ANSPRACHE 2010 41

BEGRÜSSUNGSZEREMONIE


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Internationaler Flughafen von Malta - Luqa

Samstag, 17. April 2010


Herr Präsident,
liebe Mitbrüder im Bischofsamt,
sehr geehrte Vertreter des öffentlichen Lebens,
meine Damen und Herren!
Jien kuntent hafna li ninsab fostkom! [Ich freue mich, hier bei Ihnen zu sein!]

Es ist mir eine große Freude, heute hier bei Ihnen in Malta zu sein. Ich komme als Pilger in Ihre Mitte, um dem Herrn Dank zu sagen und ihn für die Wunder zu preisen, die er hier gewirkt hat. Ich komme auch als Nachfolger Petri, um Sie im Glauben zu stärken (vgl. Lc 22,32) und mich mit Ihnen im Gebet zum einen lebendigen und wahren Gott zu vereinen, in Gemeinschaft mit allen Heiligen, einschließlich des heiligen Paulus, des großen Apostels Maltas. Obwohl mein Besuch in Ihrem Land kurz ist, bete ich darum, daß er reiche Frucht bringe.

Ich bin Ihnen, Herr Präsident, für die freundlichen Worte dankbar, mit denen Sie mich in Ihrem Namen und im Namen des maltesischen Volkes begrüßt haben. Ich danke Ihnen für die Einladung und für die viele Arbeit, die Sie und die Regierung geleistet haben, um meinen Besuch vorzubereiten. Ich danke dem Premierminister, den Vertretern der Zivilbehörden und des Militärs, den Mitgliedern des Diplomatischen Corps und allen Anwesenden für die Ehre ihrer Gegenwart bei diesem Anlaß und für den herzlichen Empfang.

In besonderer Weise grüße ich Erzbischof Paul Cremona, Bischof Mario Grech und Weihbischof Annetto Depasquale sowie alle anderen anwesenden Bischöfe. Mit meinem Gruß an Sie möchte ich auch meine Zuneigung den Priestern, Diakonen, Ordensleuten und allen Gläubigen gegenüber zum Ausdruck bringen, die Ihrer Hirtensorge anvertraut sind.

42 Der Anlaß meines Besuchs dieser Inseln ist der 1950. Jahrestag des Schiffsbruchs des heiligen Paulus vor der Insel Malta. Der heilige Lukas beschreibt dieses Ereignis in der Apostelgeschichte, und aus seinem Bericht haben Sie das Thema für diesen Besuch gewählt: „Jehtieg izda li naslu fi gzira“ [„Wir müssen allerdings an einer Insel stranden“] (Ac 27,26). Manche mögen die Ankunft des heiligen Paulus auf Malta durch ein menschlich unvorhersehbares Ereignis für einen bloßen Zufall der Geschichte halten. Mit den Augen des Glaubens hingegen vermögen wir hier das Wirken der göttlichen Vorsehung zu erkennen.

Malta stand in der Tat am Scheideweg vieler großer Ereignisse und kultureller Veränderungen in der Geschichte Europas und der Mittelmeerländer bis in unsere Zeit hinein. Diese Inseln spielten eine Schlüsselrolle in der politischen, religiösen und kulturellen Entwicklung Europas, des Nahen Ostens und Nordafrikas. Nach dem geheimnisvollen Plan Gottes brachten also der heilige Paulus und die frühen Jünger Christi das Evangelium an diese Küsten. Ihre Missionstätigkeit trug über die Jahrhunderte viel Frucht und leistete einen unermeßlichen Beitrag zur Formung der reichen und hohen Kultur Maltas.

Wegen ihrer geographischen Lage waren diese Inseln mehr als einmal von großer strategischer Bedeutung, selbst in jüngster Zeit: Das Georgskreuz auf Ihrer Nationalflagge bezeugt ja stolz den großen Mut Ihrer Bevölkerung während der dunklen Tage des letzten Weltkriegs. Ebenso sprechen die für die Architektur der Insel charakteristischen Festungsanlagen von früheren Kämpfen, als Malta so viel zur Verteidigung der Christenheit zu Land und zu Wasser beigetragen hat. Malta spielt weiter eine wertvolle Rolle in den laufenden Debatten über die Identität, Kultur und Politik Europas. Gleichzeitig hebe ich gerne das Engagement Ihrer Regierung für weiterreichende humanitäre Projekte, besonders in Afrika, hervor. Es ist sehr zu hoffen, daß dies helfen wird, als Ausdruck echter christlicher Nächstenliebe das Wohl derer zu fördern, denen es weniger gut geht als Ihnen.

Malta hat tatsächlich viel zu so verschiedenen Fragen wie Toleranz, Gegenseitigkeit, Immigration und andere für die Zukunft dieses Kontinents entscheidende Themen beizutragen. Ihr Land soll weiterhin für die Unauflöslichkeit der Ehe als natürliche und sakramentale Institution sowie für die wahre Natur der Familie eintreten - genauso wie es dies für die Heiligkeit des menschlichen Lebens von der Zeugung bis zum natürlichen Tod tut - und auch für die gebührende Achtung der Religionsfreiheit, und zwar so, daß es zu einer echten ganzheitlichen Entwicklung der einzelnen und der Gesellschaft führt.

Malta hat außerdem eine enge Verbindung zum Nahen Osten nicht nur unter kulturellen und religiösen, sondern sogar unter sprachlichen Aspekten. Erlauben Sie mir, Sie zu ermutigen, dieses Zusammenspiel von Fähigkeiten und Stärken noch mehr einzusetzen, um als Brücke der Verständigung zwischen den Völkern, Kulturen und Religionen zu dienen, die das Mittelmeer umgeben. Viel muß noch getan werden, um Beziehungen von echtem Vertrauen und fruchtbarem Dialog aufzubauen, und Malta liegt günstig, um den Nachbarn im Norden und Süden, im Osten und Westen die Hand zur Freundschaft zu reichen.

Das maltesische Volk, das seit fast zweitausend Jahren von der Lehre des Evangeliums erleuchtet und von seinen christlichen Wurzeln beständig gestärkt wird, ist zu Recht stolz auf die unabdingbare Rolle, die der katholische Glaube in der Entwicklung seiner Nation gespielt hat. Die Schönheit unseres Glaubens kommt hier auf verschiedene und sich ergänzende Weisen zum Ausdruck, nicht zuletzt in einem Leben in Heiligkeit, das die Malteser sich selbst zum Wohl der anderen hingeben ließ. Zu diesen gehört Dun Gorg Preca; vor erst drei Jahren (3. Juni 2007) hatte ich ja die Freude, ihn heiligzusprechen. Sie alle lade ich ein, seine Fürsprache anzurufen, damit mein erster Pastoralbesuch bei Ihnen geistlich fruchtbar werde.

Ich freue mich darauf, während meiner Zeit in Malta mit Ihnen zu beten, und als Vater und Bruder möchte ich Ihnen meine Liebe versichern und daß ich sehnlich wünsche, diese Zeit mit Ihnen in Glauben und Freundschaft zu verbringen. Mit diesen Gedanken vertraue ich Sie alle dem Schutz Unserer Lieben Frau von Ta’ Pinu und Ihres Vaters im Glauben, des großen Apostels Paulus, an.

Il-Mulej ibierek lill-poplu kollu ta’ Malta u ta’ Ghawdex! [Gott segne alle Menschen auf Malta und Gozo!]


APOSTOLISCHE REISE NACH MALTA

ANLÄSSLICH DES 1950. JAHRESTAGES DES

SCHIFFBRUCHS DES HL. APOSTELS PAULUS

(17.-18. APRIL 2010)

BESUCH DER GROTTE DES HL. PAULUS

GEBET UND GRUSSWORTE VON BENEDIKT XVI.


Rabat

Samstag, 17. April 2010


43 Lieber Erzbischof Cremona,
liebe Brüder und Schwestern!

Meine Pilgerreise nach Malta hat mit einem Moment des stillen Gebets in der Grotte des heiligen Paulus begonnen, der als erster den Glauben auf diese Inseln brachte. Ich bin den Spuren jener unzähligen Pilger der vergangenen Jahrhunderte gefolgt, die an dieser heiligen Stätte gebetet haben und dabei sich selbst, ihre Familien und das Wohl dieses Landes der Fürsprache des Völkerapostels anvertraut haben. Ich freue mich, endlich in eurer Mitte zu sein und grüße euch alle sehr herzlich im Herrn.

Der Schiffbruch des Paulus und sein dreimonatiger Aufenthalt auf Malta hat eine unauslöschliche Spur in der Geschichte eures Landes hinterlassen. Seine Worte an seine Gefährten vor seiner Ankunft auf Malta sind uns in der Apostelgeschichte überliefert und dienten als besonderes Thema bei eurer Vorbereitung auf meinen Besuch. Diese Worte - »Jehtieg izda li naslu fi gzira« [»Wir müssen allerdings an einer Insel stranden«] (
Ac 27,26) - sind in ihrem ursprünglichen Kontext eine Aufforderung, angesichts des Unbekannten Mut zu fassen und unerschöpfliches Vertrauen in Gottes geheimnisvolle Vorsehung zu setzen. Die Schiffbrüchigen wurden in der Tat von den Leuten auf Malta nach dem Beispiel des heiligen Publius herzlich aufgenommen. So wurde Paulus nach dem Plan Gottes euer Vater im christlichen Glauben. Dank seiner Anwesenheit bei euch konnte das Evangelium Jesu Christi tiefe Wurzeln schlagen und Frucht bringen, nicht nur im Leben der einzelnen, der Familien und Gemeinschaften, sondern auch in der Formung der nationalen Identität Maltas und seiner pulsierenden und unverwechselbaren Kultur.

Die apostolische Arbeit des Paulus trug reiche Ernte auch in den Generationen von Verkündern, die in seine Fußstapfen traten, und insbesondere bei der großen Zahl von Priestern und Ordensleuten, die seinen missionarischen Eifer nachahmten und Malta verließen, um das Evangelium zu fernen Ufern zu bringen. Ich freue mich, daß ich die Gelegenheit hatte, so viele von ihnen heute in der St.-Paulus-Kirche zu treffen und sie in ihrer anspruchsvollen und oft heroischen Berufung zu ermutigen. Liebe Missionare: Im Namen der ganzen Kirche danke ich euch allen für euer Zeugnis für den auferstandenen Herrn und für euer Leben, das ihr für den Dienst an den anderen eingesetzt habt. Eure Präsenz und euer Wirken in so vielen Ländern der Erde macht eurem Land Ehre und zeugt von einem evangeliumsgemäßen Impuls, der tief in der Kirche in Malta verankert ist. Bitten wir den Herrn, noch viel mehr Männer und Frauen zu berufen, die die hochherzige Mission der Verkündigung des Evangeliums und der Arbeit für das Wachstum des Reiches Christi in allen Ländern und bei allen Völkern voranbringen.

Die Ankunft des heiligen Paulus auf Malta war nicht geplant. Wie wir wissen, war er auf der Fahrt nach Rom, als ein heftiger Sturm aufkam und sein Schiff vor dieser Insel auf Grund lief. Seeleute können eine Reiseroute planen, doch in seiner Weisheit und Vorsehung entwirft Gott seinen eigenen Kurs. Paulus, der auf dramatische Weise dem auferstandenen Herrn auf dem Weg nach Damaskus begegnet war, wußte das sehr gut. Der Kurs seines Lebens wurde urplötzlich geändert; daher ist für ihn Christus das Leben (vgl. Ph 1,21); all sein Denken und Tun war darauf ausgerichtet, das Geheimnis des Kreuzes und dessen Botschaft von der versöhnenden Liebe Gottes zu verkünden.

Dasselbe Wort, das Wort des Evangeliums, hat nach wie vor die Kraft, in unser Leben hereinzubrechen und dessen Lauf zu ändern. Auch heute fordert dasselbe Evangelium, das Paulus verkündete, die Menschen auf diesen Inseln weiter zur Umkehr auf, zu einem neuen Leben und einer Zukunft voll Hoffnung. Ich bin als Nachfolger des Apostels Petrus unter euch und lade euch ein, Gottes Wort neugierig aufzunehmen, wie es eure Vorfahren taten, und euer Denken und Leben von ihm herausfordern zu lassen.

Von diesem heiligen Ort aus, von dem die Verkündigung des Apostels sich zuerst auf diese Inseln verbreitete, rufe ich einen jeden von euch dazu auf, die spannende Herausforderung der Neuevangelisierung anzunehmen. Lebt euren Glauben in immer größerer Fülle - gemeinsam mit den Mitgliedern eurer Familien, mit euren Freunden, in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz und im ganzen Gefüge der maltesischen Gesellschaft Insbesondere bitte ich eindringlich die Eltern, Lehrer und Katechisten, den anderen von ihrer eigenen lebendigen Begegnung mit dem auferstandenen Jesus zu erzählen, vor allem den jungen Menschen, die die Zukunft Maltas sind. »Der Glaube wird stark durch die Weitergabe an andere! « (vgl. Enzyklika Redemptoris missio RMi 2). Vertraut darauf, daß eure Momente des Glaubens zu einer Begegnung mit Gott führen werden, der in seiner Allmacht die Herzen der Menschen anrührt. Auf diese Weise werdet ihr die Jugendlichen mit der Schönheit und dem Reichtum des katholischen Glaubens bekannt machen, ihnen eine solide Katechese anbieten und sie zu einer noch aktiveren Teilnahme am sakramentalen Leben der Kirche einladen.

Die Welt braucht dieses Zeugnis! Angesichts so vieler Bedrohungen für die Heiligkeit des menschlichen Lebens und für die Würde von Ehe und Familie - müssen unsere Zeitgenossen da nicht ständig auf die Größe unserer Würde als Kinder Gottes und der erhabenen Berufung hingewiesen werden, die wir in Christus empfangen haben? Muß die Gesellschaft sich nicht jene fundamentalen moralischen Wahrheiten, die die Grundlage echter Freiheit und wahren Fortschritts bleiben, neu aneignen und sie verteidigen?

Gerade eben, als ich vor dieser Grotte stand, habe ich über die große geistliche Gabe (vgl. Rm 1,11) nachgedacht, die Paulus Malta gegeben hat, und darum gebetet, daß ihr das Erbe, das euch der große Apostel hinterlassen hat, makellos bewahren möget. Der Herr stärke euch und eure Familien im Glauben, der in der Liebe wirksam ist (vgl. Ga 5,6), und mache euch zu frohen Zeugen der Hoffnung, die nie zugrunde gehen läßt (vgl. Rm 5,5). Der Herr ist auferstanden! Er ist wirklich auferstanden! Halleluja!


APOSTOLISCHE REISE NACH MALTA

ANLÄSSLICH DES 1950. JAHRESTAGES DES

SCHIFFBRUCHS DES HL. APOSTELS PAULUS

(17.-18. APRIL 2010)

BEGEGNUNG MIT DEN JUGENDLICHEN


Porto Grande - La Valletta

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Sonntag, 18. April 2010


Zghazagh Maltin u Ghawdxin, jien kuntent hafna li ninsab maghkom. [Liebe junge Freunde von Malta und Gozo, ich bin sehr froh, bei euch zu sein.]

Welch eine Freude ist es für mich, heute bei euch auf eurem heimischen Boden zu sein! In diesem bedeutenden Gedenkjahr danken wir Gott dafür, daß er den Apostel Paulus auf diese Inseln gesandt hat, die damit unter den ersten waren, die die Gute Nachricht unseres Herrn Jesus Christus empfangen durften.

Herzlich grüße ich Erzbischof Cremona wie auch Bischof Grech, dem ich für seine freundlichen Worte danke, und alle Bischöfe, Priester und Ordensleute, die hier anwesend sind. Ganz besonders grüße ich euch, junge Freunde von Malta und Gozo, und ich danke euch, daß ihr zu mir über die Dinge gesprochen habt, die euch am meisten bewegen. Ich weiß euren Wunsch zu schätzen, die Wahrheit zu suchen und zu finden sowie zu lernen, was ihr tun müßt, um die Fülle des Lebens zu erlangen.

Der heilige Paulus machte als junger Mann eine Erfahrung, die ihn für immer veränderte. Wie ihr wißt, war er anfangs ein Feind der Kirche. Er setzte alles daran, was er vermochte, um sie zu zerstören. Als er einmal nach Damaskus reiste in der Absicht, alle Christen aufzuspüren, die er dort finden konnte, erschien ihm der Herr in einer Vision. Ein blendendes Licht umgab ihn, und er hörte eine Stimme sagen: „Warum verfolgst du mich? … Ich bin Jesus, den du verfolgst“ (Ac 9,4-5). Paulus war von dieser Begegnung mit dem Herrn völlig überwältigt. Sein ganzes Leben war verwandelt. Er wurde ein Jünger und entwickelte sich zu einem bedeutenden Apostel und Missionar. Hier auf Malta habt ihr besonderen Grund, für die Missionsarbeit des heiligen Paulus dankbar zu sein, die das Evangelium über den gesamten Mittelmeerraum verbreitete.

Jede persönliche Begegnung mit Jesus ist eine überwältigende Erfahrung der Liebe. Früher, wie Paulus selber eingesteht, hat er die Kirche Gottes maßlos verfolgt und versucht, sie zu zerstören (vgl. Ga 1,13). Aber der Haß und die Wut, die in diesen Worten zum Ausdruck kommen, wurden durch die Macht der Liebe Christi völlig weggefegt. Für den Rest seines Lebens hatte Paulus das brennende Verlangen, die Botschaft dieser Liebe bis an die Enden der Erde zu tragen.

Vielleicht wird mancher von euch mir sagen, der heilige Paulus sei oft streng in seinen Schriften. Wie kann ich dann behaupten, daß er die Botschaft der Liebe verbreitet hat? Meine Antwort ist diese: Gott liebt jeden von uns mit einer Tiefe und Intensität, die wir uns kaum vorstellen können. Und er kennt uns von Grund auf, er kennt alle unsere Stärken und Schwächen. Weil er uns so sehr liebt, möchte er uns von unseren Fehlern reinigen und unsere Tugenden formen, damit wir das Leben in Fülle haben können. Wenn er uns prüft, weil etwas in unserem Leben ihm nicht gefällt, verwirft er uns nicht, sondern lädt uns ein, uns zu ändern und vollkommener zu werden. Das verlangte er auch von Paulus auf der Straße nach Damaskus. Gott weist keinen zurück. Und auch die Kirche weist keinen zurück. Allerdings prüft Gott in seiner großen Liebe jeden von uns, auf daß wir uns ändern und vollkommener werden.

Der heilige Johannes versichert uns, daß die vollkommene Liebe die Furcht vertreibt (vgl. 1Jn 4,18). Daher sage ich zu euch allen: „Fürchtet euch nicht!“ Wie oft hören wir diese Worte in der Bibel! Der Engel sagt sie zu Maria während der Verkündigung; Jesus richtet sie an Petrus, als er ihn zum Jünger beruft; und ein Engel vertraut sie Paulus kurz vor dem Schiffbruch an. Euch allen, die ihr Christus als Eheleute, als Eltern, als Priester, als Ordensleute oder als Laien folgen möchtet, indem ihr die Botschaft des Evangeliums in die Welt tragt, rufe ich zu: Fürchtet euch nicht! Ihr werdet sehr wohl auf Widerstand gegen die Frohe Botschaft stoßen. Die heutige Kultur verbreitet wie jede Kultur Ideen und Werte, die manchmal mit jenen von unserem Herrn Jesus Christus gelebten und verkündeten nicht übereinstimmen. Sie werden oft mit großer Überredungskunst dargeboten und durch die Medien wie auch durch den sozialen Druck von Gruppen verstärkt, die dem christlichen Glauben feindlich gegenüberstehen. Wenn wir jung und leicht zu beeinflussen sind, lassen wir uns von unseren Altersgenossen einfach mitreißen und übernehmen Vorstellungen und Werte, von denen wir wissen, daß sie nicht das sind, was der Herr wirklich für uns will. Daher sage ich euch: Fürchtet euch nicht, sondern freut euch über seine Liebe zu euch; vertraut ihm, antwortet auf seinen Ruf, seine Jünger zu sein, und findet Nahrung und geistliche Heilung in den Sakramenten der Kirche.

Hier in Malta lebt ihr in einer Gesellschaft, die vom christlichen Glauben und seinen Werten durchdrungen ist. Ihr solltet stolz darauf sein, daß euer Land sowohl die Ungeborenen schützt wie auch ein stabiles Familienleben fördert, indem es die Abtreibung und die Ehescheidung ablehnt. Ich bitte euch dringend, dieses mutige Zeugnis für die Heiligkeit des Lebens und für die zentrale Bedeutung von Ehe und Familie für eine gesunde Gesellschaft beizubehalten. Auf Malta und Gozo wissen die Familien, wie ihre älteren und kranken Mitglieder zu achten sind und wie für sie zu sorgen ist. Und sie heißen Kinder als Gabe Gottes willkommen. Andere Nationen können von eurem christlichen Beispiel lernen. Innerhalb der Gesellschaft Europas stehen die Werte des Evangeliums wieder zunehmend im Gegensatz zur vorherrschenden Kultur, so wie sie es zur Zeit des heiligen Paulus der Fall war.

In diesem Priesterjahr bitte ich euch: Seid offen für die Möglichkeit, daß der Herr manchen von euch ruft, sich selbst im Priestertum oder im geweihten Leben völlig in den Dienst seines Volkes zu stellen. Euer Land hat der Kirche viele gute Priester und Ordensleute geschenkt. Laßt euch von ihrem Beispiel anregen, und erkennt die tiefe Freude, die von der Lebenshingabe für die Verbreitung der Botschaft von der Liebe Gottes zu allen Menschen ohne Ausnahme ausgeht.

45 Ich sprach bereits von der Notwendigkeit, für die ganz jungen sowie für die älteren und kranken Menschen zu sorgen. Der Christ ist allerdings gerufen, allen die heilende Botschaft des Evangeliums zu bringen. Gott liebt jede einzelne Person in dieser Welt, ja er liebt jeden, der je im Laufe der Weltgeschichte gelebt hat. Im Tod und in der Auferstehung Jesu, die in der Feier der Messe gegenwärtig gemacht werden, bietet er all diesen Menschen Leben in Fülle an. Als Christen sind wir gerufen, Gottes Liebe zum Ausdruck zu bringen, die alle einschließt. So sollten wir den Armen, den Schwachen und den Ausgegrenzten nachgehen. Wir sollten besonders für die sorgen, die ein Leid zu tragen haben, und für jene, die von Depressionen oder Angstgefühlen geplagt werden. Wir sollten uns um die Behinderten kümmern und alles tun, was wir können, ihre Würde und Lebensqualität zu fördern. Wir sollten aufmerksam sein gegenüber den Nöten der Immigranten und Asylanten in unserer Mitte. Wir sollten den Mitgliedern aller Religionen und denen, die zu keiner gehören, die Hand der Freundschaft reichen. Das ist die edle Berufung der Liebe und des Dienstes, die wir alle empfangen haben. Sie möge euch anspornen, euer Leben der Nachfolge Christi zu weihen! La tibzghux tkunu hbieb intimi ta’ Kristu [Fürchtet euch nicht, enge Freunde von Christus zu sein].

Liebe junge Freunde, bevor ich mich von euch verabschiede, möchte ich euch versichern, daß ich euch verbunden bleibe und in meinen Gebeten an euch sowie an eure Familien und Freunde denke.

Selluli ghaz-zghazagh Maltin u Ghawdxin kollha [Richtet allen jungen Menschen auf Malta und Gozo meine Grüße aus].


APOSTOLISCHE REISE NACH MALTA

ANLÄSSLICH DES 1950. JAHRESTAGES DES

SCHIFFBRUCHS DES HL. APOSTELS PAULUS

(17.-18. APRIL 2010)

ABSCHIEDSZEREMONIE


Internationaler Flughafen von Malta - Luqa

Sonntag, 18. April 2010


Herr Präsident,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren!

Die Zeit ist für mich gekommen, von Malta Abschied zu nehmen. Ich danke Gott für die Gelegenheit, so vielen von Ihnen zu begegnen und diese schöne Insel zu besuchen. Ich danke dem Präsidenten für seine freundlichen Worte, und ich danke Ihnen allen, die Sie mir eine so großherzige Aufnahme bereitet haben. Meine Reise hat mich tiefer verstehen lassen, wie sehr das Evangelium, das der heilige Paulus verkündet hat, die geistige Identität des maltesischen Volkes geprägt hat. Erlauben Sie mir, Sie beim Abschied nochmals zu ermutigen, sich stets Ihrer Identität bewußt zu bleiben und die sich daraus ergebende Verantwortung wahrzunehmen, indem Sie sich insbesondere für die Werte des Evangeliums einsetzen, die Ihnen eine klare Sicht der menschlichen Würde sowie des gemeinsamen Ursprungs und Ziels der Menschheit ermöglichen.

Seien Sie zu Hause und im Ausland Vorbild eines dynamischen christlichen Lebens! Seien Sie stolz auf Ihre christliche Berufung! Bewahren Sie Ihr religiöses und kulturelles Erbe! Schauen Sie hoffnungsvoll in die Zukunft, mit tiefem Respekt für die Schöpfung Gottes, mit Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben und mit großer Wertschätzung für die Ehe und die Integrität der Familie! Kunu wlied denji ta’ San Pawl! [Seien Sie würdige Söhne und Töchter des heiligen Paulus!]

46 Wegen seiner geographischen Lage im Herzen des Mittelmeers kommen viele Immigranten an die Küsten Maltas - einige auf der Flucht vor Situationen von Gewalt und Verfolgung, andere auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen. Ich weiß um die Schwierigkeiten, die eine Aufnahme einer großen Zahl von Menschen hervorrufen kann, Schwierigkeiten, die von keinem Erstankunftsland allein gelöst werden können. Zugleich bin ich auch zuversichtlich, daß Malta aus der Kraft seiner christlichen Wurzeln wie auch seiner langen und herausragenden Geschichte der Aufnahme von Fremden mit Unterstützung anderer Staaten und internationaler Organisationen bestrebt sein wird, um den hier Ankommenden Hilfe zu leisten und sicherzustellen, daß ihre Rechte geachtet werden.

Diese hohen Ziele können nur durch ein beharrliches Engagement in der anspruchsvollen Aufgabe des Dialogs und der Zusammenarbeit innerhalb der internationalen und europäischen Gemeinschaften erreicht werden. In diesen entscheidenden Foren gibt Malta Zeugnis von den christlichen Werten, die seine Identität mitgeformt haben. Einheit, Solidarität und gegenseitiger Respekt sind das Fundament Ihres sozialen und politischen Lebens. Bestärkt von Ihrem katholischen Glauben sind diese Werte der Kompaß, der Sie auf der Suche nach einer authentischen und umfassenden Entwicklung leiten wird. Die reiche kirchliche Soziallehre wird diese Bemühungen anspornen und anleiten. Lassen Sie niemals zu, daß Ihre wahre Identität durch Indifferentismus oder Relativismus Schaden nimmt. Folgen Sie stets treu der Lehre des heiligen Paulus, der Sie mahnt: „Seid wachsam, steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark! Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ (
1Co 16,13-14) Grazzi hafna, il-Bambin iberikkom! [Vielen Dank, Gott segne Sie!]


AN HERRN GIOKO GJORGJEVSKI,

NEUER BOTSCHAFTER DER EHEMALIGEN JUGOSLAWISCHEN REPUBLIK MAZEDONIEN BEIM HL. STUHL

Donnerstag, 22. April 2010

Sehr geehrter Herr Botschafter!

Es freut mich, das Beglaubigungsschreiben in Empfang nehmen zu dürfen, mit dem Sie als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien am Heiligen Stuhl akkreditiert werden. Ich danke Ihnen für die herzlichen Worte, die Sie im Namen der Behördenvertreter und der von Ihnen repräsentierten, edlen Nation an mich gerichtet haben. Bitte versichern Sie Ihre Landsleute meiner Wertschätzung und meines Wohlwollens. Ich werde für die Eintracht und die harmonische Entwicklung Ihres Landes beten.

Unser heutiges Treffen ruft mir die Begegnung mit einer offiziellen Delegation namhafter Vertreter Ihres Landes in Erinnerung, die dem Nachfolger Petri jedes Jahr am Gedenktag der hll. Cyrill und Methodius ihren Besuch abstatten - jener Heiligen, die als geistliche Lehrer der Slawen und Mitpatrone Europas verehrt werden. Diese Begegnung, die inzwischen zu einem schönen Brauch geworden ist, zeigt, welch gute Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien bestehen. Es handelt sich um bilaterale Beziehungen, die sich vor allem in den letzten Jahren positiv entwickelt haben und von einer herzlichen Zusammenarbeit geprägt sind. In diesem Zusammenhang möchte ich meine Zufriedenheit über unser gemeinsames Engagement für die jüngsten Bauprojekte katholischer Kultgebäude an verschiedenen Orten in Ihrem Land zum Ausdruck bringen.

Wie Sie betont haben, treten die mensch - lichen und christlichen Werte, die das kostbare spirituelle und kulturelle Erbe Ihrer Nation darstellen, im Leben des mazedonischen Volkes deutlich zutage. Ein ebenso beredtes Zeugnis sind die herrlichen religiösen Monumente, die in verschiedenen Epochen und an verschiedenen Orten entstehen konnten, vor allem in der Stadt Ohrid. Der Heilige Stuhl blickt mit Wertschätzung und Achtung auf dieses wertvolle Erbe und fördert, wo immer das in seinen Kompetenzbereich fällt, dessen geschichtsdokumentarische Vertiefung, um eine bessere Kenntnis der religiösen und kulturellen Vergangenheit zu ermöglichen. Aus diesem Erbe schöpfend, werden die Bürger Ihres Landes auch in Zukunft ihre Geschichte aufbauen und - gestützt auf ihre spirituelle Identität - ihre Erfahrung in die europäische Völkergemeinschaft miteinbringen. Ich hoffe daher sehr, daß die Bestrebungen und intensiven Bemühungen Ihres Landes um Aufnahme in die Europäische Union von Erfolg gekrönt sein mögen, in der Akzeptanz der jeweiligen Rechte und Pflichten und im gegenseitigen Respekt der gemeinsamen Anliegen und traditionellen Werte der einzelnen Völker.

Herr Botschafter, aus den Worten, die Sie über den Einsatz des mazedonischen Volkes für die Förderung des Dialogs und des Zusammenlebens der verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen in Ihrem Land gesagt haben, konnte ich jenes universale Streben nach Gerechtigkeit und innerem Zusammenhalt heraushören, das anderen Völkern in der Balkanregion zum Vorbild gereichen kann. So haben die Brücken eines intensiveren Austausches und enger religiöser Beziehungen zwischen den verschiedenen Komponenten der mazedonischen Gesellschaft ja auch tatsächlich die Schaffung eines Klimas begünstigt, in dem die Menschen einander als Brüder und Schwestern betrachten, Kinder desselben Gottes und Bürger des einen Landes. Den Verantwortlichen der Institutionen obliegt es nun, Mittel und Wege zu finden, um den Wunsch der Männer und Frauen nach Dialog und Frieden zu konkreten politischen Initiativen werden zu lassen. Die Glaubenden jedoch wissen, daß der Friede nicht nur menschlichen Plänen und menschlichem Tun erwächst, sondern vor allem ein Geschenk Gottes an die Menschen guten Willens ist. Die Grundpfeiler dieses Friedens sind Gerechtigkeit und Vergebung. Die Gerechtigkeit gewährleistet den vollen Respekt der Rechte und Pflichten; die Vergebung heilt und richtet die Beziehungen zwischen den Personen wieder auf, die in der jüngeren Vergangenheit vom Zusammenprall der Ideologien in ihren Grundfesten erschüttert wurden.

Nachdem das mazedonische Volk die tragische Zeit des letzten Weltkriegs und die traurige Erfahrung eines die Grundrechte der menschlichen Person mißachtenden Totalitarismus hinter sich lassen konnte, hat es nun den Weg des harmonischen Fortschritts eingeschlagen und unter Beweis gestellt, daß das Land mit Geduld, Opferbereitschaft und beharrlichem Optimismus an einer besseren Zukunft für alle seine Bürger arbeiten will. Eine nachhaltige soziale und wirtschaftliche Entwicklung muß nicht nur den kulturellen, sozialen und spirituellen Bedürfnissen der Menschen Rechnung tragen, sondern auch die edlen Volkstraditionen und Ressourcen zu schätzen wissen. Und das stets in dem Bewußtsein, daß das zunehmende Phänomen der Globalisierung zwar eine gewisse Angleichung der sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede herbeiführt, aber auch das Ungleichgewicht zwischen jenen vergrößern könnte, die aus den sich nun so zahlreich bietenden Möglichkeiten Kapital schlagen, und denen, die dabei auf der Strecke bleiben und vom Fortschritt ausgegrenzt sind.

Herr Botschafter, Ihr Land kann auf eine glanzvolle christliche Tradition zurückblicken, die bis auf die apostolische Zeit zurückgeht. Ich hoffe, daß die Bürger des von Ihnen repräsentierten edlen Volkes im globalen Kontext eines moralischen Relativismus und mangelnden Interesses an der Religion, die in einem Teil der europäischen Gesellschaft spürbar sind, den weisen Entschluß fassen mögen, sich neuen Horizonten einer wahren Zivilisation und eines wahren Humanismus zu öffnen. Dafür ist es notwendig, jene Prinzipien hochzuhalten, die auch die Grundlage der Zivilisation Ihres Volkes bilden: die Wertschätzung der Familie, den Schutz des menschlichen Lebens, die Förderung der religiösen Bedürfnisse vor allem bei den jungen Menschen. Die katholische Kirche Ihres Landes stellt zwar eine Minderheit dar, hat aber den festen Wunsch, einen ehrlichen Beitrag zum Bau einer gerechteren und solideren Gesellschaft zu leisten; einer Gesellschaft, die auf jenen christlichen Werten gründet, die die Gewissen der Bürger Ihres Landes befruchtet haben. Ich bin mir sicher, daß die katholische Gemeinschaft in dem Bewußtsein, daß die Liebe in der Wahrheit »der hauptsächliche Antrieb für die wirkliche Entwicklung eines jeden Menschen und der gesamten Menschheit ist« (Caritas in veritate, ), die in Ihrem Land so geschätzte karitative Sendung weiter vorantragen wird, vor allem den Armen und Leidenden gegenüber.

Exzellenz, ich bin zuversichtlich, daß Sie im Rahmen des Ihnen übertragenen hohen Amtes zum Ausbau der ohnehin schon guten Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der mazedonischen Nation beitragen werden. Meine Mitarbeiter in der Römischen Kurie werden Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung stehen. Mit der Versicherung meiner besten Wünsche erbitte ich für Sie, Herr Botschafter, Ihre Familie, die Regierenden Ihres Landes und alle Bürger der von Ihnen repräsentierten Nation reichen göttlichen Segen.


AN HERRN CHARLES GHISLAIN,

NEUER BOTSCHAFTER VON BELGIEN BEIM HL. STUHL


47

Samstag, 24. April 2010

Herr Botschafter!


Es ist mir eine Freude, Sie aus Anlaß der Überreichung des Beglaubigungsschreibens, mit dem Sie zum außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter von Belgien beim Heiligen Stuhl akkreditiert werden, zu empfangen. Ich danke Ihnen für die Worte, die Sie an mich gerichtet haben. Im Gegenzug wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie Seiner Majestät Albert II., König von Belgien, den ich kürzlich persönlich begrüßen durfte, meine herzlichen Wünsche für Seine Person wie auch für das Wohlergehen und Gedeihen des belgischen Volkes übermitteln würden. Durch Sie grüße ich ebenso die Regierung und alle Autoritäten des Königreiches.

Ihr Land hat zu Beginn dieses Jahres in Lüttich und Buizingen zwei leidvolle Tragödien erlebt. Ich möchte die trauernden Familien und die Opfer erneut meiner geistlichen Nähe versichern. Diese Katastrophen lassen uns die Gebrechlichkeit der menschlichen Existenz ermessen und auch, daß zu deren Schutz ein echter sozialer Zusammenhalt notwendig ist, in dem die legitimen Meinungsunterschiede ihren Platz haben. Er basiert auf der Überzeugung, daß das menschliche Leben und die Menschenwürde ein wertvolles Gut darstellen, das verteidigt und mit Entschiedenheit gefördert werden muß, indem man sich auf das Naturrecht stützt. Seit langer Zeit ist die Kirche ein Teil der Geschichte und des sozialen Gefüges Ihrer Nation. Sie möchte weiterhin ein Faktor des harmonischen Zusammenlebens aller sein. Dazu leistet sie einen äußerst tatkräftigen Beitrag insbesondere durch die Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, durch ihre Sozialarbeit und das ehrenamtliche Engagement von sehr vielen Gläubigen. So stellt sich die Kirche gerne in den Dienst aller Glieder der belgischen Gesellschaft.

Jedoch scheint es angebracht zu unterstreichen, daß die Kirche als Institution ein Recht besitzt, sich öffentlich zu äußern. Sie teilt dieses Recht mit allen Individuen und Institutionen, um ihre Meinung in bezug auf Fragen von allgemeinem Interesse zum Ausdruck zu bringen. Die Kirche achtet die Freiheit aller, anders zu denken als sie selbst; sie möchte auch, daß ihre eigene Meinungsfreiheit geachtet wird. Die Kirche ist Hüterin einer Lehre, einer religiösen Botschaft, die sie von Jesus Christus empfangen hat. Man kann sie mit den folgenden Worten aus der Heiligen Schrift zusammenfassen: »Gott ist Liebe« (1Jn 4,16), und sie strahlt ihr Licht auf den Sinn des persönlichen, familiären und sozialen Lebens des Menschen aus. Die Kirche, die das Gemeinwohl im Auge hat, fordert für sich nichts anderes, als die Freiheit, diese Botschaft unter Achtung der Gewissensfreiheit zu verkünden, ohne sich irgend jemandem aufzudrängen.

Diese kirchliche Lehre war es, aus der Joseph de Veuster lebte und durch die er zu dem geworden ist, den man heute den »hl. Damian« nennt. Die außergewöhnliche Bestimmung dieses Menschen zeigt, wie sehr das Evangelium Quelle einer Ethik ist, die freundschaftlich an der Seite des Menschen steht, vor allem wenn er in Not ist oder abgelehnt wird. Die Heiligsprechung dieses Priesters und sein Ansehen, das er weltweit genießt, sind für das belgische Volk ein Grund berechtigten Stolzes. Diese fesselnde Persönlichkeit ist nicht die Frucht eines einsamen Weges. Es ist gut, sich an die religiösen Wurzeln zu erinnern, die seine Erziehung und Ausbildung genährt haben, wie auch an die Lehrer, die in ihm diese bewundernswerte Großherzigkeit geweckt haben. Diese wird ihn später dazu führen, das ausgegrenzte Leben der Leprakranken zu teilen bis dahin, daß er sich selbst der Krankheit aussetzte, an der sie litten. Im Licht solcher Zeugen ist es allen möglich zu verstehen, daß das Evangelium eine Kraft ist, angesichts derer es keinen Grund zur Angst gibt. Ich bin überzeugt, daß der christliche Humus trotz der soziologischen Entwicklungen in Ihrem Land noch sehr reich ist. Er kann reichhaltig das Engagement einer wachsenden Zahl von Ehrenamtlichen nähren, die, inspiriert von den evangeliumsgemäßen Prinzipien der Brüderlichkeit und der Solidarität, Menschen begleiten, die sich in Schwierigkeiten befinden und deshalb der Hilfe bedürfen.

Ihr Land, das bereits den Sitz der Institutionen der Europäischen Union beherbergt, wurde in seiner europäischen Berufung erneut bestätigt durch die Wahl eines Landsmannes zum ersten Präsidenten des Europäischen Rates. Offensichtlich sind diese aufeinanderfolgenden Entscheidungen nicht allein mit der geographischen Position Ihres Landes und seiner Vielsprachigkeit verbunden. Als Mitglied des ersten Kerns der Gründungsländer mußte Ihre Nation sich in der Suche nach einem Konsens in sehr komplexen Situationen einbringen und auszeichnen. Diese Eigenschaft muß ermutigt werden in einer Stunde, da es gilt, zum Wohl aller die internen Herausforderungen des Landes anzugehen. Ich möchte heute unterstreichen, daß die Kunst des Konsenses, um langfristig fruchtbar zu sein, nicht auf eine rein dialektische Fähigkeit beschränkt ist, sondern das Wahre und das Gute suchen muß. Denn »ohne Wahrheit, ohne Vertrauen und Liebe gegenüber dem Wahren gibt es kein Gewissen und keine soziale Verantwortung: Das soziale Handeln wird ein Spiel privater Interessen und Logiken der Macht, mit zersetzenden Folgen für die Gesellschaft, um so mehr in einer Gesellschaft auf dem Weg zur Globalisierung und in schwierigen Situationen wie der augenblicklichen« (Caritas in veritate ).

Ich möchte unsere Begegnung nützen und herzlich die Bischöfe von Belgien grüßen, die ich mit Freude in kürze anläßlich ihres Besuches »ad limina Apostolorum« empfangen werde. Meine Gedanken gehen insbesondere zu Seiner Exzellenz Erzbischof Léonard, der mit Begeisterung und Großherzigkeit erst vor kurzem seine neue Mission als Erzbischof von Mechelen-Brüssel begonnen hat. Ich möchte auch die Priester und Diakone Ihres Landes grüßen ebenso wie alle Gläubigen, die die katholische Gemeinschaft Belgiens bilden. Ich lade sie ein, mutig Zeugnis von ihrem Glauben zu geben. Mögen sie bei ihrem Einsatz in der Stadt ihr Recht geltend machen, Werte vorzuschlagen, die die menschliche Natur respektieren und die den tiefsten und wahrsten spirituellen Wünschen des Menschen entsprechen.

Während Sie offiziell ihre Funktion beim Heiligen Stuhl übernehmen, bringe ich Ihnen meine herzlichsten Wünsche für die erfolgreiche Erfüllung Ihrer Mission zum Ausdruck. Seien Sie versichert, Herr Botschafter, daß Sie bei meinen Mitarbeitern stets Aufmerksamkeit und herzliches Verständnis finden werden. Indem ich die Fürsprache der Jungfrau Maria und des hl. Damian anrufe, bitte ich den Herrn, Ihnen, Ihrer Familie und Ihren Mitarbeitern sowie dem gesamten belgischen Volk und seinen Regierenden reichen Segen zu schenken.


AN DIE TEILNEHMER DER TAGUNG "DIGITALE ZEUGEN. GESICHTER UND SPRACHEN IM CROSSMEDIALEN ZEITALTER"

Samstag, 24. April 2010

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ANSPRACHE 2010 41