ANSPRACHE 2009 73

AN HERRN VÍCTOR MANUEL GRIMALDI CÉSPEDES, NEUER BOTSCHAFTER DER DOMINIKANISCHEN REPUBLIK BEIM HL. STUHL

Freitag, 3. April 2009



Herr Botschafter!

Mit großer Freude empfange ich Sie zu diesem feierlichen Akt, bei dem Eure Exzellenz das Beglaubigungsschreiben überreichen, mit dem Sie als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Dominikanischen Republik beim Heiligen Stuhl akkreditiert werden. Ich danke Ihnen für die ehrerbietigen Worte, die Sie an mich gerichtet haben, sowie für den liebenswürdigen Gruß von Dr. Leonel Antonio Fernández Reyna, Präsident dieser edlen Nation. Ich bitte Sie, ihm zu versichern, daß ich in meinen Gebeten seine Regierung und das geliebte dominikanische Volk, das dem Herzen des Papstes so nahe ist, dem Herrn anempfehle.

Eure Exzellenz kommen als Vertreter eines Landes mit tiefen katholischen Wurzeln, das, wie Sie soeben angedeutet haben, schon in seinem Namen, der auf den hl. Dominikus Guzmán, den berühmten Prediger des Gotteswortes, anspielt, an die Treue des Großteils seines Volkes zur christlichen Botschaft erinnert. Ich spreche den Wunsch aus, daß die herzlichen diplomatischen Beziehungen, die Ihre Nation mit dem Apostolischen Stuhl unterhält, in Zukunft noch enger werden.

Wie Eure Exzellenz auch erwähnen, bereitet sich die dominikanische katholische Gemeinschaft darauf vor, der am 8. August 1511 erfolgten Errichtung der Erzdiözese Santo Domingo zu gedenken. Dieses Jubiläum, verbunden mit dem kontinentalen Missionsauftrag, wie er von der in Aparecida abgehaltenen V. Generalversammlung der Bischöfe Lateinamerikas und der Karibik angeregt worden war, ist Ansporn für eine erneuerte missionarische und glaubensverkündende Dynamik, die die menschliche Förderung aller Glieder der Gesellschaft begünstigen wird.

»Die Kirche, die in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden darf noch auch an irgendein politisches System gebunden ist, ist zugleich Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person« (vgl. Gaudium et spes GS 76). In diesen Rahmen gegenseitiger Autonomie und gedeihlicher Zusammenarbeit fügen sich die diplomatischen Initiativen ein, die nach den Worten meines verehrten Vorgängers, des Dieners Gottes Johannes Paul II., »dem großen Anliegen des Friedens, der Annäherung und Zusammenarbeit unter den Völkern sowie einem fruchtbaren Gedankenaustausch dienen, um zu menschlicheren und gerechteren Beziehungen zu gelangen« (Ansprache an das bei der Dominikanischen Republik akkreditierte Diplomatische Korps, 11. Oktober 1992, Nr. 1; in O.R. dt., Nr. 43, 23.10.1992, S. 11). Deshalb mißt der Heilige Stuhl der beruflichen Aufgabe, die Eure Exzellenz heute übernehmen, große Beachtung bei. Ihr Land hat mit der Zeit ein reiches, tief in die Seele des Volkes eingeschriebenes kulturelles Erbe ausgebildet, in dem bedeutende Traditionen und Bräuche herausragen, von denen viele ihren Ursprung in der katholischen Lehre haben und von ihr gespeist werden; sie fördert bei denen, die sich zu ihr bekennen, eine Sehnsucht nach Freiheit und kritischem Bewußtsein, nach Verantwortung und Solidarität.

Vor mehr als fünfhundert Jahren wurde auf dem Boden der heutigen Dominikanischen Republik zum ersten Mal auf dem amerikanischen Kontinent die heilige Messe gefeiert. Von da an wurde dank einer großzügigen und opferbereiten Evangelisierungstätigkeit der Glaube an Jesus Christus immer lebendiger und wirksamer, so daß von der Insel »La Española« die Missionare mit dem Auftrag aufbrachen, die Frohbotschaft vom Heil auf dem Festland zu verkünden. Aus jenem ersten Samenkorn erwuchs dann wie ein fruchtbarer Baum die Kirche in Lateinamerika, die im Laufe der Jahre reiche Früchte der Heiligkeit, der Kultur und des Wohlstands für alle Glieder der Gesellschaft hervorgebracht hat.

74 In dieser Hinsicht ist es richtig, den von der Kirche durch ihre Einrichtungen geleisteten Beitrag zum Fortschritt des Landes anzuerkennen, vor allem im Erziehungsbereich durch die verschiedenen Universitäten, technischen Ausbildungszentren und kirchlichen Schulen; und im Fürsorgebereich durch die Betreuung und Sorge für die zahlreichen Einwanderer und Flüchtlinge, für behinderte, kranke und alte Menschen, für Waisenkinder und Bedürftige. In diesem Zusammenhang möchte ich gern die gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen den lokalen katholischen Einrichtungen und den Organen des Staates bei der Entwicklung von Programmen hervorheben, die stets das Gemeinwohl der Gesellschaft suchen, dabei aber den Bedürftigsten beistehen und echte moralische und geistliche Werte anregen.

Andererseits ist es von größter Bedeutung, daß angesichts der beträchtlichen politischen und sozialen Veränderungen, die die Dominikanische Republik in letzter Zeit durchläuft, jene edlen Grundsätze, die für die reiche dominikanische Geschichte seit der Gründung Ihrer Heimat kennzeichnend sind, fest verwurzelt bleiben und fortbestehen. Ich beziehe mich dabei vor allem auf die Verteidigung und Verbreitung menschlicher Grundwerte wie die Anerkennung und den Schutz der Würde der Person, die Achtung vor dem menschlichen Leben vom Augenblick seiner Empfängnis bis zu seinem natürlichen Tod und den Schutz der Familie, die auf der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau beruht - das sind unersetzliche und unverzichtbare Elemente des sozialen Gefüges.

In letzter Zeit sind dank der Arbeit der verschiedenen Instanzen Ihres Landes sowohl auf sozialer wie auf wirtschaftlicher Ebene beachtliche Ergebnisse erreicht worden, die eine hellere und ruhigere Zukunft erhoffen lassen. Es ist allerdings noch ein weiter Weg zurückzulegen, um den Bewohnern der Dominikanischen Republik ein würdiges Leben zusichern zu können und die Plagen der Armut, des Drogenhandels, der Ausgrenzung und der Gewalt auszumerzen. Deshalb ist alles, was auf die Stärkung der Institutionen abzielt, wesentlich für das Wohl der Gesellschaft, die sich auf Säulen wie die Kultivierung der Ehrlichkeit und Transparenz, die rechtliche Unabhängigkeit, die Pflege und Achtung der Umwelt und die Ausweitung und Stärkung der sozialen Dienste im Fürsorge-, Gesundheits- und Erziehungsbereich für die gesamte Bevölkerung stützt. Begleitet sein müssen diese Schritte von der festen Entschlossenheit, die Korruption, die vor allem für die ärmsten und schutzlosesten Glieder der Gesellschaft soviel Leiden zur Folge hat, endgültig auszurotten. Für die Schaffung eines Klimas echter Eintracht und der Suche nach wirksamen und stabilen Antworten und Lösungen für die dringendsten Probleme werden die dominikanischen Behörden immer die ausgestreckte Hand der Kirche für den Aufbau einer freieren, friedlicheren, gerechteren und brüderlicheren Gesellschaft finden.

Herr Botschafter, bevor wir unsere Begegnung abschließen, möchte ich Ihnen noch einmal meine geistliche Nähe aussprechen, zusammen mit meinen herzlichen Wünschen, daß die wichtige Aufgabe, die Ihnen übertragen worden ist, Ihrer Nation zum Wohl gereiche. Ich bitte Sie, sich gegenüber dem Herrn Präsidenten und der Regierung der Dominikanischen Republik zum Übermittler dieser Hoffnung zu machen. Eure Exzellenz, Ihre Familie und das Personal dieser Diplomatischen Vertretung werden bei der Erfüllung Ihrer hohen Verantwortung, für die ich Ihnen reiche Früchte wünsche, immer auf die Hochachtung, die gute Aufnahme und die Unterstützung des Apostolischen Stuhls zählen können. Ich bitte den Herrn auf Fürsprache Unserer Lieben Frau von Altagracia und des hl. Dominikus Guzmán, daß er mit himmlischen Gaben alle Söhne und Töchter dieses geliebten Landes reich beschenke, denen ich gern den Apostolischen Segen erteile.

DISCORSO DEL SANTO PADRE BENEDETTO XVI ALLA DELEGAZIONE DEL CIRCOLO SAN PIETRO


Sala dei Papi

Venerdì, 3 aprile 2009



Cari Soci del Circolo San Pietro!

Con vero piacere vi incontro e porgo a ciascuno di voi il mio cordiale saluto, che estendo volentieri ai vostri familiari e a quanti operano con voi nelle diverse attività promosse dal vostro benemerito sodalizio. Saluto, in particolare, il Presidente Generale, il Duca Leopoldo Torlonia, che ringrazio per le parole con le quali ha interpretato i comuni sentimenti, e il vostro Assistente spirituale, Mons. Franco Camaldo. L’occasione mi è propizia per rinnovarvi il mio vivo apprezzamento per il servizio che rendete al Papa, e per il contributo che offrite alla comunità cristiana di Roma, specialmente venendo incontro ai bisogni di tanti nostri fratelli poveri e indigenti. Vi ringrazio perché con queste vostre iniziative di solidarietà umana ed evangelica voi rendete presente, in un certo modo, la premura del Successore di Pietro verso chi si trova in condizioni di particolare necessità.

Noi sappiamo che l’autenticità della nostra fedeltà al Vangelo si verifica anche in base all’attenzione e alla sollecitudine concreta che ci sforziamo di manifestare verso il prossimo, specialmente verso i più deboli ed emarginati. Così, il servizio caritativo, che può dispiegarsi in una molteplicità di forme, diventa una privilegiata forma di evangelizzazione, alla luce dell’insegnamento di Gesù, il quale riterrà come fatto a se stesso quanto avremo fatto ai nostri fratelli, specialmente a chi tra loro è “piccolo” e trascurato (cfr Matteo 25,40). Perché allora il nostro servizio non sia soltanto azione filantropica, pur utile e meritevole, è necessario alimentarlo con costante preghiera e fiducia in Dio. Occorre armonizzare il nostro sguardo con lo sguardo di Cristo, il nostro cuore con il suo cuore. In tal modo, il sostegno amorevole offerto agli altri si traduce in partecipazione e consapevole condivisione delle loro speranze e sofferenze, rendendo visibile, e direi quasi tangibile, da una parte la misericordia infinita di Dio verso ogni essere umano, e dall’altra la nostra fede in Lui. Gesù, il suo Figlio Unigenito, morendo in croce, ci ha rivelato l’amore misericordioso del Padre che è sorgente della vera fraternità tra tutti gli uomini, e ci ha indicato l’unica via possibile per diventare credibili testimoni di questo Amore.

Tra qualche giorno, nella Settimana Santa, avremo la possibilità di rivivere intensamente la somma manifestazione dell’Amore divino. Potremo immergerci, ancora una volta, nei misteri della dolorosa passione e della gloriosa risurrezione del Signore nostro Gesù Cristo. Il Triduo Pasquale sia per ciascuno di voi, cari fratelli, occasione propizia per rinsaldare e purificare la vostra fede; per aprirvi alla contemplazione della Croce che è mistero di amore infinito a cui attingere forza per fare della vostra esistenza un dono ai fratelli. La Croce di Cristo - scrive il Papa san Leone Magno - è “sorgente di tutte le benedizioni, è causa di tutte le grazie” (cfr. Disc. 8 sulla passione del Signore, 6 - 8). Dalla Croce scaturisce anche la gioia e la pace del cuore, che rende testimoni di quella speranza di cui si avverte un grande bisogno in questo tempo di crisi economica diffusa e generalizzata. E di tale speranza saranno segni eloquenti le varie iniziative di carità del vostro benemerito Circolo San Pietro, come pure e soprattutto le vostre stesse esistenze, se vi lascerete guidare dallo Spirito di Cristo.

Cari amici, come ogni anno, siete venuti quest’oggi a consegnarmi l’obolo di San Pietro, che avete raccolto nelle parrocchie di Roma. Grazie per questo segno di comunione ecclesiale e di concreta partecipazione allo sforzo economico che la Sede Apostolica dispiega per andare incontro alle crescenti urgenze della Chiesa, specialmente nei Paesi più poveri della terra. Desidero, ancora una volta, manifestare il mio vivo apprezzamento per tale vostro servizio, animato da convinta fedeltà e adesione al Successore di Pietro. Il Signore vi renda merito e ricolmi di benedizioni il vostro Circolo; aiuti ciascuno di voi a realizzare pienamente la propria vocazione cristiana in famiglia, nel lavoro e all’interno della vostra Associazione. La Vergine Santa accompagni e sostenga con la sua materna protezione i vostri propositi e i vostri progetti di bene. Da parte mia, vi assicuro la mia preghiera per voi qui presenti, per tutti i soci e i volontari, come pure per quanti vi affiancano nelle varie vostre attività, e per coloro che incontrate nel vostro quotidiano apostolato. Con tali sentimenti, vi imparto con affetto una speciale Benedizione Apostolica, che estendo volentieri alle vostre famiglie e alle persone a voi care.



KREUZWEG AM KOLOSSEUM

WORTE VON BENEDIKT XVI.

Palatin

75
Karfreitag, 10. April 2009



Liebe Brüder und Schwestern!

Am Ende des dramatischen Berichts der Passion vermerkt der Evangelist Markus: „Als der Hauptmann, der Jesus gegenüberstand, ihn auf diese Weise sterben sah, sagte er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn“ (
Mc 15,39). Das Bekenntnis des Glaubens dieses römischen Soldaten, der bei den verschiedenen aufeinanderfolgenden Phasen der Kreuzigung zugegen war, muß uns überraschen. Als die Dunkelheit der Nacht über diesen in der Geschichte einmaligen Freitag hereinzubrechen begann, als das Opfer des Kreuzes schon vollzogen war und die Anwesenden sich beeilten, um das jüdische Pascha planmäßig feiern zu können, da erklangen in der Stille angesichts jenes ganz einzigartigen Todes die wenigen Worte aus dem Munde eines namenlosen Hauptmanns der römischen Truppe. Dieser Offizier der römischen Truppe, der der Hinrichtung eines von vielen zum Tode Verurteilten beigewohnt hatte, konnte in jenem Gekreuzigten den Sohn Gottes erkennen, der in ganz erniedrigender Verlassenheit verstorben war. Sein schändliches Ende hätte den endgültigen Triumph des Hasses und des Todes über die Liebe und das Leben bedeuten sollen. Aber so war es nicht! Auf Golgatha erhob sich das Kreuz, an dem ein bereits toter Mann hing, aber der Mann dort war der „Sohn Gottes“, wie der Hauptmann bekannte - „als er ihn auf diese Weise sterben sah“, präzisiert der Evangelist.

Das Glaubensbekenntnis dieses Soldaten wird uns jedesmal, wenn wir die Leidensgeschichte nach Markus hören, wieder vorgelegt. Heute abend, am Ende dieses traditionellen Kreuzwegs, der dank der Verbindungen via Rundfunk und Fernsehen viele Menschen aus allen Teilen der Welt vereinigt hat, verweilen auch wir wie er, um das leblose Antlitz des Gekreuzigten anzuschauen. Wir haben wieder die tragische Geschichte eines Mannes nachempfunden, der einzig ist in der Geschichte aller Zeiten und der die Welt verändert hat, indem er nicht andere tötete, sondern sich selbst ans Kreuz gehängt töten ließ. Dieser Mensch, der scheinbar einer von uns ist und der bei seinem Tod seinen Henkern vergibt, ist der „Sohn Gottes“, der - wie der Apostel Paulus uns erinnert - „nicht daran festhielt, wie Gott zu sein, sondern sich entäußerte und wie ein Sklave wurde … sich erniedrigte und gehorsam war bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (vgl. Ph 2,6-8).

Das schmerzliche Leiden des Herrn Jesus muß selbst die härtesten Herzen zum Mitleid bewegen, denn es bildet den Gipfel der Offenbarung der Liebe Gottes zu einem jeden von uns. Der Heilige Johannes bemerkt: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Jn 3,16). Aus Liebe zu uns stirbt Christus am Kreuz! Im Laufe der Jahrtausende haben sich Scharen von Männern und Frauen von diesem Geheimnis anziehen lassen und sind Ihm gefolgt. Dabei haben sie ihrerseits wie Er und dank seiner Hilfe das eigene Leben zu einer Gabe für die Mitmenschen gemacht. Es sind die Heiligen und die Märtyrer, von denen viele uns unbekannt bleiben. Wie viele Menschen vereinen auch in unserer Zeit in der Stille des täglichen Lebens ihre Leiden mit denen des Gekreuzigten und werden zu Aposteln einer echten geistlichen und gesellschaftlichen Erneuerung! Was wäre der Mensch ohne Christus? Augustinus stellt fest: „Du fändest dich immerzu im Elend, wenn er dir nicht Erbarmen erwiesen hätte. Du wärst nicht wieder zum Leben gekommen, wenn er nicht mit dir den Tod geteilt hätte. Du wärst zugrunde gegangen, wenn er dir nicht zu Hilfe gekommen wäre. Du wärst verloren, wenn er nicht gekommen wäre“ (Sermo 185, 1). Warum also nehmen wir Ihn nicht in unserem Leben auf?

Verweilen wir heute abend, um sein entstelltes Antlitz zu betrachten: Es ist das Antlitz des Schmerzensmannes, der all unsere tödlichen Ängste auf sich geladen hat. Sein Angesicht spiegelt sich in dem jedes gedemütigten und beleidigten, kranken und leidenden, einsamen, verlassenen und verachteten Menschen. Durch sein Blutvergießen hat er uns von der Knechtschaft des Todes befreit, hat die Einsamkeit unserer Tränen gesprengt, ist in all unser Leid und in all unsere Sorgen eingetreten.

Brüder und Schwestern! Während das Kreuz auf Golgatha emporragt, geht der Blick unseres Glaubens voraus zum Anbruch des neuen Tages, und wir kosten schon die Freude und den Glanz von Ostern. „Sind wir nun mit Christus gestorben“, - schreibt der heilige Paulus - „so glauben wir, daß wir auch mit ihm leben werden“ (Rm 6,8). In dieser Gewißheit gehen wir unseren Weg weiter. Morgen, am Karsamstag, werden wir wachend im Gebet verharren. Doch schon jetzt beten wir gemeinsam mit Maria, der Schmerzhaften Mutter Gottes, wir beten mit allen Betrübten, wir beten vor allem mit allen Leidtragenden des vom Erdbeben erschütterten Gebietes von L’Aquila: wir beten, daß auch ihnen in dieser dunklen Nacht der Stern der Hoffnung, das Licht des auferstandenen Herrn erscheine.

Schon jetzt wünsche ich allen: Gesegnete Ostern im Licht des auferstandenen Herrn!

AN DIE MITGLIEDER DER FRANZISKANISCHEN FAMILIE ANLÄSSLICH DES "MATTENKAPITELS"

Innenhof des Apostolischen Palastes von Castelgandolfo

Samstag, 18. April 2009


Liebe Brüder und Schwestern der Franziskanischen Familie!

76 Mit großer Freude heiße ich euch alle herzlich willkommen. Ein freudiger und historischer Anlaß hat euch zusammengeführt: der 800. Jahrestag der Approbation der »Protoregel« des hl. Franziskus durch Papst Innozenz III. Seitdem sind 800 Jahre vergangen, und jene Handvoll Brüder ist zu einer großen Schar geworden, die über die ganze Welt verteilt ist und die ihr heute würdig hier vertretet. In den vergangenen Tagen habt ihr euch in Assisi zum sogenannten »Mattenkapitel« versammelt, um eure Anfänge in Erinnerung zu rufen. Und am Ende dieser wunderbaren Erfahrung seid ihr gemeinsam zum »Herrn Papst« gekommen, wie euer seraphischer Gründer sagen würde. Ich begrüße euch alle sehr herzlich: die Minderbrüder der drei Observanzen unter der Leitung des jeweiligen Generalministers - unter ihnen danke ich P. José Rodriguez Carballo für seine freundlichen Worte; die Mitglieder des Dritten Ordens mit ihrem Generalminister; die Franziskanerinnen und die Mitglieder der franziskanischen Säkularinstitute; und auch die Klarissen, die den Zweiten Orden bilden und die wir im Geiste anwesend wissen. Ich freue mich, einige franziskanische Bischöfe zu empfangen, und insbesondere begrüße ich den Bischof von Assisi, Domenico Sorrentino, der die Kirche von Assisi vertritt, die Heimat von Franziskus und Klara und geistliche Heimat aller Franziskaner. Wir wissen, wie wichtig Franziskus die Verbindung mit dem damaligen Bischof von Assisi, Guido, war, der sein Charisma erkannte und sich für ihn einsetzte. Guido war es, der Franziskus dem Kardinal Giovanni di San Paolo vorstellte, und dieser wiederum führte ihn beim Papst ein und unterstützte so die Approbation der Regel. Beim Aufbau der Kirche ergänzen Charisma und Institution einander immer.

Was soll ich euch sagen, liebe Freunde? Vor allem möchte ich gemeinsam mit euch Gott danken für den ganzen Weg, den er euch zurücklegen ließ und auf dem er euch mit seinen Wohltaten reich bedacht hat. Und als Hirte der ganzen Kirche möchte ich ihm für das kostbare Geschenk danken, das ihr selbst für das ganze christliche Volk seid. Aus dem kleinen Bach, der am Fuße des »Monte Subasio« entsprungen ist, ist ein großer Strom geworden, der einen beachtlichen Beitrag zur Verbreitung des Evangeliums in der ganzen Welt geleistet hat. Alles begann mit der Bekehrung des Franziskus, der sich nach dem Vorbild Christi »entäußerte« (vgl.
Ph 2,7), sich mit der »Herrin Armut« vermählte und so zum Zeugen und Boten des Vaters im Himmel wurde. Auf den »Poverello« lassen sich einige Aussagen, die der hl. Paulus in bezug auf sich selbst macht, wörtlich übertragen. Jetzt im Paulusjahr möchte ich sie gerne ins Gedächtnis rufen: »Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat« (Ga 2,19-20). Weiter sagt er: »In Zukunft soll mir niemand mehr solche Schwierigkeiten bereiten. Denn ich trage die Zeichen Jesu an meinem Leib« (Ga 6,17). Diese Abschnitte aus dem Brief an die Galater lassen sich wortwörtlich auf die Gestalt des hl. Franziskus anwenden. Franziskus steht hier vollkommen in den Fußstapfen des Paulus, und er kann wahrlich mit ihm sagen: »Für mich ist Christus das Leben« (Ph 1,21). Er hat die Kraft der göttlichen Gnade erfahren und ist gleichsam gestorben und auferstanden. All sein früherer Reichtum, all das, was ihm Stolz und Sicherheit verlieh, alles wird ihm zum »Verlust«, als er dem gekreuzigten und auferstandenen Christus begegnet (vgl. Ph 3,7-11). An diesem Punkt wird es geradezu notwendig, alles zu verlassen, um den übergroßen Reichtum des erhaltenen Geschenks zum Ausdruck zu bringen. Dies ist so groß, daß es völlige Entäußerung verlangt, die jedoch nicht ausreicht; es verdient ein ganzes Leben »nach der Form des heiligen Evangeliums« (Testament, 14).

Und hier kommen wir zu dem Punkt, der sicherlich im Mittelpunkt unserer heutigen Begegnung steht. Ich würde ihn so zusammenfassen: das Evangelium als Lebensregel. »Regel und Leben der Minderen Brüder ist dieses, nämlich unseres Herrn Jesu Christi heiliges Evangelium zu beobachten«: So schreibt Franziskus am Anfang der Bullierten Regel (1,1). Er verstand sich selbst ganz im Licht des Evangeliums. Das macht ihn so anziehend. Das macht ihn stets zeitgemäß. Thomas von Celano berichtet über den »Poverello«: »Jesus trug er stets im Herzen, Jesus im Munde, Jesus in den Ohren, Jesus in den Augen, Jesus in den Händen, Jesus in seinen übrigen Gliedern … Ja noch mehr! Oft, wenn er seines Weges ging und ›Jesus‹ dachte oder sang, vergaß er seines Weges und forderte alle Elemente auf zum Lobe Jesu« (1 Cel., II,9,115). So wurde der »Poverello« zum lebendigen Evangelium, wurden durch ihn Männer und Frauen aller Zeiten zu Christus hingezogen, insbesondere junge Menschen, die die Radikalität den Halbheiten vorziehen. Bischof Guido von Assisi und später Papst Innozenz III. erkannten, daß das Vorhaben des Franziskus und seiner Gefährten wirklich dem Evangelium entsprach, und verstanden es, seine Bemühungen auch im Hinblick auf das Wohl der Universalkirche zu unterstützen.

An dieser Stelle denkt man unwillkürlich, daß Franziskus ja auch die Möglichkeit gehabt hätte, nicht zum Papst zu gehen. Viele religiöse Gruppen und Bewegungen entstanden in jener Zeit, und einige von ihnen stellten sich in Gegensatz zur Kirche als Institution oder versuchten zumindest nicht, von ihr anerkannt zu werden. Sicher hätte eine polemische Haltung gegenüber der Hierarchie Franziskus nicht wenige Anhänger gebracht. Er jedoch dachte sofort daran, seinen Weg und den seiner Gefährten in die Hände des Bischofs von Rom, des Nachfolgers Petri, zu legen. Diese Tatsache offenbart seinen wahren kirchlichen Geist. Das kleine »Wir«, das er mit seinen ersten Brüdern begonnen hatte, stellte er von Anfang an in das große »Wir« der einen und universalen Kirche. Und der Papst erkannte das und würdigte es. Auch der Papst seinerseits hätte nämlich die Möglichkeit gehabt, die Lebensregel des Franziskus nicht zu approbieren. Ja, es ist sogar sehr gut vorstellbar, daß der eine oder andere seiner Mitarbeiter ihm dazu riet, vielleicht gerade in der Furcht, daß diese Gruppe von Brüdern ähnlich war wie andere, häretische Gruppierungen der Zeit, die das Armutsideal verkündigten. Der Papst jedoch, der durch den Bischof von Assisi und den Kardinal Giovanni di San Paolo gut informiert war, erkannte das Werk des Heiligen Geistes und nahm die gerade entstehende Gemeinschaft der »Minderbrüder« an, segnete sie und ermutigte sie.

Liebe Brüder und Schwestern, acht Jahrhunderte sind seitdem vergangen, und heute wollt ihr die Geste eures Gründers erneuern. Ihr alle seid Kinder und Erben jener Anfänge, jenes »guten Samenkorns«, das Franziskus war. Er wiederum war jenem »Weizenkorn« gleichgestaltet, das Jesus, der Herr, ist, der gestorben und auferstanden ist, um reiche Frucht zu bringen (vgl. Jn 12,24). Die Heiligen machen immer wieder die Fruchtbarkeit Christi deutlich. Bemüht auch ihr euch, wie Franziskus und Klara von Assisi, stets dieser Logik zu folgen: für Jesus und das Evangelium das eigene Leben zu verlieren, um es zu retten und reiche Frucht tragen zu lassen. Wenn ihr den Herrn preist und ihm dankt, der euch in eine so große und schöne »Familie« berufen hat, dann hört stets darauf, was der Geist heute dieser Familie sagt, in jedem ihrer Mitglieder, damit sie auch weiterhin mit Leidenschaft das Reich Gottes verkündigt, auf den Spuren des seraphischen Vaters. Jeder Bruder und jede Schwester möge stets ein kontemplatives, einfaches und frohes Herz bewahren: Macht euch stets aufs neue in Christus auf, wie Franziskus nach dem Blick des Gekreuzigten in »San Damiano« und nach der Begegnung mit dem Aussätzigen sich aufmachte, um das Antlitz Christi in den leidenden Brüdern zu sehen und allen den Frieden zu bringen. Seid Zeugen der »Schönheit« Gottes, auf die Franziskus ein Loblieb zu singen wußte, als er die Wunder der Schöpfung betrachtete, und die ihn zum Allerhöchsten rufen ließ: »Du bist die Schönheit« (Lobpreis Gottes, 4).

Meine Lieben, als letztes Wort möchte ich euch jenes mit auf den Weg geben, das der auferstandene Jesus seinen Jüngern sagte: »Geht!« (vgl. Mt 28,19 Mc 16,15). Geht und setzt das Werk fort, »das Haus wiederherzustellen« - das Haus des Herrn, seine Kirche. In den vergangenen Tagen hat das Erdbeben in den Abruzzen viele Kirchen schwer beschädigt, und ihr aus Assisi wißt gut, was das bedeutet. Aber es gibt noch eine andere und viel schlimmere »Ruine«: die der Menschen und der Gemeinschaften! Beginnt wie Franziskus stets bei euch selbst. Wir sind das erste Haus, das Gott wiederherstellen will. Wenn ihr stets in der Lage seid, euch im Geist des Evangeliums zu erneuern, dann helft ihr auch weiterhin den Hirten der Kirche, ihr Antlitz als Braut Christi immer schöner zu machen. Das erwartet der Papst von euch, heute ebenso wie an den Anfängen. Danke, daß ihr gekommen seid! Jetzt geht und bringt allen den Frieden und die Liebe Jesu Christi, des Retters. Die unbefleckte Jungfrau Maria, »Jungfrau, zur Kirche gemacht« (vgl. Gruß an die selige Jungfrau Maria, 1), möge euch stets begleiten. Und es begleite euch auch der Apostolische Segen, den ich allen hier Anwesenden und der ganzen Franziskanischen Familie von Herzen erteile.

... auf englisch: Ich freue mich, die Generalminister zusammen mit den Priestern, Schwestern und Brüdern der weltweiten Franziskanischen Gemeinschaft, die bei dieser Audienz anwesend sind, auf besondere Weise zu begrüßen. Während ihr den 800. Jahrestag der Approbation der Regel des hl. Franziskus feiert, bete ich darum, daß durch die Fürsprache des »Poverello« die Franziskaner überall auf der Welt sich auch weiterhin vollkommen in den Dienst der anderen stellen mögen, besonders der Armen. Der Herr segne euch in euren Apostolaten und schenke euren Gemeinschaften viele Berufungen.

auf spanisch: Ich begrüße sehr herzlich die lieben Brüder und Schwestern der Franziskanischen Familie aus den Ländern spanischer Sprache. An diesem bedeutenden Jahrestag ermutige ich euch, Christus immer mehr zu lieben, um so nach dem Vorbild des Franziskus von Assisi euer Leben ganz nach dem Evangelium des Herrn auszurichten und der Welt ein großherziges Zeugnis der Liebe, der Armut und der Demut zu geben. Gott segne euch.

... auf polnisch: Einen herzlichen Gruß richte ich an die polnische Franziskanische Familie. Er gilt den Patres und den Brüdern, den Franziskanerinnen, Klarissen und den anderen Kongregationen, die auf der Spiritualität des hl. Franziskus gründen, sowie den Männern und Frauen, die dem Dritten Orden angehören. Am 800. Jahrestag der Approbation der »Protoregel« danke ich gemeinsam mit euch Gott für all das Gute, das der Orden zum Leben und zur Entwicklung der Kirche beigetragen hat. Ich danke euch besonders für den missionarischen Einsatz in den verschiedenen Kontinenten. Bleibt nach dem Vorbild eures Gründers in der Liebe des armen Christus und bringt allen Menschen die Freude des Evangeliums. Der Segen Gottes möge euch begleiten.

AN DIE MITGLIEDER DER PÄPSTLICHEN BIBELKOMMISSION

Donnerstag, 23. April 2009

Herr Kardinal, Exzellenz,
77 liebe Mitglieder der Päpstlichen Bibelkommission!

Ich freue mich, euch wieder am Schluß eurer Jahresvollversammlung zu empfangen. Ich danke Herrn Kardinal William Levada für seine Grußadresse und für die bündige Darlegung des Themas, das in eurer Versammlung Gegenstand aufmerksamen Nachdenkens war. Ihr seid neuerlich zusammengekommen, um ein sehr wichtiges Thema zu vertiefen: Inspiration und Wahrheit der Bibel. Es handelt sich um ein Thema, das nicht nur die Theologie, sondern die Kirche selbst betrifft, da sich das Leben und die Sendung der Kirche notwendigerweise auf das Wort Gottes gründen, das Seele der Theologie ist und zugleich die ganze christliche Existenz inspiriert. Das Thema, mit dem ihr euch auseinandergesetzt habt, antwortet außerdem auf eine Sorge, die mir besonders am Herzen liegt, da die Auslegung der Heiligen Schrift für den christlichen Glauben und für das Leben der Kirche von grundlegender Bedeutung ist.

Wie sie, Herr Präsident, bereits erwähnt haben, bot Papst Leo XIII. in der Enzyklika Providentissimus Deus den katholischen Exegeten neue Ermutigungen und neue Richtlinien zum Thema Inspiration, Wahrheit und Hermeneutik der Bibel. Später nahm Pius XII. in seiner Enzyklika Divino afflante Spiritu die vorhergehende Lehre auf und ergänzte sie durch die Ermahnung an die katholischen Exegeten, zu Lösungen zu kommen, die in voller Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche stehen, dabei aber den positiven Beiträgen der inzwischen entwickelten neuen Auslegungsmethoden gebührend Rechnung zu tragen. Der lebendige Impuls für das Bibelstudium, der, wie Sie auch gesagt haben, von diesen beiden Päpsten ausging, hat im Zweiten Vatikanischen Konzil volle Bestätigung gefunden und ist weiter entwickelt worden, was der gesamten Kirche bis heute zum Vorteil gereicht. Insbesondere die Konzilskonstitution Dei Verbum erleuchtet noch heute die Arbeit der katholischen Exegeten und lädt die Hirten und die Gläubigen ein, sich ausdauernder am Tisch des Wortes Gottes zu nähren. Das Konzil erinnert diesbezüglich vor allem daran, daß Gott der Urheber der Heiligen Schrift ist: »Das von Gott Geoffenbarte, das in der Heiligen Schrift enthalten ist und vorliegt, ist unter dem Anhauch des Heiligen Geistes aufgezeichnet worden; denn aufgrund apostolischen Glaubens gelten unserer heiligen Mutter, der Kirche, die Bücher des Alten wie des Neuen Testamentes in ihrer Ganzheit mit allen ihren Teilen als heilig und kanonisch, weil sie, unter der Einwirkung des Heiligen Geistes geschrieben, Gott zum Urheber haben und als solche der Kirche übergeben sind« (Dei Verbum
DV 11). Da also alles, was die inspirierten Verfasser oder Hagiographen aussagen, als vom Heiligen Geist, dem unsichtbaren und transzendenten Verfasser, ausgesagt zu gelten hat, ist folglich »von den Büchern der Schrift zu bekennen, daß sie sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte« (ebd.).

Aus dem richtigen Ansatz des Begriffs der göttlichen Inspiration und Wahrheit der Heiligen Schrift ergeben sich einige Normen, die ihre Auslegung unmittelbar betreffen. So erinnert uns die Konstitution Dei Verbum nach der Aussage, daß Gott der Urheber der Bibel ist, daran, daß in der Heiligen Schrift Gott auf menschliche Weise zum Menschen spricht. Und dieses göttlich-menschliche Zusammenwirken ist sehr wichtig: Gott spricht wirklich durch Menschen auf menschliche Weise. Für eine rechte Auslegung der Heiligen Schrift muß man daher aufmerksam erforschen, was die Hagiographen wirklich sagen wollten und was Gott durch menschliche Worte offenbaren wollte. »Denn Gottes Worte, durch Menschenzunge formuliert, sind menschlicher Rede ähnlich geworden, wie einst des ewigen Vaters Wort durch die Annahme menschlichschwachen Fleisches den Menschen ähnlich geworden ist« (Dei Verbum DV 13). Diese Hinweise, die für eine rechte Auslegung historisch-literarischen Charakters als erste Dimension jeder Exegese sehr notwendig sind, erfordern sodann eine Verbindung mit den Voraussetzungen der Lehre über die Inspiration und Wahrheit der Heiligen Schrift. Da die Heilige Schrift inspiriert ist, gibt es ein höchstes Prinzip der rechten Auslegung, ohne das die heiligen Schriften lediglich toter Buchstabe aus der Vergangenheit wären: Die Heilige Schrift muß »in dem Geist gelesen und ausgelegt werden, in dem sie geschrieben wurde« (Dei Verbum DV 12).

Diesbezüglich nennt das Zweite Vatikanische Konzil drei stets gültige Kriterien für eine Auslegung der Heiligen Schrift, die dem Geist, der sie inspiriert, entspricht. Zunächst gilt es, dem Inhalt und der Einheit der ganzen Schrift große Aufmerksamkeit zu schenken: Nur in ihrer Einheit ist sie Heilige Schrift. Denn bei aller Verschiedenheit der Bücher, aus denen sie besteht, ist die Heilige Schrift eine, aufgrund der Einheit des Planes Gottes, dessen Mitte und Herz Christus Jesus ist (vgl. Lc 25,25-27 Lc 25,44-46). Zweitens muß die Schrift im Kontext der lebendigen Überlieferung der ganzen Kirche gelesen werden. Nach einem Ausspruch des Origines: »Sacra Scriptura principalius est in corde Ecclesiae quam in materialibus instrumentis scripta«, ist »die Heilige Schrift zuerst im Herzen der Kirche, dann erst auf materielle Werkzeuge geschrieben worden«. Denn die Kirche trägt in ihrer Überlieferung das lebende Gedächtnis des Wortes Gottes, und der Heilige Geist schenkt ihr dessen Auslegung im geistlichen Sinn (vgl. Origines, Homiliae in Leviticum, 5,5). Als drittes Kriterium gilt es, der Analogie des Glaubens, das heißt dem Zusammenhang der einzelnen Glaubenswahrheiten untereinander und mit dem Gesamtplan der Offenbarung und der Fülle der in ihr enthaltenen göttlichen Ökonomie die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.

Aufgabe der Gelehrten, die die Heilige Schrift nach verschiedenen Methoden erforschen, ist es, den obengenannten Prinzipien gemäß zur tieferen Einsicht und Darlegung des Sinnes der Heiligen Schrift beizutragen. Das wissenschaftliche Studium der heiligen Texte ist wichtig, reicht allein aber nicht aus, weil es nur die menschliche Dimension berücksichtigen würde. Um die Kohärenz des Glaubens der Kirche zu berücksichtigen, muß der katholische Exeget darauf achten, das Wort Gottes in diesen Texten im Inneren des Glaubens der Kirche wahrzunehmen. Fehlt dieser unabdingbare Bezugspunkt, bliebe die exegetische Forschung unvollständig, weil sie ihren Hauptzweck aus den Augen verliert, ja Gefahr läuft, auf eine rein literarische Lesart reduziert zu werden, in welcher der wahre Verfasser - Gott - gar nicht mehr aufscheint. Zudem darf die Auslegung der Heiligen Schrift nicht nur eine individuelle wissenschaftliche Anstrengung sein, sondern muß ständig mit der lebenden Überlieferung der Kirche konfrontiert, in sie eingeschrieben und von ihr als authentisch bestätigt werden. Diese Norm ist entscheidend, um die richtige wechselseitige Beziehung zwischen der Exegese und dem Lehramt der Kirche zu präzisieren. Der katholische Exeget fühlt sich nicht nur als Glied der Gemeinschaft der Wissenschaftler, sondern auch und vor allem als Glied der Gemeinschaft der Gläubigen aller Zeiten. In Wirklichkeit sind diese Texte nicht den einzelnen Forschern oder der Gemeinschaft der Wissenschaftler anvertraut worden, »um deren Neugier zu befriedigen oder um Arbeits- und Forschungsmaterial zu bieten« (Divino afflante Spiritu, 35). Die von Gott inspirierten Texte sind an erster Stelle der Gemeinschaft der Gläubigen, der Kirche Christi anvertraut worden, um das Glaubensleben zu nähren und das Leben in der Liebe zu leiten. Die Einhaltung dieser Zielsetzung ist die Bedingung für die Gültigkeit und Wirksamkeit der biblischen Hermeneutik. An diese Grundwahrheit hat die Enzyklika Providentissimus Deus erinnert und festgestellt, daß die Einhaltung dieses Faktums die Bibelforschung keineswegs behindere, sondern ihren echten Fortschritt fördere. Ich würde sagen, eine Hermeneutik des Glaubens entspricht mehr der Wirklichkeit dieses Textes als eine rationalistische Hermeneutik, die Gott nicht kennt.

Der Kirche treu sein heißt nämlich, sich in den Strom der großen Tradition der Kirche zu stellen, die unter Leitung des Lehramts die kanonischen Schriften als Wort erkannt hat, das von Gott an sein Volk gerichtet wurde, und die nie aufgehört hat, über sie nachzudenken und ihren unerschöpflichen Reichtum zu entdecken. Das Zweite Vatikanische Konzil hat das mit aller Klarheit unterstrichen: »Alles, was die Art der Schrifterklärung betrifft, untersteht letztlich dem Urteil der Kirche, deren gottgegebener Auftrag und Dienst es ist, das Wort Gottes zu bewahren und auszulegen« (Dei Verbum DV 12). Wie uns die eben erwähnte dogmatische Konstitution in Erinnerung ruft, besteht eine untrennbare Einheit zwischen Heiliger Schrift und Überlieferung, da beide aus ein und derselben Quelle stammen: »Die Heilige Überlieferung und die Heilige Schrift sind eng miteinander verbunden und haben aneinander Anteil. Demselben göttlichen Quell entspringend, fließen beide gewissermaßen in eins zusammen und streben demselben Ziel zu. Denn die Heilige Schrift ist Gottes Rede, insofern sie unter dem Anhauch des Heiligen Geistes schriftlich aufgezeichnet wurde. Die Heilige Überlieferung aber gibt das Wort Gottes, das von Christus dem Herrn und vom Heiligen Geist den Aposteln anvertraut wurde, unversehrt an deren Nachfolger weiter, damit sie es unter der erleuchtenden Führung des Geistes der Wahrheit in ihrer Verkündigung treu bewahren, erklären und ausbreiten. So ergibt sich, daß die Kirche ihre Gewißheit über alles Geoffenbarte nicht aus der Heiligen Schrift allein schöpft. Daher sollen beide mit gleicher Liebe und Achtung angenommen und verehrt werden« (Dei Verbum DV 9). Wie wir wissen, ist die Formulierung »mit gleicher Liebe und Achtung« (»pari pietatis affectu ac reverentia«) eine Schöpfung des hl. Basilius, die dann in das Dekret Gratians aufgenommen wurde, von wo sie in das Konzil von Trient und in das Zweite Vatikanische Konzil Eingang gefunden hat. Sie drückt eben diese gegenseitige Durchdringung zwischen Heiliger Schrift und Tradition aus. Nur der kirchliche Rahmen erlaubt es, daß die Heilige Schrift als authentisches Wort Gottes verstanden wird, das zum Leitbild, zur Norm und Regelung für das Leben der Kirche und das geistliche Wachstum der Gläubigen wird. Wie ich schon gesagt habe, behindert das keineswegs eine ernsthafte, wissenschaftliche Auslegung, sondern eröffnet außerdem den Zugang zu den weiteren Dimensionen Christi, die einer rein literarischen Analyse nicht zugänglich sind, weil diese nicht dazu fähig ist, den umfassenden Sinn, der im Laufe der Jahrhunderte die Tradition des ganzen Gottesvolkes geleitet hat, in sich aufzunehmen.

Liebe Mitglieder der Päpstlichen Bibelkommission, ich möchte meine Rede damit schließen, daß ich euch allen meinen persönlichen Dank und meine Ermutigung ausspreche. Ich danke euch herzlich für die engagierte Arbeit, die ihr im Dienst des Wortes Gottes und der Kirche durch Forschung, Lehre und Veröffentlichung eurer Studien vollbringt. Dem füge ich meine Ermutigung für den Weg hinzu, der noch zurückgelegt werden muß. In einer Welt, in der die wissenschaftliche Forschung in unzähligen Bereichen immer größere Bedeutung gewinnt, ist es unerläßlich, daß die wissenschaftliche Bibelexegese auf einem angemessenen Niveau stattfindet. Das ist einer der Aspekte der Inkulturation des Glaubens, die mit der Aufnahme des Geheimnisses der Menschwerdung zur Sendung der Kirche gehört. Liebe Brüder und Schwestern, der Herr Jesus Christus, fleischgewordenes Wort und göttlicher Lehrmeister, der seinen Jüngern den Geist für das Verständnis der Schrift geöffnet hat (vgl. Lc 24,45), leite und helfe euch bei euren Überlegungen. Die Jungfrau Maria, Vorbild an Gefügigkeit und Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes, lehre euch, den unerschöpflichen Reichtum der Heiligen Schrift immer besser aufzunehmen, nicht nur durch die intellektuelle Forschung, sondern auch in eurem Leben als Gläubige, damit eure Arbeit und euer Wirken dazu beitragen können, vor den Gläubigen immer mehr das Licht der Heiligen Schrift erstrahlen zu lassen. Während ich euch der Unterstützung meines Gebets in eurer Mühe versichere, erteile ich euch als Unterpfand der göttlichen Gnaden den Apostolischen Segen.


ANSPRACHE 2009 73