ANSPRACHE 2007 Januar 2007 118

AN DIE TEILNEHMER DER ERSTEN BEGEGNUNG DER DOZENTEN DER EUROPÄISCHEN UNIVERSITÄTEN


Audienzenhalle

Samstag, 23. Juni 2007



Eminenz,
119 verehrte Damen und Herren,
liebe Freunde!

Mit besonderer Freude empfange ich euch im Rahmen der ersten Begegnung der Dozenten der europäischen Universitäten, die vom Rat der Europäischen Bischofskonferenzen gefördert, von Dozenten der römischen Universitäten organisiert und vom Büro für die Hochschulseelsorge des Vikariats von Rom koordiniert worden ist.

Die Begegnung findet am 50. Jahrestag des Abschlusses der Römischen Verträge statt, durch die die heutige Europäische Union ins Leben gerufen wurde. Unter ihren Teilnehmern befinden sich Hochschuldozenten aus allen Ländern des Kontinents, einschließlich des Kaukasus: Armenien, Georgien und Aserbaidschan. Ich danke dem Vorsitzenden des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen, Herrn Kardinal Péter Erdö, für seine freundlichen einleitenden Worte. Ich begrüße die Vertreter der italienischen Regierung, insbesondere diejenigen vom Ministerium für Universität und Forschung und vom Ministerium für die Kulturgüter und die kulturellen Aktivitäten, ebenso wie die Vertreter der Region Latium und der Provinz sowie der Stadt Rom. Mein Gruß richtet sich auch an die anderen zivilen und religiösen Obrigkeiten, die Rektoren und Dozenten der verschiedenen Universitäten, ebenso wie an die anwesenden Hochschulseelsorger und Studenten.

Das Thema eurer Begegnung - »Ein neuer Humanismus für Europa. Die Rolle der Universitäten « - lädt zu einer aufmerksamen kritischen Betrachtung der gegenwärtigen Kultur des Kontinents ein. In Europa herrscht zur Zeit eine gewisse soziale Instabilität und ein gewisses Mißtrauen gegenüber den traditionellen Werten, aber dennoch können seine herausragende Geschichte und seine bewährten akademischen Einrichtungen viel zum Aufbau einer hoffnungsvollen Zukunft beitragen. Die »Frage nach dem Menschen«, die im Mittelpunkt eurer Gespräche steht, ist grundlegend für ein korrektes Verständnis der gegenwärtigen kulturellen Entwicklungen. Sie bietet auch einen festen Ausgangspunkt für die Bemühungen der Universitäten, eine neue kulturelle Präsenz und neue Initiativen im Dienst eines stärker geeinten Europa zu schaffen. Die Förderung eines neuen Humanismus verlangt nämlich eine klare Vorstellung davon, worin diese »Neuheit« wirklich besteht. Weit davon entfernt, Frucht eines oberflächlichen Verlangens nach Neuem zu sein, muß das Streben nach einem neuen Humanismus ernsthaft der Tatsache Rechnung tragen, daß Europa heute große kulturelle Veränderungen erlebt, in denen die Männer und Frauen sich immer mehr bewußt werden, daß sie aufgerufen sind, sich aktiv an der Gestaltung ihrer eigenen Geschichte zu beteiligen. Historisch hat sich der Humanismus in Europa entwickelt, dank des fruchtbaren Austauschs zwischen den verschiedenen Kulturen seiner Völker und dem christlichen Glauben. Das heutige Europa muß seine wahre Tradition schützen und wieder von ihr Besitz ergreifen, wenn es seiner Berufung als Wiege des Humanismus treu bleiben will.

Die gegenwärtigen kulturellen Veränderungen werden oft als »Herausforderung« für die Hochschulkultur und für das Christentum selbst betrachtet und nicht als »Horizont«, vor dem kreative Lösungen gefunden werden können und müssen. Als Männer und Frauen mit höherer Bildung seid ihr berufen, euch an dieser schwierigen Aufgabe zu beteiligen, die eine tiefes Nachdenken über einige grundlegende Probleme erfordert.

An erster Stelle möchte ich hier die Notwendigkeit einer eingehenden Untersuchung der Krise der Moderne erwähnen. Die europäische Kultur wurde in den letzten Jahrhunderten stark vom Begriff der Moderne geprägt. Die gegenwärtige Krise hat jedoch weniger damit zu tun, daß die Moderne die Zentralität des Menschen und seiner Belange hervorhebt, als vielmehr mit den Problemen, die durch einen »Humanismus« entstehen, der den Anspruch erhebt, ein »regnum hominis« aufzubauen, das von seiner notwendigen ontologischen Grundlage losgelöst ist. Eine falsche Dichotomie zwischen Theismus und echtem Humanismus, die bis zu dem Extrem geführt wird, einen unlösbaren Konflikt zwischen dem göttlichen Gesetz und der menschlichen Freiheit zu postulieren, hat zu einer Situation geführt, in der die Menschheit sich trotz all ihrer wirtschaftlichen und technischen Fortschritte zutiefst bedroht fühlt. Wie mein Vorgänger, Papst Johannes Paul II., sagte, müssen wir uns fragen: »Wird der Mensch als Mensch im Zusammenhang mit diesem Fortschritt wirklich besser, das heißt geistig reifer, bewußter in seiner Menschenwürde, verantwortungsvoller, offener für den Mitmenschen?« (Redemptor hominis
RH 15). Der Anthropozentrismus, der die Moderne kennzeichnet, darf niemals losgelöst werden von der vollen Wahrheit über den Menschen; und diese schließt seine transzendente Berufung ein.

Ein zweites Problem hängt mit der Erweiterung unseres Rationalitätsbegriffs zusammen. Um die Herausforderungen, die die gegenwärtige Kultur stellt, richtig zu verstehen und angemessene Antworten darauf zu finden, ist es notwendig, eine kritische Haltung einzunehmen gegenüber einengenden und letztlich irrationalen Versuchen, den Bereich der Vernunft einzuschränken. Der Vernunftbegriff muß im Gegenteil »geweitet« werden, damit man jene Aspekte der Wirklichkeit untersuchen und erfassen kann, die über das rein Empirische hinausgehen. Das ermöglicht einen fruchtbareren und komplementären Zugang zur Beziehung zwischen Glauben und Vernunft. Der Aufstieg der europäischen Universitäten wurde durch die Überzeugung gefördert, daß Glaube und Vernunft bei der Suche nach der Wahrheit zusammenwirken müssen - unter Achtung des Wesens und der rechtmäßigen Autonomie des anderen und dennoch in harmonischer und kreativer Zusammenarbeit, um der Erfüllung des Menschen in Wahrheit und Liebe zu dienen.

Ein drittes Problem, das untersucht werden muß, betrifft die Frage, welchen Beitrag das Christentum zum Humanismus der Zukunft leisten kann. Die Frage nach dem Menschen, und daher die Frage der Moderne, fordert die Kirche heraus, nach überzeugenden Wegen zu suchen, um der gegenwärtigen Kultur den »Realismus« ihres Glaubens an das Heilswerk Christi zu verkünden. Das Christentum darf nicht in die Welt des Mythos und der Gefühle verbannt werden, sondern es muß in seinem Anspruch respektiert werden, die Wahrheit über den Menschen ans Licht zu bringen und die Kraft zu besitzen, Männer und Frauen geistlich umzuwandeln, so daß sie ihrer Sendung in der Geschichte nachkommen können. Bei meinem jüngsten Besuch in Brasilien habe ich folgende Überzeugung zum Ausdruck gebracht: »Wenn wir nicht Gott in Christus und durch Christus kennen, verwandelt sich die ganze Wirklichkeit in ein unerforschliches Rätsel« (Ansprache bei der Eröffnung der Arbeiten der V. Generalversammlung der Bischofskonferenzen von Lateinamerika und der Karibik, 3; in O.R. dt., Nr. 20, 18.5.2007, S. 5). Das Wissen kann niemals auf den rein intellektuellen Bereich beschränkt werden; es schließt auch die Fähigkeit ein, die Dinge immer wieder aufs Neue vorurteilsfrei und ohne vorgefaßte Meinungen zu betrachten und »staunend« vor der Wirklichkeit zu stehen, deren Wahrheit durch das Zusammenspiel von Vernunft und Liebe entdeckt werden kann. Nur der Gott, der ein menschliches Antlitz hat und der in Jesus Christus offenbar wurde, kann uns davon abhalten, die Wirklichkeit gerade in dem Augenblick einzuschränken, in dem sie immer neuere und komplexere Verständnisebenen verlangt. Die Kirche ist sich ihrer Verantwortung bewußt, diesen Beitrag zur gegenwärtigen Kultur zu leisten.

In Europa wie überall auf der Welt braucht die Gesellschaft dringend den Dienst an der Weisheit durch die Hochschulgemeinschaft. Dieser Dienst beinhaltet auch praktische Aspekte: die Ausrichtung von Forschung und Arbeit auf die Förderung der Würde des Menschen und die schwierige Aufgabe, die Zivilisation der Liebe aufzubauen. Besonders die Hochschulprofessoren sind dazu berufen, die Tugend der intellektuellen Nächstenliebe zu verkörpern. Sie müssen ihre ursprüngliche Berufung wiederentdecken, die zukünftigen Generationen nicht nur durch die Weitergabe von Wissen, sondern auch durch das prophetische Zeugnis ihres eigenen Lebens zu unterweisen. Die Universität wiederum darf niemals ihre besondere Berufung aus den Augen verlieren, eine »universitas« zu sein, in der die verschiedenen Fächer, jedes nach seiner Art, als Teil eines größeren »unum« betrachtet werden. Wie dringend notwendig ist es doch, die Einheit des Wissens wiederzufinden und der Tendenz zur Zersplitterung und zu mangelnder Mitteilbarkeit, die in unseren Schulen nur allzu oft vorherrscht, entgegenzuwirken! Das Bemühen um einen Ausgleich zwischen dem Streben nach Spezialisierung und der Notwendigkeit, die Einheit des Wissens zu bewahren, kann die Einheit Europas fördern und dem Kontinent helfen, seine besondere kulturelle »Berufung« in der heutigen Welt wiederzuentdecken. Nur ein Europa, das sich seiner eigenen kulturellen Identität bewußt ist, kann einen spezifischen Beitrag zu anderen Kulturen leisten und gleichzeitig offen bleiben für den Beitrag anderer Völker.

Liebe Freunde, ich hoffe, daß die Hochschulen immer mehr zu Gemeinschaften werden, die sich unermüdlich für die Suche nach der Wahrheit einsetzen, »Werkstätten der Kultur«, in denen Dozenten und Studenten gemeinsam Fragen nachgehen, die für die Gesellschaft von besonderer Bedeutung sind. Dabei müssen interdisziplinäre Methoden angewandt werden und darf man auf die Mitarbeit der Theologen zählen. Das ist in Europa, wo es so viele namhafte katholische Einrichtungen und theologische Fakultäten gibt, einfach zu bewerkstelligen. Ich bin überzeugt, daß eine engere Zusammenarbeit und neue Formen des Miteinanders zwischen den verschiedenen akademischen Gemeinschaften die katholischen Hochschulen befähigen werden, Zeugnis zu geben von der historischen Fruchtbarkeit der Begegnung zwischen Glauben und Vernunft. Das Ergebnis wird konkret zur Erreichung der Ziele des Bologna-Prozesses beitragen und ein Ansporn sein, ein angemessenes Hochschulapostolat in den Ortskirchen zu entwickeln. Eine konkrete Unterstützung dieser Bemühungen, die die Europäischen Bischofskonferenzen zunehmend beschäftigen (vgl. Ecclesia in Europa, 58-59), kann von seiten jener kirchlichen Vereinigungen und Bewegungen kommen, die bereits im Hochschulapostolat tätig sind.

120 Liebe Freunde, mögen eure Gespräche in diesen Tagen fruchtbar sein und dabei helfen, ein aktives Netzwerk von Hochschuldozenten aufzubauen, die darum bemüht sind, der heutigen Kultur das Licht des Evangeliums zu bringen. Ich versichere euch und eure Familien eines besonderen Gebetsgedenkens und rufe auf euch und auf die Universitäten, in denen ihr arbeitet, den mütterlichen Schutz Mariens, Sitz der Weisheit, herab. Jedem von euch erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.

BESUCH DER VATIKANISCHEN APOSTOLISCHEN BIBLIOTHEK UND DES VATIKANISCHEN GEHEIMARCHIVS


Montag, 25. Juni 2007



Herr Kardinal,
verehrte Mitbrüder im bischöflichen und im priesterlichen Dienst,
liebe Brüder und Schwestern!

Mit Freude habe ich die Einladung zum Besuch der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek und des Vatikanischen Geheimarchivs angenommen, die Herr Kardinal Jean-Louis Tauran, Archivar und Bibliothekar der Heiligen Römischen Kirche, an mich gerichtet hat. Aufgrund des wichtigen Dienstes, den sie für den Heiligen Stuhl und für die kulturelle Welt leisten, verdienen diese beiden Institutionen seitens des Papstes besondere Aufmerksamkeit. Deshalb bin ich gern gekommen, um mit euch zusammentreffen. Ich danke für den herzlichen Empfang und grüße euch alle von Herzen. An erster Stelle grüße ich Herrn Kardinal Jean-Louis Tauran und danke ihm für die Grußworte, die er an mich gerichtet und für die Empfindungen, die er in eurem Namen zum Ausdruck gebracht hat. Mit gleicher Zuneigung grüße ich Bischof Raffaele Farina und den Präfekten des Vatikanischen Geheimarchivs, P. Sergio Pagano, sowie euch alle, die ihr hier anwesend seid, und alle Mitarbeiter, die in der Bibliothek und im Archiv mit verschiedenen Aufgaben betraut sind. Liebe Freunde, eure Tätigkeit ist nicht nur eine Arbeit, sondern, wie ich schon sagte, ein einzigartiger Dienst, den ihr für die Kirche und insbesondere für den Papst leistet.

Im übrigen ist ja bekannt, daß die Vatikanische Bibliothek, in der - wie Kardinal Tauran angekündigt hat - demnächst umfangreiche Restaurierungsarbeiten durchgeführt werden, nicht rein zufällig den Beinamen »Apostolisch« trägt. Sie wird nämlich seit ihrer Gründung als »Bibliothek des Papstes« betrachtet, die ihm direkt unterstellt ist. Der Diener Gottes Johannes Paul II. wollte auch in jüngerer Zeit an dieses Band erinnern, das die Apostolische Bibliothek mit dem Nachfolger Petri verbindet; ein Band, das ihre außerordentliche Sendung ins Licht stellt, die schon Papst Sixtus IV. herausgestellt hat: »Ad decorem militantis Ecclesiae et fidei augmentum - Zur Zierde der streitenden Kirche und zur Verbreitung des Glaubens.« Noch ein anderer meiner Vorgänger, Papst Nikolaus V., griff dies auf und wies auf ihre Zielsetzung hin mit den Worten: »Pro communi doctorum virorum commodo - Zum Nutzen und zum allgemeinem Interesse der Wissenschaftler.« Die Vatikanische Bibliothek hat sich diesen Auftrag im Laufe der Jahrhunderte durch eine unvergleichliche Profilierung zu eigen gemacht und hat ihn verfeinert, so daß sie heute ein gastfreundliches Haus der Wissenschaft, der Kultur und der Menschlichkeit ist, das seine Türen für Gelehrte aus allen Teilen der Welt öffnet, ohne Unterschied von Herkunft, Religion und Kultur. Eure Aufgabe, liebe Freunde, die ihr hier täglich arbeitet, ist es, die Synthese zwischen Kultur und Glauben zu bewahren, die von den wertvollen Dokumenten ausgeht, von den Schätzen, die ihr hütet, von den Mauern, die euch umgeben, von den Museen in der Nähe und von der herrlichen Basilika, die vor euren Fenstern zu sehen ist.

Ich kenne die Arbeit gut, die im schlichten und beinahe verborgenen täglichen Einsatz im Geheimarchiv geleistet wird, das das Ziel so vieler Forscher aus aller Welt ist: In den Handschriften, die nicht so prächtig wie die reichgeschmückten Kodizes der Apostolischen Bibliothek sind, aber nicht weniger bedeutsam für das geschichtliche Interesse, suchen die Forscher nach den Wurzeln vieler kirchlicher und ziviler Institutionen. Sie erforschen die Geschichte längst vergangener und auch jüngerer Zeiten; sie können die Züge berühmter Gestalten der Kirche und der Gesellschaften nachzeichnen und das vielseitige Werk der römischen Päpste und vieler Hirten besser bekannt machen. Das Vatikanische Archiv, das durch den klugen Weitblick Leos XIII. im Jahr 1881 zur Konsultation der Gelehrten geöffnet wurde, hat ganzen Generationen von Historikern, ja selbst den europäischen Nationen als Bezugspunkt gedient, so daß sie in der Ewigen Stadt eigene Kulturinstitute errichtet haben, um die Forschungen in einem so alten und reichhaltigen »scrinium« [Schrein] der Kirche von Rom zu fördern. Heute zieht man das Geheimarchiv nicht nur bei gelehrten Forschungen zu Rate, die durchaus wertvoll, ehrenvoll und fernen Zeiten gewidmet sind, sondern auch aus Interesse für Epochen und Zeiten, die uns näher und auch sehr nahe sind. Das beweisen die ersten Früchte, welche die jüngste von mir im Juni 2006 beschlossene Öffnung der Akten des Pontifikats von Papst Pius XI. bis heute für die Forscher erbracht hat. Forschungen, Studien und Veröffentlichungen können manchmal neben einem rein geschichtlichen Interesse auch gewisse Polemiken hervorrufen. In dieser Hinsicht kann ich nicht umhin, die Haltung des selbstlosen und unvoreingenommenen Dienstes zu loben, die das Vatikanische Geheimarchiv eingenommen hat, indem es sich von sterilen und oft schwachen parteiischen Sichtweisen der Geschichte ferngehalten und den Forschern ohne Hindernisse oder Vorbehalte das dokumentarische Material angeboten hat, das, mit Ernsthaftigkeit und Kompetenz geordnet, in seinem Besitz ist.

Das Geheimarchiv und die Apostolische Bibliothek erhalten von vielen Seiten Zeichen der Würdigung und Hochschätzung von Kulturinstituten und privaten Gelehrten aus verschiedenen Nationen. Mir scheint, daß dies die beste Anerkennung ist, die sich die beiden Institutionen wünschen können. Und ich möchte beiden, ihren Leitern und dem gesamten Personal aller Stufen meinen aufrichtigen Dank und meine Verbundenheit aussprechen. Ich gestehe, daß ich mir bei der Vollendung des 70. Lebensjahres sehr gewünscht habe, der geliebte Papst Johannes Paul II. würde mir erlauben, daß ich mich dem Studium und der Erforschung interessanter Dokumente und Fundstücke widmen kann, die von euch sorgfältig gehütet werden; wahre Meisterwerke, die uns helfen, die Geschichte der Menschheit und des Christentums zu überschauen. Der Herr hatte in seinem providentiellen Ratschluß ein anderes Programm für meine Person vorgesehen, und da bin ich nun heute unter euch, nicht als leidenschaftlicher Forscher von alten Texten, sondern als Hirte, berufen, alle Gläubigen zu ermutigen, am Heil der Welt mitzuwirken, indem wir den Willen Gottes dort erfüllen, wo er uns zu arbeiten berufen hat.

Für euch, liebe Freunde, gilt es, im Kontakt mit den reichen Zeugnissen der Kultur, der Wissenschaft und der Spiritualität eure christliche Berufung zu verwirklichen, indem ihr eure Tage und schließlich einen guten Teil eures Lebens mit Studien und Veröffentlichungen, im Dienst an der Öffentlichkeit und insbesondere an den Organen der Römischen Kurie verbringt. Bei dieser vielseitigen Tätigkeit nutzt ihr die modernsten Techniken im Bereich Informatik, der Katalogisierung, der Restaurierung, der Fotografie und überhaupt bei allem, was den Schutz und die Verwendung des überaus reichen Erbes betrifft, das ihr aufbewahrt. Ich spreche euch für euren Einsatz mein Lob aus und ermutige euch, eure Arbeit immer als eine wahre Sendung zu verstehen, die mit Hingabe und Geduld, Freundlichkeit und Glaubensgeist auszuüben ist. Sorgt dafür, daß immer ein gastfreundliches Bild des Apostolischen Stuhls abgegeben wird in dem Bewußtsein, daß die Botschaft des Evangeliums auch über euer treues christliches Zeugnis vermittelt wird.

Zu meiner Freude gebe ich am Ende die Ernennung von Herrn Kardinal Jean-Louis Tauran zum Präsidenten des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog bekannt. Zum Archivar und Bibliothekar der Heiligen Römischen Kirche an seiner Stelle habe ich Msgr. Raffaele Farina ernannt und ihm zugleich die Erzbischofswürde verliehen. Für die Aufgabe des Präfekten der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek habe ich Msgr. Cesare Pasini, bisher Präfekt der altehrwürdigen Ambrosianischen Bibliothek, berufen. Jedem von ihnen entbiete ich schon jetzt meine besten Wünsche für einen fruchtbaren Verlauf der neuen Aufgaben.

121 Ich danke euch allen nochmals für den wertvollen Dienst, den ihr in der Apostolischen Bibliothek und im Vatikanischen Archiv leistet. Ich versichere euch meines Gedenkens im Gebet und erteile jedem einzelnen von Herzen und mit besonderer Zuneigung meinen Segen, in den ich gern eure Familien und eure Lieben einschließe.

AN EINE DELEGATION DES ÖKUMENISCHEN PATRIARCHATS VON KONSTANTINOPEL

Freitag, 29. Juni 2007



Liebe Brüder in Christus!

Mit großer Freude und aufrichtiger Hochachtung empfange ich euch und grüße euch mit den Worten, die der hl. Paulus an die Christen in Ephesus richtet: »Friede sei mit den Brüdern, Liebe und Glaube von Gott, dem Vater, und Jesus Christus, dem Herrn« (Ep 6,23). Es ist ein Gruß des Friedens, der Nächstenliebe und des Glaubens. Willkommen unter uns, liebe Brüder, anläßlich des Festes der Schutzpatrone dieser unserer Stadt, der hll. Petrus und Paulus! Durch ihr Martyrium haben sie den Glauben an Christus, den Erlöser, und die Liebe zu Gott, dem Vater, bezeugt. Dank eurer geschätzten Anwesenheit und durch die Bedeutung, die ihr zukommt, wird unser Fest noch freudiger, weil es schön ist, gemeinsam Gott die Ehre zu erweisen, der uns mit seiner Gnade erfüllt.

Die Erinnerung an den herzlichen Empfang im Phanar, der mir anläßlich des Festes des hl. Andreas im Rahmen meiner Apostolischen Reise in die Türkei im vergangenen November bereitet wurde, ist in meinen Gedanken und in meinem Herzen noch sehr lebendig und noch viel mehr ist es das unvergeßliche Treffen mit Seiner Heiligkeit Patriarch Bartholomaios I., mit dem Heiligen Synod und den Gläubigen. All dies erfüllt mich noch immer mit tiefer Bewegung und Dankbarkeit. Der Friedensgruß, den wir während der Göttlichen Liturgie ausgetauscht haben, bleibt ein Siegel und eine Verpflichtung für unser Leben als Hirten der Kirche, weil wir alle überzeugt sind, daß die gegenseitige Liebe die notwendige Voraussetzung ist, um zu jener vollen Einheit im Glauben und im kirchlichen Leben zu gelangen, zu der wir voller Vertrauen auf dem Weg sind. Darauf zielen in Wahrheit unsere gemeinsamen Initiativen ab: nämlich die Gefühle und die Beziehungen der Nächstenliebe zwischen unseren Kirchen und zwischen den einzelnen Gläubigen zu intensivieren, so daß wir jene Vorurteile und Mißverständnisse überwinden, die aus der jahrhundertelangen Trennung hervorgehen, um in der Wahrheit, aber in brüderlichem Geiste den Schwierigkeiten entgegenzutreten, die uns noch immer daran hindern, zum selben eucharistischen Tisch zu treten. In diesem Zusammenhang spielt das Gebet eine unerläßliche Rolle, weil nur der Herr unsere Schritte lenken und führen kann. Die Einheit ist vor allem ein Geschenk Gottes, das wir im gemeinsamen Gebet erflehen und in demütigem Gehorsam empfangen können, im Wissen um die Opfer, die der Weg der Annäherung an die Einheit mit sich bringt.

Daß es derzeit nicht möglich ist, gemeinsam die eine Eucharistie des Herrn zu feiern, ist ein Zeichen für die noch nicht voll wiederhergestellte Einheit: Wir wollen versuchen, diese Situation mit Entschlossenheit und Redlichkeit zu überwinden. Wir sind daher froh, daß der theologische Dialog mit neuem Geist und neuer Kraft seinen Weg wiederaufgenommen hat. Im kommenden Herbst wird sich die zuständige Gemischte Internationale Kommission treffen, um die Studien über eine zentrale und entscheidende Frage fortzuführen, nämlich über die ekklesiologischen und kanonischen Konsequenzen der sakramentalen Struktur der Kirche, im besonderen im Hinblick auf die Kollegialität und die Autorität innerhalb der Kirche. Wir alle wollen diese Arbeiten mit unserem ausdauerndem Gebet begleiten. Möge der Herr die katholischen und orthodoxen Mitglieder erleuchten, damit sie, auf der Grundlage der Heiligen Schrift und der Tradition der Kirche, Lösungsvorschläge finden, die dazu geeignet sind, wichtige Schritte in Richtung auf eine volle Gemeinschaft hin zu tun. Ich bin sehr froh, zu wissen, daß das Ökumenische Patriarchat und Patriarch Bartholomaios I. selbst mit ähnlichen Empfindungen die Aktivitäten dieser Kommission verfolgen.

Die Suche nach der vollen Einheit kann sich nicht auf die brüderlichen Beziehungen zwischen den Hirten und ebensowenig auf die sehr anspruchsvolle Arbeit der Gemischten Kommission für den theologischen Dialog beschränken; die Erfahrungen der Geschichte und der aktuellen Situation lehren uns, daß in verschiedenen Formen eine Einbeziehung des gesamten Leibes unserer Kirchen notwendig ist. Auf diesem geistlichen Weg spielen die theologischen Fakultäten und die Forschungs- und Lehrinstitute eine bevorzugte Rolle. Dies hatte bereits das Dekret über den Ökumenismus des Zweiten Vatikanischen Konzils gezeigt, als es mit Klarheit unterstrich: »Die Unterweisung in der heiligen Theologie und in anderen, besonders den historischen Fächern muß auch unter ökumenischem Gesichtspunkt geschehen, damit sie um so genauer der Wahrheit und Wirklichkeit entspricht«. Und das Konzilsdokument hat daraus folgenden Schluß gezogen: »Denn es liegt viel daran, daß die zukünftigen Hirten und Priester über eine Theologie verfügen, die ganz in diesem Sinne […] erarbeitet wurde« (Unitatis redintegratio UR 10). Wie wichtig sind die persönlichen und kulturellen Kontakte zwischen den jungen Studenten gerade in dieser Hinsicht! Ihr Austausch während der Spezialisierung nach der Universität ist ein fruchtbares Feld, wie uns die Erfahrungen des Katholischen Komitees für die Kulturelle Zusammenarbeit zeigen. Es sollte dann auch die katechistische Ausbildung der neuen Generationen unterstützt werden, damit sie ein volles Bewußtsein der eigenen kirchlichen Identität und der bestehenden Bande der Gemeinschaft mit den anderen Brüdern in Christus haben, ohne die Probleme und Hindernisse zu vergessen, die immer noch eine volle Gemeinschaft zwischen uns verhindern.

Liebe Brüder in Christus, eure Anwesenheit unter uns anläßlich des Festes der hll. Petrus uns Paulus bezeugt den Wunsch dieser gemeinsamen Suche. Ein Wunsch, der auch durch andere Treffen und Veranstaltungen, die von Katholiken und Orthodoxen auf lokaler Ebene veranstaltet wurden, zutage getreten ist. Außerdem fällt euer Besuch in diesem Jahr mit der von mir gemachten Ankündigung des »Paulus-Jahres« zusammen, einer wichtigen Initiative der katholischen Kirche. Es ist ein Jubiläumsjahr, das der Erinnerung an den hl. Paulus zur Zweitausendjahrfeier seiner Geburt gewidmet ist. Auch dies, dessen bin ich sicher, wird eine überaus günstige Gelegenheit sein, um Momente des Gebets, Studientreffen und Gesten der Brüderlichkeit zwischen Katholiken und Orthodoxen anzuregen. Möge der hl. Paulus, dieser große Künder des Evangeliums und unermüdlicher Baumeister der Einheit, uns helfen, der Stimme des Geistes zu folgen und die missionarische Glut zu erhalten, die seine gesamte Existenz entflammte. Mit diesen Empfindungen danke ich erneut einem jeden von euch für den Besuch und, während ich meinen Ausdruck der Zuneigung und der Wertschätzung an Seine Heiligkeit Bartholomaios I. erneuere, wünsche ich mir, daß wir gemeinsam jede nur mögliche Mühe intensivieren, die uns auf dem Weg zur vollen Gemeinschaft einander näherbringt. Hierzu erbitte ich für unsere Kirchen den reichen Segen Unseres Herrn Jesus Christus.

AN DIE BISCHÖFE AUS PUERTO RICO ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Samstag, 30. Juni 2007

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!


1. Mit großer Freude empfange ich euch, die Hirten der Kirche Gottes, die sich in Puerto Rico auf dem irdischen Pilgerweg befindet. Ihr seid zum »Ad-limina«-Besuch nach Rom gekommen, um die engen Bande zu festigen, die euch mit dem Apostolischen Stuhl verbinden. Durch jeden einzelnen von euch richte ich meinen herzlichen Gruß an die Priester, die Ordensgemeinschaften und die Laien eurer jeweiligen Teilkirchen und bringe ihnen meine Zuneigung und meine Wertschätzung zum Ausdruck.

122 Ich danke für die freundlichen Worte, die der Erzbischof von San Juan de Puerto Rico und Vorsitzende der Bischofskonferenz, Roberto Octavio González Nieves, im Namen aller an mich gerichtet hat. In ihnen hat er die Sorgen und Hoffnungen eures Hirtendienstes zum Ausdruck gebracht, der darauf ausgerichtet ist, das Gottesvolk auf dem Weg des Heiles zu leiten und mit Nachdruck den katholischen Glauben zu verkündigen, damit die Gläubigen besser ausgebildet werden.

2. Aus den Fünfjahresberichten geht die Sorge um die Herausforderungen und Schwierigkeiten, denen ihr in diesem Augenblick der Geschichte gegenübersteht, deutlich hervor. Tatsächlich hat sich im sozialen, wirtschaftlichen und auch im religiösen Bereich in den letzten Jahren vieles gewandelt. Das hat manchmal zu einer religiösen Gleichgültigkeit und zu einem gewissen moralischen Relativismus geführt, die die christliche Praxis beeinflussen und sich indirekt auch auf das Gesellschaftsgefüge auswirken. Diese religiöse Situation ist eine Herausforderung für euch als Hirten. Sie verlangt eure Einheit, um die Gegenwart des Herrn bei den Menschen spürbarer zu machen durch gemeinsame pastorale Initiativen, die den neuen Realitäten besser entsprechen.

Es ist grundlegend, das Geschenk der Einheit, um das Jesus den Vater für seine Jünger gebeten hat (vgl.
Jn 17,11), zu wahren und wachsen zu lassen. In eurer eigenen Diözese seid ihr berufen, die Einheit zu leben und zu bezeugen, die Christus für seine Kirche gewollt hat. Andererseits tragen eventuelle Unterschiede in den örtlichen Sitten und Gebräuchen - weit davon entfernt, eine Bedrohung für diese Einheit darzustellen - dazu bei, die Kirche aus dem gemeinsamen Glauben heraus zu bereichern. Und ihr als Nachfolger der Apostel sollt euch bemühen, »die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden« (Ep 4,3). Daher möchte ich daran erinnern, daß ihr alle, besonders die Bischöfe und Priester, zu einer unverzichtbaren Sendung berufen seid, die euch zutiefst verpflichtet: dafür zu sorgen, daß die Kirche ein Ort sei, an dem das Geheimnis der göttlichen Liebe gelehrt und gelebt wird. Das wird nur dann möglich sein, wenn man von einer echten Spiritualität der Gemeinschaft ausgeht, die in der Zusammenarbeit und im brüderlichen Leben sichtbar wird.

3. Eure vorrangige Aufmerksamkeit als Hirten muß den Priestern gelten. Sie stehen an den Vorposten der Evangelisierung und brauchen auf besondere Weise eure Fürsorge und pastorale Nähe. Eure Beziehung zu ihnen - als wahre Söhne, Freunde und Brüder - darf nicht nur institutioneller Art sein, sondern sie muß vor allem von der Liebe beseelt sein (vgl. 1P 4,8). Sie soll die Vaterschaft des Bischofs zum Ausdruck bringen, die besonders den kranken und betagten Priestern gezeigt werden muß, sowie denen, die sich in schwierigen Situationen befinden.

Die Priester ihrerseits müssen daran denken, daß sie vor allem Männer Gottes sind und daher für ihr geistliches Leben und ihre ständige Weiterbildung Sorge tragen müssen. Ihr ganzer Dienst, all ihre Arbeit »muß in der Tat mit dem Gebet beginnen«, wie der hl. Albertus Magnus sagt (Kommentar zur mystischen Theologie, 15). Jeder Priester wird in dieser Begegnung mit Gott die Kraft finden, seinen Dienst mit mehr Einsatz und Hingabe zu leben und ein Vorbild der Verfügbarkeit und der Loslösung von überflüssigen Dingen zu sein.

4. Was zukünftige Priesteramtskandidaten und Kandidaten für das geweihte Leben betrifft, so muß hervorgehoben werden, wie wichtig es ist, den Herrn der Ernte ohne Unterlaß zu bitten (vgl. Mt 9,38), der Kirche in Puerto Rico viele und heilige Berufungen zu schenken. Das gilt besonders in der gegenwärtigen Situation, in der die jungen Menschen oftmals Schwierigkeiten haben, dem Ruf des Herrn zum priesterlichen oder zum geweihten Leben zu folgen. Daher muß eine besondere Berufungspastoral verstärkt werden, die die Verantwortlichen für die Jugendseelsorge anspornt, mutige Mittler für den Ruf des Herrn zu sein. Vor allem darf man keine Angst haben, es den jungen Menschen vorzuschlagen, und muß sie dann im menschlichen sowie im geistlichen Bereich ständig begleiten, damit sie die Art ihrer Berufung erkennen können.

Bezüglich der Ausbildung der Priesteramtskandidaten muß der Bischof höchste Sorgfalt darauf verwenden, die für diese Sendung am meisten geeigneten und am besten vorbereiteten Ausbilder zu wählen. Unter Berücksichtigung der konkreten Situation und der Zahl der Berufungen in Puerto Rico könnte man - in gemeinsamer Übereinkunft und im Geiste der Einheit bei der pastoralen Planung - in Erwägung ziehen, die Kräfte und Ressourcen zu vereinigen, mit dem Ziel, bessere und überzeugendere Resultate zu erzielen. Das würde eine vorteilhaftere Auswahl der Ausbilder und Professoren ermöglichen, die jedem Seminaristen helfen sollen, als »reife und ausgeglichene Persönlichkeiten« zu wachsen, die »im geistlichen Leben gefestigt sind und die die Kirche lieben« (Pastores gregis ). Bei dieser heiklen Arbeit müssen sich alle Priester mitverantwortlich fühlen und neue Berufungen fördern, vor allem durch das eigene Vorbild und durch die ständige Begleitung derer, die aus ihrer eigenen Pfarrgemeinde oder aus einer Bewegung hervorgegangen sind.

5. Im gesellschaftlichen Bereich breitet sich eine Mentalität aus, die an einem Laizismus orientiert ist, der nach und nach mehr oder weniger bewußt zur Verachtung oder zur Unkenntnis des Heiligen führt, wobei der Glaube in den rein privaten Bereich zurückgedrängt wird. Eine korrekte Auffassung der Religionsfreiheit ist in diesem Sinne nicht mit dieser Ideologie vereinbar, die sich manchmal als die einzige Stimme der Vernunft ausgibt.

Eine ständige Herausforderung für euch ist auch die Familie, die von vielen Verlockungen der modernen Welt umgeben ist - wie dem vorherrschenden Materialismus, der Suche nach momentanem Genuß sowie dem Mangel an Stabilität und Treue unter den Ehepaaren, die einer ständigen Beeinflussung durch die Medien ausgesetzt sind. Wenn die Ehe nicht auf dem Fels der wahren Liebe und der gegenseitigen Hingabe aufgebaut ist, dann wird sie leicht zum Opfer der Scheidungsmentalität, wobei auch der Wert des Lebens, vor allem des Lebens der Ungeborenen, außer acht gelassen wird. Dieses Panaroma zeigt die Notwendigkeit auf, eine wirksame Familienseelsorge zu verstärken - wie ihr es bereits tut -, die den christlichen Eheleuten hilft, die Grundwerte des Sakraments, das sie empfangen haben, anzunehmen. Daher sollt ihr durch euer Lehramt und mit Treue zur Lehre Christi gegenüber gewissen Tendenzen in der heutigen Gesellschaft, die den einzigartigen und unersetzlichen Wert der Ehe zwischen Mann und Frau verdunkeln oder undeutlich machen wollen, die Wahrheit der Familie als Hauskirche und Heiligtum des Lebens verkünden.

6. Die bereits erwähnte religiöse Gleichgültigkeit, die Versuchung einer leichtfertigen moralischen Permissivität sowie die Unkenntnis der christlichen Tradition mit ihrem reichen geistlichen Erbe beeinflussen die jungen Generationen sehr stark. Die Kinder und Jugendlichen haben ein Recht darauf, vom Anbeginn ihrer Unterweisung an im Glauben und zu einem gesunden Lebenswandel erzogen zu werden. Daher kann die ganzheitliche Erziehung der Kinder auch nicht vom Religionsunterricht an den Schulen absehen. Eine solide religiöse Bildung ist darüber hinaus auch ein wirksamer Schutz angesichts des Vormarsches der Sekten oder anderer religiöser Gruppierungen, die gegenwärtig weit verbreitet sind.

7. Die katholischen Gläubigen, die berufen sind, für die zeitlichen Dinge Sorge zu tragen, um sie dem göttlichen Willen gemäß zu ordnen, müssen wertvolle Zeugen ihres Glaubens in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens sein. Ihre Teilnahme am kirchlichen Leben ist darüber hinaus grundlegend, und manchmal würde ohne ihre Mitarbeit euer Apostolat als Hirten nicht »alle Menschen aller Zeiten und überall auf der Erde« erreichen (Lumen gentium LG 33).

123 In diesem Zusammenhang möchte ich einige wichtige Worte in Erinnerung rufen, die mein Vorgänger Johannes Paul II. auf seiner Pastoralreise nach Puerto Rico ausgesprochen hat: »Wenn ihr bei der Ausübung eures Dienstes Fragen gegenübersteht, die konkrete Optionen mit politischem Charakter betreffen, dann unterlaßt es nicht, die moralischen Grundsätze zu verkünden, die die Grundlage jeder menschlichen Aktivität darstellen. Überlaßt jedoch den Laien mit gut ausgebildetem moralischen Gewissen die Ordnung der zeitlichen Dinge gemäß dem Plan Gottes. Ihr sollt Schöpfer der Gemeinschaft und der Brüderlichkeit sein, niemals der Trennung im Namen von Optionen, die das gläubige Volk rechtmäßig in seinen verschiedenen Formen wählen kann« (Ansprache an den Klerus im Sportpalast der Universität von Puerto Rico, 12.10.1984, 3).

8. Einige Teile eurer Gesellschaft leben im Überfluß, während andere großen Mangel leiden, der nicht selten in Armut übergeht. In diesem Zusammenhang ist die Großherzigkeit der Puertoricaner bekannt, die auf Hilfsappelle bei gewissen schweren Tragödien in der Welt solidarisch antworten. Es ist zu hoffen, daß dieselbe Großherzigkeit, koordiniert durch die Dienste der »Caritas« von Puerto Rico, auch angesichts jener Situationen wachsen möge, in denen Menschengruppen, Personen oder Familien vor Ort wirkliche Hilfe benötigen.

9. Liebe Brüder, die Evangelisierung und die Glaubenspraxis in Puerto Rico waren stets mit einer kindlichen Liebe zur Jungfrau Maria verbunden. Das bezeugen die Kirchen, Heiligtümer und Monumente ebenso wie die Frömmigkeitspraktiken und die volkstümlichen Feste zu Ehren der Mutter Gottes. Ihr vertraue ich eure pastoralen Pläne und Arbeiten an. Unter ihren mütterlichen Schutz stelle ich alle Priester und Ordensgemeinschaften, ebenso wie die Familien, die jungen Menschen, die Kranken und besonders die Notleidenden. Bringt allen den Gruß und die tiefe Zuneigung des Papstes, verbunden mit dem Apostolischen Segen.


ANSPRACHE 2007 Januar 2007 118