ANSPRACHE 2010 14

AN HERRN ALFONSO ROBERTO MATTA FAHSEN, NEUER BOTSCHAFTER DER REPUBLIK GUATEMALA BEIM HL. STUHL


Samstag, 6. Februar 2010



Herr Botschafter!

15 1. Mit Freude nehme ich aus Ihren Händen das Schreiben entgegen, mit dem Sie als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Republik Guatemala beim Heiligen Stuhl akkreditiert werden. Ich heiße Sie herzlich willkommen in dem Augenblick, in dem Sie die hohe Verantwortung übernehmen, die Ihnen übertragen worden ist, und danke Ihnen zugleich für die freundlichen Worte, die Sie an mich gerichtet haben, und für den ehrerbietigen Gruß, den Sie mir von Seiner Exzellenz Ingenieur Álvaro Colom Caballeros, Präsident von Guatemala, überbracht haben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihm meine besten Wünsche für ihn und für seine Regierung zukommen ließen, die ich mit meinen Gebeten für seine Heimat und seine edle Bevölkerung begleite.

2. Sie, Exzellenz, kennen sehr gut die Aufmerksamkeit, die der Heilige Stuhl Guatemala entgegenbringt, dessen Geschichte seit Jahrhunderten in fruchtbarer Weise von der aus dem Evangelium herrührenden Weisheit durchdrungen und bereichert wird. Das guatemaltekische Volk mit seiner Vielfalt von Ethnien und Kulturen nährt in der Tat einen tief verwurzelten Glauben an Gott, eine aufrichtige Verehrung für die allerseligste Jungfrau Maria und eine treue Liebe zum Papst und zur Kirche. Das entspricht den engen und ständigen Beziehungen, die Ihr Land seit langem mit dem Heiligen Stuhl unterhält und die mit der Errichtung der Apostolischen Nuntiatur in Guatemala besondere Bedeutung erlangt haben. Man darf hoffen, daß die Gedenkfeier des 75. Jahrestages dieses wichtigen Ereignisses im Jahre 2011 der in Ihrer Heimat bestehenden Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche, die auf die Achtung und die Autonomie der jeder Seite eigenen Bereiche gegründet ist, neue Impulse verleihen und im aufrichtigen und ehrlichen Dialog Fortschritte machen möge, um das Gemeinwohl der ganzen guatemaltekischen Gesellschaft zu fördern, die den Bedürftigen besondere Aufmerksamkeit widmen muß.

3. In diesem Zusammenhang kann ich alle jene nicht übergehen, die unter den Folgen der klimatischen Phänomene leiden, die auch in Ihrem Land zu erhöhter Dürre beitragen und zu Ernteausfällen führen und dadurch Unterernährung und Armut verursachen. Diese extreme Situation hat die nationale Regierung vor kurzem dazu veranlaßt, den »öffentlichen Notstand « auszurufen und die internationale Gemeinschaft um Hilfe zu bitten. Ich möchte allen, die unter diesen schwerwiegenden Widrigkeiten leiden, meine Zuneigung und geistliche Nähe bekunden sowie den Institutionen Ihrer Heimat, die sich mit Hingabe darum bemühen, Lösungen für diese ernsten Probleme zu finden, meine Anerkennung aussprechen. Erwähnen muß man in diesem Zusammenhang auch die Großherzigkeit der Mitarbeiter und der Freiwilligen sowie aller Menschen, die mit ihren Anstrengungen und Opfern den Schmerz, den Hunger und die Not so vieler ihrer Brüder zu lindern versuchen. Gleichzeitig möchte ich meine Dankbarkeit den verschiedenen Organisationen und Zweigstellen der internationalen Zusammenarbeit aussprechen, die alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Hungersnot in weiten Bereichen der Bevölkerung zu lindern. Und im besonderen denke ich an die geliebten Söhne und Töchter der Kirche in Guatemala, Hirten, Ordensleute und Gläubige, die erneut das Vorbild des barmherzigen Samariters im Evangelium durch großzügige Hilfe für die Ärmsten nachzuahmen versuchen.

Daß alle über die notwendigen Nahrungsmittel verfügen, ist ein Grundrecht jedes Menschen und daher ein vorrangiges Ziel. Dazu braucht es außer den materiellen Ressourcen und den technischen Entscheidungen Männer und Frauen mit Gefühlen des Mitleids und der Solidarität, die den Weg zur Erreichung dieses Ziels einschlagen, indem sie einen Beweis jener Liebe erbringen, die Quelle des Lebens ist und die jeder Mensch nötig hat. In dieser Richtung zu wirken, heißt, das Leben aller zu fördern und würdig zu machen, besonders das Leben der verletzlichsten und schutzlosesten Personen, wie der Kinder, die ohne angemessene Ernährung ihr leibliches und seelisches Wachstum gefährdet und sich oft für ihr Alter ungeeigneten Arbeiten ausgesetzt oder in Tragödien hineingezogen sehen, die eine Verletzung ihrer persönlichen Würde und der aus ihr erwachsenden Rechte darstellen (vgl. Botschaft zum Welternährungstag 2007, 3).

4. Die zahlreichen menschlichen und aus dem Evangelium stammenden Werte, die das Herz der Bürger Ihres Landes bewahrt, wie die Liebe zur Familie, die Achtung der alten Menschen, das Verantwortungsbewußtsein und vor allem das Vertrauen in Gott, der sein Angesicht in Jesus Christus offenbart hat und den die Guatemalteken in ihren Nöten anrufen, geben Anlaß zur Hoffnung. Aus diesem reichen geistlichen Erbe können die erforderlichen Kräfte gezogen werden, um weiteren Faktoren entgegenzuwirken, die das soziale Gefüge Guatemalas beschädigen: dem Drogenhandel, der Gewalt, der Emigration, der Unsicherheit, dem Analphabetismus, den Sekten und dem Verlust moralischer Bezugspunkte bei den jungen Generationen. Zu den Initiativen, die in Ihrer Nation bereits vorangebracht werden, um diesen unschätzbaren Reichtum zu schützen und zu erhöhen, werden deshalb neue Lösungen hinzukommen müssen, die »im Licht einer ganzheitlichen Sicht des Menschen gesucht werden müssen - einer Sicht, welche die verschiedenen Aspekte des Menschen widerspiegelt, wie sie sich dem von der Liebe geläuterten Blick darstellen« (Caritas in veritate ). Für dieses so entscheidende Vorhaben werden die Obrigkeiten Ihres Landes immer auf die zuvorkommende Mitarbeit der Kirche zählen können bei ihrer steten Absicht, »neue und kreative Wege« zu erschließen, um auf die trostlosen Auswirkungen der Armut zu reagieren und an der Veredelung jedes Menschen mitzuwirken (vgl. Schlußdokument der V. Generalversammlung der Bischöfe Lateinamerikas und der Karibik, Aparecida, Nr. 380-546).

5. Ich möchte auch meine Anerkennung für die Aktionen aussprechen, die in Guatemala durchgeführt werden, um die Festigung eines echten Rechtsstaats zu gewährleisten. Dieser Prozeß muß von der festen, aus der persönlichen Umkehr des Herzens erwachsenden Entschlossenheit begleitet sein, jegliche Form von Korruption in den öffentlichen Institutionen und Verwaltungen auszuschalten und die Justiz zu reformieren, um die Gesetze richtig anzuwenden und den Skandal der Straflosigkeit für diejenigen, die in irgendeiner Form Gewalt ausüben oder die menschlichen Grundrechte verletzen, auszumerzen. Dieses Bemühen um demokratische Stärkung und politische Stabilität muß ständig weitergehen und ist unverzichtbar, um eine echte ganzheitliche Entwicklung des Menschen voranzubringen, die sich in jedem Bereich der Gesellschaft - sei es dem ökonomischen, kulturellen, politischen, territorialen oder religiösen - positiv widerspiegelt (vgl. Caritas in veritate ).

6. Im Kulturerbe Ihrer Heimat, in der jüngsten Geschichte von der Befriedung der guatemaltekischen Gesellschaft oder in der rechtlichen Formulierung ihrer Gesetze gibt es Faktoren, die die besondere Identität ihres Volkes bestimmen und wohltuende Auswirkungen auf die politische und gesellschaftliche Stabilität des zentralamerikanischen Raumes haben können. In diesem Zusammenhang ist es angebracht, den Weitblick zu erwähnen, mit dem die Verfassung Guatemalas die Verteidigung und den Rechtsschutz des menschlichen Lebens von seiner Empfängnis bis zu seinem natürlichen Tod garantiert. Ich fordere alle gesellschaftlichen Kräfte Ihres Landes, besonders die Volksvertreter in den Gesetzgebungseinrichtungen, auf, dieses fundamentale Element der »Kultur des Lebens« zu erhalten und zu stärken, das ohne Zweifel zum Wachsen des moralischen Erbes der Guatemalteken beitragen wird.

7. Herr Botschafter, seien Sie der vollkommenen Verfügbarkeit meiner Mitarbeiter für die fruchtbare Erfüllung Ihres Auftrags, der heute beginnt, gewiß. Zugleich bitte ich Sie, den Obrigkeiten, die Sie mit dem Auftrag betraut haben, und den geliebten Söhnen und Töchtern Guatemalas meine besten Wünsche auszusprechen; für ihren Frieden und ihr Wohlergehen richte ich durch die Fürsprache Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz, himmlische Schutzpatronin dieses gesegneten Landes, inständige Gebete zum Allerhöchsten.





AN DIE TEILNEHMER DER 19. VOLLVERSAMMLUNG DES PÄPSTLICHEN RATES FÜR DIE FAMILIE

Montag, 8. Februar 2010

Meine Herren Kardinäle,

verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt,
16 liebe Brüder und Schwestern!

Ich freue mich, euch zu Beginn der 19. Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Familie mit meinem herzlichen Willkommensgruß zu empfangen! Bei diesem offiziellen Anlaß zeigt sich euer Dikasterium in diesem Jahr besonders erneuert, nicht nur im Kardinalpräsidenten und Bischofsekretär, sondern auch in einigen Kardinälen und Bischöfen des Leitungsausschusses, einigen Offizialen und Eheleuten, die dem Dikasterium angehören, sowie zahlreichen Konsultoren. Ich danke jenen, die ihren Dienst im Päpstlichen Rat beendet haben, und jenen, die dort auch weiterhin ihre wertvolle Arbeit leisten, sehr herzlich und rufe auf alle die reichen Gaben des Herrn herab. Voll Dankbarkeit gedenke ich insbesondere des verstorbenen Kardinals Alfonso López Trujillo, der 18 Jahre lang euer Dikasterium geleitet hat, mit leidenschaftlicher Hingabe an die Anliegen der Familie und des Lebens in der heutigen Welt. Abschließend möchte ich Herrn Kardinal Ennio Antonelli meinen aufrichtigen Dank aussprechen für die freundlichen Worte, die er in euer aller Namen an mich gerichtet hat, sowie für die Erläuterung der Themen dieser wichtigen Versammlung.

Die gegenwärtige Arbeit des Dikasteriums findet zwischen dem 6. und dem 7. Welttreffen der Familien statt. Ersteres wurde 2009 in Mexiko- Stadt abgehalten, letzteres ist für das Jahr 2012 in Mailand geplant. Während ich Herrn Kardinal Norberto Rivera Carrera erneut meine Anerkennung zum Ausdruck bringe für den großherzigen Einsatz, den seine Erzdiözese bei der Vorbereitung und Durchführung des Treffens von 2009 gezeigt hat, danke ich schon jetzt der Ambrosianischen Kirche und ihrem Hirten, Herrn Kardinal Dionigi Tettamanzi, sehr herzlich für die Bereitschaft, das 7. Welttreffen der Familien zu beherbergen. Neben der Ausrichtung dieser außerordentlichen Ereignisse führt der Päpstliche Rat verschiedene Initiativen durch, die dazu dienen, das Bewußtsein um den grundlegenden Wert der Familie für das Leben der Kirche und der Gesellschaft zu stärken. Dazu gehört das Projekt »Die Familie als Subjekt der Evangelisierung«, durch das auf weltweiter Ebene wertvolle Erfahrungen in den verschiedenen Bereichen der Familienpastoral zusammengetragen werden sollen, um als Inspiration und Ermutigung für neue Initiativen zu dienen, sowie das Projekt »Die Familie als Ressource für die Gesellschaft«, durch das der Nutzen der Familie für die Gesellschaft, ihren Zusammenhalt und ihre Entwicklung in der Öffentlichkeit hervorgehoben werden soll.

Eine weitere wichtige Aufgabe des Dikasteriums ist die Ausarbeitung eines »Vademecums« für die Ehevorbereitung. Mein geliebter Vorgänger, der Ehrwürdige Diener Gottes Johannes Paul II., sagte im Apostolischen Schreiben Familiaris consortio, daß diese Vorbereitung in unseren Tagen »notwendiger als je zuvor« ist, »sie umfaßt drei Hauptstufen: die entferntere, die nähere und die unmittelbare Vorbereitung« (
FC 66). Mit Bezugnahme auf diese Weisungen möchte das Dikasterium die Gestaltung der drei Abschnitte für die Vorbereitung und die Antwort auf die Berufung zur Ehe angemessen darlegen. Die entferntere Vorbereitung betrifft die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Sie bezieht die Familie, die Pfarrei und die Schule ein - Orte, an denen man erzogen wird, das Leben als Berufung zur Liebe zu verstehen, die dann in Form der Ehe oder der Jungfräulichkeit für das Himmelreich ihren besonderen Ausdruck findet. In diesem Abschnitt muß nach und nach auch die Bedeutung der Sexualität als Beziehungsfähigkeit und positive Energie deutlich werden, die in die wahre Liebe integriert werden muß. Die nähere Vorbereitung betrifft die Verlobten und sollte als Weg des Glaubens und des christlichen Lebens gestaltet werden, der zu einer vertieften Erkenntnis des Geheimnisses Christi und der Kirche führt, der Bedeutung von Gnade und Verantwortung der Ehe (vgl. ebd.). Die Dauer und die Form der Umsetzung werden natürlich je nach Situationen, Möglichkeiten und Bedürfnissen unterschiedlich sein. Es ist jedoch wünschenswert, daß in der christlichen Gemeinschaft ein Weg der Katechese und der gelebten Erfahrungen angeboten wird, der Beiträge von seiten des Priesters und verschiedener Fachleute vorsieht, ebenso wie die Anwesenheit von Gruppenleitern, die Begleitung durch vorbildliche christliche Ehepaare, Paargespräche und Gruppengespräche sowie eine Atmosphäre der Freundschaft und des Gebets. Außerdem muß besonders dafür gesorgt werden, daß die Verlobten bei dieser Gelegenheit ihre eigene persönliche Beziehung zu Jesus, dem Herrn, neu beleben, besonders durch das Hören auf das Wort, den Empfang der Sakramente und vor allem die Teilnahme an der Eucharistie. Nur wenn man Christus in den Mittelpunkt des persönlichen Lebens und des Lebens als Paar stellt, kann man die wahre Liebe leben und sie anderen schenken. Jesus sagt: »Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen« (Jn 15,5). Die unmittelbare Vorbereitung findet kurz vor der Trauung statt. Außer der vom Kirchenrecht vorgesehenen Prüfung der Verlobten könnte sie eine Katechese über den Eheschließungsritus und seine Bedeutung enthalten, geistliche Einkehrtage sowie die Sorge dafür, daß die Trauungsfeier von den Gläubigen und besonders von jenen, die sich auf sie vorbereiten, als Geschenk für die ganze Kirche wahrgenommen wird, ein Geschenk, das zu ihrem geistlichen Wachstum beiträgt. Es ist auch gut, wenn die Bischöfe den Austausch wichtiger Erfahrungen fördern, Ansporn geben für einen ernsthaften pastoralen Einsatz in diesem wichtigen Bereich und besonders darauf achten, daß die Berufung der Eheleute zum Reichtum für die ganze christliche Gemeinde und zu einem missionarischen und prophetischen Zeugnis wird, besonders in der heutigen Zeit.

Eure Vollversammlung steht unter dem Thema »Die Rechte des Kindes«. Es wurde gewählt im Hinblick auf den 20. Jahrestag des Übereinkommens, das die Vollversammlung der Vereinten Nationen 1989 getroffen hat. Nach dem Vorbild Christi hat die Kirche in allen Jahrhunderten den Schutz der Würde und der Rechte der Minderjährigen gefördert und hat auf vielerlei Weise für sie Sorge getragen. Leider haben jedoch verschiedentlich einige ihrer Glieder dieser Verpflichtung zuwidergehandelt und diese Rechte verletzt: Die Kirche versäumt es nicht, ein solches Verhalten zu bedauern und zu verurteilen, und sie wird dies niemals versäumen. Die Liebe und die Lehre Jesu, für den die Kinder ein Vorbild waren, das man nachahmen muß, um in das Himmelreich zu kommen (vgl. Mt 18,1-6 Mt 19,13-14), waren stets ein dringender Aufruf, ihnen tiefe Achtung und Fürsorge entgegenzubringen. Die harten Worte Jesu gegen jeden, der einen dieser Kleinen zum Bösen verführt (vgl. Mc 9,42), verpflichten alle, diese Achtung und diese Liebe niemals geringer werden zu lassen. Daher wurde auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom Heiligen Stuhl mit Wohlwollen angenommen, denn es enthält positive Äußerungen zu Adoption, Gesundheitsfürsorge, Erziehung und Bildung, Behindertenfürsorge und den Schutz der Kinder gegen Gewalt, Verwahrlosung, sexuelle Ausbeutung und Kinderarbeit.

In der Präambel bezeichnet das Übereinkommen die Familie als »Grundeinheit der Gesellschaft und natürliche Umgebung für das Wachsen und Gedeihen aller ihrer Mitglieder, insbesondere der Kinder«. In der Tat ist die auf der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gründende Familie die größte Hilfe, die man Kindern bieten kann. Sie wollen geliebt werden von einer Mutter und von einem Vater, die einander lieben, und sie müssen mit beiden Elternteilen zusammen wohnen, aufwachsen und leben, denn die Mutter- und die Vaterfigur ergänzen einander bei der Erziehung der Kinder und beim Aufbau ihrer Persönlichkeit und ihrer Identität. Es ist daher wichtig, daß man alles tut, was möglich ist, um sie in einer vereinten und stabilen Familie aufwachsen zu lassen. Zu diesem Zweck müssen die Eheleute ermahnt werden, die tiefe Bedeutung und die Sakramentalität ihres Ehebundes niemals aus den Augen zu verlieren und ihn zu festigen durch das Hören auf das Wort Gottes, das Gebet, den ständigen Dialog, die gegenseitige Annahme und die gegenseitige Vergebung. Ein familiäres Umfeld, das von Unfrieden geprägt ist, Spaltungen zwischen dem Elternpaar und insbesondere Trennung und Scheidung bleiben nicht ohne Folgen für die Kinder. Dagegen ist die Unterstützung der Familie und die Förderung ihres wahren Gutes, ihrer Rechte sowie ihrer Einheit und Stabilität die beste Weise, um die Rechte und die wahren Bedürfnisse der Minderjährigen zu schützen.

Verehrte und liebe Brüder, ich danke euch für euren Besuch! Ich bin euch und eurer Arbeit, die ihr zum Wohl der Familie durchführt, geistlich nahe und erteile von Herzen einem jeden von euch sowie allen, die an diesem wertvollen kirchlichen Dienst teilhaben, den Apostolischen Segen.





AN EINE DELEGATION DER EVANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHE IN AMERIKA

Mittwoch, 10. Februar 2010

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Verehrte Freunde!


Ich freue mich, Bischof Mark Hanson und Sie alle, die Sie heute bei diesem ökumenischen Besuch hier anwesend sind, zu begrüßen.

Von Beginn meines Pontifikates an ermutigt mich die Tatsache, daß die Beziehungen zwischen Katholiken und Lutheranern vor allem auf der Ebene der praktischen Zusammenarbeit im Dienst des Evangeliums weiter gewachsen sind und wachsen. In seiner Enzyklika Ut unum sint hat mein verehrter Vorgänger Johannes Paul II. unsere Beziehung als »wiederentdeckte Brüderlichkeit« (
UUS 41) beschrieben. Ich hoffe von Herzen, daß der fortlaufende lutherisch/katholische Dialog sowohl in den Vereinigten Staaten als auch auf internationaler Ebene dazu beitragen wird, auf den bereits erreichten Übereinkünften aufzubauen. Eine wichtige, noch zu erfüllende Aufgabe besteht darin, die Früchte des lutherisch/katholischen Dialogs zu ernten, der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil so vielversprechend begonnen hat. Um auf dem aufzubauen, was seit jener Zeit gemeinsam erreicht worden ist, sollte eine geistliche Ökumene auf dem unermüdlichen Gebet und der Bekehrung zu Christus, der die Quelle der Gnade und der Wahrheit ist, basieren. Möge der Herr uns beistehen, das zu beherzigen, was bis jetzt erreicht worden ist, es sorgsam zu bewahren und dessen Entwicklung zu fördern.

Abschließend möchte ich erneut den Wunsch meines Vorgängers zum Ausdruck bringen, in dessen Pontifikat auf dem Weg zur vollen sichtbaren Einheit der Christen so viel erreicht worden ist. Er sagte zu einer ähnlichen Delegation der lutherischen Kirche in Amerika: »Sie sind ganz herzlich hier willkommen. Freuen wir uns darüber, daß eine solche Begegnung überhaupt stattfinden kann. Entschließen wir uns, offen zu sein für den Herrn, damit er diese Begegnung für seine Zwecke nützen und die Einheit, wie er sie wünscht, herbeiführen kann. Ich danke Ihnen für die Anstrengungen, die Sie für die volle Einheit in Glaube und Liebe unternehmen« (Ansprache bei der Audienz für eine Gruppe lutherischer Bischöfe aus den Vereinigten Staaten, 26. September 1985, in O.R. dt., Nr. 42, 18.10.1985, S. 6).

Auf Sie und alle, die Ihrer pastoralen Sorge anvertraut sind, rufe ich von Herzen den reichen Segen des allmächtigen Gottes herab.





AN DIE BISCHÖFE VON RUMÄNIEN ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Freitag, 12. Februar 2010



Verehrte Mitbrüder im Bischofsamt!

Es ist mir eine große Freude, euch im Rahmen eures »Ad-limina«-Besuchs zu empfangen, euch anzuhören und gemeinsam über den Weg des euch anvertrauten Gottesvolkes nachzudenken. Ich begrüße einen jeden von euch recht herzlich und danke insbesondere Herrn Erzbischof Ioan Robu für die freundlichen Worte, die er im Namen aller an mich gerichtet hat. Mein besonderer Gruß gilt Seiner Seligkeit Lucian Muresan, dem Großerzbischof der rumänischen griechisch-katholischen Kirche. Ihr seid Hirten von Gemeinschaften unterschiedlicher Riten, die die Reichtümer ihrer eigenen langen Tradition in den Dienst der Gemeinschaft stellen, zum Wohl aller. Durch euch grüße ich die christlichen Gemeinden in Rumänien und in der Republik Moldau, die in der Vergangenheit harte Prüfungen erlitten haben, und ich spreche den Bischöfen und unzähligen Priestern, Ordensmännern, Ordensfrauen und Gläubigen, die in der Zeit der Verfolgung Christus und seiner Kirche ihre unerschütterliche Treue erwiesen und ihren Glauben unversehrt erhalten haben, meine Hochachtung aus.

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt, ich möchte euch meinen Dank zum Ausdruck bringen für euren großherzigen Einsatz im Dienst des Wiederaufbaus und der Entwicklung der katholischen Gemeinschaft in euren Ländern. Gleichzeitig ermahne ich euch, auch weiterhin eifrige Hirten der Herde Christi zu sein, in der Zugehörigkeit zur einen Kirche und unter Achtung der verschiedenen überlieferten Riten. Den Glaubensschatz zu bewahren und weiterzugeben ist Aufgabe der ganzen Kirche, insbesondere jedoch der Bischöfe (vgl. Lumen gentium LG 25). Das Feld eures Dienstes ist weit und anspruchsvoll, denn es geht darum, den Gläubigen einen Weg reifen und verantwortungsvollen christlichen Glaubens anzubieten, besonders durch die religiöse Unterweisung, die Katechese, auch der Erwachsenen, und die Vorbereitung auf die Sakramente. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, eine größere Kenntnis der Heiligen Schrift, des Katechismus der Katholischen Kirche und der Dokumente des Lehramts, insbesondere des Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzils und der päpstlichen Enzykliken, zu fördern. Es handelt sich um ein anspruchsvolles Programm, das die gemeinsame Ausarbeitung von Pastoralplänen verlangt, die auf das »bonum animarum« aller Katholiken der verschiedenen Riten und Ethnien ausgerichtet sind. Das erfordert das gemeinsame Zeugnis der Einheit, aufrichtigen Dialog und tatkräftige Zusammenarbeit, ohne zu vergessen, daß die Einheit in erster Linie Frucht des Heiligen Geistes ist (vgl. Ga 5,22), der die Kirche führt.

Im derzeitigen Priester-Jahr fordere ich euch auf, stets wahre Väter für eure Priester zu sein, die ersten und wertvollen Mitarbeiter im Weinberg des Herrn (vgl. Christus Dominus CD 16 Christus Dominus CD 28); zu ihnen besteht eine vor allem sakramentale Bindung, die sie in einzigartiger Weise teilhaben läßt an der pastoralen Sendung, die den Bischöfen anvertraut ist. Bemüht euch, die Gemeinschaft untereinander und mit ihnen zu pflegen, in einer Atmosphäre der Liebe, der Fürsorge und des respektvollen brüderlichen Dialogs; kümmert euch um ihre geistlichen und materiellen Belange, um ihre notwendige theologische und pastorale Weiterbildung. In euren Diözesen fehlt es nicht an Ordensinstituten, die in der Seelsorge tätig sind. Tragt besondere Sorge dafür, ihnen die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen und jede nur mögliche Hilfe zukommen zu lassen, damit ihre Anwesenheit immer bedeutsamer wird und die geweihten Personen ihr Apostolat gemäß ihrem eigenen Charisma und in voller Gemeinschaft mit der Teilkirche ausüben können.

Gott beruft unaufhörlich Männer und Frauen in seinen Dienst: Dafür müssen wir dem Herrn dankbar sein und ihn verstärkt darum bitten, auch weiterhin Arbeiter für seine Ernte auszusenden (vgl. Mt 9,38). Es ist die vorrangige Aufgabe der Bischöfe, die Berufungspastoral sowie die menschliche, geistliche und intellektuelle Ausbildung der Priesteramtskandidaten in den Seminaren und in den anderen Ausbildungseinrichtungen zu fördern (vgl. Optatam Totius OT 2 Optatam Totius OT 4) und ihnen die Möglichkeit zu gewährleisten, eine tiefe Spiritualität und eine eingehende philosophisch- theologische und seelsorgliche Ausbildung zu erlangen, auch mittels der sorgfältigen Auswahl der Ausbilder und Dozenten. Ähnliche Sorgfalt muß bei der Ausbildung der Mitglieder der Institute des geweihten Lebens aufgewendet werden, besonders in den Schwesterngemeinschaften.

Das Gedeihen von Berufungen zum Priestertum und zum Ordensleben hängt zu einem großen Teil von der sittlichen und religiösen Gesundheit der christlichen Familien ab. Leider ist die Institution der Familie in unserer Zeit in einer säkularisierten und orientierungslosen Gesellschaft nicht wenigen Gefahren ausgesetzt. Die katholischen Familien in euren Ländern, die zur Zeit der Prüfung ihre Treue zum Evangelium bezeugt haben - manchmal zu einem hohen Preis -, sind nicht immun gegen die Plagen der Abtreibung, der Bestechlichkeit, des Alkoholismus, der Drogensucht und der Geburtenkontrolle mit Hilfe von Methoden, die die Würde der Person mißachten. Um diese Herausforderungen in Angriff zu nehmen, ist es notwendig, Beratungsstellen in den Pfarreien zu fördern, die eine angemessene Vorbereitung auf das Ehe- und Familienleben gewährleisten. Auch die Jugendseelsorge muß zu diesem Zweck besser organisiert werden. Vor allem bedarf es entschiedener Bemühungen, um die Präsenz der christlichen Werte in der Gesellschaft zu fördern. Dazu müssen Bildungszentren aufgebaut werden, in denen die Jugendlichen die wahren Werte kennenlernen können, bereichert durch den Geist der Kultur eurer Länder, um sie dann in ihrem Lebensbereich bezeugen zu können. Die Kirche möchte einen entscheidenden Beitrag leisten zum Aufbau einer versöhnten und solidarischen Gesellschaft, die in der Lage ist, dem gegenwärtigen Säkularisationsprozeß entgegenzuwirken. Der Wandel des Industrie- und Landwirtschaftssystems, die Wirtschaftskrise sowie die Abwanderung ins Ausland haben die Wahrung der überlieferten Werte nicht begünstigt. Sie müssen daher aufs neue unterbreitet und gefestigt werden.

In diesem Zusammenhang ist das Zeugnis der Brüderlichkeit zwischen Katholiken und Orthodoxen besonders wichtig: Es möge über Spaltungen und Zwistigkeiten obsiegen und die Herzen für die Versöhnung öffnen. Ich bin mir der Schwierigkeiten bewußt, denen die katholischen Gemeinden in diesem Bereich ausgesetzt sind, und hoffe, daß angemessene Lösungen gefunden werden können, in jenem Geist der Gerechtigkeit und Liebe, der die Beziehungen zwischen Brüdern in Christus beseelen muß. Im Mai 2009 habt ihr des 10. Jahrestages des historischen Besuchs des Ehrwürdigen Dieners Gottes Papst Johannes Paul II. in Rumänien gedacht. Bei dieser Gelegenheit bot die göttliche Vorsehung dem Nachfolger Petri die Möglichkeit, eine Apostolische Reise in ein mehrheitlich orthodoxes Land zu unternehmen, in dem seit Jahrhunderten eine bedeutende katholische Gemeinschaft anwesend ist. Der Wunsch nach Einheit, der durch jenen Besuch geweckt wurde, möge das Gebet nähren sowie das Bemühen, einen Dialog in Liebe und Wahrheit zu führen und gemeinsame Initiativen zu fördern. Ein Bereich der Zusammenarbeit zwischen Orthodoxen und Katholiken, der heute besonders wichtig ist, betrifft die Verteidigung der christlichen Wurzeln Europas und der christlichen Werte sowie das gemeinsame Zeugnis zu Themen wie Familie, Bioethik, Menschenrechte, Redlichkeit im öffentlichen Leben, Ökologie. Die vereinten Bemühungen in diesen Bereichen werden einen wichtigen Beitrag zum sittlichen und zivilen Wachstum der Gesellschaft leisten. Ein konstruktiver Dialog zwischen Orthodoxen und Katholiken wird Sauerteig der Einheit und der Eintracht nicht nur für eure Länder, sondern für ganz Europa sein.

Am Ende unserer Begegnung gelten meine guten Wünsche euren Gemeinden. Überbringt den Priestern, Ordensmännern, Ordensfrauen und allen Gläubigen Rumäniens und der Republik Moldau meinen Gruß und meine Ermutigung und versichert sie meiner Liebe und meines Gebets. Indem ich die Muttergottes und die Heiligen eurer Länder um ihre Fürsprache bitte, erteile ich von Herzen euch und allen Gliedern des Gottesvolkes, die eurer Hirtensorge anvertraut sind, meinen Segen.





BESUCH IM PÄPSTLICHEN RÖMISCHEN PRIESTERSEMINAR

ANLÄSSLICH DES FESTES DER GOTTESMUTTER VOM VERTRAUEN

"LECTIO DIVINA" MIT DEM SEMINARISTEN


Seminarkapelle

18

Freitag, 12. Februar 2010

Eminenz, Exzellenzen, liebe Freunde!


Jedes Jahr ist es für mich eine große Freude, mit den Seminaristen der Diözese Rom zusammenzusein, mit den jungen Männern, die sich darauf vorbereiten, auf den Ruf des Herrn zu antworten, um Arbeiter in seinem Weinberg, Priester seines Geheimnisses zu sein Es bereitet Freude zu sehen, daß die Kirche lebt, daß die Zukunft der Kirche auch in unseren Gegenden gegenwärtig ist, gerade auch in Rom.

Im derzeitigen Priester-Jahr wollen wir besonders auf die Worte des Herrn achten, die unseren Dienst betreffen. Der soeben verlesene Abschnitt aus dem Evangelium spricht indirekt aber eingehend über unser Sakrament, über unsere Berufung, im Weinberg des Herrn Diener seines Geheimnisses zu sein.

In diesem kurzen Abschnitt finden wir einige Schlüsselworte, welche die vom Herrn durch diesen Text beabsichtigte Verkündigung aufzeigen. »Bleiben«: in diesem kurzen Abschnitt finden wir zehn Mal das Wort »bleiben«; dann das neue Gebot: »Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe«, »Keine Knechte mehr, sondern Freunde«, »bringt Frucht«; und schließlich: »Bittet, betet, und euch wird gegeben werden, euch wird die Freude gegeben werden.« Bitten wir den Herrn, daß er uns helfe, in den Sinn seiner Worte einzutreten, damit diese Worte unser Herz durchdringen und so Weg und Leben in uns, mit uns und durch uns sein können.

Das erste Wort lautet: »Bleibt in mir, in meiner Liebe!« Das Bleiben im Herrn ist das grundlegende, erste Thema dieses Abschnittes. Wo sollen wir bleiben? In der Liebe, in der Liebe Christi, im Geliebtsein und im Lieben des Herrn. Das gesamte 15. Kapitel konkretisiert den Ort unseres Bleibens, insofern die ersten acht Verse das Gleichnis vom Weinstock darlegen und vorstellen: »Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.« Der Weinstock ist ein alttestamentliches Bild, das sich sowohl bei den Propheten als auch in den Psalmen findet und eine zweifache Bedeutung hat: es ist ein Gleichnis für das Volk Gottes, das sein Weinberg ist. Er hat in dieser Welt einen Weinstock gepflanzt, er hat diesen Weinstock gepflegt, er hat seinen Weinberg gepflegt, er hat diesen seinen Weinberg geschützt, und mit welcher Absicht? Natürlich mit der Absicht, Früchte zu finden, das kostbare Geschenk der Trauben, des guten Weins.

Und so tritt die zweite Bedeutung hervor: Der Wein ist Symbol und Ausdruck der Freude über die Liebe. Der Herr hat sein Volk geschaffen, um die Antwort auf seine Liebe zu finden, und so hat dieses Bild vom Weinstock, vom Weinberg, eine bräutliche Bedeutung; es ist Ausdruck der Tatsache, daß Gott die Liebe seines Geschöpfes sucht, durch sein von ihm erwähltes Volk in eine Liebesbeziehung, in eine bräutliche Beziehung mit der Welt treten will.

Doch die konkrete Geschichte ist eine Geschichte der Untreue: Statt kostbare Trauben werden nur kleine »ungenießbare Dinge« hervorgebracht. Es wird nicht auf diese große Liebe geantwortet, diese Einheit, diese bedingungslose Vereinigung zwischen Mensch und Gott in der Gemeinschaft der Liebe kommt nicht zustande. Der Mensch zieht sich in sich selbst zurück, er will sich nur für sich selbst haben, er will Gott für sich haben, er will die Welt für sich haben. Und so wird der Weinberg verwüstet, der Eber aus dem Wald, alle Feinde kommen, und der Weinberg wird zu einer Wüste.

Gott jedoch gibt nicht auf: Gott findet eine neue Weise, um zu einer freien und unwiderruflichen Liebe zu gelangen, zur Frucht einer derartigen Liebe, zu den wahren Trauben: Gott wird Mensch, und so wird er selbst zur Wurzel des Weinstocks, er selbst wird zum Weinstock, und so wird der Weinstock unzerstörbar. Dieses Volk Gottes kann nicht zerstört werden, da Gott selbst in es eingetreten ist, sich in diesen Boden eingepflanzt hat. Das neue Volk Gottes ist wirklich in Gott selbst gegründet, der Mensch wird und der uns auf diese Weise dazu beruft, in ihm der neue Weinstock zu sein. Er beruft uns, in ihm zu sein, in ihm zu bleiben.

Halten wir des weiteren fest, daß wir im 6. Kapitel des Johannesevangeliums die Rede über das Brot finden, die zur großen Rede über das eucharistische Geheimnis wird. Hier im 15. Kapitel haben wir die Rede über den Wein: Der Herr spricht nicht ausdrücklich von der Eucharistie, doch steht natürlich hinter dem Geheimnis des Weines die Wirklichkeit, daß er für uns zur Frucht und zum Wein geworden ist, daß sein Blut die Frucht der Liebe ist, die für immer aus der Erde hervorgeht, und daß in der Eucharistie sein Blut zu unserem Blut wird, daß wir neu werden, eine neue Identität empfangen, da das Blut Christi unser Blut wird. So sind wir im Sohn mit Gott verwandt, und in der Eucharistie verwirklicht sich diese große Wirklichkeit des Weinstockes, in der wir Reben sind, die mit dem Sohn und so mit der ewigen Liebe vereint sind.

»Bleibt«: in diesem großen Geheimnis bleiben, in diesem neuen Geschenk des Herrn bleiben, der uns zum Volk in sich selbst gemacht hat, in seinem Leib und mit seinem Blut. Es scheint mir, daß wir viel über dieses große Geheimnis nachdenken müssen, das heißt, daß Gott selbst zum Leib wird, eins mit uns; Blut, eins mit uns; daß wir, indem wir in diesem Geheimnis bleiben, in der Gemeinschaft mit Gott selbst bleiben können, in dieser großen Liebesgeschichte, welche die Geschichte des wahren Glücks ist. Während wir dieses Geschenk betrachten - Gott ist mit uns allen eins geworden und vereint uns untereinander, er macht aus uns einen Weinstock -, müssen wir auch zu beten beginnen, daß dieses Geheimnis immer mehr in unseren Geist eindringt, in unser Herz, und daß wir immer mehr fähig sind, die Größe des Geheimnisses zu sehen und zu leben und so beginnen, diesen Imperativ zu verwirklichen: »Bleibt!«


ANSPRACHE 2010 14