Bostschaft 2005-2010 47

47 In diesen arbeitsreichen Tagen wollt Ihr Eure Aufmerksamkeit auf das Thema »Die Regel des Lebens, Ausdruck der Weihe, Garantie der charismatischen Identität, Stütze der brüderlichen Gemeinschaft, Plan der Sendung« richten.

Ihr habt die Absicht, die Satzungen und Normen Eures Instituts zu revidieren und zu approbieren, um sie vor allem an die neue kirchliche Sensibilität anzupassen, die wir dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu verdanken haben und die im geltenden Codex des kanonischen Rechtes festgeschrieben ist. Diesem Vorhaben kommt gerade deshalb besondere Bedeutung zu, weil so der gesamten Ordensfamilie jene Texte unterbreitet werden, nach denen ein jeder seine Erfahrung brüderlichen und apostolischen Lebens ausrichten muß, um in jedem Bereich ein beredtes Zeichen der Liebe Gottes und ein wahres Heilswerkzeug sein zu können. Gott segne diese Eure Absichten! Damit sie fruchtbar sein können, müßt Ihr treue Hüter des spirituellen Erbes sein, das Euch Euer Gründer, der hl. Annibale Maria Di Francia, hinterlassen hat. Er war von einer tiefen Liebe zu Christus beseelt; von ihm hat er sich nicht nur bei der Umsetzung eines weitsichtigen Berufungsapostolats inspirieren lassen, sondern auch bei seinem mutigen Werk für die Bedürftigen. Folgt seinem Beispiel und führt mit Freuden diese Sendung fort, die trotz der Veränderung unserer sozialen Lebensbedingungen noch heute Gültigkeit hat. Verbreitet besonders den Geist des Gebets und die Sorge für alle Berufungen in der Kirche; seid fleißige Arbeiter für das Kommen des Reiches Gottes und widmet Euch mit ganzer Kraft der Evangelisierung und der Förderung des Menschen.

Die große Herausforderung der Inkulturation verlangt heute von Euch, daß Ihr die Frohbotschaft in einer Sprache und auf eine Weise verkündet, die verständlich sind für die Menschen unserer Zeit, die schnell veränderlichen sozialen und kulturellen Prozessen unterworfen sind. Ein weites Feld des Apostolats tut sich da vor Euch auf! Folgt dem Beispiel Eures Gründers und stellt Euer Dasein ganz in den Dienst jener, die es nach der Hoffnung »dürstet«, bewahrt Euch die wahre Leidenschaft für das Bildungswesen – vor allem für die Ausbildung der Jugendlichen –, und setzt Euch für eine großzügige Pastoralaktivität unter den Menschen ein, vor allem für jene, die an Leib und Seele leiden. In diesem Zusammenhang möchte ich auf das verweisen, was ich unlängst sozusagen zum Abschluß des Priesterjahres gesagt habe: »Jeder Hirt also ist das Mittel, durch das Christus selbst die Menschen liebt: Dank unseres Dienstes, liebe Priester, durch uns erreicht der Herr die Seelen, durch uns lehrt, bewahrt und leitet er sie« (Generalaudienz vom 26.5.2010, in O.R. dt., Nr. 22, 4. Juni 2010, S. 2).

Eure Kongregation kann auf eine lange Geschichte zurückblicken, die von mutigen Zeugen Christi und des Evangeliums geschrieben wurde. Ihr seid heute gerufen, diese Tradition mit neuem Eifer fortzuführen, mit prophetischer Freiheit und weisem Unterscheidungsvermögen kühne apostolische Wege zu beschreiten und Euch an mutige missionarische Fronten vorzuwagen. Tut dies stets in enger Zusammenarbeit mit den Bischöfen und den anderen Gliedern der kirchlichen Gemeinschaft. Die weiten Horizonte der Evangelisierung und die dringliche Notwendigkeit, unterschiedslos allen gegenüber Zeugnis abzulegen für die Botschaft des Evangeliums, sind das Feld Eures Apostolats. Viele warten noch darauf, Jesus kennenzulernen, den einzigen Retter des Menschen, und es gibt viele Situationen der Ungerechtigkeit und moralischen und materiellen Not, die den Gläubigen auf den Plan rufen. Eine so dringliche Sendung macht eine unaufhörliche persönliche und gemeinschaftliche Umkehr notwendig. Nur Herzen, die vollkommen offen sind für das Wirken der Gnade, sind in der Lage, die Zeichen der Zeit zu deuten und die Rufe der Menschheit zu vernehmen, die so sehr der Hoffnung und des Friedens bedarf.

Mögen die verschiedenen Bereiche Eures kirchlichen Dienstes von der treuen Bejahung Christi und seines Evangeliums erhellt sein. Die selige Jungfrau Maria, Königin der Berufungen und Mutter der Priester, schütze und helfe Euch. Sie möge die sichere Führung sein auf dem Weg Eurer Ordensfamilie, damit sie all ihre guten Pläne vollenden kann. Mit dieser Hoffnung versichere ich Euch gerne meines Gebetes für Euch alle und für die Arbeit Eures Kapitels, und erteile Euch von Herzen meinen Segen, in den ich gerne alle Rogationisten, die Töchter des Göttlichen Eifers und alle Menschen einschließe, denen Ihr bei Eurem täglichen Apostolat begegnet.

SCHREIBEN VON PAPST BENEDIKT XVI.

AN DEN ERZBISCHOF VON MAILAND AUS ANLASS DES 400. JAHRESTAGES DER HEILIGSPRECHUNG VON KARL BORROMÄUS

LUMEN CARITATIS






An den verehrten Mitbruder
Kardinal DIONIGI TETTAMANZI
Erzbischof von Mailand

»Lumen caritatis«. Das Licht der Liebe des hl. Karl Borromäus hat die ganze Kirche erleuchtet und dadurch, daß es die Wunder der Liebe Christi, unseres Höchsten und Ewigen Hirten, erneuert hat, der Herde Gottes, die schmerzliche und schwierige Zeiten durchmachte, neues Leben und neue Jugend gebracht. Daher schließe ich mich von ganzem Herzen der Freude der Mailänder Erzdiözese an, die den 400. Jahrestag der Heiligsprechung dieses großen Hirten begeht, welche am 1. November 1610 erfolgte.

1. Karl Borromäus lebte in einer für die Christenheit recht schwierigen Zeit. Der Erzbischof von Mailand gab in ihr ein hervorragendes Beispiel dafür ab, was es heißt, für die Reform der Kirche zu wirken. Es galt, wegen vieler Unregelmäßigkeiten Sanktionen zu erteilen, viele Irrtümer zu korrigieren, viele Strukturen zu erneuern; jedoch wirkte Karl Borromäus für eine tiefgehende Reform der Kirche, indem er von seinem eigenen Leben ausging. So führte der junge Borromäus das erste und radikalste Erneuerungswerk bei sich selbst durch. Sein Lebenslauf hatte gemäß den damaligen Vorstellungen vielversprechend begonnen: für den jüngsten Sohn der adeligen Familie Borromeo zeichnete sich eine Zukunft voller Wohlstand und Erfolg ab, ein kirchliches Leben, reich an Ehren, aber ohne amtliche Pflichten; hinzu kam auch die Möglichkeit, die Leitung der Familie nach dem plötzlichen Tod des Bruders Federico zu übernehmen.

Und doch achtete Karl Borromäus, von der Gnade erleuchtet, auf den Ruf, mit dem der Herr ihn an sich zog und ihn dem Dienst an seinem Volk weihen wollte. So vermochte er, sich klar und heldenhaft von dem Lebensstil zu distanzieren, der für seine weltmännische Würde charakteristisch war, und sich ganz dem Dienst für Gott und die Kirche zu weihen. In Zeiten, die durch zahlreiche Prüfungen für die christliche Gemeinschaft verdunkelt waren, durch Spaltungen und Unsicherheiten hinsichtlich der Lehre, durch Trübung der Reinheit des Glaubens und der Sitten sowie das schlechte Vorbild vieler Amtsträger, beschränkte sich Karl Borromäus nicht darauf, zu klagen oder zu verurteilen oder einfach zu wünschen, die anderen mögen sich verändern, sondern er begann, sein eigenes Leben umzugestalten, das, nachdem er auf Reichtümer und Bequemlichkeiten verzichtet hatte, von Gebet, Buße und liebevoller Hingabe an sein Volk erfüllt war. Der hl. Karl lebte auf heldenhafte Weise die evangelischen Tugenden der Armut, Demut und Keuschheit, auf einem steten Weg asketischer Läuterung und christlicher Vervollkommnung.

48 Er war sich bewußt, daß eine ernsthafte und glaubwürdige Reform gerade bei den Hirten ansetzen mußte, um sich segensreich und dauerhaft auf das ganze Volk Gottes auszuwirken. Bei diesem reformierenden Wirken wußte er aus den traditionellen und immer lebendigen Quellen der Heiligkeit der katholischen Kirche zu schöpfen: die Zentralität der Eucharistie, in der er die anbetungswürdige Gegenwart Jesu, des Herrn, und seines Liebesopfers für unsere Erlösung erkannte und darbot; die Spiritualität des Kreuzes, als erneuernde Kraft, die die tägliche Ausübung der dem Evangelium gemäßen Tugenden anzuregen vermag; der häufige Empfang der Sakramente, in denen glaubend das Handeln Christi selbst empfangen wird, der seine Kirche erlöst und läutert; das Wort Gottes, das der Tradition folgend gelesen, interpretiert und betrachtet wird; die Liebe zum Papst und seine Verehrung, in bereitem und kindhaftem Gehorsam gegenüber seinen Anweisungen, als Garantie der wahren und vollen kirchlichen Gemeinschaft.

Aus seinem heiligmäßigen Leben, in dem er sich immer mehr an Christus ausrichtete, geht auch das außergewöhnliche Reformwerk hervor, das der hl. Karl innerhalb der Strukturen der Kirche umsetzte, in vollkommener Treue gegenüber dem Auftrag des Konzils von Trient. Wunderbar war sein Werk der Leitung des Gottesvolkes, als gewissenhafter Gesetzgeber und genialer Organisator. All dies jedoch bezog Kraft und Fruchtbarkeit aus dem persönlichen Bemühen um Buße und Heiligkeit. Denn in jeder Zeit ist das die erste und dringendste Erfordernis in der Kirche, daß jedes ihrer Mitglieder sich zu Gott bekehrt. Auch in unseren Tagen fehlt es der kirchlichen Gemeinschaft nicht an Prüfungen und Leiden, und sie zeigt sich der Reinigung und der Reform bedürftig.

Das Beispiel des hl. Karl möge uns dazu anspornen, immer von dem ernsthaften Bemühen um persönliche und gemeinschaftliche Umkehr auszugehen, um die Herzen zu verwandeln und mit fester Gewißheit an die Macht des Gebetes und der Buße zu glauben. Ich ermutige auf besondere Weise die Amtsträger, die Priester und Diakone, ihr Leben zu einem mutigen Weg der Heiligkeit zu machen, nicht die Leidenschaft jener vertrauensvollen Liebe zu Christus zu fürchten, aufgrund derer Bischof Karl bereit war, sich selbst zu vergessen und auf alles zu verzichten.

Liebe Mitbrüder im Priesteramt, möge die Mailänder Kirche in Euch stets einen klaren Glauben und ein einfaches und reines Leben finden, die den apostolischen Eifer erneuern, über den der hl. Ambrosius, der hl. Karl und so viele Eurer heiligmäßigen Hirten verfügten!

2. Während des Episkopats des hl. Karl fühlte sich seine ganze weitreichende Diözese von einer Strömung der Heiligkeit erfaßt, die sich im gesamten Volk verbreitete. Auf welche Weise ist es diesem so anspruchsvollen und strengen Bischof gelungen, das Volk der Christen zu begeistern und zu erobern? Die Antwort ist einfach: der hl. Karl hat es mit der Glut seiner Liebe erleuchtet und mitgerissen. »Deus caritas est«, und wo die lebendige Erfahrung der Liebe ist, da offenbart sich das tiefe Antlitz Gottes, der uns anzieht und zu den Seinen macht.

Die Liebe des hl. Karl Borromäus war vor allem die Liebe des Guten Hirten, der bereit ist, sein Leben ganz für die Herde hinzugeben, die seiner Fürsorge anvertraut ist, und die Anforderungen und Pflichten des Amtes jeder Form von persönlichem Interesse, Bequemlichkeiten oder Vorteilen voranzustellen. So besuchte der Erzbischof von Mailand, getreu den Vorgaben von Trient folgend, mehrfach die riesige Diözese bis in die entlegendsten Winkel, sorgte sich um sein Volk, indem er es ständig mit den Sakramenten und durch eine reiche und wirksame Verkündigung des Wortes Gottes stärkte; er hatte nie Angst davor, sich Auseinandersetzungen und Gefahren zu stellen, um den Glauben der einfachen Menschen und die Rechte der Armen zu verteidigen.

Der hl. Karl war dann als wirklich liebevoller Vater der Armen anerkannt. Die Liebe drängte ihn, seinen Hausrat zu verkaufen und seinen Besitz zu verschenken, um die Notleidenden zu unterstützen, den Hungernden zu helfen, um die Kranken zu kleiden und ihnen Erleichterung zu verschaffen. Er gründete Einrichtungen mit dem Ziel, den Bedürftigen beizustehen; doch seine Liebe zu den Armen und Leidenden erstrahlte auf außergewöhnliche Weise während der Pest im Jahr 1576, als der heilige Erzbischof bei seinem Volk bleiben wollte, um es zu ermutigen, um ihm zu dienen und um es mit den Waffen des Gebets, der Buße und der Liebe zu verteidigen.

Die Liebe drängte Borromäus zudem, ein wirklicher und engagierter Erzieher zu werden: für sein Volk durch die Schulen der christlichen Lehre; für die Geistlichen durch die Einrichtung von Seminaren; für die Kinder und Jugendlichen durch besonders auf sie ausgerichtete Initiativen und durch die Ermutigung, religiöse Kongregationen und Laienbruderschaften zu gründen, die sich der Ausbildung von Kindern und Jugendlichen widmen sollten. Die Liebe war auch der tiefe Beweggrund für die Strenge, mit welcher der hl. Karl das Fasten, die Buße und die Selbstkasteiung beachtete. Für den heiligen Bischof handelte es sich nicht nur um asketische Praktiken, die auf seine geistliche Vollkommenheit ausgerichtet waren, sondern um ein wahres Werkzeug des Amtes, um Schuld zu sühnen, für die Bekehrung der Sünder zu beten und Fürsprache für die Bedürfnisse seiner geistlichen Kinder einzulegen.

In seinem ganzen Dasein können wir also das Licht der Liebe des Evangeliums betrachten, der langmütigen, geduldigen und starken Liebe, die »alles erträgt, alles glaubt, alles hofft, allem standhält« (vgl.
1Co 13,7). Ich danke Gott, weil die Kirche von Mailand immer reich an Berufungen war, die besonders der Liebe geweiht waren; ich lobe den Herrn für die herrlichen Früchte der Liebe zu den Armen, des Dienstes für die Leidenden und der Fürsorge für die jungen Menschen, auf die sie stolz sein kann. Mögen das Beispiel und das Gebet des hl. Karl erwirken, daß Ihr diesem Erbe treu bleibt, so daß jeder Getaufte in der heutigen Gesellschaft jene faszinierende Verheißung zu leben weiß, die die Liebe des in uns lebendigen Christus in jeder Zeit darstellt.

3. Man könnte jedoch die Liebe des hl. Karl Borromäus nicht verstehen, wenn man seine leidenschaftliche Liebesbeziehung mit dem Herrn nicht kennen würde. Diese Liebe hat er in den heiligen Geheimnissen der Eucharistie und des Kreuzes betrachtet, die er in enger Verbindung mit dem Geheimnis der Kirche verehrt hat. Die Eucharistie und der Gekreuzigte haben den hl. Karl in die Liebe Christi eintauchen lassen, und das hat sein ganzes Leben verwandelt und mit Glut entzündet, seine im Gebet verbrachten Nächte erfüllt, sein ganzes Handeln beseelt, die mit dem Volk gefeierte feierliche Liturgie angeregt und seine Seele so berührt, daß er häufig Tränen vergoß.

Der betrachtende Blick auf das heilige Geheimnis des Altars und auf den Gekreuzigten erweckte in ihm Gefühle des Mitleids für das Elend der Menschen und entzündete in seinem Herzen das apostolische Verlangen, allen das Evangelium zu verkünden. In der Kirche gibt es bekanntlich keine Mission, die nicht aus dem »Verbleiben« in der Liebe des Herrn hervorgeht, der im Eucharistischen Opfer für uns gegenwärtig wird. Begeben wir uns in die Schule dieses großen Geheimnisses!

49 Machen wir die Eucharistie zum wahren Mittelpunkt unserer Gemeinschaften und lassen wir uns von diesem Abgrund der Liebe erziehen und formen! Jedes apostolische und karitative Werk wird aus dieser Quelle Kraft und Fruchtbarkeit empfangen!

4. Die herrliche Gestalt des hl. Karl Borromäus gibt mir eine weitere Überlegung ein, die sich vor allem an die Jugendlichen richtet. Denn die Geschichte dieses großen Bischofs wird ganz von einigen mutigen »Ja« bestimmt, die er in noch sehr jungen Jahren gesprochen hat. Mit gerade 24 Jahren faßte er die Entscheidung, auf die Führung der Familie zu verzichten, um großherzig auf den Ruf des Herrn zu antworten; im folgenden Jahr empfing er als wahren göttlichen Auftrag die Priester- und die Bischofsweihe. Mit 27 Jahren übernahm er die Mailänder Diözese und widmete sich ganz seinem Hirtenamt. In seinen Jugendjahren verstand der hl. Karl, daß die Heiligkeit möglich ist und daß die Umkehr seines Lebens jede ihr entgegenstehende Gewohnheit besiegen konnte. So machte er seine Jugend zu einem Geschenk der Liebe an Christus und an die Kirche und wurde ein »Gigant« der Heiligkeit aller Zeiten.

Liebe Jugendliche, laßt Euch durch diesen Aufruf erneuern, der mir sehr am Herzen liegt: Gott will, daß Ihr heilig seid, weil er Euch zutiefst kennt und Euch mit einer Liebe liebt, die jedes menschliche Verständnis übersteigt. Gott weiß, was in Eurem Herzen ist, und er wartet darauf, jenes wunderbare Geschenk blühen und Früchte tragen zu sehen, das er in Euch gelegt hat. Wie der hl. Karl könnt auch ihr Christus und Euren Brüdern und Schwestern Eure Jugend anbieten. Wie er könnt Ihr in dieser Zeit Eures Lebens beschließen, auf Gott und auf das Evangelium zu »setzen«. Ihr, liebe Jugendliche, seid nicht nur die Hoffnung der Kirche; Ihr seid bereits Teil ihrer Gegenwart! Und wenn Ihr die Kühnheit besitzt, an die Heiligkeit zu glauben, werdet Ihr der größte Schatz eurer Mailänder Kirche sein, die auf den Heiligen erbaut wurde.

Mit Freude vertraue ich Ihnen, verehrter Mitbruder, diese Überlegungen an, und während ich um die himmlische Fürsprache des hl. Karl Borromäus und den beständigen Schutz der allerseligsten Jungfrau Maria erbitte, erteile ich Ihnen und der ganzen Erzdiözese von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 1. November 2010, dem 400. Jahrestag der Heiligsprechung des
hl. Karl Borromäus.

SCHREIBEN AUS ANLASS DER EXEQUIEN FÜR DIE OPFER DES ATTENTATS AUF DIE SYRISCH-KATHOLSCHE KATHEDRALE VON BADGAD

An Seine Exzellenz

Athanase Matti Shaba Matoka
Erzbischof der syrischen Katholiken
Bagdad

Tief erschüttert über den gewaltsamen Tod von so vielen Gläubigen sowie den Priestern Tha’ir Saad und Boutros Wasim möchte ich aus Anlaß des heiligen Ritus der Exequien meine geistige Teilnahme zum Ausdruck bringen sowie mein Gebet, daß diese Brüder und Schwestern von der Barmherzigkeit Christi in das Haus des Vaters aufgenommen werden mögen.

50 Seit Jahren ist das geliebte Land unsagbaren Leiden ausgesetzt, und auch die Christen sind Ziel grausamer Attacken geworden, die in totaler Verachtung des Lebens, des unantastbaren Geschenkes Gottes, das Vertrauen und das zivile Zusammenleben untergraben wollen.

Ich erneuere meinen Appell, damit das Opfer dieser unserer Brüder und Schwestern Same des Friedens und echten Neubeginns sein kann und damit alle, denen die Versöhnung, das brüderliche und solidarische Zusammenleben am Herzen liegen, Motivationen und die Kraft finden mögen, das Gute zu tun.

Euch alle, liebe Brüder, Söhne und Töchter, möge mein tröstender Apostolischer Segen erreichen, in den ich von Herzen auch die Verletzten und eure Familien einschließe, die so hart geprüft werden.



BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI.

AN DEN PRÄSIDENTEN DES PÄPSTLICHEN RATS FÜR GERECHTIGKEIT UND FRIEDEN

ANLÄSSLICH DESSEN VOLLVERSAMMLUNG


An den verehrten Mitbruder

Kardinal Peter Kodwo Appiah Turkson
Präsident des Päpstlichen Rats für Gerechtigkeit und Frieden

1. Aus Anlaß der Vollversammlung möchte ich dem Dikasterium besonders für seine vielfältigen Bemühungen danken, der ganzen Kirche, vor allem dem Apostolischen Stuhl, zu Beginn des dritten Jahrtausends bei einer erneuerten Evangelisierung des Sozialen beizustehen. Nicht nur einzelne Menschen, sondern die Völker und die große Menschheitsfamilie erwarten – angesichts von Ungerechtigkeit und starken Ungleichheiten – Worte der Hoffnung, Fülle des Lebens, den Hinweis auf den, der die Menschheit von der Wurzel des Bösen erlösen kann.

2. Wie ich in meiner Enzyklika Caritas in veritate – dem Diener Gottes Paul VI. folgend – in Erinnerung gerufen habe, ist die Verkündigung Jesu Christi »der erste und hauptsächliche Entwicklungsfaktor « (Nr. 8). Denn dank ihrer kann man mit dem Feuer der Liebe und der Weisheit der Wahrheit auf dem Weg der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen in einer Welt vorangehen, in der die Lüge häufig den Menschen, die Gesellschaft und das Teilen gefährdet. Indem wir »die Liebe in der Wahrheit« leben, können wir einen tiefergehenden Blick anbieten, um die großen sozialen Fragen zu verstehen und einige wesentliche Perspektiven zu ihrer Lösung in einem umfassenden menschlichen Sinn aufzuzeigen. Nur mit der Liebe, die von der Hoffnung gestärkt und vom Licht des Glaubens und der Vernunft erleuchtet wird, ist es möglich, die Ziele der ganzheitlichen Befreiung des Menschen und der universalen Gerechtigkeit zu verfolgen. Das Leben der Gemeinden und der einzelnen Gläubigen wächst, gestärkt durch das eifrige Nachdenken über das Wort Gottes, den regelmäßigen Empfang der Sakramente und die Gemeinschaft mit der Weisheit, die vom Himmel kommt, in seiner Fähigkeit zur Prophetie und zur Erneuerung der Kulturen und öffentlichen Institutionen.

Das Ethos der Völker kann sich so eines wirklich festen Fundaments erfreuen, das den sozialen Konsens stärkt und die Verfahrensregeln grundlegt. Der Einsatz zum Aufbau der Stadt stützt sich auf Gewissen, die von der Liebe Gottes geleitet werden und daher natürlich auf das Ziel eines guten Lebens ausgerichtet sind, das auf dem Primat der Transzendenz basiert. »Caritas in veritate in re sociali«: Es schien mir angemessen, die Soziallehre der Kirche auf diese Weise zu beschreiben (vgl. ebd., Nr. 5), entsprechend ihres authentischsten Ursprungs – Jesus Christus, das dreifaltige Leben, das er uns schenkt – und entsprechend ihrer ganzen Kraft, welche die Wirklichkeit zu verwandeln vermag. Wir bedürfen dieser Soziallehre, um unseren Gesellschaften sowie unserer menschlichen Vernunft zu helfen, die ganze Komplexität der Wirklichkeit und die Größe der Würde jedes Menschen zu erfassen. Das Kompendium der Soziallehre der Kirche hilft gerade in diesem Sinn, den Reichtum der Weisheit zu erahnen, die aus der Erfahrung der Gemeinschaft mit dem Geist Gottes und Christi sowie aus der ernsthaften Annahme des Evangeliums erwächst.

3. In der Enzyklika Caritas in veritate habe ich die fundamentalen Probleme angesprochen, die das Schicksal der Völker und der internationalen Organisationen sowie der Menschheitsfamilie berühren. Der nunmehr bevorstehende Jahrestag der Enzyklika Mater et magistra des sel. Johannes XXIII. ermahnt uns, stets aufmerksam auf das Ungleichgewicht innerhalb der Gesellschaften, der Einzelbereiche und der Nationen, zwischen Ressourcen und Armut der Bevölkerung, zwischen Technik und Ethik zu achten. Im derzeitigen Globalisierungskontext ist dieses Ungleichgewicht keineswegs verschwunden. Es haben sich die Themen, die Dimensionen der Problematiken verändert, doch die Zusammenarbeit zwischen den Staaten – die häufig unzureichend ist, weil sie eher auf die Suche nach einem Machtgleichgewicht als nach Solidarität ausgerichtet ist – läßt häufig Raum für neues Ungleichgewicht, für die Gefahr einer Vorherrschaft von Wirtschafts- und Finanzgruppen, die der Politik eine Tagesordnung zu Lasten des universalen Allgemeinwohls vorschreiben und das weiterhin zu tun beabsichtigen.

4. Was eine in ihren verschiedenen Bereichen immer stärker miteinander verbundene soziale Frage betrifft, scheint die Aufgabe der Ausbildung katholischer Laien in der kirchlichen Soziallehre besonders dringend. Denn gerade den gläubigen Laien kommt die unmittelbare Pflicht zu, sich für eine gerechte soziale Ordnung einzusetzen. Als freie und verantwortliche Bürger müssen sie sich dafür einsetzen, eine gerechte Gestaltung des sozialen Lebens zu fördern, im Respekt vor der legitimen Autonomie des Weltlichen. Die Soziallehre der Kirche stellt so den wesentlichen Bezugspunkt für die Planung und das soziale Handeln der gläubigen Laien sowie für eine gelebte Spiritualität dar, die von der kirchlichen Gemeinschaft gestärkt wird und sich in sie einfügt: Gemeinschaft der Liebe und der Wahrheit, Gemeinschaft in der Sendung.

51 5. Die christifideles laici müssen daher, gerade weil sie Kraft und Anregung aus der Gemeinschaft mit Jesus Christus ziehen, indem sie mit den anderen Gliedern der Kirche zusammenleben, Priester und Bischöfe an ihrer Seite finden, die ein unermüdliches Werk der Gewissensreinigung zusammen mit unerläßlicher Unterstützung und spiritueller Hilfe für ein konsequentes Zeugnis der Laien in der Gesellschaft anzubieten vermögen. Daher ist ein tiefes Verständnis der Soziallehre der Kirche von fundamentaler Bedeutung, in Eintracht mit ihrem ganzen theologischen Bestand, der tief in der Bejahung der transzendenten Würde des Menschen, in der Verteidigung des menschlichen Lebens von der Zeugung bis zum natürlichen Tod und der Religionsfreiheit verankert ist. So verstanden muß die Soziallehre auch in die pastorale und kulturelle Vorbereitung derjenigen eingebunden werden, die in der kirchlichen Gemeinschaft zum Priestertum berufen sind. Es ist notwendig, die gläubigen Laien vorzubereiten, die sich dem Allgemeinwohl widmen können – vor allem in den komplexeren Bereichen wie der Welt der Politik –, doch es ist auch notwendig, Hirten zu haben, die durch ihr Amt und ihr Charisma in der Gesellschaft und in den Institutionen zur Gestaltung und zur Ausstrahlung eines dem Evangelium gemäßen guten Lebens beitragen können, in der Achtung der verantwortlichen Freiheit der Laien und ihrer eigenen Rolle als Hirten, die in diesen Bereichen eine mittelbare Verantwortung haben. Das bereits zitierte Schreiben Mater et magistra hat vor etwa fünfzig Jahren seitens aller katholischen Vereinigungen, Bewegungen und Organisationen eine regelrechte Mobilisierung, die sich auf Liebe und Wahrheit stützt, empfohlen, auf daß alle Gläubigen engagiert, frei und verantwortlich die Soziallehre der Kirche studieren, verbreiten und umsetzen sollten.

6. Mein Wunsch ist daher, daß der Päpstliche Rat für Gerechtigkeit und Frieden sein Hilfswerk für die kirchliche Gemeinschaft und alle ihre Teile fortsetzt. Das Dikasterium möge also dieses Werk nicht nur in der Ausarbeitung immer neuer »aggiornamenti« der Soziallehre der Kirche weiterführen, sondern auch in ihren Umsetzungen mit jener Methode der Unterscheidung, die ich in Caritas in veritate angeführt habe, nach der wir, indem wir in der Gemeinschaft mit Jesus Christus und untereinander leben, sowohl von der Heilswahrheit als auch von der Wahrheit einer Welt »gefunden« werden, die nicht von uns geschaffen, sondern uns allen als Haus geschenkt wurde, in dem wir brüderlich zusammenleben sollen. Um die Soziallehre der Kirche zu globalisieren, scheint eine Zunahme der Zentren und Institute angemessen, die ihr Studium, ihre Verbreitung und ihre Umsetzung in der ganzen Welt fördern.

7. Nach der Promulgierung des Kompendiums und der Enzyklika Caritas in veritate ist es natürlich, daß sich der Päpstliche Rat für Gerechtigkeit und Frieden einer Vertiefung der neuen Elemente widmet sowie – in Zusammenarbeit mit anderen – der Suche nach den geeignetesten Wegen, um die Inhalte der Soziallehre zu vermitteln, nicht nur über die herkömmlichen christlichen Ausbildungs- und Erziehungswege auf allen Ebenen, sondern auch in den großen Zentren, in denen das internationale Denken geformt wird – wie die großen weltlichen Presseorgane, die Universitäten und die zahlreichen Zentren, in denen über Wirtschaft und Gesellschaft nachgedacht wird –, die sich in letzter Zeit in jedem Winkel der Welt entwickelt haben.

8. Die Jungfrau Maria, die von den Christen als Speculum iustitiae und Regina pacis verehrt wird, schütze uns und bewirke mit ihrer himmlischen Fürsprache, daß wir die Kraft, die Hoffnung und die Freude empfangen, die notwendig sind, damit wir uns weiterhin großherzig der Verwirklichung einer neuen Evangelisierung des Sozialen widmen. Indem ich nochmals meinen Dank für die Arbeit zum Ausdruck bringe, die das Dikasterium auf allen Ebenen leistet, wünsche ich fruchtbare Arbeit und erteile von Herzen den Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 3. November 2010

BOTSCHAFT DES HEILIGEN VATERS BENEDIKT XVI.

AN DEN PRÄSIDENTEN DER REPUBLIK KOREA AUS ANLASS

DES G20-GIPFELS IN SEOUL


Mr. Lee Myung-bak,

Präsident der Republik Korea
Herr Präsident!

Das in Kürze in Seoul stattfindende Treffen der Staats- und Regierungschefs der 22 weltweit führenden Volkswirtschaften mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, der Präsidentschaft der Europäischen Union und einigen regionalen Organisationen wie auch den Leitern einiger spezialisierter Einrichtungen ist nicht nur von globaler Bedeutung, sondern auch ein klarer Ausdruck der Bedeutung und Verantwortung, die Asien zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf der internationalen Bühne erlangt hat. Der koreanische Vorsitz des Gipfels ist eine Anerkennung für das beachtliche Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung, die Ihr Land erreicht hat, das als erstes nicht zu den G8-Staaten gehörendes Land Gastgeber des G20 ist und dessen Entscheidung in der Welt nach der Krise betreut. Der Gipfel sucht nach Lösungen für sehr komplexe Probleme, von denen die Zukunft der heranwachsenden Generationen abhängt und die daher die Zusammenarbeit der gesamten internationalen Gemeinschaft erfordern. Diese muß gegründet sein auf die von allen Völkern geteilte und bestätigte Anerkennung des primären und zentralen Wertes der menschlichen Würde, dem letzten eigentlichen Ziel der Entscheidungen.

Ihrem besonderen Wesen getreu, fühlt sich die katholische Kirche betroffen und teilt die Sorgen der Führungspersonen, die am Seoul-Gipfel teilnehmen werden. Ich möchte Sie daher ermutigen, die zahlreichen ernsten Probleme, vor denen Sie stehen – und vor denen in gewisser Hinsicht heute jeder Mensch steht –, anzugehen mit einem Bewußtsein für die tieferen Gründe der Wirtschafts- und Finanzkrise. Ebenso müssen die Folgen der zur Überwindung der Krise ergriffenen Maßnahmen gebührende Berücksichtigung finden und dauerhafte, nachhaltige und gerechte Lösungen gefunden werden. Auf diese Weise, so hoffe ich, wird es ein hohes Bewußtsein dafür geben, daß die gewählten Lösungen nur wirksam sein werden, wenn sie letztlich auf die Erreichung desselben Zieles ausgerichtet sind: die authentische und ganzheitliche Entwicklung des Menschen.

Die Aufmerksamkeit der Welt richtet sich auf Sie und erwartet, daß angemessene Lösungen verabschiedet werden, um die Krise zu überwinden – mit gemeinsam getroffenen Vereinbarungen, die nicht einige Länder auf Kosten anderer begünstigen. Darüber hinaus erinnert uns die Geschichte daran, daß diese Lösungen – unabhängig davon, wie schwierig es ist, die heute koexistierenden unterschiedlichen sozio-kulturellen, ökonomischen und politischen Identitäten in Einklang zu bringen –, um wirksam zu sein, in einem gemeinsamen Handeln umgesetzt werden müssen, das vor allem das Wesen des Menschen achtet. Es ist entscheidend für die Zukunft der Menschheit, der Welt und der Geschichte zu zeigen, daß heute auch dank dieser Krise der Mensch so weit gereift ist, daß er erkennen kann, daß Zivilisationen und Kulturen wie auch ökonomische, soziale und politische Systeme in einer übereinstimmenden Sicht der Menschenwürde konvergieren müssen, die die Gesetze und Voraussetzungen achtet, die von Gott, dem Schöpfer in sie hineingelegt worden sind. Der G20-Gipfel wird die an ihn gestellten Erwartungen erfüllen und einen wirklichen Erfolg für die zukünftigen Generationen gewährleisten, wenn er in der Lage ist, bei der Abwägung der verschiedenen und manchmal gegensätzlichen Probleme, die die Völker der Erde bedrängen, die Kennzeichen des universalen Gemeinwohls darzulegen und, um dieses zu erreichen, seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu zeigen.

52 Mit diesen Gedanken rufe ich Gottes Segen auf alle herab, die an dem Gipfel in Seoul teilnehmen. Nehmen Sie, Exzellenz, bei diesem Anlaß erneut die Versicherung meiner vorzüglichen Hochachtung entgegen.

Aus dem Vatikan, am 8. November 2010



BENEDICTUS PP. XVI



BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI.

AN DIE TEILNEHMER DER XXV. INTERNATIONALEN KONFERENZ

DES PÄPSTLICHEN RATS FÜR DIE PASTORAL IM KRANKENDIENST


Erzbischof Zygmunt Zimowski

Präsident des Päpstlichen Rats für die Pastoral im Krankendienst

Ich freue mich, den Teilnehmern an der 25. Internationalen Konferenz meinen herzlichen Gruß zukommen lassen. Die Konferenz fügt sich gut ein in das Jubiläumsjahr des 25. Jahrestages der Einrichtung dieses Dikasteriums und ist ein weiterer Grund, Gott für dieses wertvolle Instrument im Dienst des Apostolates der Barmherzigkeit Dank zu sagen. Mein Dank gilt allen, die sich in den verschiedenen Sektoren der Pastoral im Krankendienst einsetzen, um jene Diakonie der Nächstenliebe zu leben, die für die Sendung der Kirche grundlegend ist. Diesbezüglich möchte ich dankbar die Kardinäle Fiorenzo Angelini und Javier Lozano Barragán erwähnen, die in diesen 25 Jahren den Päpstlichen Rat für die Pastoral im Krankendienst geleitet haben. Ein besonderer Gruß gilt dem derzeitigen Präsidenten des Dikasteriums, Erzbischof Zygmunt Zimowski, sowie dem Sekretär und dem Untersekretär des Dikasteriums, den Beamten, den Mitarbeitern, den Referenten des Symposions und allen Anwesenden.

Das in diesem Jahr von Euch gewählte Thema »Caritas in veritate. Für eine gleichberechtigte und humane medizinische Versorgung« ist von besonderem Interesse für die christliche Gemeinschaft, in der die Sorge für den Menschen, für seine transzendente Würde und seine unveräußerlichen Rechte grundlegend ist. Die Gesundheit ist ein wertvolles Gut für den einzelnen und die Gemeinschaft, das gefördert, bewahrt und geschützt werden muß, indem die Mittel, Ressourcen und Energien eingesetzt werden, die notwendig sind, damit sie immer mehr Menschen zugute kommen. Leider besteht auch heute das Problem, daß große Teile der Weltbevölkerung keinen Zugang zu den notwendigen Ressourcen haben, um die Grundbedürfnisse zu befriedigen, insbesondere was die Gesundheit betrifft. Es ist notwendig, auf allen Ebenen mit einem größeren Einsatz tätig zu werden, damit das Recht auf Gesundheit durch die Gewährleistung der primären Gesundheitsversorgung effektiv unterstützt wird. In unserer Zeit ist einerseits ein Gesundheitsbewußtsein zu beobachten, bei dem die Gefahr besteht, daß es sich in einen pharmakologischen, medizinischen und chirurgischen Konsumismus verwandelt und so fast zu einem Kult des eigenen Körpers wird. Andererseits haben Millionen von Menschen große Schwierigkeiten, Zugang zu einem Mindestlebensstandard und den für eine medizinische Behandlung unerläßlichen Medikamenten zu erhalten.

Auch im Bereich der Gesundheit, einem wesentlichen Bestandteil jedes Lebens und des Gemeinwohls, ist es wichtig, eine echte Verteilungsgerechtigkeit zu erreichen, die auf der Grundlage der objektiven Bedürfnisse allen eine angemessene medizinische Behandlung gewährleistet. Folglich darf sich das Gesundheitswesen nicht den sittlichen Geboten entziehen, an denen es sich ausrichten muß, damit es nicht unmenschlich wird. Wie ich in der Enzyklika Caritas in veritate unterstrichen habe, hat die Soziallehre der Kirche stets die Wichtigkeit der distributiven Gerechtigkeit und der sozialen Gerechtigkeit in den verschiedenen Sektoren der menschlichen Beziehungen betont (Nr. 35). Die Gerechtigkeit wird gefördert, wenn man das Leben des anderen annimmt und Verantwortung für ihn übernimmt, indem man seine Erwartungen erfüllt, weil man in ihm das Antlitz des Gottessohnes wahrnimmt, der für uns Mensch geworden ist. Das in unseren Bruder eingeprägte göttliche Bild begründet die höchste Würde jedes Menschen und weckt in jedem die Notwendigkeit der Achtung, der Aufmerksamkeit und des Dienstes. Aus christlicher Sicht sind Gerechtigkeit und Nächstenliebe sehr eng miteinander verbunden: »Die Liebe geht über die Gerechtigkeit hinaus, denn lieben ist schenken, dem anderen von dem geben, was ›mein‹ ist; aber sie ist nie ohne die Gerechtigkeit, die mich dazu bewegt, dem anderen das zu geben, was ›sein‹ ist, das, was ihm aufgrund seines Seins und seines Wirkens zukommt. […] Wer den anderen mit Nächstenliebe begegnet, ist vor allem gerecht zu ihnen. Die Gerechtigkeit ist der Liebe nicht nur in keiner Weise fremd, sie ist nicht nur kein alternativer oder paralleler Weg zur ihr: Die Gerechtigkeit ist untrennbar mit der Liebe verbunden, sie ist ein ihr innewohnendes Element. Die Gerechtigkeit ist der erste Weg der Liebe« (ebd., 6). In diesem Sinne lehrte der hl. Augustinus zusammenfassend und eindrücklich: Die Gerechtigkeit besteht darin, den Notleidenden zu Hilfe zu kommen (vgl. De Trinitate, XIV,9: PL 42,1045).

Sich wie der barmherzige Samariter über den verwundeten und am Straßenrand zurückgelassenen Menschen zu beugen bedeutet, jene »größere Gerechtigkeit«, die Jesus von seinen Jüngern fordert und in seinem Leben verwirklicht, zu erfüllen, weil die Liebe die Erfüllung des Gesetzes ist. Den Spuren ihres Herrn folgend hat die christliche Gemeinschaft den Auftrag des Herrn erfüllt, in die Welt hinauszugehen, um »zu lehren und die Kranken zu heilen«, und hat »im Laufe der Jahrhunderte den Dienst an den Kranken und Leidenden sehr stark als wesentlichen Teil ihrer Sendung empfunden « (Johannes Paul II., Motu proprio Dolentium hominum, 1; in O.R. dt., Nr. 10, 8.3.1985, S. 3): das Heil des ganzen Menschen zu bezeugen, das die Gesundheit der Seele und des Leibes umfaßt.

Das auf den verschlungenen Wegen der Geschichte pilgernde Volk Gottes vereint seine Kräfte mit den vielen Männern und Frauen guten Willens, um den Gesundheitssystemen ein wahrhaft menschliches Gesicht zu geben. Die Gerechtigkeit im Gesundheitswesen muß zu den Prioritäten auf der Agenda der Regierungen und der internationalen Organisationen gehören. Leider gibt es neben positiven und ermutigenden Ergebnissen auch Meinungen und Denkrichtungen, die die Gerechtigkeit verletzen: ich denke an Fragen wie jene, die mit der sogenannten »reproduktiven Gesundheit« verbunden sind, mit dem Zurückgreifen auf künstliche Fortpflanzungstechniken, die die Vernichtung von Embryonen mit sich bringen, oder mit der legalisierten Euthanasie. Die Liebe zur Gerechtigkeit, der Schutz des Lebens von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende, die Achtung der Würde jedes menschlichen Wesens müssen unterstützt und bezeugt werden, auch gegen den Strom: die grundlegenden ethischen Werte sind gemeinsames Erbe der universalen Sittlichkeit und Grundlage des demokratischen Zusammenlebens.

Die gemeinsame Anstrengung aller ist nötig, es ist aber auch und vor allem eine tiefe Umkehr des inneren Blickes vonnöten. Nur wenn sie die Welt mit dem Blick des Schöpfers betrachtet, der ein Blick der Liebe ist, wird die Menschheit lernen, in Frieden und Gerechtigkeit auf der Erde zu leben, indem sie die Erde und ihre Ressourcen zum Wohl jedes Mannes und jeder Frau gerecht verteilt. »Ich erhoffe deshalb die Annahme eines Entwicklungsmodells, das auf der Zentralität der menschlichen Person gegründet ist, auf der Förderung des gemeinsamen Wohls und der Teilhabe daran, auf der Verantwortlichkeit, auf dem Bewußtsein der notwendigen Änderung des Lebensstils und auf der Klugheit, jener Tugend, welche die heute auszuführenden Handlungen anzeigt mit Rücksicht darauf, was morgen geschehen kann« (Benedikt XVI., Botschaft zum Weltfriedenstag 2010, 9; in O.R. dt., Nr. 52/53, 25.12.2009,

S. 5).

Den leidenden Brüdern und Schwestern bringe ich meine Nähe zum Ausdruck und rufe sie auf, die Krankheit als Zeit der Gnade zu leben, um geistlich zu wachsen und zum Wohl der Welt an den Leiden Christi teilzuhaben. Euch allen, die ihr Euch auf dem weiten Feld der Gesundheit engagiert, gilt meine Ermutigung für Euren wertvollen Dienst. Während ich den mütterlichen Schutz der Jungfrau Maria, »Salus infirmorum« erbete, erteile ich von Herzen den Apostolischen Segen, in den ich auch Eure Familien einschließe.


Bostschaft 2005-2010 47