ANSPRACHE 2008 Januar 2008 191


                                                     November 2008


AN DIE NEUE BOTSCHAFTERIN DER ARABISCHEN REPUBLIK ÄGYPTEN, FRAU ALY HAMADA MEKHEMAR

Donnerstag, 6. November 2008

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Frau Botschafter!

Ich freue mich, Eure Exzellenz zu empfangen und Sie anläßlich der Überreichung des Schreibens, mit dem Sie als außerordentliche und bevollmächtigte Botschafterin der Arabischen Republik Ägypten beim Heiligen Stuhl akkreditiert werden, willkommen zu heißen. Ich danke Ihnen für die freundlichen Grüße, die Sie im Namen Seiner Exzellenz Herrn Mohamed Hosni Mubarak, des Präsidenten der Republik, und seiner Gattin, Frau Suzanne Mubarak, der Sie viele Jahre gedient haben, an mich gerichtet haben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihnen meinerseits die besten Wünsche für sie persönlich und für das ganze ägyptische Volk übermitteln.

Ägypten ist ein sehr altes Kulturland, das wegen seiner Baudenkmäler, seiner Kunst und seines uralten Wissens in der ganzen Welt bekannt ist. In Ihrem Land, Exzellenz, sind sich verschiedene Völker, Kulturen und Religionen begegnet, haben sich miteinander vermischt und im Laufe von Jahrtausenden die Identität eures Volkes aufgebaut, das für seine Weisheit und Besonnenheit berühmt ist und den Reichtum eurer Kultur ausmacht, die noch heute in der Lage ist, bei voller Wahrung ihrer besonderen Eigenart das Neue aufzunehmen.

Exzellenz, Sie haben mit Recht auf die guten Beziehungen hingewiesen, die seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Ägypten und dem Heiligen Stuhl vor mehr als sechzig Jahren bestehen. Und ich kann Gott nur danken, der sie gewährt und begünstigt hat. Ägypten war damals bereits Vorreiter bei der Suche nach Brücken zwischen den Völkern und Religionen. Solche Beziehungen beruhen gewiß auf dem tiefen gegenseitigen Respekt für die uns jeweils eigene Identität, aber auch und vor allem auf einem echten gemeinsamen Wunsch, sowohl innerhalb der Landesgrenzen als auch im internationalen Bereich Einheit und Frieden zu fördern sowie den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen den Angehörigen der verschiedenen Kulturen und Religionen voranzubringen.

Sie haben auch die unzähligen schwerwiegenden internationalen Probleme erwähnt, die immer wieder und leider oft mit Einsatz von Gewalt die Grenzgebiete Afrikas und Asiens, vor allem im Nahen und Mittleren Osten, erschüttern. Die Bemühungen Ägyptens um Frieden, Harmonie und gerechte Lösungen, die die Staaten und die dort lebenden Menschen respektieren, sind zahllos und schließen sich jenen des Heiligen Stuhls an, der sich auch um deren wohlwollende Förderung bemüht. Nach und nach soll sich ein Klima des Dialogs und der Annäherung entwickeln, das in der Lage ist, eine Kultur des Friedens zu überwinden und die nationalen Egoismen auszuschalten oder wenigstens abzuschwächen und die privaten oder öffentlichen Interessen zu mäßigen. Die Religionen können und sollen Friedensstifter sein. Leider können sie auch falsch verstanden und mißbraucht werden, um Gewalt oder Tod auszulösen. Der Respekt für die jedem Land bzw. jeder menschlichen und religiösen Gemeinschaft eigene Sensibilität und Geschichte, die häufigen Beratungen und multilateralen Begegnungen und vor allem ein echter Wille zur Suche nach dem Frieden begünstigen die Versöhnung der Völker und das friedliche Zusammenleben zwischen ihnen. Das wünscht sich der Heilige Stuhl von Herzen und er weiß, daß dies auch der Wunsch Ägyptens ist. In diesem Zusammenhang möchte ich sämtliche Anstrengungen begrüßen, die von Ihrem Land und seinen Regierungen unternommen worden sind, um nach und nach dieses edle Ziel zu erreichen. Ägypten war immer bekannt als ein gastfreundliches Land für die zahllosen Flüchtlinge, Moslems und Christen, die auf seinem Territorium Sicherheit und Frieden gefunden haben. Möge diese edle Tradition zum Wohl aller weitergehen! Der aufgenommene Gast ist ein von Gott anvertrautes heiliges Gut, der sich im richtigen Augenblick seiner erinnern wird.

Ich habe gerade die wesentliche Rolle der Religionen bei der Verwirklichung der Eintracht zwischen den Völkern, Kulturen und den einzelnen Personen erwähnt. Seit Jahrzehnten versuchen die jährlichen Begegnungen zwischen dem Ständigen Komitee für den Dialog zwischen den monotheistischen Religionen an der Universität Al-Azhar al Sharif und dem Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog einen Weg zu gegenseitigem Verständnis und Respekt zwischen Islam und Christentum zu eröffnen. Ein Stück des Weges ist bereits zurückgelegt worden, aber es bleibt noch ein weiter Weg zu gehen.

Dieser Dialog, Exzellenz, ist eine Gelegenheit für die Welt, eine von Gott angebotene Gelegenheit, die man sofort ergreifen und bestmöglich leben muß. Es ist vor allem wichtig, ein echtes gegenseitiges Kennenlernen zu fördern, das sich nicht auf den engsten Kreis der Dialoginstanz beschränken kann, sondern nach und nach auf dessen Ränder ausstrahlen soll, auf die einzelnen Menschen, die Tag für Tag in den Städten und Dörfern eine Gesinnung der gegenseitigen Achtung entwickeln sollen, die zu einer gegenseitigen Wertschätzung werden könnte. Der einzelne und die Menschheit würden davon genauso profitieren wie die Religionen. Die in Ägypten ansässigen Forschungsinstitute der Ordensgemeinschaften der Dominikaner und der Franziskaner bieten auch Raum für interreligiöse Begegnungen. Ihre Anwesenheit und ihre Aktivitäten beweisen, daß es möglich ist, in einer geeinten und freundlichen Nation als Brüder zu leben.

Bitte übermitteln Sie, Frau Botschafter, auch der katholischen Gemeinschaft Ihres Landes meine Grüße. Auch wenn sie zahlenmäßig sehr klein ist, ist sie Ausdruck der großen Vielfalt, die in unserer Kirche besteht, und der Möglichkeit einer harmonischen Koexistenz zwischen den großen östlichen und abendländischen christlichen Traditionen. Ihr soziales und historisches Engagement unter dem ägyptischen Volk in den Bereichen der Erziehung, der Gesundheitsfürsorge und der karitativen Werke gibt Zeugnis von der unentgeltlichen Liebe, die keine religiöse Ausgrenzung kennt. Das wird von der ganzen ägyptischen Gesellschaft anerkannt und geschätzt. Darüber hinaus möchte die katholische Kirche in Ihrem Land auch die zahlreichen katholischen Touristen erreichen, die es besuchen und ihre Religion ausüben wollen. Ich bin überzeugt, daß man ihnen schon bald die Möglichkeit geben wird, in geeigneten Kultstätten in den neuen Tourismuszentren, die in den letzten Jahren entstanden sind, in würdiger Weise zu Gott zu beten. Das wäre ein schönes Zeichen, das Ägypten der Welt dadurch gäbe, daß es in vollem Einklang mit seiner alten und vornehmen Tradition die freundschaftlichen und brüderlichen Beziehungen zwischen den Religionen und Völkern fördert.

Da Sie nun Ihre Mission bei der Vertretung beim Heiligen Stuhl antreten, versichere ich Ihnen, daß Sie bei meinen Mitarbeitern stets freundliche Aufnahme und aufmerksames Verständnis finden werden, und spreche Ihnen, Frau Botschafter, meine herzlichen Wünsche für die glückliche Erfüllung Ihrer Sendung aus, damit die harmonischen Beziehungen, die zwischen der Arabischen Republik Ägypten und dem Heiligen Stuhl bestehen, weitergehen und sich vertiefen können. Auf Sie, Exzellenz, auf Ihre Familie und Ihre Mitarbeiter sowie auf die Verantwortlichen und auf alle Einwohner Ägyptens rufe ich aus ganzem Herzen die Fülle der Segnungen des Allmächtigen herab.



AN DIE TEILNEHMER AM ERSTEN SEMINAR DES KATHOLISCH-MUSLIMISCHEN FORUMS

Sala Clementina

Donnerstag, 6. November 2008

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Liebe Freunde!


Ich freue mich, Sie heute vormittag zu empfangen, und begrüße Sie alle ganz herzlich. Ich danke besonders Kardinal Jean-Louis Tauran sowie Scheich Mustafa Ceric und Herrn Seyyed Hossein Nasr für ihre Worte. Unsere Begegnung findet zum Abschluß des wichtigen Seminars statt, das vom »Katholisch/Muslimischen Forum« veranstaltet wurde. Eingerichtet wurde dieses Forum vom Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog und Vertretern jener 138 muslimischen Religionsführer, die am 13. Oktober 2007 den an die christlichen Oberhirten gerichteten offenen Brief unterzeichnet hatten. Das jetzige Treffen ist ein klares Zeichen unserer gegenseitigen Achtung und unseres Wunsches, einander respektvoll zuzuhören. Ich kann Ihnen zusichern, daß ich den Verlauf Ihrer Tagung im Gebet begleitet habe, da ich mir bewußt bin, daß sie im Rahmen anderer, vom Heiligen Stuhl geförderter regelmäßiger Begegnungen mit verschiedenen muslimischen Gruppen einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einem größeren Verständnis zwischen Moslems und Christen darstellt. Der offene Brief »Ein gemeinsames Wort zwischen uns und euch« hat zahlreiche Antworten erhalten und zum Dialog, zu besonderen Initiativen und Begegnungen angeregt, die uns helfen sollen, einander genauer kennenzulernen und in der Achtung unserer gemeinsamen Werte zu wachsen. Das große Interesse, das dieses Seminar geweckt hat, ist für uns ein Ansporn sicherzustellen, daß die Überlegungen und die positiven Entwicklungen, die vom muslimischchristlichen Dialog ausgehen, nicht auf eine kleine Gruppe von Experten und Gelehrten beschränkt bleiben, sondern als ein kostbares Vermächtnis weitergegeben werden, damit sie in den Dienst aller gestellt werden und im Alltagsleben Früchte tragen. Das Thema, das Sie für Ihr Treffen gewählt haben - »Gottesliebe, Nächstenliebe: Die Würde des Menschen und die gegenseitige Achtung« - ist besonders bedeutsam. Es wurde dem offenen Brief entnommen, der die Gottes- und die Nächstenliebe als das Herzstück sowohl des Islam wie des Christentums darstellt. Dieses Thema beleuchtet klarer die theologischen und spirituellen Grundlagen einer zentralen Lehre unserer jeweiligen Religionen.

Die christliche Tradition verkündet, daß Gott die Liebe ist (vgl.
1Jn 4,16). Aus Liebe hat er das ganze Universum geschaffen und wird durch seine Liebe in der menschlichen Geschichte gegenwärtig. Die Liebe Gottes wurde sichtbar, sie offenbarte sich vollkommen und endgültig in Jesus Christus. So kam er herab, um dem Menschen zu begegnen, und während er Gott blieb, nahm er unsere Natur an. Er gab sich selbst hin, um jedem Menschen die volle Würde zurückzugeben und uns das Heil zu bringen. Wie könnten wir das Geheimnis der Menschwerdung und der Erlösung jemals anders erklären als durch die Liebe? Diese unendliche und ewige Liebe ermöglicht es uns zu antworten, indem wir sie mit unserer ganzen Liebe erwidern: Gottesliebe und Nächstenliebe. Diese Wahrheit, die wir als grundlegend ansehen, wollte ich in meiner ersten Enzyklika Deus Caritas est herausstellen, da es sich um eine zentrale Lehre des christlichen Glaubens handelt. Es ist unsere Berufung und Sendung, die Liebe, mit der uns Gott ohne jedes Verdienst so reich beschenkt, frei mit anderen zu teilen.

Ich bin mir sehr wohl bewußt, daß Moslems und Christen unterschiedliche Zugänge zu den Dingen haben, die Gott betreffen. Dennoch können und müssen wir an den einen Gott glauben, der uns geschaffen hat und sich um jeden Menschen in jedem Winkel der Welt sorgt. Wir müssen durch unsere gegenseitige Achtung und Solidarität gemeinsam zeigen, daß wir uns selbst als Glieder einer Familie betrachten: der Familie, die Gott von der Schöpfung der Welt bis zum Ende der menschlichen Geschichte geliebt und um sich gesammelt hat.

Ich freute mich zu hören, daß Sie bei dieser Tagung bezüglich der Notwendigkeit, voll und ganz an Gott zu glauben und unsere Mitmenschen, Brüder und Schwestern, besonders die Notleidenden, unvoreingenommen zu lieben, zu einer gemeinsamen Position gelangt sind. Gott fordert uns auf, uns gemeinsam für die Opfer von Krankheit, Hunger, Armut, Ungerechtigkeit und Gewalt einzusetzen. Für die Christen ist die Gottesliebe untrennbar verbunden mit der Liebe unserer Brüder und Schwestern, aller Männer und Frauen, ohne Unterschied der Rasse und Kultur. Wie der hl. Johannes schreibt: »Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott!, aber seinen Bruder haßt, ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht« (1Jn 4,20).

Die muslimische Tradition ist auch ganz eindeutig, wenn sie zum praktischen Einsatz im Dienst an den Ärmsten ermuntert und bereitwillig in ihrer eigenen Version an die »Goldene Regel« erinnert: Euer Glaube wird nur dann vollkommen sein, wenn ihr den anderen das tut, was ihr für euch selbst wünscht. Wir sollten also zusammenarbeiten in der Förderung des echten Respekts vor der Würde der menschlichen Person und der menschlichen Grundrechte, auch wenn unsere anthropologischen Sichtweisen und unsere Theologien das unterschiedlich begründen. Es gibt ein großes und weites Feld, auf dem wir bei der Verteidigung und Förderung der moralischen Werte, die Teil unseres gemeinsamen Erbes sind, miteinander tätig werden können. Erst wenn wir uns anschicken, die zentrale Stellung der menschlichen Person und der Würde jedes Menschen anzuerkennen, das Leben zu respektieren und zu verteidigen, das Geschenk Gottes und deshalb sowohl für Christen als auch für Moslems heilig ist - nur auf der Grundlage dieser Anerkennung können wir eine gemeinsame Basis für den Aufbau einer brüderlicheren Welt finden, einer Welt, in der Auseinandersetzungen und Differenzen friedvoll beigelegt werden und die vernichtende Macht der Ideologien neutralisiert wird.

Noch einmal: Meine Hoffnung ist, daß diese grundlegenden Menschenrechte für alle Menschen überall geschützt werden. Politische und religiöse Führer haben die Pflicht, die freie Ausübung dieser Rechte in voller Achtung für die Gewissens- und Religionsfreiheit jedes einzelnen Menschen zu gewährleisten. Die Diskriminierung und Gewalt, die religiöse Menschen auch heute in vielen Teilen der Welt erfahren, und die oft gewalttätigen Verfolgungen, denen sie ausgesetzt sind, stellen inakzeptable und nicht zu rechtfertigende Akte dar, die um so schwerwiegender und beklagenswerter sind, wenn sie im Namen Gottes ausgeführt werden. Gottes Name kann nur ein Name des Friedens und der Brüderlichkeit, der Gerechtigkeit und der Liebe sein. Wir sind aufgefordert, durch unsere Worte und vor allem durch unsere Taten zu zeigen, daß die Botschaft unserer Religionen unversiegbar eine Botschaft der Harmonie und des gegenseitigen Verständnisses ist. Es ist von wesentlicher Bedeutung, daß wir dies tun; andernfalls schwächen wir die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit nicht nur unseres Dialogs, sondern auch unserer Religionen selbst.

Ich bete dafür, daß das »Katholisch/Muslimische Forum«, das nun zuversichtlich seine ersten Schritte tut, immer mehr zu einem Ort des Dialogs werden und uns helfen wird, wenn wir miteinander den Weg zu einer immer volleren Erkenntnis der Wahrheit einschlagen. Die heutige Begegnung ist auch eine vorzügliche Gelegenheit, uns selber zu einem immer aufrichtigeren Streben nach der Gottesliebe und Nächstenliebe zu verpflichten: das ist die unerläßliche Voraussetzung, um den Männern und Frauen unserer Zeit einen glaubwürdigen Dienst der Versöhnung und des Friedens anzubieten.

Liebe Freunde, lassen Sie uns unsere von gutem Willen beseelten Anstrengungen vereinen, um alle Mißverständnisse und Meinungsverschiedenheiten zu überwinden! Lassen Sie uns den Entschluß fassen, Vorurteile aus der Vergangenheit auszuräumen und die oft verzerrten Bilder vom anderen zu korrigieren, die noch heute Schwierigkeiten in unseren Beziehungen hervorrufen können! Lassen Sie uns miteinander für die Bildung aller Menschen, besonders der Jugendlichen, arbeiten, um eine gemeinsame Zukunft aufzubauen! Möge uns Gott in unseren guten Absichten stärken und unseren Gemeinden ermöglichen, konsequent die Wahrheit der Liebe zu leben, die das Herz des religiösen Menschen und die Grundlage für die Achtung vor der Würde jedes Menschen darstellt. Möge Gott, der eine, barmherzige und mitleidsvolle, uns bei dieser anspruchsvollen Aufgabe beistehen, uns schützen, uns segnen und uns immer mit der Kraft seiner Liebe erleuchten.

AN HERRN VYTAUTAS ALIŠAUSKAS, NEUER BOTSCHAFTER DER REPUBLIK LITAUEN BEIM HL. STUHL

Freitag, 7. November 2008

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Exzellenz!


Ich freue mich, Sie zu Beginn Ihrer Mission willkommen zu heißen und das Schreiben entgegenzunehmen, das Sie als außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter der Republik Litauen beim Heiligen Stuhl akkreditiert. Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Worte und für die Grüße von seiten des Staatspräsidenten, Herrn Valdas Adamkus. Bitte übermitteln Sie ihm meine hochachtungsvollen guten Wünsche und die Versicherung meines Gebets für alle Menschen Ihrer Nation.

Besonders ermutigen mich Ihre Worte bezüglich der Notwendigkeit für das moderne Europa, aus der Überlieferung zu schöpfen, die der Lehre des Evangeliums entspringt. Ihr Land hat eine lange und edle christliche Geschichte, die bis zu den Tagen des hl. Kasimir und noch weiter zurückreicht. In den letzten Jahrhunderten hat der Glaube das litauische Volk durch Zeiten der Fremdherrschaft und der Unterdrückung hindurch getragen und ihm geholfen, seine Identität zu wahren und zu festigen. Jetzt, da die Republik ihre Unabhängigkeit wiedererlangt hat, kann sie ein bewegendes Zeugnis von den Werten geben, die ihr Volk befähigt haben, diese schwierigen Jahre zu überstehen.

Wie mein Vorgänger Johannes Paul II. aus eigener Erfahrung wußte, ist der gemeinsame Glaube eine wunderbare Quelle der Kraft und der Einheit in der Not. Gemeinschaften, die unter solchen Umständen gelebt haben, kommen zu der tiefen Überzeugung, daß man das wahre Glück nur in Gott findet. Sie wissen, daß jede Gesellschaft, die den Schöpfer verleugnet, unweigerlich beginnt, ihr Bewußtsein für das Schöne, das Wahre und das Gute des menschlichen Lebens zu verlieren.

Wie Sie, Exzellenz, jedoch angemerkt haben, ist jetzt eine neue Generation in den ehemaligen Ostblockländern herangewachsen - eine Generation, die jene Erfahrung der totalitären Herrschaft nicht geteilt hat und daher dazu neigt, ihre politische Freiheit als selbstverständlich hinzunehmen. Infolgedessen besteht die Gefahr, daß einige der Früchte, die in Zeiten der Prüfung herangereift sind, beginnen könnten, verloren zu gehen. Sie, Exzellenz, wissen sehr gut, welchen Gefahren die heutige Gesellschaft gegenübersteht, die zwar frei ist, aber immer mehr unter Zersplitterung und sittlicher Verwirrung leidet. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daß Litauen und mit ihm ganz Europa die Erinnerung an die Geschichte aufrechterhält, die es geprägt hat, um seine wahre Identität zu wahren und so in der Welt des 21. Jahrhunderts zu überleben und zu gedeihen.

Es ist ein Widerspruch und eine Tragödie, daß in der heutigen Zeit der Globalisierung, in der die Möglichkeiten, mit anderen zu kommunizieren und zu interagieren, in einem Grad zugenommen haben, der für frühere Generationen kaum vorstellbar gewesen wäre, so viele Menschen sich isoliert und voneinander getrennt fühlen. Daraus entstehen viele gesellschaftliche Probleme, die auf politischer Ebene allein nicht gelöst werden können, denn »auch die besten Strukturen funktionieren nur, wenn in einer Gemeinschaft Überzeugungen lebendig sind, die die Menschen zu einer freien Zustimmung zur gemeinschaftlichen Ordnung motivieren können« (Spe salvi ). Die Kirche spielt hier durch die Botschaft der Hoffnung, die sie verkündet, eine lebenswichtige Rolle. Sie strebt danach, eine Zivilisation der Liebe aufzubauen, indem sie lehrt, daß Gott Liebe ist und die Menschen guten Willens aufruft, in eine Liebesbeziehung zu ihm einzutreten. »Aus der Liebe zu Gott folgt die Teilnahme an Gottes Gerechtigkeit und Güte den anderen gegenüber« (ebd., 28), und daher führt die christliche Praxis ganz natürlich zur Solidarität mit den Mitbürgern und mit der ganzen Menschheitsfamilie. Sie führt zu einer Entschlossenheit, dem Gemeinwohl zu dienen und Verantwortung für die schwächeren Glieder der Gesellschaft zu übernehmen, und zügelt das Verlangen, Reichtum nur für sich allein anzuhäufen. Unsere Gesellschaft muß über die Verlockungen materieller Güter erhaben sein und vielmehr die Werte in den Mittelpunkt stellen, die wirklich das Wohl der menschlichen Person fördern.

Der Heilige Stuhl mißt den diplomatischen Beziehungen zu Ihrem Land, das durch ein jahrhundertealtes christliches Zeugnis geprägt ist, großen Wert bei. Durch unsere Zusammenarbeit können wir dazu beitragen, ein Europa aufzubauen, in dem die Verteidigung der Ehe und des Familienlebens, der Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod und die Förderung gesunden ethischen Handelns in der medizinischen und wissenschaftlichen Forschung an erster Stelle stehen: eines Handelns, das wirklich die Würde der menschlichen Person achtet. Wir können wahre Solidarität mit den Armen, den Kranken, den Schwachen und all jenen fördern, die am Rande der Gesellschaft stehen. Diese Werte werden bei all jenen Anklang finden - und besonders bei den jungen Menschen -, die nach Antworten auf ihre tiefen Fragen nach dem Sinn und Zweck des Lebens suchen. Sie werden für all jene Bedeutung haben, die danach trachten, die Wahrheit zu entdecken, die so oft durch die oberflächlichen Botschaften verdunkelt wird, die durch die postmoderne Gesellschaft verbreitet werden. Sie werden an alle appellieren, die kritisch genug sind, eine auf Relativismus und Säkularismus gründende Weltsicht abzulehnen, und vielmehr nach einem Leben entsprechend dem wahren Adel des menschlichen Geistes streben.

Exzellenz, ich hoffe, daß die diplomatische Mission, die Sie heute antreten, die Bande der Freundschaft, die zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Litauen bestehen, weiter festigen möge. Ich versichere Ihnen, daß die verschiedenen Abteilungen der Römischen Kurie stets bereit sind, Ihnen bei der Erfüllung Ihrer Pflichten Hilfe und Unterstützung anzubieten. Mit meinen aufrichtigen guten Wünschen rufe ich auf Sie, Ihre Familie und Ihre Mitbürger überreichen Segen, Frieden und Wohlergehen herab. Gott segne Litauen!

AN DIE TEILNEHMER AM INTERNATIONALEN KONGRESS DER PÄPSTLICHEN AKADEMIE FÜR DAS ZUM THEMA: "EIN GESCHENK FÜR DAS LEBEN. ÜBERLEGUNGEN ZUM PROBLEM DER ORGANSPENDE"

Freitag, 7. November 2008



Verehrte Mitbrüder im Bischofsamt,
sehr geehrte Damen und Herren!

Die Organspende ist eine besondere Form des Zeugnisses der Nächstenliebe. In einer Zeit wie der unseren, die häufig von verschiedenen Formen von Egoismus gekennzeichnet ist, wird es immer dringender zu verstehen, wie entscheidend es für eine richtige Auffassung vom Leben ist, in eine Logik der Unentgeltlichkeit einzutreten. Es gibt in der Tat eine Verantwortung der Liebe und der Barmherzigkeit, die einen verpflichtet, das eigene Leben zu einem Geschenk für die anderen zu machen, wenn man sich wirklich selbst verwirklichen will. Wie Jesus, der Herr, uns gelehrt hat, wird nur derjenige sein Leben retten können, der es hingibt (vgl. Lc 9,24). Während ich alle Anwesenden begrüße, gilt ein besonderer Gruß dem Senator Maurizio Sacconi, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Sozialpolitik. Des weiteren danke ich Erzbischof Rino Fisichella, dem Präsidenten der Päpstlichen Akademie für das Leben, für die an mich gerichteten Worte, mit denen er die tiefe Bedeutung dieser Begegnung deutlich machte und eine Zusammenfassung der Kongreßarbeiten vorlegte. Gemeinsam mit ihm danke ich auch dem Präsidenten der »International Federation of Catholic Medical Associations« und dem Direktor des »Centro Nazionale Trapianti« und unterstreiche dabei voll Anerkennung den Wert der Zusammenarbeit dieser Einrichtungen in einem Bereich wie der Organtransplantation, die, verehrte Damen und Herren, Gegenstand Ihrer Studien- und Diskussionstage gewesen ist.

Die Geschichte der Medizin zeigt klar und deutlich die großen Fortschritte, die erzielt werden konnten, um jedem Menschen, der leidet, ein immer würdigeres Leben zu ermöglichen. Die Gewebe- und Organtransplantationen stellen eine große Errungenschaft der medizinischen Wissenschaft dar und sind sicher für zahlreiche Menschen, die sich in schweren und manchmal extremen klinischen Situationen befinden, ein Zeichen der Hoffnung. Wenn sich unser Blick auf die ganze Welt ausweitet, können wir leicht die vielen und komplexen Fälle erkennen, in denen dank der Technik der Organtransplantation viele Menschen äußerst kritische Phasen überwunden haben und ihnen die Freude zu leben wiedergegeben wurde. Das hätte niemals geschehen können, wenn das Bemühen der Ärzte und die Kompetenz der Forscher nicht auf die Großmut und den Altruismus all derer hätten zählen können, die ihre Organe gespendet haben. Das Problem der Verfügbarkeit von lebenswichtigen Organen für die Transplantation ist leider kein theoretisches, sondern ein in dramatischer Weise praktisches Problem; das zeigt sich in den langen Wartelisten vieler Kranker, deren einzige Überlebenschance mit den geringen Angeboten verbunden ist, die dem tatsächlichen Bedarf nicht genügen.

Es ist vor allem im heutigen Kontext angebracht, wieder über diese Errungenschaft der Wissenschaft nachzudenken, damit es nicht dazu kommt, daß die anwachsende Nachfrage nach Transplantationen die ethischen Prinzipien untergräbt, die ihre Grundlage bilden. Wie ich in meiner ersten Enzyklika gesagt habe, wird der Leib niemals nur als reines Objekt angesehen werden können (vgl. Deus caritas est ); andernfalls würde die Logik des Marktes die Oberhand gewinnen. Der Leib jedes Menschen stellt zusammen mit dem Geist, der jedem Einzelnen geschenkt ist, eine untrennbare Einheit dar, in die das Bild Gottes selbst eingeprägt ist. Von dieser Dimension abzusehen führt zu Perspektiven, die nicht in der Lage sind, die Gesamtheit des in jedem Menschen gegenwärtigen Geheimnisses zu erfassen. Es ist daher notwendig, daß die Achtung der Würde des Menschen und der Schutz seiner persönlichen Identität an die erste Stelle gesetzt werden. Im Hinblick auf die Technik der Organtransplantation bedeutet dies, daß eine Organspende nur möglich ist, wenn niemals eine ernsthafte Gefahr für die eigene Gesundheit und die eigene Identität besteht, und immer nur aus einem moralisch gültigen und angemessenen Grund. Etwaige Vorstellungen von einem Handel mit Organen sowie auch die Anwendung diskriminierender oder utilitaristischer Kriterien stünden in derartigem Widerspruch zur Bedeutung, die der Spende zugrunde liegt, daß sie sich von selbst als moralisch unzulässige Handlungen ausschließen. Diesen Mißbräuchen bei den Transplantationen und dem Organhandel, die häufig unschuldige Menschen wie Kinder betreffen, müssen die Wissenschaftler und Ärzte bei der Ablehnung derartiger inakzeptabler Praktiken gemeinsam entgegentreten. Sie müssen daher entschieden als verabscheuungswert verurteilt werden. Das gleiche ethische Prinzip muß festgeschrieben werden, wenn man die Schaffung und Zerstörung menschlicher Embryonen vornehmen will, die für therapeutische Zwecke bestimmt sind. Die bloße Vorstellung, den Embryo als »therapeutisches Material« zu betrachten, widerspricht den kulturellen, zivilen und ethischen Grundlagen, auf die sich die Würde des Menschen stützt.

Es kommt häufig vor, daß die Technik der Organtransplantation durch eine Geste vollkommener Unentgeltlichkeit seitens der Verwandten von Patienten erfolgt, deren Tod festgestellt worden ist. In diesen Fällen ist der informierte Konsens die Vorbedingung der Freiheit, damit die Transplantation das Wesensmerkmal einer Spende hat und nicht als eine erzwungene Handlung oder als ein Akt der Ausnutzung ausgelegt werden kann. Es ist auf jeden Fall notwendig, daran zu erinnern, daß die einzelnen lebenswichtigen Organe ausschließlich »ex cadavere« entnommen werden können, der im übrigen auch seine Würde besitzt, die respektiert werden muß. Die Wissenschaft hat in diesen Jahren weitere Fortschritte bei der Feststellung des Todes des Patienten gemacht. Es ist also gut, daß die erreichten Ergebnisse die Zustimmung der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft erhalten, um so die Suche nach Lösungen zu begünstigen, die allen Sicherheit geben sollen. In einem Bereich wie diesem darf es nicht den geringsten Verdacht auf Willkür geben, und wo die Gewißheit noch nicht erreicht sein sollte, muß das Prinzip der Vorsicht vorherrschen. Dafür ist es angezeigt, die Forschung und das interdisziplinäre Denken so zu fördern, daß sich die öffentliche Meinung vor die klarste Wahrheit über die anthropologischen, sozialen, ethischen und rechtlichen Implikationen der Transplantationspraxis gestellt sieht. In diesen Fällen muß auf jeden Fall immer die Achtung vor dem Leben des Spenders als Hauptkriterium gelten, so daß die Organentnahme nur im Falle seines tatsächlichen Todes erlaubt ist (vgl. Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche CEC 476). Der Akt der Liebe, der durch die Spende der eigenen lebenswichtigen Organe zum Ausdruck kommt, bleibt als ein echtes Zeugnis der Nächstenliebe, die über den Tod hinaus zu blicken weiß, damit immer das Leben siegt. Des Wertes dieser Geste sollte sich der Empfänger sehr wohl bewußt sein; er ist der Empfänger einer Spende, die über den therapeutischen Nutzen hinausgeht. Was er noch vor einem Organ empfängt, ist in der Tat ein Zeugnis der Liebe, das eine ebenso großzügige Antwort hervorrufen soll, um auf diese Weise die Kultur des Spendens und der Unentgeltlichkeit zu fördern.

Der Königsweg, der zu befolgen ist, bis die Wissenschaft mögliche neue und fortschrittlichere Therapieformen entdeckt, wird die Bildung und Verbreitung eine Kultur der Solidarität sein müssen, die sich allen öffnet und niemanden ausschließt. Eine Organtransplantationsmedizin, die einer Ethik des Spendens entspricht, erfordert von seiten aller das Bemühen, jede mögliche Anstrengung in der Ausbildung und Information zu unternehmen, um so die Gewissen immer mehr für eine Problematik zu sensibilisieren, die direkt das Leben zahlreicher Personen betrifft. Es wird daher notwendig sein, Vorurteile und Mißverständnisse zu beseitigen, Mißtrauen und Ängste zu zerstreuen, um sie durch Gewißheiten und Garantien zu ersetzen, um so in allen ein immer weiter verbreitetes Bewußtsein des großen Geschenks des Lebens zu ermöglichen.

195 Mit diesen Gefühlen rufe ich, während ich jedem wünsche, mit der gebührenden Kompetenz und Professionalität weiterhin seine Pflicht zu erfüllen, die Hilfe Gottes auf die Arbeiten des Kongresses herab und erteile allen von Herzen meinen Segen.

AN DIE TEILNEHMER DES KONGRESSES "DAS ERBE DES LEHRAMTES PIUS' XII. UND DAS II. VATIKANISCHE KONZIL"

Samstag, 8. November 2008



Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Ich freue mich, Sie anläßlich des Kongresses über »Das Erbe des Lehramtes Pius’ XII. und das II. Vatikanische Konzil« zu empfangen, der von der Päpstlichen Lateranuniversität gemeinsam mit der Päpstlichen Universität Gregoriana veranstaltet wurde. Es ist ein wichtiger Kongreß, sowohl wegen des Themas, das er aufgreift, als auch wegen der Wissenschaftler aus verschiedenen Nationen, die daran teilnehmen. Während ich jeden herzlich begrüße, danke ich besonders Erzbischof Rino Fisichella, Rektor der Lateranuniversität, und P. Gianfranco Ghirlanda, Rektor der Universität Gregoriana, für die freundlichen Worte, mit denen sie die gemeinsamen Gefühle aller zum Ausdruck gebracht haben.

Ich bin sehr erfreut über das anspruchsvolle Thema, auf das Sie Ihre Aufmerksamkeit konzentriert haben. Wenn in den letzten Jahren von Pius XII. gesprochen wurde, galt die Aufmerksamkeit in überzogener Weise zumeist nur einer Problematik, die zudem ziemlich einseitig behandelt wurde. Das erschwerte, abgesehen von jeder anderen Überlegung, eine angemessene Annäherung an eine Gestalt von so großer historisch-theologischer Bedeutung, wie Papst Pius XII. es war. Die eindrucksvolle Aktivität, die dieser Papst insgesamt entfaltet hat, und ganz besonders sein Lehramt, mit dem Sie sich in diesen Tagen befaßt haben, sind ein beredter Beweis für das, was ich eben gesagt habe. Sein Lehramt zeichnet sich nämlich ebenso durch eine umfassende und positive Breite wie durch seine außerordentliche Qualität aus, weshalb man mit Recht behaupten kann, daß es ein wertvolles Erbe darstellt, aus dem die Kirche geschöpft hat und dies weiterhin tut.

Ich habe von der »umfassenden und positiven Breite« dieses Lehramtes gesprochen. Diesbezüglich genügt es, auf die Enzykliken und die unzähligen Ansprachen und Radiobotschaften hinzuweisen, die in den zwanzig Dokumentationsbänden - den »Insegnamenti« - seines Pontifikats enthalten sind. Von ihm wurden mehr als vierzig Enzykliken veröffentlicht. Darunter ragt die Enzyklika Mystici Corporis heraus, in der sich der Papst mit dem Thema des wahren und innersten Wesens der Kirche auseinandersetzt. Durch seine umfassende Untersuchung bringt er Licht in unsere tiefe ontologische Verbundenheit mit Christus und - in Ihm, durch Ihn und mit Ihm - mit allen anderen, von seinem Geist beseelten Gläubigen, die sich von seinem Leib nähren und, nachdem sie in Ihm verwandelt wurden, Ihm die Möglichkeit zur Fortsetzung und Ausweitung seines Heilswerkes in der Welt geben. Eng verbunden mit Mystici Corporis sind zwei andere Enzykliken: Divino afflante Spiritu über die Heilige Schrift und Mediator Dei über die heilige Liturgie. In ihnen werden die beiden Quellen vorgestellt, aus denen diejenigen stets schöpfen müssen, die zu Christus gehören, dem Haupt jenes mystischen Leibes, der die Kirche ist.

In diesem umfassenden Kontext hat Pius XII. über die verschiedenen Personengruppen gesprochen, die nach dem Willen des Herrn - wenn auch mit unterschiedlichen Berufungen und Aufgaben - zur Kirche gehören: die Priester, die Ordensleute und die Laien. So hat er weise Vorschriften für die Ausbildung der Priester erlassen, die sich durch die persönliche Liebe zu Christus auszeichnen sollen sowie durch ein einfaches, anspruchsloses Leben, durch die Treue gegenüber ihren Bischöfen und durch die Verfügbarkeit für jene, die ihrer pastoralen Sorge anvertraut sind. In der Enzyklika Sacra Virginitas und in anderen Dokumenten über das Ordensleben hat Pius XII. sodann die Vortrefflichkeit des »Geschenks« klar herausgestellt, das Gott gewissen Menschen mit dem Ruf gewährt, sich in der Kirche ganz dem Dienst an Ihm und am Nächsten zu weihen. Aus dieser Sicht besteht der Papst nachdrücklich auf der Rückkehr zum Evangelium und zum authentischen Charisma der Gründer und Gründerinnen der verschiedenen Orden und Ordenskongregationen, wobei er auch die Notwendigkeit einiger heilsamer Reformen anspricht. Außerdem gab es unzählige Anlässe, bei denen Pius XII. die Verantwortung der Laien in der Kirche behandelt hat. Im besonderen nutzte er die Gelegenheit der großen internationalen Kongresse, die dieser Thematik gewidmet waren. Gern setzte er sich mit den Problemen der einzelnen Berufe auseinander und wies zum Beispiel auf die Aufgaben und Pflichten der Richter, der Rechtsanwälte, der Sozialarbeiter und der Ärzte hin: Diesen letzteren widmete der Papst zahlreiche Ansprachen, in denen er die deontologischen Normen erläuterte, die sie bei ihrer Tätigkeit befolgen sollen. In der Enzyklika Miranda prorsus ging der Papst dann auf die große Bedeutung der modernen Kommunikationsmedien ein, die auf immer stärkere Weise die öffentliche Meinung zu beeinflussen begannen. Gerade deshalb unterstrich dieser Papst, der die neue Erfindung des Radios in höchstem Maße zur Geltung brachte, die Pflicht der Journalisten, wahrheitsgetreue und den sittlichen Normen entsprechende Informationen weiterzugeben.

Auch den Wissenschaften und den von ihnen erzielten außerordentlichen Fortschritten widmete Pius XII. seine Aufmerksamkeit. Trotz aller Bewunderung für die auf diesen Gebieten erreichten Errungenschaften versäumte es der Papst nicht, vor den Gefahren zu warnen, die eine Forschung, die sich nicht um die moralischen Werte kümmert, zur Folge haben kann. Ein Beispiel soll genügen: seine berühmte Ansprache über die Kernspaltung. Mit außerordentlichem Weitblick hat der Papst allerdings warnend auf die Notwendigkeit hingewiesen, mit allen Mitteln zu verhindern, daß diese genialen wissenschaftlichen Fortschritte für den Bau von tödlichen Waffen eingesetzt werden, die schreckliche Katastrophen und sogar die völlige Zerstörung der Menschheit auslösen könnten. Zu erwähnen sind ferner die langen, erleuchteten Ansprachen, welche die gewünschte Neuordnung der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft betreffen, als deren unverzichtbares Fundament er die Gerechtigkeit nannte, die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben zwischen den Völkern ist: »opus iustitiae pax! - Das Werk der Gerechtigkeit ist der Friede«. Besonders erwähnenswert ist auch die Lehre Pius’ XII. über Maria, die ihren Höhepunkt in der Verkündigung des Dogmas von der Aufnahme Mariens in den Himmel gefunden hat, mit dem der Heilige Vater die eschatologische Dimension unseres Daseins hervorheben und außerdem die Würde der Frau ehren wollte.

Was läßt sich über die Qualität des Lehramtes Pius’ XII. sagen? Er war gegen jede Art von Improvisation: Er schrieb jede Ansprache mit größter Sorgfalt, wobei er jeden Satz und jedes Wort abwog, bevor er es öffentlich aussprach. Er studierte aufmerksam die verschiedenen Sachverhalte und hatte die Gewohnheit, sich mit herausragenden Experten zu beraten, wenn es sich um Themen handelte, die eine spezielle Sachkenntnis erforderten. Von seiner Natur und seinem Wesen her war Pius XII. ein maßvoller Mensch und ein Realist, dem ein leichtfertiger Optimismus fremd war, aber er war ebenso immun gegenüber der Gefahr jenes Pessimismus, der nicht zu einem Gläubigen paßt. Fruchtlose Polemiken widerstrebten ihm, und er mißtraute zutiefst jedem Fanatismus und Sentimentalismus.


ANSPRACHE 2008 Januar 2008 191