ANSPRACHE 2008 Januar 2008 85

AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG DES PÄPSTLICHEN RATES DER SEELSORGE FÜR DIE MIGRANTEN UND MENSCHEN UNTERWEGS

Donnerstag, 15. Mai 2008

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Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im bischöflichen und im priesterlichen Dienst,
liebe Brüder und Schwestern!

Es ist mir eine Freude, euch aus Anlaß der Vollversammlung des Päpstlichen Rates der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs zu empfangen. Ich begrüße besonders den Präsidenten, Kardinal Renato Raffaele Martino, und danke ihm für die einleitenden Worte zu unserem Treffen und für die facettenreiche Darstellung dieses interessanten Themas, mit dem ihr euch in diesen Tagen auseinandergesetzt habt. Mein Gruß gilt auch dem Sekretär, Erzbischof Agostino Marchetto, dem Untersekretär, den Mitarbeitern und Experten, den Mitgliedern und Konsultoren. Allen danke ich von Herzen für die geleistete Arbeit und ihren Einsatz, das zu konkretisieren, was in diesen Tagen diskutiert und zum Wohl aller Familien sichtbar wurde.

Während meines kürzlichen Besuchs in den Vereinigten Staaten von Amerika hatte ich die Gelegenheit, dieses große Land zur Fortsetzung seiner Aufnahmebereitschaft für jene Brüder und Schwestern zu ermutigen, die im allgemeinen aus armen Ländern dorthin kommen. Ich habe besonders auf das schwerwiegende Problem der Familienzusammenführung aufmerksam gemacht, ein Thema, das ich schon in meiner der Migrantenfamilie gewidmeten Botschaft zum 93. Welttag der Migranten und Flüchtlinge behandelt habe. Ich möchte gern daran erinnern, daß ich bei mehreren Anlässen auf die Ikone der Heiligen Familie als Vorbild für die Migrantenfamilie hingewiesen habe, dabei Bezug nehmend auf das Bild, das mein verehrter Vorgänger Papst Pius XII. in der Apostolischen Konstitution Exsul Familia, der »Magna Charta« der Migrantenseelsorge, verwendet hat (vgl. AAS 44, 1952, p. 649). Ferner hat mein verehrter Vorgänger Johannes Paul II. in seinen Botschaften aus den Jahren 1980, 1986 und 1993 das Engagement der Kirche nicht nur für die Person des Migranten betont, sondern auch für dessen Familie, Gemeinschaft der Liebe und Integrationsfaktor.

Zunächst möchte ich wiederholen, daß die Sorge der Kirche für die Migrantenfamilie dem pastoralen Interesse für die Familie, die ohne festen Wohnsitz unterwegs ist, nichts wegnimmt. Ganz im Gegenteil kann das Bemühen, eine einheitliche Sichtweise und ein einheitliches Vorgehen hinsichtlich der beiden »Flügel« (Migration und Unterwegssein) der menschlichen Mobilität zu bewahren, dazu beitragen, den vollen Umfang des Phänomens zu erfassen und kann zugleich für alle ein Ansporn zu einer spezifischen Pastoral sein, die durch die Päpste gefördert und vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewünscht wurde (vgl. Christus Dominus
CD 18), angemessen unterstützt durch die von eurem Päpstlichen Rat ausgearbeiteten Dokumente, wie auch durch Kongresse und Versammlungen. Man darf nicht vergessen, daß die Familie - auch die Migrantenfamilie und die Familie unterwegs - die Grundzelle der Gesellschaft darstellt, die nicht zerstört werden darf, sondern die es mit Mut und Geduld zu verteidigen gilt. Sie ist die Gemeinschaft, in der man von Kindheit an lernt, Gott anzubeten und ihn zu lieben, in der die Grundregeln menschlicher und sittlicher Tugenden erlernt werden sowie der richtige Gebrauch der Freiheit in der Wahrheit. Bedauerlicherweise geschieht dies in nicht wenigen Situationen nur unter Schwierigkeiten, besonders im Falle derer, die von dem Phänomen der menschlichen Mobilität betroffen sind.

Außerdem hat die christliche Gemeinschaft für ihre Tätigkeit im Bereich der Aufnahme der Migranten und Menschen unterwegs und für den Dialog mit ihnen einen beständigen Bezugspunkt in der Person Jesu Christi, unseres Herrn. Er hat seinen Jüngern eine goldene Regel hinterlassen, an der sich das eigene Leben ausrichten soll: das neue Gebot der Liebe. Die Liebe, die Christus bis zu seinem Tod, seinem Tod am Kreuz, gelebt hat, gibt er durch das Evangelium und die Sakramente, vor allem die heilige Eucharistie, beständig an seine Kirche weiter. Es ist in dieser Hinsicht sehr bedeutsam, daß die Liturgie die Feier des Ehesakraments im Herzen der Eucharistiefeier vorsieht. Dies zeigt das tiefe Band, das die beiden Sakramente vereint. Die Eheleute sollen ihr Verhalten im Alltag am Vorbild Christi ausrichten, der »die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat« (Ep 5,25): Dieser höchste Liebeserweis wird in jeder Eucharistiefeier vergegenwärtigt. Es ist deshalb geboten, daß die Familienpastoral auf diese sakramentale Grundwahrheit Bezug nimmt. Wer an der heiligen Messe teilnimmt - und es muß deren Feier auch für die Migranten und Menschen unterwegs ermöglicht werden -, entdeckt in der Eucharistie einen eindringlichen Verweis auf die eigene Familie und Ehe. Er wird ermutigt, in der eigenen Situation aus der Sicht des Glaubens zu leben und dazu in der göttlichen Gnade die nötige Kraft zu suchen.

Schließlich entgeht niemandem, daß die räumliche Mobilität des Menschen in der globalisierten Welt ein wichtiges Gebiet für die Neuevangelisierung darstellt. Deshalb möchte ich euch ermutigen, euren pastoralen Einsatz mit neuem Eifer fortzuführen, während ich euch meine geistige Nähe zusichere. Ich begleite euch mit meinem Gebet, damit der Heilige Geist all eure Initiativen fruchtbar werden lasse. Dazu erbitte ich für euch den mütterlichen Schutz der Gottesmutter Maria, Unserer Lieben Frau vom Weg, auf daß sie jedem Mann und jeder Frau helfen möge, ihren Sohn Jesus Christus zu erkennen und von ihm das Geschenk des Heils zu empfangen. Mit diesen Wünschen erteile ich euch und allen, die euch nahestehen, allen Migranten und Menschen unterwegs auf der ganzen Welt sowie ihren Familien von Herzen den Apostolischen Segen.

AN DIE TEILNEHMERINNEN AM KONGRESS DES "ORDO VIRGINUM" ZUM THEMA "GEWEIHTE JUNGFRÄULICHKEIT IN DER WELT: EIN GESCHENK IN DER KIRCHE UND FÜR DIE KIRCHE"

Donnerstag, 15. Mai 2008


Liebe Schwestern!

1. Mit Freude empfange und begrüße ich eine jede von euch, die ihr durch den »feierlichen Ritus der Anverlobung an Christus« (Ritus der Jungfrauenweihe, 30) geweiht seid, anläßlich der Internationalen Begegnung, zugleich Pilgerfahrt und Kongreß des Ordo Virginum, die euch in diesen Tagen in Rom zusammengeführt hat. Insbesondere begrüße ich Kardinal Franc Rodé und danke ihm für das freundliche Grußwort und seinen Einsatz für die Unterstützung dieser Initiative, während ich an das Organisationskomitee ein herzliches Danke richte. Bei der Wahl des Leitthemas dieser Tage habt ihr euch an einer Aussage von mir inspiriert, die zusammenfaßt, was ich bereits über eure Wirklichkeit als Frauen, die die geweihte Jungfräulichkeit in der Welt leben, sagen konnte: Ein Geschenk in der Kirche und für die Kirche. In diesem Licht möchte ich euch in eurer Berufung bestärken und euch einladen, Tag für Tag in dem Verständnis eines Charismas zu wachsen, das für die Augen des Glaubens so leuchtend und fruchtbar ist, wie es für die Augen der Welt dunkel und unnütz ist.

2. »Ihr sollt dem Namen nach und tatsächlich Mägde des Herrn sein in Nachahmung der Muttergottes« (Ritus der Jungfrauenweihe, 29). Der Stand der Jungfrauen stellt eine besondere Ausdrucksform geweihten Lebens dar, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der Kirche wiederaufgeblüht ist (vgl. Apostol. Schreiben Vita consecrata VC 7). Seine Wurzeln sind jedoch sehr alt; sie reichen tief in die Anfänge des evangelischen Lebens zurück, als sich - wie eine unerhörte Neuheit - das Herz einiger Frauen dem Verlangen nach der geweihten Jungfräulichkeit zu öffnen begann: das heißt jenem Verlangen, Gott ihr ganzes Sein zu schenken, was in der Jungfrau von Nazaret und in ihrem »Ja« seine erste außergewöhnliche Verwirklichung gefunden hatte. Das Denken der Kirchenväter erkennt in Maria das Urbild der christlichen Jungfrauen und hebt die Neuheit des neuen Lebensstandes hervor, in den man durch eine freie Liebesentscheidung eintritt.

3. »In dir, Herr, sollen sie alles besitzen, weil sie vor allem dich allein gewählt haben« (Ritus der Jungfrauenweihe, 38). Euer Charisma soll die Intensität, aber auch die Frische der Ursprünge der Kirche widerspiegeln. Es gründet auf der schlichten Einladung im Evangelium: »Wer das erfassen kann, der erfasse es« (Mt 19,12) und auf dem Rat des Paulus bezüglich der Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen (1Co 7,25-35). Doch schwingt in ihm das ganze christliche Geheimnis mit. Als euer Charisma entstanden ist, wies es keine besonderen Lebens- und Verhaltensmuster auf, es hat sich aber dann nach und nach institutionalisiert, bis hin zu einer richtiggehenden öffentlichen feierlichen Weihe, die vom Bischof durch einen eindrucksvollen liturgischen Ritus erteilt wurde, der die geweihte Frau zur »sponsa Christi«, zum Bild der als Braut verstandenen Kirche machte.

4. Meine Lieben, eure Berufung ist tiefverwurzelt in der Ortskirche, zu der ihr gehört: es ist die Aufgabe eurer Bischöfe, in euch das Charisma der Jungfräulichkeit zu erkennen, euch zu weihen und euch nach Möglichkeit auf eurem Weg weiter zu begleiten, um »euch die Furcht des Herrn zu lehren«, wozu sie sich während der feierlichen Weiheliturgie verpflichten. Vom Atem der Diözese mit ihren Traditionen, ihren Heiligen, ihren Werten, Grenzen und Schwierigkeiten öffnet ihr euch dem Atem der Weltkirche, vor allem durch das gemeinsame liturgische Gebet, das euch aufgetragen wird, damit »es ununterbrochen in eurem Herzen und auf euren Lippen erklinge« (Ritus der Jungfrauenweihe, 42). Auf diese Weise wird sich euer betendes »Ich« allmählich ausweiten, bis es schließlich im Gebet nur mehr ein großes »Wir« geben wird. Das ist das kirchliche Gebet und die wahre Liturgie. Im Dialog mit Gott öffnet ihr euch dem Dialog mit allen Geschöpfen, denen gegenüber ihr euch als Mütter, Mütter der Kinder Gottes (vgl. Ritus der Jungfrauenweihe, 29), fühlt.

5. Euer an sich wirklich hohes Ideal verlangt jedoch keinerlei besondere äußerliche Veränderung. Normalerweise verbleibt die geweihte Jungfrau in ihrem bisherigen Lebensumfeld. Es ist ein Weg, der anscheinend keine spezifischen Merkmale des religiösen Lebens, vor allem des Gehorsams, aufweist. Aber für euch wird die Liebe zur Nachfolge: euer Charisma schließt eine Ganzhingabe an Christus, eine Angleichung an den Bräutigam ein, die implizit die Erfüllung der evangelischen Räte erfordert, um die Treue zu ihm unversehrt zu bewahren (vgl. Ritus der Jungfrauenweihe, 47). Das Leben mit Christus verlangt Innerlichkeit, aber gleichzeitig öffnet es uns für die Verbindung mit den Brüdern und Schwestern: dahinein mündet eure Sendung. Eine wesentliche »Lebensregel « definiert die Verpflichtung, die jede von euch mit Zustimmung des Bischofs sowohl auf geistlicher Ebene als auch im Lebensbereich übernimmt. Es handelt sich um persönliche Wege. Bei euch gibt es verschiedene Stile und Formen, das Geschenk der geweihten Jungfräulichkeit zu leben, was im Verlauf einer internationalen Begegnung, wie jener, zu der ihr in diesen Tagen versammelt seid, um so offenkundiger wird. Ich fordere euch auf, über den Schein hinauszugehen, indem ihr das Geheimnis der zarten Liebe Gottes, die jede in sich trägt, erfaßt und euch trotz eurer Verschiedenheit als Schwestern erkennt.

6. »Euer Leben sei ein besonderes Zeugnis der Liebe und sichtbares Zeichen des künftigen Reiches« (Ritus der Jungfrauenweihe, 30). Achtet darauf, daß eure Person immer die Würde der Braut Christi ausstrahle, die Neuartigkeit des christlichen Daseins und die frohe Erwartung des künftigen Lebens zum Ausdruck bringe. Auf diese Weise könnt ihr mit eurer ehrenhaften Lebensweise Sterne sein, die Orientierung geben für den Lauf der Welt. Die Entscheidung zum jungfräulichen Leben ist nämlich ein Hinweis auf die Vergänglichkeit der irdischen Wirklichkeit und die Vorwegnahme der künftigen Güter. Seid Zeugen der wachsamen und tätigen Erwartung, der Freude, des Friedens, der dem eigen ist, der sich der Liebe Gottes hingibt. Seid in der Welt präsent und dennoch Pilgerinnen auf dem Weg zum Reich. Die geweihte Jungfrau identifiziert sich nämlich mit jener Braut, die gemeinsam mit dem Geist den Herrn ruft: »Der Geist und die Braut sagen: Komm!« (Ap 22,17).

7. Bevor wir auseinandergehen, vertraue ich euch Maria an. Und ich mache mir die Worte des hl. Ambrosius zu eigen, der die christliche Jungfräulichkeit besungen hat, und richte sie an euch: »In jeder Jungfrau lebe die Seele Mariens, um den Herrn zu preisen; in jeder lebe der Geist Mariens, um im Herrn zu frohlocken. Auch wenn es nur eine leibliche Mutter Christi gibt, so ist dennoch nach dem Glauben Christus die Frucht aller, da jede Seele das Wort Gottes empfängt, vorausgesetzt, daß sie unbefleckt und unversehrt von Lastern mit untadeliger Scham die Keuschheit hütet« (Kommentar zum hl. Lukas 2,26: PL 15,1642).

Mit diesem Wunsch segne ich euch von Herzen.



AN DIE BISCHÖFE VON THAILAND ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Freitag, 16. Mai 2008

87 Liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst!

»Herr, sende deinen Geist aus und erneuere das Antlitz der Erde« (vgl.
Ps 104,30). Mit diesen Worten aus der Pfingstantiphon heiße ich euch, die Bischöfe Thailands, herzlich willkommen. Ich danke Bischof Phimphisan für die freundlichen Worte, die er in eurem Namen gesprochen hat. Ich erwidere sie herzlich und versichere euch meines Gebetes für euch und für all jene, die eurer Hirtensorge anvertraut sind. Euer Besuch an den Gräbern der Apostel ist eine Gelegenheit, euch in eurer Verpflichtung zu stärken, Jesus durch das Zeugnis für die Liebe und Wahrheit seines Evangeliums in zunehmendem Maße in der Kirche sichtbar und in der Gesellschaft bekannt zu machen.

Das Hochfest Pfingsten, das wir vor kurzem gefeiert haben, erinnert uns daran, daß der Geist des Herrn die ganze Welt erfüllt und uns eingibt, allen Völkern Christus zu bringen. In eurem Land erfolgt diese Mission der kleinen katholischen Gemeinde im Rahmen von Beziehungen, besonders zu den Buddhisten. Ihr habt in der Tat gern eure große Hochachtung vor den buddhistischen Klöstern und eure Wertschätzung für den Beitrag geäußert, den sie zum sozialen und kulturellen Leben des thailändischen Volkes leisten.

Das Nebeneinanderleben verschiedener Religionsgemeinschaften entwickelt sich heutzutage vor dem Hintergrund der Globalisierung. Ich sagte kürzlich, daß die Globalisierungskräfte die Menschheit zwischen zwei Extreme gestellt sehen. Einerseits gibt es in zunehmender Zahl wirtschaftliche und kulturelle Bande, die im allgemeinen einen Sinn globaler Solidarität und gemeinsamer Verantwortung für das Wohl der Menschheit fördern. Andererseits gibt es beunruhigende Anzeichen für eine Zersplitterung und einen gewissen Individualismus, in dem der Säkularismus vorherrscht, der das Transzendente und den Sinn für das Heilige an den Rand drängt und die eigentliche Quelle von Harmonie und Einheit im Universum verdunkelt.

Die negativen Aspekte dieses Kulturphänomens, die bei euch und bei anderen Religionsführern in eurem Land Bestürzung auslösen, unterstreichen in der Tat die Bedeutung der interreligiösen Zusammenarbeit. Sie verlangen eine gemeinsame Anstrengung, um die geistliche und moralische Seele eures Volkes zu stützen. In Übereinstimmung mit den Buddhisten könnt ihr das gegenseitige Verständnis fördern, was die Weitergabe von Traditionen an die nachfolgenden Generationen, die Darstellung ethischer Werte, die für die Vernunft erkennbar sind, und die Ehrfurcht für das Transzendente, das Gebet und die Kontemplation betrifft. Diese praktischen Vorgehensweisen und Entscheidungen dienen dem Gemeinwohl der Gesellschaft und sind Nahrung für die innere Natur jedes Menschen. Als Hirten kleiner und verstreuter Herden holt ihr Trost aus der Sendung des Parakleten, der verteidigt, Rat gibt und beschützt (vgl. Jn 14,16). Ermutigt die Gläubigen, all das anzunehmen, was das neue Leben von Pfingsten hervorbringt! Der Geist der Wahrheit erinnert uns daran, daß der Vater und der Sohn in der Welt durch diejenigen gegenwärtig sind, die Christus lieben und an seinem Wort festhalten (vgl. Jn 14,22-23), indem sie seine Jünger werden, die ausgesandt sind, um reiche Frucht zu bringen (vgl. Jn 15,8). Die Ausgießung des Geistes ist daher sowohl ein Geschenk als auch eine Aufgabe; eine Aufgabe, die ihrerseits zu einem Geschenk der Epiphanie wird: zur Darbietung Christi und seiner Liebe für die Welt. In Thailand begegnet man diesem Geschenk besonders durch die Kliniken und Sozialwerke der Kirche sowie durch ihre Schulen, denn dort kann das edle thailändische Volk das Antlitz Jesu Christi erkennen und kennenlernen.

Liebe Brüder, ihr habt richtigerweise bemerkt, daß die katholischen Schulen und Hochschulen einen beachtlichen Beitrag zur intellektuellen Ausbildung zahlreicher junger Thailänder leisten. Sie sollten auch einen hervorragenden Beitrag zur geistlichen und moralischen Erziehung der Jugend leisten. In der Tat sind es diese für die Formung der menschlichen Persönlichkeit ausschlaggebenden Gesichtspunkte, wegen derer sich - sowohl katholische wie buddhistische - Eltern für katholische Schulen entscheiden.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf die vielen Ordensmänner und Ordensfrauen hinweisen, die so eifrig und gewissenhaft in den katholischen Schulen eurer Diözesen Dienst leisten. Ihre Rolle sollte in erster Linie keine Verwaltungsaufgabe, sondern Sendung sein. Als Personen des geweihten Lebens sind sie aufgerufen, »Zeugen Christi, Offenbarung der Liebe Gottes in der Welt« zu sein und »den Mut zum Zeugnis und zum ständigen Dialog« zu besitzen, indem sie »der Würde des menschlichen Lebens, der Harmonie der Schöpfung, der Existenz der Völker und dem Frieden« dienen (Kongregation für das katholische Bildungswesen, Personen des geweihten Lebens und ihre Sendung in der Schule, 1-2). Es ist daher von größter Wichtigkeit, daß die Ordensleute mit den Schülern und ihren Familien eng verbunden bleiben, ganz besonders durch den Katechismusunterricht für die katholischen Schüler und alle, die interessiert sind, sowie durch die sittliche Bildung und die Sorge für die geistlichen Bedürfnisse aller in der Schulgemeinschaft. Ich ermutige die Orden in ihrem Engagement für das Erziehungsapostolat, im Vertrauen darauf, daß die Schulgebühren gerecht und transparent sind und die Schulen immer zugänglicher für die Armen werden, die sich so oft nach der treuen Umarmung Christi sehnen.

Ein schönes Beispiel für die Verkündigung der großen Taten Gottes (vgl. Ac 2,11) ist der Dienst, den die Katecheten in euren Gemeinden leisten. Sie haben mit großem Eifer und hochherzig die glühende Überzeugung des hl. Paulus angenommen: »Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!« (1Co 9,16). Diese Aufgabe kann jedoch nicht ihnen allein überlassen werden. Es ist euren Priestern aufgetragen, »den Dienst am Wort Gottes (Verkündigung des Evangeliums und Darlegung des katholischen Glaubens) treu und gewissenhaft zu erfüllen« (Ritus der Priesterweihe, Nr. 102). Diese fundamentale Rolle des Priesters, die, um erfolgreich zu sein, eine gründliche philosophische und theologische Ausbildung erfordert, kann nicht an andere delegiert werden. Genauer gesagt, wenn gut ausgebildete Katecheten mit den Priestern der Pfarrei zusammenarbeiten, werden die Reben des Weinstocks reiche Frucht bringen (vgl. Jn 15,5). Zu diesem Zweck spielen eure Berichte auf verschiedene Aufgaben der Verkündigung an, die Beachtung verdienen, einschließlich der Vorbereitung von nichtkatholischen Eheleuten und der seelsorglichen Betreuung für die vielen katholischen Einzelpersonen und Familien, die, wenn sie aus ländlichen Gegenden in die Städte übersiedeln, Gefahr laufen, den Kontakt zum Pfarrgemeindeleben zu verlieren.

Zum Schluß möchte ich euch meine Anerkennung für die Anstrengungen der ganzen katholischen Gemeinschaft in Thailand aussprechen, die Würde jedes Menschenlebens, besonders des verletzlichsten, zu verteidigen. Besondere Sorge bereitet euch die Geißel des Frauen- und Kinderhandels und die Prostitution. Zweifellos ist die Armut ein Faktor, der diesem Phänomen zugrunde liegt, und ich weiß, daß diesbezüglich durch die Entwicklungsprogramme der Kirche viel erreicht wird. Aber da gibt es noch einen weiteren Aspekt, der anerkannt und kollektiv in Angriff genommen werden muß, wenn gegen diese abscheuliche Ausbeutung wirksam vorgegangen werden soll. Ich spreche von der Trivialisierung der Sexualität in den Medien und in der Unterhaltungsindustrie, die einen Verfall der moralischen Werte anheizt und zur Erniedrigung von Frauen, zu nachlassender Treue in der Ehe und sogar zum Mißbrauch von Kindern führt.

Mit brüderlicher Liebe bringe ich diese Überlegungen vor, verbunden mit dem Wunsch, euch zu stärken in eurem Verlangen, die Flamme des Geistes zu empfangen, so daß ihr mit einer Stimme die Frohe Botschaft Jesu verkünden könnt! Euch allen und euren Priestern, Ordensleuten, Seminaristen und gläubigen Laien erteile ich mit Freude meinen Apostolischen Segen.

AN DIE TEILNEHMER DES FORUMS DER FAMILIENVEREINIGUNGEN

Clementina-Saal

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Freitag, 16. Mai 2008


Liebe Brüder und Schwestern!

Danke für euren Besuch, der es mir erlaubt, die Arbeit eurer verdienstvollen Verbände kennenzulernen, die zum Forum der Familienverbände und zur Europäischen Föderation Katholischer Familienverbände gehören. Allen Anwesenden gilt mein herzlicher Gruß. Er ergeht zunächst an den Präsidenten des Forums, Herrn Rechtsanwalt Giovanni Giacobbe, dem ich für die freundlichen Worte danke, die er in eurem Namen an mich gerichtet hat. Diese Begegnung findet im Rahmen der alljährlichen Feier des »Internationalen Tages der Familie« statt, der gestern, am 15. Mai, begangen wurde. Um die Bedeutung dieses Ereignisses hervorzuheben, habt ihr einen entsprechenden Kongreß veranstaltet, der unter einem sehr aktuellen Thema steht: »Die Allianz für die Familie in Europa: die tragende Rolle der Verbände«. Er hat das Ziel, die Erfahrungen der verschiedenen Familienverbände einander gegenüberzustellen und so die Regierenden und die öffentliche Meinung zu sensibilisieren für die zentrale Rolle, die der Familie in unserer Gesellschaft zukommt. Wie ihr richtig bemerkt, muß in der Tat ein politisches Handeln, das mit Weitsicht auf die Zukunft ausgerichtet sein soll, die Familie in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit und Planung stellen.

... auf französisch: Wie ihr wißt, feiern wir in diesem Jahr den 40. Jahrestag der Enzyklika Humanae vitae sowie den 25. Jahrestag der Verkündigung der Charta der Familienrechte, die der Heilige Stuhl am 22. Oktober 1983 vorlegte. Diese beiden Dokumente sind dem Geiste nach eng miteinander verbunden. Ersteres geht mutig gegen den Strom der vorherrschenden Kultur und ruft mit Nachdruck die Eigenschaften der Liebe der Eheleute ins Gedächtnis: Sie darf nicht egoistisch sein und muß offen sein für das Leben. Das zweite hebt die unveräußerlichen Rechte hervor, die es der auf der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gründenden Familie gestatten, der natürliche Entstehungsort des menschlichen Lebens zu sein. Insbesondere bietet die Charta der Familienrechte, die vor allem an die Regierungen gerichtet ist, allen Personen, die auf der Ebene des Gemeinwohls Verantwortung tragen, ein Modell und einen Bezugspunkt für die Ausarbeitung einer angemessenen Familiengesetzgebung. Diese Charta ist gleichzeitig an alle Familien gerichtet und lädt sie ein, sich zusammenzuschließen, um ihre Rechte zu verteidigen und zu fördern. In dieser Hinsicht können eure Verbände ein Mittel darstellen, das wirklich in der Lage ist, den Geist dieser Charta der Familienrechte umzusetzen.

... auf deutsch: Der verehrte Papst Johannes Paul II., der mit Recht auch »Papst der Familie« genannt wurde, hob wiederholt hervor, daß »die Zukunft der Menschheit über die Familie geht« (Familiaris consortio FC 86). Er unterstrich oft den unersetzlichen Wert der Institution der Familie, die nach dem Plan Gottes, des Schöpfers und Vaters, besteht. Auch ich habe gleich zu Beginn meines Pontifikats bei der Eröffnung des Kongresses der Diözese Rom zum Thema Familie am 6. Juni 2005 bekräftigt, daß die Wahrheit von Ehe und Familie in der Wahrheit vom Menschen verwurzelt ist und ihre Verwirklichung in der Heilsgeschichte gefunden hat, in deren Mittelpunkt das Wort steht: »Gott liebt sein Volk.« Die biblische Offenbarung ist ja zuallererst Ausdruck einer Liebesgeschichte, nämlich der Geschichte vom Bund Gottes mit den Menschen: Das ist der Grund, warum die Geschichte der Liebe und der Verbindung eines Mannes und einer Frau im Bund der Ehe von Gott als Symbol der Heilsgeschichte übernommen wurde. Genau darum ist die Gemeinschaft des Lebens und der Liebe, die auf der Ehe eines Mannes und einer Frau gründet, die eine Familie bildet, ein unersetzliches Gut für die gesamte Gesellschaft, das nicht mit anderen Formen des Zusammenlebens verwechselt oder gleichgestellt werden darf.

... auf englisch: Wir sind uns der vielen Herausforderungen, denen die Familien heute gegenüberstehen, sehr wohl bewußt, und wir wissen, wie schwierig es unter den gegenwärtigen sozialen Gegebenheiten ist, das Ideal der Treue und Solidarität in der ehelichen Liebe zu erfüllen, Kinder zu erziehen und die Eintracht innerhalb der Familie zu wahren. Während es einerseits - Gott sei Dank - leuchtende Beispiele guter Familien gibt, die offen sind für die Kultur des Lebens und der Liebe, so befindet sich andererseits leider eine wachsende Anzahl von Ehen und Familien in der Krise. Von seiten so vieler Familien, die sich in einem beunruhigend instabilen Zustand befinden, vernehmen wir einen - oft unbewußten - Hilferuf, der eine Antwort erwartet von seiten der zivilen Obrigkeiten, der kirchlichen Gemeinschaften und der verschiedenen Erziehungseinrichtungen. Folglich besteht ein immer dringenderer Bedarf nach einer gemeinsamen Unterstützung der Familien mit jedem zur Verfügung stehenden Mittel, sowohl unter sozialem und wirtschaftlichem als auch unter rechtlichem und geistlichem Gesichtspunkt. In diesem Zusammenhang freue ich mich, einige Initiativen und Vorschläge, die im Laufe eures Kongresses zur Sprache gekommen sind, zu empfehlen und zu ihnen zu ermutigen. Ich denke zum Beispiel an den lobenswerten Einsatz, Bürger zur Unterstützung der Initiative zugunsten einer »familienfreundlichen Steuerpolitik« anzuhalten, um bei den Regierungen auf eine Familienpolitik zu drängen, die den Eltern wirklich die Möglichkeit gibt, Kinder zu haben und sie in der Familie zu erziehen.

... auf italienisch: Die Familie, die als Zelle der Gemeinschaft die Grundlage der Gesellschaft bildet, ist für die Gläubigen gleichsam eine »kleine Hauskirche«, die berufen ist, der Welt die Liebe Gottes zu offenbaren. Liebe Brüder und Schwestern, helft den Familien, sichtbares Zeichen dieser Wahrheit zu sein und die in die menschliche Natur eingeschriebenen und daher der ganzen Menschheit gemeinsamen Werte zu verteidigen: das Leben, die Familie und die Erziehung. Diese Grundsätze entspringen nicht einem Glaubensbekenntnis, sondern der Anwendung der Gerechtigkeit, die die Rechte eines jeden Menschen achtet. Das ist eure Sendung, liebe christliche Familien! Das Vertrauen auf den Herrn und die Gemeinschaft mit ihm im Gebet und in der ständigen Bezugnahme auf sein Wort soll in euch niemals verlöschen. So werdet ihr Zeugen seiner Liebe sein, indem ihr euch nicht nur auf menschliche Fähigkeiten verlaßt, sondern fest auf den Fels gründet, der Gott ist, belebt von der Kraft seines Geistes. Maria, Königin der Familie, möge als leuchtender Stern der Hoffnung den Weg aller Familien der Menschheit leiten. Mit diesen Empfindungen segne ich sehr gern alle hier Anwesenden sowie die Mitglieder der verschiedenen Verbände, die ihr vertretet.

AN DIE BISCHÖFE, DIE AM STUDIENSEMINAR DES PÄPSTLICHEN RATES FÜR DIE LAIEN ÜBER DIE NEUEN KIRCHLICHEN BEWEGUNGEN TEILNEHMEN

Samstag, 17. Mai 2008


Herr Kardinal,
verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

89 Ich freue mich über die Begegnung mit euch anläßlich des Studienseminars, das vom Päpstlichen Rat für die Laien einberufen wurde, um über die pastorale Fürsorge gegenüber den kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften nachzudenken. Ich danke den zahlreichen Bischöfen aus allen Teilen der Welt, die daran teilgenommen haben: ihr Interesse und ihre lebhafte Beteiligung haben das volle Gelingen der Arbeiten gewährleistet, die heute ihren Abschluß finden. Ich richte an alle Mitbrüder im Bischofsamt und an alle Anwesenden einen herzlichen Gruß der Gemeinschaft und des Friedens; insbesondere grüße ich Herrn Kardinal Stanislaw Rylko und Bischof Josef Clemens, den Präsidenten bzw. Sekretär des Dikasteriums, und ihre Mitarbeiter.

Der Rat für die Laien organisiert nicht zum ersten Mal für die Bischöfe ein Studienseminar über die Laienbewegungen. Ich erinnere mich gut an das Seminar von 1999: es war die ideale pastorale Fortsetzung der Begegnung meines geliebten Vorgängers Johannes Paul II. mit den Bewegungen und neuen Gemeinschaften, die ein Jahr zuvor am 30. Mai stattgefunden hatte. Als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre wurde ich persönlich in die Debatte einbezogen. Ich hatte Gelegenheit zu einem direkten Dialog mit den Bischöfen, zu einem offenen und brüderlichen Gedankenaustausch über so viele wichtige Fragen. In entsprechender Weise will das jetzige Studienseminar eine Fortsetzung der Begegnung sein, die ich selbst am 3. Juni 2006 mit einer breiten Vertretung von Gläubigen hatte, die über hundert neuen Laiengemeinschaften angehörten. Bei dieser Gelegenheit verwies ich auf die Erfahrung der kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften als das »leuchtende Zeichen der Schönheit Christi und der Kirche, seiner Braut« (vgl. Botschaft an die Teilnehmer des II. Weltkongresses der kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften, 22. Mai 2006; in O.R. dt. Nr. 23, 9.6.2006, S. 5). Ich wandte mich »an die lieben Freunde in den Bewegungen« und forderte sie auf, immer mehr »Schulen der Gemeinschaft zu sein, Gruppen von Menschen, die auf dem Weg sind, auf dem man lernt, in der Wahrheit und in der Liebe zu leben, die Christus uns offenbart und durch das Zeugnis der Apostel vermittelt hat, im Schoße der großen Familie seiner Jünger« (ebd.).

Die kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften sind eine der wichtigsten Neuheiten, die in der Kirche vom Heiligen Geist zur Umsetzung des II. Vatikanischen Konzils erweckt worden sind. Sie verbreiteten sich kurz vor Beginn des Konzils, vor allem aber in den unmittelbar nachfolgenden Jahren, in einer Zeit, die voll begeisternder Hoffnungen, aber auch von schweren Prüfungen gekennzeichnet war. Paul VI. und Johannes Paul II. vermochten es, den unvorhergesehenen Aufbruch der neuen Realitäten im Bereich der Laien, die in verschiedenen und überraschenden Formen der ganzen Kirche Lebendigkeit, Glaube und Hoffnung wiedergaben, anzunehmen und zu unterscheiden, zu ermutigen und zu fördern. Schon damals gaben die neuen Bewegungen Zeugnis von der Freude, der Vernünftigkeit und der Schönheit des Christseins und zeigten sich dankbar für ihre Zugehörigkeit zu dem Geheimnis der Gemeinschaft, das die Kirche ist. Wir haben das Wiedererwachen eines kräftigen missionarischen Aufschwungs miterlebt, der von dem Wunsch geleitet war, allen die wertvolle Erfahrung der Begegnung mit Christus mitzuteilen, die als einzige angemessene Antwort auf die tiefe Sehnsucht des menschlichen Herzens nach Wahrheit und Glück wahrgenommen und gelebt wird.

Muß man sich nicht gleichzeitig dessen bewußt sein, daß eine solche Neuheit noch darauf wartet, im Licht des Planes Gottes und der Sendung der Kirche auf den Schauplätzen unserer heutigen Zeit entsprechend verstanden zu werden? Gerade deshalb gab es von seiten der Päpste in steter Folge zahlreiche Beiträge mit orientierenden Hinweisen, die auf der Ebene vieler Ortskirchen einen zunehmend vertieften Dialog und eine intensivere Zusammenarbeit in Gang gebracht haben. Nicht wenige Vorurteile, Widerstände und Spannungen sind dabei überwunden worden. Zu lösen bleibt die wichtige Aufgabe der Förderung einer reiferen Gemeinschaft aller Glieder der Kirche, damit alle Charismen unter Achtung ihrer je besonderen Eigenart voll und frei zum Aufbau des einen Leibes Christi beitragen können.

Ich habe es sehr zu schätzen gewußt, daß als Entwurf für das Studienseminar die Aufforderung ausgewählt wurde, die ich an eine Gruppe deutscher Bischöfe anläßlich ihres »Ad-limina«- Besuches gerichtet habe und die ich genauso heute an euch alle, Bischöfe so vieler Ortskirchen, richte: »Ich bitte euch, mit viel Liebe auf die Bewegungen zuzugehen« (18. November 2006). Ich könnte eigentlich sagen, daß ich dem nichts mehr hinzuzufügen habe! Die Liebe ist das Erkennungszeichen des Guten Hirten: Sie macht die Ausübung des Dienstes, der euch anvertraut wurde, maßgebend und wirksam. Das liebevolle Zugehen auf die Bewegungen und neuen Gemeinschaften veranlaßt uns, ihre Wirklichkeit ohne oberflächliche Eindrücke oder herabsetzende Urteile adäquat kennenzulernen. Es hilft uns auch zu begreifen, daß die kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften nicht ein zusätzliches Problem oder Risiko darstellen, das zu unseren ohnehin schon schwierigen Aufgaben noch hinzukommt. Nein! Sie sind ein Geschenk des Herrn, eine wertvolle Ressource, um mit ihren Charismen die ganze christliche Gemeinschaft zu bereichern. Darum darf eine vertrauensvolle Aufnahme nicht fehlen, die ihnen im Leben der Ortskirchen Raum geben und ihre Beiträge schätzen soll. Schwierigkeiten oder Mißverständnisse bezüglich einzelner Fragen berechtigen nicht zu einer ausschließenden Haltung. Das »mit viel Liebe« soll zu Umsicht und Geduld inspirieren. Uns Hirten ist es aufgetragen, die Bewegungen und neuen Gemeinschaften aus der Nähe mit väterlicher Sorge herzlich und weise zu begleiten, damit sie die vielen Gaben, die sie in sich tragen und die wir kennen und schätzen gelernt haben, auf geordnete und fruchtbare Weise hochherzig in den Dienst des gemeinsamen Nutzens stellen können: den missionarischen Eifer, die wirkungsvollen Anleitungen zu christlicher Bildung, das Zeugnis der Treue und des Gehorsams gegenüber der Kirche, die Sensibilität für die Bedürfnisse der Armen, der Reichtum an Berufungen.

Die Wahrhaftigkeit der neuen Charismen ist durch ihre Bereitschaft gewährleistet, sich dem Urteil der kirchlichen Autorität zu unterstellen. Zahlreiche kirchliche Bewegungen und neue Gemeinschaften sind bereits vom Heiligen Stuhl anerkannt worden und müssen daher zweifellos als ein Geschenk Gottes für die ganze Kirche betrachtet werden. Andere, die sich noch in der Entstehungsphase befinden, brauchen den Dienst einer noch aufmerksameren und wachsamen Begleitung seitens der Bischöfe der Ortskirchen. Wer zum Dienst der Unterscheidung und Leitung berufen ist, soll nicht den Anspruch erheben, über die Charismen zu herrschen, sondern sich vielmehr vor der Gefahr vorsehen, sie zu ersticken (vgl.
1Th 5,19-21), indem er der Versuchung widersteht, das zu vereinheitlichen, was der Heilige Geist vielfältig wollte, um am Aufbau und an der Ausbreitung des einen Leibes Christi mitzuwirken, den derselbe Geist in der Einheit festigt. Der vom Geist Gottes in Christus, dem Haupt der Kirche, geweihte und geleitete Bischof wird die Charismen prüfen und nachweisen müssen, um zu erkennen und zu erschließen, was gut, wahr und schön ist, was zum Wachstum an Heiligkeit der einzelnen und der Gemeinschaften beiträgt. Wenn korrigierende Eingriffe notwendig sind, sollen auch sie »viel Liebe« zum Ausdruck bringen. Die Bewegungen und neuen Gemeinschaften sind stolz auf ihre Freiheit, sich zusammenzuschließen, auf die Treue zu ihrem Charisma, aber sie haben auch bewiesen, sehr wohl zu wissen, daß Treue und Freiheit gewährleistet und gewiß nicht eingeschränkt werden von der kirchlichen Gemeinschaft, deren Diener, Hüter und Führer die Bischöfe in Einheit mit dem Nachfolger des Petrus sind.

Liebe Brüder im Bischofsamt, zum Abschluß dieser Begegnung fordere ich euch auf, in euch die Gabe, die ihr mit eurer Weihe empfangen habt, neu zu beleben (vgl. 2Tm 1,6). Der Geist Gottes helfe uns, die Wunder zu erkennen und zu bewahren, die er selbst in der Kirche für alle Menschen hervorbringt. Der allerseligsten Jungfrau Maria, Königin der Apostel, vertraue ich jede eurer Diözesen an und erteile euch aus ganzem Herzen einen liebevollen Apostolischen Segen; in ihn schließe ich die Priester, die Ordensmänner, Ordensfrauen, die Seminaristen, die Katecheten und alle gläubigen Laien und heute im besonderen die Mitglieder der kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften in den Kirchen ein, die eurer Sorge anvertraut sind.


ANSPRACHE 2008 Januar 2008 85