ANSPRACHE 2009 12

12 Von den Anfängen des Christentums an waren die Apostel Petrus und Paulus eng mit Antiochien verbunden, wo man die Jünger Jesu zum erstenmal Christen nannte (vgl. Ac 11,26). Eure berühmten Väter im Glauben sind für uns unvergeßlich: an erster Stelle der hl. Ignatius, Bischof von Antiochien, dessen Namen die syrisch-antiochenischen Patriarchen im Augenblick der Übernahme des Patriarchenamts traditionsgemäß annehmen, und der hl. Ephräm, gemeinhin der Syrer genannt, dessen geistliches Licht die Universalkirche auch weiterhin hell erleuchtet. Mit ihnen haben auch andere große Heilige, Söhne und Hirten eurer Kirche, das Heilsgeheimnis - und das mehr als einmal - durch die hohe Beredtheit des Martyriums wunderbar darlegt.

Der neue Patriarch ist der erste Hüter dieses Erbes; dennoch muß ein jeder als Bruder und Mitglied der Synode im Geiste wirklicher bischöflicher Kollegialität auch selbst dazu seinen Beitrag leisten. In die Hände des neuen Patriarchen und des syrisch-katholischen Episkopats lege ich zuallererst und vor allem die Aufgabe der Einheit unter den Hirten und innerhalb der kirchlichen Gemeinschaften.

Eure Seligkeit!

Bei dieser freudigen Gelegenheit haben Sie, den heiligen Kanones entsprechend, um die »ecclesiastica communio« gebeten, die ich Ihnen gerne gewährt und damit einen Aspekt des Petrusamtes erfüllt habe, der mir besonders am Herzen liegt. Die Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom, dem Nachfolger des heiligen Apostels Petrus, den der Herr selbst als sichtbares Fundament der Einheit im Glauben und in der Liebe einsetzte, gewährleistet die Bindung an Christus, den Hirten, und fügt die Teilkirchen ein in das Geheimnis der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche.

Eure Seligkeit, Sie sind in Syrien geboren und aufgewachsen und kennen den Nahen Osten, die Wiege der syrisch-katholischen Kirche, sehr gut. Ihren bischöflichen Dienst haben Sie jedoch in Amerika ausgeübt, als erster Bischof der Eparchie »Our Lady of Deliverance in Newark« für die syrischen Gläubigen, die in den Vereinigten Staaten und in Kanada ansässig sind, und Sie haben auch das Amt des Apostolischen Visitators in Mittelamerika übernommen. Die orientalische Diaspora hat also dazu beigetragen, der syrischen Kirche ihren neuen Patriarchen zu geben. So werden die Bindungen an das Mutterland, das viele Orientalen verlassen müssen, um bessere Lebensbedingungen zu suchen, noch enger. Es ist mein Wunsch, daß im Orient, aus dem die Verkündigung des Evangeliums gekommen ist, die christlichen Gemeinschaften auch weiterhin am Leben bleiben und ihren Glauben bezeugen, wie sie es seit Jahrhunderten getan haben. Gleichzeitig wünsche ich, daß allen, die sich andernorts niedergelassen haben, die entsprechende pastorale Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, damit sie in fruchtbarer Weise mit ihren religiösen Wurzeln verbunden bleiben können. Ich bitte den Herrn, jeder orientalischen Gemeinschaft zu helfen, sich dort, wo sie sich befindet, in ihr neues soziales und kirchliches Umfeld einzufügen, ohne ihre eigene Identität zu verlieren und unter Bewahrung der Merkmale der orientalischen Spiritualität, damit die Kirche zum heutigen Menschen wirksam von Christus spricht, indem sie »die Worte des Orients und des Abendlandes« gebraucht. Auf diese Weise werden die Christen den dringendsten Herausforderungen der Menschheit begegnen, den Frieden und die weltweite Solidarität aufbauen und Zeugnis geben von der »großen Hoffnung«, deren unermüdliche Boten sie sind.

Eurer Seligkeit und der syrisch-katholischen Kirche spreche ich mit Freuden herzliche Glückwünsche aus.

Ich bitte den Friedensfürsten, euch als »caput et pastor« beizustehen, ebenso wie allen euren Brüdern und Söhnen, auf daß ihr Frieden säen möget vor allem im Heiligen Land, im Irak und im Libanon, wo die syrische Kirche für ihre historische Präsenz hochgeschätzt wird.

Indem ich euch alle der allerseligsten Muttergottes anvertraue, erteile ich dem neuen Patriarchen und einem jeden von euch sowie den Gemeinschaften, die ihr vertretet, von ganzem Herzen den Apostolischen Segen.



AN DIE BISCHÖFE DER CHALDÄISCHEN KIRCHE ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Samstag, 24. Januar 2009


Eure Seligkeit,
liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst!

13 Zum Abschluß eures »Ad-limina«-Besuches heiße ich euch, die Hirten der chaldäischen Kirche, mit eurem Patriarchen, Seiner Seligkeit Kardinal Emmanuel III. Delly, mit großer Freude willkommen; ihm danke ich für die freundlichen Worte, die er in eurem Namen an mich gerichtet hat. Dieser Besuch ist ein wichtiger Augenblick, denn er ermöglicht, die Bande des Glaubens und der Gemeinschaft mit der Kirche von Rom und dem Nachfolger Petri zu festigen. Er bietet mir auch Gelegenheit, euch und durch euch alle Gläubigen eurer ehrwürdigen Patriarchalkirche sehr herzlich zu grüßen und euch in diesen schwierigen Momenten, die eure Region und besonders der Irak immer noch erleben, meines inständigen Gebetes und meiner geistlichen Nähe zu versichern.

Erlaubt mir, an dieser Stelle mit innerer Anteilnahme der Opfer der Gewalt der letzten Jahre im Irak zu gedenken. Ich denke dabei an den Erzbischof von Mossul, Paul Faraj Rahho, an den Priester Ragheed Aziz Ganni sowie an viele andere Priester und Gläubige eurer Patriarchalkirche. Ihr Opfer ist das Zeichen ihrer Liebe zur Kirche und zu ihrem Land. Ich bitte Gott, daß die friedliebenden Männer und Frauen in dieser geliebten Region ihre Kräfte vereinen, um der Gewalt Einhalt zu gebieten, damit alle in Sicherheit und Eintracht leben können! In diesem Zusammenhang nehme ich tief bewegt die Albe, die Erzbischof Faraj Rahho während der täglichen Meßfeier benutzte, als Geschenk entgegen, ebenso wie die Stola, die der Priester Ragheed Aziz Ganni benutzte. Dieses Geschenk spricht von ihrer großen Liebe zu Christus und zur Kirche.

Die chaldäische Kirche, deren Anfänge bis in die ersten Jahrhunderte der christlichen Zeit zurückreichen, hat eine lange und ehrwürdige Tradition. Diese bringt ihre Verwurzelung in den Regionen des Orients, in denen sie von ihren Anfängen an stets anwesend war, ebenso zum Ausdruck wie ihren unersetzlichen Beitrag für die Universalkirche, besonders durch ihre Theologen und geistlichen Lehrer. Ihre Geschichte zeigt auch, wie sehr sie sich stets aktiv und fruchtbar am Leben eurer Nationen beteiligt hat.

Heute muß die chaldäische Kirche, die unter den verschiedenen Komponenten eurer Länder einen wichtigen Platz einnimmt, diese Sendung im Dienst ihrer menschlichen und geistlichen Entwicklung fortsetzen. Daher ist es notwendig, ein hohes kulturelles Niveau der Gläubigen, besonders der Jugendlichen, zu fördern. Eine gute Ausbildung in den verschiedenen - sowohl religiösen als auch profanen - Wissensgebieten ist eine wertvolle Investition für die Zukunft.

Indem sie herzliche Beziehungen zu den Mitgliedern anderer Gemeinschaften unterhält, ist die chaldäische Kirche aufgerufen, eine wesentliche Rolle der Moderation im Hinblick auf den Aufbau einer neuen Gesellschaft zu spielen, in der alle in Eintracht und gegenseitiger Achtung leben können. Ich weiß, daß das Zusammenleben zwischen der muslimischen Gemeinschaft und der christlichen Gemeinschaft seit jeher Momente der Unsicherheit kennt. Die Christen, die seit alters her im Irak leben, sind dort vollberechtigte Bürger und teilen die Rechte und Pflichten aller, ohne Unterscheidung der Religion. Es ist mein Wunsch, eure Bemühungen um Verständigung und gute Beziehungen zu unterstützen, die ihr als gemeinsamen Weg gewählt habt, um in ein und demselben Land zu leben, das allen heilig ist.

Um ihre Sendung zu erfüllen, muß die Kirche ihre Bande der Gemeinschaft mit ihrem Herrn festigen, der sie versammelt und sie zu den Menschen sendet. Diese Gemeinschaft muß vor allem innerhalb der Kirche gelebt werden, damit ihr Zeugnis glaubhaft ist, wie Jesus selbst gesagt hat: »Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast« (
Jn 17,21). Daher möge das Wort Gottes stets im Mittelpunkt eurer Pläne und eurer Seelsorgetätigkeit stehen! Auf der Treue zu diesem Wort wird die Einheit unter allen Gläubigen aufgebaut, in Gemeinschaft mit ihren Hirten. Aus dieser Perspektive heraus geben die Richtlinien des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Liturgie auch allen die Möglichkeit, die Gaben, die der Herr seiner Kirche in der Liturgie und in den Sakramenten macht, immer fruchtbringender anzunehmen.

Im übrigen ist in eurer Patriarchalkirche die Synodenversammlung ein unleugbarer Reichtum. Sie muß ein vorrangiges Mittel sein, um dazu beizutragen, die Bande der Gemeinschaft fester und wirksamer zu machen und die gegenseitige Liebe unter den Bischöfen zu leben. Sie ist der Ort, an dem die Mitverantwortung tatsächlich durch eine echte Zusammenarbeit ihrer Mitglieder sowie durch regelmäßige, gut vorbereitete Begegnungen verwirklicht wird, die es gestatten, gemeinsame pastorale Leitlinien zu erarbeiten. Ich bitte den Heiligen Geist, die Einheit und das gegenseitige Vertrauen unter euch immer mehr wachsen zu lassen, damit der Hirtendienst, mit dem ihr betraut seid, zum größeren Wohl der Kirche und ihrer Glieder vollkommen verwirklicht wird. Andererseits trägt - vor allem im Irak - die chaldäische Kirche, der die Mehrheit der Gläubigen angehört, eine besondere Verantwortung, die Gemeinschaft und die Einheit des mystischen Leibes Christi zu fördern. Ich ermutige euch, eure Begegnungen mit den Hirten der verschiedenen Kirchen »sui iuris« wie auch mit den Verantwortlichen der anderen christlichen Kirchen fortzusetzen, um dem Ökumenismus Impulse zu verleihen.

In jeder Eparchie sind die verschiedenen pastoralen, verwaltungstechnischen und wirtschaftlichen Strukturen, die das Recht vorsieht, auch für euch wertvolle Hilfen, um die Gemeinschaft innerhalb der Gemeinden tatsächlich zu verwirklichen und die Zusammenarbeit zu fördern.

Unter den Notständen, denen ihr abhelfen müßt, befindet sich auch die Situation der Gläubigen, die täglich der Gewalt gegenüberstehen. Ich verneige mich vor ihrem Mut und ihrer Beharrlichkeit angesichts der Prüfungen und der Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind, besonders im Irak. Das Zeugnis, das sie vom Evangelium geben, ist ein beredtes Zeichen für die Lebendigkeit ihres Glaubens und für die Kraft ihrer Hoffnung. Ich ermutige euch nachdrücklich, die Gläubigen dabei zu unterstützen, die gegenwärtigen Schwierigkeiten zu überwinden und ihre Präsenz zu stärken, indem ihr besonders von den verantwortlichen Obrigkeiten die Anerkennung ihrer Menschen- und Bürgerrechte fordert und sie anspornt, das Land ihrer Vorfahren zu lieben, dem sie sich tief verbunden fühlen.

Die Zahl der Gläubigen der Diaspora steigt ständig an, besonders infolge der Ereignisse der letzten Zeit. Ich danke allen, die in verschiedenen Ländern an der brüderlichen Aufnahme von Personen beteiligt sind, die den Irak leider vorübergehend verlassen mußten. Es wäre gut, wenn die chaldäischen Gläubigen, die außerhalb der Landesgrenzen leben, ihre Bindung an ihr Patriarchat erhalten und vertiefen, damit sie nicht vom Mittelpunkt ihrer Einheit getrennt werden. Die Gläubigen müssen unbedingt ihre kulturelle und religiöse Identität wahren, und die jüngeren unter ihnen müssen den Reichtum des Erbes ihrer Patriarchalkirche entdecken und wertschätzen. Unter diesem Gesichtspunkt müssen die Hirten dem geistlichen und moralischen Beistand, dessen die in alle Welt verstreuten Gläubigen bedürfen, sorgfältige Beachtung schenken, in brüderlichem Verhältnis zu den Bischöfen der Ortskirchen, in denen sie sich aufhalten. Sie sollen auch darauf achten, daß die zukünftigen Priester, die auch in der Diaspora ausgebildet werden, die Bindung an ihre Patriarchalkirche wertschätzen und festigen.

Zum Abschluß möchte ich die Priester, die Diakone, die Seminaristen, die Ordensmänner und Ordensfrauen sowie alle Menschen herzlich grüßen, die mit euch darum bemüht sind, das Evangelium zu verkünden. Unter eurer väterlichen Leitung mögen alle ein lebendiges Zeugnis von ihrer Einheit und von der Brüderlichkeit geben, die sie zusammenführt!

14 Ich weiß um ihre Liebe zur Kirche und um ihren apostolischen Eifer. Ich lade sie ein, ihre Liebe zu Christus immer mehr zu entfalten und ihren Einsatz im Dienst der Kirche und ihrer Sendung mutig fortzusetzen. Seid euren Priestern Väter, Brüder und Freunde. Tragt besondere Sorge dafür, ihnen eine solide anfängliche Ausbildung und ständige Weiterbildung zu geben, und fordert sie durch euer Wort und euer Vorbild auch auf, den Menschen in Not und Schwierigkeiten, den Kranken und den Leidenden stets nahe zu sein.

Das Zeugnis der uneigennützigen Liebe der Kirche zu allen Notleidenden, ohne Unterscheidung von Herkunft oder Religion, muß alle Menschen guten Willens anspornen, Solidarität zu zeigen. Daher ist es wichtig, die Werke der Nächstenliebe auszubauen, damit sich die größtmögliche Zahl der Gläubigen konkret im Dienst an den Ärmsten einsetzen kann. Ich weiß, daß im Irak, trotz der schrecklichen Augenblicke, die ihr durchgemacht habt und die ihr noch immer erlebt, kleine Werke einer außerordentlichen Nächstenliebe entstanden sind, die Gott, der Kirche und dem irakischen Volk Ehre machen. Eure Seligkeit, liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst, ich wünsche euch, daß ihr mit Mut und Hoffnung eure Sendung im Dienst des euch anvertrauten Gottesvolkes fortsetzt. Das Gebet und die Unterstützung eurer Brüder im Glauben und zahlreicher Menschen guten Willens in der ganzen Welt mögen euch begleiten, damit das Antlitz der Liebe Gottes auch weiterhin über dem irakischen Volk leuchten möge, das so viel Leid erfahren hat. In den Augen des Gläubigen wird das Leiden, vereint mit dem Opfer Christi, zu einem Element der Einheit und der Hoffnung. Ebenso ist das Blut der Märtyrer dieser Erde eine beredte Fürbitte vor Gott. Überbringt den Mitgliedern eurer Diözesen den Gruß und die liebevolle Ermutigung des Nachfolgers Petri. Ich empfehle jeden von euch der mütterlichen Fürsprache der Jungfrau Maria, Mutter der Hoffnung, und erteile euch und euren Priestern und Diakonen sowie den geweihten Personen und allen Gläubigen der chaldäischen Kirche von ganzem Herzen einen besonderen Apostolischen Segen.



AN HERRN STANISLAS LEFEBVRE DE LABOULAYE, NEUER BOTSCHAFTER VON FRANKREICH BEIM HL. STUHL

Montag, 26. Januar 2009


Herr Botschafter!

Mit Freude empfange ich Eure Exzellenz zu dieser feierlichen Amtshandlung der Überreichung des Beglaubigungsschreibens, mit dem Sie als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Französischen Republik beim Heiligen Stuhl akkreditiert werden. Zunächst wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie Seiner Exzellenz Nicolas Sarkozy, Präsident der Französischen Republik, meine Grüße übermitteln würden, verbunden mit herzlichen Wünschen für seine Person und sein Wirken im Dienst Ihres Landes sowie für das gesamte französische Volk.

Es erfüllt mich mit lebhafter Freude, daß ich mich im letzten Jahr nach Paris und Lourdes begeben konnte, um den 150. Jahrestag der Erscheinungen der Jungfrau Maria vor Bernadette Soubirous zu begehen. Ich möchte dem Präsidenten der Republik erneut meine Dankbarkeit bezeugen für seine Einladung wie auch den politischen, zivilen und militärischen Autoritäten, die das gute Gelingen dieser Reise ermöglicht haben. Mein Dank gilt auch den Hirten und den katholischen Gläubigen, die diese großen Versammlungen ermöglicht haben. Sie haben bezeugt, daß der Glaube fähig ist, den »Raum der Innerlichkeit «, den es im Menschen gibt, friedlich offen zu halten und in brüderlicher und freudiger Weise große Menschenmengen zu versammeln, die sich aus sehr unterschiedlichen Männern und Frauen zusammensetzen.

Diese Momente haben - falls das überhaupt notwendig gewesen sein sollte - gezeigt, daß die katholische Gemeinschaft zu den lebendigen Kräften Ihres Landes gehört. Die Gläubigen haben die Worte Ihres Präsidenten mit Interesse und Befriedigung gehört und angenommen. Er hat unterstrichen, daß der Beitrag der großen spirituellen Familien für das Leben der Nation einen »großen Reichtum« darstellt, auf den zu verzichten, »verrückt« wäre. Die Kirche ist bereit, auf diese Einladung zu antworten und im Hinblick auf das Gemeinwohl tätig zu sein.

In diesem Jahr wird in Frankreich eine große Debatte in bezug auf die Bioethik stattfinden.

Mit Freude stelle ich fest, daß der Parlamentsausschuß zu Fragen hinsichtlich des Lebensendes weise und menschliche Schlüsse gezogen hat, indem er vorschlägt, den Einsatz für eine bessere Begleitung der Kranken zu verstärken. Ich wünsche, daß eben diese Weisheit, die die Unantastbarkeit jedes menschlichen Lebens anerkennt, auch bei der Revision der Gesetze im Bereich der Bioethik Anwendung findet. Die Hirten der Kirche Frankreichs haben viel gearbeitet und sind bereit, einen qualitätvollen Beitrag zur kommenden öffentlichen Debatte zu leisten. Auch das kirchliche Lehramt seinerseits hat im kürzlich von der Päpstlichen Kongregation für die Glaubenslehre veröffentlichten Dokument Dignitas personae betont, daß die großen wissenschaftlichen Fortschritte immer geleitet werden müssen von der Sorge, dem Wohl und der unveräußerlichen Würde des Menschen zu dienen.

Wie überall auf der Welt muß auch die Regierung Ihres Landes sich der Wirtschaftskrise stellen. Ich wünsche, daß die geplanten Maßnahmen insbesondere zum Ziel haben, den sozialen Zusammenhalt zu fördern, die schwächsten Teile der Bevölkerung zu schützen und vor allem der größtmöglichen Zahl von Menschen die Fähigkeit und die Möglichkeit wiederzugeben, aktive Teilnehmer einer Wirtschaft zu werden, die wirklich Dienste und wahre Reichtümer schafft. Diese Schwierigkeiten sind für viele eine schmerzliche Quelle von Sorge und Leid, aber sie stellen zugleich eine Gelegenheit für die Sanierung der finanziellen Mechanismen dar sowie für einen Fortschritt im Hinblick auf das Funktionieren der Wirtschaft in Richtung auf eine größere Sorge um den Menschen und den Abbau der alten und neuen Formen der Armut (vgl. Ansprache im Élysée- Palast, 12. September 2008).

Der Wunsch der Kirche ist es, Zeugnis abzulegen für Christus, indem sie sich in den Dienst aller Menschen stellt. Aus diesem Grund freue ich mich über die von Ihnen selbst soeben erwähnte Übereinkunft hinsichtlich der Anerkennung der von den Päpstlichen Universitäten und den katholischen Instituten ausgestellten Abschlüsse, die vor kurzem zwischen Frankreich und dem Heiligen Stuhl unterzeichnet wurde. Von diesem Abkommen, das sich in den Rahmen des Bologna- Prozesses einfügt, werden zahlreiche französische und ausländische Studenten profitieren.

15 Es stellt insbesondere im Bereich der Erziehung und Ausbildung den bedeutenden Beitrag der Kirche heraus, die sich für die Bildung der Jugend einsetzt, damit diese sich die technischen Kompetenzen aneignet, die nötig sind, um in der Zukunft ihre Fähigkeiten auszuüben, und auch eine Erziehung empfängt, die zur Wachsamkeit aufruft, um sich der ethischen Dimension jeder Verantwortung zu stellen.

Vor kurzem haben die französischen Behörden erneut ihre entschiedene Absicht bezeugt, Diskussionsmechanismen und Vertretungsorgane der Glaubensgemeinschaften einzurichten. In dieser Hinsicht konnte ich mich bei meiner Frankreichreise glücklich schätzen über die Stellung, die das offizielle Organ für den Dialog zwischen der französischen Regierung und der katholischen Kirche einnimmt. Zudem weiß ich um die beständige Sorge der Bischöfe Frankreichs, die Bedingungen für einen friedlichen und ständigen Dialog mit allen Religionsgemeinschaften und Denkrichtungen zu schaffen. Ich danke ihnen dafür, daß sie darüber wachen, die Grundlagen für einen interkulturellen und interreligiösen Dialog zu sichern, wo den verschiedenen Religionsgemeinschaften die Gelegenheit gegeben wird zu zeigen, daß sie Faktoren des Friedens sind. Denn indem sie - wie ich bereits in der Rede vor der UNO unterstrichen habe - den transzendenten Wert jedes Menschen anerkennen, richten sie keineswegs die Menschen gegeneinander, sondern begünstigen die Umkehr des Herzens, »die dann zu einem Verhalten führt, Gewalt, Terrorismus und Krieg zu widerstehen und Gerechtigkeit und Frieden zu fördern« (18. April 2008).

In diesem Zusammenhang haben Sie, Herr Botschafter, an die zahlreichen Krisen erinnert, die heute die internationale Bühne beherrschen. Es ist bekannt - und ich hatte Gelegenheit in meiner letzten Ansprache an das Diplomatische Korps daran zu erinnern -, daß der Heilige Stuhl mit beständiger Sorge die Konfliktsituationen und Fälle von Menschenrechtsverletzungen verfolgt, aber er zweifelt nicht daran, daß die internationale Gemeinschaft, in der Frankreich eine große Rolle spielt, einen immer gerechteren und wirksameren Beitrag zugunsten des Friedens und der Eintracht zwischen den Nationen und zur Entwicklung jedes Landes leisten kann.

Ich möchte bei unserer Begegnung die Gelegenheit ergreifen, um durch Sie von Herzen die Gemeinschaften der katholischen Gläubigen zu grüßen, die in Frankreich leben. Ich weiß, daß ihre Freude groß sein wird, wenn in diesem Jahr die sel. Jeanne Jugan heiliggesprochen wird, die Gründerin der Kongregation der »Kleinen Schwestern der Armen«. Viele Franzosen sind in der Tat dem demütigen und starken Zeugnis der Nächstenliebe gegenüber zu Dank verpflichtet, das die Schwestern auf den Spuren ihrer Gründerin abgelegt haben, um insbesondere den Armen und Kranken zu dienen.

Dieses Ereignis wird erneut bezeugen, wie sehr der lebendige Glaube reich ist an guten Werken und wie sehr die Heiligkeit ein wohltuender Balsam für die Wunden der Menschheit ist.

In dem Augenblick, in dem Sie Ihre edle Mission der Repräsentation beim Heiligen Stuhl beginnen, möchte ich das Andenken Ihres Vorgängers, Seiner Exzellenz Bernard Kessedjian, ehren, indem ich seinen menschlichen Qualitäten, die er in der Mission im Dienst der Beziehungen zwischen Frankreich und dem Heiligen Stuhl eingesetzt hat, meine Anerkennung ausspreche. Mit Dankbarkeit empfehle ich ihn und seine Familie der Zärtlichkeit des Herrn.

Herr Botschafter, ich bringe Ihnen meine besten Wünsche für ein gutes Gelingen Ihrer Mission zum Ausdruck. Seien Sie versichert, daß Sie bei meinen Mitarbeitern Aufnahme und Verständnis finden, wenn Sie es benötigen. Auf Ihre Exzellenz, Ihre Familie und Mitarbeiter sowie auf das ganze französische Volk und die leitenden Persönlichkeiten rufe ich von Herzen die Fülle des göttlichen Segens herab.



AN DIE BISCHÖFE VON RUSSLAND ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Donnerstag, 29. Januar 2009


Liebe und verehrte Brüder!

Im Rahmes des Paulusjahres, das wir gegenwärtig feiern, ist mir euer Besuch besonders willkommen, und mit Freude begrüße ich euch mit den Worten des Apostels: »Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus« (1Co 1,3). Ihr seid nach Rom gekommen, um die heiligen Orte zu verehren, an denen der hl. Petrus und der hl. Paulus ihr Leben im Dienst des Evangeliums mit dem Martyrium besiegelt haben, und eben das ist die vorrangige Bedeutung des Besuchs »ad limina Apostolorum«. Als Nachfolger der Apostel begegnet ihr dem Nachfolger Petri und hebt so die Gemeinschaft hervor, die euch an ihn bindet. Durch die Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom, dem Garanten der kirchlichen Einheit, können die eurer Seelsorge anvertrauten Gemeinden, obgleich sie eine Minderheit sind, sich »cum Petro« und »sub Petro« fühlen, als lebendiger Teil des über die ganze Erde verbreiteten Leibes Christi. Die Einheit, ein Geschenk Christi, wächst und entfaltet sich nämlich in den konkreten Situationen der verschiedenen Teilkirchen. In diesem Zusammenhang ruft das Zweite Vatikanische Konzil in Erinnerung: »Die Einzelbischöfe hinwiederum sind sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit in ihren Teilkirchen, die nach dem Bild der Gesamtkirche gestaltet sind. In ihnen und aus ihnen besteht die eine und einzige katholische Kirche« (Konstitution Lumen gentium LG 23). Euch, den Hirten der Kirche, die in Rußland lebt, bringt der Nachfolger Petri erneut seine Fürsorge und seine geistliche Nähe zum Ausdruck, mit der Ermutigung, die Pastoralarbeit vereint fortzusetzen und sich dabei auch die Erfahrung der Universalkirche zunutze zu machen.

Ich habe mit großem Interesse angehört, was ihr mir berichtet habt über eure Gemeinden, die einen Reifeprozeß durchmachen und gemeinsam ihr »Antlitz« als katholische Teilkirche vertiefen. Darauf ist im übrigen auch euer Bemühen um eine Inkulturation des Glaubens ausgerichtet. Ich bringe gern meine Anerkennung zum Ausdruck für euer Bemühen, durch das ihr Sorge tragt für eine verstärkte Teilnahme an der Liturgie und an den Sakramenten, für die Stärkung der Katechese, der Priesterausbildung sowie der Heranbildung reifer und verantwortungsbewußter Laien als Sauerteig des Evangeliums in den Familien und in der Zivilgesellschaft. Leider ist auch in Rußland, ebenso wie in anderen Teilen der Welt, die Krise der Familie und ein daraus folgender demographischer Rückgang zu verzeichnen, zusammen mit anderen Problematiken, die die heutige Gesellschaft schwer belasten. Bekanntlich bereiten diese Problematiken auch den staatlichen Autoritäten Sorgen. Es ist daher angebracht, zum Wohl aller auch weiterhin mit ihnen zusammenzuarbeiten. In diesem Zusammenhang ist eure Aufmerksamkeit zu Recht besonders auf die Jugendlichen gerichtet, und die katholische Gemeinschaft in Rußland ist aufgerufen, in Treue zum »Gedächtnis« ihrer Zeugen und Märtyrer und unter Anwendung angemessener Mittel und eines entsprechenden Sprachgebrauchs, das Erbe der Heiligkeit und der Treue zu Christus unverändert weiterzugeben, ebenso wie die menschlichen und geistlichen Werte, die einer wirksamen Förderung des Menschen, die dem Evangelium entspricht, zugrunde liegen.

16 Liebe Brüder im Bischofsamt, ihr habt täglich nicht wenige Sorgen zu bewältigen. Ich ermahne euch daher, nicht den Mut zu verlieren, wenn die kirchlichen Wirklichkeiten euch manchmal bescheiden vorkommen und die Ergebnisse, die ihr in der Seelsorge erzielt, den aufgebotenen Kräften nicht zu entsprechen scheinen. Nährt vielmehr in euch und in euren Mitarbeitern einen wahren Geist des Glaubens, im Bewußtsein, das ganz dem Evangelium entspricht: daß Jesus Christus euren Dienst durch die Gnade seines Geistes zu Ehren des Vaters fruchtbar machen wird, gemäß den Zeiten und Weisen, die nur er kennt. Fördert und pflegt auch weiterhin mit anhaltendem Bemühen und unter ständiger Aufmerksamkeit die Berufungen zum Priestertum und zum Ordensleben: Die Berufungspastoral ist in unseren Zeiten besonders notwendig. Tragt Sorge, die Priester mit demselben Eifer auszubilden, den Paulus gegenüber seinem Schüler Timotheus zeigte, damit sie wirkliche »Männer Gottes« seien (vgl. 1Tm 6,11). Seid ihnen Väter und Vorbilder im Dienst an den Brüdern; ermutigt ihre Brüderlichkeit und Freundschaft und Zusammenarbeit; unterstützt ihre ständige Weiterbildung in der Lehre und im geistlichen Leben. Betet für die Priester und gemeinsam mit ihnen, im Wissen, daß nur derjenige, der von Christus und in Christus lebt, sein treuer Diener und Zeuge sein kann. Ebenso muß euch die Ausbildung der geweihten Personen und das geistliche Wachstum der gläubigen Laien am Herzen liegen, damit sie ihr Leben als eine Antwort auf die allgemeine Berufung zur Heiligkeit verstehen, die ihren Ausdruck finden muß in einem konsequenten Zeugnis vom Evangelium in allen Situationen des Alltags.

Ihr lebt in einem besonderen kirchlichen Kontext, in einem Land, das, was die Mehrheit der Bevölkerung betrifft, von einer tausendjährigen orthodoxen Tradition mit einem reichen religiösen und kulturellen Erbe geprägt ist. Es ist sehr wichtig, sich die Notwendigkeit eines erneuerten Bemühens um den Dialog mit unseren orthodoxen Brüdern und Schwestern vor Augen zu halten; wir wissen, daß dieser Dialog trotz der Fortschritte, die gemacht wurden, noch immer einige Schwierigkeiten kennt. In diesen Tagen fühle ich mich den geliebten Brüdern und Schwestern der russisch-orthodoxen Kirche geistlich nahe, in ihrer Freude über die Wahl des Metropoliten Kyrill zum neuen Patriarchen von Moskau und ganz Rußland. Ihm spreche ich meine herzlichsten Wünsche aus für die schwierige kirchliche Aufgabe, die ihm anvertraut worden ist. Ich bitte den Herrn, uns alle zu bestätigen in unserem Bemühen, zusammen den Weg der Versöhnung und der brüderlichen Liebe zu gehen.

Eure Anwesenheit in Rußland möge auch ein Aufruf und ein Ansporn zum persönlichen Dialog sein. Wenn auch in den verschiedenen Begegnungen nicht immer grundlegende Fragen behandelt werden können, so tragen diese Kontakte dennoch dazu bei, einander besser kennenzulernen. Dadurch ist es möglich, in Bereichen zusammenzuarbeiten, die für die Erziehung und Bildung der neuen Generationen von gemeinsamem Interesse sind. Es ist wichtig, daß die Christen vereint den großen kulturellen und ethischen Herausforderungen der Gegenwart begegnen, in bezug auf die Würde der menschlichen Person und ihre unveräußerlichen Rechte, die Verteidigung des Lebens in jeder Phase, den Schutz der Familie und andere dringende wirtschaftliche und soziale Fragen.

Liebe Brüder, ich lobe den Herrn und bin euch zutiefst dankbar für das Gute, das ihr tut, indem ihr euren bischöflichen Dienst in voller Treue zum Lehramt erfüllt. Ich versichere euch eines täglichen Gebetsgedenkens. Durch euch möge mein Dank die Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und Laien erreichen, die mit euch im Dienst Christi und seines Evangeliums zusammenarbeiten. Ich rufe die mütterliche Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria und der Apostel Petrus und Paulus auf euch und eure apostolischen Pläne herab und erteile jedem von euch von Herzen einen besonderen Apostolischen Segen, in den ich gern die Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und die gesamte katholische Gemeinschaft einschließe, die Zeugnis gibt von Christus unter den Völkern der Russischen Föderation.



AN DIE MITGLIEDER DER GERICHTSHOFES DER RÖMISCHEN ROTA ANLÄSSLICH DER ERÖFFNUNG DES GERICHTSJAHRES

Donnerstag, 29. Januar 2009

17

Verehrte Richter, Offiziale und Mitarbeiter
des Gerichtshofes der Römischen Rota!

Zum feierlichen Beginn der richterlichen Tätigkeit eures Gerichtshofes habe ich auch dieses Jahr die Freude, dessen würdige Mitglieder zu empfangen: den hochwürdigsten Herrn Dekan, dem ich für die freundliche Grußadresse danke, das Kollegium der Prälaten-Auditoren, die Offizialen des Gerichtshofes und die Anwälte des »Studio Rotale«. Ich begrüße euch alle herzlich mit dem Ausdruck meiner Wertschätzung für die wichtigen Aufgaben, die ihr als treue Mitarbeiter des Papstes und des Heiligen Stuhls erfüllt.

Ihr erwartet zu Beginn eures Arbeitsjahres vom Papst ein Wort, das für euch bei der Erfüllung eurer heiklen Aufgaben Licht und Orientierung sein soll. Es gäbe wohl eine Vielzahl von Themen, bei denen wir uns aus diesem Anlaß aufhalten könnten, doch zwanzig Jahre nach den Ansprachen von Johannes Paul II. über die psychische Unfähigkeit in den Ehenichtigkeitsprozessen vom 5. Februar 1987 (in O.R. dt., Nr. 8, 20.2.1987, S. 10) und vom 25. Januar 1988 (in O.R. dt., Nr. 7, 12.2.1988, S. 9-11), scheint es angebracht sich zu fragen, in welchem Maße diese Ansprachen bei den kirchlichen Gerichtshöfen eine angemessene Rezeption gefunden haben. Das ist nicht der Augenblick, um Bilanz zu ziehen, aber allen steht die Tatsache eines Problems vor Augen, das nach wie vor von großer Aktualität ist. In manchen Fällen kann man leider spüren, daß die Forderung, von der mein verehrter Vorgänger sprach, nach wie vor besteht: nämlich daß die kirchliche Gemeinschaft »vor dem Ärgernis bewahrt wird, durch die übermäßige und fast automatische Zunahme der Nichtigkeitserklärungen - dann nämlich, wenn die Ehe mißlingt und man irgendeine Unreife oder psychische Schwäche der Partner zum Vorwand nimmt -, den Wert der christlichen Ehe praktisch vernichtet zu sehen« (Ansprache an die Rota Romana am 5 1987,9 in O.R. dt., Nr. 8,20 8,2 S. 10).

Bei unserer heutigen Begegnung ist mir daran gelegen, die Aufmerksamkeit der gerichtlichen Mitarbeiter auf das Erfordernis zu lenken, die Fälle mit der gebührenden Tiefe und Gründlichkeit zu behandeln, wie sie vom Dienst der Wahrheit und der Liebe, der gerade der Römischen Rota eigen ist, gefordert wird. Was das Erfordernis der Verfahrensstrenge betrifft, liefern in der Tat die oben genannten Ansprachen anhand der Prinzipien der christlichen Anthropologie die grundlegenden Kriterien nicht nur für die Prüfung der psychiatrischen und psychologischen Gutachten, sondern auch für die richterliche Entscheidung der Fälle. Diesbezüglich ist es angebracht, noch an einige Unterscheidungen zu erinnern, die die unterscheidende Trennlinie vor allem zwischen »einer psychischen Reife, die das Ziel der menschlichen Entwicklung wäre«, und »der kanonischen Reife…, die hingegen der minimale Ausgangspunkt für die Gültigkeit der Ehe ist« (ebd., Nr. 6), festlegen; zweitens die Unterscheidung zwischen Unfähigkeit und Schwierigkeit, da »nur die Unfähigkeit, und nicht schon die Schwierigkeit, das Jawort zu geben und eine echte Lebens- und Liebesgemeinschaft zu verwirklichen, die Ehe nichtig macht« (ebd., Nr. 7); drittens die Unterscheidung zwischen der kirchenrechtlichen Dimension der Normalität, die sich an der vollen Sicht der Person orientiert und deshalb »auch mäßige Formen psychologischer Schwierigkeiten einschließt«, und der klinischen Dimension, die aus dem Begriff der Normalität jede Einschränkung von Reife und »jede Form der Psychopathologie« ausschließt (Ansprache an die Römische Rota, 25.1.1988, a.a.O., Nr. 5, S. 10); schließlich die Trennlinie zwischen der »minimal ausreichenden Fähigkeit, einen gültigen Ehekonsens abzugeben« und der idealisierten Fähigkeit »der vollen Reife hinsichtlich eines glücklichen Ehelebens« (ebd., Nr. 9, S. 10).

In Anbetracht der Einbeziehung der Verstandes- und Willensfähigkeiten bei der Entstehung des Ehekonsenses bestätigte Papst Johannes Paul II. in der erwähnten Ansprache vom 5. Februar 1987 noch einmal den Grundsatz, wonach eine wirkliche Unfähigkeit »nur anzunehmen ist, wenn eine schwere Form von Anomalie vorliegt, die, wie auch immer man sie definieren will, die Fähigkeit des Partners, zu verstehen und/oder zu wollen, wesentlich beeinträchtigen muß« (Ansprache an die Römische Rota, a.a.O., Nr. 7, S. 10). Diesbezüglich scheint es mir angebracht, daran zu erinnern, daß die Norm des Codex über die psychische Unfähigkeit hinsichtlich ihrer Anwendung durch die jüngste Instruktion Dignitas connubii vom 25. Januar 2005 bereichert und ergänzt worden ist. Sie verlangt nämlich für die Erfüllung des Bestehens dieser Unfähigkeit, daß bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung eine besondere psychische Anomalie vorhanden ist (, § 1), die den Vernunftgebrauch (, § 2, Nr. 1;
CIC 1095, Nr. 1) oder die Kritik- und Wahlfähigkeit zum Fällen gewichtiger Entscheidungen, insbesondere im Hinblick auf die freie Wahl des Lebensstandes, schwerwiegend beeinträchtigt (, § 2, Nr. 2; CIC 1095, Nr. 2) oder die im Betroffenen nicht nur eine ernste Schwierigkeit, sondern auch die Unmöglichkeit hervorruft, die Aufgaben zu erfüllen, die den ehelichen Pflichten wesenhaft innewohnen (, § 2, Nr. 3; CIC 1095, Nr. 3).

Bei dieser Gelegenheit möchte ich jedoch das Thema der Unfähigkeit, eine Ehe zu schließen, von der Canon 1095 handelt, noch einmal im Licht der Beziehung zwischen der menschlichen Person und der Ehe betrachten und an einige Grundprinzipien erinnern, die die gerichtlichen Mitarbeiter beachten müssen. Es ist vor allem nötig, die Fähigkeit positiv wieder neu zu entdecken, die im Prinzip jeder Mensch besitzt, nämlich aufgrund seiner Natur als Mann oder Frau zu heiraten. Wir laufen nämlich Gefahr, in einen anthropologischen Pessimismus zu verfallen, der es im Licht der heutigen kulturellen Situation für nahezu unmöglich hält sich zu verheiraten. Abgesehen davon, daß die Situation in den verschiedenen Regionen der Welt nicht gleich ist, darf die wahre Ehekonsensunfähigkeit nicht mit den realen Schwierigkeiten verwechselt werden, in denen sich viele, besonders die jungen Menschen, befinden, die deshalb zur Ansicht gelangen, die Ehe sei normalerweise undenkbar und unpraktizierbar. Ja, die Bekräftigung der angeborenen Fähigkeit des Menschen zur Ehe ist gerade der Ausgangspunkt, um den Eheleuten zu helfen, die natürliche Wirklichkeit der Ehe und die Bedeutung zu entdecken, die sie auf der Ebene des Heils hat. Was schließlich auf dem Spiel steht ist die Wahrheit über die Ehe und über die ihr innewohnende rechtliche Natur (vgl. Benedikt XVI., Ansprache an die Römische Rota, 27.1.2007, in O.R. dt., Nr. 6, 9.2.2007, S. 7), was die unabdingbare Voraussetzung ist, um die geforderte Fähigkeit zur Eheschließung erfassen und beurteilen zu können.

In diesem Sinn muß die Fähigkeit mit dem in Zusammenhang gebracht werden, was die Ehe ihrem Wesen nach ist, nämlich »die innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe in der Ehe, vom Schöpfer begründet und mit eigenen Gesetzen geschützt« (II. Vat. Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes GS 48), und in besonderer Weise mit den ihr innewohnenden wesentlichen Verpflichtungen, die von den Eheleuten übernommen werden müssen (CIC 1095, Nr. 3). Diese Fähigkeit wird nicht in bezug auf einen bestimmten Grad der existentiellen oder wirksamen Verwirklichung des Ehebundes durch die Erfüllung der wesentlichen Pflichten bemessen, sondern in bezug auf den wirksamen Willen jedes der Eheleute, der diese Verwirklichung schon im Augenblick der Eheschließung möglich und wirksam macht. Das Reden über die Fähigkeit oder Unfähigkeit zur Ehe hat also in dem Maße Sinn, in dem es den Akt der Eheschließung selbst betrifft, denn das vom Willen der Partner hervorgerufene Eheband stellt die juristische Wirklichkeit der biblischen Aussage, »die beiden werden ein Fleisch sein« (Gn 2,24 Mc 10,8 Ep 5,31 vgl. CIC 1061, § 1), dar, deren Gültigkeit nicht vom späteren Verhalten der Eheleute während ihres Ehelebens abhängt. Andernfalls wird in der reduktionistischen Optik, die die Wahrheit über die Ehe nicht anerkennt, die tatsächliche - auf einer Ebene rein menschlichen Wohlergehens idealisierte - Verwirklichung einer wahren Lebens- und Liebesgemeinschaft im wesentlichen nur von nebensächlichen Faktoren abhängig gemacht, nicht jedoch von der Ausübung der menschlichen Freiheit, die von der Gnade unterstützt wird. Es stimmt, daß diese Freiheit der menschlichen Natur, die »in ihren natürlichen Kräften verletzt ist« und »zur Sünde neigt« (Katechismus der Katholischen Kirche CEC 405), begrenzt und unvollkommen ist , aber sie ist deshalb nicht unecht und unzureichend, um jenen Akt der Selbstbestimmung der Ehepartner zu verwirklichen, den Eheschließungsakt, der die Ehe und die auf ihr gegründete Familie ins Leben ruft.

Offensichtlich idealisieren einige anthropologische »humanistische« Strömungen, die auf die Selbstverwirklichung und egozentrische Selbsttranszendenz ausgerichtet sind, den Menschen und die Ehe so sehr, daß sie schließlich die psychische Fähigkeit vieler Menschen leugnen und sie auf Elemente gründen, die den wesentlichen Erfordernissen des Ehebandes nicht entsprechen. Diesen Auffassungen gegenüber müssen die Vertreter des Kirchenrechts dem gesunden Realismus Rechnung tragen, auf den mein verehrter Vorgänger hingewiesen hat (vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Römische Rota, 27.1.1997, 4; in O.R. dt., Nr. 9, 28.2.1997, S. 7), weil sich die Ehefähigkeit auf die notwendige Mindestanforderung bezieht, damit die Brautleute ihr Sein als Mann und Frau hingeben können, um jenes Band zu begründen, zu dem die große Mehrheit der Menschen berufen ist. Daraus folgt, daß die Ehe-Nichtigkeitsverfahren wegen psychischer Unfähigkeit prinzipiell erfordern, daß sich der Richter der Hilfe von Sachverständigen bedient, um das Vorhandensein einer wahren Unfähigkeit festzustellen (vgl. Can. 1680; Dignitas connubii, Art. 203, § 1), die immer eine Ausnahme vom natürlichen Prinzip der notwendigen Fähigkeit des Verstehens, des Entscheidens und des Sich-Selbstschenkens darstellt, aus dem das Eheband entsteht.

Das, liebe Mitglieder des Gerichtshofs der Römischen Rota, wollte ich euch bei diesem feierlichen und mir immer willkommenen Anlaß darlegen. Während ich euch auffordere, mit hohem christlichem Gewissen in der Ausübung eures Amtes fortzufahren, dessen große Bedeutung für das Leben der Kirche auch aus den eben gemachten Ausführungen hervorgeht, wünsche ich euch, daß euch der Herr bei eurer heiklen Arbeit stets mit dem Licht seiner Gnade begleite, dessen Unterpfand der Apostolische Segen sein soll, den ich einem jeden aus tiefstem Herzen erteile.




ANSPRACHE 2009 12