ANSPRACHE 2009 198

AN ACHT NEUE BOTSCHAFTER BEIM HL. STUHL ANLÄSSLICH DER GEMEINSAMEN ÜBERGABE DER BEGLAUBIGUNGSSCHREIBEN

Donnerstag, 17. Dezember 2009

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Meine Herren Botschafter!

Ich freue mich, Sie heute morgen im Apostolischen Palast zu begrüßen. Sie sind gekommen, um mir Ihre Beglaubigungsschreiben zu überreichen, mit denen Sie als außerordentliche und bevollmächtigte Botschafter Ihrer jeweiligen Länder akkreditiert werden: Dänemark, Uganda, Sudan, Kenia, Kasachstan, Bangladesch, Finnland und Lettland. Seien Sie willkommen, und seien Sie bitte so freundlich, Ihren Staatsoberhäuptern meine herzlichen Grüße zu übermitteln und Ihnen für die liebenswürdigen Worte zu danken, die Sie mir freundlicherweise in ihrem Namen überbracht haben. An sie richte ich meine ehrerbietigen Wünsche für ihre hohe Mission im Dienst ihrer Länder. Ebenso möchte ich durch Ihre Vermittlung die zivilen und religiösen Autoritäten Ihrer Länder grüßen wie auch alle Ihre Landsleute. Versichern Sie sie meines Gebetes. Meine Gedanken richten sich natürlich auch an alle katholischen Gemeinschaften in Ihren Ländern. Sie wissen, daß sie den Wunsch haben, brüderlich am Aufbau der Nation mitzuwirken, zu dem sie nach ihren besten Möglichkeiten beitragen.

In meiner letzten Enzyklika Caritas in veritate habe ich darauf hingewiesen, daß es notwendig ist, zwischen dem Menschen und der Schöpfung, in der er lebt und wirkt, wieder eine rechte Beziehung herzustellen. Die Schöpfung ist das wertvolle Geschenk, das Gott in seiner Güte den Menschen gemacht hat. Sie sind deren Verwalter und müssen aus dieser Verantwortung alle Schlußfolgerungen ziehen. Die Menschen dürfen diese Verantwortung weder ablehnen, noch ihr aus dem Weg gehen, indem sie sie den kommenden Generationen übertragen. Es ist evident, daß diese Verantwortung für die Umwelt nicht in Gegensatz gebracht werden darf zur Notwendigkeit, dem Skandal der Armut und des Hungers ein Ende zu setzen. Es ist im Gegenteil nicht mehr möglich, diese beiden Realitäten voneinander zu trennen, denn die kontinuierliche Schädigung der Umwelt stellt eine direkte Bedrohung für das Überleben des Menschen und für seine eigene Entwicklung dar; und sie droht sogar zu einer direkten Gefahr für den Frieden zwischen Menschen und Völkern zu werden.

Sowohl auf individueller als auch auf politischer Ebene ist es nunmehr notwendig, in bezug auf die Schöpfung entschiedenere und von immer mehr Partnern geteilte Verpflichtungen einzugehen. In diesem Sinne ermutige ich lebhaft die politischen Autoritäten Ihrer jeweiligen Länder und der Gesamtheit der Nationen, nicht nur ihre Aktivitäten zur Bewahrung der Umwelt zu verstärken, sondern auch - weil das Problem nicht allein auf der beschränkten Ebene eines jeden Landes angegangen werden kann - Vorschläge zu machen und Anregungen zu geben, um zu verbindlichen internationalen Vereinbarungen zu gelangen, die nützlich und gerecht für alle sind.

Die Herausforderungen, denen die Menschheit sich heute gegenübergestellt sieht, verlangen sicherlich einen verstärkten Einsatz der Intelligenz und Kreativität des Menschen sowie eine Intensivierung der angewandten Forschung im Hinblick auf einen wirksameren und vernünftigeren Gebrauch der zur Verfügung stehenden Energiequellen und Ressourcen. Diese Anstrengungen können allerdings nicht von einer Veränderung oder Umformung des aktuellen Entwicklungsmodells unserer Gesellschaften entbinden. Die Kirche schlägt vor, daß diese tiefgehende Veränderung, die noch entdeckt und gelebt werden muß, geleitet werde von dem Begriff der ganzheitlichen Entwicklung der menschlichen Person. Denn das Wohl des Menschen liegt nicht in einem immer zügelloseren Konsum und in der unbegrenzten Ansammlung von Gütern - Konsum und Güteransammlung, die auf wenige Menschen begrenzt sind und als Vorbilder für die Masse hingestellt werden. In dieser Hinsicht ist es nicht nur die Aufgabe der verschiedenen Religionen, den Primat des Menschen und des Geistes zu unterstreichen, sondern auch die Aufgabe des Staates.

Der Staat hat die Pflicht, dies vor allem durch eine engagierte Politik zu tun, die für alle Bürger - in gleicher Weise - den Zugang zu den geistigen Gütern unterstützt. Denn diese bringen den Reichtum der sozialen Bande zur Geltung und ermutigen den Menschen zur Fortsetzung seiner spirituellen Suche.

Im letzten Frühjahr habe ich auf meiner Apostolischen Reise in verschiedene Länder des Nahen Ostens wiederholt vorgeschlagen, in den Religionen allgemein einen »Neuanfang« für den Frieden zu sehen. Es ist wahr, daß die Religionen in der Geschichte häufig ein Konfliktfaktor waren. Aber es ist ebenso wahr, daß die gemäß ihrem tiefsten Wesen gelebten Religionen eine Kraft der Versöhnung und des Friedens waren und sind. In diesem historischen Augenblick müssen die Religionen auch durch den offenen und aufrichtigen Dialog den Weg der Läuterung suchen, um immer mehr ihrer wahren Berufung zu entsprechen.

Unsere Menschheit sehnt sich nach dem Frieden, und wenn möglich nach weltweitem Frieden. Man muß danach streben - ohne Utopien und Manipulationen. Wir wissen alle, daß der Friede politische und ökonomische, kulturelle und spirituelle Bedingungen braucht, um sich auszubreiten. Das friedliche Zusammenleben der unterschiedlichen religiösen Traditionen innerhalb einer Nation ist manchmal schwierig. Mehr noch als ein politisches Problem ist dieses Zusammenleben auch ein Problem, das sich im Inneren der Religionen stellt. Jeder Gläubige ist aufgerufen, nach dem Willen Gottes hinsichtlich jeder menschlichen Situation zu fragen.

Wenn Gott als der einzige Schöpfer des Menschen anerkannt wird - jedes Menschen, was auch immer sein religiöses Bekenntnis, seine gesellschaftliche Stellung oder seine politische Meinung sein mag -, wird jeder den anderen in seiner Einmaligkeit und Unterschiedlichkeit respektieren.

Vor Gott gibt es keine Kategorien oder Hierarchien, höher oder niedriger, Herrscher oder Untertanen. Für ihn existiert nur der Mensch, den er aus Liebe geschaffen hat und der in Familie und Gesellschaft in brüderlicher Harmonie leben soll. Die Entdeckung des weisen Plans Gottes für den Menschen führt diesen dazu, die Liebe Gottes anzuerkennen. Für die Gläubigen oder die Menschen guten Willens kann sich die Lösung menschlicher Konflikte, wie die schwierige Koexistenz verschiedener Religionen, in ein menschliches Zusammenleben verwandeln, in einer Ordnung voller Güte und Weisheit, die ihren Ursprung und ihre Dynamik aus Gott haben. Dieses Zusammenleben in der Achtung vor der Natur der Dinge und der ihr innewohnenden Weisheit, die von Gott kommt - die »tranquillitas ordinis« -, trägt den Namen »Frieden«. Der interreligiöse Dialog leistet seinen besonderen Beitrag zu dieser schrittweisen Entwicklung, die eine Herausforderung ist für die unmittelbaren politischen und ökonomischen menschlichen Interessen. Manchmal ist es für die Welt der Politik und der Wirtschaft schwierig, dem Menschen den ersten Platz einzuräumen; und noch schwerer fällt es ihr, die Wichtigkeit und Notwendigkeit des Religiösen in Betracht zu ziehen und zuzugeben sowie der Religion ihre wahre Natur und ihren Platz im öffentlichen Bereich zuzusichern. Der so sehr erhoffte Frieden wird nur entstehen aus dem gemeinsamen Handeln des einzelnen - der seine wahre Natur in Gott entdeckt - und der zivilen und religiösen Führungspersönlichkeiten, die - in der Achtung der Würde und des Glaubens eines jeden - die edle und authentische Rolle der Religion für die Erfüllung und Vollendung der menschlichen Person zu erkennen wissen und sie ihr zugestehen. Es handelt sich hier um eine globale Wiederzusammenführung des Zeitlichen und des Geistigen, die einen Neuanfang in Richtung des Friedens ermöglichen wird, der nach Gottes Wunsch universal sein soll.

Meine Herren Botschafter, Ihre Mission beim Heiligen Stuhl hat soeben begonnen. Bei meinen Mitarbeitern werden Sie die notwendige Unterstützung finden, um diese Mission gut zu erfüllen. Erneut spreche ich Ihnen von Herzen meine besten Wünsche aus für eine erfolgreiche Arbeit in ihrem so schwierigen Amt. Möge der Allmächtige Sie stützen und begleiten, Sie selbst wie auch Ihre Angehörigen, Ihre Mitarbeiter und alle Ihre Landsleute! Möge Gott Sie mit der Fülle seines Segens reich beschenken!





AN DIE BISCHÖFE VON WEISSRUSSLAND ANLÄSSLICH IHRES «AD-LIMINA»-BESUCHES

Donnerstag, 17. Dezember 2009

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Herr Kardinal,

verehrte Brüder!

Ich freue mich, einen jeden von euch im Haus des Nachfolgers Petri willkommen zu heißen, dem Christus die Aufgabe anvertraut hat, seine Herde zu weiden (vgl.
Jn 21,15-19), die Brüder im Glauben zu stärken (vgl. Lc 22,32) sowie die kirchliche Einheit zu wahren und zu fördern (vgl. Lumen gentium LG 22). Ich danke Herrn Bischof Aleksander Kaskiewicz für die Worte, mit denen er den Weg der Kirche in Weißrußland dargelegt und auch die Herausforderungen hervorgehoben hat, vor denen sie steht.

In den Begegnungen mit euch habe ich dem pastoralen Eifer Anerkennung geschenkt, mit dem ihr euren Dienst durchführt, im Wunsch und im Bemühen, die Mitverantwortung, die Gemeinschaft und die gemeinsame Entscheidungsfindung unter euch immer mehr anwachsen zu lassen, auf daß euer Dienst immer fruchtbarer sein möge. In der Tat ist es besonders wichtig, mit neuer Begeisterung und Nachdruck die immerwährende Botschaft des Evangeliums in einer Gesellschaft zu verkünden, die nicht immun gegen die Versuchungen der Säkularisierung, des Hedonismus und des Relativismus ist: Die Probleme des Geburtenrückgangs, der Schwachheit und Zerbrechlichkeit der Familien und der Illusion, außerhalb des eigenen Landes das Glück zu finden, sind ein Zeichen dafür. Angesichts dieser Herausforderungen ist es die dringende Aufgabe der Hirten, die Kraft des Glaubens deutlich zu machen, eines Glaubens, der in einer gefestigten Tradition verwurzelt ist, um dazu beizutragen, im respektvollen Dialog mit den anderen Kulturen und Religionen die tiefe christliche Identität der Nation zu wahren. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, daß ihr die Einladung des Psalms annehmt, in dem es heißt: »Seht doch, wie gut und schön ist es, / wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen« (Ps 133,1), und große Sorgfalt darauf verwendet, immer geeignetere Programme zu entwerfen und pastorale Methoden zu fördern, sowie darauf, die Entscheidungen der Bischofskonferenz in die Tat umzusetzen. Ein solches erneuertes Zeugnis der Einheit nützt der Verkündigung des Evangeliums und kommt dem Verhältnis zur staatlichen Obrigkeit und insbesondere den ökumenischen Beziehungen zugute.

Als weiteres Element möchte ich die besondere Aufmerksamkeit hervorheben, die in der Pastoralarbeit der Erziehung und Bildung zukommen muß. Wie ich schon mehrmals gesagt habe, erleben wir heute eine Art »Notstand« in diesem komplexen und grundlegenden Bereich, und es ist notwendig, sich verstärkt darum zu bemühen, vor allem den neuen Generationen eine gute Erziehung und Bildung anzubieten. Ich ermutige euch daher, eure Bemühungen fortzusetzen und dafür zu sorgen, daß eine angemessene Katechese den Glaubensweg in allen Lebensphasen prägt und es inner- und außerkirchliche Gelegenheiten gibt, durch die unter eurer Führung die Botschaft Christi in jeden Bereich der euch anvertrauten Herde gelangen kann. Einzigartige Bedeutung kommt der Fürsorge für die Entscheidungsfindung und die Begleitung der verschiedenen Berufungen zu, insbesondere derer zum Priestertum und zum Ordensleben, sowie dem Bemühen um die Förderung von Programmen, die dem menschlichen und christlichen Wachstum der Jugend gewidmet sind. In diesem Zusammenhang fordere ich euch auf, aufmerksam darüber zu wachen, daß die Priesteramtskandidaten eine solide und strenge geistliche und theologische Ausbildung erhalten und sie gebührend angeleitet werden, um den göttlichen Ruf ernsthaft und tiefgehend zu prüfen. Die gegenwärtige Lage unserer Gesellschaft erfordert eine besonders sorgfältige Entscheidungsfindung. Für die Zukunft eurer Kirche ist es daher wichtig, daß in Grodno und Pinsk den jungen Seminaristen auch weiterhin ein vollständiger und qualifizierter Ausbildungsweg angeboten wird. Auch die Tatsache, daß in beiden Einrichtungen die Kandidaten für den Diözesanklerus und jene für den Ordensklerus den Weg zum Priesteramt gemeinsam gehen, ist eine wertvolle Gelegenheit, um eine einheitliche Pastoralarbeit zu fördern. Diese Situation wird immer verheißungsvollere Früchte hervorbringen, wenn das Ausbildungsangebot auch weiterhin aus der intensiven Zusammenarbeit zwischen dem Bischof und den jeweiligen Ordensoberen hervorgeht und auch Initiativen für die ständige Weiterbildung ins Leben gerufen werden können. Steht euren Priestern mit immer größerer Fürsorge zur Seite, besonders jenen, die den pastoralen Dienst beginnen. Die aufmerksame und herzliche Vaterschaft des Bischofs ist ein grundlegendes Element für das Gelingen eines priesterlichen Lebens! Darüber hinaus sollt ihr euch stets bewußt sein, daß der Herr euch als Hirten der Kirche beruft, jeden Dienst zu erkennen, der auf die Erbauung des kirchlichen Leibes ausgerichtet ist und der auch laikaler, kultureller und ziviler Art sein kann, damit alle dazu beitragen können, das Reich Gottes in Weißrußland wachsen zu lassen, im Geiste einer wahren und wirklichen Gemeinschaft, um jene christlichen Werte in Erinnerung zu rufen, die entscheidend zum Aufbau der europäischen Zivilisation beigetragen haben.

Liebe Brüder, schenkt jedem rechten Beitrag zur Verkündigung und Verbreitung des Reiches Gottes eure Wertschätzung und bezeugt durch konkretes Handeln die Brüderlichkeit, die Frieden schafft, den Geist der Gemeinschaft, der persönliche Vorteile scheut, sowie die Liebe, die langmütig und gütig ist, sich nicht ereifert, nicht prahlt, sich nicht aufbläht, nicht ungehörig handelt, nicht ihren Vorteil sucht, sich nicht zum Zorn reizen läßt, das Böse nicht nachträgt, sich nicht über das Unrecht freut, sondern sich an der Wahrheit freut und alles glaubt, alles hofft, alles erträgt aus Liebe zu Christus (vgl. 1Co 13,4-7). In diesen Zusammenhang gehört auch die brüderliche Zusammenarbeit mit der orthodoxen Kirche von Weißrußland, deren Hirten gemeinsam mit euch das Wohl der Brüder suchen und sich dafür einsetzen. Auch die orthodoxen Kirchen sind ebenso wie die katholische Kirche sehr darum bemüht, darüber nachzudenken, wie sie auf die Herausforderungen unserer Zeit antworten können, um in Treue die Botschaft Christi weiterzugeben. In Annahme der Einladung, die aus der kürzlich stattgefundenen katholischorthodoxen Begegnung in Zypern hervorgegangen ist, muß der gemeinsame Weg in diese Richtung verstärkt werden. Einen bedeutenden Beitrag kann die kleine, aber eifrige griechischkatholische Gemeinschaft im Land leisten. Sie ist ein wichtiges Zeugnis für die Kirche und ein Geschenk des Herrn.

Vor einigen Monaten habe ich den Herrn Präsidenten der Republik Weißrußland empfangen. In der herzlichen und respektvollen Begegnung wurde der beiderseitige Wille bekräftigt, ein Abkommen zu schließen, das derzeit ausgearbeitet wird. Außerdem habe ich die besondere Aufmerksamkeit hervorgehoben, mit der der Apostolische Stuhl und die Bischofskonferenz die Ereignisse im Land verfolgen, ebenso wie die Bemühungen um eine tatkräftige Zusammenarbeit bei Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse, um unter Achtung der Zuständigkeiten des jeweiligen Bereiches das Wohl der Bürger zu fördern. Verehrte Brüder, während ich erneut meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringe, bitte ich die in eurem Land so sehr geliebte Muttergottes, daß sie euch mit ihrem Schutz stützen und leiten möge. Mit diesen Wünschen und mit besonderer Herzlichkeit erteile ich euch, den Priestern, Ordensmännern und Ordensfrauen sowie allen Gläubigen einen besonderen Apostolischen Segen und versichere das ganze weißrussische Volk meines Gebetsgedenkens.





AN DIE MITARBEITER DER KONGREGATION FÜR DIE SELIG- UND HEILIGSPRECHUNGSPROZESSE ANLÄSSLICH IHRES 40JÄHRIGEN GRÜNDUNGSJUBILÄUMS

Samstag, 19. Dezember 2009

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Liebe Brüder und Schwestern!

1. Ich möchte euch allen die Freude über unser Zusammentreffen zum Ausdruck bringen! Ich grüße ganz herzlich die anwesenden Herren Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe. Einen besonderen Gedanken richte ich an den Präfekten des Dikasteriums, Erzbischof Angelo Amato, und danke ihm für die freundlichen und herzlichen Worte, die er im Namen aller an mich hat richten wollen. Mit ihm begrüße ich den Sekretär der Kongregation, den Untersekretär, die Priester, die Ordensleute, die historischen und theologischen Konsultoren, die Postulatoren, die Laienmitglieder und die medizinischen Sachverständigen mit ihren Familienangehörigen sowie alle Mitarbeiter.

2. Der besondere Anlaß, der euch um den Nachfolger Petri versammelt sieht, ist die Feier des 40jährigen Gründungsjubiläums der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, die dem Verfahren der Entscheidungsfindung - um das sich die Kirche von Anfang an zur Anerkennung der Heiligkeit so vieler ihrer Kinder bemüht hat - eine geordnetere und zeitgemäßere Form verliehen hat. Die Errichtung eures Dikasteriums ist durch die Interventionen meiner Vorgänger, vor allem Sixtus’ V., Urbans VIII. und Benedikts XIV. vorbereitet und 1969 durch den Diener Gottes Paul VI. verwirklicht worden. Dank dessen hat sich eine Reihe von Erfahrungen, wissenschaftlichen Beiträgen und Verfahrensnormen zu einer intelligenten und ausgewogenen Synthese entwickelt und hat zur Errichtung eines neuen Dikasteriums geführt.

Mir sind die Aktivitäten wohl bekannt, die die Kongregation in diesen 40 Jahren mit Kompetenz im Dienst für die Erbauung des Volkes Gottes entwickelt und dadurch einen wichtigen Beitrag zum Werk der Evangelisierung geleistet hat. Wenn die Kirche einen Heiligen verehrt, dann verkündet sie die Wirksamkeit des Evangeliums und entdeckt mit Freude, daß die Gegenwart Christi in der Welt, die im Glauben angenommen und verehrt wird, in der Lage ist, das Leben des Menschen zu verwandeln und Früchte des Heils für die ganze Menschheit hervorzubringen. Zudem stellt jede Selig- und Heiligsprechung für die Christen eine starke Ermutigung dar, intensiv und begeistert die Nachfolge Christi zu leben und zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe voranzuschreiten (vgl. Lumen gentium
LG 40). Im Licht dieser Früchte versteht man, wie wichtig die Rolle ist, die dieses Dikasterium bei der Begleitung der einzelnen Abschnitte eines Ereignisses von solch einzigartiger Tiefe und Schönheit ausübt, indem es getreu das Offenbarwerden jenes sensus fidelium dokumentiert, der ein bedeutender Faktor für die Anerkennung der Heiligkeit ist.

3. Die Heiligen, Zeichen jener radikalen Neuheit, die der Sohn Gottes durch seine Menschwerdung, seinen Tod und seine Auferstehung in die menschliche Natur eingepflanzt hat, sowie anerkannte Zeugen des Glaubens, stehen nicht für die Vergangenheit, sondern sie bilden die Gegenwart und die Zukunft der Kirche und der Gesellschaft. Sie haben in Fülle jene caritas in veritate verwirklicht, die der höchste Wert des christlichen Lebens ist, und sind wie die Seiten eines Prismas, auf dem sich in verschiedenen Schattierungen das eine Licht, Christus, widerspiegelt.

Das Leben dieser außergewöhnlichen Glaubensgestalten, die aus allen Teilen der Welt kommen, weist zwei wichtige Konstanten auf, die ich hervorheben möchte.

Vor allem ist ihre Beziehung zum Herrn, auch wenn sie traditionelle Wege beschreitet, niemals lahm und eintönig, sondern sie kommt immer auf echte, lebendige und besondere Weise zum Ausdruck und geht aus einem intensiven und begeisterten Dialog mit dem Herrn hervor, der auch die äußeren Formen aufwertet und bereichert.

Zudem tritt im Leben dieser unserer Brüder und Schwestern die ständige Suche nach der dem Evangelium entsprechenden Vollkommenheit, die Ablehnung der Mittelmäßigkeit und das Streben nach einer völligen Zugehörigkeit zu Christus hervor. »Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig« lautet die im Buch Levitikus (19,2) überlieferte Aufforderung, die Gott an Mose richtet. Sie macht uns begreiflich, daß Heiligkeit das ständige Streben nach dem hohen Maßstab des christlichen Lebens bedeutet, mühevolle Errungenschaft, ständige Suche nach der Gemeinschaft mit Gott, die den Gläubigen verpflichtet, mit der größtmöglichen Großherzigkeit auf den Liebesplan zu »antworten«, den der Vater zu ihm und der ganzen Menschheit hat.

4. Die wichtigsten Abschnitte der Anerkennung der Heiligkeit von Seiten der Kirche, also die Selig- und die Heiligsprechung, sind untereinander durch ein Band großer Folgerichtigkeit verknüpft. Zu ihnen kommen als unerläßliche Vorbereitungsphase die Erklärung des heroischen Tugendgrads oder des Martyriums eines Dieners Gottes sowie die Feststellung eines ungewöhnlichen Geschenks, des Wunders, hinzu, das der Herr auf die Fürsprache eines seiner treuen Diener gewährt.

Welche pädagogische Weisheit zeigt sich doch in diesem Verfahren! In einem ersten Moment ist das Volk Gottes eingeladen, auf jene Brüder und Schwestern zu blicken, die nach einer ersten sorgfältigen Unterscheidung als Vorbilder christlichen Lebens vorgeschlagen werden; dann wird es dazu aufgefordert, sich in einem Kult der Verehrung und der Anrufung an sie zu richten, der auf den Bereich der Ortskirchen oder der Orden begrenzt ist; schließlich wird es dazu aufgerufen, mit der gesamten Gemeinschaft der Gläubigen aufgrund der Gewißheit zu jubeln, daß dank der feierlichen päpstlichen Proklamierung eines seiner Kinder zur Herrlichkeit Gottes gelangt ist, wo es an der ewigen Fürsprache Christi zugunsten seiner Brüder und Schwestern teilhat (vgl. He 7,25).

Auf diesem Weg empfängt die Kirche mit Freude und Erstaunen die Wunder, die Gott ihr in seiner unendlichen Güte unentgeltlich schenkt, um die Verkündigung des Evangeliums zu bekräftigen (vgl. Mk Mc 16,20). Sie empfängt auch das Zeugnis der Märtyrer als klarste und eindringlichste Form der Gleichgestaltung mit Christus.

Dieses allmähliche Offenbarwerden der Heiligkeit in den Gläubigen entspricht dem von Gott gewählten Stil, sich den Menschen zu zeigen, und ist gleichzeitig Teil des Weges, auf dem das Volk Gottes im Glauben und in der Erkenntnis der Wahrheit wächst.

Die allmähliche Annäherung an die »Fülle des Lichts« geht auf einzigartige Weise aus dem Übergang von der Selig- zur Heiligsprechung hervor. So geschehen auf diesem Weg Ereignisse von großer religiöser und kultureller Lebendigkeit, in denen liturgische Anrufung, Volksfrömmigkeit, die Nachahmung der Tugenden, historische und theologische Untersuchungen sowie das Achten auf die »Zeichen von oben« sich miteinander verbinden und gegenseitig bereichern. Hierbei verwirklicht sich eine Besonderheit der Verheißung Jesu an die Jünger aller Zeiten: »Der Geist der Wahrheit wird euch in die ganze Wahrheit führen« (vgl. Jn 16,13). Das Zeugnis der Heiligen stellt tatsächlich immer neue Aspekte der Botschaft des Evangeliums heraus und macht diese erkennbar.

Wie der Präfekt in seinen Worten deutlich hervorgehoben hat, entsteht aus dem Verfahren für die Anerkennung der Heiligkeit ein spiritueller und pastoraler Reichtum, der die gesamte christliche Gemeinschaft einbezieht. Die Heiligkeit, also die Verwandlung der Menschen und der menschlichen Realität nach dem Bild des auferstandenen Christus, stellt das höchste Ziel des göttlichen Heilsplans dar, wie der Apostel Paulus in Erinnerung ruft: »Das ist es, was Gott will: eure Heiligung« (1Th 4,3).

5. Liebe Brüder und Schwestern, das Fest der Weihnacht, auf das wir uns vorbereiten, läßt die Würde jedes Menschen, der berufen ist, Sohn Gottes zu werden, in vollem Licht erstrahlen. In der Erfahrung der Heiligen verwirklicht sich diese Würde in der Konkretheit der historischen Begebenheiten, des persönlichen Temperaments, der freien und verantwortlichen Entscheidungen, der übernatürlichen Charismen.

Gestärkt durch eine so große Anzahl von Zeugen wollen auch wir nun dem Herrn, der kommt, entgegeneilen und in die wunderbare Anrufung einstimmen, in der der Hymnus des Te Deum gipfelt: »Aeterna fac cum sanctis tuis in gloria numerari« - In der ewigen Herrlichkeit zähle uns deinen Heiligen zu.

Mit diesen Worten möchte ich einem jedem von euch meine besten Wünsche für das bevorstehende Weihnachtsfest aussprechen und erteile euch voll Zuneigung den Apostolischen Segen.





BEIM WEIHNACHTSEMPFANG FÜR DAS KARDINALSKOLLEGIUM UND DIE MITGLIEDER DER RÖMISCHEN KURIE SOWIE DES GOVERNATORATS

"Sala Clementina", Apostolischer Palast - Montag, 21. Dezember 2009

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Meine Herren Kardinäle,

verehrte Mitbrüder im bischöflichen und im priesterlichen Dienst,
liebe Brüder und Schwestern!

Das Hochfest von Weihnachten ist - wie der Kardinal Dekan Angelo Sodano eben hervorgehoben hat - für die Christen eine ganz besondere Gelegenheit der Begegnung und des Miteinanders. Jenes Kind, das wir in Betlehem anbeten, lädt uns ein, die grenzenlose Liebe Gottes zu spüren, des Gottes, der vom Himmel herabgestiegen und einem jeden von uns nahe geworden ist, um uns zu seinen Kindern zu machen, zugehörig zu seiner Familie. Auch dieses traditionelle weihnachtliche Zusammenkommen des Nachfolgers Petri mit seinen engsten Mitarbeitern ist ein Familientreffen, das die Bande der Zuneigung und des Miteinanders festigt, um immer mehr den eben erwähnten »ständigen Abendmahlssaal« zu bilden, der der Verbreitung des Gottesreiches geweiht ist. Ich danke dem Kardinal Dekan für seine herzlichen Worte, mit denen er die Glückwünsche des Kardinalskollegiums, der Mitglieder der Römischen Kurie und des Governatorats wie auch aller Päpstlichen Vertreter zum Ausdruck gebracht hat, die uns zutiefst verbunden sind, indem sie den Menschen unserer Zeit jenes Licht zutragen, das in der Krippe von Betlehem geboren ist. Ich empfange Sie mit großer Freude und möchte dabei auch allen meinen Dank sagen für den großherzigen und kompetenten Dienst, den Sie für den »Vicarius Christi« und die ganze Kirche leisten.

Wiederum geht ein Jahr zu Ende, das reich war an wichtigen Ereignissen für die Kirche und für die Welt. Nur auf ein paar Schwerpunkte für das kirchliche Leben möchte ich in dieser Stunde dankbar rückblickend die Aufmerksamkeit lenken. Das Paulusjahr ist in das Priesterjahr übergegangen. Von der wuchtigen Gestalt des Völkerapostels Paulus, der vom Licht des auferstandenen Christus und von seinem Ruf getroffen das Evangelium zu den Völkern der Welt trug, sind wir übergegangen zu der demütigen Gestalt des Pfarrers von Ars, der sein Leben lang in dem kleinen Dorf blieb, das man ihm anvertraut hatte und doch gerade in der Demut seines Dienstes die versöhnende Güte Gottes weithin in der Welt sichtbar machte. Von beiden Gestalten her wird die Spannweite des priesterlichen Dienstes offenbar und wird sichtbar, wie gerade das Kleine groß ist und wie Gott durch den scheinbar kleinen Dienst eines Menschen Großes wirken, die Welt von innen her reinigen und erneuern kann.

Für die Kirche und für mich persönlich stand das verflossene Jahr weitgehend im Zeichen Afrikas. Da war zunächst die Reise nach Kamerun und nach Angola. Es war für mich bewegend, die große Herzlichkeit zu erleben, mit der der Nachfolger Petri, der »Vicarius Christi«, aufgenommen wurde. Die festliche Freude und die herzliche Zuneigung, die mir auf allen Straßen begegnete, galt ja nicht einfach irgendeinem zufälligen Gast. In der Begegnung mit dem Papst wurde die universale Kirche erfahrbar, die weltweite Gemeinschaft, die Gott durch Christus sammelt - die Gemeinschaft, die nicht durch menschliche Interessen begründet ist, sondern aus der Zuwendung Gottes zu uns kommt. Daß wir alle miteinander Familie Gottes sind, Brüder und Schwestern vom einen Vater her, das wurde erlebt. Und es wurde erlebt, daß Gottes Zuwendung zu uns in Christus nicht eine Sache der Vergangenheit ist und nicht eine Sache gelehrter Theorien, sondern eine ganz konkrete Wirklichkeit, hier und jetzt. ER ist unter uns: Das spürten wir durch den Dienst des Petrusnachfolgers hindurch. So waren wir über die bloße Alltäglichkeit hinausgehoben. Der Himmel stand offen, und das macht einen Tag zum Fest. Und dies ist zugleich etwas Bleibendes. Es gilt auch weiter, auch im Alltag, daß der Himmel nicht mehr verschlossen ist. Daß Gott nahe ist. Daß wir in Christus alle einander zugehören.

Besonders tief hat sich mir die Erinnerung an die liturgischen Feiern eingeprägt. Die Feiern der heiligen Eucharistie waren wirkliche Feste des Glaubens. Ich möchte zwei Elemente benennen, die mir besonders wichtig erscheinen. Da war zunächst eine große gemeinsame Freude, die sich auch körperlich ausdrückte, aber zuchtvoll und von der Anwesenheit des lebendigen Gottes geformt. Damit ist schon das zweite Element benannt: der Sinn für das Sakrale, für das gegenwärtige Mysterium des lebendigen Gottes prägte sozusagen jede einzelne Gebärde. Der Herr ist da - der Schöpfer, der, dem alles gehört, von dem wir kommen und zu dem wir unterwegs sind. Mir kamen spontan die Worte des hl. Cyprian aus seiner Vater-unser-Auslegung in den Sinn: »Denken wir daran, daß wir im Angeblickt-Werden von Gott stehen. Wir müssen den Augen Gottes gefallen, sowohl mit der Haltung unseres Körpers wie mit dem Gebrauch unserer Stimme« (De dom. or. 4 CSEL III
1P 269). Ja, dieses Bewußtsein war da: Wir stehen vor Gott. Daraus kommt nicht Angst oder Verklemmung, auch kein äußerer Rubrikengehorsam, noch weniger gegenseitige Selbstdarstellung oder zuchtloses Geschrei. Da war vielmehr das, was die Väter »sobria ebrietas« nannten: das Erfülltsein von einer Freude, die doch nüchtern und geordnet bleibt, die Menschen von innen her eint in den gemeinsamen Lobpreis Gottes hinein, der zugleich die Liebe zum Nächsten, die Verantwortung füreinander weckt.

Zu der Afrika-Reise gehörte natürlich vor allem auch die Begegnung mit den Brüdern im Bischofsamt und die Eröffnung der Afrika-Synode durch die Übergabe des »Instrumentum laboris«. Sie geschah im Rahmen eines abendlichen Gesprächs am Festtag des hl. Josef, bei dem die Vertreter der einzelnen Episkopate auf beeindruckende Weise ihre Hoffnungen und Sorgen dargestellt haben. Ich denke, daß der gute Hausvater Sankt Josef, der das sorgende und hoffende Abwägen der weiteren Wege der Familie selbst gut kennt, uns liebevoll zugehört und uns auch sein Geleit in die Synode selbst hineingegeben hat. Werfen wir nur einen kurzen Blick auf die Synode. Bei meinem Besuch in Afrika war vor allem die theologische und pastorale Kraft des päpstlichen Primats als Sammelpunkt für die Einheit der Familie Gottes sichtbar geworden. Hier, in der Synode, erschien um so stärker die Bedeutung der Kollegialität - die Einheit der Bischöfe, die ihr Amt ja gerade dadurch empfangen, daß sie in die Gemeinschaft der Apostelnachfolger eintreten: Jeder ist nur Bischof, Apostelnachfolger im Mitsein der Gemeinschaft derer, in denen das »Collegium Apostolorum« in der Einheit mit Petrus und seinem Nachfolger weitergeht. Wie in den Liturgien in Afrika und dann wieder in Sankt Peter in Rom die liturgische Erneuerung des II. Vaticanums vorbildlich Gestalt annahm, so wurde im Miteinander der Synode die Ekklesiologie des Konzils ganz praktisch gelebt. Bewegend waren auch die Zeugnisse, die wir von den Gläubigen aus Afrika hören durften - Zeugnisse konkreten Leidens und Versöhnens in den Dramen der jüngsten Geschichte des Kontinents.

Die Synode hatte sich das Thema gestellt: Die Kirche in Afrika im Dienst von Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden. Dies ist ein theologisches und vor allem ein pastorales Thema von brennender Aktualität, aber es konnte auch als ein politisches Thema mißverstanden werden. Die Aufgabe der Bischöfe war es, die Theologie zur Pastoral zu machen, das heißt zu ganz konkretem Hirtendienst, in dem die großen Visionen der Heiligen Schrift und der Überlieferung praktisch angewandt werden auf das Wirken der Bischöfe und Priester in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort. Dabei durfte man aber nicht der Versuchung verfallen, selbst die Politik in die Hand zu nehmen und sich aus Hirten zu politischen Führen zu machen. In der Tat ist es ja immer wieder die ganz praktische Frage, vor der die Hirten der Kirche stehen: Wie können wir realistisch und praktisch sein, ohne uns eine politische Kompetenz anzumaßen, die uns nicht zusteht? Wir könnten auch sagen: Es ging um das Problem einer praktizierten und recht ausgelegten positiven »laïcité«. Dies ist auch ein Grundthema der am Peter- und Pauls-Tag veröffentlichten Enzyklika »Caritas in veritate«, die damit die Frage nach dem theologischen und praktischen Ort der katholischen Soziallehre aufgenommen und weitergeführt hat.

Ist es den Synodenvätern gelungen, den eher schmalen Weg zwischen bloßer theologischer Theorie und direkter politischer Aktion zu finden, den Weg des »Hirten«? In meiner kleinen Rede zum Abschluß der Synode habe ich dies bewußt und ausdrücklich bejaht. Natürlich werden wir bei der Ausarbeitung des postsynodalen Dokuments darauf achten müssen, diese Balance einzuhalten und damit den Beitrag für Kirche und Gesellschaft in Afrika zu leisten, der der Kirche von ihrer Sendung her aufgetragen ist. Ich möchte dies an einem einzelnen Punkt ganz kurz zu erläutern versuchen. Wie schon gesagt, nennt das Thema der Synode drei große Grundworte theologischer und sozialer Verantwortung: Versöhnung - Gerechtigkeit - Friede. Man könnte sagen, daß Versöhnung und Gerechtigkeit die beiden wesentlichen Voraussetzungen von Friede sind und so bis zu einem gewissen Grad auch dessen Wesen definieren. Beschränken wir uns auf das Wort Versöhnung. Ein Blick auf die Leiden und Nöte der jüngeren Geschichte Afrikas, aber auch in vielen anderen Teilen der Erde zeigt, daß ungelöste und tief verwurzelte Gegensätze in bestimmten Situationen zu Explosionen der Gewalt führen können, in denen alle Menschlichkeit verloren scheint. Friede kann nur werden, wenn es zu innerer Versöhnung kommt. Als positives Beispiel für einen gelingenden Versöhnungsprozeß können wir die Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg ansehen. Daß es in West- und Mitteleuropa seit 1945 keine Kriege mehr gegeben hat, beruht sicher wesentlich auf intelligenten und moralisch geformten politischen und ökonomischen Strukturen, aber die konnten sich doch nur bilden, weil es innere Prozesse des Versöhnens gab, die ein neues Miteinander ermöglicht haben. Jede Gesellschaft braucht Versöhnungen, damit Friede sein kann. Versöhnungen sind für gute Politik notwendig, aber von der Politik allein nicht zu leisten. Sie sind vorpolitische Prozesse, die aus anderen Quellen kommen müssen.

Die Synode hat versucht, den Begriff Versöhnung als Auftrag an die Kirche von heute auszuleuchten und dabei auf seine verschiedenen Dimensionen aufmerksam gemacht. Der Ruf, den der hl. Paulus an die Korinther gerichtet hat, ist gerade heute von neuer Aktualität. »Wir sind Gesandte an Christi Statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi Statt: Laßt euch mit Gott versöhnen!« (2Co 5,20). Wenn der Mensch mit Gott nicht versöhnt ist, ist er auch mit der Schöpfung im Unfrieden. Er ist unversöhnt mit sich selbst, möchte sich selbst als einen anderen haben und ist daher auch unversöhnt mit dem Nächsten. Zur Versöhnung gehört des weiteren die Fähigkeit, Schuld zu erkennen und um Vergebung zu bitten - Gott und den anderen Menschen. Zum Vorgang der Versöhnung gehört schließlich die Bereitschaft zur Buße, die Bereitschaft, Schuld auszuleiden und sich selbst ändern zu lassen. Und es gehört dazu die »gratuitas«, von der die Enzyklika »Caritas in veritate« mehrfach spricht: die Bereitschaft, über das Notwendige hinauszugehen, nicht aufzurechnen, sondern weiterzugehen als die bloßen Rechtsverhältnisse es verlangen. Es gehört dazu jene Großzügigkeit, die Gott selbst uns vorgemacht hat. Denken wir an das Wort Jesu: Wenn du deine Gabe zum Altar bringst und du erinnerst dich, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, laß die Gabe liegen, brich auf, versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, und dann komm und bring deine Gabe (Mt 5,23f.). Gott, der uns unversöhnt wußte, der sah, daß wir etwas gegen ihn haben, ist aufgestanden und uns entgegengegangen, obwohl er allein im Recht war. Er ist uns entgegengegangen bis zum Kreuz hin, um uns zu versöhnen. Das ist »gratuitas«: die Bereitschaft, zuerst aufzubrechen. Zuerst dem anderen entgegenzugehen, ihm die Versöhnung anzubieten, den Schmerz auf sich zu nehmen, der im Verzicht auf das eigene Rechthaben liegt. Nicht nachzulassen im Willen des Versöhnens: Das hat Gott uns vorgemacht, und dies ist die Weise, gottähnlich zu werden, die wir in der Welt immer von neuem brauchen. Wir müssen heute die Fähigkeit neu erlernen, Schuld anzuerkennen, den Unschuldswahn abzuschütteln. Wir müssen die Fähigkeit erlernen, Buße zu tun, uns ändern zu lassen; dem anderen entgegenzugehen und von Gott her uns den Mut und die Kraft zu solcher Erneuerung schenken zu lassen. In dieser unserer Welt von heute müssen wir das Sakrament der Buße und der Versöhnung neu entdecken. Daß es aus den Lebensvollzügen der Christen weitgehend verschwunden ist, ist ein Symptom für einen Verlust an Wahrhaftigkeit uns selbst und Gott gegenüber; ein Verlust, der unsere Menschlichkeit gefährdet und der unsere Friedensfähigkeit vermindert. Der hl. Bonaventura war der Meinung, daß das Sakrament der Buße ein Menschheitssakrament ist, das Gott in seinem wesentlichen Grund schon unmittelbar nach dem Sündenfall mit der Buße für Adam eingesetzt habe, auch wenn es seine ganze Gestalt erst in Christus erhalten konnte, der selbst die versöhnende Kraft Gottes ist und unsere Buße auf sich genommen hat. In der Tat, die Einheit von Schuld, Buße und Vergebung ist eine der Grundbedingungen der Menschlichkeit, die im Sakrament ihre volle Gestalt erhalten, aber von den Wurzeln her zum Menschsein als solchem gehören. Die Bischofssynode für Afrika hat deshalb mit Recht Versöhnungsrituale der afrikanischen Tradition mit in ihre Betrachtungen einbezogen als Lernorte und Vorbereitungen für die große Versöhnung, die Gott uns im Bußsakrament schenkt. Diese Versöhnung braucht aber den weiten Vorhof der Anerkenntnis von Schuld und der Demut des Büßens. Versöhnung ist ein vorpolitischer Begriff und eine vorpolitische Realität, die gerade so von höchster Bedeutung für die Aufgabe der Politik selbst ist. Wenn nicht in den Herzen die Kraft des Versöhnens geschaffen wird, fehlt dem politischen Ringen um den Frieden die innere Voraussetzung. In der Synode haben sich die Hirten der Kirche um jene innere Reinigung des Menschen gemüht, die die wesentliche Voraussetzung für den Aufbau der Gerechtigkeit und des Friedens darstellt. Diese innere Reinigung und Reifung zu wahrer Menschlichkeit gibt es aber nicht ohne Gott.

203 Versöhnung - bei diesem Stichwort kommt mir die zweite große Reise des vergangenen Jahres in den Sinn: die Pilgerfahrt nach Jordanien und ins Heilige Land. Dabei möchte ich zuallererst dem König von Jordanien herzlich danken für die große Gastfreundschaft, mit der er mich empfangen und auf dem ganzen Weg meiner Pilgerschaft begleitet hat. Mein Dank gilt besonders auch für die vorbildliche Weise, in der er sich um das friedliche Miteinander von Christen und Moslems müht, um die Ehrfurcht vor der Religion des anderen und um das Miteinander in der gemeinsamen Verantwortung vor Gott. Ebenso danke ich der Regierung von Israel herzlich für alles, was sie getan hat, damit der Besuch friedlich und in Sicherheit verlaufen konnte. Besonders dankbar bin ich für die Möglichkeit, zwei große öffentliche Gottesdienste - in Jerusalem und in Nazaret - zu feiern, in denen die Christen sich öffentlich als Gemeinschaft des Glaubens im Heiligen Land darstellen konnten. Schließlich gilt mein Dank der palästinensischen Autorität, die mich gleichfalls mit großer Herzlichkeit aufgenommen, mir ebenfalls einen öffentlichen Gottesdienst in Betlehem möglich gemacht hat und mich die Leiden wie die Hoffnungen ihres Landes erfahren ließ. Alles, was in diesen Ländern zu sehen ist, ruft nach Versöhnung, nach Gerechtigkeit, nach Frieden. Der Besuch in Yad Vashem bedeutete eine erschütternde Begegnung mit der Grausamkeit menschlicher Schuld, mit dem Haß einer verblendeten Ideologie, die Millionen von Menschen grundlos dem Tod preisgab und damit letztlich auch Gott, den Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs und den Gott Jesu Christi aus der Welt verdrängen wollte. So ist dies zuallererst ein Mahnmal gegen den Haß, ein Ruf nach Reinigung und Vergebung, nach Liebe. Gerade dieses Denkmal menschlicher Schuld machte dann den Besuch bei den Erinnerungsorten des Glaubens um so wichtiger und ließ deren unverbrauchte Aktualität spüren. In Jordanien haben wir den tiefsten Punkt der Erde am Jordan gesehen. Wie sollte man sich da nicht erinnert fühlen an das Wort aus dem Epheserbrief, daß Christus hinabgestiegen ist »in die untersten Teile der Erde« (Ep 4,9). In Christus ist Gott hinabgestiegen bis in die letzte Tiefe des Menschseins, bis in die Nacht des Hasses und der Verblendung, bis in die Dunkelheit der Gottesferne des Menschen, um dort das Licht seiner Liebe zu entzünden. Auch in der tiefsten Nacht ist er: Auch in der Unterwelt bist du zugegen - dieses Wort aus Ps 139,8 [138], 8 ist im Abstieg Jesu Wahrheit geworden. So war dann das Begegnen mit den Orten des Heils in der Verkündigungskirche in Nazaret, der Geburtsgrotte zu Betlehem, der Kreuzigungsstätte auf Golgota, dem leeren Grab als Zeugnis der Auferstehung gleichsam ein Berühren der Geschichte Gottes mit uns. Der Glaube ist kein Mythos. Er ist wahre Geschichte, deren Spuren wir anrühren können. Dieser Realismus des Glaubens tut uns in den Bedrängnissen der Gegenwart besonders gut. Gott hat sich wirklich gezeigt. In Jesus Christus hat er wirklich Fleisch angenommen. Er bleibt als Auferstandener wahrer Mensch, öffnet immerfort unser Menschsein auf Gott hin und ist uns immerfort Gewähr dafür, daß Gott ein naher Gott ist. Ja, Gott lebt, und er geht uns an. In all seiner Größe ist er doch der nahe Gott, der Gott mit uns, der uns immerfort zuruft: Laßt euch mit mir und miteinander versöhnen. Immer stellt er den Auftrag des Versöhnens in unser persönliches und gemeinschaftliches Leben hinein.

Schließlich möchte ich auch noch ein Wort des Dankes und der Freude zu meiner Reise in die Tschechische Republik sagen. Immer wurde ich vorher darauf hingewiesen, daß dies ein Land mit einer Mehrheit von Agnostikern und Atheisten sei, in dem die Christen nur noch eine Minderheit bilden. Um so freudiger war die Überraschung darüber, daß ich allenthalben von einer großen Herzlichkeit und Freundschaft umgeben war. Daß große Gottesdienste in einer freudigen Atmosphäre des Glaubens gefeiert wurden. Daß im Bereich der Universitäten und der Kultur mein Wort wache Aufmerksamkeit fand. Daß die Autoritäten des Staates mir mit großer Freundlichkeit begegneten und alles getan haben, um dem Besuch zum Erfolg zu verhelfen. Ich wäre jetzt versucht, etwas über die Schönheit des Landes und die großartigen Zeugnisse christlicher Kultur zu sagen, die diese Schönheit erst vollkommen machen. Vor allem aber ist mir wichtig, daß auch die Menschen, die sich als Agnostiker oder als Atheisten ansehen, uns als Gläubige angehen. Wenn wir von neuer Evangelisierung sprechen, erschrecken diese Menschen vielleicht. Sie wollen sich nicht als Objekt von Mission sehen und ihre Freiheit des Denkens und des Wollens nicht preisgeben. Aber die Frage nach Gott bleibt doch auch für sie gegenwärtig, auch wenn sie an die konkrete Weise seiner Zuwendung zu uns nicht glauben können. In Paris habe ich vom Gottsuchen als grundlegendem Antrieb gesprochen, aus dem das abendländische Mönchtum und mit ihm die abendländische Kultur geboren wurde. Als ersten Schritt von Evangelisierung müssen wir versuchen, diese Suche wachzuhalten; uns darum mühen, daß der Mensch die Gottesfrage als wesentliche Frage seiner Existenz nicht beiseite schiebt. Daß er die Frage und die Sehnsucht annimmt, die darin sich verbirgt. Hier fällt mir das Wort ein, das Jesus aus dem Propheten Jesaja zitiert hat: daß der Tempel von Jerusalem ein Gebetshaus für alle Völker sein solle (Is 56,7 Mc 11,17). Er dachte dabei an den sogenannten Vorhof der Heiden, den er von äußeren Geschäftigkeiten räumte, damit der Freiraum da sei für die Völker, die hier zu dem einen Gott beten wollen, auch wenn sie dem Geheimnis nicht zugehören konnten, dem das Innere des Tempels diente. Gebetsraum für alle Völker - dabei war an Menschen gedacht, die Gott sozusagen nur von ferne kennen; die mit ihren Göttern, Riten und Mythen unzufrieden sind; die das Reine und Große ersehnen, auch wenn Gott für sie der »unbekannte Gott« bleibt (Ac 17,23). Sie sollten zum unbekannten Gott beten können und damit doch mit dem wirklichen Gott in Verbindung sein, wenn auch in vielerlei Dunkelheit. Ich denke, so eine Art »Vorhof der Heiden« müsse die Kirche auch heute auftun, wo Menschen irgendwie sich an Gott anhängen können, ohne ihn zu kennen und ehe sie den Zugang zum Geheimnis gefunden haben, dem das innere Leben der Kirche dient. Zum Dialog der Religionen muß heute vor allem auch das Gespräch mit denen hinzutreten, denen die Religionen fremd sind, denen Gott unbekannt ist und die doch nicht einfach ohne Gott bleiben, ihn wenigstens als Unbekannten dennoch anrühren möchten.

Zuletzt noch einmal ein Wort zum Jahr der Priester. Als Priester sind wir für alle da: für die, die Gott aus der Nähe kennen und für die, denen er der Unbekannte ist. Wir alle müssen ihn immer wieder neu kennenlernen und müssen ihn immer neu suchen, damit wir wirkliche Freunde Gottes werden. Wie anders als durch Menschen, die Freunde Gottes sind, könnten wir zuletzt Gott kennenlernen? Der tiefste Kern unseres priesterlichen Dienstes ist es, Freunde Christi (Jn 15,15), Freunde Gottes zu sein, durch die auch andere Menschen Gott nahe werden können. So ist mit meinem herzlichen Dank für alle Hilfe das ganze Jahr hindurch dies mein Wunsch zu Weihnachten: Daß wir immer mehr Freunde Jesu Christi und so Freunde Gottes werden und dadurch Salz der Erde und Licht der Welt sein dürfen. Gesegnete Weihnachten und ein gutes neues Jahr!






ANSPRACHE 2009 198