ANSPRACHE 2008 Januar 2008 52

52 Pater Lombardi: Danke, Heiligkeit. Ein anderes Thema, zu dem wir viele Fragen von seiten unserer Kollegen erhalten haben, betrifft die Einwanderung und auch die Anwesenheit von Menschen spanischer Sprache in der Gesellschaft der Vereinigten Staaten. Daher stellt unser Kollege Andrés Leonardo Beltramo Alvares von der Nachrichtenagentur von Mexiko die Frage.

Frage: Heiligkeit, ich stelle die Frage auf italienisch, und wenn Sie möchten, können Sie etwas auf spanisch dazu sagen - einen Gruß, nur einen Gruß. In der Kirche der Vereinigten Staaten nimmt die hispanische Präsenz ganz allgemein enorm zu: Die katholische Gemeinschaft ist immer mehr durch zwei Sprachen und zwei Kulturen geprägt. Gleichzeitig gibt es innerhalb der Gesellschaft eine immer stärkere Bewegung gegen die Einwanderung: Die Lage der Einwanderer ist gekennzeichnet durch prekäre Situationen und Diskriminierung. Werden Sie über dieses Problem sprechen und Amerika einladen, die Einwanderer, von denen viele katholisch sind, positiv aufzunehmen?

Benedikt XVI.: Ich bin nicht in der Lage, auf spanisch zu sprechen, aber (auf spanisch) ich grüße und segne alle Hispanoamerikaner.

(auf italienisch): Gewiß werde ich über diesen Punkt sprechen. Ich habe mehrere »Ad-limina«- Besuche der Bischöfe aus Zentralamerika und auch aus Südamerika empfangen, und ich habe die große Tragweite dieses Problems gesehen, vor allem das ernste Problem der Trennung der Familien. Und das ist wirklich gefährlich für das soziale, sittliche und menschliche Gefüge dieser Länder. Man muß jedoch unterscheiden zwischen Sofortmaßnahmen und langfristigen Lösungen. Die eigentliche Lösung ist, daß es einmal keine Auswanderung mehr geben muß, weil es in der Heimat genügend Arbeitsplätze und ein hinlängliches Sozialgefüge gibt, so daß niemand mehr auswandern muß. Wir müssen alle für dieses Ziel arbeiten, für eine gesellschaftliche Entwicklung, durch die den Bürgern in ihrem eigenen Land Arbeit und eine Zukunft geboten werden kann. Auch über diesen Punkt möchte ich mit dem Präsidenten sprechen, weil vor allem die Vereinigten Staaten dabei helfen müssen, daß die Länder sich entwickeln können. Das steht im Interesse aller, nicht nur dieser Länder, sondern der Welt und auch der Vereinigten Staaten. Kurzfristig ist es sehr wichtig, vor allem den Familien zu helfen. Im Licht der Gespräche, die ich mit den Bischöfen geführt habe, ist das vorrangige Problem der Schutz der Familien, die nicht zerstört werden dürfen. Was getan werden kann, muß getan werden. Es muß natürlich auch alles, was möglich ist, unternommen werden gegen die prekären Situationen und gegen alle Gewalt. Man muß ihnen helfen, dort, wo sie jetzt sind, wirklich ein Leben in Würde führen zu können. Ich möchte auch sagen, daß es viele Probleme gibt, viel Leid, aber es gibt auch sehr viel Gastfreundschaft! Ich weiß, daß im Hinblick auf die notwendigen Hilfen vor allem die Amerikanische Bischofskonferenz sehr viel mit den Lateinamerikanischen Bischofskonferenzen zusammenarbeitet. Trotz aller schmerzlichen Dinge sollten wir nicht all die wahre Menschlichkeit vergessen, all das positive Handeln, das es auch gibt.

Pater Lombardi: Danke, Heiligkeit. Jetzt eine Frage, die sich auf die amerikanische Gesellschaft bezieht, genauer gesagt, auf die Stellung der religiösen Werte in der amerikanischen Gesellschaft. Wir geben unserem Kollegen Andrea Tornielli das Wort, der Vatikankorrespondent einer italienischen Tageszeitung ist:

Frage: Heiliger Vater, als Sie die neue Botschafterin der Vereinigten Staaten von Amerika empfangen haben, hat diese die öffentliche Anerkennung der Religion in den Vereinigten Staaten als positiven Wert hervorgehoben. Ich möchte Sie fragen, ob Sie dieses Modell auch für das säkularisierte Europa für möglich halten oder ob Sie nicht eher glauben, daß auch die Gefahr besteht, daß die Religion und der Name Gottes benutzt werden könnten, um eine gewisse Politik und sogar den Krieg zu rechtfertigen.

Benedikt XVI.: Sicher, in Europa können wir nicht einfach die Vereinigten Staaten kopieren: Wir haben unsere Geschichte. Aber wir müssen alle voneinander lernen. In den Vereinigten Staaten finde ich es interessant, daß sie mit einem positiven Konzept der Laizität begonnen haben, weil dieses neue Volk sich aus Gemeinschaften und Personen zusammensetzte, die vor den Staatskirchen geflohen waren und einen laikalen, säkularen Staat wollten, der allen Konfessionen, allen Formen der Religionsausübung Möglichkeiten eröffnen sollte. So entstand ein gewollt laikaler Staat: Sie waren gegen eine Staatskirche. Aber laikal sollte der Staat gerade um der Religion in ihrer Authentizität willen sein, die nur in Freiheit gelebt werden kann. Und so stehen wir vor diesem Staatsgefüge, das gewollt und entschieden laikal ist, aber gerade aus einem religiösen Willen heraus, um der Religion Authentizität zu verleihen. Und wir wissen, daß Alexis de Toqueville, als er sich mit Amerika befaßte, gesehen hat, daß die säkularen Einrichtungen de facto durch einen moralischen Konsens leben, der unter den Bürgern vorhanden ist. Das scheint mir ein grundlegendes und positives Modell zu sein. Man muß bedenken, daß in Europa inzwischen 200 Jahre, mehr als 200 Jahre vergangen sind, in denen sich viel entwickelt hat. Jetzt sieht man auch in den Vereinigten Staaten den Beginn eines neuen und ganz anderen Säkularismus. Zuerst war das Problem also die Einwanderung, aber die Situation ist im Verlauf der Geschichte komplizierter und vielschichtiger geworden. Dennoch scheint mir die Grundlage, das grundlegende Modell auch heute noch auch in Europa bedenkenswert zu sein.

Pater Lombardi: Danke, Heiligkeit. Ein letztes Thema betrifft nun Ihren Besuch bei den Vereinten Nationen, und die diesbezügliche Frage stellt uns John Thavis, der der Verantwortliche der katholischen Nachrichtenagentur der Vereinigten Staaten in Rom ist.

Frage: Heiliger Vater, der Papst wird oft als das Gewissen der Menschheit betrachtet, und auch aus diesem Grund wird Ihre Ansprache an die Vereinten Nationen mit Spannung erwartet. Ich möchte Folgendes fragen: Meinen Sie, daß eine multilaterale Institution wie die Vereinten Nationen die Prinzipien, die für die katholische Kirche »nicht verhandelbar« sind, also die auf dem natürlichen Sittengesetz gründenden Prinzipien, wahren kann?

Benedikt XVI.: Genau das ist das wesentliche Ziel der Vereinten Nationen: die gemeinsamen Werte der Menschheit zu wahren, auf denen das friedliche Zusammenleben der Nationen gründet - die Wahrung des Rechts und die Entwicklung des Rechts. Ich habe bereits kurz erwähnt, daß es mir sehr wichtig erscheint, daß die Grundlage der Vereinten Nationen gerade die Idee der Menschenrechte ist, der Rechte, die nicht verhandelbare Werte zum Ausdruck bringen, die allen Institutionen vorausgehen und die Grundlage aller Institutionen sind. Und es ist wichtig, daß es diese Übereinstimmung zwischen den Kulturen gibt, die einen Konsens über die Tatsache gefunden haben, daß diese Werte grundlegend und in das Menschsein selbst eingeschrieben sind. Es ist außerdem wichtig, das Bewußtsein zu erneuern, daß die Vereinten Nationen in ihrer friedenstiftenden Funktion nur dann tätig sein können, wenn sie diese gemeinsame Grundlage der Werte haben, die dann in Form von »Rechten« zum Ausdruck kommen, die von allen gewahrt werden müssen. Diese wesentliche Auffassung zu bestätigen und sie nach Möglichkeit zu aktualisieren, ist ein Ziel meiner Sendung.

Da Pater Lombardi mich zu Beginn auch nach meinen Empfindungen gefragt hat, möchte ich abschließend sagen: Ich gehe wirklich mit Freude in die Vereinigten Staaten! Ich bin vorher einige Male in den Vereinigten Staaten gewesen und kenne dieses große Land. Ich kenne die große Lebendigkeit der Kirche trotz aller Probleme, und ich freue mich, in diesem sowohl für die Kirche als auch für die Vereinten Nationen historischen Augenblick diesem großen Volk und dieser großen Kirche begegnen zu dürfen. Ich danke allen!

BEGRÜSSUNGSZEREMONIE

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Südwiese des Weißen Hauses, Washington D.C.

Mittwoch, 16. April 2008

Herr Präsident!


Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Begrüßungsworte im Namen des Volkes der Vereinigten Staaten von Amerika. Ich weiß Ihre Einladung zum Besuch dieses großen Landes sehr zu schätzen. Mein Besuch fällt mit einem wichtigen Ereignis im Leben der katholischen Gemeinschaft in Amerika zusammen: der Feier des 200. Jahrestages der Erhebung der ersten Diözese des Landes - Baltimore - zu einer Erzdiözese mit Metropolitansitz und die Errichtung der Bischofssitze von New York, Boston, Philadelphia und Louisville. Auch bin ich glücklich, als Gast aller Amerikaner hier zu sein. Ich komme als Freund, als Verkünder des Evangeliums und als jemand, der große Achtung hat vor dieser weiten pluralistischen Gesellschaft. Die Katholiken Amerikas haben für das Leben ihres Landes einen herausragenden Beitrag erbracht und tun dies auch weiterhin. Während ich meinen Besuch beginne, vertraue ich darauf, daß meine Anwesenheit eine Quelle der Erneuerung und Hoffnung für die Kirche in den Vereinigten Staaten sein und die Entschlossenheit der Katholiken stärken möge, immer verantwortungsvoller zum Leben dieser Nation beizutragen, deren Bürger zu sein sie stolz sind.

Amerikas Streben nach Freiheit war vom Beginn der Republik an von der Überzeugung geleitet, daß die Prinzipien, die das politische und soziale Leben bestimmen, eng mit einer auf die Herrschaft Gottes, des Schöpfers, gegründeten sittlichen Ordnung zusammenhängen. Die Gestalter der Gründungsdokumente dieser Nation gaben dieser Überzeugung Ausdruck, als sie die »selbstverständliche Wahrheit« proklamierten, daß alle Menschen gleich geschaffen und mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind, die in den Gesetzen der Natur und des Schöpfers der Natur gründen. Der Verlauf der amerikanischen Geschichte zeigt anschaulich die Schwierigkeiten, die Anstrengungen und die große geistige und moralische Entschlossenheit, die erforderlich waren, um eine Gesellschaft zu gestalten, die diese edlen Prinzipien verkörpert. In jenem Prozeß, der die Seele der Nation formte, waren religiöse Überzeugungen eine ständige Inspiration und Antriebskraft, wie zum Beispiel im Kampf gegen die Sklaverei und in der Bürgerrechtsbewegung. Auch in unserer Zeit finden die Amerikaner, besonders in Krisenzeiten, nach wie vor ihre Kraft in einer verpflichtenden Bindung an dieses Erbe der gemeinsamen Ideale und Bestrebungen.

Ich freue mich darauf, in den nächsten Tagen nicht nur mit der katholischen Gemeinde Amerikas, sondern mit anderen christlichen Gemeinschaften und Vertretern der vielen religiösen Traditionen, die in diesem Land vertreten sind, zusammenzutreffen. Im Laufe der Geschichte haben hier nicht nur Katholiken, sondern alle Gläubigen die Freiheit gefunden, entsprechend dem Gebot ihres Gewissens Gott anzubeten und zu verehren, während sie gleichzeitig als Glied eines Gemeinwesens akzeptiert wurden, in dem jeder einzelne und jede Gruppe seine bzw. ihre Stimme hören lassen kann. Während sich die Nation vor die immer komplexeren politischen und ethischen Problemen der heutigen Zeit gestellt sieht, bin ich zuversichtlich, daß die Amerikaner in ihren religiösen Glaubensüberzeugungen eine wertvolle Quelle der Einsicht und eine Inspiration dazu finden werden, in dem Bemühen um den Aufbau einer menschlicheren und freieren Gesellschaft den überzeugten, verantwortlichen und respektvollen Dialog weiterzuführen.

Freiheit ist nicht nur ein Geschenk, sondern auch eine Aufforderung zu persönlicher Verantwortung. Die Amerikaner wissen das aus Erfahrung - fast jede Stadt in diesem Land hat ihre Denkmäler zu Ehren derjenigen, die bei der Verteidigung der Freiheit, sowohl im eigenen Land wie im Ausland, ihr Leben hingegeben haben. Die Erhaltung der Freiheit erfordert Tugendhaftigkeit, Selbstdisziplin, Opferbereitschaft für das Gemeinwohl und ein Verantwortungsgefühl gegenüber den Benachteiligten. Sie erfordert auch den Mut, sich im zivilen Leben zu engagieren und seine tiefsten Glaubensüberzeugungen und Werte in die berechtigte öffentliche Debatte einzubringen. Mit einem Wort: Freiheit ist immer neu. Sie ist eine Herausforderung für jede Generation und muß immer neu für das Gute errungen werden (vgl. Spe salvi ). Wenige haben das so klar erkannt wie Papst Johannes Paul II. seligen Angedenkens. In einer Reflexion zum geistigen Sieg der Freiheit über den Totalitarismus in seiner polnischen Heimat und in Osteuropa erinnerte er uns daran, daß die Geschichte immer wieder zeigt: »In einer Welt ohne Wahrheit verliert die Freiheit ihre Grundlage «, und eine Demokratie ohne Werte kann ihre eigentliche Seele verlieren (vgl. Centesimus annus CA 46). Jene prophetischen Worte sind in gewissem Sinn ein Widerhall der Überzeugung, die Präsident Washington in seiner Abschiedsrede ausgesprochen hat, daß nämlich Religion und Sittlichkeit »unverzichtbare Stützen« politischer Prosperität seien.

Die Kirche will ihrerseits zum Aufbau einer Welt beitragen, die der nach dem Bild und Gleichnis Gottes erschaffenen (vgl. Gn 1,26-27) menschlichen Person immer würdiger ist. Sie ist davon überzeugt, daß der Glaube über alle Dinge neues Licht breitet und daß das Evangelium die edle Berufung und höchste Bestimmung jedes Mannes und jeder Frau offenbart (vgl. Gaudium et spes GS 10). Der Glaube gibt uns auch die Kraft, auf unsere hohe Berufung zu antworten, und die Hoffnung, die uns dazu inspiriert, für eine immer gerechtere und brüderlichere Gesellschaft zu arbeiten. Die Demokratie kann - wie eure Gründerväter richtig erkannten - nur dann gedeihen, wenn die politischen Verantwortungsträger und jene, die sie vertreten, von der Wahrheit geleitet werden und die aus dem festen moralischen Grundprinzip hervorgegangene Weisheit in Entscheidungen einbringen, die das Leben und die Zukunft der Nation betreffen.

Über ein Jahrhundert lang haben die Vereinigten Staaten von Amerika eine wichtige Rolle in der internationalen Gemeinschaft gespielt. Am kommenden Freitag werde ich, so Gott will, die Ehre haben, eine Ansprache an die Organisation der Vereinten Nationen zu halten; ich hoffe, dort die in Gang gesetzten Bemühungen zu ermutigen, um diese Institution zu einer immer wirksameren Stimme für die berechtigten Bestrebungen aller Völker der Welt zu machen. An diesem Tag, dem 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, ist weltweite Solidarität dringender nötig denn je, wenn alle Menschen in einer ihrer Würde entsprechenden Weise leben sollen - als Brüder und Schwestern, die im selben Haus wohnen und sich um jenen Tisch versammeln, den Gottes Güte für alle seine Kinder bereitet hat. Amerika hat sich traditionellerweise großzügig erwiesen, wenn es galt, unmittelbaren menschlichen Nöten abzuhelfen, die Entwicklung zu stärken und den Opfern von Naturkatastrophen Hilfe zu bieten. Ich bin zuversichtlich, daß diese Sorge um die große Menschheitsfamilie weiterhin in der Unterstützung für die geduldigen Bemühungen der internationalen Diplomatie um Lösung von Konflikten und Förderung des Fortschritts zum Ausdruck kommen wird. Auf diese Weise werden die kommenden Generationen in einer Welt leben können, in der Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit gedeihen können - einer Welt, in der die von Gott geschenkte Würde und die Rechte jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes gepflegt, geschützt und erfolgreich gefördert werden.

Herr Präsident, liebe Freunde: Während ich nun meinen Besuch in den Vereinigten Staaten beginne, bringe ich noch einmal meine Dankbarkeit für Ihre Einladung, meine Freude, unter Ihnen zu sein, und meine inständigen Gebete zum Ausdruck, daß der allmächtige Gott diese Nation und ihre Menschen auf den Wegen der Gerechtigkeit, des Wohlstands und des Friedens bestärken werde. Gott segne Amerika!


VESPER UND BEGEGNUNG MIT DEN BISCHÖFEN DER USA

Nationalheiligtum der Unbefleckten Empfängnis in Washington, D.C.

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Mittwoch, 16. April 2008


Liebe Brüder im Bischofsamt!


Es ist mir eine große Freude, euch heute, zu Beginn meines Besuchs in diesem Land, zu begrüßen, und ich danke Kardinal George für die freundlichen Worte, die er in eurem Namen an mich gerichtet hat. Ich möchte euch allen, insbesondere den Mitgliedern der Bischofskonferenz, für die harte Arbeit im Zusammenhang mit der Vorbereitung dieses Besuches danken. Meine dankbare Anerkennung gilt auch dem Personal und den Freiwilligen des Nationalheiligtums, die uns heute abend hier willkommen geheißen haben. Die amerikanischen Katholiken sind bekannt für ihre treue Ergebenheit gegenüber dem Stuhl Petri. Mein Pastoralbesuch hier ist eine Gelegenheit, die Bande der Gemeinschaft, die uns einen, weiter zu stärken. Wir beginnen mit der Feier der Vesper in dieser Basilika, die der Unbefleckten Empfängnis der allerseligsten Jungfrau Maria geweiht ist, ein Heiligtum von besonderer Bedeutung für amerikanische Katholiken genau im Zentrum eurer Hauptstadt. Versammelt zum Gebet mit Maria, der Mutter Jesu, empfehlen wir liebevoll das Volk Gottes in jedem Teil der Vereinigten Staaten unserem himmlischen Vater.

Für die katholischen Diözesen Boston, New York, Philadelphia und Louisville ist dies ein Jahr mit besonderen Feierlichkeiten, da es den 200. Jahrestag der Errichtung dieser Ortskirchen als Diözesen markiert. Ich schließe mich euch an in eurer Dankbarkeit für die vielen Gnaden, die der Kirche dort in diesen zwei Jahrhunderten zuteil geworden sind. Da in dieses Jahr auch der 200. Jahrestag der Erhebung des ersten Bischofssitzes Baltimore zur Erzdiözese fällt, gibt mir das die Gelegenheit, voll Bewunderung und Dankbarkeit an das Leben und Wirken von John Carroll, dem ersten Bischof von Baltimore, zu erinnern - einem würdigen Leiter der katholischen Gemeinschaft in eurer damals erst kurz zuvor unabhängig gewordenen Nation. Seine unermüdlichen Bemühungen, in dem unter seiner Obhut stehenden riesigen Territorium das Evangelium zu verbreiten, legten die Grundlagen für das kirchliche Leben in eurem Land und machten es der Kirche in Amerika möglich heranzureifen. Heute ist die katholische Gemeinschaft, der ihr dient, eine der größten und einflußreichsten in der Welt. Wie wichtig ist es da, daß ihr vor euren Mitbürgern und vor der Welt euer Licht leuchten laßt, »damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen« (Mt 5,16).

Viele der Menschen, denen John Carroll und seine bischöflichen Mitbrüder vor 200 Jahren dienten, waren aus fernen Ländern angereist. Die Verschiedenheit ihrer Herkunft spiegelt sich in der reichen Vielfalt des kirchlichen Lebens im heutigen Amerika wider. Euch, Brüder im Bischofsamt, und eure Gemeinden möchte ich dazu ermutigen, weiterhin die Zuwanderer, die sich heute bei euch niederlassen, aufzunehmen, ihre Freuden und Hoffnungen zu teilen, sie in ihren Sorgen und Nöten zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, in ihrer neuen Heimat erfolgreich Fuß zu fassen. Das haben eure Landsleute durch Generationen hin getan. Sie haben von Anfang an den Erschöpften, den Armen, den »dicht zusammengedrängten Massen, die sich danach sehnen, frei zu atmen« (vgl. auf der Freiheitsstatue eingemeißeltes Sonett), ihre Türen geöffnet. Diese Menschen hat Amerika zu seinen Einwohnern gemacht.

Viele von denen, die kamen, um hier ein neues Leben aufzubauen, waren imstande, von den Naturreichtümern und Möglichkeiten, die sie vorfanden, guten Gebrauch zu machen und ein hohes Wohlstandsniveau zu erreichen. Die Menschen dieses Landes sind in der Tat für ihre große Vitalität und Kreativität bekannt. Sie sind aber auch für ihre Hochherzigkeit bekannt. Nach dem Anschlag auf die Zwillingstürme im September 2001 und ebenso nach dem Hurrikan Katrina im Jahr 2005 zeigten die Amerikaner anschaulich ihre Bereitschaft, ihren in Not geratenen Brüdern und Schwestern zu helfen. Auf internationaler Ebene ist der Beitrag des amerikanischen Volkes zu den Hilfs- und Rettungsaktionen nach dem Tsunami im Dezember 2004 ein weiteres anschauliches Beispiel für dieses Mitleid. Laßt mich meine besondere Anerkennung aussprechen für die vielen Formen humanitärer Hilfe, die von den amerikanischen Katholiken durch katholische Wohltätigkeitseinrichtungen und andere Vereinigungen geleistet wird. Ihre Freigebigkeit hat Früchte getragen in der den Armen und Bedürftigen erwiesenen Fürsorge und in der Kraft, die in den Aufbau eines landesweiten Netzwerkes katholischer Pfarreien, Spitäler, Schulen und Universitäten geflossen ist. Das alles gibt nachdrücklich Anlaß zum Danken.

Amerika ist auch ein Land von großem Glauben. Eure Menschen sind für ihren Glaubenseifer bekannt und stolz darauf, einer Gemeinschaft anzugehören, die betet. Sie haben Vertrauen in Gott und zögern nicht, in ihr Gespräch in der Öffentlichkeit moralische Argumente einzubringen, die im biblischen Glauben verwurzelt sind. Die Achtung der Religionsfreiheit ist im Bewußtsein der Amerikaner tief verwurzelt - ein Umstand, der zur Anziehungskraft dieses Landes für Generationen von Einwanderern beigetragen hat, die auf der Suche nach einer Bleibe sind, wo sie frei und im Einklang mit ihren Glaubensüberzeugungen Gott verehren können.

In diesem Zusammenhang anerkenne ich freudig, daß unter euch Bischöfe aus allen ehrwürdigen Ostkirchen, die in Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri stehen, anwesend sind, die ich mit besonderer Freude begrüße. Liebe Brüder, ich bitte euch, eure Gemeinden meiner tiefen Liebe und meines ständigen Gebets sowohl für sie als auch für die vielen Brüder und Schwestern, die in ihrem Herkunftsland bleiben, zu versichern. Eure Anwesenheit hier erinnert uns an das mutige Christuszeugnis so vieler Mitglieder eurer Gemeinden, oft unter Leiden, in ihren jeweiligen Heimatländern. Sie ist auch eine große Bereicherung des kirchlichen Lebens Amerikas und verleiht der Katholizität der Kirche und der Vielfalt ihrer liturgischen und spirituellen Traditionen lebendigen Ausdruck.

Ihr, Brüder im Bischofsamt, seid dazu aufgerufen, auf diesem fruchtbaren, aus so vielen verschiedenen Quellen genährten Boden heute die Saat des Evangeliums auszusäen. Das führt mich zu der Frage, wie ein Bischof im 21. Jahrhundert den Aufruf, »alle Dinge neu zu machen in Christus, unserer Hoffnung«, am besten erfüllen kann? Wie kann er sein Volk zu »einer Begegnung mit dem lebendigen Gott« führen, der Quelle jener das Leben verwandelnden Hoffnung, von der das Evangelium spricht (vgl. Spe salvi )? Vielleicht muß er damit beginnen, einige Hindernisse für eine solche Begegnung zu beseitigen. Auch wenn es zutrifft, daß dieses Land von einem echten religiösen Geist geprägt ist, kann dennoch der schleichende Einfluß des Säkularismus die Art und Weise beeinträchtigen, inwieweit die Menschen zulassen, daß der Glaube ihr Verhalten beeinflußt. Ist es konsequent, sonntags in der Kirche unseren Glauben zu bekennen und dann im Lauf der Woche Geschäftspraktiken oder medizinische Verfahren zu fördern, die im Widerspruch zu diesen Glaubensüberzeugungen stehen? Ist es für praktizierende Katholiken konsequent, die Armen und die Randgruppen zu ignorieren oder auszubeuten, ein Sexualverhalten zu fördern, das im Gegensatz zur katholischen Morallehre steht, oder Positionen einzunehmen, die dem Recht jedes Menschen auf Leben von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod widersprechen? Jedem Bestreben, Religion als Privatsache zu behandeln, muß Widerstand entgegengesetzt werden. Nur wenn ihr Glaube jeden Aspekt ihres Lebens durchdringt, öffnen sich Christen wirklich der verwandelnden Kraft des Evangeliums.

Ein weiteres Hindernis für eine Begegnung mit dem lebendigen Gott liegt für eine Wohlstandsgesellschaft in dem unterschwelligen Einfluß des Materialismus, der allzu leicht die Aufmerksamkeit auf das Hundertfache konzentriert, das Gott jetzt in dieser Zeit verheißt, auf Kosten des ewigen Lebens, das er für die kommende Zeit verheißt (vgl. Mc 10,30). Die Menschen müssen heute an das letzte Ziel ihres Lebens erinnert werden. Sie müssen erkennen, daß in ihnen ein tiefes Verlangen nach Gott vorhanden ist. Es müssen ihnen Gelegenheiten gegeben werden, aus dem Brunnen seiner grenzenlosen Liebe zu schöpfen. Leicht kann man sich von den fast unbegrenzten Möglichkeiten berauschen lassen, die uns Wissenschaft und Technologie vorsetzen; leicht kann man den Denkfehler begehen, wir könnten durch unsere eigenen Anstrengungen die Erfüllung unserer tiefsten Bedürfnisse erreichen. Das ist eine Illusion. Ohne Gott, der allein uns schenkt, was wir aus eigener Kraft nicht erreichen können (vgl. Spe salvi ), ist unser Leben letztlich leer. Die Menschen müssen ständig daran erinnert werden, eine Beziehung zu pflegen zu ihm, der gekommen ist, damit wir das Leben in Fülle haben (vgl. Jn 10,10). Das Ziel aller unserer pastoralen und katechetischen Arbeit, der Gegenstand unserer Verkündigung und der Mittelpunkt unseres sakramentalen Dienstes sollte sein, den Menschen zu helfen, jene lebendige Beziehung zu »Jesus Christus, unserer Hoffnung« (1Tm 1,1) herzustellen und zu pflegen.

In einer Gesellschaft, die persönliche Freiheit und Autonomie hochschätzt, kann man leicht unsere Abhängigkeit von den anderen sowie die Verantwortung, die wir ihnen gegenüber tragen, aus den Augen verlieren. Diese nachdrückliche Betonung des Individualismus hat sich sogar auf die Kirche ausgewirkt (vgl. Spe salvi, 13-15) und eine Form der Frömmigkeit entstehen lassen, die mitunter unsere private Beziehung zu Gott überbetont - auf Kosten unserer Berufung, Glieder einer erlösten Gemeinschaft zu sein. Doch Gott sah von Anfang an, daß »es nicht gut ist, daß der Mensch allein bleibt« (Gn 2,18). Wir wurden als soziale Wesen erschaffen, die nur in der Liebe - zu Gott und zu unserem Nächsten - Erfüllung finden. Wenn wir wirklich bereit sind, auf ihn zu schauen, der die Quelle unserer Freude ist, müssen wir das als Glieder des Gottesvolkes tun (vgl. Spe salvi ). Wenn dies als Widerspruch zur Kultur erscheint, ist das nur ein weiterer Beweis dafür, daß eine Erneuerung der Evangelisierung der Kultur dringend ansteht.

55 Ihr seid hier in Amerika mit katholischen Laien gesegnet, die eine beachtliche kulturelle Vielfalt aufweisen und ihre reichen Gaben in den Dienst der Kirche und der ganzen Gesellschaft stellen. Sie erwarten von euch, daß ihr ihnen Ermutigung, Führung und Leitung anbietet. In einer Zeit, die mit Information gesättigt ist, kann die Bedeutung der Bereitstellung einer soliden Glaubensbildung gar nicht hoch genug angesetzt werden. Die amerikanischen Katholiken haben traditionellerweise sowohl in den Schulen wie im Rahmen der Bildungsprogramme für Erwachsene hohen Wert auf die religiöse Erziehung gelegt. Diese Programme müssen beibehalten und ausgeweitet werden. Den vielen hochherzigen Männern und Frauen, die sich karitativer Tätigkeiten widmen, muß dabei geholfen werden, ihre Hingabe durch eine »Herzensbildung« zu erneuern: eine »Begegnung mit Gott in Christus, die in ihnen die Liebe weckt und ihnen das Herz für den Nächsten öffnet« (Deus caritas est ). In einer Zeit, wo Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft vielen neue Hoffnung bringen, führen sie auch zu vorher ungeahnten ethischen Herausforderungen. Das macht es wichtiger denn je, den in der Gesundheitsfürsorge tätigen Katholiken eine gründliche Ausbildung in der kirchlichen Morallehre zu bieten. In all diesen Apostolaten ist weise Anleitung erfordert, damit sie reiche Frucht bringen können; wenn sie wirklich das Gesamtwohl des Menschen fördern sollen, müssen sie selber neu werden in Christus, unserer Hoffnung.

Als Verkünder des Evangeliums und Leiter der katholischen Gemeinschaft seid ihr auch dazu aufgerufen, euch am Ideenaustausch im öffentlichen Raum zu beteiligen, um dazu beizutragen, die kulturellen Haltungen zu formen. In einer Umgebung, wo die freie Meinungsäußerung geachtet und zur kraftvollen und ehrlichen Diskussion ermutigt wird, wird eure Stimme respektiert, die für die aktuelle Diskussion über die dringenden sozialen und moralischen Fragen viel zu bieten hat. Um sicherzustellen, daß das Evangelium klar und deutlich gehört wird, formt ihr nicht nur die Menschen eurer eigenen Gemeinde, sondern helft in Anbetracht der globalen Reichweite der Massenmedien, die Botschaft von der christlichen Hoffnung überall in der Welt zu verbreiten.

Der Einfluß der Kirche auf die öffentliche Diskussion erfolgt verständlicherweise auf vielen verschiedenen Ebenen. In den Vereinigten Staaten wie anderswo gibt es viele bereits erlassene oder beantragte Gesetze, die unter moralischem Gesichtspunkt Anlaß zur Sorge geben; die katholische Gemeinschaft unter eurer Führung muß ein klares, gemeinsames Zeugnis zu diesen Fragen abgeben. Noch wichtiger ist jedoch, daß sich Verstand und Herzen der größeren Gemeinschaft schrittweise der moralischen Wahrheit öffnen. Hier gibt es noch viel zu tun. Entscheidend ist in dieser Hinsicht die Rolle der Gläubigen, als »Sauerteig« in der Gesellschaft zu wirken. Es kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, daß alle katholischen Bürger in ihrem Denken mit der Lehre der Kirche über die heutigen ethischen Grundfragen übereinstimmen. Es ist daher erneut eure Pflicht, dafür zu sorgen, daß die auf jeder Ebene des kirchlichen Lebens vorgesehene moralische Erziehung die authentische Lehre vom Evangelium des Lebens widerspiegelt.

In diesem Zusammenhang ist ein Thema, das uns allen tiefe Sorge bereitet, die Situation der Familie innerhalb der Gesellschaft. In der Tat, Kardinal George erwähnte zuvor, daß ihr in den kommenden Jahren der Stärkung der Ehe und des Familienlebens eure vorrangige Aufmerksamkeit widmen werdet. In der diesjährigen Botschaft zum Weltfriedenstag sprach ich von dem wesentlichen Beitrag, den ein gesundes Familienleben für den Frieden innerhalb des Landes und zwischen den Nationen leistet. Im Zuhause der Familie machen wir »die Erfahrung einiger grundsätzlicher Komponenten des Friedens: Gerechtigkeit und Liebe unter den Geschwistern, die Funktion der Autorität, die in den Eltern ihren Ausdruck findet, der liebevolle Dienst an den schwächsten - weil kleinen oder kranken oder alten - Gliedern, die gegenseitige Hilfe in den Bedürfnissen des Lebens, die Bereitschaft, den anderen anzunehmen und ihm nötigenfalls zu verzeihen« (Nr. 3). Die Familie ist auch der erste Ort für die Evangelisierung, für die Weitergabe des Glaubens, um jungen Menschen dabei zu helfen, die Bedeutung der religiösen Praxis und der Einhaltung des Sonntags zu schätzen. Wie könnten wir nicht bestürzt sein, wenn wir den deutlichen Niedergang der Familie als eines Grundelements von Kirche und Gesellschaft beobachten? Ehescheidung und Untreue haben zugenommen, und viele junge Männer und Frauen ziehen es vor, die Eheschließung hinauszuzögern oder gänzlich auf sie zu verzichten. Für manche jungen Katholiken scheint sich der sakramentale Ehebund kaum von einem zivilen Bündnis oder gar von einer rein informellen und zeitlich unbestimmten Übereinkunft zum Zusammenleben mit einer anderen Person zu unterscheiden. Infolgedessen gibt es in den Vereinigten Staaten eine alarmierende Verminderung der katholischen Ehen, verbunden mit einer Zunahme von Lebensgemeinschaften, in denen das Sicheinander-Hingeben der Brautleute nach dem Vorbild Christi, besiegelt durch ein öffentliches Versprechen, die Forderungen einer unauflöslichen lebenslangen Verpflichtung zu leben, einfach fehlt. Unter diesen Umständen wird den Kindern das sichere Umfeld verweigert, das sie für ein richtiges Heranwachsen als Menschen brauchen, und der Gesellschaft werden die stabilen Säulen verweigert, die sie nötig hat, wenn der Zusammenhalt und das moralische Zentrum der Gemeinschaft aufrechterhalten werden sollen.

Wie mein Vorgänger Papst Johannes Paul II. lehrte, »kommt die erste Verantwortung für den pastoralen Dienst an den Familien in der Diözese dem Bischof zu … Dafür muß er persönliches Interesse, Fürsorge und Zeit aufbringen sowie Personal und Sachmittel einsetzen. Insbesondere ist jedoch sein persönlicher Einsatz für die Familien sowie für alle jene, die ihm … beim pastoralen Dienst an den Familien helfen« (Familiaris consortio
FC 73). Es ist eure Aufgabe, mit Nachdruck die Argumente des Glaubens und der Vernunft für die Institution der Ehe zu verkünden, die als eine lebenslange, für die Weitergabe des Lebens offene Verpflichtung zwischen einem Mann und einer Frau verstanden wird. Diese Botschaft sollte vor den heutigen Menschen erschallen, denn sie ist im wesentlichen ein bedingungs- und vorbehaltloses »Ja« zum Leben, ein »Ja« zur Liebe und ein »Ja« zu den Bestrebungen des Herzens unseres gemeinsamen Menschseins, während wir uns bemühen, unsere tiefe Sehnsucht nach Vertrautheit mit anderen und mit dem Herrn zu erfüllen.

Unter den zum Evangelium des Lebens im Widerspruch stehenden Zeichen, die in Amerika und anderswo zu finden sind, verursacht eines tiefe Scham: der sexuelle Mißbrauch von Minderjährigen. Viele von euch haben mir von dem enormen Schmerz berichtet, den eure Gemeinden erlitten haben, als Kleriker ihre priesterlichen Pflichten und Aufgaben durch ein so schwerwiegend unsittliches Verhalten verraten haben. Während ihr euch um die Beseitigung dieses Übels bemüht, wo immer es vorkommt, dürft ihr der Unterstützung durch das Gebet des Gottesvolkes überall auf der Welt gewiß sein. Mit Recht hat für euch die Bekundung des Mitleids und Sorge für die Opfer Vorrang. Es ist eure von Gott gegebene Verantwortung als Bischöfe, die Wunden, die von einem Vertrauensmißbrauch verursacht wurden, zu verbinden, bei der Heilung behilflich zu sein, die Versöhnung zu fördern und mit liebevoller Sorge denen nahe zu sein, die so ernsthaft geschädigt worden sind.

Die Antwort auf diese Situation ist nicht leicht gewesen, und das Problem ist, worauf der Vorsitzende eurer Bischofskonferenz hingewiesen hat, »oft sehr schlecht gehandhabt worden«. Da nun das Ausmaß und die Schwere des Problems klarer aufgedeckt ist, wart ihr in der Lage, angemessenere Abhilfe- und disziplinäre Maßnahmen zu ergreifen und ein sicheres Umfeld zu fördern, das den Kindern und Jugendlichen größeren Schutz bietet. Während daran erinnert werden muß, daß die überwiegende Mehrheit der Priester und Ordensleute in Amerika hervorragende Arbeit leisten, wenn sie den ihrer Sorge anvertrauten Menschen die befreiende Botschaft des Evangeliums bringen, ist es unbedingt notwendig, daß die Verwundbaren immer vor jenen geschützt werden, die ihnen Schaden zufügen würden. In dieser Hinsicht tragen eure Bemühungen um Heilung und Schutz nicht nur Früchte für diejenigen, die direkt unter eurer Hirtensorge stehen, sondern für die ganze Gesellschaft.

Wenn jedoch die von euch angewandten Maßnahmen und Programme ihren vollen Zweck erfüllen sollen, müssen sie in einen breiteren Kontext gestellt werden. Die Kinder haben ein Recht darauf, mit einem gesunden Verständnis von Sexualität und der ihr eigenen Rolle in den menschlichen Beziehungen aufzuwachsen. Sie sollten von den degradierenden Manifestationen und der heute so weit verbreiteten rohen Manipulation der Sexualität verschont werden. Sie haben ein Recht darauf, in den echten moralischen Werten, die in der Würde des Menschen verwurzelt sind, erzogen zu werden. Das führt uns wieder zurück zu unseren Überlegungen zur zentralen Stellung der Familie und der Notwendigkeit, das Evangelium des Lebens zu fördern. Was heißt es, vom Schutz des Kindes zu reden, wenn in so vielen Häusern über die heute weithin zugänglichen Medien Pornographie und Gewalt angeschaut werden können? Wir müssen dringend die Werte wieder stärken, die die Gesellschaft tragen, damit den jungen Menschen wie auch den Erwachsenen eine gesunde moralische Bildung angeboten werden kann. Alle haben in dieser Aufgabe eine Rolle zu spielen - nicht nur die Eltern, die religiösen Führer, die Lehrer und Katecheten, sondern auch die Massenmedien und die Unterhaltungsindustrie. In der Tat kann jedes Mitglied der Gesellschaft zu dieser moralischen Erneuerung beitragen und von ihr profitieren. Sich wirklich um die jungen Menschen und um die Zukunft unserer Zivilisation zu kümmern heißt, daß wir unsere Verantwortung anerkennen, die wahren moralischen Werte, die allein den Menschen zu seiner vollen Entfaltung befähigen, sie zu fördern und aus ihnen zu leben. Eure Aufgabe als Bischöfe nach dem Vorbild Christi, des Guten Hirten, ist es, diese Botschaft laut und klar zu verkünden und daher die Sünde des Mißbrauchs in den breiteren Kontext der Sexualmoral zu stellen. Darüber hinaus könnt ihr dadurch, daß ihr das Problem, wenn es im kirchlichen Umfeld auftritt, anerkennt und euch mit ihm auseinandersetzt, anderen eine Orientierung geben, da diese Geißel ja nicht nur in euren Diözesen, sondern in jedem Bereich der Gesellschaft zu finden ist. Es erfordert eine entschiedene und gemeinsame Antwort.

Auch die Priester brauchen in dieser schweren Zeit eure Leitung und Nähe. Sie haben die Scham für das, was geschehen ist, erfahren und viele von ihnen spüren, daß sie das Vertrauen und die Achtung, die sie einst genossen, verloren haben. Nicht wenige erfahren eine Nähe zu Christus in seinem Leiden, während sie mühsam darum ringen, die Folgen der Krise zu bewältigen. Der Bischof als Vater, Bruder und Freund seiner Priester kann ihnen helfen, aus dieser Verbundenheit mit Christus geistliche Frucht zu ziehen, indem er ihnen die tröstliche Gegenwart des Herrn inmitten ihres Leidens bewußt macht und sie dazu ermutigt, mit dem Herrn den Weg der Hoffnung zu gehen (vgl. Spe salvi ). Wie Papst Johannes Paul II. vor sechs Jahren bemerkte, »müssen wir darauf vertrauen, daß diese Zeit der Prüfung eine Reinigung der ganzen katholischen Gemeinschaft mit sich bringen wird, eine Reinigung, die … zur größeren Heiligkeit des Priestertums, des Episkopats und der Kirche führen muß« (Ansprache an die Kardinäle der Vereinigten Staaten, 23. April 2002, Nr. 4; in O.R. dt., Nr. 18, 3.5.2002, S. 7). Es gibt viele Zeichen dafür, daß in der Zwischenzeit tatsächlich eine solche Läuterung stattgefunden hat. Die ständige Gegenwart Christi inmitten unseres Leidens verwandelt unsere Finsternis nach und nach in Licht: In der Tat, alles wird in Christus Jesus, unserer Hoffnung, neu gemacht.

Zu diesem Zeitpunkt ist es eure Hauptaufgabe, die Beziehungen zu euren Priestern zu stärken, besonders in den Fällen, wo infolge der Krise Spannungen zwischen den Priestern und ihren Bischöfen aufgetreten sind. Es ist wichtig, daß ihr ihnen weiterhin eure Sorge zeigt, sie unterstützt und durch euer Beispiel führt. Auf diese Weise werdet ihr ihnen gewiß helfen, dem lebendigen Gott zu begegnen, und sie auf jene lebensverwandelnde Hoffnung hinweisen, von der das Evangelium spricht. Wenn ihr selbst in einer Weise lebt, die sich eng an Christus, den Guten Hirten, anlehnt, der das Leben für seine Schafe hingab, werdet ihr eure priesterlichen Mitbrüder dazu inspirieren, sich wieder mit Christus ähnlicher Hochherzigkeit dem Dienst an ihren Herden zu widmen. Eine klarere Konzentration auf die Nachahmung Christi in der Heiligkeit des Lebens ist nämlich genau das, was wir nötig haben, um voranzukommen. Wir müssen von neuem die Freude daran entdecken, ein auf Christus ausgerichtetes Leben zu führen, die Tugenden zu pflegen und uns ins Gebet zu versenken. Wenn die Gläubigen wissen, daß ihr Pfarrer ein Mann ist, der betet und sein Leben dem Dienst an ihnen widmet, antworten sie mit Wärme und Liebe, die das Leben der ganzen Gemeinde nährt und stärkt.

Die im Gebet verbrachte Zeit ist nie weggeworfen, so dringend die von allen Seiten auf uns lastenden Pflichten auch sein mögen. Die Anbetung Christi unseres Herrn im Allerheiligsten Sakrament verlängert und intensiviert die Einheit mit ihm, die durch die Eucharistiefeier entsteht (vgl. Sacramentum caritatis, 66). Die Betrachtung der Geheimnisse des Rosenkranzes verströmt deren erlösende Kraft, indem sie uns mit Jesus Christus in Einklang bringt, uns mit ihm vereint und uns ihm weiht (vgl. Rosarium Virginis Mariae RVM 11 RVM 15). Die treue Einhaltung des Stundengebets stellt sicher, daß unser ganzer Tag geheiligt ist, und erinnert uns ständig an die Notwendigkeit, uns immer auf die Erfüllung des Werkes Gottes zu konzentrieren, ungeachtet der Dringlichkeiten und Ablenkungen, die angesichts der zu erfüllenden Aufgabe entstehen können. So hilft uns unsere Frömmigkeit, in persona Christi zu sprechen und zu handeln, die Gläubigen im Namen Jesu zu lehren, zu leiten und zu heiligen, allen seinen geliebten Brüdern und Schwestern seine Versöhnung, seine Heilung und seine Liebe zu bringen. Diese radikale Gleichgestaltung mit Christus, dem Guten Hirten, liegt unserem Hirtendienst am Herzen, und wenn wir uns durch das Gebet der Kraft des Geistes öffnen, wird er uns die Gaben schenken, die wir brauchen, um unsere beängstigende Aufgabe zu erfüllen, damit wir uns keine Sorgen mehr machen müssen, wie und was wir reden sollen (vgl. Mt 10,19).

56 Zum Abschluß meiner Ansprache an euch heute abend empfehle ich die Kirche in eurem Land ganz besonders der mütterlichen Liebe und Fürsprache der Unbefleckten Jungfrau Maria, Schutzpatronin der Vereinigten Staaten. Daß sie, die die Hoffnung aller Völker in ihrem Schoß trug, Fürbitte für die Bevölkerung dieses Landes einlege, auf daß alle neu werden in ihrem Sohn Jesus Christus. Meine lieben Brüder im Bischofsamt, ich versichere einen jeden von euch, der hier anwesend ist, meiner tiefen Freundschaft und meiner Teilnahme an euren Hirtensorgen. Euch allen und euren Priestern, Ordensleuten und Gläubigen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen als Unterpfand der Freude und des Friedens des auferstandenen Herrn.

Bevor ich euch verlasse, möchte ich noch einen Augenblick verweilen und an das unsagbare Leid erinnern, das das Volk Gottes in der Erzdiözese New Orleans ertragen mußte aufgrund der Auswirkungen des Hurrikans Katrina, wie auch an den Mut, mit dem die Bevölkerung das Aufbauwerk in Angriff genommen hat. Es ist mein Wunsch, Erzbischof Alfred Hughes einen Kelch zum Geschenk zu machen, in der Hoffnung, daß er als Zeichen angenommen werde für meine vom Gebet erfüllte Solidarität gegenüber den Gläubigen der Erzdiözese und meiner persönlichen Dankbarkeit für den unermüdlichen Einsatz, den er und die Erzbischöfe Philip Hannan und Francis Schulte für die ihnen anvertraute Herde geleistet haben.



ANSPRACHE 2008 Januar 2008 52