ANSPRACHE 2008 Januar 2008 178

178 Herr Präsident, mein heutiger Besuch findet an einem Tag statt, an dem Italien mit großer Freude seinen besonderen Schutzpatron feiert: den hl. Franz von Assisi. Unter anderem hat Pius XI. sich gerade auf den hl. Franziskus bezogen, als er die Unterzeichnung der Lateranverträge und vor allem die Verfassung des Staates der Vatikanstadt verkündigte: für jenen Papst bedeutete die neue Souveränität, wie für den »Poverello«, »so viel Leib, wie ausreichend ist, um die Seele beieinander zu halten« (Ansprache vom 11. Februar 1929). Gemeinsam mit der hl. Katherina von Siena wurde der hl. Franziskus von den italienischen Bischöfen als himmlischer Schutzpatron Italiens vorgeschlagen und vom Diener Gottes Pius XII. bestätigt (vgl. Licet commissa vom 18. Juni 1939; AAS XXXI [1939], 256-257). Dem Schutz dieses großen Heiligen und berühmten Italieners wollte Papst Pacelli in einem Moment, in dem Europa immer stärker durch einen Krieg bedroht wurde, der auch Ihr »bel Paese« auf dramatische Weise betraf, das Schicksal Italiens anvertrauen.

Die Entscheidung für den hl. Franziskus als Patron Italiens hat ihren Grund in der tiefen Übereinstimmung zwischen der Persönlichkeit und dem Handeln des »Poverello« von Assisi und der erhabenen italienischen Nation. Wie der Diener Gottes Johannes Paul II. während des am selben Tag des Jahres 1985 erfolgten Besuches des damaligen Präsidenten Francesco Cossiga im Vatikan in Erinnerung rufen wollte: »Schwerlich ließe sich eine andere Gestalt finden, die die Wesenszüge des italienischen Geistes auf ebenso reiche und harmonische Weise verkörpert. In einer Zeit, in der die Entwicklung der freien Stadtrepubliken Prozesse der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Erneuerung auslöste, die die alte Welt des Feudalismus in ihren Grundfesten erschütterten - erklärte Papst Wojtyla weiter -, brachte Franziskus es fertig, sich zwischen den sich befehdenden Parteien zu erheben, um in voller Treue zur Kirche, als deren Sohn er sich fühlte, und in völliger Zugehörigkeit zu dem Volk, dem er sich verbunden wußte, das Evangelium des Friedens und der Liebe zu verkündigen« (O.R. dt. Nr. 44 v. 1.11.1985, S. 5).

In diesem Heiligen, dessen Gestalt Gläubige wie Nichtgläubige anzieht, können wir das Bild der immerwährenden Sendung der Kirche auch in ihrem Verhältnis zur bürgerlichen Gesellschaft ausmachen. Die Kirche fährt in der gegenwärtigen Zeit tiefer und oftmals als schwierig empfundener Veränderungen damit fort, allen die Heilsbotschaft des Evangeliums zu verkünden, und bemüht sich, zum Aufbau einer Gesellschaft beizutragen, die auf Wahrheit und Freiheit, auf der Achtung des Lebens und der menschlichen Würde, auf Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Solidarität beruht. Wie ich bei anderer Gelegenheit schon wiederholt habe, »strebt die Kirche nicht nach Macht, noch verlangt sie Privilegien oder trachtet nach wirtschaftlich oder sozial vorteilhaften Positionen. Ihr einziges Ziel ist es, dem Menschen zu dienen, wobei sie sich, als oberste Maßregel, an den Worten und am Beispiel Jesu Christi orientiert, der ›umherzog, Gutes tat und alle heilte‹ (
Ac 10,38)« (Ansprache vom 4. Oktober 2007, O.R. dt. Nr. 42 v. 19.10.2007, S. 11).

Um ihren Auftrag zu erfüllen, muß die Kirche immer und überall das Recht umfassender Religionsfreiheit genießen können. Bei der Versammlung der Vereinten Nationen, die in diesem Jahr den 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte begeht, habe ich unterstreichen wollen: »Die volle Gewährleistung der Religionsfreiheit kann nicht auf die freie Ausübung des Kultes beschränkt werden, sondern muß in richtiger Weise die öffentliche Dimension der Religion berücksichtigen, also die Möglichkeit der Gläubigen, ihre Rolle im Aufbau der sozialen Ordnung zu spielen« (Ansprache vom 18. April 2008, O.R. dt. Nr. 17 v. 25.4.2008, S. 14-15). Die Kirche bietet diesen Beitrag zum Aufbau der Gesellschaft auf vielfältige Weise an, da sie ein Leib mit vielen Gliedern ist, eine gleichzeitig geistliche und sichtbare Realität, deren Glieder verschiedene Berufungen, Aufgaben und Rollen haben. Besondere Verantwortung empfindet sie angesichts der jungen Generationen: so stellt sich heute dringend das Problem der Erziehung, notwendiger Schlüssel, um den Zugang zu einer Zukunft zu ermöglichen, die nach den beständigen Werten des christlichen Humanismus ausgerichtet ist. Die Ausbildung der Jugendlichen ist daher ein Unterfangen, in das sich auch die Kirche, gemeinsam mit der Familie und der Schule, einbezogen fühlt. So ist sie sich sehr wohl der Bedeutung bewußt, die der Erziehung beim Begreifen wirklicher Freiheit zukommt, als notwendiger Voraussetzung für einen konkreten Dienst am Gemeinwohl. Nur ein ernsthaftes Bemühen um Erziehung wird es ermöglichen, eine solidarische Gesellschaft zu errichten, die wirklich vom Gefühl der Legalität beseelt ist.

Herr Präsident, ich möchte hier gerne den Wunsch wiederholen, daß die christlichen Gemeinschaften und die vielfältigen kirchlichen Realitäten in Italien die Menschen - vor allem die jungen - auch als verantwortliche Bürger heranzubilden wissen mögen, die sich im bürgerlichen Leben einsetzen. Ich bin sicher, daß die Hirten und die Gläubigen weiterhin ihren wichtigen Beitrag leisten, um auch in diesen Momenten wirtschaftlicher und sozialer Ungewißheit das Gemeinwohl des Landes sowie auch Europas und der ganzen Menschheitsfamilie zu gestalten, indem sie den Armen und den Ausgegrenzten, den jungen Menschen, die Arbeit suchen, und den Arbeitslosen, den Familien und den alten Menschen, die mühsam und engagiert unsere Gegenwart aufgebaut haben und daher die Dankbarkeit aller verdienen, besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen. Ich wünsche mir außerdem, daß der Beitrag der katholischen Gemeinschaft von allen im Geist derselben Bereitschaft aufgenommen wird, mit der er angeboten wird. Es besteht kein Grund, einen Amtsmißbrauch zum Schaden der Freiheit seitens der Kirche und ihrer Mitglieder zu befürchten - die im übrigen erwarten, daß ihnen die Freiheit zuerkannt wird, das eigene, vom Evangelium erleuchtete Gewissen nicht zu verraten. Das wäre noch leichter, wenn niemals vergessen würde, daß alle Mitglieder der Gesellschaft sich im gegenseitigen Respekt darum bemühen müssen, in der Gemeinschaft jenes wahre Wohl des Menschen zu erlangen, dessen sich die Italiener nach zwei Jahrtausenden einer vom Christentum geprägten Kultur mit Leib und Seele bewußt sind.

Herr Präsident, von diesem bedeutungsvollen Ort aus möchte ich erneut meine Zuneigung, ja meine Vorliebe für diese geliebte Nation zum Ausdruck bringen. Sie, sowie alle Italiener und Italienerinnen, versichere ich meines Gebets, und ich bitte um den mütterlichen Schutz der Jungfrau Maria, die mit so großer Frömmigkeit auf der italienischen Halbinsel - von Nord bis Süd - sowie auf den Inseln verehrt wird, wie ich auch anläßlich meiner Pastoralreisen habe feststellen können. Zum Abschied mache ich mir den Wunsch zu eigen, den der sel. Johannes XXIII. am Vorabend des Zweiten Vatikanischen Konzils als Pilger in Assisi mit dichterischen Akzenten an ganz Italien gerichtet hat: »Mögest du, geliebtes Italien, an dessen Ufern das Schiff Petri gelandet ist - vor allem aus diesem Grund kommen sie von überall her zu Dir, die Völker der ganzen Welt, die du mit größter Achtung und voller Liebe zu empfangen weißt -, mögest du das heilige Vermächtnis bewahren, das dich vor Himmel und Erde verpflichtet« (Ansprache vom 4. Oktober 1962).

Gott schütze und segne Italien und alle seine Bewohner!

XII. ORDENTLICHE VOLLVERSAMMLUNG DER BISCHOFSSYNODE

MEDITATION VON PAPST BENEDIKT XVI. BEI DER ERSTEN ARBEITSSITZUNG

Synodenaula

Montag, 6. Oktober 2008



Liebe Brüder im Bischofsamt,
liebe Brüder und Schwestern!

179 Zu Beginn unserer Synode legt uns das Stundengebet einen Abschnitt aus Psalm 119 über das Wort Gottes vor: einen Lobgesang auf sein Wort, Ausdruck der Freude Israels darüber, es kennen zu dürfen und in diesem Wort den Willen und das Antlitz Gottes erkennen zu können. Ich möchte mit euch einige Verse dieses Psalms betrachten.

Er beginnt mit den Worten: »In aeternum, Domine, verbum tuum constitutum est in caelo… firmasti terram, et permanet«. Es ist die Rede von der Festigkeit des Wortes Gottes. Es steht fest, es ist die wahre Realität, auf der man sein Leben aufbauen kann. Erinnern wir uns an die Worte Jesu, die dieses Psalmwort weiterführen: »Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen.« Menschlich gesehen ist das Wort, unser menschliches Wort, gleichsam ein Nichts in der Wirklichkeit, ein Hauch. Kaum ausgesprochen, verschwindet es. Es scheint nichts zu sein. Und doch hat das menschliche Wort eine unglaubliche Macht. Es sind die Worte, die Geschichte machen, die Worte verleihen den Gedanken Ausdruck, den Gedanken, aus denen das Wort kommt. Es ist das Wort, das die Geschichte, die Wirklichkeit formt.

Noch mehr ist das Wort Gottes das Fundament von allem, es ist die wahre Wirklichkeit. Und wenn wir realistisch sein wollen, müssen wir mit genau dieser Wirklichkeit rechnen. Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, daß die Materie, die konkreten Dinge, die wir anfassen können, die solideste, sicherste Realität sind. Am Ende der Bergpredigt spricht der Herr von den zwei Möglichkeiten, das Haus des eigenen Leben zu bauen: auf Sand oder auf Felsen. Auf Sand baut derjenige, der nur auf die sichtbaren und greifbaren Dinge baut, auf den Erfolg, die Karriere, das Geld. Scheinbar ist dies die wahre Wirklichkeit. Aber dies alles wird eines Tages vorbei sein. Wir sehen das jetzt beim Zusammenbruch der großen Banken: diese Gelder verschwinden, sie sind nichts. Und so sind all diese Dinge - die als die wahre Wirklichkeit erscheinen, auf die man sich verlassen kann - zweitrangige Wirklichkeiten. Wer sein Leben auf diese Wirklichkeiten baut, auf das Materielle, den Erfolg, alles, was glänzt, der baut auf Sand. Nur das Wort Gottes ist das Fundament der gesamten Wirklichkeit, es steht fest wie der Himmel und mehr als der Himmel, es ist die Realität. Folglich müssen wir unseren Begriff des Realismus ändern. Realist ist der, der im Wort Gottes, dieser scheinbar so gebrechlichen Realität, das Fundament von allem erkennt. Realist ist derjenige, der sein Leben auf dieses Fundament baut, das ewig bleibt. Und so laden uns diese ersten Verse des Psalms ein zu entdecken, was Realität ist und so das Fundament unseres Lebens zu finden, die Art und Weise unser Leben aufzubauen.

Im anschließenden Vers wird gesagt: »Omnia serviunt tibi«. Alles geht hervor aus dem göttlichen Wort, ist eine Frucht des Wortes. »Im Anfang war das Wort«. Am Anfang sprach der Himmel. Und so entsteht die Wirklichkeit aus dem Wort, sie ist »creatura Verbi«. Alles wird vom Wort geschaffen, und alles ist dazu gerufen, dem Wort zu dienen. Das bedeutet, daß letztendlich die gesamte Schöpfung dazu bestimmt ist, den Ort der Begegnung zwischen Gott und seinem Geschöpf zu schaffen, einen Ort, wo die Liebe des Geschöpfes auf die göttliche Liebe antwortet, einen Ort, an dem sich die Liebesgeschichte zwischen Gott und seinem Geschöpf entwickelt. »Omnia serviunt tibi«. Die Heilsgeschichte ist keine unbedeutende Begebenheit auf einem kleinen Planeten in der Unendlichkeit des Universums. Sie ist nicht irgendetwas Nichtiges, das zufällig auf einem abgelegenen Planeten geschieht. Sie ist der Beweggrund von allem, der Urgrund der Schöpfung. Alles wurde geschaffen, damit es diese Geschichte gäbe, die Begegnung zwischen Gott und seinem Geschöpf. Aus diesem Blickwinkel geht die Heilsgeschichte, der Bundesschluß, der Schöpfung voraus. Im Zeitalter des Hellenismus hat das Judentum die Vorstellung entwickelt, daß die Thora der Erschaffung der materiellen Welt vorausgegangen sei. Diese materielle Welt sei nur geschaffen worden, um einen Raum zu schaffen für die Thora, dieses Wort Gottes, das die Antwort hervorruft und zur Liebesgeschichte wird. Hier scheint auf geheimnisvolle Weise das Mysterium Christi hindurch. Das ist es, was die Briefe an die Epheser und an die Kolosser uns sagen: Christus ist der »protòtypos«, der Erstgeborene der Schöpfung, die Idee, durch die das Universum erdacht wurde. Er nimmt alles auf. Wir treten in die Bewegung des Universums ein, wenn wir uns mit Christus vereinen. Man kann sagen, daß, während die materielle Schöpfung die Bedingung für die Heilsgeschichte ist, die Geschichte des Bundes die wahre Ursache für den Kosmos ist. Wir erreichen die Wurzeln des Seins, wenn wir das Mysterium Christi erreichen, sein lebendiges Wort, das das Ziel der ganzen Schöpfung ist. »Omnia serviunt tibi«. Wenn wir dem Herrn dienen, verwirklichen wir das Ziel unseres Seins, das Ziel unseres Lebens.

Wir überspringen jetzt einige Verse: »Mandata tua exquisivi«. Wir sind immer auf der Suche nach dem Wort Gottes. Es ist nicht einfach da in uns. Wenn wir beim Buchstaben stehen bleiben, haben wir das Wort Gottes nicht notwendigerweise wirklich verstanden. Es besteht die Gefahr, daß wir nur die menschlichen Worte sehen und in ihnen nicht den wirklichen Urheber finden, den Heiligen Geist. Wir finden in den Worten nicht das göttliche Wort. Der heilige Augustinus erinnert uns in diesem Zusammenhang an die Schriftgelehrten und Pharisäer, die bei der Ankunft der Weisen aus dem Morgenland von Herodes befragt werden. Er will wissen, wo der Erlöser der Welt geboren werden soll. Sie wissen es und geben die richtige Antwort: in Betlehem. Es sind große Spezialisten, die alles wissen. Und dennoch sehen sie die Realität nicht, kennen sie den Erlöser nicht. Der heilige Augustinus sagt: Sie weisen anderen den Weg, aber sie selbst bewegen sich nicht. Das ist auch eine große Gefahr für uns, wenn wir die Heilige Schrift lesen: wir bleiben bei den menschlichen Worten stehen, Worten der Vergangenheit, der vergangenen Geschichte, und wir entdecken in der Vergangenheit nicht die Gegenwart, den Heiligen Geist, der in den Worten der Vergangenheit heute zu uns spricht. So treten wir nicht in die innere Bewegung des Wortes Gottes ein, das in menschlichen Worten göttliche Worte verbirgt und offenbart. Deshalb ist dieses »exquisivi« immer notwendig. Wir müssen in den Worten auf der Suche sein nach Gottes Wort.

So ist die Exegese, das wahre Lesen der Heiligen Schrift, nicht nur ein literarisches Phänomen, es handelt sich nicht nur um die Lektüre eines Textes. Es ist die Bewegung meines Daseins. Es bedeutet, sich auf das Wort Gottes in den menschlichen Worten hinzubewegen. Nur indem wir dem Geheimnis Gottes gleichförmig werden, dem Herrn, der das Wort ist, können wir in das Innere des Wortes eintreten, können wir wirklich in menschlichen Worten das Wort Gottes finden. Bitten wir den Herrn, daß er uns helfen möge, nicht nur mit dem Intellekt, sondern mit unserer ganzen Existenz auf der Suche zu sein, um das Wort zu finden.

Der letzte Vers lautet: »Omni consummationi vidi finem, latum praeceptum tuum nimis«. Alles Menschliche, alles was wir erfinden und schaffen können, ist endlich. Auch alle menschlichen religiösen Erfahrungen sind begrenzt, sie zeigen einen Aspekt der Wirklichkeit, weil unser Sein endlich ist und immer nur einen Teil, einige Elemente versteht: »latum praeceptum tuum nimis«. Nur Gott ist unendlich. Und deshalb ist auch sein Wort universal und kennt keine Grenzen. Wenn wir also in das Wort Gottes eintreten, betreten wir wirklich das göttliche Universum. Wir verlassen die Begrenztheit unserer Erfahrungen und treten ein in die Realität, die wahrhaft universal ist. Wenn wir in die Gemeinschaft mit dem Wort Gottes eintreten, treten wir in die Gemeinschaft der Kirche ein, die das Wort Gottes lebt. Wir treten nicht ein in eine kleine Gruppe, in die Regeln einer kleinen Gruppe, sondern wir verlassen unsere Begrenztheit. Wir treten hinaus ins Weite, in die wahre Weite der einzigen Wahrheit, der großen Wahrheit Gottes. Wir sind wirklich im Universalen. Und so treten wir hinaus in die Gemeinschaft aller Brüder und Schwestern, der ganzen Menschheit, weil in unserem Herzen die Sehnsucht nach dem einen Wort Gottes verborgen ist. Deshalb sind auch die Evangelisierung, die Verkündigung des Evangeliums, die Mission nicht eine Art kirchlicher Kolonialismus, mit dem wir andere in unsere Gruppe einfügen wollen. Es bedeutet, aus der Begrenztheit der verschiedenen Kulturen hinauszutreten in die Universalität, die alle verbindet und vereint, die uns alle zu Brüdern macht. Bitten wir erneut den Herrn, daß er uns helfe, wirklich in die »Weite« seines Wortes einzutreten und wir uns so dem universalen Horizont der Menschheit öffnen können, jenem Horizont, der uns in all unseren Verschiedenheiten vereint.

Kehren wir schließlich noch zu einem vorhergehenden Vers zurück: »Tuus sum ego: salvum me fac«. Der italienische Text übersetzt: »Ich bin dein«. Das Wort Gottes ist wie eine Leiter, auf der wir hinaufsteigen und mit Christus auch in die Tiefen seiner Liebe hinabsteigen können. Es ist eine Leiter, um zum göttlichen Wort in den Worten zu gelangen. Das göttliche Wort hat ein Antlitz, es ist eine Person, Christus. Noch bevor wir sagen können: »Ich bin dein«, hat Er schon zu uns gesagt: »Ich bin dein«. Der Hebräerbrief sagt mit den Worten aus Psalm 40: »Einen Leib hast du mir bereitet… Da sagte ich: Ja, ich komme«. Der Herr ließ sich für sein Kommen einen Leib bereiten. Mit seiner Menschwerdung hat er gesagt: Ich bin dein. In der heiligen Eucharistie sagt er immer wieder von neuem: Ich bin dein; damit wir antworten können: Herr, ich bin dein. Auf dem Weg des göttlichen Wortes - indem wir in das Geheimnis seiner Menschwerdung, seines Mit-uns- Seins eintreten - wollen wir uns das Sein Jesu aneignen, wollen wir uns unserer Existenz entledigen, indem wir uns Ihm schenken, der sich uns geschenkt hat.

»Ich bin dein«. Bitten wir den Herrn, daß wir lernen können, dieses Wort mit unserem ganzen Leben zu sagen. So werden wir im Herzen des Wortes Gottes sein. So werden wir gerettet sein.

KONZERT DER STIFTUNG "PRO MUSICA E ARTE SACRA" ANLÄSSLICH DER BISCHOFSSYNODE

GRUSSWORTE VON BENEDIKT XVI.

Basilika St. Paul vor den Mauern

Montag, 13. Oktober 2008



180 Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Zu den verschiedenen Initiativen, die für das besondere Jubiläum des Paulusjahres auf dem Programm stehen, gehört auch das Konzert am heutigen Abend. Dieses hat im eindrucksvollen Rahmen der Basilika Sankt Paul vor den Mauern stattgefunden, wo vor einigen Tagen die Ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode feierlich eröffnet wurde. Mein Gruß und mein herzlicher Dank gelten natürlich all jenen, die diesen schönen Abend mit einem sehr anspruchsvollen musikalischen Ereignis veranstaltet und konkret organisiert haben. Zunächst bin ich der Stiftung »Pro Musica e Arte Sacra«, die durch ihre vielen Initiativen gut bekannt ist, zu Dank verpflichtet. Mein Gruß und mein Dank gelten auch den Mitgliedern der Wiener Philharmoniker, die uns eine meisterhafte Darbietung der Sechsten Symphonie von Anton Bruckner geschenkt haben, welche von Religiosität und tiefem Mystizismus durchdrungen ist.

Mit dankbarer Freude begrüße ich die Wiener Philharmoniker, die - heute unter der Leitung von Christoph Eschenbach - bereits zum siebten Mal im Rahmen des »Festival Internazionale di Musica e Arte Sacra« ihren Zuhörern eine besondere Freude bereiten. Liebe Freunde, mit eurer Professionalität und eurem künstlerischen Können gelingt es euch immer wieder, die Herzen eurer Zuhörer anzurühren und in ihnen im Hören der wundervollen Musik Bruckners alle Saiten des menschlichen Empfindens zum Schwingen zu bringen. Mit eurem musikalischen Talent weist ihr sie über das Menschliche hinaus auf das Göttliche hin. Dafür sage ich euch allen ein herzliches Vergelt’s Gott!

In der Sechsten Symphonie kommt der Glaube ihres Schöpfers zum Ausdruck, der in der Lage war, durch seine Kompositionen eine religiöse Sichtweise des Lebens und der Geschichte zu vermitteln. Anton Bruckner, der aus dem österreichischen Barock und aus der Schubertschen Tradition des Volksliedes schöpfte, hat sozusagen den romantischen Prozeß der Verinnerlichung bis zum Äußersten geführt. Beim Hören dieser berühmten Komposition in der Basilika, die dem hl. Paulus geweiht ist, denkt man spontan an einen Abschnitt aus dem Ersten Brief an die Korinther, wo der Apostel, nachdem er über die Verschiedenheit und die Einheit der Gnadengaben gesprochen hat, die Kirche mit dem menschlichen Leib vergleicht, der aus sehr unterschiedlichen Gliedern besteht, die jedoch alle für sein gutes Funktionieren unverzichtbar sind (vgl. Kap. 12). Auch das Orchester und der Chor setzen sich aus verschiedenen Instrumenten und Stimmen zusammen, die im Einklang miteinander eine harmonische Melodie hervorbringen, die dem Ohr und dem Geist schmeichelt. Liebe Brüder und Schwestern, machen wir uns diese Lehre zu eigen, die wir durch die herrliche musikalische Darbietung, die wir gerade hören durften, bestätigt sehen. Ich grüße euch alle sehr herzlich und richte einen besonderen Gruß an die Synodenväter und an die anderen anwesenden Persönlichkeiten. Mein brüderlicher Gruß gilt abschließend Kardinal Cordero Lanza di Montezemolo, dem Erzpriester dieser Päpstlichen Basilika, der uns auch diesmal mit großer Herzlichkeit empfangen hat: Ich möchte ihm und seinen Mitarbeitern für die verschiedenen religiösen und kulturellen Veranstaltungen danken, die jetzt im Paulusjahr vorgesehen sind. Diese römische Basilika, in der die sterblichen Überreste des Völkerapostels bewahrt werden, möge ein wirklicher Mittelpunkt liturgischer, geistlicher und künstlerischer Aktivitäten sein, die darauf ausgerichtet sind, sein missionarisches Wirken und sein theologisches Denken neu zu entdecken. Indem ich um die Fürbitte dieses großen Heiligen und den mütterlichen Schutz Mariens, Königin der Apostel, bitte, erteile ich allen Anwesenden von Herzen den Apostolischen Segen, in den ich gern eure Angehörigen und Freunde einschließe.


XII. ORDENTLICHE GENERALVERSAMMLUNG DER BISCHOFSSYNODE

BEITRAG VON BENEDIKT XVI. AUF DER 14. GENERALKONGREGATION

Synoden-Aula

Dienstag, 14. Oktober 2008



Liebe Brüder und Schwestern!

Die Arbeit an meinem Buch über Jesus bietet reichlich Gelegenheit, all das Gute zu sehen, das aus der modernen Exegese kommt, aber auch deren einschlägige Probleme und Gefahren zu erkennen. Dei Verbum gibt unter Punkt 12 zwei methodologische Hinweise für eine angemessene exegetische Arbeit. Erstens wird bekräftigt, daß die Anwendung der historisch-kritischen Methode, deren wesentliche Elemente kurz beschrieben werden, notwendig ist. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus dem christlichen Prinzip, das wir in Jn 1,14 finden: »Verbum caro factum est.« Das historische Faktum ist eine Grunddimension des christlichen Glaubens. Die Heilsgeschichte ist keine Mythologie, sondern wirkliche Geschichte und muß deshalb mit den Methoden ernsthafter Geschichtswissenschaft untersucht werden.

Diese Geschichte hat aber auch eine andere Dimension, nämlich das göttliche Wirken. Deshalb ist in Dei Verbum von einer notwendigen zweiten methodologischen Ebene die Rede, die zur richtigen Auslegung der zugleich menschlichen und göttlichen Worte notwendig ist. Das Konzil folgt einer grundlegenden Regel für die Auslegung jedes literarischen Textes und sagt, daß die Heilige Schrift im gleichen Geist ausgelegt werden muß, in dem sie geschrieben wurde und weist dementsprechend auf drei grundlegende methodologische Elemente hin, um die göttliche pneumatische Dimension der Bibel zu berücksichtigen: 1) Auslegung des Textes, indem man die Einheit der ganzen Schrift berücksichtigt; heute spricht man in diesem Fall von kanonischer Exegese; zur Zeit des Konzils gab es diesen Ausdruck noch nicht, aber das Konzil sagt das Gleiche, nämlich, daß man die Einheit der ganzen Schrift berücksichtigen muß; 2) Berücksichtigung der lebendigen Tradition der ganzen Kirche und schließlich 3) Berücksichtigung der Analogie des Glaubens. Nur dort, wo beide methodologische Ebenen, die historisch-kritische und die theologische Ebene, berücksichtigt werden, kann man von einer theologischen Exegese sprechen, die allein der Heiligen Schrift angemessen ist. Während in bezug auf die erste Ebene die akademische Exegese heute auf einem sehr hohen Niveau arbeitet und uns wirklich hilft, kann man leider von der anderen Ebene nicht das Gleiche sagen. Oft scheint es diese zweite Ebene, die aus den drei von Dei Verbum angegebenen theologischen Elementen besteht, fast nicht zu geben. Das hat sehr schwerwiegende Folgen.

181 Die erste Folge des Fehlens der zweiten methodologischen Ebene ist, daß die Bibel so zu einem Buch der Vergangenheit wird, aus dem man wohl moralische Erkenntnisse ziehen und die Geschichte erfahren kann, aber das Buch als solches spricht nur von der Vergangenheit und es handelt sich um eine nicht wirklich theologische, sondern eine rein historiographische Exegese, Geschichte der Literatur. Das ist die erste Folge: die Bibel bleibt der Vergangenheit verhaftet und spricht nur von Vergangenem. Eine weitere, noch schwerwiegendere Folge finden wir dort, wo die Hermeneutik des von Dei Verbum angegebenen Glaubens verschwindet und durch eine andere, säkularisierte und positivistische Hermeneutik ersetzt wird, deren grundlegender Schlüssel die Überzeugung ist, daß das Göttliche in der Menschheitsgeschichte nicht erscheint. In dieser Hermeneutik muß - immer wenn ein göttliches Element aufzutauchen scheint - erklärt werden, warum dieser Eindruck entsteht, um dann alles auf das Menschliche zurückzuführen. Deshalb kommt es zu Auslegungen, die die Historizität der göttlichen Elemente leugnen. Das trifft auf den sogenannten »Mainstream« der Exegese in Deutschland zu. Man streitet zum Beispiel ab, daß der Herr die Heilige Eucharistie eingesetzt hat und sagt, daß der Leichnam Jesu im Grab geblieben sei. Die Auferstehung wäre in diesem Fall kein geschichtliches Ereignis, sondern rein theologische Sichtweise. Man behauptet das, weil eine Hermeneutik des Glaubens fehlt: so wird eine profan- philosophische Hermeneutik bestätigt, die es nicht für möglich hält, daß das Göttliche Eingang in die Geschichte findet und dort wirklich präsent ist. Die Abwesenheit dieser zweiten methodologischen Ebene hat einen tiefen Graben zwischen der wissenschaftlichen Exegese und der Lectio divina aufgerissen. So kommt es auch gerade deshalb manchmal zu Ratlosigkeit bei der Vorbereitung der Homilien. Wo die Exegese nicht Theologie ist, kann die Heilige Schrift nicht die Seele der Theologie sein und umgekehrt, wo die Theologie nicht wesentlich Auslegung der Schrift in der Kirche ist, hat die Theologie kein Fundament mehr.

Deshalb ist es für das Leben und die Sendung der Kirche und für die Zukunft des Glaubens absolut notwendig, diesem Dualismus zwischen Exegese und Theologie ein Ende zu bereiten. Die biblische und die systematische Theologie sind zwei Dimensionen einer einzigen Wirklichkeit, die wir Theologie nennen. Deshalb erscheint es mir als wünschenswert, daß in einer der »Propositiones« auch von der Notwendigkeit gesprochen wird, in der Exegese auf die beiden methodologischen Niveaus zu achten, die von Dei Verbum 12, angegeben werden, wo klar gesagt wird, daß eine nicht nur geschichtliche, sondern auch theologische Exegese entwickelt werden muß. Deshalb ist es notwendig, die Ausbildung der zukünftigen Exegeten in diesem Sinne auszuweiten und so wirklich die Tore zu den Schätzen der Schrift für die heutige Welt und für uns alle zu öffnen.



AN DIE BISCHÖFE AUS ECUADOR ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Donnerstag, 16. Oktober 2008



Liebe Brüder im Bischofsamt!

1. Mit großer Freude empfange ich euch zu eurem »Ad limina«-Besuch, dem ich mit großer Erwartung entgegengesehen habe und der mir die Gelegenheit bietet, den Auftrag zu erfüllen, den der Herr dem Apostel Petrus anvertraut hat, nämlich seine Brüder im Glauben zu stärken (vgl. Lc 22,32). Laßt mich euch zuallererst meine tief empfundene Anteilnahme am Tod von Kardinal Antonio José González Zumárraga, Alterzbischof von Quito, zum Ausdruck bringen, der bis ans Ende seiner Tage der Kirche mit großer Opferbereitschaft und Treue gedient hat. Ich bitte den Herrn für seine ewige Ruhe und darum, daß das von einem so vorbildlichen Hirten vollbrachte Werk wachsen möge.

Ich danke für die liebenswürdigen Worte, die der Erzbischof von Guayaquil und Vorsitzende der Bischofskonferenz Antonio Arregui Yarza an mich gerichtet und mit denen er eure Gefühle der Liebe und Verbundenheit sowie die Hauptanliegen zum Ausdruck gebracht hat, die eure Sendung als Nachfolger der Apostel beseelen. Auch ich fühle mich euch durch die Fürsorge als Hirt der Universalkirche mit euren Sorgen sehr verbunden und ermutige euch, voller Hoffnung den hochherzigen Einsatz im Dienst an den euch anvertrauten Diözesangemeinden fortzusetzen.

2. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß eine der pastoralen Initiativen, die ihr als eine der dringlichsten für die Kirche in Ecuador anseht, die Verwirklichung der »Großen Mission« ist, die vom lateinamerikanischen Episkopat in Aparecida angekündigt worden war (vgl. Schlußdokument, 362) und bei dem im vergangenen August in Quito abgehaltenen Dritten Amerikanischen Missionskongreß bestätigt worden ist. Der Aufruf, den Jesus, der Herr, an seine Jünger richtete, als er sie aussandte, seine Heilsbotschaft zu verkündigen und alle Völker zu seinen Jüngern zu machen (vgl. Mt 28,16-20), muß für die gesamte kirchliche Gemeinschaft ein ständiges Motiv zum Nachdenken und der Rechtfertigungsgrund jeder pastoralen Tätigkeit sein. Wie zu allen Zeiten und an allen Orten haben auch heute die Menschen eine persönliche Begegnung mit Christus nötig, in der sie die Schönheit seines Lebens und die Wahrheit seiner Botschaft erfahren können.

Zur Bewältigung der zahlreichen Herausforderungen eurer Sendung inmitten einer kulturellen und sozialen Umgebung, die die tiefsten geistlichen Wurzeln ihrer Identität vergessen zu haben scheint, lege ich euch nahe, euch dem Wirken des Heiligen Geistes fügsam zu öffnen, damit sich unter dem Antrieb seiner göttlichen Kraft der missionarische Eifer der Anfangszeiten der Verkündigung des Evangeliums sowie der ersten Verkündigung des Evangeliums in euren Regionen erneuere. Dazu ist es notwendig, großzügige Anstrengungen zur Verbreitung des Wortes Gottes zu unternehmen, so daß niemand ohne diese unentbehrliche geistliche Nahrung, Quelle von Leben und Licht, bleibt. Das Lesen und die meditative Betrachtung der Heiligen Schrift, privat oder in Gemeinschaft, soll zur Intensivierung des christlichen Lebens sowie zu einem erneuerten apostolischen Impuls bei allen Gläubigen führen.

3. Anderseits seid ihr euch vollkommen bewußt, daß sich diese missionarische Anstrengung in besonderer Weise auf die Priester stützt. Mit Liebe und Anerkennung gegenüber euren Priestern müßt ihr sie als Väter und Brüder mit Gebet, Liebe und Nähe begleiten und ihnen darüber hinaus eine angemessene Weiterbildung gewähren, die ihnen hilft, ein erfülltes priesterliches Leben zu führen. Stärkt auch weiterhin die Ordensleute, die so viele Früchte der Heiligkeit und Evangelisierung in diesen Ländern erbracht haben, in ihrem Zeugnis für das geweihte Leben und ermutigt sie, getreu ihrem Charisma und in voller Gemeinschaft mit den Bischöfen ihren selbstlosen Dienst an der Kirche weiterzuführen.

Gleichzeitig seid ihr angesichts des Priestermangels in vielen Gegenden eures Landes entschlossen darum bemüht, sämtliche Gruppen, Bewegungen und Personen eurer Diözesen in eine umfassende und hochherzige Berufungspastoral einzubinden, die bei den jungen Menschen die Leidenschaft für die Gestalt Jesu und die großen Ideale des Evangeliums wecken soll. Dieses Bemühen muß von der größten Sorgfalt bei der Auswahl und der intellektuellen, menschlichen und spirituellen Vorbereitung der Seminaristen begleitet sein. Auf diese Weise werden sie getreu den Lehren des Lehramtes und mit dem klaren Bewußtsein, Diener des Guten Hirten zu sein, die Herausforderung des künftigen Amtes mit Freude und Verantwortung annehmen können.

4. In dieser wichtigen Phase der Geschichte braucht die Kirche in Ecuador reife und engagierte Laien, die mit einer soliden lehrmäßigen Ausbildung und einem tiefen Innenleben ihre besondere Berufung leben, nämlich die ganze menschliche, soziale, kulturelle und politische Wirklichkeit mit dem Licht Christi zu erleuchten (vgl. Lumen gentium LG 31).


ANSPRACHE 2008 Januar 2008 178