ANSPRACHE 2010 31

AN DIE BISCHÖFE AUS DEM SUDAN ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Samstag, 13. März 2010

32
Exzellenz,
liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

Es freut mich, euch, die Bischöfe aus dem Sudan, zu eurem alle fünf Jahre stattfindenden »Ad-limina«-Besuch an den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus willkommen zu heißen. Ich danke Herrn Bischof Deng Majak für die freundlichen Worte, die er in eurem Namen an mich gerichtet hat. Im Geist der Gemeinschaft mit dem Herrn, der uns als Nachfolger der Apostel miteinander verbindet, danke ich mit euch gemeinsam für die »höheren Gnadengaben« (
1Co 12,31) der christlichen Liebe, die in eurem Leben und in dem großzügigen Dienst ersichtlich werden, den die Priester, Ordensleute und Laiengläubigen des Sudan leisten. Eure Treue zum Herrn und die Früchte eurer unter so vielen Schwierigkeiten und soviel Leid geleisteten Arbeit zeugen deutlich von der Macht des Kreuzes, die in jeder menschlichen Begrenztheit und Schwäche durchscheint (vgl. 1Co 1,23-24).

Ich weiß, wie sehr ihr und die Gläubigen eures Landes euch nach Frieden sehnt und wie geduldig ihr an der Wiederherstellung dieses Friedens arbeitet. Verankert in eurem Glauben und eurer Hoffnung in Christus, den Friedensfürsten, mögt ihr stets im Evangelium die notwendigen Prinzipien finden, die eure Verkündigung und eure Lehre, euer Urteil und euer Handeln formen. Von diesen Prinzipien inspiriert, habt ihr die gerechten Erwartungen der gesamten katholischen Gemeinschaft zum Ausdruck gebracht, einhellig »jede Rückkehr zum Krieg« abgelehnt und für die Wiederherstellung des Friedens auf allen Ebenen des nationalen Lebens plädiert (vgl. Stellungnahme der sudanesischen Bischöfe »Für einen gerechten und dauerhaften Frieden«, 4).

Wenn der Friede tiefe Wurzeln schlagen soll, müssen konkrete Versuche unternommen werden, jene Faktoren auszuräumen, die Konflikte schüren, besonders Korruption, ethnische Spannungen, Gleichgültigkeit und Egoismus. Wenn die in dieser Hinsicht ergriffenen Initiativen auf Integrität, Sinn für universale Brüderlichkeit und Werte wie Gerechtigkeit, Verantwortlichkeit und Liebe gegründet sind, werden sie sich mit Sicherheit als fruchtbar erweisen. Verträge und andere Abkommen sind zwar unverzichtbare Elemente des Friedensprozesses, sie werden aber erst dann Früchte tragen, wenn sie von einer reifen und moralisch integeren Führung begleitet sind.

Ich bitte euch, aus der jüngsten Sonderversammlung der Bischofssynode für Afrika Kraft zu schöpfen und auch weiterhin Versöhnung und Vergebung zu verkünden. Die Heilung der Wunden, die die Gewalt geschlagen hat, wird Jahre dauern; die notwendige Bedingung für einen gerechten und dauerhaften Frieden aber ist eine Umkehr der Herzen, und diese muß schon jetzt als Gnadengabe Gottes erfleht werden. Als Boten des Evangeliums habt ihr versucht, in eurem Volk und in der sudanesischen Gesellschaft den Verantwortungssinn gegenüber den heutigen und zukünftigen Generationen zu wecken. Ihr habt zu Vergebung, gegenseitiger Annahme und Einhaltung der geleisteten Versprechen aufgerufen und dazu aufgerufen, durch das Mittel des Rechtsstaats die grundlegenden Menschenrechte zu fördern und die Umsetzung der ganzheitlichen wirtschaftlichen und menschlichen Entwicklung voranzutreiben. Ich schätze sehr all das, was die Kirche in eurem Land dafür tut, daß die Menschen ein Leben in Würde und Selbstachtung führen und ihren Beitrag zum Aufbau der Gesellschaft leisten können.

Als Zeichen und Werkzeug der erneuerten und versöhnten Menschheit macht die Kirche schon jetzt durch ihre Gemeinschaft mit dem Herrn die Erfahrung des Friedens des Gottesreiches. Mögen eure Verkündigung und euer pastorales Wirken auch weiterhin von einem Geist der Gemeinschaft beseelt sein, der Verstand und Herz im Gehorsam zum Evangelium, in der Teilhabe am sakramentalen Leben der Kirche und der getreuen Ausübung eurer bischöflichen Autorität vereint. »Eben weil es sich um eine aus dem Zeugnis hervorgegangene Vollmacht handelt«, darf die Ausübung dieser Autorität nie »als etwas Unpersönliches und Bürokratisches« (vgl. Pastores gregis ) verstanden werden, weshalb ihr auch selbst die ersten Lehrmeister und Zeugen unserer Gemeinschaft im Glauben und der Liebe Christi sein sollt. Und das wird dann möglich, wenn ihr euch für gemeinsame Initiativen engagiert, euren Mitarbeitern Gehör schenkt, den Priestern, Ordensleuten und Laien helft, einander zu akzeptieren und sich als Brüder und Schwestern zu unterstützen, ungeachtet ihre Rasse oder ethnischen Zugehörigkeit, in einem großherzigen Austausch von Gaben.

Ein wesentlicher Aspekt dieses Zeugnisses ist es, daß ihr eure Energie auf den Ausbau des katholischen Bildungswesens konzentriert und die Laien insbesondere darauf vorbereitet, im Bereich der Familie, der Gesellschaft und der Politik ein überzeugendes Zeugnis für Christus abzulegen. Das ist eine Aufgabe, zu der die Saint Mary’s University in Juba wie auch die kirchlichen Bewegungen einen bedeutenden Beitrag leisten können. Nach den Eltern sind die Katechisten das erste Glied in der Kette der Weitergabe des wertvollen Schatzes des Glaubensvermächtnisses. Ich bitte euch, ihrer Bildung und ihren Bedürfnissen Rechnung zu tragen.

Abschließend möchte ich meine Dankbarkeit für die Bemühungen um gute Beziehungen zu den Anhängern des Islam zum Ausdruck bringen. Hebt im Rahmen eurer Zusammenarbeit bei praktischen Initiativen die Werte hervor, die Christen und Muslime gemeinsam haben. So könnt ihr die Basis für jenen »Dialog des Lebens« schaffen, der ein wichtiger erster Schritt in Richtung eines wahren interreligiösen Respekts und Verständnisses ist. Dieselbe Aufgeschlossenheit und Liebe sollte auch Menschen gezeigt werden, die den traditionellen Stammesreligionen angehören.

Liebe Brüder im Bischofsamt, ich bitte euch, den Priestern und Ordensleuten in eurem Land, den Familien, und ganz besonders den Kindern, meinen herzlichen Gruß zu überbringen. Von Herzen empfehle ich euch den Gebeten der hl. Bakhita und des hl. Daniele Comboni, sowie dem Schutz Marias, Mutter der Kirche. Euch allen erteile ich meinen Apostolischen Segen als Unterpfand der Weisheit, der Freude und der Stärke im Herrn.


BESUCH DER EVANGELISCH-LUTHERISCHEN GEMEINDE ROMS

Sonntag, 14. März 2010

Bilder von der Feier


Liebe Schwestern und Brüder!

Von Herzen möchte ich der ganzen Gemeinde, ihren Verantwortlichen, besonders Herrn Pfarrer Kruse danken, daß Sie mich eingeladen haben, mit Ihnen zusammen Laetare zu feiern, den Tag, an dem die Hoffnung das Bestimmende ist, die auf das Licht hin schaut, das von der Auferstehung Christi her mitten in die Dunkelheiten unseres Alltags, in die ungelösten Fragen unseres Lebens hereinfällt. Sie, lieber Herr Pfarrer Kruse, haben uns die Botschaft der Hoffnung vom heiligen Paulus her ausgelegt. Das Evangelium aus Johannes 12, das ich versuchen darf auszulegen, ist auch ein Evangelium der Hoffnung und zugleich ein Evangelium vom Kreuz. Beides gehört zusammen: Weil es vom Kreuz ist, spricht es von der Hoffnung, und weil es Hoffnung schenkt, muß es vom Kreuz reden.

Johannes erzählt uns, daß Jesus nach Jerusalem hinaufgestiegen war, um das Pascha zu feiern, und sagt dann: „Es waren auch einige Griechen da, die gekommen waren, um beim Fest anzubeten.“ Es waren sicher Menschen aus der Gruppe der sogenannten phoboumenoi ton Theon, der Gottesfürchtigen, die über den Polytheismus ihrer Welt hinaus auf der Suche waren nach dem wirklichen Gott, der wahrhaft Gott ist, nach dem einen Gott, dem die ganze Welt gehört und der der Gott aller Menschen ist. Und sie hatten diesen Gott, nach dem sie fragten und suchten, nach dem im Stillen jeder Mensch ausschaut, in der Bibel Israels gefunden, dort den Gott erkannt, der die Welt geschaffen hat. Er ist der Gott aller Menschen und hat sich zugleich ein konkretes Volk und einen Ort erwählt, um von dort aus unter uns gegenwärtig zu sein. Es sind Gottsuchende, und sie sind nach Jerusalem gekommen, um den einen Gott anzubeten, um dessen Geheimnis sie irgendwie wissen. Der Evangelist erzählt uns des weiteren, daß diese Menschen von Jesus hören, zu Philippus, dem Apostel aus dem halb griechisch sprechenden Betsaida, kommen und sagen: „Wir möchten Jesus sehen.“ Ihre Sehnsucht, Gott zu erkennen, drängt sie dazu, Jesus sehen zu wollen, von ihm her Gott näher kennenzulernen. „Wir möchten Jesus sehen“: ein Wort, das auch uns berührt, denn wir alle möchten ihn immer mehr wirklich sehen und erkennen. Ich denke, diese Griechen gehen uns in doppelter Weise an: Auf der einen Seite ist ihre Situation auch die unsere, auch wir sind Pilgernde mit der Frage nach Gott, auf der Suche nach Gott. Und auch wir möchten Jesus näher kennenlernen, ihn wirklich sehen. Aber zugleich gilt, daß wir wie Phillipus und Andreas Freunde Jesu sein sollten, die ihn kennen und die anderen den Weg zu ihm öffnen können. Und darum, denke ich, sollten wir in dieser Stunde beten: Herr, hilf uns, Menschen unterwegs zu dir zu sein. Herr schenke uns, daß wir dich mehr sehen dürfen. Hilf uns, deine Freunde zu sein, die anderen Menschen die Tür zu dir hin auftun. Ob es zu einer Begegnung Jesu mit diesen Griechen gekommen ist, erzählt uns der heilige Johannes nicht. Die Antwort Jesu, die er uns berichtet, greift weit über den Augenblick hinaus. Es ist eine doppelte Antwort: Er spricht von der Herrlichkeit Jesu, die nun beginne. „Die Stunde ist gekommen, daß der Menschensohn verherrlicht wird“ (V. 23). Der Herr verdeutlicht dieses Wort von der Herrlichkeit mit dem Gleichnis vom Weizenkorn: „Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“ (V. 24). Das Weizenkorn muß in der Tat sterben, in der Erde gleichsam aufgebrochen werden, damit es die Kräfte der Erde in sich hineinziehen und so zu Halm und zu Frucht werden kann. Beim Herrn ist dies ein Gleichnis für sein eigenes Geheimnis. Es selber ist das von Gott gekommene Weizenkorn, das göttliche Weizenkorn, das sich in diese Erde hineinfallen läßt, das sich aufreißen, aufbrechen läßt im Tode und gerade dadurch offen wird und so in die Weite der Welt hinein Frucht bringen kann. Nun geht es nicht mehr nur um eine Begegnung mit diesem oder jenem Menschen für einen Augenblick. Nun, als der Auferstandene ist er neu und überschreitet die Grenze von Orten und Zeiten. Nun kommt er wirklich zu den Griechen. Nun zeigt er sich ihnen und spricht mit ihnen, und sie sprechen mit ihm, und so erwächst Glaube, wächst die Kirche aus allen Völkern, die Gemeinschaft des auferstandenen Jesus Christus, die sein lebendiger Leib wird, Frucht des Weizenkorns. Wir dürfen in diesem Gleichnis auch das Geheimnis der Eucharistie angedeutet finden: Er, der das Weizenkorn ist, fällt in die Erde hinein und stirbt. Und so entsteht die heilige Brotvermehrung der Eucharistie, in der er Brot wird für die Menschen aller Zeiten und aller Orte.

Was hier der Herr über sich selber mitteilt in diesem christologischen Gleichnis, das wendet er dann in zwei weiteren Sprüchen auf uns an, indem er sagt: „Wer sein Leben liebt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt haßt, wird es bewahren bis ins ewige Leben“ (V. 25). Wenn wir das hören, gefällt es uns nicht, glaube ich, im ersten Augenblick. Wir möchten zum Herrn sagen: Was sagst du denn da, Herr? Sollen wir unser Leben, uns selbst hassen? Ist nicht unser Leben eine Gabe Gottes? Sind wir nicht nach deinem Ebenbild geschaffen? Sollen wir nicht dankbar und froh sein, daß du uns das Leben geschenkt hast? Aber das Wort Jesu hat eine andere Bedeutung. Selbstverständlich hat uns der Herr das Leben gegeben, damit wir dankbar sind. Dankbarkeit und Freude sind Grundhaltungen der christlichen Existenz. Ja, wir dürfen froh sein, weil wir wissen: Dieses mein Leben ist von Gott. Es ist nicht sinnloser Zufall. Ich bin gewollt und ich bin geliebt. Wenn Jesus sagt, ihr sollt euer eigenes Leben hassen, meint er etwas ganz anderes. Er denkt hier an zwei Grundhaltungen. Die eine ist die, daß ich mein Leben für mich haben möchte, daß ich mein Leben gleichsam als meinen Besitz, mich selbst als meinen Besitz betrachte. Daß ich das Leben, das es gibt, möglichst ausschöpfen möchte, um viel gelebt zu haben, für mich selbst zu leben. Wer dies tut, wer in sich hineinlebt und auf sich schaut und nur sich will, der findet sich nicht, der verliert sich. Gerade umgekehrt ist es: Leben nicht nehmen, sondern geben. Das sagt uns der Herr. Und nicht, indem wir das Leben uns nehmen, empfangen wir es, sondern indem wir es geben, indem wir uns überschreiten, indem wir nicht umschauen nach uns selbst, sondern in der Demut der Liebe uns dem anderen zueignen, unser Leben an ihn und an die anderen übergeben. So werden wir reich im Weggehen von uns selbst, im Freiwerden von uns selbst. Im Schenken des Lebens und nicht im Nehmen empfangen wir wirklich Leben.

Der Herr fährt dann fort und sagt uns in einem zweiten Spruch: „Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren“ (V. 26). Dieses Sich-Geben, das in Wirklichkeit einfach das Wesen der Liebe ist, ist mit dem Kreuz identisch. Denn Kreuz ist nichts anderes als eben dieses Grundgesetz des gestorbenen Weizenkorns, dieses Grundgesetz der Liebe: daß wir nur im Schenken unserer selbst wir selbst werden. Aber nun fügt der Herr hinzu, daß dieses Sich-Schenken, dieses Annehmen des Kreuzes, dieses Weggehen von uns selber, ein Mitgehen mit ihm ist, daß wir ihm nachgehend und ihm nachfolgend diesen Weg des Weizenkorns, den Weg der Liebe finden, der zunächst ein Weg der Drangsal und der Mühe scheint, doch gerade so der Weg der Erlösung ist. Zum Weg des Kreuzes, der der Weg der Liebe ist, des Sich-Verlierens und Schenkens, gehört die Nachfolge, das Mitgehen mit ihm, der selbst der Weg ist und die Wahrheit und das Leben. In diesem Begriff der Nachfolge ist zugleich eingeschlossen, daß sie im Wir geschieht, daß nicht jeder seinen Christus, seinen Jesus hat, daß wir ihm nur nachfolgen können, wenn wir miteinander mit ihm gehen, indem wir uns in dieses Wir hineingeben und mit ihm zusammen seine schenkende Liebe erlernen. Nachfolge geschieht im Wir. Zum Christsein gehört das Wir-Sein in der Gemeinschaft seiner Jünger. Und da steht die Frage der Ökumene in uns auf: die Trauer darüber, daß wir dieses Wir zerrissen haben, daß wir doch den einen Weg in mehrere Wege zerteilen, und so das Zeugnis verdunkelt wird, das wir damit geben sollten, und die Liebe selbst nicht ihre volle Gestalt finden kann. Was sollen wir dazu sagen? Wir hören heute viele Klagen, die Ökumene sei zum Stillstand gekommen, Vorwürfe gegenseitig; ich denke aber, zu allererst sollten wir doch dankbar werden, daß es soviel Einheit gibt. Es ist doch schön, daß wir heute, an Laetare, hier miteinander beten, miteinander die gleichen Lieder singen, miteinander das gleiche Wort Gottes anhören, es miteinander auszulegen und zu verstehen suchen dürfen, daß wir auf den einen Christus hinschauen, den wir sehen und dem wir gehören wollen, und daß wir so doch Zeugnis davon geben, daß er der Eine ist, der uns alle gerufen hat und dem wir im Tiefsten alle zugehören. Ich glaube, wir sollten vor der Welt vor allem dies sichtbar machen: nicht allerlei Zank und Streit, sondern die Freude und die Dankbarkeit dafür, daß der Herr uns dies schenkt und daß es wirkliche Einheit gibt, die immer tiefer werden kann und die immer mehr auch zum Zeugnis für das Wort Christi, für den Weg Christi werden soll in dieser Welt. Natürlich dürfen wir uns damit nicht zufrieden geben, auch wenn wir voller Dankbarkeit sein sollen für diese Gemeinsamkeit. Daß wir dennoch in wesentlichen Dingen, in der Feier der heiligen Eucharistie nicht den gleichen Kelch trinken können, nicht am gleichen Altar stehen, muß uns mit der Trauer erfüllen, daß wir Schuld auf uns laden, daß wir das Zeugnis verdunkeln; es muß uns innerlich unruhig machen, auf dem Weg zu mehr Einheit zu sein in dem Wissen, daß zuletzt nur er sie schenken kann, denn eine Einheit, die wir selbst aushandeln würden, wäre menschengemacht und so brüchig, wie alles, was Menschen machen. Wir geben uns ihm, suchen ihn immer mehr zu kennen und zu lieben, ihn zu sehen, und überlassen ihm, daß er uns damit wirklich ganz zur Einheit führt, um die wir in dieser Stunde in aller Dringlichkeit zu ihm beten.

Liebe Freunde, noch einmal möchte ich Ihnen danken für die Einladung, die Sie mir hierher geschenkt haben, danken für die Herzlichkeit, mit der Sie mich empfangen haben - auch für Ihre Worte, liebe Frau Dr. Esch; danken, daß wir miteinander beten und singen durften. Beten wir füreinander, beten wir miteinander, daß der Herr uns Einheit schenke und daß er der Welt hilft, daß sie glaube. Amen.


AN DIE VERTRETER DER INDUSTRIE- UND UNTERNEHMERVERBANDES VON ROM

Donnerstag, 18. März 2010

33

Sehr geehrter Herr Präsident,
verehrte Damen und Herren!

Ich freue mich, einen jeden von Ihnen willkommen zu heißen, am Vortag des Hochfestes des hl. Josef, der ein Vorbild für alle ist, die in der Welt der Arbeit tätig sind. Mein ehrerbietiger Gruß gilt Herrn Dr. Aurelio Regina, dem Präsidenten des Industrie- und Unternehmerverbandes von Rom, dem ich für die freundlichen Worte danke, die er an mich gerichtet hat. Mit ihm begrüße ich das Leitungsgremium und den Ratsausschuß des Verbandes.

Die römische Unternehmenslandschaft, die zumeist aus kleinen und mittleren Unternehmen besteht, bildet einen der wichtigsten Gebietsverbände der Arbeitgeberorganisation »Confindustria«, die heute ebenfalls in einem Umfeld wirkt, das geprägt ist von der Globalisierung, von den negativen Auswirkungen der Finanzkrise sowie von der sogenannten »Finanziarisierung« der Wirtschaft und der Unternehmen selbst. Es ist eine komplexe Situation, da die derzeitige Krise die Wirtschafts- und Produktionssysteme der verschiedenen Länder auf eine harte Probe gestellt hat. Dennoch muß sie mit Vertrauen gelebt werden, denn sie kann als Chance betrachtet werden unter dem Gesichtspunkt der Revision der Entwicklungsmodelle und einer Umstrukturierung der Finanzwelt, als eine »neue Zeit« - wie gerade gesagt wurde -, die dazu dient, vieles zu überdenken.

In der Sozialenzyklika Caritas in veritate habe ich darauf hingewiesen, daß wir aus einer Entwicklungsphase kommen, in der das Materielle und Technische dem Ethischen und Geistlichen vorgezogen wurde, und habe dazu ermutigt, in den Mittelpunkt der Wirtschaft und der Finanz die Person zu stellen (vgl. ), die Christus in ihrer tiefsten Würde offenbart. Außerdem habe ich empfohlen, die Politik nicht den Finanzmechanismen unterzuordnen, und habe die Reform und die Schaffung internationaler Rechtsordnungen und politischer Strukturen angeregt (vgl. ), die zu den globalen Strukturen der Wirtschaft und der Finanz im richtigen Verhältnis stehen müssen, um das Gemeinwohl der Menschheitsfamilie nachhaltiger zu fördern. Auf den Spuren meiner Vorgänger habe ich noch einmal bekräftigt, daß die zunehmende Arbeitslosigkeit, besonders unter den jungen Menschen, die wirtschaftliche Verarmung vieler Arbeitnehmer und das Auftauchen neuer Formen der Sklaverei verlangen, daß der Zugang aller zu einer würdigen Arbeit als vorrangiges Ziel betrachtet wird (vgl. und ). Bei der Förderung eines solchen Zieles wird die Kirche von der Überzeugung geleitet, daß die Arbeit ein Gut für den Menschen, für die Familie und für die Gesellschaft ist, eine Quelle der Freiheit und der Verantwortung. In die Verfolgung dieser Ziele sind, zusammen mit anderen sozialen Subjekten, natürlich auch die Unternehmer einbezogen, die besonders ermutigt werden müssen in ihrem Einsatz im Dienst der Gesellschaft und des Gemeinwohls.

Jeder weiß, welche Opfer man auf sich nehmen muß, um ein eigenes Unternehmen zu eröffnen oder auf dem Markt zu halten, als »Gemeinschaft von Personen«, die Güter und Dienstleistungen produziert und deren einziges Ziel daher nicht der - wenn auch notwendige - Profit ist. Insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen bedürfen immer mehr der Finanzierung, während scheinbar weniger Zugang zu Krediten gewährt wird und die Konkurrenz auf den globalisierten Märkten sehr stark ist, besonders von seiten jener Länder, in denen es keine - oder nur eine sehr geringe - soziale Absicherung der Arbeitnehmer gibt. Infolgedessen werden durch die hohen Arbeitskosten die eigenen Produkte und Dienstleistungen weniger konkurrenzfähig, und es bedarf nicht geringer Opfer, um nicht die eigenen Arbeitnehmer zu entlassen und ihnen die berufliche Weiterbildung zu ermöglichen.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, jene individualistische und materialistische Mentalität zu überwinden, die empfiehlt, die Investitionen aus der Realwirtschaft herauszunehmen, um das Eigenkapital lieber in die Finanzmärkte einzubringen, um einfachere und schnellere Erträge zu erzielen. Ich erlaube mir, daran zu erinnern, daß der sicherste Weg, dem Verfall der Unternehmenslandschaft in der eigenen Region entgegenzuwirken, vielmehr darin besteht, sich mit anderen sozialen Körperschaften zu einem Netzwerk zusammenzuschließen, in Forschung und Innovation zu investieren, keine unfaire Konkurrenz zwischen den Unternehmen zu üben, die eigenen sozialen Pflichten nicht zu vergessen und eine qualitätvolle Produktivität zu fördern, um auf die wahren Bedürfnisse der Menschen zu antworten. Es hat sich mehrmals bestätigt, daß das Leben eines Unternehmens abhängt von seiner Aufmerksamkeit gegenüber allen Subjekten, zu denen es Beziehungen knüpft, von der Ethizität seines Unternehmensplans und seiner Arbeit. Die Finanzkrise hat gezeigt, daß auf einem Markt, der dadurch erschüttert war, daß die Unternehmen reihenweise Konkurs anmeldeten, jene wirtschaftlichen Subjekte überlebt haben, die in der Lage waren, sich an moralische Normen zu halten, und die auf die Bedürfnisse der eigenen Region achteten. Der Erfolg der italienischen Unternehmenskultur, besonders in einigen Regionen, war stets von der Bedeutung geprägt, die dem Beziehungsnetz zugemessen wurde, das sie mit den Arbeitnehmern und den anderen Unternehmensformen durch Zusammenarbeit und gegenseitiges Vertrauen zu knüpfen verstand. Ein Unternehmen kann dann überlebensfähig sein und »sozialen Reichtum« hervorbringen, wenn Unternehmer und Manager von der Weitsicht geleitet sind, die langfristige Investitionen dem spekulativen Profit vorzieht und Innovationen fördert, statt daran zu denken, nur für sich selbst Reichtümer anzuhäufen.

Der Unternehmer, der auf das Gemeinwohl achtet, ist aufgerufen, die eigene Arbeit stets im Rahmen eines pluralistischen Ganzen zu sehen. Eine solche Einstellung erzeugt durch den persönlichen Einsatz und die in den wirtschaftlichen und finanziellen Entscheidungen konkret gelebte Brüderlichkeit einen konkurrenzfähigeren und gleichzeitig zivileren Markt, der vom Geist des Dienstes beseelt ist. Natürlich setzt eine solche Unternehmenslogik gewisse Motivationen voraus, eine bestimmte Sichtweise des Menschen und des Lebens: also einen Humanismus, der aus dem Bewußtsein heraus entsteht, daß wir als einzelne und als Gemeinschaft berufen sind, zur einen Familie Gottes zu gehören, der uns nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen und uns in Christus erlöst hat; einen Humanismus, der die Liebe belebt und sich von der Wahrheit leiten läßt; einen Humanismus, der offen ist für Gott und gerade deshalb offen gegenüber dem Menschen und gegenüber einem Leben, das als solidarische und frohe Aufgabe verstanden wird (vgl. ). In jedem Bereich des menschlichen Lebens setzt die Entwicklung auch eine Öffnung gegenüber der Transzendenz voraus, gegenüber der geistlichen Dimension des Lebens, dem Gottvertrauen, der Liebe, der Brüderlichkeit, der Annahme des Nächsten, der Gerechtigkeit, des Friedens (vgl. ). All dies möchte ich jetzt in der Fastenzeit hervorheben - einer Zeit, die geeignet ist, um die eigene tiefere Haltung zu überdenken und sich zu fragen, ob die Ziele, nach denen wir streben, den Mitteln, die wir gebrauchen, entsprechen.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich überlasse Ihnen diese Reflexionen. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch und bringe meine guten Wünsche für die wirtschaftliche Arbeit ebenso wie für die Verbandstätigkeit zum Ausdruck und erteile Ihnen und allen Ihren Angehörigen gern meinen Segen.


KONZERT ANLÄSSLICH DES NAMENSTAGES SEINER HEILIGKEIT

"Sala Clementina" - Freitag, 19. März 2010

34

Liebe Freunde!

Am Ende einer so eindrucksvollen Darbietung von so großer geistlicher Tiefe wäre es das Beste, weiter in Stille und Betrachtung zu verharren. Dennoch freue ich mich sehr, einen Gruß an euch zu richten und euch allen für eure Anwesenheit an meinem Namenstag zu danken, besonders jenen, die mir dieses wunderbare Geschenk bereitet haben. Ich danke Herrn Kardinal Tarcisio Bertone, meinem Staatssekretär, recht herzlich für die freundlichen Worte, die er an mich gerichtet hat. Von Herzen grüße ich alle weiteren Kardinäle, Herrn Kardinaldekan Sodano, sowie die hier anwesenden Bischöfe und Prälaten. Mein besonderer Dank gilt außerdem den Musikern, begonnen bei Herrn Maestro José Peris Lacasa, der als Komponist eng mit dem Spanischen Königshaus verbunden ist. Ihm kommt das Verdienst zu, eine Version des Werkes »Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze« von Franz Joseph Haydn erarbeitet zu haben, die jene für Streichquartett und jene in Form des Oratoriums, die von Haydn selbst geschrieben wurden, wieder aufgreift. Darüber hinaus beglückwünsche ich das Henschel Quartett für die vortreffliche Ausführung sowie Frau Susanne Kelling, die ihre außerordentliche Stimme in den Dienst der heiligen Worte des Herrn Jesus gestellt hat.

Mit diesem Werk wurde wirklich eine gute Wahl getroffen. Einerseits nämlich ist seine strenge Schönheit des Hochfestes des hl. Josef würdig - dessen Namen der berühmte Komponist selbst trug -, andererseits ist sein Inhalt für die Fastenzeit äußerst angemessen; er bereitet uns geradezu darauf vor, das zentrale Geheimnis des christlichen Glaubens zu leben. Das Werk »Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze« ist im Bereich der Musik eines der erhabensten Beispiele dafür, wie Kunst und Glaube sich miteinander verbinden können. Die ganze Schöpfung des Musikers ist inspiriert und gleichsam »geleitet« von den Texten des Evangeliums, die ihren Höhepunkt finden in den Worten, die der gekreuzigte Jesus sprach, bevor er den letzten Atemzug tat. Außer durch den Text war der Komponist jedoch auch durch genaue Auflagen seiner Auftraggeber gebunden, vorgegeben durch die bestimmte Art des feierlichen Anlasses, zu dem das Musikstück aufgeführt werden sollte. Und gerade von diesen engen Bindungen her konnte sich das schöpferische Genie in seiner ganzen Größe offenbaren: Haydn, der sieben Sonaten dramatischen und meditativen Charakters geschaffen hat, setzte auf die Intensität, wie er selbst in einem Brief aus jener Zeit schrieb: »Jedwede Sonate oder Jedweder Text ist bloß durch die Instrumental Music dergestalten ausgedruckt, daß es den unerfahrensten den tiefesten Eindruck in Seiner Seel Erwecket« (Brief an W. Forster, 8. April 1787).

Es ist ähnlich wie mit der Arbeit des Bildhauers, der sich stets mit der Materie messen muß, die er bearbeitet - denken wir an den Marmor der »Pietà« von Michelangelo -, und dem es dennoch gelingt, diese Materie zum Sprechen zu bringen, eine einzigartige und unwiederholbare Synthese von Gedanken und Empfindungen hervorzubringen, ein Kunstwerk, das absolut originell ist, gleichzeitig jedoch vollkommen im Dienst dieses bestimmten Glaubensinhaltes steht und gleichsam beherrscht wird von jenem Ereignis, das er darstellt - in unserem Fall von den sieben Worten und ihrem Kontext.

Hier liegt ein universales Gesetz des künstlerischen Schaffens verborgen: eine Schönheit, die auch ein Gut und eine Wahrheit ist, mitteilen zu können durch ein sinnlich erfaßbares Mittel - ein Gemälde, ein Musikstück, eine Skulptur, einen geschriebenen Text, einen Tanz und so weiter. Genauer betrachtet ist Gott demselben Gesetz gefolgt, um uns sich selbst und seine Liebe mitzuteilen: Er ist Mensch geworden in unserem menschlichen Fleisch und hat das höchste Meisterwerk der gesamten Schöpfung hervorgebracht, den einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen: den Menschen Christus Jesus - wie der hl. Paulus schreibt (vgl.
1Tm 2,5). Je »härter« die Materie ist, je enger die Bindungen sind, denen das Kunstwerk unterworfen ist, desto mehr tritt das Genie des Künstlers zutage. So hat Gott am »harten« Kreuz in Christus das schönste und wahrhaftigste Wort der Liebe gesprochen: Jesus in seiner völligen und endgültigen Selbsthingabe. Er ist das letzte Wort Gottes, nicht im chronologischen, sondern im qualitativen Sinne. Es ist das universale, absolute Wort, das jedoch gesprochen wurde in jenem konkreten Menschen, in jener Zeit und an jenem Ort, zu jener »Stunde«, wie es im Johannesevangelium heißt. Dieses Sich-Binden an die Geschichte, an das Fleisch ist das Zeichen schlechthin für die Treue, für eine Liebe, die so frei ist, daß sie keine Angst hat, sich für immer zu binden, das Unendliche im Endlichen zum Ausdruck zu bringen, das Ganze im Fragment. Dieses Gesetz, das Gesetz der Liebe, ist auch das Gesetz der Kunst in ihren höchsten Ausdrucksformen.

Liebe Freunde, vielleicht bin ich mit dieser Reflexion ein wenig weit gegangen, aber die Schuld - oder vielleicht das Verdienst! - liegt bei Franz Joseph Haydn. Danken wir dem Herrn für die großen künstlerischen Genies, die sich an seinem Wort - Jesus Christus - und an seinen Worten - der Heiligen Schrift - messen konnten und wollten. Ich danke noch einmal all jenen, die dieses Geschenk geplant und vorbereitet haben: Der Herr möge es einem jeden reichlich vergelten.

... auf deutsch: Sehr herzlich danke ich nochmals allen, die diesen Abend ermöglicht haben. Mein besonderer Dank gilt dem Henschel Quartett und dem Mezzosopran Frau Susanne Kelling, die uns mit ihrer ausdrucksvollen Darbietung die Worte des Erlösers am Kreuz in musikalischer Form näher gebracht haben. Vielen lieben Dank!

... auf spanisch: Ich grüße sehr herzlich Herrn Maestro José Peris Lacasa, den Urheber einer gelungenen Aufarbeitung des Werkes »Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze« von Haydn, in deren Genuß wir heute gekommen sind. Ebenso grüße ich alle, die zu diesem Anlaß aus Spanien gekommen sind. Vielen Dank.

35 ... auf italienisch: Ich grüße alle noch einmal von Herzen und wünsche euch, Jesus aus nächster Nähe nachzufolgen, wie die Jungfrau Maria, um die Karwoche intensiv zu erleben und das nunmehr nahe Osterfest in Wahrheit zu feiern. Mit diesen Wünschen erteile ich euch und euren Angehörigen meinen Segen.


AN DIE BISCHÖFE AUS DEN SKANDINAVISCHEN LÄNDERN ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Donnerstag, 25. März 2010


Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

Ich heiße euch anläßlich eures Besuches an den Gräbern der Apostel willkommen und danke Bischof Arborelius für die Worte, die er in eurem Namen an mich gerichtet hat. Ihr übt die pastorale Leitung über die katholischen Gläubigen im fernen Norden Europas aus und seid hierher gereist, um die Bande der Gemeinschaft zwischen dem Volk Gottes in jenen Ländern und dem Nachfolger Petri im Herzen der Universalkirche zum Ausdruck zu bringen und zu erneuern. Eure Herde ist zahlenmäßig klein und über ein riesiges Gebiet verstreut. Viele müssen große Entfernungen zurücklegen, um eine katholische Gemeinde zu finden, wo sie Gottesdienst feiern können. Es ist für sie äußerst wichtig zu erkennen, daß sie jedes Mal, wenn sie sich für das eucharistische Opfer um den Altar versammeln, in Gemeinschaft mit allen ihren katholischen Glaubensbrüdern und -schwestern auf der ganzen Welt an einem Akt der Gesamtkirche teilnehmen. Und diese Gemeinschaft wird durch die alle fünf Jahre stattfindenden Besuche der Bischöfe beim Apostolischen Stuhl gepflegt und vertieft.

Ich freue mich zu erfahren, daß im Mai dieses Jahres in Jönköping ein Familienkongreß abgehalten werden soll. Eine der wichtigsten Botschaften, die die Menschen der nordischen Länder von euch hören sollen, besteht darin, sie an die zentrale Stellung der Familie für das Leben einer gesunden Gesellschaft zu erinnern. Leider ist in den letzten Jahren eine Schwächung der Verpflichtung zur Institution Ehe und des christlichen Verständnisses der menschlichen Sexualität festzustellen, das so lange als die Grundlage der persönlichen und sozialen Beziehungen in der europäischen Gesellschaft diente.

Kinder haben ein Recht darauf, empfangen und im Mutterleib ausgetragen, zur Welt gebracht und innerhalb einer Ehe aufgezogen zu werden: Durch die sichere und anerkannte Beziehung zu ihren eigenen Eltern können sie ihre Identität entdecken und ihre eigene menschliche Entwicklung erreichen (vgl. Donum vitae, 22. Februar 1987).

In Gesellschaften mit der edlen Tradition, die Rechte aller ihrer Mitglieder zu verteidigen, würde man erwarten, daß diesem Grundrecht der Kinder Priorität eingeräumt werde vor jedem angeblichen Recht der Erwachsenen, ihnen alternative Modelle des Familienlebens aufzuerlegen, und natürlich vor jedem angeblichen Recht auf Abtreibung. Da die Familie »die erste und unersetzliche Erzieherin zum Frieden« (Botschaft zum Weltfriedenstag 2008; in O.R. dt., Nr. 51/52, 19.12.2008, S. 4f.), die zuverlässigste Förderin des gesellschaftlichen Zusammenhalts und die beste Schule der Tugenden guter Staatsbürgerschaft ist, liegt es im Interesse aller und besonders der Regierungen, ein stabiles Familienleben zu verteidigen und zu fördern.

Obwohl die katholische Bevölkerung eurer Länder nur einen kleinen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung ausmacht, ist sie dennoch im Wachsen begriffen, und gleichzeitig hören eine ansehnliche Zahl anderer mit Respekt und Aufmerksamkeit auf das, was die Kirche zu sagen hat. In den nordischen Ländern hat die Religion eine wichtige Rolle bei der öffentlichen Meinungsbildung und bei der Beeinflussung von Entscheidungen über Fragen, die das Gemeinwohl betreffen. Ich bitte euch deshalb dringend, weiterhin den Menschen eurer jeweiligen Länder die Lehre der Kirche zu sozialen und ethischen Fragen zu vermitteln, wie ihr es durch Initiativen wie euren Hirtenbrief von 2005 »Die Liebe zum Leben« und den angekündigten Familienkongreß tut. Die Errichtung des Newman-Instituts in Uppsala ist in dieser Hinsicht eine sehr begrüßenswerte Entwicklung, die sicherstellt, daß in der skandinavischen akademischen Welt der katholischen Lehre der ihr zustehende Platz eingeräumt wird, während sie auch den jungen Generationen hilft, ein reifes und gut informiertes Verständnis ihres Glaubens zu erwerben.

Innerhalb eurer kleinen Herde muß die Familien- und die Jugendseelsorge mit Nachdruck und mit besonderer Einfühlung für die vielen Menschen betrieben werden, die im Zuge der jüngsten Finanzkrise Schwierigkeiten erlebt haben. Gebührendes Feingefühl sollte den vielen Ehepaaren zuteilwerden, bei denen nur ein Partner katholisch ist. Der Anteil an Zuwanderern unter der katholischen Bevölkerung der nordischen Länder hat seine eigenen Erfordernisse, und es ist wichtig, daß eure pastorale Sorge für die Familien diese Menschen einschließt und ihnen bei der Integration in die Gesellschaft behilflich ist. Eure Länder sind gegenüber Flüchtlingen aus dem Nahen Osten, von denen viele Christen aus den Ostkirchen sind, besonders großzügig gewesen. Wenn ihr »den Fremden, der sich bei euch aufhält« (Lv 19,34), aufnehmt, dürft ihr sicher sein, diesen neuen Mitgliedern eurer Gemeinde zu helfen, ihre Kenntnis und ihr Verständnis des Glaubens durch passende Katecheseprogramme zu vertiefen. Beim Integrationsprozeß in ihr Gastland sollten sie dazu ermutigt werden, sich nicht von den wertvollsten Elementen ihrer eigenen Kultur, insbesondere von ihrem Glauben, zu trennen.

In diesem Jahr des Priesters bitte ich euch, der Ermutigung und Unterstützung eurer Priester, die oft weit voneinander entfernt und unter schwierigen Verhältnissen tätig sind, um dem Volk Gottes die Sakramente zu bringen, besondere Priorität zu geben. Wie ihr wißt, habe ich die Gestalt des hl. Jean-Marie Vianney allen Priestern der Welt als eine Quelle der Inspiration und Fürsprache in diesem Jahr vorgeschlagen, das der tieferen Erkundung der Bedeutung und unverzichtbaren Rolle des Priestertums im Leben der Kirche gewidmet ist. Er verausgabte sich unermüdlich, um ein Kanal der heilenden und heiligenden Gnade Gottes für die Menschen zu sein, denen er diente, und alle Priester sind aufgerufen, es ebenso zu machen: Es liegt in eurer Verantwortung als den für sie zuständigen Bischöfen, darauf zu achten, daß sie auf diese heilige Aufgabe gut vorbereitet werden. Sorgt auch dafür, daß die gläubigen Laien zu schätzen wissen, was ihre Priester für sie tun, und daß sie ihnen die Ermutigung und die geistliche, moralische und materielle Unterstützung bieten, die sie brauchen.

Ich möchte noch dem enormen Beitrag Anerkennung zollen, den Ordensmänner und Ordensfrauen viele Jahre hindurch für das Leben der Kirche in euren Ländern vollbracht haben. Die nordischen Länder sind auch mit dem Vorhandensein einer Anzahl neuer kirchlicher Bewegungen gesegnet, die der Sendung der Kirche einen frischen dynamischen Schwung verleihen. Angesichts dieser großen Vielfalt von Charismen gibt es viele Wege, auf denen junge Menschen angezogen werden können, durch eine Priester- oder Ordensberufung ihr Leben dem Dienst in der Kirche zu widmen. Wenn ihr eure Verantwortung zur Stärkung solcher Berufungen (Christus Dominus CD 15) wahrnehmt, vergeßt nicht, euch an beide, an die einheimische Bevölkerung und an die Zuwanderer, zu wenden. Aus der Mitte einer gesunden katholischen Gemeinde beruft der Herr stets Männer und Frauen, die ihm auf diese Weise dienen sollen. Die Tatsache, daß immer mehr von euch, liebe Bischöfe der nordischen Länder, aus den Ländern stammen, in denen ihr dient, ist ein klares Zeichen dafür, daß der Heilige Geist unter den dortigen katholischen Gemeinden am Werk ist. Ich bete dafür, daß seine Inspiration weiterhin unter euch und unter jenen, denen ihr euer Leben gewidmet habt, Früchte tragen möge.

Setzt mit großem Vertrauen in die lebensspendende Kraft des Evangeliums eure Kräfte zur Förderung einer Neuevangelisierung unter den Menschen eurer Länder ein! Zu dieser Aufgabe gehört die ständige Aufmerksamkeit für die ökumenische Arbeit, und daher freue ich mich über die zahlreichen Initiativen, bei denen Christen aus den nördlichen Ländern sich zusammenfinden, um vor der Welt ein gemeinsames Zeugnis abzulegen.

Mit diesen Gedanken empfehle ich euch alle und euer Volk der Fürsprache der nordischen Heiligen, besonders der hl. Birgitta, Mitpatronin Europas, und erteile euch gern meinen Apostolischen Segen als Unterpfand der Kraft und des Friedens im Herrn.


BEGEGNUNG MIT DEN JUGENDLICHEN AUS ROM UND LATIUM IN VORBEREITUNG AUF DEN WELTJUGENDTAG

Donnerstag, 25. März 2010

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ANSPRACHE 2010 31