch ein wenig zu feierlich, vielleicht müssen wir es auf noch einfachere Weise sagen. Was ist wesentlich? Wesentlich ist, keinen Sonntag ohne eine Begegnung mit dem auferstandenen Christus in der Eucharistie vergehen zu lassen, denn das ist keine zusätzliche Last, sondern ein Licht für die ganze Woche; keinen Tag ohne wenigstens ein kurzes Beisammensein mit Gott zu beginnen und zu beenden; und auf der Straße unseres Lebens den »Wegweisern« zu folgen, die Gott uns in den mit Christus gelesenen zehn Geboten gegeben hat. Sie sind ganz einfach die Erläuterung dessen, was Liebe in bestimmten Situationen bedeutet. Das erscheint mir als die wahre Einfachheit und Größe des Lebens in Heiligkeit: am Sonntag dem Auferstanden zu begegnen; mit Gott am Anfang und am Ende des Tages beisammen zu sein; in den Entscheidungen den »Wegweisern« zu folgen, die Gott uns gegeben hat und die nichts anderes sind als Formen der Liebe. »Daher ist die Liebe zu Gott wie zum Nächsten das Siegel des wahren Jüngers Christi« (ebd.). Das ist die wahre Einfachheit, Größe und Tiefe des christlichen Lebens, des Heiligseins.

Daher kann der hl. Augustinus in seinem Kommentar zum vierten Kapitel des Ersten Briefes des Johannes etwas Mutiges sagen: »Dilige et fac quod vis«, »Liebe und tue, was du willst«. Und er fährt fort: »Wenn du schweigst, so schweige aus Liebe; wenn du redest, so rede aus Liebe; wenn du zurechtweist, so weise aus Liebe zurecht; wenn du vergibst, so vergib aus Liebe; in dir sei die Wurzel der Liebe, denn aus dieser Wurzel kann nur Gutes hervorgehen« (7,8: PL 35).

Wer von der Liebe geleitet ist, wer die Liebe in Fülle lebt, ist von Gott geleitet, denn Gott ist Liebe. So gilt dieses große Wort: »Dilige et fac quod vis«, »Liebe und tue, was du willst«. Wir könnten uns vielleicht fragen: Können wir mit unseren Grenzen, mit unserer Schwachheit so hoch hinaus wollen? Die Kirche lädt uns ein, im Laufe des liturgischen Jahres einer Schar von Heiligen zu gedenken – also derer, die die Liebe in Fülle gelebt haben, die es verstanden haben, Christus in ihrem täglichen Leben zu lieben und nachzufolgen. Sie sagen uns, daß alle diesen Weg beschreiten können. In jeder Epoche der Kirchengeschichte, in jedem Breitengrad der Welt gibt es Heilige jeden Alters und jeden Lebensstands. Es sind konkrete Gesichter aller Völker, Sprachen und Nationen. Und es sind ganz unterschiedliche Charaktere. Ich muß sagen, daß auch für meinen persönlichen Glauben viele Heilige – nicht alle – wahre Sterne am Himmel der Geschichte sind. Und ich möchte hinzufügen, daß für mich nicht nur einige große Heilige, die ich liebe und die ich gut kenne, »Wegweiser« sind, sondern gerade auch die einfachen Heiligen, also die guten Menschen, denen ich in meinem Leben begegne und die wohl nie heiliggesprochen werden. Es sind sozusagen gewöhnliche Menschen, ohne sichtbaren Heroismus, aber in ihrer täglichen Güte sehe ich die Wahrheit des Glaubens. Diese Güte, die im Glauben der Kirche in ihnen herangereift ist, ist für mich die sicherste Apologie des Christentums und das Zeichen dafür, wo die Wahrheit liegt. In der Gemeinschaft der Heiligen, seien sie zur Ehre der Altäre erhoben oder nicht, die die Kirche durch Christus in all ihren Gliedern lebt, erfreuen wir uns an ihrer Gegenwart und an ihrer Gesellschaft und hegen die unumstößliche Hoffnung, ihren Weg nachahmen zu können und eines Tages an ihrem glückseligen Leben, dem ewigen Leben, teilzuhaben.

Liebe Freunde, wie groß und schön und auch einfach ist die christliche Berufung in diesem Licht betrachtet! Wir alle sind zur Heiligkeit berufen: Sie ist das Maß des christlichen Lebens. Der hl. Paulus bringt es noch einmal mit großer Tiefe zum Ausdruck, wenn er schreibt: »Jeder von uns empfing die Gnade in dem Maß, wie Christus sie ihm geschenkt hat … Und er gab den einen das Apostelamt, andere setzte er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi. So sollen wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellen« (Ep 4,7 Ep 4, . Ich möchte alle einladen, sich gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes zu öffnen, der unser Leben verwandelt, damit auch wir gleichsam Steine in dem großen Mosaik der Heiligkeit sind, das Gott in der Geschichte erschafft, damit das Antlitz Christi in vollem Glanz erstrahle. Wir dürfen keine Angst haben, hoch hinaus zu wollen, in Gottes Höhe; wir dürfen keine Angst haben, daß Gott zuviel von uns verlangt, sondern wir müssen uns in unserem täglichen Handeln von seinem Wort leiten lassen, auch wenn wir spüren, daß wir uns als arme, unzulängliche Sünder fühlen: Er wird uns verwandeln, gemäß seiner Liebe. Danke.


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Ganz herzlich grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher, besonders die Gäste, die mit Bischof Gerhard Ludwig Müller aus Regensburg zur Ausstellungseröffnung »Veritas+Vita=Ars« nach Rom gekommen sind, sowie die Verleger und Mitarbeiter am Jugendkatechismus Youcat. Habt keine Angst, euch nach dem hohen Ziel der Heiligkeit auszustrecken. Heilig kann jeder werden, der mit Christus in lebendiger Verbindung bleibt. In all unseren Unzulänglichkeiten wird der Herr uns in seiner Gnade und Liebe formen. In diesem Sinn wünsche ich euch allen einen guten Weg nach Ostern und gesegnete Osterzeit.



Petersplatz

Mittwoch, 20. April 2011: Oster-Triduum

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Liebe Brüder und Schwestern!

Wir sind nunmehr mitten in der Karwoche angekommen, dem Zielpunkt des Weges durch die Fastenzeit. Morgen treten wir in das österliche Triduum ein, in die drei heiligen Tage, an denen die Kirche des Geheimnisses des Leidens, des Todes und der Auferstehung Jesu gedenkt. Nachdem der Sohn Gottes im Gehorsam gegenüber dem Vater Mensch geworden ist, in allem uns gleich, außer der Sünde (vgl. Hebr
He 4,15), hat er bereitwillig seinen Willen bis zum Äußersten erfüllt und aus Liebe zu uns das Leiden und das Kreuz auf sich genommen, um uns an seiner Auferstehung teilhaben zu lassen, damit wir für immer in ihm und für ihn in Trost und Frieden leben können. Ich ermahne euch daher, dieses Heilsgeheimnis anzunehmen und am Ostertriduum, dem Höhepunkt des ganzen liturgischen Jahres und einer Zeit besonderer Gnade für jeden Christen, intensiv teilzunehmen. Ich lade euch ein, in diesen Tagen die innere Sammlung und das Gebet zu suchen, um tiefer aus dieser Quelle der Gnade zu schöpfen. In diesem Zusammenhang ist im Hinblick auf die bevorstehenden Festtage jeder Christ eingeladen, das Sakrament der Versöhnung zu feiern, Augenblick der besonderen Teilhabe am Tod und an der Auferstehung Christi, um mit größerem Gewinn am heiligen Osterfest teilhaben zu können.

Am Gründonnerstag gedenken wir der Einsetzung der Eucharistie und des Amtspriestertums. Am Vormittag feiert jede Diözesangemeinschaft, mit dem Bischof in der Kathedrale versammelt, die Chrisam-Messe, in der das heilige Chrisam, das Katechumenenöl und das Krankenöl geweiht werden. Vom Ostertriduum an werden diese Öle das gesamte Kirchenjahr hindurch für die Sakramente der Taufe, der Firmung, der Priester- und Bischofsweihe sowie der Krankensalbung gebraucht. Daraus wird ersichtlich, daß das durch die sakramentalen Zeichen vermittelte Heil dem Ostermysterium Christi entspringt; denn wir sind durch seinen Tod und seine Auferstehung erlöst, und durch die Sakramente schöpfen wir aus dieser Quelle des Heils. Morgen in der Chrisam-Messe findet auch die Erneuerung der priesterlichen Versprechen statt. Jeder Priester auf der ganzen Welt erneuert die Verpflichtungen, die er am Tag der Weihe übernommen hat, um ganz Christus geweiht zu sein in der Ausübung des heiligen Amtes im Dienst der Brüder. Begleiten wir unsere Priester mit unserem Gebet.

Am Nachmittag des Gründonnerstags beginnt dann das eigentliche Ostertriduum mit der Erinnerung an das Letzte Abendmahl, bei dem Jesus das Gedächtnis seines Pascha einsetzte und so den jüdischen Osterritus zur Erfüllung brachte. Der Tradition nach ißt jede jüdische Familie, am Paschafest zum Mahl vereint, ein gebratenes Lamm zum Gedenken an die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten: So bringt Jesus, das wahre Paschalamm, im Bewußtsein seines bevorstehenden Todes sich im Abendmahlssaal für unser Heil als Opfer dar (vgl. 1Co 5,7).

Indem er über Brot und Wein den Segen spricht, nimmt er das Kreuzesopfer vorweg und zeigt den Willen, für immer mitten unter den Jüngern anwesend zu sein: Unter den Gestalten von Brot und Wein wird er mit seinem hingegebenen Leib und seinem vergossenen Blut wirklich gegenwärtig. Beim Letzten Abendmahl werden die Apostel als Diener dieses Heilssakraments eingesetzt; Jesus wäscht ihnen die Füße (vgl. ) und lädt sie ein, einander zu lieben, wie er sie geliebt und sein Leben für sie hingegeben hat. Indem wir diese Geste in der Liturgie wiederholen, sind auch wir aufgerufen, die Liebe unseres Erlösers tätig zu bezeugen.

Der Gründonnerstag endet schließlich mit der eucharistischen Anbetung, im Gedenken an das Leiden des Herrn im Garten Getsemani. Nachdem er den Abendmahlssaal verlassen hatte, zog er sich zurück, um zu beten, allein, im Angesicht des Vaters. Die Evangelien berichten, daß Jesus in dieser Stunde der tiefen Gemeinschaft von großer Angst ergriffen wurde, von einem Leiden, das ihn Blut schwitzen ließ (vgl. Mt 26,38). Im Bewußtsein um seinen bevorstehenden Tod am Kreuz verspürt er große Angst und das Herannahen des Todes. In dieser Situation erscheint auch ein Element, das für die ganze Kirche von großer Bedeutung ist. Jesus sagt zu den Seinen: Bleibt hier und wacht; und dieser Aufruf zur Wachsamkeit gilt für diese Stunde der Angst, der Bedrohung, in der der Verräter kommen wird, und ebenso gilt er für die ganze Kirchengeschichte. Es ist eine immerwährende Botschaft für alle Zeiten, denn die Schläfrigkeit der Jünger war nicht nur ein Problem jener Stunde, sondern sie ist das Problem der ganzen Geschichte. Die Frage ist, worin diese Schläfrigkeit besteht, worin die Wachsamkeit bestehen soll, zu der der Herr uns auffordert. Ich würde sagen, daß die Schläfrigkeit der Jünger in der Geschichte eine gewisses mangelndes Gespür der Seele für die Macht des Bösen ist, ein mangelndes Gespür für alles Böse der Welt. Wir wollen uns von diesen Dingen nicht zu sehr stören lassen, wir wollen sie vergessen: Wir meinen, es sei nicht so schlimm, und vergessen es. Und es ist nicht nur mangelndes Gespür für das Böse, während wir eigentlich wachen sollten, um Gutes zu tun, für die Macht des Guten zu kämpfen. Es ist mangelndes Gespür für Gott. Das ist unsere wahre Schläfrigkeit: das mangelnde Gespür für die Gegenwart Gottes, die uns auch das Gespür für das Böse nimmt. Wir spüren Gott nicht – er würde uns stören –, und so spüren wir natürlich auch nicht die Macht des Bösen und bleiben auf dem Weg unserer Bequemlichkeit. Die nächtliche Anbetung am Gründonnerstag, das Wachen mit dem Herrn sollte wirklich der Augenblick sein, der uns zum Nachdenken bringt über die Schläfrigkeit der Jünger, der Verteidiger Jesu, der Apostel – über unsere eigene Schläfrigkeit, die wir die ganze Macht des Bösen nicht sehen, nicht sehen wollen, und die wir nicht hineingenommen werden wollen in sein Leiden für das Gute, für die Gegenwart Gottes in der Welt, für die Liebe zum Nächsten und zu Gott.

Dann beginnt der Herr zu beten. Die drei Apostel – Petrus, Jakobus, Johannes – schlafen, aber ab und zu werden sie wach und hören immer wieder das Gebet des Herrn: »Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.« Was ist dies: »mein« Wille, »dein« Wille, von dem der Herr spricht? »Mein« Wille ist, »daß er nicht sterben muß«, sondern der Kelch dieses Leidens an ihm vorübergehe: Es ist der menschliche Wille, der menschliche Naturwillen, und Christus spürt mit seinem ganzen Sein das Leben, den Abgrund des Todes, die Angst vor dem Nichts, das drohende Leiden. Und er spürt noch mehr als wir, die wir einen natürlichen Widerwillen gegen den Tod, eine natürliche Angst vor dem Tod haben, den Abgrund des Bösen. Er spürt mit dem Tod auch das ganze Leiden der Menschheit. Er spürt, daß all dies der Kelch ist, den er trinken muß, bei dem er sich überwinden muß, ihn zu trinken: das Böse der Welt annehmen, alles Schreckliche, den Widerwillen gegen Gott, all die Sünde. Und wir können verstehen, daß Jesus mit seiner menschlichen Seele schreckliche Angst vor dieser Wirklichkeit hat, die er in ihrer ganzen Grausamkeit wahrnimmt: »Mein« Wille wäre, den Kelch nicht zu trinken, aber »mein« Wille ist »deinem« Willen untergeordnet, dem Willen Gottes, dem Willen des Vaters, der auch der wahre Wille des Sohnes ist. Und so verwandelt Jesus in diesem Gebet den natürlichen Widerwillen, den Widerwillen gegen den Kelch, gegen seine Sendung, für uns zu sterben; er verwandelt seinen eigenen natürlichen Willen in den Willen Gottes, in ein »Ja« zum Willen Gottes. Der Mensch an sich ist versucht, sich dem Willen Gottes zu widersetzen, dem eigenen Willen folgen zu wollen, sich nur dann frei zu fühlen, wenn er selbständig ist; er setzt seine eigene Selbständigkeit der Abhängigkeit, dem Willen Gottes zu folgen, entgegen.

Das ist das ganze Drama der Menschheit. Aber in Wahrheit ist diese Selbständigkeit falsch, und das Eintreten in den Willen Gottes ist kein Widerstand gegen sich selbst, keine Sklaverei, die meinem Willen Gewalt antut, sondern ein Eintreten in die Wahrheit und in die Liebe, in das Gute. Und Jesus zieht unseren Willen – der sich dem Willen Gottes widersetzt, der nach Selbständigkeit strebt – in die Höhe, zum Willen Gottes. Das ist das Drama unserer Erlösung, daß Jesus unseren Willen, all unseren Widerwillen gegen den Willen Gottes und unseren Widerwillen gegen den Tod und die Sünde in die Höhe zieht und ihn mit dem Willen des Vaters vereint: »nicht mein Wille, sondern dein Wille«. Durch diese Verwandlung des »Nein« in ein »Ja«, durch diese Hineinnahme des geschöpflichen Willens in den Willen des Vaters verwandelt er die Menschheit und erlöst uns. Und er lädt uns ein, in diese Bewegung einzutreten: aus unserem »Nein« herauszukommen und in das »Ja« des Sohnes einzutreten. Mein Wille ist da, aber entscheidend ist der Wille des Vaters, denn dieser Wille ist die Wahrheit und die Liebe.

Ein weiteres Element dieses Gebets scheint mir wichtig. Die drei Zeugen haben – wie aus der Heiligen Schrift hervorgeht – das hebräische oder aramäische Wort bewahrt, mit dem der Herr sich an den Vater gewandt hat. Er nannte ihn »Abba«, Vater. Aber diese Formel »Abba« ist eine vertrauliche Form des Begriffs »Vater«, eine Form, die nur innerhalb der Familie benutzt wird und die nie gegenüber Gott gebraucht wurde. Hier sehen wir in das Innerste Jesu, wie in der Familie spricht, wie er wirklich als Sohn mit dem Vater spricht. Wir sehen das Geheimnis der Dreifaltigkeit: der Sohn, der mit dem Vater spricht und die Menschheit erlöst.

Noch eine weitere Anmerkung: Der Brief an die Hebräer hat uns eine tiefgehende Auslegung dieses Gebets des Herrn, dieses Dramas von Getsemani, gegeben. Dort heißt es: Diese Tränen Jesu, dieses Gebet, dieses Schreien Jesu, diese Angst, all das ist nicht einfach nur ein Zugeständnis an die Schwachheit des Fleisches, wie man sagen könnte. Eben auf diese Weise übt er das Amt des Hohenpriesters aus, denn der Hohepriester soll den Menschen mit all seinen Problemen und Leiden auf Gottes Ebene bringen. Und im Brief an die Hebräer heißt es: Mit all diesem Schreien, diesen Tränen, Leiden und Gebeten hat der Herr unsere Wirklichkeit vor Gott gebracht (vgl. He 5,7 ff.). Und er gebraucht das griechische Wort »prosferein «, den Fachbegriff für das, was der Hohepriester tun muß, um zu opfern: Er muß seine Hände »in die Höhe heben«. Genau hier, im Drama von Getsemani, wo Gottes Macht nicht mehr gegenwärtig zu sein scheint, übt Jesus die Funktion des Hohenpriesters aus. Und er sagt auch, daß er in diesem Akt des Gehorsams, also der Gleichgestaltung des menschlichen Naturwillens mit dem Willen Gottes, als Priester vollkommen wird. Und er gebraucht erneut den Fachbegriff für »zum Priester weihen«. Eben auf der Menschheit und öffnet so den Himmel und das Tor zur Auferstehung.

Wenn wir über das Drama von Getsemani nachdenken, sehen wir auch den starken Gegensatz zwischen Jesus mit seiner Angst, mit seinem Leiden und dem großen Philosophen Sokrates, der ruhig und ungestört dem Tod entgegensieht. Und das scheint das Ideal zu sein. Wir mögen diesen Philosophen bewundern, aber die Sendung Jesu war eine andere. Seine Sendung war nicht die völlige Gleichgültigkeit und Freiheit; seine Sendung war es, unser ganzes Leiden, das ganze menschliche Drama in sich zu tragen. Und daher ist gerade diese Demütigung des Getsemani für die Sendung des Gottmenschen wesentlich. Er trägt unser Leiden, unsere Armut in sich und verwandelt sie nach dem Willen Gottes. Und so öffnet er die Tore des Himmels, öffnet er den Himmel: Der Vorhang des Allerheiligsten, den der Mensch bislang gegen Gott verschlossen hatte, wird durch sein Leiden und seinen Gehorsam geöffnet. Das sind einige Anmerkungen zum Gründonnerstag, zu unserer Feier der Nacht des Gründonnerstag.

Am Karfreitag werden wir des Leidens und des Todes des Herrn gedenken; wir werden den gekreuzigten Christus verehren, werden durch Buße und Fasten an seinem Leiden teilhaben. Indem wir »auf den blicken, den sie durchbohrt haben« (Jn 19,37), können wir aus seiner geöffneten Seite, aus der Blut und Wasser fließen, wie aus einer Quelle schöpfen; aus jener Seite, aus der die Liebe Gottes zu jedem Menschen herausströmt, empfangen wir seinen Geist. Am Karfreitag wollen also auch wir Jesus, der den Kalvarienberg hinaufsteigt, begleiten, uns von ihm zum Kreuz führen lassen und das Geschenk seines geopferten Leibes annehmen. In der Nacht des Karsamstag schließlich werden wir die Ostervigil feiern, in der uns die Auferstehung Jesu verkündigt wird, sein endgültiger Sieg über den Tod, der uns auffordert, in ihm neue Menschen zu sein. In der Teilnahme an dieser heiligen Vigil, an der Nacht, die im Mittelpunkt des ganzen liturgischen Jahres steht, feiern wir das Gedächtnis unserer Taufe, in der auch wir mit Christus begraben wurden, um mit ihm aufzuerstehen und am himmlischen Festmahl teilzunehmen (vgl. ).

Liebe Freunde, wir haben versucht, die innere Haltung zu verstehen, mit der Jesus die Stunde der äußersten Prüfung gelebt hat, um zu begreifen, woran sein Handeln orientiert war. Der Maßstab, an dem jede Entscheidung Jesu in seinem Leben ausgerichtet war, war der feste Wille, den Vater zu lieben, eins zu sein mit dem Vater, ihm treu zu sein. Diese Entscheidung, seine Liebe zu erwidern, hat ihn angespornt, bei jeder einzelnen Gelegenheit den Plan des Vaters anzunehmen und sich den ihm anvertrauten Liebesplan, in ihm alles zu vereinen, um alles zu ihm zurückzuführen, zu eigen zu machen. Indem wir die heiligen drei Tage erneut durchleben, wollen wir uns bereit machen, auch in unserem Leben den Willen Gottes anzunehmen, im Bewußtsein, daß im Willen Gottes, auch wenn er hart erscheinen mag, im Gegensatz zu unseren Absichten unser wahres Wohl liegt, der Weg des Lebens. Die jungfräuliche Mutter möge uns auf diesem Weg leiten und uns von ihrem göttlichen Sohn die Gnade erlangen, unser Leben aus Liebe zu Jesus im Dienst der Brüder hinzugeben. Danke.


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Gerne heiße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache willkommen. Wir wollen uns mit Freude und mit innerer Bereitschaft auf das nahe Osterfest vorbereiten – im Gebet, im Empfang des Bußsakraments als Akt der Erneuerung, der Neuwerdung und in der Mitfeier der Liturgie. So sollen auch wir bereit sein, Gottes Willen in unserem Leben anzuerkennen und uns ihm mit innerer Freude anzuvertrauen, weil wir wissen, wem wir da vertrauen, damit wir wirklich als Getaufte, als Christen leben. Euch allen eine gesegnete Osterzeit!



Petersplatz

Mittwoch, 27. April 2011: Osteroktav

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Liebe Brüder und Schwestern!

In diesen ersten Tagen der Osterzeit, die sich bis Pfingsten erstreckt, sind wir noch immer erfüllt von der Frische und der neuen Freude, die die liturgischen Feiern in unsere Herzen gebracht haben. Ich möchte daher heute kurz mit euch über Ostern, das Herzstück des christlichen Mysteriums, nachdenken. Denn hier nimmt alles seinen Anfang: Christus, der von den Toten auferstanden ist, ist die Grundlage unseres Glaubens.

Vom Osterfest strahlt wie von einem leuchtenden, glühenden Mittelpunkt die ganze Liturgie der Kirche aus; von hier aus erhält sie Inhalt und Bedeutung. Die liturgische Feier des Todes und der Auferstehung Christi ist nicht einfach nur eine Erinnerung an dieses Ereignis, sondern sie ist seine Vergegenwärtigung im Geheimnis, für das Leben jedes Christen und jeder kirchlichen Gemeinschaft, für unser Leben. Der Glaube an den auferstandenen Christus verwandelt in der Tat das Leben und wirkt in uns eine ständige Auferstehung, wie der hl. Paulus an die ersten Gläubigen schrieb: »Denn einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr durch den Herrn Licht geworden. Lebt als Kinder des Lichts! Das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor« ().

Wie also können wir Ostern zum »Leben« werden lassen? Wie kann unsere ganze innere und äußere Existenz eine österliche »Form« annehmen? Wir müssen vom wahren Verständnis der Auferstehung Jesu ausgehen: Dieses Ereignis ist nicht einfach nur eine Rückkehr zum vorherigen Leben, wie es bei Lazarus, bei der Tochter des Jaïrus oder beim jungen Mann in Naïn der Fall war, sondern es ist etwas völlig neues und anderes. Die Auferstehung Christi ist das Eingehen in ein Leben, das nicht mehr der Hinfälligkeit der Zeit unterworfen ist, ein in die Ewigkeit Gottes hineingenommenes Leben. In der Auferstehung Jesu beginnt eine neue Form des Menschseins, die unseren täglichen Weg erleuchtet und verwandelt und der gesamten Menschheit eine qualitativ andere und neue Zukunft eröffnet. Der hl. Paulus verbindet daher die Auferstehung der Christen nicht nur untrennbar mit der Auferstehung Jesu (vgl.
1Co 15,16 1Co 15,20), sondern er zeigt auch, wie wir das Ostergeheimnis in unserem Alltag leben sollen. Im Brief an die Kolosser sagt er: »Ihr seid mit Christus auferweckt; darum strebt nach dem, was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt.

Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische!« (3,1–2). Wenn man diesen Text liest, könnte es auf den ersten Blick scheinen, daß der Apostel der Verachtung der irdischen Gegebenheiten Vorschub leisten will und dazu auffordert, diese Welt des Leidens, der Ungerechtigkeit, der Sünden zu vergessen, um schon im voraus in einem himmlischen Paradies zu leben. Um jedoch den wahren Sinn dieser paulinischen Worte zu erfassen, genügt es, sie nicht aus dem Kontext herauszunehmen. Der Apostel erläutert sehr genau, was er mit dem »Himmlischen«, nach dem der Christ streben soll, und mit dem »Irdischen«, vor dem er sich hüten soll, meint. Vor allem folgende Dinge, so der hl. Paulus, sind das »Irdische «, das man meiden muß: »Tötet, was irdisch an euch ist: die Unzucht, die Schamlosigkeit, die Leidenschaft, die bösen Begierden und die Habsucht, die ein Götzendienst ist« (3,5). Das unersättliche Verlangen nach materiellen Gütern, der Egoismus, die Wurzel aller Sünde, muß in uns getötet werden. Wenn also der Apostel die Christen auffordert, sich mit Entschiedenheit vom »Irdischen« zu lösen, dann meint er damit ganz klar das, was zum »alten Menschen « gehört, den der Christ ablegen soll, um Christus als Gewand anzulegen.

Ebenso deutlich wie er gesagt hat, an welche Dinge man sein Herz nicht hängen soll, zeigt uns der hl. Paulus auch, was das »Himmlische« ist, nach dem wiederum der Christ streben und das er genießen soll: Es ist das, was zum »neuen Menschen« gehört, der in der Taufe ein für allemal Christus als Gewand angelegt hat, jedoch stets »nach dem Bild seines Schöpfers« erneuert werden muß (Col 3,10). Der Völkerapostel beschreibt dieses »Himmlische« folgendermaßen: »Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen. Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander (…) Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht« (). Es liegt dem hl. Paulus also fern, die Christen, einen jeden von uns, aufzufordern, die Welt zu verlassen, in die Gott uns gestellt hat. Zwar sind wir Bürger einer anderen »Stadt«, in der sich unsere wahre Heimat befindet, aber den Weg auf dieses Ziel hin müssen wir täglich auf dieser Erde beschreiten. Während wir schon jetzt am Leben des auferstandenen Christus teilhaben, sollen wir als neue Menschen in dieser Welt, mitten in der irdischen Stadt, leben. Und das ist der Weg, um nicht nur uns selbst, sondern die ganze Welt zu verwandeln, um der irdischen Stadt ein neues Antlitz zu schenken, das die Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft fördert, nach der Logik der Solidarität, der Güte, der tiefen Achtung gegenüber der Würde, die jedem Menschen zu eigen ist. Der Apostel ruft uns ins Gedächtnis, welche Tugenden das christliche Leben begleiten müssen; an der Spitze steht die Liebe, auf die alle anderen als ihre Quelle und Urform Bezug nehmen. Sie faßt das »Himmlische« in sich zusammen: die Liebe, die mit dem Glauben und der Hoffnung die große Lebensregel des Christen darstellt und sein tiefstes Wesen ausmacht.

Ostern bringt also die Neuheit eines tiefen und vollkommenen Übergangs von einem Leben, das der Knechtschaft der Sünde unterworfen ist, zu einem Leben in Freiheit, das von der Liebe beseelt ist – der Kraft, die alle Mauern niederreißt und im eigenen Herzen sowie in der Beziehung zu den anderen und zu den Dingen neue Eintracht schafft. Wenn er diesen Übergang der Auferstehung lebt, ist jeder Christ ebenso wie jede Gemeinschaft ein neuer Sauerteig in der Welt, indem er sich vorbehaltlos den dringenden und rechten Anliegen widmet, wie die Zeugnisse der Heiligen zu jeder Zeit und an allen Orten zeigen.

Auch in unserer Zeit gibt es viele Erwartungen: Wenn wir Christen fest daran glauben, daß die Auferstehung Christi den Menschen erneuert hat, ohne ihn aus der Welt zu nehmen, in der sich seine Geschichte abspielt, müssen wir leuchtende Zeugen dieses neuen Lebens sein, das Ostern gebracht hat. Ostern ist also ein Geschenk, das immer tiefer im Glauben angenommen werden muß, um durch die Gnade Christi in allen Situationen der Logik Gottes, der Logik der Liebe gemäß handeln zu können. Das Licht der Auferstehung Christi muß unsere Welt durchdringen, es muß als Botschaft der Wahrheit und des Lebens durch unser tägliches Zeugnis alle Menschen erreichen.

Liebe Freunde: Ja, Christus ist wahrhaft auferstanden! Wir dürfen das Leben und die Freude, die er uns in seinem Ostern geschenkt hat, nicht nur für uns behalten, sondern müssen sie allen schenken, denen wir begegnen. Das ist unsere Aufgabe und unsere Sendung: im Herzen unseres Nächsten die Hoffnung auferstehen zu lassen, wo Verzweiflung ist, die Freude, wo Traurigkeit ist, das Leben, wo der Tod ist. Jeden Tag die Freude des auferstandenen Herrn zu bezeugen bedeutet, stets »österlich« zu leben und die frohe Botschaft zu verkündigen, daß Christus keine Idee oder Erinnerung an die Vergangenheit ist, sondern eine Person, die mit uns, durch uns und in uns lebt. Und mit ihm, durch ihn und in ihm können wir alles neu machen (vgl. Ap 21,5).



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Von Herzen heiße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher willkommen, heute besonders die Mitglieder und Gäste der Studentenverbindung Capitolina, die heuer ihr 25. Stiftungsfest feiert. Die beglückende Erfahrung, die uns der auferstandene Herr an Ostern geschenkt hat, können wir nicht für uns selbst behalten. Wir müssen sie als Hoffnung weitergeben, wo Hoffnungslosigkeit ist, als Freude, wo Traurigkeit herrscht, als Leben, wo Tod ist. Dazu schenke uns der Herr seine Gnade. – Euch allen wünsche ich eine gesegnete und frohe Osterzeit.




Petersplatz

Mittwoch, 4. Mai 2011: Der betende Mensch


Generalaudienzen 2005-2013 13041