ANSPRACHE 2009 147

BEGEGNUNG MIT DEN PATRIARCHEN UND GROSSERZBISCHÖFEN DER KATHOLISCHEN OSTKIRCHEN

Castelgandolfo - Samstag, 19. September 2009

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Meine Herren Kardinäle,
Seligkeiten,
verehrte Patriarchen und Großerzbischöfe!

Ich begrüße Sie alle sehr herzlich und danke Ihnen, daß Sie die Einladung zur Teilnahme an diesem Treffen angenommen haben: jedem gilt meine brüderliche Umarmung und mein Friedenswunsch. Ich begrüße Kardinal Tarcisio Bertone, meinen Staatssekretär, und Kardinal Leonardo Sandri, Präfekt der Kongregation für die Orientalischen Kirchen, zusammen mit dem Sekretär und den anderen Mitarbeitern des Dikasteriums.

Danken wir Gott für diese informelle Zusammenkunft, die uns erlaubt, die Stimme der Kirchen zu hören, denen Ihr mit bewundernswerter Opferbereitschaft dient, und die Bande der Gemeinschaft zu stärken, die sie mit dem Apostolischen Stuhl verbinden. Die heutige Begegnung ruft mir jene vom 24. April 2005 am Grab des hl. Petrus in Erinnerung. Damals, am Beginn meines Pontifikates, wollte ich eine geistige Pilgerfahrt in das Herz des christlichen Orients unternehmen: eine Pilgerfahrt, die heute eine weitere bedeutsame Etappe erfährt und die ich fortsetzen möchte. Bei verschiedenen Anlässen wurde von Ihnen ein häufigerer Kontakt mit dem Bischof von Rom gewünscht, um die Gemeinschaft Ihrer Kirchen mit dem Bischof von Rom immer mehr zu stärken und um bei dieser Gelegenheit eventuelle Themen von besonderer Wichtigkeit gemeinsam zu besprechen. Dieser Vorschlag wurde auch bei der letzten Vollversammlung des Dikasteriums für die Orientalischen Kirchen und bei den Generalversammlungen der Bischofssynode erneut vorgebracht.

Meinerseits erachte ich es als meine wesentliche Pflicht, jene Synodalität zu fördern, die der Ekklesiologie der Ostkirchen so sehr am Herzen liegt und die vom Zweiten Vatikanischen Konzil mit hoher Wertschätzung begrüßt wurde. Die Wertschätzung, welche die Konzilsversammlung Ihren Kirchen im Dekret Orientalium Ecclesiarum entgegengebracht hat und die mein verehrter Vorgänger Johannes Paul II. vor allem im Apostolischen Schreiben Orientale Lumen erneut zum Ausdruck gebracht hat, teile ich voll und ganz ebenso wie auch den Wunsch, daß die katholischen Ostkirchen »neu erblühen und mit frischer apostolischer Kraft die ihnen anvertraute Aufgabe meistern …, gemäß den Grundsätzen des […] Dekretes über den Ökumenismus die Einheit aller Christen, besonders der ostkirchlichen, zu fördern« (Orientalium Ecclesiarum
OE 1 und 24). Die ökumenische Perspektive ist häufig mit der interreligiösen Perspektive verbunden. In diesen beiden Bereichen braucht die gesamte Kirche die Erfahrung des Zusammenlebens, die in Ihren Kirchen seit dem ersten christlichen Jahrtausend gereift ist.

Verehrte Brüder, bei dieser brüderlichen Begegnung werden in Ihren Beiträgen sicherlich die Problematiken zur Sprache kommen, die Sie bedrängen und die bei den zuständigen Stellen die entsprechende Orientierung finden können. Ich möchte Ihnen versichern, daß ich Sie stets in meinen Gedanken und in meinem Gebet trage. Insbesondere vergesse ich den Friedensappell nicht, den Sie mir am Schluß der Versammlung der Bischofssynode im vergangenen Oktober übergeben haben. Wenn wir vom Frieden sprechen, gehen die Gedanken zuerst in die Gebiete des Nahen Ostens. Deshalb nütze ich diese Gelegenheit, um die von mir einberufene Sonderversammlung der Bischofssynode für den Nahen Osten anzukündigen, die vom 10. bis 24. Oktober 2010 zum Thema »Die katholische Kirche im Nahen Osten: Gemeinschaft und Zeugnis: ›Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele‹ (Ac 4,32)« stattfinden wird.

Während ich hoffe, daß das heutige Treffen die erwünschten Früchte bringen wird, rufe ich die mütterliche Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria an und segne von Herzen Sie und alle katholischen Ostkirchen.



AN DIE NEUERNANNTEN BISCHÖFE, DIE AN DEM VON DER KONGREGATION FÜR DIE BISCHÖFE UND FÜR DIE ORIENTALISCHEN KIRCHEN VERANSTALTETEN KONGRESS TEILGENOMMEN HABEN

Apostolischer Palast in Castelgandolfo

Montag, 21. September 2009

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Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

Von Herzen danke ich euch für euren Besuch aus Anlaß des Kongresses für die Bischöfe, die vor kurzem ihren pastoralen Dienst begonnen haben. Diese Tage der Reflexion, des Gebetes und der Fortbildung sind eine gute Gelegenheit, um euch, liebe Brüder, dabei zu helfen, besser mit den Aufgaben vertraut zu werden, die ihr als Hirten von Diözesangemeinschaften erfüllen müßt. Es sind auch Tage des freundschaftlichen Zusammenseins, die eine einzigartige Erfahrung jener »collegialitas affectiva« darstellen, die alle Bischöfe im einen apostolischen Leib vereint, gemeinsam mit dem Nachfolger Petri, »dem immerwährenden, sichtbaren Prinzip der Einheit« (vgl. Lumen gentium
LG 23).

Ich danke Kardinal Giovanni Battista Re, Präfekt der Kongregation für die Bischöfe, für die freundlichen Worte, die er in euer aller Namen an mich gerichtet hat; mein Gruß gilt auch Kardinal Sandri, Präfekt der Kongregation für die Orientalischen Kirchen, und Kardinal Pell, Erzbischof von Sydney (Australien). Allen, die auf unterschiedliche Art und Weise zur Organisation dieser jährlichen Begegnung beigetragen haben, bringe ich meine Dankbarkeit zum Ausdruck.

Wie Kardinal Re bereits erwähnt hat, fügt sich euer Kongreß dieses Jahr in den Kontext des Priester-Jahres ein, das aus Anlaß des 150. Todestages des hl. Johannes Maria Vianney ausgerufen wurde. Wie ich in meinem aus diesem Anlaß an alle Priester gerichteten Brief geschrieben habe, soll dieses besondere Jahr dazu beitragen, »das Engagement einer inneren Erneuerung aller Priester für ein noch stärkeres und wirksameres Zeugnis für das Evangelium in der Welt von heute zu fördern«. Die Nachfolge Jesu, des Guten Hirten, ist für jeden Priester der unerläßliche Weg der persönlichen Heiligung und die wesentliche Bedingung, um den pastoralen Dienst verantwortlich auszuüben. Das gilt für die Priester, aber noch mehr gilt das für uns, liebe Brüder im Bischofsamt. Ja, es ist wichtig, nicht zu vergessen, daß eine der wesentlichen Aufgaben des Bischofs darin besteht, daß er den Priestern durch sein Vorbild und seine brüderliche Unterstützung hilft, ihrer Berufung treu zu folgen und mit Begeisterung und Liebe im Weinberg des Herrn zu arbeiten.

In dieser Hinsicht hat mein verehrter Vorgänger Johannes Paul II. im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Pastores gregis angemerkt, daß die Geste des Priesters, der am Tag seiner Weihe seine Hände in die des Bischofs legt, beide verpflichtet: den Priester und den Bischof. Der junge Priester trifft die Entscheidung, sich dem Bischof anzuvertrauen, und der Bischof seinerseits verpflichtet sich, diese Hände zu behüten (Vgl. ). Genau betrachtet ist dies ein erhabener Auftrag, der sich für den Bischof als väterliche Verantwortlichkeit darstellt, die priesterliche Identität der seiner pastoralen Sorge anvertrauten Geistlichen zu behüten und zu fördern, eine Identität, die heute leider von der wachsenden Säkularisierung auf eine harte Probe gestellt wird. Der Bischof soll also, so fährt das Schreiben Pastores gregis fort, »immer versuchen, mit seinen Priestern als Vater und Bruder umzugehen, der sie liebt, sie anhört, sie annimmt, sie zurechtweist, sie tröstet, ihre Mitarbeit sucht und sich, soweit es ihm möglich ist, für ihr menschliches, geistliches, priesterlich-dienstliches und wirtschaftliches Wohl einsetzen« (ebd.).

Der Bischof ist in besonderer Weise gerufen, das geistliche Leben der Priester zu nähren, um in ihnen die Harmonie zwischen Gebet und Apostolat zu fördern - mit dem Blick auf das Vorbild Jesu und der Apostel, die Er, wie der hl. Markus sagt, vor allem berufen hat, weil sie »bei ihm sein« sollten (vgl. Mc 3,14). Eine unerläßliche Voraussetzung dafür, daß der Priester Früchte des Guten bringt, ist in der Tat, daß er mit dem Herrn vereint bleibt; hier liegt das Geheimnis der Fruchtbarkeit seines Dienstes: Nur wenn er in Christus, den wahren Weinstock, eingegliedert ist, bringt er Frucht. Der Sendungsauftrag eines Priesters und mehr noch der des Bischofs ist heute mit einer Arbeitslast verbunden, die ihn beständig vollkommen in Beschlag zu nehmen droht. Die Schwierigkeiten nehmen zu, und es mehren sich die Pflichten, auch weil man neuen Realitäten und größeren pastoralen Erfordernissen gegenübersteht. Dennoch dürfen die Aufmerksamkeit für die alltäglichen Probleme und die Initiativen, um die Menschen auf den Weg Gottes zu führen, uns nie von der tief innerlichen und persönlichen Einheit mit Christus ablenken, von diesem Zusammensein mit ihm. Daß wir den Menschen zur Verfügung stehen darf nie unsere Verfügbarkeit gegenüber dem Herrn schwächen oder verdunkeln. Die Zeit, die der Priester und der Bischof im Gebet Gott widmen, ist immer die am besten genutzte Zeit, denn das Gebet ist die Seele der pastoralen Aktivitäten, der »Lebenssaft«, der ihr Kraft gibt, es ist die Stütze in Momenten der Ungewißheit und Entmutigung, es ist die unerschöpfliche Quelle missionarischen Eifers und brüderlicher Liebe zu allen.

Im Mittelpunkt des priesterlichen Lebens steht die Eucharistie. Im Apostolischen Schreiben Sacramentum caritatis habe ich unterstrichen, daß die heilige Messe »formend ist im tiefsten Sinn des Wortes, da sie die Gleichgestaltung mit Christus fördert und den Priester in seiner Berufung stärkt« (Nr. 80). Die Feier der Eucharistie möge also bei euch und euren Priestern den gesamten Tag erhellen, indem sie jedem Augenblick ihre Gnade und ihren geistlichen Einfluß einprägt, den traurigen und den freudigen, den unruhigen und den erholsamen Momenten, in Aktion und Kontemplation. Ein bevorzugtes Mittel um im Laufe des Tages diese geheimnisvolle heiligende Wirkung der Eucharistie fortzusetzen ist das andächtige Beten des Stundengebets wie auch die eucharistische Anbetung, die Lectio divina und das betrachtende Gebet des Rosenkranzes. Der heilige Pfarrer von Ars lehrt uns, wie wertvoll die Identifizierung des Priesters mit dem eucharistischen Opfer ist und die Erziehung der Gläubigen in bezug auf die eucharistische Gegenwart und die Kommunion. Mit dem Wort Gottes und den Sakramenten, so habe ich im Brief an die Priester gesagt, hat der hl. Johannes Maria Vianney sein Volk aufgebaut. Der Generalvikar der Diözese Belley hatte ihm bei seiner Ernennung zum Pfarrer von Ars gesagt: »Es gibt in dieser Pfarrei nicht viel Liebe zu Gott, aber Sie werden sie dort einführen!« Und jene Pfarrei wurde verwandelt.

Liebe neuernannte Bischöfe, ich danke euch für den Dienst, den ihr der Kirche mit Hingabe und Liebe leistet. Ich grüße euch von Herzen und versichere euch meiner steten Unterstützung verbunden mit meinem Gebet, daß »ihr euch aufmacht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt« (Jn 15,16). In diesem Anliegen rufe ich die Fürsprache der Gottesmutter Maria, »Regina Apostolorum«, an und erteile von Herzen euch, euren Priestern und euren Diözesangemeinschaften einen besonderen Apostolischen Segen.



AN DIE DRITTE GRUPPE DER BRASILIANISCHEN BISCHÖFE (REGIONEN NORDOST 1 UND 4) ANLÄSSLICH IHRES «AD LIMINA»-BESUCHES

Apostolischer Palast in Castelgandolfo

Freitag, 25. September 2009

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Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

Seid willkommen! Mit großer Freude empfange ich euch in diesem Haus und wünsche aus ganzem Herzen, daß euch euer »Ad-limina«-Besuch den Trost und die Ermutigung geben möge, die ihr erwartet. Ich danke euch für das freundliche Grußwort, das ihr soeben durch den Erzbischof von Fortaleza, José Antônio Aparecido Tosi Marques, an mich gerichtet habt; ihr bekundet damit die Empfindungen der Liebe und Gemeinschaft, die eure Teilkirchen mit dem Römischen Stuhl verbinden, und die Entschlossenheit, mit der ihr die dringende Verpflichtung zur Mission angenommen habt, um auf den Lebenswegen eures Volkes das Licht und die Gnade Christi wieder zu entzünden.

Ich möchte heute zu euch über den ersten dieser Wege sprechen: die auf die Ehe gegründete Familie als »Ehebund, in dem sich die Eheleute gegenseitig schenken und annehmen« (Gaudium et spes
GS 48). Als vom göttlichen Gesetz bestätigte natürliche Institution ist die Familie auf das Wohl der Eheleute und auf die Zeugung und Erziehung der Nachkommenschaft hingeordnet und findet darin ihre Krönung (vgl. ebd.). Indem sie dies alles in Frage stellen, scheinen in der heutigen Gesellschaft gewisse Kräfte und Stimmen darum bemüht zu sein, die natürliche Wiege des menschlichen Lebens zu zerstören. Eure Berichte und unsere Einzelgespräche haben wiederholt diese schwierige Lage der Familie angesprochen, in der schließlich das Leben in unzähligen Kämpfen angegriffen wird. Es ist jedoch ermutigend festzustellen, das trotz all der negativen Einflüsse das Volk eurer Regionen Nordost 1 und 4, getragen von seiner charakteristischen Frömmigkeit und von einem tiefen Gefühl brüderlicher Solidarität, weiterhin offen ist für das Evangelium des Lebens.

Da wir wissen, daß nur von Gott jene Ebenbildlichkeit und Ähnlichkeit stammen kann, die dem Menschen wesenseigen ist (vgl. Gn 1,27), wie es bei der Schöpfung geschehen ist - die Zeugung ist die Fortführung der Schöpfung -, beuge ich mit euch und mit euren Gläubigen »meine Knie vor dem Vater, nach dessen Namen jedes Geschlecht im Himmel und auf der Erde benannt wird, und bitte, er möge euch aufgrund des Reichtums seiner Herrlichkeit schenken, das ihr in eurem Innern durch seinen Geist an Kraft und Stärke zunehmt« (Ep 3,14-16). Möge in jedem Heim der Vater und die Mutter, durch die Kraft des Heiligen Geistes innerlich gestärkt, weiterhin einträchtig Gottes Segen in ihrer Familie sein, indem sie die Ewigkeit ihrer Liebe in den Gnadenquellen suchen, die der Kirche anvertraut sind; diese ist »das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk« (Lumen gentium LG 4)!

Doch während die Kirche das menschliche Leben mit dem Leben der Allerheiligsten Dreifaltigkeit - erste Lebenseinheit in der Vielzahl der Personen - vergleicht und nicht müde wird zu lehren, daß die Familie ihr Fundament in der Ehe und im Plan Gottes hat, befindet sich das in der säkularisierten Welt verbreitete Bewußtsein diesbezüglich in der tiefsten Unsicherheit, vor allem seitdem die westlichen Gesellschaften die Ehescheidung legalisiert haben. Die einzige anerkannte Grundlage scheint das Gefühl bzw. die individuelle Subjektivität zu sein, die im Willen zum Zusammenleben zum Ausdruck kommt. In dieser Situation geht die Zahl der Eheschließungen zurück, da sich viele in ihrem Leben nicht unter einer so zerbrechlichen und unbeständigen Voraussetzung binden wollen; die Zahl der De facto-Lebensgemeinschaften und der Scheidungen nimmt zu. In dieser Zerbrechlichkeit vollzieht sich das Drama so vieler Kinder, die, der Unterstützung durch die Eltern beraubt, Opfer des Unbehagens und der Verlassenheit werden, wodurch sich soziale Unordnung ausbreitet.

Angesichts der Trennung der Eheleute und der Scheidung, angesichts der Zerstörung der Familien und angesichts der Folgen, die die Scheidung für die Kinder mit sich bringt, kann die Kirche nicht gleichgültig bleiben. Um eine angemessene Ausbildung und Erziehung zu erfahren, brauchen die Kinder äußerst klare und konkrete Bezugspunkte, das heißt entschlossene und sichere Eltern, die auf unterschiedliche Weise an ihrer Erziehung mitwirken. Nun wird es gleichsam zum Prinzip, daß die Praxis der Ehescheidung durch die sogenannte erweiterte und unbeständige Familie, die die Zahl der »Väter« und »Mütter« vervielfacht und dazu führt, daß heute der Großteil derjenigen, die sich »Waisen« nennen, nicht elternlose Kinder sind, sondern Kinder, die zu viele »Eltern« haben. Diese Situation mit Formen unvermeidlicher Einmischung und dem Sich-Überkreuzen von Beziehungen muß innere Konflikte und Verwirrungen hervorrufen und trägt dazu bei, in den Kindern zwangsläufig ein verfälschtes Familienbild entstehen zu lassen, das sich an das jeweilige Zusammenleben wegen seiner Vorläufigkeit gewissermaßen anpassen läßt.

Es ist feste Überzeugung der Kirche, daß die Probleme, vor denen die Eheleute heute stehen und die ihre Verbindung schwächen, eine echte Lösung nur in einer Rückkehr zur Festigkeit der christlichen Familie finden: Sie ist der Raum gegenseitigen Vertrauens, wechselseitiger Hingabe, der Achtung der Freiheit und der Erziehung zum sozialen Leben. Es ist wichtig, daran zu erinnern, daß »die Liebe der Gatten von Natur aus die Einheit und Unauflöslichkeit ihrer personalen Gemeinschaft, die ihr ganzes Leben umfaßt, erfordert« (Katechismus der Katholischen Kirche CEC 1644). In der Tat hat Jesus mit aller Klarheit gesagt: »Wer seine Frau aus der Ehe entläßt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Auch eine Frau begeht Ehebruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe entläßt und einen anderen heiratet« (Mc 10,11-12). Bei allem Verständnis, das die Kirche angesichts solcher Situationen an den Tag legen kann, muß festgehalten werden, daß es Eheleute aus einer zweiten Verbindung nicht gibt, sondern nur aus der ersten Verbindung; die andere ist eine irreguläre und gefährliche Situation, die in der Treue zu Christus dadurch gelöst werden muß, daß mit Hilfe eines Priesters ein möglicher Weg gefunden wird, um alle zu retten, die sich in dieser Lage befinden.

Um den Familien zu helfen, fordere ich euch auf, sie mit Überzeugung auf die Tugenden der Heiligen Familie hinzuweisen: das Gebet, Eckstein jeder Familie, die ihrer Identität und ihrer Sendung treu ist; die Arbeitsamkeit, Achse jeder reifen und verantwortungsvollen Ehe; das Schweigen, Grundlage jeder freien und wirksamen Aktivität. Ich ermutige eure Priester und die pastoralen Zentren eurer Diözesen, die Familien auf diese Weise zu begleiten, damit sie nicht von gewissen relativistischen Lebensstilen enttäuscht und verführt werden, wie sie die Filmund Fernsehproduktionen und andere Informationsmedien fördern. Ich habe Vertrauen in das Zeugnis jener Familien, die ihre Kraft aus dem Sakrament der Ehe schöpfen; mit ihnen wird es möglich, die auftretende Versuchung zu überwinden, eine Beleidigung zu vergeben, ein krankes Kind anzunehmen, das Leben des anderen, auch wenn er schwach und behindert ist, durch die Schönheit der Liebe zu erhellen. Ausgehend von diesen Familien muß das Gefüge der Gesellschaft wiederhergestellt werden.

Das, liebe Brüder, sind einige Gedanken, die ich euch zum Abschluß eures »Ad-limina«-Besuchs mit auf den Weg gebe, der reich an tröstlichen Nachrichten, aber auch voller Befürchtungen war aufgrund des Erscheinungsbildes, das eure geliebte Nation in Zukunft annehmen könnte. Arbeitet mit Verstand und Eifer; spart nicht mit Anstrengungen bei der Vorbereitung tätiger und glaubensbewußter Gemeinden. In ihnen soll sich das Erscheinungsbild der Bevölkerung im Nordosten nach dem Vorbild der Heiligen Familie von Nazaret konsolidieren. Das sind meine Wünsche, die ich durch den Apostolischen Segen, den ich euch allen erteile, bekräftige und in den ich die christlichen Familien und die verschiedenen Kirchengemeinden mit ihren Hirten und alle Gläubige eurer geliebten Diözese einschließe.



APOSTOLISCHE REISE

VON PAPST BENEDIKT XVI.

IN DIE TSCHECHISCHE REPUBLIK

(26.-28. SEPTEMBER 2009)


INTERVIEW DES HL. VATERS MIT DEN JOURNALISTEN AUF DEM FLUG IN DIE TSCHECHISCHE REPUBLIK

Samstag, 26. September 2009

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Padre Lombardi: Eure Heiligkeit, wir sind Ihnen sehr dankbar, daß Sie uns auch dieses Mal etwas Zeit schenken und einige Fragen beantworten, die wir in Vorbereitung auf diese Reise zusammengestellt haben. So geben Sie uns auch die Gelegenheit, Ihnen eine gute Reise zu wünschen.

Frage: Wie Sie beim Angelus am letzten Sonntag gesagt haben, befindet sich die Tschechische Republik nicht nur geographisch, sondern auch historisch im Herzen Europas. Könnten Sie uns dieses »historisch« ein wenig erläutern und uns sagen, warum Sie glauben, daß dieser Besuch bedeutsam sein kann für den Kontinent in seiner Gesamtheit, für seinen kulturellen, geistigen und vielleicht auch politischen Weg des Aufbaus der Europäischen Union?

Benedikt XVI.: In allen Jahrhunderten war die Tschechische Republik, das Territorium der Tschechischen Republik ein Ort der Begegnung der Kulturen. Beginnen wir im 9. Jahrhundert: Auf der einen Seite, in Mähren, haben wir die große Mission der Brüder Cyrill und Methodius, die aus Byzanz die byzantinische Kultur bringen, aber eine slawische Kultur schaffen mit kyrillischen Schriftzeichen und einer Liturgie in slawischer Sprache; auf der anderen Seite, in Böhmen, befinden sich die benachbarten Diözesen Regensburg und Passau, die das Evangelium zusammen mit der römisch-lateinischen Kultur in lateinischer Sprache bringen; so begegnen sich die beiden Kulturen. Jede Begegnung ist schwierig, aber auch fruchtbar. Das könnte man an diesem Beispiel leicht zeigen. Ich mache einen großen zeitlichen Sprung: Im 14. Jahrhundert ist es Karl IV., der hier in Prag die erste Universität in Mitteleuropa gründet. Die Universität ist an sich ein Ort der Begegnung der Kulturen; in diesem Fall wird sie außerdem zu einem Ort der Begegnung zwischen slawischer und deutschsprachiger Kultur. Daß im Jahrhundert und in den Zeiten der Reformation gerade in diesem Territorium die Begegnungen und Auseinandersetzungen entschieden und heftig waren, wissen wir alle. Jetzt mache ich einen Sprung in unsere Gegenwart: Im vergangenen Jahrhundert hat die Tschechische Republik unter einer besonders unerbittlichen kommunistischen Diktatur gelitten, aber es gab sowohl eine katholische als auch eine säkulare Widerstandsbewegung auf sehr hohem Niveau. Ich denke an die Texte von Vaclav Havel, von Kardinal Vlk, an Persönlichkeiten wie Kardinal Tomášek, die Europa wirklich eine Botschaft übermittelt haben, von dem, was Freiheit ist, und wie wir in Freiheit leben und arbeiten müssen. Und ich denke, daß aus dieser Begegnung der Kulturen in den Jahrhunderten und gerade aus dieser letzten Phase nicht nur der Reflexion, sondern auch des Leidens für einen neuen Begriff von Freiheit und einer freien Gesellschaft, zahlreiche wichtige Botschaften an uns ergehen, die für den Aufbau Europas fruchtbar werden können und müssen. Wir müssen gerade der Botschaft dieses Landes sehr große Aufmerksamkeit schenken.

Frage: Mittlerweile sind 20 Jahre vergangen seit dem Fall der kommunistischen Regime in Osteuropa. Johannes Paul II. hat bei seinen Besuchen in verschiedenen Ländern, die gerade den Kommunismus überstanden hatten, gemahnt, die wiedergewonnene Freiheit verantwortungsvoll zu nutzen. Welche Botschaft haben Sie heute für die Völker Osteuropas in diesem neuen Abschnitt der Geschichte?

Benedikt XVI.: Wie ich bereits gesagt habe, haben diese Länder unter der Diktatur besonders gelitten; aber im Leiden sind auch Freiheitsbegriffe gereift, die aktuell sind und jetzt weiter ausgearbeitet und verwirklicht werden müssen. Ich denke zum Beispiel an einen Text von Vaclav Havel, wo er sagt: »Die Diktatur ist auf die Lüge gegründet, und wenn man die Lüge überwinden würde, wenn keiner mehr lügen würde und die Wahrheit ans Licht käme, dann wäre auch die Freiheit da.« Und so hat er diese Beziehung zwischen Wahrheit und Freiheit ausgearbeitet, wo Freiheit nicht Libertinismus oder Willkür ist, sondern mit den hohen Werten der Wahrheit, der Liebe, der Solidarität und des Guten im allgemeinen verbunden ist und von ihnen bedingt wird. So denke ich, daß diese Begriffe, diese Ideen, die in der Zeit der Diktatur gereift sind, nicht verlorengehen dürfen: Gerade jetzt müssen wir zu ihnen zurückkehren! Und wir müssen in der oft ein wenig leeren Freiheit ohne Werte von neuem erkennen, daß Freiheit und Werte, Freiheit und das Gute, Freiheit und Wahrheit zusammengehören: sonst wird auch die Freiheit zerstört. Das scheint mir die Botschaft zu sein, die aus diesen Ländern kommt und die in diesem Moment aktualisiert werden muß.

Frage: Heiligkeit, die Tschechische Republik ist ein sehr stark säkularisiertes Land, in dem die katholische Kirche eine Minderheit ist. Wie kann die Kirche in einer solchen Situation wirksam zum Gemeinwohl des Landes beitragen?

Benedikt XVI.: Ich würde sagen, normalerweise sind es die kreativen Minderheiten, die entscheidend sind für die Zukunft, und in diesem Sinn muß sich die katholische Kirche als kreative Minderheit verstehen, die ein Erbe an Werten besitzt, die nicht überholt, sondern eine sehr lebendige und aktuelle Wirklichkeit sind. Die Kirche muß sie aktualisieren, sie muß in der politischen Debatte, in unserem Ringen um einen wahren Begriff von Freiheit und Frieden gegenwärtig sein. So kann sie in verschiedenen Bereichen ihren Beitrag leisten. Ich würde sagen, der erste ist gerade der intellektuelle Dialog zwischen Agnostikern und Gläubigen. Jeder braucht den anderen: Der Agnostiker kann sich nicht damit zufrieden geben, nicht zu wissen, ob Gott existiert oder nicht, sondern er muß auf der Suche sein und das große Erbe des Glaubens hören; der Katholik kann nicht damit zufrieden sein, den Glauben zu haben, sondern er muß auf der Suche nach Gott sein, noch tiefer, und im Dialog mit den anderen muß er Gott in tieferer Weise wieder neu kennenlernen. Das ist die erste Ebene: der große intellektuelle, ethische und menschliche Dialog. Dann hat die Kirche im Bereich der Erziehung sehr viel zu tun und zu geben, was die Ausbildung betrifft. In Italien sprechen wir von dem Problem des Erziehungsnotstandes. Es ist ein Problem, das dem ganzen Westen gemeinsam ist: Hier muß die Kirche ihr großes Erbe von neuem aktualisieren, konkretisieren, auf die Zukunft öffnen. Ein dritter Bereich ist die »Caritas«. Es war immer ein Zeichen der Identität der Kirche: den Armen zu Hilfe zu kommen, ein Instrument der Nächstenliebe zu sein. Die »Caritas« in der Tschechischen Republik tut sehr viel in den verschiedenen Gemeinschaften, in Notsituationen, und sie gibt auch der leidenden Menschheit in den verschiedenen Kontinenten sehr viel. So gibt sie ein Beispiel der Verantwortlichkeit gegenüber den anderen, der internationalen Solidarität, die auch eine Voraussetzung für den Frieden ist.

Frage: Heiligkeit, Ihre letzte Enzyklika Caritas in veritate hat in der Welt ein großes Echo hervorgerufen. Wie bewerten Sie dieses Echo? Sind Sie damit zufrieden? Meinen Sie, daß die kürzliche weltweite Krise wirklich ein Anlaß dafür sein kann, daß die Menschheit bereiter ist, über die Wichtigkeit der moralischen und spirituellen Werte nachzudenken, um ihre großen Zukunftsfragen anzugehen? Und wird die Kirche auch weiterhin Orientierung in dieser Richtung anbieten?

Benedikt XVI.: Ich bin sehr zufrieden über diese große Diskussion. Das war genau der Zweck: eine Diskussion über diese Probleme anzuregen und zu bewirken, die Dinge nicht so laufen zu lassen, wie sie sind, sondern neue Modelle für eine verantwortliche Wirtschaft zu finden, sowohl für die einzelnen Länder als auch die vereinte Menschheit als ganze. Mir scheint heute wirklich sichtbar zu sein, daß die Ethik nicht etwas ist, was außerhalb der Wirtschaft liegt, die wie eine Technik auch allein funktionieren könnte, sondern daß sie ein inneres Prinzip der Wirtschaft ist, die nicht funktioniert, wenn sie nicht die menschlichen Werte der Solidarität, der gegenseitigen Verantwortlichkeit berücksichtigt und wenn sie die Ethik nicht in den Aufbau der Wirtschaft selbst integriert: das ist die große Herausforderung dieses Augenblicks. Ich hoffe mit der Enzyklika zu dieser Herausforderung beigetragen zu haben. Die gegenwärtige Debatte scheint mir ermutigend zu sein. Sicherlich wollen wir weiterhin auf die Herausforderungen des Augenblicks antworten und unseren Beitrag leisten, damit das Verantwortungsbewußtsein größer ist als die Suche nach Profit, damit die Verantwortlichkeit gegenüber den anderen stärker ist als der Egoismus; in diesem Sinn wollen wir auch in Zukunft zu einer menschlichen Wirtschaft beitragen.

Frage: Und zum Abschluß eine etwas persönlichere Frage: Im Sommer hatten sie diese kleine Verletzung am Handgelenk. Ist dies jetzt wieder ganz in Ordnung? Konnten Sie ihre Aktivitäten wieder voll aufnehmen und auch am zweiten Teil Ihres Buches über Jesus schreiben, wie Sie es sich vorgenommen hatten?

Benedikt XVI.: Es ist noch nicht ganz wie zuvor, aber Sie sehen, daß die rechte Hand ihre Funktion erfüllt, und das Wichtigste kann ich tun: ich kann essen, und vor allem kann ich schreiben. Meine Gedanken entwickeln sich vor allem beim Schreiben; so war es für mich wirklich eine Last, eine Schule der Geduld, daß ich sechs Wochen nicht schreiben konnte. Dennoch konnte ich arbeiten, lesen, andere Dinge tun, und ich bin auch mit dem Buch ein bißchen weitergekommen. Aber ich habe noch sehr viel zu tun. Ich denke einschließlich der Bibliographie und allem, was noch folgt, könnte es - »Deo adiuvante« - im nächsten Frühjahr fertig sein. Das hoffe ich zumindest!

Pater Lombardi: Vielen Dank, Eure Heiligkeit, und nochmals die besten Wünsche für diese Reise, die kurz, aber sehr intensiv und, wie sie uns erläutert haben, auch sehr bedeutsam ist.



BEGRÜSSUNGSZEREMONIE ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS

Internationaler Flughafen "Stará Ruzyne" - Prag - Samstag, 26. September 2009

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Sehr geehrter Herr Präsident!
Hochwürdigste Kardinäle, liebe Mitbrüder im Bischofsamt!
Exzellenzen! Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich freue mich, heute unter Ihnen in der Tschechischen Republik zu sein, und bedanke mich bei Ihnen allen für die herzliche Begrüßung. Ich danke Herrn Präsident Václav Klaus für die Einladung, dieses Land zu besuchen, und für seine freundlichen Worte. Die Anwesenheit von Vertretern des öffentlichen Lebens und der politischen Parteien ehrt mich, und ich begrüße Sie alle zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern der Tschechischen Republik. Da ich hauptsächlich gekommen bin, um die katholischen Gemeinden von Böhmen und Mähren zu besuchen, gilt mein herzlicher brüderlicher Gruß Herrn Kardinal Vlk, dem Erzbischof von Prag, Herrn Erzbischof Graubner von Olmütz, dem Präsidenten der tschechischen Bischofskonferenz, sowie allen heute hier versammelten Bischöfen und Gläubigen. Besonders berührt hat mich die Geste der beiden Jugendlichen, die mir für die Kultur dieses Volkes typische Gaben und ein Gefäß mit Erde dieses Landes überreicht haben. Das hat mich daran erinnert, wie tief die tschechische Kultur vom Christentum geprägt ist, da das Brot und das Salz, wie Sie wissen, eine besondere Bedeutung in der Symbolik des Neuen Testaments haben.

Die gesamte europäische Kultur ist von seinem christlichen Erbe tief geprägt worden, und dies gilt besonders für die tschechischen Lande. Denn infolge der Missionsarbeit der Heiligen Cyrill und Methodius im 9. Jahrhundert wurde die alte slawische Sprache zum ersten Mal niedergeschrieben. Sie sind Apostel der slawischen Völker und Gründer ihrer Kultur und werden mit Recht als Patrone Europas verehrt. Zugleich sei hervorgehoben, daß diese zwei großen Heiligen der byzantinischen Tradition hier den Missionaren des lateinischen Abendlandes begegnet sind. Im Laufe seiner ganzen Geschichte ist dieses Gebiet im Herzen des Kontinents, im Schnittpunkt zwischen Norden und Süden, Osten und Westen ein Treffpunkt für verschiedene Völker, Traditionen und Kulturen geworden. Unbestreitbar hat dies gelegentlich zu Spannungen geführt, die sich aber auf lange Sicht als eine fruchtbare Begegnung erwiesen haben. Daraus ergibt sich die wichtige Rolle der tschechischen Lande in der Geistes-, Kultur- und Religionsgeschichte Europas - zuweilen als Kriegsschauplatz, aber häufiger als Brücke.

153 In den nächsten Monaten wird der 20. Gedenktag der „Samtenen Revolution“ begangen, die für dieses Land eine Zeit außergewöhnlicher Bedrängnis, eine Zeit strenger Kontrolle des Gedankenaustauschs und kultureller Einflüsse zum Glück friedlich beendete. Ich verbinde mich mit Ihnen und Ihren Nachbarn im Dank für Ihre Befreiung von jenen Unterdrückungsregimen. Der Fall der Berliner Mauer stellte einen Scheidepunkt in der Weltgeschichte dar, und er war es um so mehr für die Länder Mittel- und Osteuropas, da sie befähigt wurden, ihren rechtmäßigen Platz als unabhängige Akteure im Konzert der Nationen einzunehmen.

Dennoch darf der Preis von vierzig Jahren politischer Unterdrückung nicht unterschätzt werden. Ein besonders schweres Leid für dieses Land war der skrupellose Versuch der damaligen Regierung, die Stimme der Kirche zum Schweigen zu bringen. Während der Geschichte Ihres Landes, von der Zeit des heiligen Wenzel, der heiligen Ludmila und des heiligen Adalbert bis zur Zeit des heiligen Johannes Nepomuk, gab es mutige Märtyrer, deren Treue zu Christus bei weitem lauter und klarer gesprochen hat als die Stimme ihrer Henker. In diesem Jahr begehen wir den vierzigsten Todestag des Dieners Gottes Kardinal Josef Beran, Erzbischof von Prag. Ich möchte ihm sowie seinem Nachfolger Kardinal František Tomášek, den ich persönlich kennenlernen durfte, Anerkennung zollen für ihr unbeugsames christliches Zeugnis angesichts der Verfolgung. Sie und unzählige mutige Priester, Ordensleute und Laien haben die Flamme des Glaubens in diesem Land lebendig bewahrt. Da nun die Religionsfreiheit wieder hergestellt ist, rufe ich alle Bürger dieser Republik auf, die christlichen Traditionen, die ihre Kultur geprägt haben, wieder zu entdecken, und ich lade die Christen ein, weiterhin ihre Stimme vernehmen zu lassen, wenn die Nation sich den Herausforderungen des neuen Jahrtausends stellt. „Ohne Gott weiß der Mensch nicht, wohin er gehen soll, und vermag nicht einmal zu begreifen, wer er ist“ (Caritas in veritate ). Die Wahrheit des Evangeliums ist für eine gesunde Gesellschaft unerläßlich, da sie uns für die Hoffnung bereit macht und uns befähigt, unsere unveräußerliche Würde als Kinder Gottes zu entdecken.

Herr Präsident, ich weiß von Ihrem Wunsch, daß die Religion eine größere Rolle in den Belangen dieses Landes spielen möge. Die Fahne des Präsidenten über der Prager Burg kündet das Motto “Pravda Vítezí - die Wahrheit siegt“: Es ist meine aufrichtige Hoffnung, daß das Licht der Wahrheit weiterhin diese Nation leiten wird, die im Laufe ihrer Geschichte durch das Zeugnis großer Heiliger und Märtyrer so reich gesegnet wurde. In dieser naturwissenschaftlich geprägten Zeit ist es aufschlußreich, sich das Beispiel des Augustinerabts aus Mähren Gregor Mendel vor Augen zu führen, der mit seiner bahnbrechenden Forschung die Grundlage der modernen Genetik gelegt hat. Ihm gilt nicht der Vorwurf seines Ordenspatrons, des heiligen Augustinus, der es bedauerte, daß so viele sich „mehr damit befassen, Tatsachen zu bewundern als ihre Ursachen zu ergründen“ (Epistula 120,5; vgl. Johannes Paul II., Ansprache bei der Gedenkfeier zum 100. Todestag von Abt Gregor Mendel, 10. März 1984, 2). Der wahre Fortschritt der Menschheit wird am besten durch eine solche Verbindung der Weisheit des Glaubens mit den Erkenntnissen der Vernunft gefördert. Möge das tschechische Volk sich stets der Vorzüge dieser glücklichen Synthese erfreuen.

Noch einmal möchte ich Ihnen allen meinen Dank aussprechen und Ihnen versichern, daß ich mich freue, diese Tage bei Ihnen in der Tschechischen Republik zu verbringen, die Sie voller Stolz „zeme Ceská, domov muj“ nennen. Vielen Dank.




ANSPRACHE 2009 147