ANSPRACHE 2008 Januar 2008 21

Don Massimo Tellan, Pfarrer von »Sant’Enrico«

Ich bin Don Massimo Tellan. Seit 15 Jahren bin ich Priester, seit sechs Jahren Pfarrer in »Casal Monastero« im Sektor Nord. Ich glaube, wir alle merken, daß wir immer mehr in einer Welt leben, deren Kultur durch einen inflationären Gebrauch von Worten geprägt ist, die oft nicht einmal eine Bedeutung besitzen und das Herz der Menschen so sehr verwirren, daß es taub für das Wort der Wahrheit wird. Jenes ewige Wort, das Fleisch geworden ist und in Jesus von Nazaret ein Antlitz angenommen hat, ist für viele kaum noch wahrnehmbar, es wird besonders für die jungen Generationen bedeutungslos und rückt in die Ferne. Es verliert sich im Dickicht der undeutlichen und kurzlebigen Bilder, mit denen man täglich bombardiert wird. Welcher Raum soll also in der Erziehung zum Glauben diesem Binom aus dem aufzunehmenden Wort und dem zu betrachtenden Bild gegeben werden? Wohin ist die Kunst entschwunden, die den Glauben erzählt und in das Geheimnis einführt, wie es in der Vergangenheit mit der »biblia pauperum« geschah? Wie können wir heute, in der Gesellschaft der Bilder, die durchdringende Kraft des Sehens wiedererlangen, die das Geheimnis der Menschwerdung und der Begegnung mit Jesus begleitet, wie bei Johannes und Andreas am Ufer des Jordan, die eingeladen wurden, hinzugehen und zu sehen, wo der Meister wohnte? Mit anderen Worten: Wie soll man zur Suche und zur Kontemplation jener wahren Schönheit erziehen, die, wie Dostojewski schrieb, die Welt retten wird? Danke, Eure Heiligkeit, für Ihre Aufmerksamkeit. Und wenn Sie es mir gestatten, möchte ich, auch mit Erlaubnis der Mitbrüder, als Priester dieses Presbyteriums und auch als Laienkünstler das Gesagte durch ein Geschenk an Sie begleiten, eine Ikone des Christus an der Geißelsäule, Bild der leidenden und gedemütigten Menschheit, deren Natur das Wort annehmen wollte - nicht nur bis zum »Ecce homo«, sondern bis zum Tod am Kreuz. Gleichzeitig ist es das gegenwärtige Bild der Kirche als dem mystischen Leib Christi, die oft verletzt ist durch die Anmaßung des Bösen, die jedoch mit ihrem Herrn dazu berufen ist, die Sünde der Welt auf sich zu nehmen, um diese zu erlösen, indem sie sich mit Jesus opfert. Danke, Heiliger Vater, und ich danke auch meinen Mitbrüdern. Sie alle sind jeden Tag darum bemüht, mehr als ich und besser als ich, der Welt durch das Zeugnis ihres Lebens das gegenwärtige Antlitz des Meisters zu zeigen. Wenn es wahr ist - und es ist wahr -, daß, wer den Sohn gesehen hat, den Vater gesehen hat, dann möge derjenige, der uns, seine Kirche, sieht, Christus sehen.

22 Danke für dieses wunderschöne Geschenk. Ich bin dankbar, daß wir nicht nur Worte, sondern auch Bilder haben. Wir sehen, daß auch heute aus der christlichen Betrachtung heraus neue Bilder entstehen und die christliche Kultur, die christliche Ikonographie wiederersteht. Ja, wir erleben eine Inflation der Worte, der Bilder. Es ist daher schwierig, Raum zu schaffen für das Wort und das Bild. Mir scheint, daß gerade in der Situation unserer Welt, die wir alle kennen und die auch unser Leiden ist, das Leiden eines jeden, die Fastenzeit eine neue Bedeutung bekommt. Sicher erscheint das leibliche Fasten, das eine Zeitlang aus der Mode gekommen zu sein schien, heute allen notwendig. Es ist nicht schwierig zu verstehen, daß wir fasten müssen. Manchmal werden wir auch mit gewissen Übertreibungen konfrontiert, die einem falschen Schönheitsideal entspringen. Aber auf jeden Fall ist das leibliche Fasten etwas Wichtiges, weil wir Leib und Seele sind, und die Disziplin des Leibes, auch die materielle Disziplin, ist wichtig für das geistliche Leben, das immer ein Leben ist, das in einer Person Gestalt annimmt, die Leib und Seele ist.

Das ist die eine Dimension. Heute entstehen und zeigen sich andere Dimensionen. Mir scheint, daß die Fastenzeit gerade auch eine Zeit des Fastens in bezug auf Worte und Bilder sein kann. Wir brauchen ein bißchen Stille, wir brauchen einen Raum ohne die ständige Bombardierung durch Bilder. In diesem Sinne ist es heute sehr wichtig, zur Bedeutung der 40 Tage äußerer und innerer Disziplin einen Zugang zu verschaffen. Denn das hilft uns zu verstehen, daß eine Dimension unserer Fastenzeit, dieser leiblichen und geistlichen Disziplin, darin besteht, uns Räume der Stille und auch ohne Bilder zu schaffen, um unser Herz wieder offen zu machen für das wahre Bild und das wahre Wort. Es scheint mir vielversprechend, daß man auch heute sieht, daß es ein Wiedererstehen der christlichen Kunst gibt, sowohl in Form der meditativen Musik - wie zum Beispiel jene, die in Taizé entstanden ist -, als auch in Form einer Anbindung an die Kunst der Ikone, an eine christliche Kunst, die innerhalb der großen Normen der Ikonenkunst der Vergangenheit bleibt, aber die Erfahrungen und Sichtweisen von heute mit einschließt. Dort, wo es eine wahre und tiefe Betrachtung des Wortes gibt, wo wir wirklich eintreten in die Kontemplation dieser Sichtbarkeit Gottes in der Welt, dieser Berührbarkeit Gottes in der Welt, entstehen auch neue Bilder, neue Möglichkeiten, das Heilsgeschehen sichtbar zu machen. Eben das ist die Folge des Ereignisses der Menschwerdung. Das Alte Testament verbot jedes Bild und mußte es verbieten in einer Welt voller Gottheiten. Es lebte in der großen Leere, die auch durch das Innere des Tempels zum Ausdruck kam, wo es, im Gegensatz zu anderen Tempeln, kein Bild gab, sondern nur den leeren Thron des Wortes, die geheimnisvolle Gegenwart des unsichtbaren Gottes, der nicht umschrieben ist von unseren Bildern.

Der neue Schritt ist jedoch der, daß dieser geheimnisvolle Gott uns von der Inflation der Bilder und auch von einer Zeit voller Bilder von Gottheiten befreit und uns die Freiheit schenkt, das Wesentliche zu sehen. Er erscheint mit einem Antlitz, mit einem Leib, mit einer menschlichen Geschichte, die gleichzeitig eine göttliche Geschichte ist. Diese Geschichte setzt sich fort in der Geschichte der Heiligen, der Märtyrer, der Heiligen der Nächstenliebe, des Wortes, die stets Verdeutlichung, Fortsetzung seines göttlichen und menschlichen Lebens im Leib Christi sind, und sie schenkt uns die wesentlichen Bilder, in denen wir - jenseits der oberflächlichen Bilder, die die Wirklichkeit verbergen - den Blick öffnen können zur Wahrheit selbst. In diesem Sinne erscheint mir die ikonoklastische Periode der nachkonziliaren Zeit übertrieben. Sie hatte jedoch auch ihren Sinn, weil es vielleicht notwendig war, sich von der Oberflächlichkeit zu vieler Bilder zu befreien.

Jetzt kehren wir zurück zur Erkenntnis des Gottes, der Mensch geworden ist. Wie uns der Brief an die Epheser sagt, ist er das wahre Bild. Und in diesem wahren Bild sehen wir - über den äußeren Schein hinaus, der die Wahrheit verbirgt - die Wahrheit selbst: »Wer mich sieht, sieht den Vater.« In diesem Sinne würde ich sagen, daß wir mit viel Achtung und viel Ehrfurcht eine christliche Kunst wiederfinden können und daß wir auch die wesentlichen und großen Darstellungen des Geheimnisses Gottes in der ikonographischen Tradition der Kirche wiederfinden können. Und so werden wir das wahre Bild wiederentdecken können, das vom äußeren Schein verdeckt ist. Ein wirklich wichtiges Werk der christlichen Erziehung ist die Befreiung für das Wort Gottes hinter den Worten, die immer wieder aufs Neue Räume der Stille, der Betrachtung, der Vertiefung, der Enthaltsamkeit, der Disziplin verlangt. Sie ist auch eine Erziehung zum wahren Bild, zur Wiederentdeckung der großen Ikonen, die im Laufe der Geschichte in der Christenheit geschaffen wurden: Mit Demut befreit man sich von oberflächlichen Bildern. Diese Art des Ikonoklasmus ist stets notwendig, um das göttliche Bild wiederzuentdecken, die wesentlichen Bilder, die die leibliche Gegenwart Gottes zum Ausdruck bringen.

Das ist eine grundlegende Dimension der Erziehung zum Glauben, zum wahren Humanismus, den wir in dieser Zeit in Rom suchen. Wir haben die Ikone wiederentdeckt mit ihren strengen Regeln, ohne die Schönheiten der Renaissance. Und so können auch wir einen Weg der demütigen Wiederentdeckung der großen Bilder wieder aufnehmen, einen Weg, der stets aufs Neue zur Befreiung von zu vielen Worten, zu vielen Bildern führt, um die wesentlichen Bilder wiederzuentdecken, die für uns notwendig sind. Gott selbst hat uns sein Bild gezeigt, und wir können dieses Bild wiederfinden durch die tiefe Betrachtung des Wortes, das die Bilder wiedererstehen läßt.

Bitten wir also den Herrn, daß er uns helfen möge auf diesem Weg der wahren Erziehung, der Neuerziehung zum Glauben, der nicht nur ein Zuhören, sondern immer auch ein Sehen ist.


Don Paul Chungat, Pfarrvikar von »San Giuseppe Cottolengo«

Ich heiße Don Chungat, komme aus Indien und bin zur Zeit Vikar der Pfarrei von »San Giuseppe« im Stadtteil »Valle Aurelia«. Ich möchte Ihnen danken, daß Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, drei Jahre lang in der Diözese Rom zu dienen. Das war für mich, für meine Studien, eine große Hilfe - wie, so glaube ich, für alle Priester, die sich zum Studium in Rom aufhalten. Jetzt ist für mich die Zeit gekommen, in meine Diözese in Indien zurückzukehren, wo die Katholiken nur ein Prozent der Bevölkerung ausmachen, während 99 Prozent Nichtchristen sind. In diesen Tagen hat mir die Situation der missionarischen Evangelisierung in meiner Heimat sehr zu denken gegeben. In der kürzlich erschienenen Note der Kongregation für die Glaubenslehre sind einige Worte enthalten, die im Zusammenhang mit dem interreligiösen Dialog schwer verständlich sind. Zum Beispiel ist unter der Nr. 10 von der »Fülle des Heiles« die Rede und im einführenden Teil von einer »formalen Eingliederung in die Kirche«. Diese Dinge werden schwer vermittelbar sein, wenn ich sie nach Indien bringen und Gespräche führen werde mit meinen hinduistischen Freunden und mit den Gläubigen anderer Religionen. Meine Frage ist folgende: Ist die »Fülle des Heiles« im qualitativen oder im quantitativen Sinn zu verstehen? Wenn es quantitativ zu verstehen ist, dann gibt es einige Schwierigkeiten. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt, daß auch in anderen Religionen Samenkörner des Lichts vorhanden sein können. Wenn es qualitativ aufzufassen ist, worin zeigt sich dann, außer in der Geschichtlichkeit und in der Fülle des Glaubens, die Einzigartigkeit unseres Glaubens in bezug auf den interreligiösen Dialog?

Danke für diesen Beitrag. Sie wissen natürlich, daß für Ihre Fragen in ihrer ganzen Tragweite ein Semester Theologie nötig wäre! Ich will versuchen, mich kurz zu fassen. Sie kennen die Theologie, es gibt große Meister und viele Bücher. Zunächst einmal danke ich Ihnen für Ihr Zeugnis, denn Sie sagen, daß Sie sich freuen, in Rom arbeiten zu können, obwohl sie aus Indien kommen. Für mich ist das ein wunderbares Phänomen der Katholizität. Heute gehen nicht nur die Missionare aus dem Westen in die anderen Kontinente, sondern es gibt einen Gabenaustausch: Inder, Afrikaner, Südamerikaner arbeiten bei uns, und unsere Leute gehen in die anderen Kontinente. Es ist ein Geben und Nehmen von allen Seiten, und gerade das ist die Lebenskraft der Katholizität: Wir alle sind Schuldner der Gaben des Herrn, und dann kann einer den anderen beschenken. In diesem Gabenaustausch, diesem Geben und Nehmen, lebt die katholische Kirche. Ihr könnt aus dem Umfeld und den Erfahrungen im Westen lernen und wir nicht weniger von euch. Ich sehe, daß gerade der Geist der Religiosität, der in Asien ebenso wie in Afrika vorhanden ist, die Europäer, die oft ein wenig kalt sind im Glauben, überrascht. Und so ist die Lebendigkeit des religiösen Geistes wenigstens in diesen Kontinenten ein großes Geschenk für uns alle, vor allem für uns Bischöfe der westlichen Welt und besonders jener Länder, in denen das Phänomen der Einwanderung von den Philippinen, aus Indien und so weiter stark ausgeprägt ist. Unser kalter Katholizismus wird durch die Leidenschaft, die von euch ausgeht, belebt. Die Katholizität ist also ein großes Geschenk.

Kommen wir zu den Fragen, die Sie mir gestellt haben. Ich habe in diesem Augenblick die genauen Worte des von Ihnen erwähnten Dokuments der Kongregation für die Glaubenslehre nicht vor Augen, aber ich möchte auf jeden Fall zwei Dinge sagen. Einerseits ist es absolut notwendig, einen Dialog zu führen, einander kennenzulernen, zu achten und zu versuchen, auf jede nur mögliche Weise an den großen Zielen der Menschheit mitzuarbeiten, sich für die Linderung ihrer großen Nöte einzusetzen, um Fanatismen zu überwinden und einen Geist des Friedens und der Liebe herbeizuführen. Und das entspricht auch dem Geist des Evangeliums, dessen Sinn es ist, daß der Geist der Liebe, den Jesus uns vermittelt hat, der Frieden Jesu, den er uns durch das Kreuz geschenkt hat, überall auf der Welt gegenwärtig wird. In diesem Sinne muß der Dialog ein wahrer Dialog sein, unter Achtung des anderen und in der Annahme seines Andersseins. Er muß aber auch dem Evangelium entsprechen: Sein grundlegendes Ziel muß es sein, den Menschen zu helfen, in der Liebe zu leben und dafür zu sorgen, daß diese Liebe in allen Teilen der Welt Verbreitung finden kann.

Aber diese so notwendige Dimension des Dialogs, also der Achtung des anderen, der Toleranz, der Zusammenarbeit, schließt die andere Dimension nicht aus: Das Evangelium ist ein großes Geschenk, das Geschenk der großen Liebe, der großen Wahrheit, das wir nicht nur für uns selbst behalten können, sondern das wir den anderen anbieten müssen, im Bewußtsein, daß Gott ihnen die Freiheit und das notwendige Licht schenkt, um die Wahrheit zu finden. Das ist die Wahrheit. Und das ist daher auch mein Weg. Die Mission ist kein Zwang, sondern ein von Gott geschenktes Angebot. Dabei ist es seiner Güte überlassen, die Menschen zu erleuchten, damit sich das Geschenk der konkreten Freundschaft mit dem Gott, der ein menschliches Angesicht hat, überall verbreitet. Daher wollen und müssen wir stets diesen Glauben und die Liebe, die in unserem Glauben lebt, bezeugen. Wir würden eine wahre menschliche und göttliche Pflicht vernachlässigen, wenn wir die anderen allein ließen und den Glauben, den wir haben, nur uns selbst vorbehielten. Wir wären auch uns selbst gegenüber untreu, wenn wir diesen Glauben nicht der Welt anbieten würden, wenn auch immer in der Achtung der Freiheit der anderen. Die Gegenwart des Glaubens in der Welt ist ein positives Element, auch wenn niemand sich bekehrt; sie ist ein Bezugspunkt.

23 Vertreter nichtchristlicher Religionen haben zu mir gesagt: Für uns ist die Anwesenheit des Christentums ein Bezugspunkt, der uns hilft, auch wenn wir uns nicht bekehren. Denken wir an die große Gestalt des Mahatma Gandhi: Obwohl er fest an seine Religion gebunden war, war für ihn die Bergpredigt ein grundlegender Bezugspunkt, der sein ganzes Leben gestaltet hat. Und so ist der Sauerteig des Glaubens, auch wenn er ihn nicht zum Christentum bekehrt hat, in sein Leben hineingekommen. Und mir scheint, daß dieser Sauerteig der christlichen Liebe, der aus dem Evangelium aufleuchtet - über die Missionsarbeit hinaus, die die Räume des Glaubens zu erweitern sucht -, ein Dienst ist, den wir der Menschheit leisten.

Denken wir an den hl. Paulus. Ich habe vor kurzem seine missionarische Motivation noch einmal vertieft. Darüber habe ich anläßlich der Begegnung zum Jahresende auch zur Kurie gesprochen. Ihn berührte die Rede des Herrn über die Endzeit. Bevor alles geschieht, vor der Rückkehr des Menschensohnes muß das Evangelium allen Völkern verkündet werden. Voraussetzung dafür, daß die Welt zu ihrer Vollendung kommt, für ihre Öffnung zum Paradies hin, ist die Verkündigung des Evangeliums an alle Menschen. Er setzte seinen ganzen missionarischen Eifer dafür ein, das Evangelium möglichst schon in seiner Generation zu allen Menschen gelangen zu lassen, um dem Gebot des Herrn zu entsprechen, »daß es allen Völkern verkündet werde«. Sein Wunsch war nicht so sehr, alle Völker zu taufen, als vielmehr die Gegenwart des Evangeliums in der Welt und dadurch die Vollendung der Geschichte als solcher. Mir scheint, daß man heute, wenn man den Gang der Welt betrachtet, besser verstehen kann, daß die Gegenwart des Wortes Gottes, daß die Verkündigung, die als Sauerteig zu allen gelangt, notwendig ist, damit die Welt wirklich zu ihrem Ziel gelangen kann. In diesem Sinne wollen wir natürlich die Bekehrung aller, aber das Handeln überlassen wir letztlich dem Herrn. Wichtig ist, daß derjenige, der sich bekehren will, die Möglichkeit dazu hat, und daß in der Welt für alle dieses Licht des Herrn sichtbar wird - als Bezugspunkt und als Licht, das hilft und ohne das die Welt sich selbst nicht finden kann. Ich weiß nicht, ob ich mich gut verständlich gemacht habe: Dialog und Mission schließen einander nicht nur nicht aus, sondern erfordern sich gegenseitig.


Don Alberto Orlando, Vikar von »Santa Maria Madre della Provvidenza«

Ich bin Don Alberto Orlando, Pfarrvikar von »Santa Maria Madre della Provvidenza«. Ich möchte Ihnen eine Schwierigkeit schildern, die ich im vergangenen Jahr in Loreto mit den Jugendlichen erlebt habe. In Loreto haben wir einen wunderschönen Tag verbracht, aber neben den vielen schönen Dingen ist uns eine gewisse Distanz zwischen Ihnen und den Jugendlichen aufgefallen. Wir sind am Nachmittag angekommen, und es ist uns nicht gelungen, einen richtigen Platz zu finden, noch etwas zu sehen oder zu hören. Als dann der Abend kam, sind Sie gegangen, und wir blieben gleichsam dem Fernsehen ausgesetzt, das uns in gewissem Sinne ausgenutzt hat. Die Jugendlichen brauchen jedoch Wärme. Ein Mädchen hat zum Beispiel zu mir gesagt: »Normalerweise nennt der Papst uns ›liebe Jugendliche‹, heute jedoch hat er uns ›junge Freunde‹ genannt«. Und sie hat sich sehr darüber gefreut. Wieso sollte man dieses Detail, diese Nähe nicht hervorheben? Auch die Fernsehübertragung von Loreto war sehr kalt, sehr distanziert, und während des Gebets gab es Schwierigkeiten, weil die Lichtquellen, mit denen dieser Augenblick verbunden war, nicht vor Ende der Fernsehübertragung eingeschaltet wurden. Die zweite Sache, mit der wir uns etwas schwertaten, war die Liturgie am nächsten Tag, die ein bißchen schwerfällig war, besonders der Gesang und die Musik. Beim Halleluja bemerkte zum Beispiel ein Mädchen, daß trotz der Hitze die Gesänge und die Musik sich sehr in die Länge zogen, so als würden die Strapazen derer, die eng im Gedränge standen, niemanden interessieren. Und dabei waren es Jugendliche, die jeden Sonntag in die Messe gehen. Ich habe also folgende Fragen: Wieso gibt es diese Distanz zwischen Ihnen und den Jugendlichen? Und zweitens, wie läßt sich der Schatz der Liturgie mit ihrer ganzen Feierlichkeit in Einklang bringen mit dem Gefühl, der Liebe und der Emotivität, die die Jugendlichen nährt und derer sie so sehr bedürfen? Ich möchte auch einen Rat: Wie sollen wir das richtige Gleichgewicht finden zwischen Feierlichkeit und Emotivität? Auch wir Priester fragen uns oft selbst, in welchem Maße wir in der Lage sind, die Emotionen und Gefühle mit Einfachheit zu leben. Und da wir die Verwalter des Sakraments sind, möchten wir fähig sein, Gefühl und Emotivität in das richtige Gleichgewicht zu bringen.

Der erste Punkt, den Sie mir vorlegen, ist mit der organisatorischen Lage verbunden: Ich habe sie so vorgefunden wie sie war und weiß daher nicht, ob es vielleicht anders hätte organisiert werden können. In Anbetracht der Tatsache, daß Tausende von Menschen anwesend waren, war es, glaube ich, unmöglich, allen die gleiche Nähe zuzusichern. Gerade deshalb haben wir die Runde mit dem Auto gemacht, um den einzelnen Personen ein wenig näher zu sein. Wir werden jedoch darüber nachdenken und sehen, ob es bei zukünftigen Begegnungen mit so vielen tausend Menschen möglich sein sollte, etwas anders zu machen. Es scheint mir jedoch wichtig, ein größeres Gefühl innerer Nähe zu entwickeln, eine Brücke zu finden, die uns verbindet, auch wenn wir räumlich voneinander entfernt sind.

Ein großes Problem dagegen sind die Liturgien, an denen Massen von Menschen teilnehmen. Ich erinnere mich, daß 1960 auf dem großen Internationalen Eucharistischen Kongreß in München versucht wurde, den Eucharistischen Kongressen eine neue Form zu geben. Sie waren bis dahin nur Akte der Anbetung gewesen. Man wollte die Feier der Eucharistie in den Mittelpunkt stellen als Akt der Gegenwart des gefeierten Mysteriums. Aber sofort kam die Frage auf, wie das möglich sein sollte. Anbeten, so sagte man, kann man auch aus der Ferne; aber um die Eucharistie zu feiern, bedarf es einer kleineren Gemeinde, die in Wechselbeziehung zum Mysterium steht, einer Gemeinde, die zur Feier des Mysteriums versammelt ist. Viele waren gegen eine öffentliche Eucharistiefeier mit 100.000 Personen. Sie sagten, daß dies schon aufgrund der Struktur der Eucharistie nicht möglich sei, denn diese erfordert eine Gemeinde für die Gemeinschaft. Auch große und sehr angesehene Persönlichkeiten waren gegen diese Lösung. Dann schuf Professor Jungmann, ein großer Liturgiker, einer der großen Väter der Liturgiereform, das Konzept der »statio orbis«: Er kehrte zurück zur »statio Romae«, wo sich die Gläubigen in der Fastenzeit an einem Ort, der »statio«, versammeln. Sie sind also in »statio« wie die Soldaten für Christus und gehen dann gemeinsam zur Eucharistie. Wenn diese, so sagte er, die »statio« der Stadt Rom ist, wo die Stadt Rom sich versammelt, dann ist jene die »statio orbis«. Und von jenem Augenblick an haben wir Eucharistiefeiern, an denen Massen von Menschen teilnehmen. Für mich, muß ich sagen, bleibt es ein Problem, weil die konkrete Gemeinschaft bei der Feier grundlegend ist, und daher finde ich nicht, daß man wirklich die endgültige Antwort gefunden hat. Auch in der letzten Synode habe ich diese Frage aufgebracht, auf die jedoch keine Antwort gefunden wurde. Noch eine weitere Frage ließ ich stellen, zur Massenkonzelebration: Denn wenn zum Beispiel tausend Priester konzelebrieren, dann weiß man nicht, ob die vom Herrn gewollte Struktur noch gegeben ist. Jedenfalls stellen sich diese Fragen. Und so wurden Sie mit der Schwierigkeit der Teilnahme an einer Massenfeier konfrontiert, bei der nicht alle auf dieselbe Weise einbezogen werden können. Man muß sich daher für einen gewissen Stil entscheiden, damit die Würde gewahrt wird, die die Eucharistie immer haben muß. Die Gemeinschaft ist also nicht einheitlich, und die Teilnahme am Ereignis wird unterschiedlich erfahren; für einige ist sie gewiß unbefriedigend. Aber das hing nicht von mir ab, sondern vielmehr von denen, die die Vorbereitungen getroffen haben.

Man muß daher gut darüber nachdenken, was man in diesen Situationen tun soll, wie man den Herausforderungen begegnen soll. Wenn ich mich nicht irre, wurde die Musik von einem Behindertenorchester gespielt. Vielleicht stand dahinter der Gedanke zu zeigen, daß Behinderte die heilige Feier mitgestalten können und daß gerade sie nicht ausgeschlossen werden dürfen, sondern eine wichtige Rolle spielen müssen. Und durch die Liebe zu ihnen haben sich die anderen nicht ausgeschlossen, sondern im Gegenteil einbezogen gefühlt. Diese Überlegung finde ich sehr lobenswert, und ich teile diesen Gedanken. Natürlich bleibt das Grundproblem jedoch bestehen. Aber wenn man weiß, was die Eucharistie ist, dann nimmt man - auch wenn man nicht die Möglichkeit zu einer aktiven Beteiligung hat, die man sich gewünscht hätte, um sich einbezogen zu fühlen - mit dem Herzen an ihr teil, wie es in der uralten Aufforderung in der Kirche heißt, die vielleicht gerade für diejenigen geschaffen wurde, die in der Basilika ganz hinten standen: »Erhebet die Herzen! Jetzt gehen wir alle aus uns heraus, so daß wir alle beim Herrn und bei einander sind«. Wie gesagt, ich leugne das Problem nicht, aber wenn wir wirklich dieser Aufforderung - »Erhebet die Herzen« - nachkommen, dann finden wir alle, auch in schwierigen und manchmal fragwürdigen Situationen, wirklich zu einer aktiven Teilnahme.


Msgr. Renzo Martinelli, Delegat der Päpstlichen Akademie der Immaculata

Heiliger Vater, zunächst möchte ich Ihnen auch für das danken, was Sie am letzten Sonntag beim Angelus in bezug auf Ihre Gebetsanliegen gesagt haben. Denn wir halten die Gläubigen immer dazu an, für den Papst zu beten, und wenn Sie dazu aufrufen, für die Gottgeweihten zu beten, für den »Tag für das Leben« zu beten, für Früchte der Bekehrung in der Fastenzeit zu beten, dann kommt die innere Gemeinschaft durch das Bewußtsein, Ihren Anliegen nahe zu sein, noch deutlicher zum Ausdruck. Hinzu kommt in diesen Tagen die Gnade, am Jahrestag von Lourdes vor der Unbefleckten Jungfrau beten zu dürfen. Ich komme noch einmal auf das Problem des Erziehungsnotstandes zurück und habe folgende Frage: Sie haben kürzlich den slowenischen Bischöfen Folgendes gesagt: »Wenn man zum Beispiel den Menschen nach einer heute verbreiteten Tendenz in individualistischer Weise versteht, wie kann man dann die Bemühungen rechtfertigen, die notwendig sind, um eine gerechte und solidarische Gemeinschaft aufzubauen?« Zu dieser individualistischen Mentalität: Ich bin mit elf Jahren ins Seminar eingetreten und bin ein bißchen in einer Mentalität erzogen worden, in der es mein Ich gab und neben meinem Ich dann ein anderes, etwas moralistisches Ich, um Christus gleichförmig zu werden. Und am Ende trug ich meine Freiheit wie ein Knecht, als Knechtschaft, wie Sie in Ihrem Buch Jesus von Nazareth über den älteren Bruder aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn schreiben. Und dadurch kommt es zu einer Spaltung. Wie soll man dagegen den Jugendlichen vermitteln, daß - wie Sie immer wieder betonen - das Ich des Christen, wenn Christus von ihm Besitz ergriffen hat, nicht mehr »Ich« ist? Die Identität des Christen, so haben Sie in Verona sehr tiefgründig gesagt, ist das »ich, aber nicht mehr ich«, denn es gibt das gemeinschaftliche Subjekt Christus. Die Bekehrung, die neue und speziell christliche Art und Weise, Gemeinschaft zu sein, die die Neuheit der christlichen Erfahrung überzeugend darlegt: Wie kann man das, Eure Heiligkeit, vermitteln?

Das ist die große Frage, die jeder Priester, der für andere verantwortlich ist, sich jeden Tag stellt - auch für sich selbst natürlich. Gewiß gab es im 20. Jahrhundert die Neigung zu einer individualistischen Frömmigkeit, um vor allem die eigene Seele zu retten und sich Verdienste zu schaffen, die berechnet und auf bestimmten Listen auch zahlenmäßig angegeben werden konnten. Und freilich wollte die ganze Bewegung des Zweiten Vatikanums diesen Individualismus überwinden.

Ich möchte jetzt nicht über die vergangenen Generationen urteilen, die ja auf ihre Weise dennoch versucht haben, so den anderen zu dienen. Aber dort gab es die Gefahr, daß man vor allem die eigene Seele retten wollte. Daraus folgte eine äußerliche Frömmigkeit, und am Ende wurde der Glaube als Last und nicht als Befreiung betrachtet. Und natürlich ist es der grundlegende Wille der neuen Pastoral, die das Zweite Vatikanische Konzil aufzeigte, aus dieser zu engen Sichtweise des Christentums herauszukommen und zu entdecken, daß ich meine Seele nur dann rette, wenn ich sie hinschenke, wie der Herr uns heute im Evangelium sagt, wenn ich mich von mir befreie, aus mir herausgehe wie Gott im Sohn aus sich selbst herausgegangen ist, um uns zu retten. Und wir werden hineingenommen in diese Bewegung des Sohnes und versuchen, aus uns selbst herauszugehen, da wir wissen, wo wir am Ende ankommen. Und wir fallen nicht ins Leere, sondern wir verlassen uns selbst und überlassen uns dem Herrn, indem wir aus uns herausgehen und uns ihm zur Verfügung stellen, wie er es will und nicht wie wir es uns vorstellen.

24 Das ist der wahre christliche Gehorsam, der Freiheit ist: nicht wie ich es möchte, mit meinem Lebensplan für mich, sondern indem ich mich ihm zur Verfügung stelle, damit er über mich verfügen kann. Und wenn ich mich in seine Hände begebe, bin ich frei. Aber es ist ein großer Sprung, der niemals endgültig getan ist. Ich denke hier an den hl. Augustinus, der uns das oft gesagt hat. Nach der Bekehrung dachte er anfangs, den höchsten Punkt erreicht zu haben und im Paradies der Neuheit des Christseins zu leben. Dann entdeckte er, daß der schwierige Weg des Lebens weiterging, wenn auch von jenem Augenblick an immer im Licht Gottes, und daß man jeden Tag aufs neue diesen Sprung aus sich selbst heraus tun muß, daß man das Ich hinschenken muß, damit es stirbt und im großen Ich Christi erneuert wird, das auf eine gewisse sehr wahre Art und Weise unser aller gemeinsames Ich, unser Wir, ist.

Aber ich würde sagen, daß wir selbst gerade in der Feier der Eucharistie - die diese große und tiefe Begegnung mit dem Herrn ist, wo ich mich in seine Hände fallen lasse - diesen großen Schritt üben müssen. Je mehr wir selbst ihn erlernen, desto besser können wir ihn auch den anderen gegenüber zum Ausdruck bringen und ihn anderen verständlich, zugänglich machen. Nur wenn wir mit dem Herrn gehen, wenn wir uns in der Gemeinschaft der Kirche seinem Offensein hingeben, wenn ich nicht für mich selbst lebe - sei es für ein glückliches Leben auf der Erde, sei es nur für meine persönliche Seligkeit -, sondern mich zum Werkzeug seines Friedens mache, lebe ich gut und lerne ich, Mut zu haben vor den täglichen Herausforderungen, die stets neu und schwer, oft beinahe nicht zu verwirklichen sind. Ich verlasse mich selbst, weil du es willst, und ich bin sicher, daß ich so gut vorangehe. Wir können nur den Herrn bitten, daß er uns helfen möge, diesen Weg jeden Tag zu gehen, damit wir den anderen helfen, sie erleuchten und ermutigen und sie so befreit und erlöst werden können.


Don Paolo Tammi, Pfarrer von »San Pio X«, Religionslehrer

Ich möchte Ihnen nur eine der vielen Danksagungen aussprechen für die Mühe und Hingabe, mit der Sie Ihr Buch über Jesus von Nazareth geschrieben haben. Es ist, wie Sie selbst gesagt haben, kein lehramtlicher Akt, sondern Ausdruck Ihres persönlichen Suchens nach dem Angesicht Gottes und hat dazu beigetragen, die Person Jesu Christi wieder in den Mittelpunkt des Christentums zu stellen. Sicher wird es jetzt und in Zukunft auch dazu beitragen, über einseitige Auslegungen des christlichen Ereignisses sorgfältig zu urteilen: über die politische Auslegung, mit der ich aufgewachsen bin, ebenso wie der größte Teil meiner Altersgenossen, oder über die moralistische Auslegung, die meiner Meinung nach in der katholischen Verkündigung etwas zu sehr betont wird, und schließlich auch über die Auslegung, die gern von sich selbst sagt, daß sie die Gestalt Jesu Christi entmythologisiert, sowie über die Auslegung gewisser laizistischer Intellektueller, die sich - was in Wahrheit kaum überrascht - heute plötzlich mit dem Gründer des Christentums und seinem menschlichen Leben befassen, um seine Geschichtlichkeit zu leugnen oder seine Göttlichkeit einem Hirngespinst der apostolischen Kirche zuzuschreiben. Sie dagegen, Eure Heiligkeit, lehren uns stets, daß Jesus wirklich alles ist, daß man sich in ihn, der Mensch und Gott ist, nur verlieben kann, was nicht gerade dasselbe ist wie einer Partei beizutreten - vorausgesetzt, es gäbe sie - oder ihn ständig im Munde zu führen, nur um eine kulturelle Identität zu bewahren. Ich möchte nur noch eines hinzufügen: In der Schule, also einem säkularen Umfeld, in dem die historischen und philosophischen Gründe für oder gegen die Religion natürlich ihre Berechtigung haben, sehe ich, daß die Jugendlichen jeden Tag gefühlsmäßig eine große Distanz bewahren. In Assisi dagegen, wo ich vor einigen Tagen mit ihnen war, habe ich gesehen, daß die Jugendlichen sehr bewegt waren vom leidenschaftlichen Zeugnis eines jungen Franziskaners. Ich frage Sie: Wie kann ein Priester sich in seinem Leben immer mehr für das Wesentliche, für Jesus, den Bräutigam begeistern? Und woran sieht man, daß ein Priester in Jesus verliebt ist? Ich weiß, daß Sie, Eure Heiligkeit, bereits mehrere Antworten gegeben haben, aber die Antwort kann uns sicher helfen, uns zu korrigieren und neue Hoffnung zu schöpfen. Ich bitte Sie für Ihre Priester noch einmal darum.

Wie kann ich die Pfarrer korrigieren, die so gute Arbeit leisten! Wir können uns nur gegenseitig helfen. Sie kennen also das säkulare Umfeld nicht nur vom intellektuellen, sondern vor allem vom gefühlsmäßigen Standpunkt, vom Glauben her. Und den jeweiligen Umständen entsprechend müssen wir den Weg finden, um Brücken zu schaffen. Mir scheint, daß die Situation schwierig ist, aber Sie haben recht. Wir müssen uns immer überlegen, was das Wesentliche ist - auch wenn das Kerygma, der Zusammenhang, die Vorgehensweise dann verschiedene Anknüpfungspunkte haben können. Aber die Frage muß stets lauten: Was ist wesentlich? Was soll entdeckt werden? Was möchte ich geben? Und hier sage ich immer wieder: Das Wesentliche ist Gott. Wenn wir nicht von Gott sprechen, wenn Gott nicht entdeckt wird, dann bleiben wir stets bei den nebensächlichen Dingen. Mir scheint also grundlegend, daß wenigstens die Frage aufkommt: Gibt es Gott? Und wie könnte ich ohne Gott leben? Ist Gott wirklich eine wichtige Realität für mich?

Ich finde es sehr beeindruckend, daß das Erste Vatikanische Konzil gerade diesen Dialog aufnehmen wollte, Gott durch die Vernunft verstehen wollte - auch wenn es in unserer zeitlichen Situation für uns notwendig ist, daß Gott uns hilft und unsere Vernunft reinigt. Mir scheint, daß bereits versucht wird, auf diese Herausforderung des säkularen Umfelds zu antworten - durch Gott als die grundlegende Frage, und durch Jesus Christus als Antwort Gottes. Ich würde natürlich sagen, daß es die »praeambula fidei« gibt, die vielleicht der erste Schritt sind, um das Herz und den Geist auf Gott hin zu öffnen: die natürlichen Tugenden. In diesen Tagen habe ich den Besuch eines Staatsoberhauptes empfangen, das zu mir sagte: Ich bin nicht religiös, die Grundlage meines Lebens ist die aristotelische Ethik. Das ist bereits etwas sehr Gutes, und wir sind schon beim hl. Thomas, auf dem Weg zur Synthese des Thomas. Das kann also ein Anknüpfungspunkt sein: diese Bedeutung der Vernunftethik für das menschliche Zusammenleben zu lernen und verständlich zu machen. Wenn sie konsequent gelebt wird, öffnet sie sich innerlich zur Frage nach Gott, zur Verantwortung vor Gott.

Mir scheint also, daß uns einerseits klar sein muß, was das Wesentliche ist, das wir den anderen vermitteln wollen und müssen, und welche »praeambula« es in den Situationen gibt, in denen wir die ersten Schritte tun können: Gewiß ist gerade heute eine gewisse ethische Grunderziehung ein wesentlicher Schritt. So machte es auch die Christenheit der Antike. Cyprian zum Beispiel sagt uns, daß er zunächst ein sehr ausschweifendes Leben führte. Als er dann in der katechumenalen Gemeinschaft lebte, lernte er eine grundlegende Ethik, und so öffnete sich der Weg zu Gott. Auch der hl. Ambrosius sagt in der Ostervigil: Bisher haben wir von der Moral gesprochen, jetzt kommen wir zu den Geheimnissen. Sie waren den Weg der »praeambula fidei« durch eine ethische Grunderziehung gegangen, und diese schuf die Bereitschaft, das Geheimnis Gottes zu verstehen. Ich würde also sagen, daß wir einerseits vielleicht eine Wechselbeziehung schaffen müssen zwischen ethischer Erziehung - die heute so wichtig ist und die auch pragmatische Bedeutung besitzt - und daß wir gleichzeitig die Frage nach Gott nicht auslassen dürfen. Und in dieser gegenseitigen Durchdringung zweier Wege gelingt es uns vielleicht ein bißchen, uns jenem Gott zu öffnen, der allein das Licht schenken kann.

Don Daniele Salera, Pfarrvikar von »Santa Maria Madre del Redentore« im Stadtteil »Tor Bella Monaca«, Religionslehrer

Eure Heiligkeit, ich heiße Don Daniele Salera und bin seit sechs Jahren Priester. Ich bin Pfarrvikar in »Tor Bella Monaca« und dort auch Religionslehrer. Beim Lesen Ihres Schreibens über die dringende Aufgabe der Erziehung sind mir einige Aspekte aufgefallen, die für mich bedeutsam sind und über die ich gerne mit Ihnen sprechen würde. Vor allem finde ich es wichtig, daß Sie sich an die Diözese und an die Stadt wenden. Diese Unterscheidung wird den unterschiedlichen Identitäten, aus denen sie sich zusammensetzen, gerecht und bezieht auch die Nichtgläubigen ein - in Freiheit, wie Sie, Eure Heiligkeit, betonen. Ich möchte Ihnen in diesen wenigen Augenblicken vermitteln, wie schön es ist, in der Schule mit Kollegen zu arbeiten, die aus verschiedenen Gründen keinen lebendigen Glauben mehr haben oder die sich nicht mehr mit der Kirche identifizieren, die mir aber dennoch ein Vorbild sind durch ihren leidenschaftlichen Einsatz für die Erziehung und für die Unterstützung und Wiedereingliederung von Heranwachsenden, deren Leben bereits von Kriminalität und Verwahrlosung geprägt ist. Bei vielen Personen, mit denen ich in »Tor Bella Monaca« zusammenarbeite, verspüre ich einen wirklichen missionarischen Drang. Auf unterschiedlichen Wegen, die aber zum selben Ziel führen, kämpfen wir gegen jene Krise der Hoffnungslosigkeit, die stets im Unterbewußtsein präsent ist, wenn man Tag für Tag mit Jugendlichen zu tun hat, die innerlich tot zu sein scheinen, ohne Zukunftswünsche oder so sehr vom Bösen gepackt, daß sie die Liebe nicht erkennen können, die man ihnen entgegenbringt, und die Chancen zur Freiheit und zur Erlösung, die auf ihrem Weg dennoch vorhanden sind. Angesichts eines solchen menschlichen Notstands gibt es keinen Platz für Spaltungen, und daher wiederhole ich mir oft ein Wort von Papst Johannes XXIII., der sagte: »Ich werde stets das Vereinende und nicht das Trennende suchen«. Eure Heiligkeit, durch diese Erfahrung lebe ich tagtäglich im Kontakt mit Jugendlichen und Erwachsenen, denen ich niemals begegnet wäre, wenn ich mich nur der Arbeit in der Pfarrei gewidmet hätte. So beobachte ich, daß in der Tat viele Erzieher auf die Ethik verzichten, im Namen einer Affektivität, die keine Sicherheiten gibt und die Abhängigkeit schafft. Andere haben Angst, die Regeln des zivilen Zusammenlebens zu verteidigen, weil sie meinen, daß diese den Bedürfnissen, den Schwierigkeiten und der Identität der jungen Menschen nicht gerecht werden. Als Slogan könnte ich sagen, daß wir auf erzieherischer Ebene in einer Kultur des »immer Ja« und des »nie Nein« leben. Aber gerade das mit liebevoller Leidenschaft für den Menschen und seine Zukunft ausgesprochene »Nein« steckt oft die Grenze zwischen Gut und Böse ab, eine Grenze, die in der Entwicklungsphase für den Aufbau einer starken persönlichen Identität grundlegend ist. Und einerseits bin ich daher überzeugt, daß angesichts des Notstandes die Unterschiede schwächer werden und wir uns daher auf erzieherischer Ebene wirklich an einen gemeinsamen Tisch setzen können mit denjenigen, die sich aus freiem Willen nicht wirklich als gläubig bezeichnen. Andererseits frage ich mich, warum wir als Kirche, die wir so viel geschrieben, gedacht und erlebt haben zum Thema der Erziehung als Ausbildung zum rechten Gebrauch der Freiheit - wie Sie sagen -, es nicht schaffen, dieses Erziehungsziel durchzusetzen. Warum erscheinen wir im Durchschnitt als so wenig befreit und befreiend?

Danke für diese Schilderung Ihrer Erfahrungen in der Schule von heute, mit den Jugendlichen von heute, und auch für die selbstkritischen Fragen an uns selbst. In diesem Augenblick kann ich nur bestätigen, daß es mir sehr wichtig scheint, daß die Kirche auch in der Schule anwesend ist, denn eine Erziehung, die nicht gleichzeitig auch Erziehung mit Gott und Gegenwart Gottes ist, eine Erziehung, die nicht die großen ethischen Werte vermittelt, die im Licht Christi erschienen sind, ist keine Erziehung. Eine fachliche Ausbildung ohne Bildung des Herzens reicht niemals aus. Und das Herz kann nicht gebildet werden ohne wenigstens die Herausforderung der Gegenwart Gottes. Wir wissen, daß viele Jugendliche in einem Umfeld, in Situationen leben, die ihnen das Licht und das Wort Gottes unerreichbar machen; sie leben in Situationen, die eine wahre Sklaverei sind - nicht nur äußerlich, denn sie erzeugen eine geistige Sklaverei, die wirklich das Herz und den Geist verdunkelt. Wir versuchen, mit allen Mitteln, die der Kirche zur Verfügung stehen, auch ihnen eine Möglichkeit zu bieten, aus dieser Situation herauszukommen. Aber auf jeden Fall müssen wir dafür sorgen, daß im schulischen Bereich, wo man die unterschiedlichsten Verhältnisse vorfindet - von den Gläubigen bis hin zu den traurigsten Situationen -, das Wort Gottes gegenwärtig ist. Genau das haben wir über den hl. Paulus gesagt, der das Evangelium zu allen Menschen gelangen lassen wollte. Dieser Imperativ des Herrn - das Evangelium muß allen verkündet werden - ist kein diachronischer Imperativ, kein kontinentaler Imperativ, in dem Sinne, daß es in erster Linie allen Kulturen verkündet werden muß. Sondern er ist ein innerer Imperativ: das Evangelium muß in die verschiedenen Schichten und Dimensionen einer Gesellschaft eindringen, um wenigstens ein wenig von seinem Licht erreichbarer zu machen, damit das Evangelium wirklich allen verkündet wird.

Und ich glaube, es gehört heute auch zur kulturellen Bildung zu wissen, was der christliche Glaube ist, der diesen Kontinent geprägt hat und der ein Licht für alle Kontinente ist. Es gibt unterschiedliche Wege, um dieses Licht in Fülle gegenwärtig und erreichbar zu machen, und ich weiß, daß ich kein Patentrezept dafür habe; aber die Notwendigkeit, sich diesem schönen und schwierigen Abenteuer zu stellen, gehört wirklich zum Imperativ des Evangeliums selbst. Bitten wir darum, daß der Herr uns immer mehr helfen möge, diesem Imperativ zu entsprechen und die Kenntnis von ihm, die Kenntnis seines Angesichts, in alle Dimensionen unserer Gesellschaft gelangen zu lassen.

25 Pater Umberto Fanfarillo, Pfarrer von »Santa Dorotea in Trastevere«

Heiliger Vater, ich bin der Pfarrer von »Santa Dorotea in Trastevere«, Pater Umberto Fanfarillo, ein Franziskaner-Konventuale. Zusammen mit der christlichen Gemeinde in meiner Pfarrei habe ich den Wunsch, auf eine recht große, wenn auch nicht tiefgehende Präsenz anderer religiöser Kontexte hinzuweisen, denen wir täglich in gegenseitiger Wertschätzung, durch das Kennenlernen und auch das respektvolle Zusammenleben gegenüberstehen. Unter diesem grundsätzlich positiven Gesichtspunkt kann ich die Arbeit der »Accademia dei Lincei« und der amerikanischen »John Cabot University« erwähnen, mit über 800 Studenten aus etwa 60 Ländern und unterschiedlicher Religionszugehörigkeit: von Katholiken über Lutheraner und Juden bis hin zu Muslimen. Es waren gerade diese Jugendlichen, die sich beim Tod Johannes Pauls II. zum Gebet in unserer Kirche versammelt haben. Einige von ihnen gehen in den Räumen der Pfarrei ein und aus und zeigen Achtung und inneren Frieden gegenüber unseren religiösen Symbolen wie dem Kruzifix und den Bildern von Maria, den Heiligen und dem Papst. Die »Casa di Peter Pan«, die sich in unserer Pfarrei befindet, nimmt krebskranke Kinder auf. Sie ist verbunden mit dem Kinderkrankenhaus »Bambin Gesù«. Auch hier gibt es durch die Interreligiosität große Momente der Nächstenliebe und der religiösen Aufmerksamkeit gegenüber dem kranken und notleidenden Bruder. Eine ähnliche Realität der respektvollen Begegnung zwischen den verschiedenen Religionen haben wir im Gefängnis »Regina Coeli«, das ebenfalls in unserer Pfarrei liegt. Kürzlich wurde in einer Atmosphäre der Achtung und des Zeugnisses zwei jungen Anglikanern, die katholisch geworden sind, das Sakrament der Firmung gespendet. Diesen lebendigen Glaubensbekenntnissen begegnet man immer wieder auch in den Aufnahmestätten, die das Gebiet von »Trastevere« kennzeichnen. Heiliger Vater, wir alle sind auf der Suche nach neuen und ausgeglichenen Haltungen des gegenseitigen Kennenlernens und der gegenseitigen Achtung. Ihre Beiträge, die von der Achtung und vom Dialog bei der Suche nach der Wahrheit geprägt sind, schätzen wir sehr. Helfen Sie uns noch einmal durch Ihr Wort.

Danke für dieses Zeugnis einer wirklich multidimensionalen und multikulturellen Pfarrei. Mir scheint, daß Sie ein bißchen das umgesetzt haben, worüber wir vorhin mit dem indischen Mitbruder gesprochen haben: Den Dialog, das respektvolle Zusammenleben, indem wir einander achten, die anderen annehmen in ihrem Anderssein, in ihrer Gemeinschaft - und gleichzeitig die Anwesenheit des Christentums, des christlichen Glaubens als Bezugspunkt, auf den alle den Blick richten können und der wie ein Sauerteig ist, der die Freiheiten achtet und dennoch ein Licht für alle ist und uns gerade in der Achtung der Unterschiede vereint.

Hoffen wir, daß der Herr uns in diesem Sinne stets helfen möge, den anderen in seinem Anderssein anzunehmen, ihn zu achten und Christus gegenwärtig zu machen in der Geste der Liebe, die der wahre Ausdruck seiner Gegenwart und seines Wortes ist. So möge er uns helfen, wirklich Diener Christi und seines Heils für die Welt zu sein. Danke.


ANSPRACHE 2008 Januar 2008 21