ANSPRACHE 2007 Januar 2007 191

191 Die zweite Reflexion, die ich euch anbieten möchte, betrifft die jüngste Enzyklika über die christliche Hoffnung, die - wie ihr wißt - den Titel trägt: Spe salvi, »auf Hoffnung hin sind wir gerettet«, ein Wort aus dem Brief des hl. Paulus an die Römer (8,24). Ich übergebe sie euch im Geiste, liebe Universitätsstudenten von Rom, und durch euch der ganzen Welt der Universität, der Schule, der Kultur, der Bildung und Erziehung. Paßt das Thema Hoffnung nicht besonders zu den Jugendlichen? Ich schlage euch insbesondere vor, den Teil der Enzyklika, in dem ich über die Hoffnung in der heutigen Zeit schreibe, auch in Gruppenarbeit zum Gegenstand eures Nachdenkens und eurer Auseinandersetzung zu machen. Im 18. Jahrhundert hat Europa eine wahre epochale Wende erlebt, und seitdem hat sich immer mehr eine Denkart gefestigt, nach der der menschliche Fortschritt nur das Werk der Wissenschaft und der Technik ist, während in den Bereich des Glaubens nur das Heil der Seele falle, ein rein individuelles Heil. Die zwei großen Ideen-Kräfte des modernen Denkens, die Vernunft und die Freiheit, haben sich gleichsam von Gott losgelöst, um unabhängig zu werden und zum Aufbau des »Reiches des Menschen« beizutragen, das dem Reich Gottes praktisch entgegengesetzt ist. So verbreitet sich eine materialistische Auffassung, die von der Hoffnung genährt wird, daß durch die Veränderung der wirtschaftlichen und politischen Strukturen endlich eine gerechte Gesellschaft ins Leben gerufen wird, in der Frieden, Freiheit und Gleichheit herrschen. Dieser Prozeß, dem es nicht an gewissen Werten und geschichtlichen Gründen fehlt, enthält jedoch einen grundlegenden Irrtum: Denn der Mensch ist nicht nur das Produkt bestimmter wirtschaftlicher oder sozialer Bedingungen; der technische Fortschritt fällt nicht notwendig mit dem moralischen Wachstum der Menschen zusammen; im Gegenteil, ohne ethische Grundsätze können die Wissenschaft, die Technik und die Politik - wie es schon geschehen ist und leider immer noch geschieht - nicht nur zum Wohl, sondern auch zum Schaden des einzelnen und der Menschheit genutzt werden.

Liebe Freunde, es handelt sich um sehr aktuelle Themenkreise, die euch zum Nachdenken anregen und die positive Auseinandersetzung sowie die schon bestehende Zusammenarbeit zwischen allen staatlichen, privaten und päpstlichen Universitäten begünstigen. Die Stadt Rom möge weiter ein bevorzugter Ort für das Studium und die kulturelle Vertiefung sein, wie es beim europäischen Treffen von über 3000 Hochschullehrern im Juni dieses Jahres geschehen ist. Rom soll auch Vorbild der Gastfreundschaft für die ausländischen Studenten sein. Und es freut mich, hier die Delegationen der Universitäten aus verschiedenen europäischen und amerikanischen Städten begrüßen zu können. Das Licht Christi, das wir auf die Fürsprache Mariens, des Sterns der Hoffnung, und der heiligen Jungfrau und Märtyrerin Lucia erbitten, deren Gedenktag wir heute feiern, erhelle immer euer Leben. Mit dieser Erwartung wünsche ich euch und euren Angehörigen von Herzen eine gnadenreiche und friedvolle Weihnacht, während ich allen von Herzen den Apostolischen Segen erteile. AN EINE DELEGATION AUS DEM GADERTAL

ANLÄSSLICH DER ÜBERGABE DES WEIHNACHTSBAUMES AUF DEM PETERSPLATZ


Clementina-Saal

Freitag, 14. Dezember 2007

Liebe Brüder und Schwestern!


N salüt a düc canc!

Danke für euren Besuch, über den ich mich freue; ganz besonders freue ich mich über das Geschenk, das ihr mir mitgebracht habt: den Christbaum, der neben der Krippe, die noch aufgebaut wird, den Petersplatz ziert. Einem jeden von euch gilt mein herzlicher Gruß, angefangen vom Herrn Landeshauptmann von Südtirol Dr. Luis Durnwalder und vom Herrn Bürgermeister von St. Martin in Thurn, denen ich auch für die freundlichen Worte danke, mit denen sie die gemeinsamen Empfindungen zum Ausdruck gebracht haben. Respektvoll grüße ich die zivilen Autoritäten aus Südtirol, die Vertreter der fünf Gemeinden des Gadertales und alle, die gekommen sind, um mit den traditionellen Trachten, der stimmungsvollen Musik und den örtlichen Produkten typische Elemente aus dem Land am Gaderbach in Rom bekannt zu machen. Herzlich grüße ich euren Bischof Wilhelm Egger, dem ich für die brüderlichen Worte danke, die er vorhin an mich gerichtet hat. Mit ihm grüße ich auch die Priester und die Pfarrgemeinderäte und schließe dabei in Gedanken gern auch alle Einwohner des Gadertales ein, die ihr hier vertretet.

Denn ich weiß, daß die ganze Bevölkerung des Tales in die Vorbereitungen dieses besonderen Ereignisses miteingebunden war, besonders auch die Schüler, die am Malwettbewerb „Der Christbaum im Vatikan“ teilgenommen haben. Allen danke ich für das wunderbare Geschenk dieser Fichte wie auch der anderen Bäume, die dazu beitragen, in den verschiedenen Räumen des Vatikans eine weihnachtliche Stimmung zu schaffen. Möge diese schöne Initiative unter allen Christen im Gadertal wieder neu das Verlangen wecken, die Werte des Lebens, der Liebe und des Friedens, die uns das Geburtsfest Christi Jahr für Jahr eindringlich in Erinnerung ruft, konsequent zu bezeugen.

Quest’anno, dunque, l’Albero di Natale di Piazza San Pietro proviene dal Trentino-Alto Adige, e precisamente dai boschi della Val Badia, la Gran Ega, stupenda conca soleggiata, situata ai piedi delle Dolomiti, contornata da incantevoli cime dalla caratteristica forma frastagliata tipica di quelle montagne. Questo vetusto abete, tagliato senza recare danno alla vita del bosco, adeguatamente addobbato, resterà accanto al Presepe fino al termine delle festività natalizie per essere ammirato dai numerosi pellegrini che da ogni parte del mondo giungeranno, nei prossimi giorni, in Vaticano. Significativo simbolo del Natale di Cristo, perché con le sue foglie sempre verdi richiama la vita che non muore, l’abete è pure simbolo della religiosità popolare della vostra Vallata che si esprime in modo particolare nelle processioni.

Mantenete vive queste belle tradizioni così sentite, e impegnatevi a renderle sempre più manifestazioni di una vita cristiana autentica ed operosa. In questo sforzo di testimonianza evangelica vi sia di esempio e di aiuto San Giuseppe Freinademetz, figlio illustre della vostra Terra. In lui, zelante missionario tra il popolo cinese, il genio spirituale ladino ha manifestato uno dei frutti più maturi di santità.

Cari amici, l’albero e il presepio sono elementi di quel clima tipico del Natale che fa parte del patrimonio spirituale delle nostre comunità. E’ un clima soffuso di religiosità e di intimità familiare, che dobbiamo conservare anche nelle odierne società, dove talora sembrano prevalere la corsa al consumismo e la ricerca dei soli beni materiali. Natale è festa cristiana e i suoi simboli - tra questi specialmente il presepe e l’albero addobbato di doni - costituiscono importanti riferimenti al grande mistero dell’Incarnazione e della Nascita di Gesù, che la liturgia del tempo dell’Avvento e del Natale costantemente rievoca. Il Creatore dell’universo, facendosi bambino, è venuto tra noi per condividere il nostro umano cammino; si è fatto piccolo per entrare nel cuore dell’uomo e così rinnovarlo con la onnipotenza del suo amore. Predisponiamoci pertanto ad accoglierlo con fede animata da salda speranza.

192 Liebe Freunde! Noch einmal darf ich euch allen meinen tief empfundenen Dank ausdrücken, euren Helfern zuhause, den Sponsoren und denen, die sich für den Transport des Baumes zur Verfügung gestellt haben. Danke für den Beitrag, den jeder von euch sehr großmütig geleistet hat. Ich nehme diese gute Gelegenheit wahr, um euch schon im voraus herzliche Wünsche für das nahe Weihnachtsfest und für die Weihnachtsfeiertage auszusprechen. Mit diesen Empfindungen versichere ich euch meines Gebetsgedenkens für euch und eure Familien, für die Bevölkerung des Gadertals und der ganzen Diözese Bozen-Brixen und erteile euch von Herzen den Apostolischen Segen.

Bun Nadé!

AN DIE BISCHÖFE AUS JAPAN ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Samstag, 15. Dezember 2007

Liebe Brüder im bischöflichen Dienst!

Ich freue mich, euch im Rahmen eures »Ad-limina«-Besuchs zu begrüßen, zu dem ihr gekommen seid, um die Gräber der Apostel Petrus und Paulus zu verehren. Ich danke euch für die freundlichen Worte, die Erzbischof Peter Takeo Okada in eurem Namen an mich gerichtet hat, und ich entbiete euch meine herzlichsten guten Wünsche und Gebete für euch selbst und für alle Menschen, die eurer Seelsorge anvertraut sind. Ihr seid in die Stadt gekommen, in der Petrus seine Sendung der Evangelisierung durchführte und von Christus Zeugnis ablegte bis zum Vergießen seines eigenen Blutes - und ihr seid gekommen, um den Nachfolger Petri zu begrüßen. Auf diese Weise stärkt ihr die apostolischen Fundamente der Kirche in eurem Land und bringt eure Gemeinschaft mit allen anderen Mitgliedern des Bischofskollegiums und mit dem römischen Bischof sichtbar zum Ausdruck (vgl. Pastores gregis ). Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einmal meinen Schmerz bekunden über das kürzliche Ableben von Kardinal Stephen Hamao, emeritierter Präsident des Päpstlichen Rates der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs, und meine Wertschätzung zum Ausdruck bringen für seine Jahre des Dienstes an der Kirche. In seiner Person veranschaulichte er die Bande der Gemeinschaft zwischen der Kirche in Japan und dem Heiligen Stuhl. Er möge ruhen in Frieden.

Im letzten Jahr feierte die Kirche mit großer Freude den 500. Jahrestag der Geburt des hl. Franz Xaver, des Apostels Japans. Gemeinsam mit euch danke ich Gott für die Missionsarbeit, die er in eurem Land durchführte, und für die Samen des christlichen Glaubens, die er zur Zeit der ersten Evangelisierung Japans pflanzte. Die Notwendigkeit, Christus furchtlos und mutig zu verkünden, ist eine bleibende Priorität für die Kirche, eine ernste Pflicht, die ihr von Christus auferlegt wurde, der den Aposteln den Auftrag erteilte: »Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!« (Mc 16,15). Eure Aufgabe ist es heute, nach neuen Wegen zu suchen, um die Botschaft Christi im kulturellen Kontext des modernen Japan lebendig zu erhalten.

Obgleich die Christen nur einen geringen Prozentsatz der Bevölkerung ausmachen, ist der Glaube ein Schatz, der mit der ganzen japanischen Gesellschaft geteilt werden muß. Eure Leitung in diesem Bereich muß den Klerus und die Ordensleute, Katecheten, Lehrer und Familien anregen, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die sie erfüllt (vgl. 1P 3,15). Dies wiederum erfordert eine gute Katechese, die auf den Lehren des Katechismus der Katholischen Kirche und des Kompendiums gründet. Laßt das Licht des Glaubens so vor den anderen leuchten, daß »sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen« (Mt 5,16).

In der Tat hungert die Welt nach der Botschaft der Hoffnung, die das Evangelium bringt. Selbst in Ländern, die so hoch entwickelt sind wie das eure, entdecken viele, daß wirtschaftlicher Erfolg und fortgeschrittene Technologie allein nicht ausreichen, um dem menschlichen Herzen Erfüllung zu bringen. Jeder, der Gott nicht kennt, ist »im letzten ohne Hoffnung, ohne die große, das ganze Leben tragende Hoffnung« (Spe salvi ).

Erinnert die Menschen daran, daß es mehr gibt im Leben als beruflichen Erfolg und Profit. Durch die tätige Nächstenliebe, in der Familie und in der Gemeinschaft, können sie »zu jener Begegnung mit Gott in Christus geführt werden, die in ihnen die Liebe weckt und ihnen das Herz für den Nächsten öffnet« (Deus caritas est ). Das ist die große Hoffnung, die die Christen in Japan ihren Mitbürgern anbieten können; sie ist der japanischen Kultur nicht fremd, sondern stärkt vielmehr all das, was im Erbe eurer geliebten Nation gut und edel ist, und verleiht ihm neuen Impuls. Die wohlverdiente Achtung, die die Bürger eures Landes der Kirche aufgrund ihres wertvollen Beitrags in der Erziehung, der Gesundheitsfürsorge und in vielen anderen Bereichen entgegenbringen, gibt euch Gelegenheit, mit ihnen in einen Dialog zu treten und ihnen freudig von Christus zu erzählen, dem »Licht, das jeden Menschen erleuchtet« (Jn 1,9).

Insbesondere die jungen Menschen laufen Gefahr, vom falschen Glanz der modernen säkularen Kultur irregeleitet zu werden. Dies erweist sich jedoch, wie all die größeren und kleineren Hoffnungen, die auf den ersten Blick so vielversprechend erscheinen (vgl. Spe salvi ), als eine falsche Hoffnung - und tragischerweise führt die Enttäuschung nicht selten zu Depression und Verzweiflung und sogar zum Selbstmord. Wenn ihre jugendliche Energie und Begeisterung auf die Dinge Gottes ausgerichtet werden können - sie allein sind ausreichend, um ihr tiefstes Verlangen zu stillen -, werden mehr junge Menschen inspiriert werden, ihr Leben Christus zu widmen, und einige werden einen Ruf wahrnehmen, ihm im Priestertum oder im Ordensleben zu dienen. Ladet sie ein, darüber nachzudenken, ob dies ihre Berufung sein mag. Habt niemals Angst, dies zu tun. Ermutigt ebenso eure Priester und Ordensleute, bei der Förderung von Berufungen tätig zu sein, leitet euer Volk im Gebet und bittet den Herrn, »Arbeiter für seine Ernte auszusenden« (Mt 9,38).

Die Ernte des Herrn in Japan setzt sich immer mehr aus Menschen verschiedener Nationalitäten zusammen, so daß die Einwanderer mehr als die Hälfte der katholischen Bevölkerung ausmachen. Das ist eine Gelegenheit, das Leben der Kirche in eurem Land zu bereichern und die wahre Katholizität des Gottesvolkes zu erfahren. Wenn ihr Schritte unternehmt, um sicherzustellen, daß alle sich in der Kirche willkommen fühlen, könnt ihr aus den vielen Gaben, die die Einwanderer mitbringen, schöpfen. Gleichzeitig müßt ihr stets wachsam bleiben, um sicherzustellen, daß die liturgischen und disziplinären Vorschriften der Universalkirche sorgfältig beachtet werden. Das moderne Japan ist ernsthaft entschlossen, mit der restlichen Welt in Beziehung zu treten, und die katholische Kirche kann durch ihre Universalität zu diesem Prozeß immer größerer Offenheit gegenüber der internationalen Gemeinschaft einen wertvollen Beitrag leisten.

193 Andere Nationen können auch von Japan lernen, von der Weisheit seiner alten Kultur und besonders vom Zeugnis für den Frieden, das die Stellung Japans auf der politischen Weltbühne in den letzten 60 Jahren gekennzeichnet hat. Ihr habt die Stimme der Kirche über die bleibende Bedeutung dieses Zeugnisses zu Gehör gebracht - eines Zeugnisses, das um so bedeutender ist in einer Welt, in der bewaffnete Konflikte den Unschuldigen soviel Leid bringen. Ich ermutige euch, auch weiterhin Angelegenheiten zu Wort zu bringen, die im Leben eurer Nation von öffentlichem Interesse sind, und sicherzustellen, daß eure Erklärungen unterstützt werden und weite Verbreitung finden, um auf allen Ebenen der Gesellschaft angemessenes Gehör zu finden. So kann die Botschaft der Hoffnung, die das Evangelium bringt, wirklich Geist und Herz berühren und zu größerer Zuversicht in die Zukunft führen, zu größerer Liebe und Achtung vor dem Leben, zu immer mehr Offenheit gegenüber dem Fremden und dem Gast in eurer Mitte.

»Wer Hoffnung hat, lebt anders; ihm ist ein neues Leben geschenkt worden« (Spe salvi ). In diesem Zusammenhang ist die bevorstehende Seligsprechung von 188 japanischen Märtyrern ein deutliches Zeichen der Stärke und der Lebenskraft des christlichen Zeugnisses in der Geschichte eures Landes. Von den ersten Anfängen an waren japanische Männer und Frauen bereit, ihr Blut für Christus zu vergießen. So »ist aus der Hoffnung dieser von Christus berührten Menschen Hoffnung für andere geworden, die im Dunkel und ohne Hoffnung lebten« (Spe salvi ). Gemeinsam mit euch danke ich Gott für das beredte Zeugnis von Peter Kibe und seinen Gefährten. »Sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht« und dienen jetzt Gott bei Tag und Nacht in seinem Tempel (
Ap 7,14-15).

Jetzt in der Adventszeit erwartet die ganze Kirche mit großem Verlangen auf die Feier der Geburt unseres Heilands. Ich bete darum, daß diese Zeit der Vorbereitung für euch und für die ganze Kirche in Japan eine Gelegenheit sein möge, um im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu wachsen, so daß der Friedensfürst wirklich eine Wohnstatt in euren Herzen finden möge. Ich vertraue euch alle sowie eure Priester, Ordensleute und Laien der Fürsprache des hl. Franz Xaver und der Märtyrer von Japan an und erteile von Herzen meinen Apostolischen Segen als Unterpfand der Freude und des Friedens im Herrn.



AN DAS POSTULATORENKOLLEGIUM DER KONGREGATION FÜR DIE SELIG- UND HEILIGSPRECHUNGSPROZESSE


Clementina-Saal

Montag, 17. Dezember 2007



Herr Kardinal,
verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Ich freue mich, euch, liebe Postulatoren und Postulatorinnen, zu empfangen und heiße euch herzlich willkommen. Ihr seid bei der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse akkreditiert, und gern ergreife ich die Gelegenheit, um euch meine Wertschätzung und Anerkennung für die Arbeit zum Ausdruck zu bringen, die ihr auf so lobenswerte Weise bei den Selig- und Heiligsprechungsverfahren leistet. Ich begrüße den Präfekten der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, Kardinal José Saraiva Martins, und danke ihm für die freundlichen Worte, die er an mich gerichtet und durch die er eure gemeinsamen Empfindungen zum Ausdruck gebracht hat. Mit ihm begrüße ich den Sekretär, Erzbischof Michele Di Ruberto, den Untersekretär und die Beamten dieses Dikasteriums, das zur unverzichtbaren und fachkundigen Mitarbeit mit dem Nachfolger Petri in einem Bereich von großer kirchlicher Bedeutung berufen ist.

Die heutige Begegnung fällt gleichsam auf den Vorabend des 25. Jahrestages der Veröffentlichung der Apostolischen Konstitution Divinus perfectionis Magister. Mit diesem Dokument, das am 25. Januar 1983 veröffentlicht wurde und das noch immer in Kraft ist, wollte mein geliebter Vorgänger, der Diener Gottes Johannes Paul II., die Durchführung der Selig- und Heiligsprechungsverfahren revidieren und gleichzeitig für eine innere Neuordnung der Kongregation sorgen, die den wissenschaftlichen Ansprüchen und den Anliegen der Oberhirten entgegenkommen sollte. Diese hatten oftmals für die Selig- und Heiligsprechungsverfahren mehr Beweglichkeit verlangt, jedoch unter Wahrung der Gründlichkeit der Erhebungen in diesem für das Leben der Kirche so wichtigen Bereich. Durch die Selig- und Heiligsprechungen dankt die Kirche nämlich Gott für die Gabe dieser seiner Kinder, die großherzig auf die göttliche Gnade zu antworten wußten; sie ehrt sie und ruft sie als Fürsprecher an. Gleichzeitig bietet sie diese leuchtenden Vorbilder allen Gläubigen zur Nachahmung an; alle sind durch die Taufe zur Heiligkeit berufen, sie ist das jedem Lebensstand dargebotene Ziel. Die Heiligen und die Seligen, die mit ihrem Leben Christus bekennen, seine Person und seine Lehre, und die eng mit ihm verbunden bleiben, sind gleichsam ein lebendiges Bild sowohl des einen als auch des anderen Aspekts der Vollkommenheit des göttlichen Meisters.

Gleichzeitig werden die kirchlichen Gemeinschaften, wenn sie auf so viele unserer Brüder und Schwestern schauen, die in allen Zeiten sich selbst vollkommen an Gott für sein Reich hingegeben haben, zu dem Bewußtsein geführt, daß auch in unserer Zeit Zeugen notwendig sind, dazu fähig, im konkreten täglichen Leben die ewige Wahrheit des Evangeliums zu verkörpern und daraus ein Heilswerkzeug für die ganze Welt zu machen. Auch darauf wollte ich hinweisen, als ich in der kürzlich veröffentlichten Enzyklika Spe salvi schrieb, »daß unser Tun nicht gleichgültig ist vor Gott und daher nicht gleichgültig für den Gang der Geschichte. Wir können uns und die Welt öffnen für das Hineintreten Gottes: der Wahrheit, der Liebe, des Guten. Das ist es, was die Heiligen taten, die als ›Mitarbeiter Gottes‹ zum Heil der Welt beigetragen haben« (). In den letzten Jahrzehnten gibt es ein zunehmendes religiöses und kulturelles Interesse an den Vorbildern der christlichen Heiligkeit, die das wahre Antlitz der Kirche zeigen, der Braut Christi »ohne Flecken oder Falten« (vgl. Ep 5,27). Wenn sie richtig in ihrer geistlichen Dynamik und in ihrer geschichtlichen Realität dargestellt werden, tragen die Heiligen dazu bei, das Wort des Evangeliums und die Sendung der Kirche glaubwürdiger und anziehender zu machen. Die Berührung mit ihnen öffnet den Weg für wahre geistliche Auferstehungen, dauerhafte Bekehrungen und eine Blüte neuer Heiliger. Die Heiligen bringen gewöhnlich andere Heilige hervor, und die Nähe zu ihnen oder auch nur zu ihren Spuren ist stets heilsam: Sie reinigt und erhebt den Geist und öffnet das Herz für die Liebe zu Gott und den Brüdern. Die Heiligkeit sät Freude und Hoffnung, sie antwortet auf den Durst nach Glück, den die Menschen auch heute verspüren.

194 Die kirchliche und soziale Bedeutung, die in der Tatsache liegt, immer neue Vorbilder der Heiligkeit anzubieten, macht also die Arbeit derer, die bei den Heilig- und Seligsprechungsverfahren mitarbeiten, besonders wertvoll. Sie alle sind berufen, wenn auch mit unterschiedlichen Rollen, sich ausschließlich in den Dienst der Wahrheit zu stellen. Aus diesem Grund müssen im Verlauf der Diözesanuntersuchung die Zeugen- und Urkundenbeweise gesammelt werden - sowohl die, die für die Heiligkeit und den Ruf der Heiligkeit oder des Martyriums der Diener Gottes sprechen, als auch die, die dagegen sprechen. Auf die Objektivität und die Vollständigkeit der Beweise, die in dieser ersten - und in gewisser Hinsicht grundlegenden - Phase des kanonischen Prozesses gesammelt werden, der unter der Verantwortlichkeit der Diözesanbischöfe stattfindet, müssen natürlich die Objektivität und die Vollständigkeit der »Positiones« folgen, die die Relatoren der Kongregation unter Mitarbeit der Postulationen vorbereiten. Die Aufgabe der Postulatoren ist also grundlegend, sowohl in der diözesanen als auch in der apostolischen Phase des Prozesses; ihre Arbeit muß einwandfrei sein, geprägt von Aufrichtigkeit und absoluter Ehrlichkeit. Von den Postulatoren wird fachliche Kompetenz, die Fähigkeit zur Entscheidungsfindung und Aufrichtigkeit verlangt, wenn sie den Bischöfen helfen, sowohl unter formalem als auch unter materiellem Gesichtspunkt vollständige, sachliche und gültige Untersuchungen einzuleiten. Nicht weniger heikel und wichtig ist die Hilfe, die sie dem Dikasterium für die Heilig- und Seligsprechungsprozesse bei der verfahrensmäßigen Suche nach der Wahrheit leisten. Diese muß durch eine angemessene Erörterung erlangt werden, die die zu erwerbende moralische Gewißheit und die real zur Verfügung stehenden Beweismittel in Betracht zieht.

Liebe Brüder und Schwestern, der Heilige Geist, Quelle und Urheber der christlichen Heiligkeit, erleuchte euch in eurer Arbeit. Die Jungfrau Maria, Mutter der Kirche, die Heiligen, die Seligen und die Diener Gottes, um deren Prozesse ihr euch kümmert, mögen vom Herrn erlangen, daß ihr sie stets mit Treue und Liebe zur Wahrheit verrichtet. Das Gebet für euch verbinde ich gern mit dem guten Wunsch, daß auch ihr selbst den Spuren der Heiligen folgen mögt, so wie mehrere Postulatoren es getan haben, deren Seligsprechungsprozeß im Gange ist. Das heilige Weihnachtsfest steht nun unmittelbar bevor, und so bringe ich abschließend euch, euren Angehörigen und denen, die euch nahestehen, meine besten Wünsche zum Ausdruck, während ich euch alle von Herzen segne.

AN DIE KINDER- UND JUGENDSEKTION DER KATHOLISCHEN AKTION ITALIENS

Donnerstag, 20. Dezember 2007

Liebe Jungen und Mädchen der Katholischen Aktion,


mit großer Freude heiße ich euch willkommen. Euer heutiger Besuch im Haus des Papstes weist darauf hin, daß das heilige Weihnachtsfest unmittelbar bevorsteht, jenes Fest, auf das ihr Kinder euch besonders freut. An einen jeden von euch richte ich meinen herzlichen Gruß und meinen aufrichtigen Dank für die Empfindungen und Gebete, die ihr mir im Namen eurer Freunde und der gesamten großen Familie der Katholischen Aktion Italiens zugesichert habt. Mein besonderer Gruß geht an den nationalen Präsidenten, Prof. Luigi Alici, und an Bischof Domenico Sigalini, den ich vor kurzem zum Generalassistenten der Katholischen Aktion ernannt habe, wie auch an den Verantwortlichen und den Assistenten der Kinder- und Jugendsektion der Katholischen Aktion (ACR) und an ihre Mitarbeiter. In diesen Gruß sind auch all jene eingeschlossen, die sich um eure menschliche, geistliche und apostolische Ausbildung kümmern.

Es erfüllt mich mit Freude, daß ihr soeben die Worte eines Mädchens zitiert habt, nämlich von Antonia Meo, die »Nennolina« genannt wurde. Vor gerade drei Tagen habe ich mit einem Dekret ihren heroischen Tugendgrad anerkannt, und ich hoffe, daß ihr Seligsprechungsverfahren bald zu einem glücklichen Abschluß gebracht werden kann. Welch leuchtendes Beispiel hat dieses Kind, das so alt war wie ihr, euch hinterlassen! Nennolina, dieses Mädchen aus Rom, hat sich in ihrem so kurzen Leben - sie wurde nur sechseinhalb Jahre alt - durch besonderen Glauben, Hoffnung und Liebe sowie durch andere christliche Tugenden ausgezeichnet. Obwohl sie ein zartes Mädchen war, vermochte sie ein klares und deutliches Zeugnis für das Evangelium abzulegen, und sie hat tiefe Spuren in der Diözesangemeinschaft von Rom hinterlassen. Nennolina gehörte der Katholischen Aktion an: heute wäre sie sicherlich Mitglied eurer Kinder- und Jugendsektion! Ihr könnt sie also als eure Freundin ansehen und als Vorbild, an dem ihr euch orientieren könnt. Ihr so einfaches und zugleich so bedeutsames Leben zeigt, daß die Heiligkeit in jedem Alter möglich ist: für Kinder und für Jugendliche, für Erwachsene und für alte Menschen. In jedem Abschnitt unseres Lebens können wir uns dafür entscheiden, Jesus ernsthaft zu lieben und Ihm treu nachzufolgen. In wenigen Jahren hat Nennolina den Gipfel der Vollkommenheit erreicht, den zu erklimmen wir alle berufen sind, und sie ging zügig voran auf der »Schnellstraße«, die zu Jesus führt. Wie ihr selbst daran erinnert habt, ist Jesus der wahre »Weg«, der uns zum Vater und in sein und unser endgültiges Haus, ins Paradies, führt. Ihr wißt, daß Antonia nun bei Gott lebt und euch vom Himmel aus nahe ist: Nehmt ihre Gegenwart unter euch und in euren Gruppen wahr! Bemüht euch darum, sie kennenzulernen und ihrem Beispiel zu folgen. Ich glaube, sie wird sich darüber freuen, noch immer in die Katholische Aktion »miteinbezogen« zu sein!

Weihnachten steht unmittelbar bevor, und ich möchte euch von Herzen ein frohes und gesegnetes Fest wünschen. Gestattet mir, euch zugleich meine besten Wünsche für das vor uns liegende Jahr auszusprechen. Ich tue dies in Anlehnung an euer Leitwort für das Jahr 2008: Möget ihr stets mit Freude auf der Straße des Lebens mit Jesus vorangehen. Er hat einst gesagt: »Ich bin der Weg« (Jn 14,6). Jesus ist der Weg, der zum wahren Leben führt, zum Leben, das kein Ende hat. Dieser Weg ist oft eng und steil, aber, wenn wir uns von Ihm anziehen lassen, ist dieser Weg so wunderschön wie ein Bergpfad: je weiter man hinaufsteigt, um so besser kann man von oben stets neue, noch schönere und weitere Panoramen bewundern. Der Weg ist anstrengend, aber wir sind nie allein: wir helfen uns gegenseitig, wir warten aufeinander und wir reichen denen, die nicht nachkommen, die Hand… Wichtig ist, daß wir uns nicht verlaufen, daß wir nicht vom Weg abkommen, sonst besteht die Gefahr, daß wir in einen Abgrund stürzen oder uns im Wald verirren! Liebe Jungen und Mädchen, Gott ist Mensch geworden, um uns den Weg zu zeigen, ja, indem er Kind wurde, ist er selbst zum »Weg« geworden - auch für euch Jungen und Mädchen: er war wie ihr, er hatte euer Alter. Folgt Ihm in Liebe nach, und legt dabei jeden Tag eure Hand in seine Hände.

Was ich euch sage, gilt in gleicher Weise für uns Erwachsene. Ich wünsche also der gesamten Katholischen Aktion Italiens, daß sie vereint und zielstrebig auf dem Weg Jesu vorangeht, um in Kirche und Gesellschaft dafür Zeugnis zu geben, daß dieser Weg schön ist; es ist wahr, daß er anstrengend ist, aber er führt zur wahren Freude. Vertrauen wir diesen Wunsch, der auch ein Gebet ist, der mütterlichen Fürsprache Mariens an, Mutter der Hoffnung und Stern der Hoffnung. Sie, die mit Bangen die Geburt Jesu, ihres Sohnes, erwartet und vorbereitet hat, helfe auch uns, das bevorstehende Weihnachtsfest in einer Atmosphäre tiefer Frömmigkeit und geistlicher Freude zu feiern. Meine herzlichen Wünsche werden begleitet von meinem besonderen Apostolischen Segen für euch, die ihr hier anwesend seid, für eure Lieben und für die gesamte Familie der Katholischen Aktion. Frohe Weihnachten! AN DIE RÖMISCHE KURIE BEIM WEIHNACHTSEMPFANG
Clementina-Saal

Freitag, 21. Dezember 2007



Meine Herren Kardinäle,
195 verehrte Mitbrüder im bischöflichen und im priesterlichen Dienst,
liebe Brüder und Schwestern!

In dieser Begegnung empfinden wir bereits die Freude des schon nahen Weihnachtsfestes. Ich bin Ihnen zutiefst dankbar für Ihre Teilnahme an diesem traditionellen Treffen, dessen besondere geistliche Atmosphäre der Kardinaldekan Angelo Sodano sehr schön wachgerufen hat, indem er das Zentralthema der jüngst erschienenen Enzyklika über die christliche Hoffnung ansprach. Ich danke ihm herzlich für die warmen Worte, mit denen er die Glückwünsche des Kardinalskollegiums, der Mitglieder der Römischen Kurie und des Governatorats sowie der Päpstlichen Vertreter in aller Welt zum Ausdruck gebracht hat. Unsere Gemeinschaft ist wirklich - wie Sie, Herr Kardinal, hervorgehoben haben - eine »Arbeitsgemeinschaft«, die zusammengehalten wird mit Banden der Geschwisterlichkeit, welche durch die weihnachtlichen Festlichkeiten erneut gestärkt werden. In diesem Geist haben Sie es sinnvollerweise nicht versäumt, die ehemaligen Mitglieder unserer Kurienfamilie zu erwähnen, die in den vergangenen Monaten die Schwelle der Zeit überschritten haben und in den Frieden Gottes eingegangen sind: Bei einem Anlaß wie diesem tut es dem Herzen wohl, die Nähe derjenigen zu spüren, die gemeinsam mit uns der Kirche gedient haben und nun am Thron Gottes für uns eintreten. Danke also, Herr Kardinaldekan, für Ihre Worte und danke an alle Anwesenden für den Beitrag, den jeder einzelne zur Erfüllung des Dienstes leistet, den der Herr mir aufgetragen hat.

Ein weiteres Jahr geht zu Ende. Als erstes herausragendes Ereignis dieses so schnell verflossenen Zeitabschnitts möchte ich die Reise nach Brasilien erwähnen. Ihr Ziel war die Begegnung mit der V. Generalkonferenz des Episkopats von Lateinamerika und den Karaiben und so überhaupt eine Begegnung mit der Kirche im weit erstreckten lateinamerikanischen Kontinent. Einige Höhepunkte dieser Reise möchte ich erwähnen, bevor ich zur Konferenz von Aparecida selbst komme. Zunächst bleibt mir der festliche Abend mit der Jugend im Stadion von São Paulo im Gedächtnis, an dem uns alle, trotz der kalten Temperaturen, eine große innere Freude, eine lebendige Erfahrung der Gemeinsamkeit und ein klarer Wille verband, aus dem Geist Jesu Christi heraus Diener der Versöhnung, Freunde der Armen und Leidenden, Boten des Guten zu sein, das uns im Evangelium aufgeleuchtet ist. Es gibt Massenkundgebungen, die nur wie eine Selbstbestätigung wirken; in denen man sich nur in den Taumel des Rhythmus und der Klänge einsinken läßt und dabei sich selbst genießt. Aber hier öffnete sich gerade das Selbst; das Miteinander, das sich an diesem Abend unter uns ganz spontan bildete, trug ein Füreinander in sich. Es war nicht Flucht vor dem Alltag, sondern wurde Kraft, ihn neu anzunehmen. Ich möchte jedenfalls den jungen Menschen herzlich danken, die diesen Abend gestaltet haben, für ihr Mitsein, für ihr Singen, Sprechen, Beten, das uns von innen her gereinigt, besser gemacht hat - besser auch für die anderen.

Unvergessen bleibt auch der Tag, an dem ich zusammen mit einer großen Zahl von Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Gläubigen feierlich Frei Galvão, einen Sohn Brasiliens, kanonisieren, zum Heiligen der ganzen Kirche erklären durfte. Überall grüßten uns seine Bilder, aus denen die Güte des Herzens herausleuchtete, die er in der Begegnung mit Christus und in seiner Ordensgemeinschaft gefunden hatte. Über die endgültige Wiederkunft Christi in der Parusie ist uns gesagt, daß er nicht allein, sondern mit allen seinen Heiligen kommen wird. So ist jeder Heilige, der in die Geschichte hereintritt, schon ein Stück der Wiederkunft Christi, ein neues Ankommen des Herrn, das uns sein Bild auf neue Weise zeigt, uns seiner Gegenwart gewiß werden läßt. Jesus Christus gehört nicht der Vergangenheit an und ist nicht in eine weit entfernte Zukunft entrückt, um die wir gar nicht bitten mögen. Er kommt in einer großen Prozession von Heiligen. Er ist immer schon mit seinen Heiligen unterwegs zu uns, in unser Heute.

Besonders lebendig steht in meinem Gedächtnis der Tag in der Fazenda da Esperança, in der Menschen, die in die Knechtschaft der Droge geraten waren, wieder Freiheit und Hoffnung finden. Beim Ankommen dort ist mir als erstes die heilende Kraft der Schöpfung Gottes neu aufgegangen. Grüne Berge umstehen das weite Tal; sie weisen in die Höhe und geben zugleich ein Gefühl der Geborgenheit. Aus dem Tabernakel der kleinen Kirche der Karmelitinnen fließt eine Quelle reinen Wassers, die an die Ezechiel-Prophetie vom Wasser aus dem Tempel erinnert, das das salzige Land entgiftet und Bäume wachsen läßt, die Leben geben. Die Schöpfung müssen wir nicht nur unserer Zweckmäßigkeiten wegen schützen, sondern ihrer selbst wegen - als Botschaft des Schöpfers, als Geschenk der Schönheit, die Verheißung und Hoffnung ist. Ja, der Mensch braucht die Transzendenz. Gott allein genügt, hat Teresa von Avila gesagt. Wenn er ausfällt, dann muß der Mensch selber die Welt zu entgrenzen versuchen, sich den unendlichen Raum öffnen, für den er geschaffen ist. Die Droge wird ihm geradezu zur Notwendigkeit. Aber alsbald entdeckt er, daß dies nur eine Schein-Unendlichkeit ist - ein Spott des Teufels auf den Menschen, möchte man sagen. Dort, in der Fazenda der Hoffnung, wird die Welt wieder wirklich entgrenzt, der Blick auf Gott hin, auf die Weite unseres Lebens öffnet sich, und so geschieht Heilung. All denen, die dort wirken, gilt mein aufrichtiger Dank, und all denen, die dort Heilung suchen, mein herzlicher Segenswunsch.

Schließlich möchte ich an die Begegnung mit den brasilianischen Bischöfen in der Kathedrale von São Paulo erinnern. Die festliche Musik, die uns begleitet hat, bleibt unvergeßlich. Es hat sie besonders schön gemacht, daß sie von armen Jugendlichen jener Stadt dargeboten wurde, die sich zu Chor und Orchester zusammengefunden hatten. Sie haben uns so die Erfahrung der Schönheit geschenkt, die mit zu den Gaben gehört, durch die der Alltag der Welt entgrenzt wird und wir Größeres vernehmen, das uns der Schönheit Gottes gewiß werden läßt. Das Erlebnis der »effektiven und affektiven Kollegialität«, der brüderlichen Gemeinschaft im gemeinsamen Dienst hat uns die Freude der Katholizität spüren lassen: Über alle geographischen und kulturellen Grenzen hin sind wir Brüder mit dem auferstandenen Christus, der uns in seinen Dienst gerufen hat.

Schließlich Aparecida. Ganz besonders hat mich die kleine Figur der Madonna berührt. Arme Fischer, die immer wieder vergeblich ihre Netze auswarfen, haben sie aus dem Fluß gezogen; darauf folgte endlich dann auch der reiche Fischfang. Es ist die Madonna der Armen, die selbst arm und klein geworden ist. So ist gerade durch den Glauben und die Liebe der Armen um diese Figur herum die große Wallfahrtskirche geworden, die doch immer auf die Armut Gottes, auf die Demut der Mutter verweist und darum Tag um Tag Heimstatt und Zufluchtsort der Betenden und Hoffenden ist. Es war gut, daß wir uns dort versammelt haben und dort das Dokument dieser Generalversammlung erarbeitet haben, das unter dem Thema steht: »Discipulos e misioneros de Jesucristo, para que en Él tengan la vida.« Man könnte natürlich sofort fragen: War dies das rechte Thema in dieser unserer historischen Stunde? War es nicht zu sehr eine Wendung nach innen in einem Augenblick, in dem die großen Herausforderungen der Geschichte, die drängenden Fragen der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freiheit den vollen Einsatz aller Menschen guten Willens, gerade auch der Christenheit und der Kirche verlangen? Hätte man sich nicht diesen Fragen stellen müssen, anstatt in die Innenwelt des Glaubens zurückzukehren?

Stellen wir diesen Einwand einstweilen zurück. Bevor wir darauf antworten, ist es notwendig, das Thema selbst in seiner wahren Bedeutung richtig zu verstehen; wenn dies geschieht, ergibt sich die Antwort auf den Einwand von selbst. Das Zielwort des Themas lautet: das Leben finden - das eigentliche Leben. Das Thema setzt dabei voraus, daß dieses Ziel, worin wohl alle übereinstimmen können, in der Jüngerschaft Jesu Christi sowie im Einsatz für sein Wort und seine Gegenwart erreicht wird. Die Christen in Lateinamerika und mit ihnen in der ganzen Welt werden also zuallererst eingeladen, wieder mehr »Jünger Jesu Christi« zu werden, was wir ja eigentlich durch die Taufe schon sind und doch immer wieder neu werden müssen in der lebendigen Aneignung des Geschenks dieses Sakramentes. Jünger Christi sein - was heißt das? Nun, das bedeutet zuerst: ihn kennenlernen. Wie geschieht das? Es ist eine Einladung, ihm zuzuhören, wie er im Wort der Heiligen Schrift zu uns spricht, wie er im gemeinsamen Beten der Kirche und in den Sakramenten, wie im Zeugnis der Heiligen uns anredet und auf uns zugeht. Christus kennenlernen kann man nie nur theoretisch. Man kann in großer Gelehrsamkeit alles wissen über die Heiligen Schriften, ohne ihm begegnet zu sein. Zum Kennenlernen gehört das Mitgehen mit ihm, das Eintreten in seine Gesinnungen, wie der Philipper-Brief sagt (2,5). Diese Gesinnungen beschreibt der heilige Paulus kurz so: Die Liebe haben, miteinander eine Seele sein (sympsychoi), einträchtig sein, nichts aus Ehrgeiz und Prahlerei tun, nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auf das des anderen bedacht sein (2,2-4). Katechese kann nie nur intellektuelle Belehrung sein, sie muß auch Einübung in die Lebensgemeinschaft mit Christus, Einübung in die Demut, in die Gerechtigkeit und in die Liebe werden. Nur so gehen wir mit Jesus Christus auf seinem Weg, nur so öffnet sich das Auge unseres Herzens; nur so lernen wir die Schrift zu verstehen und begegnen wir Ihm. Begegnung mit Jesus Christus verlangt das Zuhören, verlangt das Antworten im Gebet und im Tun dessen, was er uns sagt. Indem wir Christus kennenlernen, lernen wir Gott kennen, und nur von Gott her verstehen wir den Menschen und die Welt, die sonst ein sinnloses Fragen bleibt.

Jünger Jesu Christi werden ist also ein Weg der Erziehung zu unserem wahren Sein, zum rechten Menschsein. Im Alten Testament wurde die Grundhaltung des Menschen, der Gottes Wort lebt, in dem Begriff Zadik - der Gerechte - zusammengefaßt: Wer nach dem Wort Gottes lebt, wird ein Gerechter; er tut und lebt die Gerechtigkeit. Im Christentum ist die Haltung der Jünger Jesu Christi dann in einem anderen Wort formuliert worden: der Gläubige. Der Glaube umfaßt alles; das Mitsein mit Christus und mit seiner Gerechtigkeit wird in diesem Wort nun zusammen ausgesagt. Wir empfangen im Glauben Christi Gerechtigkeit und leben sie selbst, geben sie weiter. Das Dokument von Aparecida konkretisiert dies alles, indem es von der guten Botschaft über die Menschenwürde, über das Leben, über die Familie, über Wissenschaft und Technologie, über die menschliche Arbeit, über die universale Bestimmung der Güter der Erde und die Ökologie redet: Dimensionen, in denen sich unsere Gerechtigkeit entfaltet, Glaube gelebt und auf die Herausforderungen der Zeit geantwortet wird.

Der Jünger Jesu Christi muß auch »Missionar«, Bote des Evangeliums sein, so sagt uns dieses Dokument. Auch hier erhebt sich ein Einwand: Soll man heute noch »missionieren«? Sollen nicht lieber alle Religionen und Weltanschauungen friedlich zusammenleben und miteinander das Beste für die Menschheit zu tun versuchen, jeder auf seine eigene Art? Nun, daß wir alle in Toleranz und Respekt zusammenleben und zusammenwirken sollen, ist unbestritten. Die katholische Kirche setzt sich mit großem Nachdruck dafür ein und hat mit den beiden Begegnungen von Assisi auch deutliche Zeichen in diese Richtung gesetzt, die wir in diesem Jahr in der Begegnung in Neapel neu aufgegriffen haben. In diesem Zusammenhang möchte ich hier gerne das Schreiben erwähnen, das mir am vergangenen 13. Oktober 138 muslimische Religionsführer freundlicherweise zugesandt haben, um mir ihren gemeinsamen Einsatz für die Förderung des Friedens in der Welt zu bezeugen. Mit Freude habe ich in meiner Antwort meine volle Zustimmung zu diesen edlen Absichten bekundet und zugleich die Dringlichkeit einträchtiger Bemühungen zur Wahrung der Werte der gegenseitigen Achtung, des Dialogs und der Zusammenarbeit betont. Die einmütige Anerkennung der Existenz eines einzigen Gottes, der weiser Schöpfer und allgemeiner Richter über das Verhalten eines jeden ist, bildet die Voraussetzung für ein gemeinsames Handeln zum Schutz der effektiven Achtung der Würde jedes Menschen zum Aufbau einer gerechteren und solidarischeren Gesellschaft.


ANSPRACHE 2007 Januar 2007 191