ANSPRACHE 2010 48

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Eminenz,
verehrte Mitbrüder im Bischofsamt,
liebe Freunde!

Es ist mir eine Freude, euch zum Abschluß eurer Tagung zu begegnen, die den so aussagekräftigen Titel trägt: »Digitale Zeugen - Gesichter und Sprachen im crossmedialen Zeitalter.« Ich danke dem Präsidenten der Italienischen Bischofskonferenz, Angelo Kardinal Bagnasco, für die herzlichen Grußworte, mit denen er von neuem die Zuneigung und Nähe der Kirche in Italien zu meinem apostolischen Dienst bekunden wollte. Ihre Worte, Herr Kardinal, spiegeln die treue Verbundenheit aller Katholiken dieses geliebten Landes mit dem Nachfolger Petri wider sowie die Wertschätzung vieler Männer und Frauen, die voll Sehnsucht nach der Wahrheit suchen.

Die Zeit, in der wir leben, ist gekennzeichnet von einer enormen Erweiterung der Grenzen der Kommunikation, sie erlebt eine bisher nicht dagewesene Annäherung der verschiedenen Medien untereinander und bietet neue Möglichkeiten der Interaktivität. Das Internet birgt somit eine offene Berufung in sich, die sich tendenziell an alle richtet und pluralistisch ist, zugleich jedoch neue Gräben aufwirft: so ist ja in der Tat von der »Digitalen Kluft« die Rede. Diese trennt die in den Prozeß Einbezogenen von den Außenstehenden und kommt zu jenen anderen Unterschieden hinzu, aufgrund derer die Völker untereinander und in ihrem Inneren auseinanderdriften. Auch nehmen die Gefahren der Homologisierung und der Kontrolle sowie des intellektuellen und moralischen Relativismus zu, was bereits erkennbar ist an der Verminderung des kritischen Geistes, an der auf ein Spiel der Meinungen verkürzten Wahrheit und an den verschiedenen Formen der Herabsetzung und Erniedrigung der Intimsphäre des Menschen. Man erlebt also eine »Verschmutzung des Geistes; es ist das, was unsere Gesichter weniger lächeln läßt, was uns dahin bringt, daß wir uns nicht grüßen, nicht ins Gesicht schauen« (Ansprache am Spanischen Platz, O.R. dt., Nr. 51, 18. Dezember 2009, S. 7). Diese Tagung hingegen zielt darauf ab, die Gesichter zu erkennen und so jene kollektiven Dynamiken zu überwinden, die dazu führen könnten, die Wahrnehmung der Tiefe der Person zu verlieren und allein an deren Oberfläche stehenzubleiben: Wenn dies geschieht, bleiben sie Körper ohne Seelen und werden zu reinen Handels- und Konsumobjekten.

Wie kann man nun heutzutage wieder zu den Gesichtern zurückkehren? Ich habe versucht, den Weg dorthin auch in meiner dritten Enzyklika zu beschreiben. Er führt über jene caritas in veritate, die auf dem Antlitz Christi erstrahlt. Die Liebe in der Wahrheit ist »eine große Herausforderung für die Kirche in einer Welt der fortschreitenden und um sich greifenden Globalisierung« (). Die Medien können nicht nur dann Faktoren der Humanisierung sein, »wenn sie dank der technologischen Entwicklung größere Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten bieten, sondern vor allem dann, wenn sie im Licht eines Bildes vom Menschen und vom Gemeinwohl, das deren universale Bedeutung widerspiegelt, organisiert und ausgerichtet werden« (). Dazu ist erforderlich, daß sie »auf die Förderung der Würde der Menschen und der Völker ausgerichtet [sind], ausdrücklich von der Liebe beseelt [sind] und im Dienst der Wahrheit, des Guten sowie der natürlichen und übernatürlichen Brüderlichkeit stehen« (ebd.). Nur unter diesen Bedingungen kann sich der epochale Übergang, den wir derzeit erleben, als fruchtbar und reich an neuen Möglichkeiten erweisen. Furchtlos wollen wir aufs digitale Meer hinausfahren und die offene Navigation mit derselben Leidenschaft in Angriff nehmen, mit der das Schiff Petri seit 2000 Jahren gesteuert wird. Mehr noch als durch technologische Ressourcen, die zweifelsohne notwendig sind, wollen wir uns dadurch auszeichnen, daß wir in diesem Universum mit einem gläubigen Herzen leben, das dazu beiträgt, dem ununterbrochenen Kommunikationsstrom des Internets eine Seele zu geben.

Darin besteht unser Auftrag, darin besteht der unaufgebbare Auftrag der Kirche: die Aufgabe aller Gläubigen, die im Bereich der Massenmedien arbeiten, liegt darin, »den Weg für neue Begegnungen zu ebnen, und zwar dadurch, daß er immer die Qualität des menschlichen Kontaktes und die Aufmerksamkeit gegenüber den Menschen und ihren wahren geistlichen Bedürfnissen sicherstellt, den Menschen in dieser unserer ›digitalen Zeit‹ die Zeichen gibt, die notwendig sind, um den Herrn zu erkennen« (Botschaft zum 44. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel, 16. Mai 2010; O.R. dt., Nr. 5, 5.2.2010, S. 7). Liebe Freunde, auch im Internet seid ihr aufgerufen, als »Leiter von Gemeinden« tätig zu sein, um »Wege zu bereiten, die zum Wort Gottes hinführen « und all jenen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, »die entmutigt sind und doch im Herzen Sehnsucht nach dem Absoluten und nach unvergänglichen Wahrheiten haben« (ebd.). Das Web kann auf diese Weise zu einer Art »Vorhof der Heiden« werden, wo »auch für diejenigen Raum geschaffen werden kann, für die Gott noch ein Unbekannter ist (ebd.).

Als Leiter der Kultur und Kommunikation seid ihr lebendiges Zeichen dafür, daß »die modernen Kommunikationsmittel schon seit geraumer Zeit Teil der üblichen Instrumente geworden [sind], mittels derer die kirchlichen Gemeinschaften sich äußern, wenn sie in Kontakt mit ihrer Umgebung treten und sehr oft Formen eines weitreichenden Dialogs herstellen« (ebd.). An Stimmen fehlt es in Italien in diesem Bereich nicht: man denke nur an die Tageszeitung »Avvenire«, an den Fernsehsender »TV2000«, den Radiosender »inBlu« und die Presseagentur »SIR« sowie an die vielen katholischen Zeitschriften, an das engmaschige Netz von Bistumszeitungen und die mittlerweile so zahlreichen vom katholischen Glauben inspirierten Internetseiten. All jene, die im Bereich der Kommunikationsmittel tätig sind, rufe ich dazu auf, in ihren Herzen unermüdlich jene gesunde »Leidenschaft für den Menschen« zu hegen, durch die wir uns immer mehr seinem Sprachgebrauch und seinem wahren Gesicht nähern können. Dabei wird euch eine gründliche theologische Ausbildung und vor allem eine tiefe und freudige »Leidenschaft für Gott« helfen, die vom ständigen Dialog mit dem Herrn genährt wird. Die Teilkirchen und die religiösen Institute mögen ihrerseits nicht zögern, für eine Aufwertung der von den Päpstlichen Universitäten, von der Päpstlichen Universität vom Heiligsten Herzen und von den anderen katholischen und kirchlichen Universitäten vorgeschlagenen Bildungswege zu sorgen, und mit Weitsicht Personen und Ressourcen für sie bereitstellen. Die Welt der sozialen Kommunikation muß in den pastoralen Plänen Berücksichtigung finden.

Ich danke euch für den Dienst, den ihr für die Kirche und somit für die Sache des Menschen leistet, und ermutige euch, beseelt von der Kühnheit des Heiligen Geistes, die Straßen des digitalen Kontinents zu durchqueren. Wir legen unsere Zuversicht nicht unkritisch in irgendwelche technischen Mittel. Unsere Kraft liegt darin, Kirche zu sein, Gemeinschaft der Gläubigen, die vor allen Zeugnis ablegt für die immerwährende Neuheit des Auferstandenen, durch ein Leben, das in dem Maße wächst, in dem es sich öffnet, in Beziehung tritt und sich selbstlos hinschenkt.

Ich vertraue euch dem Schutz der seligen Jungfrau Maria und der großen heiligen Schutzpatrone der Kommunikation an und segne euch von Herzen.


KONZERTO ALS GESCHENK DES PRÄSIDENTEN DER ITALIENISCHEN REPUBLIK

ANLÄSSLICH DES 5. JAHRESTAGES DES PONTIFIKATSBEGINNS

WORTE VON BENEDIKT XVI.

Audienzenhalle

Donnerstag, 29. April 2010

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Sehr geehrter Herr Präsident der Republik,

meine Herren Kardinäle,
sehr geehrte Minister und Abgeordnete,
verehrte Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt,
sehr geehrte Damen und Herren!

Erneut hat der Präsident der Italienischen Republik, Herr Giorgio Napolitano, mit der ihm eigenen exquisiten Höflichkeit uns allen die Möglichkeit schenken wollen, aus Anlaß des Jahrestages des Beginns meines Pontifikates ausgezeichnete Musik zu hören. Verbunden mit meinem ehrerbietigen Gruß an Sie, Herr Präsident, und ihre liebenswürdige Frau Gemahlin, möchte ich Ihnen meinen aufrichtigen Dank aussprechen für das wirklich willkommene Geschenk dieses Konzertes und für die herzlichen Worte, die Sie an mich gerichtet haben. In dieser zuvorkommenden Geste sehe ich auch ein weiteres Zeichen der Zuneigung des italienischen Volkes gegenüber dem Papst, einer herzlichen Zuneigung, von der die hl. Katharina von Siena, Patronin Italiens, deren Fest wir heute begehen, tief geprägt war. Mit Freude begrüße ich die anderen Autoritäten des italienischen Staates, die Herren Botschafter, die verschiedenen Persönlichkeiten und Sie alle, die Sie an diesem Ereignis von hohem kulturellen und musikalischen Wert teilgenommen haben.

Ich möchte all jenen danken, die großherzig an der Realisierung dieser Veranstaltung mitgewirkt haben, insbesondere den Direktoren der »Fondazione Scuola di Musica di Fiesole«, deren herausragendes Mitglied das Italienische Jugendorchester ist, das unter der kompetenten Leitung ihres Dirigenten Nicola Paszkowski stand. Sicher bringe ich die Empfindungen aller Anwesenden zum Ausdruck, wenn ich den Mitgliedern des Orchesters meinen aufrichtigen Dank ausspreche, die bravourös und ausdrucksstark anspruchsvolle Werke des Mailänder Komponisten Giovanni Battista Sammartini, von Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven aufgeführt haben.

Heute abend hatten wir die Freude, junge Konzertmusiker zu hören: Schüler der Musikhochschule von Fiesole, die von Piero Farulli gegründet wurde und sich im Laufe der Jahre als hervorragendes nationales Ausbildungszentrum für Orchestermusiker erwiesen hat. Sie gibt zahlreichen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen die Möglichkeit, eine qualifizierte Ausbildung zu durchlaufen und bereitet so Musiker für die besten Orchester Italiens und Europas vor. Das Studium der Musik hat für den Erziehungs- und Bildungsprozeß der menschlichen Persönlichkeit einen hohen Wert, weil es positive Wirkungen auf die Entwicklung des Individuums ausübt und dessen harmonisches menschliches und spirituelles Wachstum fördert. Wir wissen, daß der Bildungswert der Musik mit ihren Implikationen expressiver, kreativer, relationaler, sozialer und kultureller Natur allgemein anerkannt ist.

Deshalb hat die über 30jährige Erfahrung der Musikhochschule Fiesole eine besondere Bedeutung auch angesichts der alltäglichen Realität, die uns sagt, daß Erziehung nicht einfach ist. Im heutigen sozialen Kontext scheint in der Tat jede Erziehungsmaßnahme immer schwieriger und problematischer zu werden: Oft ist unter Eltern und Lehrern die Rede von den Schwierigkeiten, auf die man bei der Weitergabe der grundlegenden Werte des Lebens und eines richtigen Verhaltens an die jungen Generationen stößt. Diese problematische Situation betrifft sowohl die Schule als auch die Familie sowie die verschiedenen Einrichtungen, die auf dem Gebiet der Erziehung tätig sind.

Die aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen erfordern einen außerordentlichen Einsatz für die Erziehung der jungen Generationen. Die jungen Menschen haben, auch wenn ihr Lebenskontext unterschiedlich ist, die Sensibilität für die großen Lebensideale gemeinsam, aber sie treffen auf viele Schwierigkeiten, sie zu leben. Wir dürfen ihre Bedürfnisse und Erwartungen nicht ignorieren und genausowenig die Hindernisse und Bedrohungen, auf die sie treffen. Sie spüren das Bedürfnis, sich den authentischen Werten zu nähern, wie der Zentralität der Person, der menschlichen Würde, Frieden und Gerechtigkeit, Toleranz und Solidarität. Ebenso sind sie, manchmal in verworrener und widersprüchlicher Weise, auf der Suche nach Spiritualität und Transzendenz, um Gleichgewicht und Harmonie zu finden. In dieser Hinsicht möchte ich bemerken, daß gerade die Musik die Fähigkeit hat, den Verstand und das Herz für die Dimension des Geistes zu öffnen, und die Menschen dazu führt, den Blick in die Höhe zu richten, sich dem absolut Guten und Schönen zu öffnen, die ihre letzten Quelle in Gott selbst haben. Die Festlichkeit des Gesangs und der Musik sind außerdem für alle Gläubigen und alle Menschen guten Willens eine Einladung, sich dafür einzusetzen, der Menschheit eine hoffnungsvolle Zukunft zu geben. Bei der Erfahrung, in einem Orchester zu spielen, kommt noch die gemeinschaftliche Dimension hinzu: kontinuierliches, geduldiges Proben; die Übung des Hörens auf die anderen Musiker; die Verpflichtung, nicht »als Solist« zu spielen, sondern zu erreichen, daß die verschiedenen Klangfarben des Orchesters unter Beibehaltung ihrer jeweiligen Charakteristika verschmelzen; die gemeinsame Suche nach dem besten Ausdruck; all das stellt nicht nur in künstlerischer und professioneller, sondern in allgemein menschlicher Hinsicht eine außerordentliche »Schule« dar.

Liebe Freunde, ich hoffe, daß die Größe und Schönheit der an diesem Abend meisterhaft aufgeführten Musikstücke allen neue und beständige Inspiration verleihen kann, um im persönlichen und sozialen Leben immer höhere Ziele anzustreben. Erneut bringe ich dem Präsidenten der Italienischen Republik, den Organisatoren und allen Anwesenden meinen aufrichtigen Dank für dieses willkommene Geschenk zum Ausdruck!

50 Gedenken Sie meiner in Ihrem Gebet, damit ich, das sechste Jahr meines Pontifikats beginnend, meine Sendung immer so erfüllen kann, wie der Herr es will. Er, der unsere Kraft und unser Friede ist, segne Sie alle und Ihre Familien.


AN DIE TEILNEHMER DER 16. JAHRESVOLLVERSAMMLUNG DER PÄPSTLICHEN AKADEMIE DER SOZIALWISSENSCHAFTEN

Freitag, 30. April 2010

Liebe Mitglieder der Akademie!


Es freut mich, Sie zur 16. Vollversammlung begrüßen zu dürfen, in deren Rahmen die weltweite Wirtschaftskrise im Licht der ethischen Prinzipien analysiert werden soll, die in die Soziallehre der Kirche eingeschrieben sind. Ich danke der Präsidentin, Frau Professor Mary Ann Glendon, für ihre freundlichen Grußworte, versichere Sie alle meiner Gebete und wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre Arbeit.

Die weltweite Finanzkrise hat uns die Zerbrechlichkeit unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems und der damit verbundenen Institutionen vor Augen geführt. Sie hat auch gezeigt, wie irrig die Annahme ist, der Markt könne sich selbst regeln, bedürfe also keines öffentlichen Eingriffs und müsse auch nicht von verinnerlichten moralischen Kriterien gestützt werden. Diese Annahme beruht auf einer eingeschränkten Sicht des Wirtschaftslebens, das als eine Art selbst - regulierter Mechanismus gesehen wird, dessen Antriebsfedern Eigeninteressen und Profitdenken sind. Er übersieht die grundlegend ethische Natur der Wirtschaft als Aktivität, die schließlich von den Menschen und für diese gemacht ist. Das Wirtschaftsleben sollte aber nicht als eine Spirale von Produktion und Konsum gesehen werden, die auf die Befriedigung sehr eng definierter menschlicher Bedürfnisse abzielt, sondern vielmehr in angemessener Weise als eine Tätigkeit in menschlicher Verantwortung. Einer Verantwortung, die ausgerichtet ist auf die Förderung der Personenwürde, das Streben nach dem Gemeinwohl und die ganzheitliche - politische, kulturelle und spirituelle - Entwicklung des einzelnen, der Familie und der Gesellschaft. Die Anerkennung dieser vollständigeren menschlichen Dimension macht wiederum genau jene Art von interdisziplinärer Suche und Reflexion erforderlich, mit der sich die Akademie in ihrer Sitzung nun befaßt.

In meiner Enzyklika Caritas in veritate habe ich festgestellt, daß »uns die Krise verpflichtet, unseren Weg neu zu planen, uns neue Regeln zu geben und neue Einsatzformen zu finden« (). Den Weg neu zu planen bedeutet natürlich auch, die allgemeinen und objektiven Kriterien in den Blick zu nehmen, unter denen die Strukturen, Institutionen und konkreten Beschlüsse, die das Wirtschaftsleben lenken und leiten, beurteilt werden. Die auf den Glauben an Gott, den Schöpfer, gegründete Kirche bekräftigt, daß es ein universales Naturrecht gibt, das die feste Grundlage dieser Kriterien ist (vgl. ebd., 59). Sie weiß aber auch, daß die Prinzipien dieser sittlichen Ordnung, die in die Schöpfung selbst eingeschrieben sind, von der menschlichen Vernunft erfaßt werden können und daher allen konkreten Beschlüssen zugrundeliegen müssen. Als Teil des großen Erbes der menschlichen Weisheit dient das natürliche Sittengesetz, das die Kirche nicht nur übernommen, sondern im Licht der christlichen Offenbarung auch geläutert und entwickelt hat, als Wegweiser, der den einzelnen und die Gemeinschaft nach dem Guten streben und das Böse vermeiden läßt, während alle Bemühungen darauf ausgerichtet sind, eine wahrhaft gerechte und humane Gesellschaft zu bauen.

Zu den unabdingbaren Prinzipien eines solchen ganzheitlichen ethischen Umgangs mit dem Wirtschaftsleben muß die Förderung des Gemeinwohls gehören, das auf den Respekt vor der Würde der menschlichen Person gegründet ist. Auf dieses Ziel - die Förderung des Gemeinwohls - müssen alle Produktions- und Handelssysteme, alle politischen Institutionen und sozialen Wohlfahrtsprogramme ausgerichtet sein. Die Sorge um das Gemeinwohl nimmt immer globalere Dimensionen an. Zusehends ist auch deutlich geworden, daß das Gemeinwohl die Verantwortung den zukünftigen Generationen gegenüber einschließt. Die generationenübergreifende Solidarität muß folglich als grundlegendes Kriterium für die Beurteilung aller sozialen Systeme anerkannt werden. All das zeigt, wie dringlich es ist, die Verfahren zur Leitung der Weltwirtschaft zu stärken, dies stets mit dem gebotenen Respekt vor dem Subsidiaritätsprinzip. Letztendlich aber müssen alle wirtschaftlichen Beschlüsse und Maßnahmen auf die »Liebe in der Wahrheit« ausgerichtet sein, da die Wahrheit die befreiende Kraft der Liebe inmitten der stets kontingenten menschlichen Ereignisse und Strukturen bewahrt und ihr Richtung gibt. Denn »ohne Wahrheit, ohne Vertrauen und Liebe gegenüber dem Wahren gibt es kein Gewissen und keine soziale Verantwortung: Das soziale Handeln wird ein Spiel privater Interessen und Logiken der Macht, mit zersetzenden Folgen für die Gesellschaft« (Caritas in veritate ).

In diesem Sinne, meine lieben Freunde, möchte ich noch einmal meine Zuversicht zum Ausdruck bringen, daß diese Vollversammlung zu einer tieferen Beurteilung der ernstzunehmenden sozialen und wirtschaftlichen Herausforderung unserer Welt beitragen kann. In gleicher Weise wird sie auch dazu beitragen, den Weg zu weisen, um diese Herausforderungen in einem Geist der Weisheit, Gerechtigkeit und wahrer Menschlichkeit anzunehmen. Ich versichere Sie meiner Gebete für Ihre wichtige Arbeit und erbitte für Sie und alle Menschen, die Ihnen am Herzen liegen, Gottes Segen, Frieden und Freude.

Mai 2010


PASTORALBESUCH IN TURIN

VEREHRUNG DES GRABTUCHES


MEDITATION VON BENEDIKT XVI.

Sonntag, 2. Mai 2010

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Liebe Freunde,

das ist für mich ein lang ersehnter Augenblick. Bei verschiedenen anderen Gelegenheiten habe ich mich bereits vor dem heiligen Grabtuch eingefunden, aber dieses Mal erlebe ich meine Pilgerreise und diesen Besuch mit besonderer Intensität: Vielleicht, weil ich im Lauf der Jahre sensibler geworden bin für die Botschaft dieses außergewöhnlichen Bildes; vielleicht, und ich würde sogar sagen, vor allem, weil ich als Nachfolger Petri hier bin und in meinem Herzen die ganze Kirche trage, ja mehr noch: die ganze Menschheit. Ich danke Gott für das Geschenk dieser Pilgerreise, und auch für die Gelegenheit, euch eine kurze Meditation vorzutragen, zu der mich der Untertitel dieser feierlichen Ausstellung des Grabtuches inspiriert hat: »Das Mysterium des Karsamstags.«

Man kann sagen, daß das Grabtuch die Ikone dieses Geheimnisses ist, das Bild des Karsamstags. Tatsächlich handelt es sich um ein beim Begräbnis verwendetes Tuch, in das der Leichnam eines gekreuzigten Mannes gehüllt wurde. Es stimme in allem mit dem überein, was die Evangelien von Jesus berichten, der gegen Mittag gekreuzigt wurde und gegen drei Uhr nachmittags gestorben ist. Weil Rüsttag war, das heißt der Vorabend des feierlichen Sabbats des Paschafestes, bat Josef von Arimathäa, ein reiches und angesehenes Mitglied des Hohen Rates, am Abend Pontius Pilatus mutig darum, Jesus in seinem neuen Grab beerdigen zu dürfen, das er nicht weit von Golgota entfernt für sich selbst hatte in den Felsen hauen lassen. Nachdem er die Erlaubnis bekommen hatte, kaufte er ein Leinentuch, nahm den Leichnam Jesu vom Kreuz, wickelte ihn in das Tuch und legte ihn in jenes Grab (vgl.
Mc 15,42-46). Das berichtet das Evangelium des hl. Markus, und mit ihm stimmen die anderen Evangelisten überein. Von diesem Augenblick an blieb Jesus bis zum Morgengrauen des Tages nach dem Sabbat im Grab, und das Grabtuch von Turin zeigt uns ein Bild davon, wie sein Körper in dieser Zeit im Grab lag - eine chronologisch gesehen sehr kurze Zeit (etwa anderthalb Tage), die aber, was ihren Wert und ihre Bedeutung angeht, unermeßlich, unendlich war.

Der Karsamstag ist der Tag der Verborgenheit Gottes, wie man in einer antiken Predigt lesen kann: »Was ist geschehen? Heute herrscht auf der Erde eine große Stille, große Stille und Einsamkeit. Große Stille, weil der König schläft. … Gott ist dem Fleische nach gestorben und hinabgestiegen, um das Reich der Unterwelt zu erschüttern« (Predigt über den Karsamstag , PG 43,439). Im Glaubensbekenntnis bekennen wir, daß Christus gekreuzigt wurde unter Pontius Pilatus, gestorben ist und begraben wurde, hinabgestiegen ist in das Reich des Todes und am dritten Tage auferstanden ist von den Toten.

Liebe Brüder und Schwestern, in unserer Zeit ist die Menschheit, vor allem nachdem sie das letzte Jahrhundert durchlebt hat, besonders sensibel geworden für das Geheimnis des Karsamstags. Die Verborgenheit Gottes ist Teil der Spiritualität des zeitgenössischen Menschen: in einer existentiellen, fast unbewußten Weise, wie eine Leere im Herzen, die immer größer geworden ist. Am Ende des 19. Jahrhunderts schrieb Nietzsche: »Gott ist tot! Und wir haben ihn getötet!« Dieser berühmte Ausspruch ist bei genauem Hinsehen fast wörtlich der christlichen Überlieferung entnommen, oft wiederholen wir diese Worte beim Kreuzweg, vielleicht ohne uns ganz dessen bewußt zu sein, was wir da sagen. Nach den beiden Weltkriegen, nach den Konzentrationslagern und dem Gulag, nach Hiroshima und Nagasaki, ist unsere Epoche immer mehr zu einem Karsamstag geworden: Die Dunkelheit dieses Tages fordert die heraus, die nach dem Leben fragen, und besonders fordert sie uns Gläubige heraus. Auch wir müssen uns dieser Dunkelheit stellen.

Und dennoch hat der Tod des Sohnes Gottes Jesus von Nazaret auch noch einen entgegengesetzten Aspekt, der vollkommen positiv ist, Quelle des Trostes und der Hoffnung. Und das läßt mich daran denken, daß das heilige Grabtuch wie ein »fotografisches« Dokument ist, das ein »Positiv« und ein »Negativ« hat. Es ist wirklich so: Das dunkelste Geheimnis des Glaubens ist zur gleichen Zeit das hellste Zeichen einer Hoffnung, die keine Grenzen hat. Der Karsamstag ist das »Niemandsland« zwischen Tod und Auferstehung, aber dieses »Niemandsland« hat einer, der Einzige betreten, der es durchquert hat mit den Zeichen seines Leidens für den Menschen: »Passio Christi. Passio hominis«. Und das Grabtuch spricht genau von diesem Augenblick zu uns, es bezeugt gerade dieses einzigartige und unwiederholbare Intervall in der Geschichte der Menschheit und des Universums, in dem Gott in Jesus Christus nicht nur unser Sterben geteilt hat, sondern auch unser Bleiben im Tod. Radikalste Solidarität.

In jener »Zeit jenseits aller Zeit« ist Jesus Christus »in das Reich des Todes hinabgestiegen«. Was bedeutet dieser Ausdruck? Er besagt, daß der menschgewordene Gott so weit gegangen ist, in die extreme und absolute Einsamkeit des Menschen einzutreten, wohin kein Strahl der Liebe dringt, wo völlige Verlassenheit herrscht, ohne auch nur ein Wort des Trostes: »das Reich des Todes «. Jesus Christus hat durch sein im Tod Bleiben das Tor dieser letzten Einsamkeit durchschritten, um auch uns dazu zu führen, es gemeinsam mit ihm zu durchschreiten. Wir haben alle schon einmal ein furchtbares Gefühl der Verlassenheit gehabt. Und was uns am Tod am meisten Angst macht ist gerade dies, wie Kinder haben wir Angst, in der Dunkelheit allein zu sein, und nur die Anwesenheit eines Menschen, der uns liebt, kann uns beruhigen. Genau das hat sich am Karsamstag ereignet: Im Reich des Todes ist die Stimme Gottes erklungen. Das Undenkbare ist geschehen: Die Liebe ist vorgedrungen in das »Reich des Todes«. Auch in der extremsten Dunkelheit der absoluten menschlichen Einsamkeit können wir eine Stimme hören, die uns ruft, und eine Hand finden, die uns ergreift und uns nach draußen führt. Der Mensch lebt durch die Tatsache, daß er liebt und lieben kann; und wenn die Liebe auch in den Raum des Todes eingedrungen ist, so ist auch dort das Leben angekommen. In der Stunde der extremsten Einsamkeit werden wir nie allein sein: »Passio Christi. Passio hominis

Dies ist das Geheimnis des Karsamstags! Gerade von dort, aus dem Dunkel des Todes des Sohnes Gottes, ist das Licht einer neuen Hoffnung hervorgebrochen: das Licht der Auferstehung. Und mir scheint, daß wir etwas von diesem Licht wahrnehmen, wenn wir dieses heilige Leinentuch mit den Augen des Glaubens betrachten. Denn das Grabtuch war eingetaucht in jene tiefe Dunkelheit, aber zur gleichen Zeit leuchtet es; und ich denke, daß Tausende und Abertausende von Menschen kommen, um es zu verehren - ohne die zu zählen, die betend dessen Abbildungen betrachten -, weil sie in ihm nicht nur Dunkelheit sehen, sondern auch das Licht; nicht so sehr die Niederlage des Lebens und der Liebe, sondern vielmehr den Sieg, den Sieg des Lebens über den Tod, der Liebe über den Haß. Sie sehen zwar den Tod Jesu, aber sie erahnen seine Auferstehung. Mitten im Tod pulsiert jetzt das Leben, weil ihm die Liebe innewohnt. Das ist die Macht des Grabtuchs: Das Antlitz des Schmerzensmannes, der das Leiden der Menschen aller Zeiten und aller Orte auf sich genommen hat, auch unser Leiden, unseren Schmerz, unsere Schwierigkeiten, unsere Sünden - »Passio Christi, Passio hominis« -, dieses Antlitz strahlt eine feierliche Majestät aus, eine paradoxe Herrlichkeit. Das Antlitz, die Hände und Füße, die Seitenwunde, der ganze Leib spricht zu uns; er selbst ist ein Wort, das wir in der Stille hören können. Wie spricht das Grabtuch? Es spricht durch das Blut, und das Blut ist das Leben! Das Grabtuch ist eine Ikone, die mit Blut gemalt wurde, mit dem Blut eines gegeißelten, dornengekrönten und gekreuzigten Mannes, dessen rechte Seite verwundet wurde. Das dem Grabtuch eingeprägte Bild ist das eines Toten, aber das Blut spricht von seinem Leben. Alle Blutspuren sprechen von Liebe und Leben, besonders der große Fleck in der Rippengegend, der durch das Blut und Wasser entstand, die reichlich aus einer großen, von einem Lanzenstoß verursachten Wunde strömten. Dieses Blut und dieses Wasser sprechen vom Leben. Sie sind wie ein Quell, der in der Stille rauscht, und wir können ihn hören, können ihm zuhören, in der Stille des Karsamstags.

Liebe Freunde, wir wollen den Herrn immerdar für seine treue und erbarmende Liebe loben. Wenn wir diesen heiligen Ort verlassen, tragen wir in unseren Augen das Bild des Grabtuches, tragen wir im Herzen dieses Wort der Liebe und loben Gott mit einem Leben voller Glauben, Hoffnung und Liebe. Danke.


AN DIE PÄPSTLICHE SCHWEIZERGARDE

7. Mai 2010

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Sehr geehrter Herr Kommandant,
hochwürdiger Herr Kaplan,
liebe Gardisten,
liebe Familienangehörige!

Mit Freude heiße ich Sie alle willkommen und grüße besonders die neuen Rekruten, die sich in Begleitung ihrer Angehörigen und Freunde hier eingefunden haben.

Ihr könnt mit Recht darauf stolz sein, daß ihr euch durch den Eid, den ihr eben geleistet habt, einem Gardecorps mit einer langen Geschichte angeschlossen habt. Kaum habt ihr die bekannte Uniform angelegt, seid ihr sogleich für alle als Schweizergardisten sichtbar, man erkennt euch und bringt euch Achtung entgegen. Von diesem Tag an kommen euch auch der über Jahrhunderte hinweg gesammelte Sachverstand und all jene Mittel zugute, die euch für die Erfüllung eurer Aufgabe zur Verfügung gestellt werden. Was euch heute übergeben wird, macht euch zu Wächtern einer Tradition und zu Trägern eines euch anvertrauten praktischen Wissens. Es ist eure Aufgabe, dies weiterzuführen und zur Geltung zu bringen. Daran wird eure Verantwortung gemessen, und das ruft euch zu einer großzügigen Selbsthingabe auf. Der Nachfolger Petri sieht in euch eine wirkliche Stütze und er vertraut sich eurer Wachsamkeit an. Es ist mein aufrichtiger Wunsch, daß euch durch diesen Gardedienst hindurch das von euren Vorgängern empfangene Erbe trägt und als Menschen und Christen reifen läßt.

... auf französisch: Durch euren Eintritt in die Päpstliche Schweizer Garde seid ihr auf indirekte, aber ganz reale Weise mit dem Dienst des Petrus in der Kirche verbunden. Ich möchte euch einladen, von heute an bei eurer Meditation des Wortes Gottes dem Apostel Petrus ganz besondere Aufmerksamkeit zu schenken, da dieser sich nach der Auferstehung Christi bemüht, die Sendung, die der Herr ihm anvertraut hat, zu erfüllen. Diese Stellen der Heiligen Schrift werden die Bedeutung eures edlen Engagements erhellen, und das insbesondere in den Stunden möglicher Anstrengung und Müdigkeit. Im Buch der Apostelgeschichte lesen wir, daß Petrus in ganz Judäa umherzog, um die Gläubigen zu besuchen (vgl.
Ac 9,32). Der erste der Apostel bezeugt auf diese Weise konkret und anschaulich seine Fürsorge für alle. Der Papst möchte dieselbe Aufmerksamkeit allen Kirchengemeinden und jedem Gläubigen entgegenbringen, wie auch jedem, der etwas von der Kirche erwartet. In der Nähe des Nachfolgers Petri ist die Nächstenliebe, die eure Seele erfüllt, dazu bestimmt, universal zu werden. Die Dimensionen eures Herzens sollen sich weiten. Euer Dienst wird euch dazu führen, im Antlitz jedes Mannes und jeder Frau einen Pilger zu erkennen, der auf seinem Weg die Begegnung mit einem anderen Antlitz erhofft, durch das ihm ein lebendiges Zeichen des Herrn gegeben wird, der Herr allen Lebens und aller Gnade ist.

... auf italienisch: Wir wissen, daß alles, was wir im Namen Jesu tun, wie einfach es auch immer sein mag, uns verwandelt und uns ein wenig dem in Christus wiedergeborenen neuen Menschen ähnlicher macht. So wird euch euer Dienst für das Petrus - amt ein lebendigeres Bewußtsein der Katholizität schenken und auch eine tiefere Wahrnehmung der Würde des Menschen, dem ihr aus der Nähe begegnet und der in seinem Inneren den Weg des ewigen Lebens sucht. Wenn ihr eure Aufgabe mit professioneller Gewissenhaftigkeit und Sinn für das Übernatürliche erfüllt, wird sie euch auch auf eure zukünftigen persönlichen und öffentlichen Pflichten vorbereiten, die ihr übernehmen werdet, wenn ihr den Dienst beendet, und sie wird euch erlauben, sie als wahre Jünger des Herrn anzunehmen.

Ich rufe die Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria und die eurer heiligen Patrone Sebastian, Martin und Nikolaus von Flüe an und erteile euch, euren Familien und Freunden von Herzen den Apostolischen Segen sowie allen, die gekommen sind, um euch im Augenblick eurer Vereidigung nahe zu sein.


AN DIE BELGISCHEN BISCHÖFE ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Samstag, 8. Mai 2010


Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

Mit Freude begrüße ich euch ganz herzlich aus Anlaß des Besuches »ad limina Apostolorum«, der euch als Pilger an die Gräber der Apostel Petrus und Paulus geführt hat. Dieser Besuch ist ein Zeichen der kirchlichen Gemeinschaft, die die katholische Gemeinde Belgiens mit dem Heiligen Stuhl verbindet. Er ist aber auch ein willkommener Anlaß, diese Gemeinschaft zu stärken im gegenseitigen Zuhören, im gemeinsamen Gebet und in der Liebe Christi, vor allem in der gegenwärtigen Zeit, in der eure Kirche durch die Sünde schwer geprüft wurde. Ich danke Erzbischof André-Joseph Léonard für die Worte, die er in eurem Namen und im Namen eurer Diözesangemeinschaften an mich gerichtet hat und möchte bei dieser Gelegenheit auch an Kardinal Godfried Danneels erinnern, der über dreißig Jahre lang die Erzdiözese Mechelen-Brüssel und eure Bischofskonferenz geleitet hat.

Den Berichten über die Situation in euren Diözesen konnte ich entnehmen, welche Veränderungen in der belgischen Gesellschaft vor sich gehen. Es handelt sich um Tendenzen, die in vielen europäischen Ländern festzustellen sind, in eurem Fall aber eigene Merkmale aufweisen. Einige dieser Tendenzen, die bereits bei eurem letzten »Ad-limina«-Besuch angesprochen wurden, sind inzwischen noch stärker ausgeprägt. Ich meine damit den Rückgang der Zahl der Getauften, die ihren Glauben und ihre Zugehörigkeit zur Kirche offen bekennen; die fortschreitende Überalterung des Klerus und der Ordensmänner und -frauen; die unzureichende Zahl der Personen des geweihten Lebens, die in der Pastoral oder im Bildungs- und Sozialbereich tätig sind; den Rückgang der Anwärter auf das Priesteramt oder das geweihte Leben. Weitere heikle Punkte sind die christliche Bildung, vor allem der jungen Generation, wie auch die Frage der Achtung des Lebens, der Respektierung der Ehe und der Familie. Dazu kommen noch die komplexen, ja oft besorgniserregenden Situationen, die mit der Wirtschaftskrise zusammenhängen, mit der Arbeitslosigkeit, der Eingliederung der Immigranten in die Gesellschaft und dem friedlichen Zusammenleben der verschiedenen Sprach- und Kulturgemeinschaften eurer Nation.

Ich konnte feststellen, daß ihr euch nicht nur dieser Situationen bewußt seid, sondern auch wißt, wie wichtig eine solide und gründliche religiöse Formung ist. Euer Hirtenbrief La belle profession de la foi, der sich in die Reihe Grandir dans la foi einfügt, ist eine Aufforderung an alle Gläubigen, die Schönheit des christlichen Glaubens wiederzuentdecken. Durch das Gebet und die gemeinsame Reflexion über die geoffenbarten Wahrheiten, die im Credo zum Ausdruck kommen, wird uns wieder bewußt, daß der Glaube nicht nur in der Annahme einer Gesamtheit von Wahrheiten und Werten besteht, sondern vor allem darin, sich Jemandem anzuvertrauen - Gott -, ihm Gehör zu schenken, ihn zu lieben, mit ihm Zwiesprache zu halten und sich ganz in seinen Dienst zu stellen (vgl. S. 5).


ANSPRACHE 2010 48