Generalaudienzen 2005-2013 21112

Mittwoch, 21. November 2012: Jahr des Glaubens. Die Vernünftigkeit des Glaubens an Gott

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Liebe Brüder und Schwestern!

Wir schreiten im Jahr des Glaubens voran und tragen in unserem Herzen die Hoffnung, neu zu entdecken, wieviel Freude im Glauben liegt, und die Begeisterung wiederzufinden, allen die Glaubenswahrheiten zu vermitteln. Diese Wahrheiten sind nicht einfach nur eine Botschaft über Gott, eine besondere Information über ihn. Vielmehr bringen sie das Ereignis der Begegnung Gottes mit den Menschen zum Ausdruck, eine heilbringende und befreiende Begegnung, die die tiefsten Bestrebungen des Menschen, sein Verlangen nach Frieden, nach Brüderlichkeit, nach Liebe verwirklicht. Der Glaube führt zu der Entdeckung, daß die Begegnung mit Gott das Wahre, Gute und Schöne im Menschen zur Geltung bringt, vervollkommnet und erhebt. So geschieht es, daß Gott sich offenbart und sich erkennen läßt und der Mensch gleichzeitig erfährt, wer Gott ist. Und indem er ihn erkennt, entdeckt er sich selbst, den eigenen Ursprung, die eigene Bestimmung, die Größe und die Würde des menschlichen Lebens.

Der Glaube ermöglicht ein echtes Wissen über Gott, das die ganze menschliche Person einbezieht: Es ist ein »sapere«, also ein Erkennen, das dem Leben »sapor«, Geschmack, verleiht – einen neuen Geschmack am Leben, ein freudiges Dasein auf der Welt. Der Glaube kommt in der Selbsthingabe für die anderen zum Ausdruck, in der Brüderlichkeit, die solidarisch und liebesfähig macht und die Einsamkeit, die traurig macht, überwindet. Diese Erkenntnis Gottes durch den Glauben betrifft daher nicht nur den Verstand, sondern das ganze Leben. Sie ist die Erkenntnis Gottes, der die Liebe ist, durch seine eigene Liebe. Die Liebe Gottes läßt erkennen, öffnet die Augen, gestattet es, die ganze Wirklichkeit zu erkennen, über die beschränkten Sichtweisen des Individualismus und des Subjektivismus hinaus, die dem Gewissen die Orientierung nehmen. Die Erkenntnis Gottes ist daher Erfahrung des Glaubens und setzt gleichzeitig einen intellektuellen und einen moralischen Weg voraus: Zutiefst berührt von der Gegenwart des Geistes Jesu in uns überwinden wir die Horizonte unserer Egoismen und öffnen uns gegenüber den wahren Werten des Daseins.

In der heutigen Katechese möchte ich über die Vernünftigkeit des Glaubens an Gott sprechen. Die katholische Tradition hat von Anfang an den sogenannten Fideismus abgelehnt, also den Willen, auch gegen die Vernunft zu glauben. »Credo quia absurdum« (ich glaube, weil es unvernünftig ist) ist keine Formel, die den katholischen Glauben zum Ausdruck bringt. Denn Gott ist nicht etwas Unvernünftiges, sondern allenfalls Geheimnis. Das Geheimnis wiederum ist nicht irrational, sondern Überfülle an Sinn, an Bedeutung, an Wahrheit. Wenn der Vernunft das Geheimnis dunkel erscheint, dann nicht, weil es im Geheimnis kein Licht gibt, sondern weil es vielmehr zuviel davon gibt. So sehen die Augen des Menschen, wenn er sie direkt auf die Sonne richtet, um sie zu betrachten, nur Finsternis. Aber wer würde behaupten, daß die Sonne nicht leuchtet, ja sogar die Quelle des Lichts ist? Der Glaube gestattet es, die »Sonne«, Gott, zu betrachten, weil er die Annahme seiner Offenbarung in der Geschichte ist. Er empfängt sozusagen wirklich die ganze Helligkeit des Geheimnisses Gottes und erkennt sein großes Wunder: Gott ist zum Menschen gekommen, er hat sich seiner Erkenntnis dargeboten, indem er sich zur kreatürlichen Grenze seiner Vernunft herabgelassen hat (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Dei Verbum
DV 13). Gleichzeitig erleuchtet Gott mit seiner Gnade die Vernunft, öffnet ihr neue, unermeßliche und unendliche Horizonte. Daher stellt der Glaube einen Ansporn dar, immer zu suchen, nie stehenzubleiben und sich in der unermüdlichen Entdeckung der Wahrheit und der Wirklichkeit nie zufriedenzugeben. Das Vorurteil gewisser moderner Denker, denen zufolge die menschliche Vernunft von den Glaubenssätzen gleichsam blockiert werde, ist falsch. Genau das Gegenteil ist wahr, wie die großen Meister der katholischen Tradition gezeigt haben.

Der hl. Augustinus sucht vor seiner Bekehrung mit viel Unruhe die Wahrheit in allen verfügbaren Philosophien, und findet sie alle unbefriedigend. Sein mühsames rationales Suchen ist für ihn eine wichtige Lehre für die Begegnung mit der Wahrheit Christi. Wenn er sagt: »Glaube, um überhaupt verstehen zu können – Verstehe, um zu glauben« (Sermo 43,9; PL 38,258), dann ist es als teilte er seine eigene Lebenserfahrung mit. Verstand und Glaube sind angesichts der göttlichen Offenbarung einander nicht fremd und stehen nicht im Gegensatz zueinander, sondern beide sind Voraussetzungen, um ihren Sinn zu verstehen, ihre wahre Botschaft zu erfassen und sich der Schwelle des Geheimnisses zu nähern. Der hl. Augustinus ist zusammen mit vielen anderen christlichen Autoren Zeuge für einen Glauben, der mit der Vernunft ausgeübt wird, der denkt und zum Denken einlädt. Auf derselben Linie sagt der hl. Anselm in seinem Proslogion, der katholische Glaube sei »fides quaerens intellectum «, wobei die Suche nach dem Verständnis ein dem Glauben innewohnender Akt ist. Vor allem der hl. Thomas von Aquin stützt sich auf diese Tradition, setzt sich mit der Vernunft der Philosophen auseinander und zeigt, wieviel neue fruchtbare Lebenskraft dem menschlichen Denken aus der Verbindung mit den Prinzipien und den Wahrheiten des christlichen Glaubens erwächst. Der christliche Glaube ist also vernünftig und setzt auch Vertrauen in die menschliche Vernunft.

Das Erste Vatikanische Konzil sagte in der Dogmatischen Konstitution Dei Filius, daß über den Weg der Schöpfung die menschliche Vernunft die Existenz Gottes sicher erkennen kann, während nur dem Glauben die Möglichkeit innewohnt, »ohne Schwierigkeit, mit sicherer Gewißheit und ohne Beimischung eines Irrtums« (DS 3005) die Wahrheiten über Gott im Licht seiner Gnade zu erkennen. Die Glaubenserkenntnis steht außerdem der aufrichtigen Vernunft nicht entgegen. Der sel. Papst Johannes Paul II. faßt es in der Enzyklika Fides et ratio folgendermaßen zusammen: »Die Vernunft nimmt sich durch ihre Zustimmung zu den Glaubensinhalten weder zurück noch erniedrigt sie sich; zu den Glaubensinhalten gelangt man in jedem Fall durch freie Entscheidung und das eigene Gewissen« (FR 43). Im unwiderstehlichen Verlangen nach Wahrheit ist nur eine harmonische Beziehung zwischen Glauben und Vernunft der richtige Weg, der zu Gott und zur vollen Selbsterfüllung führt.

Diese Lehre läßt sich im ganzen Neuen Testament leicht erkennen. Der hl. Paulus schreibt, wie wir gehört haben, an die Christen in Korinth: »Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit« (). Denn Gott hat die Welt nicht mit einem machtvollen Eingriff erlöst, sondern durch die Erniedrigung seines eingeborenen Sohnes: Nach menschlichen Maßstäben steht die ungewöhnliche Vorgehensweise Gottes den Ansprüchen der griechischen Weisheit entgegen. Dennoch wohnt dem Kreuz Christi eine Vernunft inne; der hl. Paulus nennt sie »ho lògos tou staurou«, »das Wort vom Kreuz« (1Co 1,18). Hier bezeichnet das Wort »lògos« sowohl das Wort als auch die Vernunft, und wenn es Bezug nimmt auf das Wort, dann weil es in Worten zum Ausdruck bringt, was die Vernunft hervorbringt. Paulus sieht also im Kreuz kein irrationales Ereignis, sondern ein Heilsgeschehen, das eine eigene Vernünftigkeit besitzt, die im Licht des Glaubens erkennbar ist. Gleichzeitig hat er ein solches Vertrauen in die menschliche Vernunft, daß er sich sogar darüber wundert, daß viele, obwohl sie die Werke sehen, die Gott vollbringt, darauf beharren, nicht an ihn zu glauben. Im Brief an die Römer sagt er: »Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit« (1,20). So ermahnt auch der hl. Petrus die Christen in der Diaspora: »Haltet in eurem Herzen Christus, den Herrn, heilig! Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt« (1P 3,15). In einer Atmosphäre der Verfolgung und der dringenden Notwendigkeit, den Glauben zu bezeugen, wird von den Gläubigen verlangt, ihre Zustimmung zum Wort des Evangeliums mit Vernunftgründen zu rechtfertigen, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die uns erfüllt.

Auf diesen Voraussetzungen hinsichtlich der fruchtbaren Verbindung zwischen Verstehen und Glauben gründet auch die positive Beziehung zwischen Wissenschaft und Glaube. Die wissenschaftliche Forschung führt zur Erkenntnis immer neuer Wahrheiten über den Menschen und über den Kosmos, das sehen wir. Das wahre Wohl der Menschheit, das im Glauben zugänglich ist, öffnet den Horizont, in dem sich ihr Weg der Entdeckung bewegen muß. So müssen zum Beispiel die Forschungen gefördert werden, die im Dienst am Leben stehen und darauf abzielen, Krankheiten zu bekämpfen. Wichtig sind auch die Untersuchungen, die darauf ausgerichtet sind, die Geheimnisse unseres Planeten und des Universums zu entdecken, im Bewußtsein, daß der Mensch die Krone der Schöpfung ist – nicht um sie sinnlos auszubeuten, sondern um sie zu bewahren und bewohnbar zu machen. So gerät der wirklich gelebte Glaube nicht in Konflikt mit der Wissenschaft, sondern wirkt vielmehr mit ihr zusammen, indem er ihr Grundkriterien bietet, damit sie das Wohl aller fördern kann, und sie bittet, nur auf jene Versuche zu verzichten, die – da sie sich dem ursprünglichen Plan Gottes widersetzen – Wirkungen hervorrufen können, die sich gegen den Menschen kehren. Auch aus diesem Grund ist es vernünftig zu glauben: Während die Wissenschaft eine wertvolle Verbündete des Glaubens ist, um Gottes Plan im Universum zu verstehen, sorgt der Glaube dafür, daß der wissenschaftliche Fortschritt stets dem Wohl und der Wahrheit des Menschen dient, indem er diesem Plan treu bleibt.

Daher ist es entscheidend für den Menschen, sich für den Glauben zu öffnen und Gott und seinen Heilsplan in Jesus Christus zu erkennen. Im Evangelium wird ein neuer Humanismus eingeführt, eine echte »Grammatik« des Menschen und der ganzen Wirklichkeit. Im Katechismus der Katholischen Kirche heißt es: »Die Wahrheit Gottes ist auch seine Weisheit, die die ganze Ordnung der Schöpfung und den Lauf der Welt bestimmt. Gott, der Einzige, der Himmel und Erde erschaffen hat [vgl. Ps 115,5), ist auch der Einzige, der die wahre Erkenntnis alles Geschaffenen in seinem Bezug zu ihm schenken kann« (CEC 216).

Vertrauen wir also darauf, daß unser Bemühen um die Evangelisierung dazu beitragen möge, das Evangelium im Leben vieler Männer und Frauen unserer Zeit wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Und beten wir darum, daß alle in Christus den Sinn des Lebens und die Grundlage der wahren Freiheit finden mögen: Denn ohne Gott verliert der Mensch sich selbst. Die Zeugnisse derer, die uns vorausgegangen sind und dem Evangelium ihr Leben gewidmet haben, bestätigen das für immer. Es ist vernünftig zu glauben, unsere Existenz steht auf dem Spiel. Es lohnt sich, sich für Christus hinzugeben, er allein stillt das Verlangen nach der Wahrheit und dem Guten, das in der Seele eines jeden Menschen verwurzelt ist: jetzt, in der vergänglichen Zeit und am nie endenden Tag der ewigen Glückseligkeit.
* * *


Von Herzen grüße ich alle Pilger und Gäste deutscher Sprache. An Gott zu glauben ist, wie gesagt, unserer Vernunft nicht entgegengesetzt, sie wartet darauf. Der Glaube helfe uns, in Christus den Sinn und die Fülle unseres Daseins und den Garant wahrer menschlicher Freiheit zu erkennen. Er ist die Erfüllung unseres Strebens nach dem Wahren und nach dem Guten. Der Herr segne euch alle.



Aula Paolo VI

Mittwoch, 28. November 2012: Jahr des Glaubens. Wie können wir von Gott sprechen?

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Liebe Brüder und Schwestern!

Die zentrale Frage, die wir uns heute stellen, ist folgende: Wie können wir in unserer Zeit von Gott sprechen? Wie können wir das Evangelium verkündigen, um in den oft verschlossenen Herzen unserer Zeitgenossen und in ihrem Verstand, der oft von vielen Blendungen der Gesellschaft abgelenkt ist, Wege zu seiner Heilswahrheit zu öffnen? Jesus selbst hat sich das, wie die Evangelisten uns sagen, bei der Verkündigung des Reiches Gottes gefragt: »Womit sollen wir das Reich Gottes vergleichen, mit welchem Gleichnis sollen wir es beschreiben?« (
Mc 4,30). Wie können wir heute von Gott sprechen? Die erste Antwort ist, daß wir von Gott sprechen können, weil er mit uns gesprochen hat. Die erste Voraussetzung für das Sprechen von Gott ist also das Hören dessen, was Gott selbst gesagt hat. Gott hat mit uns gesprochen!

Gott ist also keine ferne Hypothese über den Ursprung der Welt; er ist keine weit von uns entfernte mathematische Intelligenz. Gott kümmert sich um uns, er liebt uns, er ist persönlich in die Wirklichkeit unserer Geschichte eingetreten, er hat sich selbst mitgeteilt und ist sogar Mensch geworden. Gott ist also eine Wirklichkeit in unserem Leben, er ist so groß, daß er auch Zeit für uns hat, für uns sorgt. In Jesus von Nazaret begegnen wir dem Antlitz Gottes, der vom Himmel herabgekommen ist, um sich in die Welt der Menschen, in unsere Welt hineinzubegeben und die »Kunst des Lebens«, den Weg zum Glück zu lehren; um uns von der Sünde zu befreien und uns zu Söhnen Gottes zu machen (vgl. Eph Ep 1,5 Rm 8,14). Jesus ist gekommen, um uns zu retten und uns das gute Leben des Evangeliums zu zeigen.

Von Gott sprechen heißt zunächst, sich darüber im klaren sein, was wir den Männern und Frauen unserer Zeit bringen sollen: keinen abstrakten Gott, keine Hypothese, sondern einen konkreten Gott, einen Gott, der existiert, der in die Geschichte eingetreten und in der Geschichte gegenwärtig ist; den Gott Jesu Christi als Antwort auf die grundsätzliche Frage des Warum und Wie unseres Lebens. Von Gott sprechen verlangt daher einen vertrauten Umgang mit Jesus und seinem Evangelium, es setzt unsere persönliche, wirkliche Erkenntnis Gottes voraus und eine große Leidenschaft für seinen Heilsplan, ohne der Versuchung des Erfolgs nachzugeben, sondern der Methode Gottes folgend. Gottes Methode ist die der Demut – Gott wird einer von uns –, es ist die Methode, die in der Menschwerdung im einfachen Haus von Nazaret und in der Grotte von Betlehem verwirklicht wurde, die Methode aus dem Gleichnis vom Senfkorn. Man darf die Demut der kleinen Schritte nicht fürchten und muß auf den Sauerteig vertrauen, der den Teig durchdringt und ihn langsam wachsen läßt (vgl. Mt 13,33). Beim Sprechen von Gott, bei der Evangelisierungstätigkeit unter der Führung des Heiligen Geistes, bedarf es einer Wiedererlangung der Einfachheit, einer Rückkehr zum Wesentlichen der Verkündigung: zur Frohen Botschaft von einem Gott, der wirklich und konkret ist, einem Gott, der sich um uns kümmert, einem Gott, der die Liebe ist und uns in Jesus Christus nahekommt bis zum Kreuz und der uns in der Auferstehung die Hoffnung schenkt und uns öffnet zu einem Leben, das kein Ende hat, zum ewigen Leben, zum wahren Leben. Der hl. Paulus, der ein hervorragender Kommunikator war, erteilt uns eine Lehre, die das Verständnis des Problems, wie man mit großer Einfachheit »von Gott sprechen« kann, mitten ins Herz trifft. Im Ersten Brief an die Korinther schreibt er: »Als ich zu euch kam, Brüder, kam ich nicht, um glänzende Reden oder gelehrte Weisheit vorzutragen, sondern um euch das Zeugnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten « (2,1–2). Die erste Wirklichkeit ist also die, daß Paulus nicht über eine Philosophie spricht, die er selbst entwickelt hat, daß er nicht über Ideen spricht, die er irgendwo gefunden oder erfunden hat, sondern daß er von einer Wirklichkeit seines Lebens spricht, von dem Gott spricht, der in sein Leben eingetreten ist, daß er von einem wirklichen Gott spricht, der lebt, der mit ihm gesprochen hat und der mit uns sprechen wird, daß er vom gekreuzigten und auferstandenen Christus spricht.

Die zweite Wirklichkeit ist die, daß Paulus nicht sich selbst sucht, keine Bewunderer um sich scharen will, nicht in die Geschichte eingehen will als Oberhaupt einer Schule großer Erkenntnisse. Der hl. Paulus sucht nicht sich selbst, sondern verkündigt Christus und will die Menschen für den wahren und wirklichen Gott gewinnen. Paulus spricht nur mit dem Wunsch, das verkündigen zu wollen, was in sein Leben eingetreten und das wahre Leben ist, das ihn auf dem Weg nach Damaskus erobert hat. Von Gott sprechen heißt also, demjenigen Raum zu geben, der uns ihn kennenlernen läßt, der uns sein liebevolles Antlitz offenbart; es heißt, das eigene Ich zu entäußern und es Christus darzubringen, im Bewußtsein, daß nicht wir die anderen für Gott gewinnen können, sondern daß wir sie vielmehr von Gott selbst erwarten, von ihm erbitten müssen. Das Sprechen von Gott entsteht also aus dem Hören, aus unserer Erkenntnis Gottes, die im vertrauten Umgang mit ihm verwirklicht wird, im Leben des Gebets und nach den Geboten.

Den Glauben mitteilen bedeutet für den hl. Paulus nicht, sich selbst zu bringen, sondern offen und öffentlich zu sagen, was er bei der Begegnung mit Christus gesehen und gehört hat, was er in seinem nunmehr von jener Begegnung veränderten Leben erfahren hat: Es bedeutet, jenen Jesus zu bringen, den er in sich gegenwärtig spürt und der zur wahren Orientierung seines Lebens geworden ist, um allen zu verstehen zu geben, daß er notwendig für die Welt und entscheidend für die Freiheit eines jeden Menschen ist. Der Apostel begnügt sich nicht damit, Worte zu verkündigen, sondern bindet sein ganzes Leben in das große Werk des Glaubens ein. Um von Gott zu sprechen, muß man ihm Raum schaffen, im Vertrauen darauf, daß er in unserer Schwachheit wirkt: ihm Raum schaffen ohne Furcht, mit Einfachheit und Freude, in der tiefen Überzeugung, daß unsere Verkündigung umso fruchtbarer sein wird, je mehr wir ihn und nicht uns selbst in den Mittelpunkt stellen. Und das gilt auch für die christlichen Gemeinschaften: Sie sind aufgerufen, das verwandelnde Wirken der Gnade Gottes aufzuzeigen, indem sie Individualismen, Verschlossenheit, Egoismen, Gleichgültigkeit überwinden und die Liebe Gottes in den täglichen Beziehungen leben. Fragen wir uns, ob unsere Gemeinschaften wirklich so sind. Wir müssen uns in Bewegung setzen, um immer und wirklich so zu werden, Verkünder Christi und nicht unserer selbst.

An diesem Punkt müssen wir uns fragen, wie Jesus selbst seine Verkündigung mitgeteilt hat. Jesus in seiner Einzigartigkeit spricht von seinem Vater – »Abba« – und vom Reich Gottes, mit dem Blick voll Barmherzigkeit für die Mühen und Schwierigkeiten des menschlichen Lebens. Er spricht mit großem Realismus. Ich würde sagen, das Wesentliche der Verkündigung Jesu ist, daß sie die Welt transparent macht und daß unser Leben für Gott wertvoll ist. Jesus zeigt, daß in der Welt und in der Schöpfung das Antlitz Gottes durchscheint, und er zeigt uns, daß Gott im täglichen Geschehen unseres Lebens gegenwärtig ist, er zeigt uns dies sowohl in Gleichnissen der Natur – das Senfkorn, der Acker mit den verschiedenen Samen –, als auch in unserem Leben: Denken wir an das Gleichnis vom verlorenen Sohn, an Lazarus und an andere Gleichnisse Jesu. Aus den Evangelien sehen wir, daß Jesus sich für jede menschliche Situation interessiert, die ihm begegnet, daß er eintaucht in die Wirklichkeit der Männer und Frauen seiner Zeit, mit vollem Vertrauen auf den Beistand des Vaters, und daß Gott in dieser Geschichte wirklich im Verborgenen gegenwärtig ist: Wenn wir aufmerksam sind, können wir ihm begegnen. Und die Jünger, die bei Jesus leben, die Menge, die ihm begegnet, sehen seine Reaktion auf die verschiedensten Probleme. Sie sehen, wie er spricht, wie er sich verhält; sie sehen in ihm das Wirken des Heiligen Geistes, das Wirken Gottes. In ihm sind Verkündigung und Leben miteinander verwoben: Jesus handelt und lehrt immer von einer engen Beziehung zu Gott, dem Vater, ausgehend.

Dieser Stil wird zu einem wichtigen Hinweis für uns Christen: Unser Leben im Glauben und in der Liebe wird zu einem Sprechen von Gott im Heute, weil es durch ein in Christus gelebtes Dasein die Glaubwürdigkeit, den Realismus dessen aufzeigt, was wir mit Worten sagen, die nicht nur Worte sind, sondern die Wirklichkeit aufzeigen, die wahre Wirklichkeit. Und dabei müssen wir darauf achten, die Zeichen der Zeit in unserer Epoche zu begreifen, das heißt die Möglichkeiten, die Wünsche, die Hindernisse, denen man in der gegenwärtigen Kultur begegnet, erkennen, insbesondere den Wunsch nach Wahrhaftigkeit, das Verlangen nach Transzendenz, die Sensibilität für die Wahrung der Schöpfung, und wir müssen furchtlos die Antwort weitergeben, die der Glaube an Gott schenkt. Das Jahr des Glaubens gibt uns Gelegenheit, mit vom Heiligen Geist beseelter Phantasie neue Wege auf persönlicher und gemeinschaftlicher Ebene zu entdecken, damit die Kraft des Evangeliums überall Lebensweisheit und Orientierung der Daseins sein möge.

Auch in unserer Zeit ist der vorrangige Ort, um von Gott zu sprechen, die Familie, die erste Schule der Weitergabe des Glaubens an die jungen Generationen. Das Zweite Vatikanische Konzil spricht von den Eltern als ersten Glaubensboten (vgl. Dogmatische Konstitution Lumen gentium LG 11 Dekret Apostolicam actuositatem AA 11), die berufen sind, diese ihre Sendung wiederzuentdecken und die Erziehungsverantwortung wahrzunehmen, das Gewissen der Kinder für die Liebe Gottes zu öffnen, als grundlegender Dienst für ihr Leben, die ersten Katecheten und Glaubenslehrer für ihre Kinder zu sein. Und bei dieser Aufgabe ist vor allem die Wachsamkeit wichtig. Das bedeutet, günstige Gelegenheiten zu ergreifen, um in der Familie das Glaubensgespräch einzuführen und eine kritische Reflexion über die zahlreichen Einflüsse, denen die Kinder ausgesetzt sind, heranreifen zu lassen. Diese Aufmerksamkeit der Eltern besteht auch in der Sensibilität, religiöse Fragen, die im Herzen der Kinder – manchmal deutlich sichtbar und manchmal verborgen – vorhanden sein mögen, aufzugreifen.

Dann die Freude: Die Weitergabe des Glaubens muß immer einen freudigen Ton haben. Es ist die österliche Freude, die die Wirklichkeit des Schmerzes, des Leidens, der Mühe, der Schwierigkeit, des Unverständnisses und auch des Todes nicht verschweigt oder verbirgt, sondern die Kriterien anzubieten weiß, um alles in der Perspektive der christlichen Hoffnung auszulegen. Das gute und rechte Leben des Evangeliums ist gerade dieser neue Blick, diese Fähigkeit, jede Situation mit den Augen Gottes zu betrachten. Es ist wichtig, allen Mitgliedern der Familie verstehen zu helfen, daß der Glaube keine Last ist, sondern eine Quelle tiefer Freude, daß er die Wahrnehmung des Wirkens Gottes ist, die Erkenntnis der Gegenwart des Guten, das keinen Lärm macht; und daß er wertvolle Orientierungen bietet, um das eigene Dasein recht zu leben. Schließlich die Fähigkeit zum Zuhören und zum Dialog: Die Familie muß ein Umfeld sein, in dem man lernt, zusammenzusein; Gegensätze im gemeinsamen Dialog zu überwinden, der aus Zuhören und Worten besteht; einander zu verstehen und zu lieben, um füreinander Zeichen der barmherzigen Liebe Gottes zu sein.

Von Gott sprechen heißt also, mit dem Wort und mit dem Leben zu vermitteln, daß Gott nicht der Konkurrent unseres Lebens ist, sondern vielmehr sein wahrer Garant, der Garant der Größe der menschlichen Person. So kehren wir zum Anfang zurück: Von Gott sprechen bedeutet, mit Nachdruck und Einfachheit, mit dem Wort und mit dem Leben das Wesentliche mitzuteilen: den Gott Jesu Christi, jenen Gott, der uns eine so große Liebe gezeigt hat, daß er Mensch geworden, für uns gestorben und auferstanden ist; jenen Gott, der darum bittet, ihm nachzufolgen und sich von seiner unermeßlichen Liebe verwandeln zu lassen, um unser Leben und unsere Beziehungen zu erneuern; jenen Gott, der uns die Kirche geschenkt hat, um den Weg gemeinsam zu gehen und durch das Wort und die Sakramente die ganze Stadt der Menschen zu erneuern, damit sie zur Stadt Gottes werden kann.
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Ganz herzlich grüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Gäste. Gott steht unserer menschlichen Existenz nicht fremd gegenüber; er ist vielmehr der Grund der Würde und der Einzigartigkeit des Menschen. Wir wollen dieser Gnade als Zeugen seiner Liebe gerne entsprechen. Der Herr begleite euch alle auf eurer Pilgerfahrt mit seinem reichen Segen.



Aula Paolo VI

Mittwoch, 5. Dezember 2012: Jahr des Glaubens. Die Antwort des Menschen auf die Offenbarung Gottes

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Liebe Brüder und Schwestern!

Zu Beginn seines Briefes an die Christen von Ephesus (vgl. 1,3–14) erhebt der Apostel Paulus ein Lobgebet zu Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, das uns einführt, die Adventszeit im Jahr des Glaubens zu leben. Thema dieses Lobpreises ist der Plan Gottes für den Menschen, der mit Worten voll Freude, Staunen und Dankbarkeit als ein »gnädiger Ratschluß« (vgl. V. 9) der Barmherzigkeit und der Liebe dargelegt wird. Warum erhebt der Apostel aus tiefstem Herzen diesen Lobpreis zu Gott? Weil er auf sein Wirken in der Heilsgeschichte schaut, das in der Menschwerdung, im Tod und in der Auferstehung Jesu seinen Höhepunkt gefunden hat, und darüber nachdenkt, daß der himmlische Vater uns noch vor der Erschaffung der Welt erwählt hat, seine Söhne zu werden durch seinen eingeborenen Sohn Jesus Christus (vgl. ). Wir existieren von Ewigkeit her im Geist Gottes, in einem großen Plan, den Gott in sich selbst bewahrt hat. Er hat beschlossen, ihn in der »Fülle der Zeiten« umzusetzen und zu offenbaren (vgl. Eph
Ep 1,10). Der hl. Paulus gibt uns also zu verstehen, daß die ganze Schöpfung und insbesondere der Mann und die Frau keine Frucht des Zufalls sind, sondern einem gnädigen Ratschluß der ewigen Vernunft Gottes entsprechen, der durch die schöpferische und erlösende Kraft seines Wortes die Welt ins Dasein ruft.

Diese erste Aussage erinnert uns daran, daß unsere Berufung nicht einfach darin besteht, in der Welt zu existieren, in eine Geschichte eingebunden zu sein, und auch nicht nur darin, Geschöpfe Gottes zu sein. Sie ist etwas Größeres: Sie ist das Erwähltsein von Gott, noch vor der Erschaffung der Welt, im Sohn, Jesus Christus. In ihm existieren wir also sozusagen schon immer. Gott betrachtet uns in Christus als Söhne. Der »gnädige Ratschluß« Gottes, den der Apostel auch als »Liebesplan« umschreibt (vgl. Ep 1,5), wird als das »Geheimnis« des göttlichen Willens bezeichnet (V. 9), das verborgen war und jetzt in der Person und im Wirken Christi offenbar geworden ist. Die göttliche Initiative geht jeder menschlichen Antwort voraus: Sie ist ein unentgeltliches Geschenk seiner Liebe, die uns umgibt und uns verwandelt.

Was aber ist das Ziel dieses geheimnisvollen Plans? Was ist der Kern des Willens Gottes? Es ist, wie uns der hl. Paulus sagt, »in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist« (V. 10). In diesem Wort finden wir eine der zentralen Formulierungen des Neuen Testaments, die uns den Plan Gottes verstehen lassen, seinen Liebesplan für die ganze Menschheit, eine Formulierung, die der hl. Irenäus von Lyon im 2. Jahrhundert zum Kernpunkt seiner Christologie machte: die ganze Wirklichkeit in Christus zu »vereinen«. Vielleicht erinnern sich einige von euch an die Formulierung, die der heilige Papst Pius X. für die Weihe der Welt an das Heiligste Herz Jesu gebrauchte: »Instaurare omnia in Christo «, eine Formulierung, die an dieses paulinische Wort angelehnt ist und die auch das Motto jenes heiligen Papstes war. Der Apostel spricht jedoch genauer von der Vereinigung des Universums in Christus, und das bedeutet, daß Christus sich im großen Plan der Schöpfung und der Geschichte als der Mittelpunkt des gesamten Weges erhebt, als die Hauptachse von allem. Er zieht die gesamte Wirklichkeit an sich, um die Zerstreuung und die Begrenzung zu überwinden und alle zu der von Gott gewollten Fülle zurückzuführen (vgl. Eph Ep 1,23).

Dieser »gnädige Ratschluß« ist sozusagen nicht in der Stille Gottes, in der Höhe seines Himmels geblieben, sondern er hat ihn kundgetan, indem er in Beziehung getreten ist zum Menschen, dem er nicht nur etwas, sondern sich selbst offenbart hat. Er hat nicht einfach eine Gesamtheit von Wahrheiten mitgeteilt, sondern er hat sich uns selbst mitgeteilt, bis dahin, daß er einer von uns geworden ist, bis hin zur Menschwerdung. Das Zweite Vatikanische Ökumenische Konzil sagt in der Dogmatischen Konstitution Dei Verbum: »Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun: daß die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur« (DV 2). Gott sagt nicht nur etwas, sondern er teilt sich selbst mit, er zieht uns in die göttliche Natur hinein, damit wir in sie eingebunden, vergöttlicht sind. Gott offenbart seinen großen Liebesplan, indem er in Beziehung zum Menschen tritt, sich ihm annähert, so weit, daß er sogar selbst Mensch wird. Das Konzil sagt weiter: »In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde (vgl. Ex 33,11 ) und verkehrt mit ihnen (vgl. Bar Ba 3,38), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen« (ebd.). Allein durch die Intelligenz und seine Fähigkeiten hätte der Mensch diese so leuchtende Offenbarung der Liebe Gottes nicht erlangen können; Gott selbst hat seinen Himmel geöffnet und ist herabgestiegen, um den Menschen in die Tiefe seiner Liebe zu führen. Wiederum ist es der hl. Paulus, der an die Christen von Korinth schreibt: »Wir verkündigen, wie es in der Schrift heißt, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Denn uns hat es Gott enthüllt durch den Geist. Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes« (1 Kor 2,9–10). Und der hl. Johannes Chrysostomos lädt in einem berühmten Abschnitt aus seinem Kommentar zum Brief an die Epheser mit folgenden Worten ein, die Schönheit dieses in Christus offenbarten »gnädigen Ratschlusses« Gottes zu genießen: »Was mangelt dir denn noch? Du bist unsterblich geworden, du bist frei geworden, du bist Sohn geworden, du bist gerecht geworden, du bist Bruder geworden, du bist Miterbe geworden, du herrschest mit ihm, du wirst mit ihm verherrlicht; alles hat er dir geschenkt. ›Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?‹, sagt der Apostel (Rm 8,32). Der Erstling deiner Natur (vgl. 1Co 15,20 1Co 15,23) wird von den Engeln angebetet … Was sollte noch mangeln?« ().

Diese Gemeinschaft in Christus durch das Wirken des Heiligen Geistes, die Gott durch das Licht der Offenbarung allen Menschen anbietet, ist nicht etwas, das unser Menschsein von außen überlagert. Vielmehr ist es die Erfüllung der tiefsten Bestrebungen, jenes Wunsches nach Unendlichkeit und Fülle, der im Innersten des Menschen wohnt und ihn offen macht für eine Glückseligkeit, die nicht vorübergehend und begrenzt, sondern ewig ist. Der hl. Bonaventura von Bagnoregio sagt in bezug auf Gott, der sich offenbart und durch die Schrift zu uns spricht, um uns zu sich zu führen: »Die Heilige Schrift ist das Buch, in dem Worte des ewigen Lebens geschrieben stehen, damit wir nicht nur glauben, sondern auch das ewige Leben besitzen, in dem wir sehen und lieben werden und in dem all unsere Wünsche erfüllt werden« (Breviloquium, Prol.; Opera omnia V, 201f.). Schließlich ruft der selige Papst Johannes Paul II. in Erinnerung: »Die Offenbarung führt in die Geschichte einen Bezugspunkt ein, von dem der Mensch nicht absehen kann, wenn er dahin gelangen will, das Geheimnis seines Daseins zu verstehen; andererseits verweist diese Erkenntnis ständig auf das Geheimnis Gottes, das der Verstand nicht auszuschöpfen vermag, sondern nur im Glauben empfangen und annehmen kann« (Enzyklika Fides et ratio FR 14).

Was also ist in dieser Hinsicht der Glaubensakt? Er ist die Antwort des Menschen auf die Offenbarung Gottes, der sich zu erkennen gibt, der seinen gnädigen Ratschluß kundtut; es bedeutet, um ein Wort des hl. Augustinus zu gebrauchen, sich von der Wahrheit, die Gott ist, einer Wahrheit, die Liebe ist, ergreifen zu lassen. Daher betont der hl. Paulus, daß man Gott, der sein Geheimnis offenbart, den »Gehorsam des Glaubens« schuldet (Rm 16,26 vgl. Rm 1,5 2 Kor 10,5–6), denn »darin überantwortet sich der Mensch Gott als ganzer in Freiheit, indem er sich ›dem offenbarenden Gott mit Verstand und Willen voll unterwirft‹ und seiner Offenbarung willig zustimmt« (Dogmatische Konstitution Dei Verbum DV 5). All das führt zu einer grundlegenden Veränderung der Beziehung zur gesamten Wirklichkeit. Alles erscheint in einem neuen Licht, es handelt sich also um eine wahre »Bekehrung«. Glaube ist ein »Umdenken«, denn der Gott, der sich in Christus offenbart und seinen Liebesplan zu erkennen gegeben hat, ergreift uns, zieht uns zu sich, wird zum Sinn, der das Leben trägt, zum Fels, auf dem dieses Stabilität finden kann. Im Alten Testament finden wir einen dichten Ausdruck des Glaubens, den Gott dem Propheten Jesaja anvertraut, damit er ihn dem König von Juda, Ahas, mitteilt. Gott sagt: »Glaubt ihr nicht«, das heißt, wenn ihr Gott nicht die Treue haltet, »so bleibt ihr nicht« (Is 7,9). Es gibt also eine Verbindung zwischen dem »Bleiben« und dem »Verstehen«, die gut zum Ausdruck bringt, daß der Glaube darin besteht, im Leben die Sicht Gottes auf die Welt anzunehmen, uns von Gott durch sein Wort und seine Sakramente zum Verständnis dessen führen zu lassen, was wir tun sollen, welchen Weg wir beschreiten sollen, wie wir leben sollen. Gleichzeitig ist es jedoch eben das Verstehen auf Gottes Weise, das Sehen mit seinen Augen, was das Leben festigt, was uns gestattet, »standfest zu sein«, nicht zu fallen.

Liebe Freunde, der Advent, die liturgische Zeit, die wir soeben begonnen haben und die uns auf das Weihnachtsfest vorbereitet, stellt uns dem leuchtenden Geheimnis der Ankunft des Gottessohnes gegenüber, dem großen »gnädigen Ratschluß«, mit dem er uns zu sich ziehen will, um uns in voller Gemeinschaft der Freude und des Friedens mit ihm leben zu lassen. Der Advent lädt uns noch einmal ein, inmitten vieler Schwierigkeiten die Gewißheit zu erneuern, daß Gott gegenwärtig ist: Er ist in die Welt gekommen und ist Mensch geworden wie wir, um seinen Liebesplan zur Erfüllung zu bringen. Und Gott bittet darum, daß auch wir zum Zeichen seines Wirkens in der Welt werden. Durch unseren Glauben, unsere Hoffnung, unsere Liebe will er stets aufs neue in die Welt eintreten und will stets aufs neue sein Licht in unserer Nacht erstrahlen lassen.
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Mit Freude grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher, besonders die Mitglieder und Freunde der Schönstattbewegung aus Deutschland. Öffnen wir, wie die selige Jungfrau Maria, in dieser Adventszeit in gläubiger Liebe Christus unsere Herzen, damit sein Licht durch uns hell in diese Welt hereinstrahlen kann. Danke.





Aula Paolo VI

Mittwoch, 12. Dezember 2012: Jahr des Glaubens. Gottes Handeln in der Geschichte


Generalaudienzen 2005-2013 21112