Bostschaft 2005-2010 53

53 Aus dem Vatikan, am 15. November 2010

BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI.

ZUM SYMPOSIUM DES

INTERNATIONALEN ZENTRUMS DER NEWMAN-FREUNDE


An den verehrten Pater

HERMANN GEISSLER FSO

Direktor des Internationalen Zentrums der Newman-Freunde

Während ich mit Freude daran denke, daß ich bei meiner jüngsten Reise nach Großbritannien Kardinal John Henry Newman selig sprechen konnte, richte ich einen herzlichen Gruß an Sie, an die verehrten Sprecher und an alle Teilnehmer des Symposiums, das vom Internationalen Zentrum der Newman-Freunde in Rom organisiert worden ist. Ich möchte meine Wertschätzung für das gewählte Thema zum Ausdruck bringen: „Der Primat Gottes im Leben und in den Schriften des seligen John Henry Newman“. Dieses Thema unterstreicht treffend die Gottbezogenheit, die als grundlegende Ausrichtung die Persönlichkeit und das Werk des großen englischen Theologen charakterisierte.

Es ist bekannt, daß der junge Newman zwar dank seiner Mutter die „Religion der Bibel“ kennenlernen konnte, dann aber eine Zeit voller Schwierigkeiten und Zweifel durchlebte. Im Alter von vierzehn Jahren stand er unter dem Einfluß von Philosophen wie Hume und Voltaire. Da er sich in den von ihnen vorgebrachten Einwänden gegen die Religion wiederfand, wandte er sich, den humanistischen und liberalen Strömungen seiner Zeit entsprechend, einer Art Deismus zu.

Im darauffolgenden Jahr empfing Newman jedoch die Gnade der Bekehrung und fand Ruhe „bei dem Gedanken, daß es zwei und nur zwei Wesen gebe, die absolut und von einleuchtender Selbstverständlichkeit sind: ich selbst und mein Schöpfer“ (J. H. Newman, Apologia pro vita sua, Media Maria Verlag, Illertissen 2010, S. 63). Er entdeckte die objektive Wahrheit eines persönlichen und lebendigen Gottes, der zum Gewissen spricht und dem Menschen sein Geschöpfsein offenbart. Er erkannte, daß er wesensmäßig von Demjenigen abhing, der das Prinzip aller Dinge ist, und fand in Ihm den Ursprung und Sinn seiner Identität und Einzigartigkeit als Person. Diese besondere Erfahrung bildet die Grundlage für den Primat Gottes in Newmans Leben.

Nach seiner Bekehrung ließ er sich von zwei grundlegenden Worten leiten, die er dem Buch Die Macht der Wahrheit des Kalvinisten Thomas Scott entnommen hatte und die den Primat Gottes in seinem Leben hervorragend zum Ausdruck bringen. Das erste – „Heiligkeit vor Frieden“ (ebd., S. 64) – belegt seinen festen Willen, mit dem eigenen Gewissen dem inneren Lehrmeister zu folgen, sich vertrauensvoll dem Vater zu überlassen und getreu die erkannte Wahrheit zu leben. Diese Ideale haben später „einen hohen Preis gefordert“. Newman mußte sowohl als Anglikaner wie auch als Katholik viele Prüfungen, Enttäuschungen und Erfahrungen des Nichtverstandenseins erleiden. Er gab jedoch nie falschen Kompromissen nach und begnügte sich nicht mit einem oberflächlichen Konsens. Er blieb immer aufrichtig in seiner Suche nach der Wahrheit, treu gegenüber den Aufrufen des eigenen Gewissens und ausgerichtet auf das Ideal der Heiligkeit.

Das zweite von Newman gewählte Motto – „Wachstum ist der einzige Beweis des Lebens“ (ebd.) – bekundet treffend seine Bereitschaft zur ständigen Bekehrung, zum Wandel und zum inneren Wachstum, stets voll Zuversicht auf Gott gestützt. So entdeckte er seine Berufung zum Dienst am Wort Gottes. Er wandte sich den Kirchenvätern zu, um mehr Licht zu finden, arbeitete für eine echte Erneuerung des Anglikanismus und konvertierte schließlich zur katholischen Kirche. Seine eigene Erfahrung des Wachsens in Treue zu sich selbst und zum Willen des Herrn faßte er in den bekannten Worten zusammen: „Hienieden heißt leben sich wandeln, und vollkommen sein heißt sich oft gewandelt haben“ (J. H. Newman, Über die Entwicklung der Glaubenslehre, Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1969, S. 41). Newman war während seines ganzen Lebens ein Mensch, der sich bekehrte, der sich wandelte, und auf diese Weise blieb er immer er selbst und fand immer mehr zu sich selbst.

Das Wissen um den Primat Gottes prägt zutiefst auch die zahlreichen Schriften Newmans. In dem genannten Werk Über die Entwicklung der Glaubenslehre schrieb er, „daß es eine Wahrheit gibt; daß es nur eine Wahrheit gibt; … daß das Forschen nach der Wahrheit keine bloße Befriedigung der Neugier ist; daß ihre Erlangung nichts von der Erregung einer Entdeckung hat; daß der menschliche Geist der Wahrheit unterworfen ist, nicht über sie herrscht; daß er verpflichtet ist, statt großspurig über sie zu reden, ihr in Ehrfurcht zu begegnen“ (S. 309). Für Newman zeigt sich der Primat Gottes im Primat der Wahrheit: einer Wahrheit, die man vor allem dadurch suchen muß, daß man das eigene Herz aufnahmebereit macht, und zwar durch eine offene und aufrichtige Auseinandersetzung mit allen Menschen; einer Wahrheit, die ihren Gipfel findet in der Begegnung mit Christus, der „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ ist (Jn 14,6). Newman legte für die Wahrheit Zeugnis ab durch sein reiches literarisches Schaffen, das von der Theologie zur Poesie, von der Philosophie zur Pädagogik, von der Exegese zur Geschichte des Christentums und von Romanen zu Betrachtungen und Gebeten reicht.

Bei der Darlegung und Verteidigung der Wahrheit achtete Newman stets auch auf eine angemessene Sprache, auf die rechte Form und auf den passenden Ton. Er bemühte sich, nie jemanden zu verletzen, vom freundlichen inneren Licht („kindly light“) Zeugnis zu geben und durch Demut, Freude und Geduld zu überzeugen. In einem Gebet wandte er sich an den heiligen Philipp Neri und bat, „daß mein Gesicht immer offen und heiter sei und meine Worte freundlich und gütig, wie es denen geziemt, die in jeder Lebenslage das köstlichste der Güter ihr eigen nennen: die Huld Gottes und die Hoffnung auf die ewige Seligkeit“ (J. H. Newman, Betrachtungen und Gebete, Kösel Verlag, München 1952, S. 342).

Dem seligen John Henry Newman, der uns meisterhaft lehrt, daß der Primat Gottes der Primat der Wahrheit und der Liebe ist, vertraue ich die Überlegungen und Arbeiten dieses Symposiums an und erteile Ihnen und allen Teilnehmern gerne auf Fürsprache der Jungfrau Maria, der Mutter der Kirche, den erbetenen Apostolischen Segen als Unterpfand reicher himmlischer Gaben.

54 Aus dem Vatikan, am 18. November 2010

BENEDIKT XVI.




BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI.

AN KARDINAL GIANFRANCO RAVASI,

PRÄSIDENT DES PÄPSTLICHEN RATS FÜR DIE KULTUR, ANLÄSSLICH DER 15. ÖFFENTLICHEN SITZUNG DER PÄPSTLICHEN AKADEMIEN




An den verehrten Bruder
Kardinal Gianfranco Ravasi
Präsident des Päpstlichen Rats für die Kultur

Anläßlich der 15. Öffentlichen Sitzung der Päpstlichen Akademien freue ich mich, Ihnen meinen herzlichen Gruß zukommen zu lassen. Gern schließe ich darin die Präsidenten und die Akademiker ein, insbesondere Sie, verehrter Bruder und Vorsitzender des Koordinierungsrats. Mein Gruß gilt ebenso den Herren Kardinälen, den Bischöfen, den Priestern, den Ordensmännern und Ordensfrauen, den Damen und Herren Botschaftern sowie allen Teilnehmern an dieser jährlichen Begegnung.

Vor nunmehr 15 Jahren errichtete der ehrwürdige Diener Gottes Johannes Paul II. den Koordinierungsrat und den »Preis der Päpstlichen Akademien« und gab damit der Entwicklung ihrer Tätigkeiten eine bedeutende Ermutigung und einen kräftigen Impuls. Jetzt muß das, was getan wurde, sorgfältig bewertet und der Weg der Erneuerung aller und einer jeden der Päpstlichen Akademien weiter angespornt werden, damit diese dem Apostolischen Stuhl und der ganzen Kirche in immer wirkkräftigerer Weise ihren Beitrag leisten können. Daher bitte ich Sie, verehrter Bruder, den Weg einer jeden Einrichtung mit besonderer Sorgfalt zu verfolgen und gleichzeitig einen Prozeß gegenseitiger Unterstützung und wachsender Zusammenarbeit zu fördern.

Die 15. Öffentliche Sitzung wurde von der Päpstlichen Internationalen Marianischen Akademie und von der Päpstlichen Akademie der Immaculata vorbereitet, die den sehr passenden Wunsch hatten, bei dieser feierlichen Versammlung den 60. Jahrestag der Verkündigung des Dogmas der Aufnahme Mariens in den Himmel in Erinnerung zu rufen, indem sie folgendes Thema vorschlugen: »Die Aufnahme Mariens in den Himmel, Zeichen des Trostes und der sicheren Hoffnung«. Am 1. November 1950, im Rahmen eines denkwürdigen Heiligen Jahres, promulgierte der ehrwürdige Diener Gottes Pius XII. die Apostolische Konstitution Munificentissimus Deus und verkündete auf dem Petersplatz feierlich dieses Dogma. Einige Jahre zuvor, 1946, hatte P. Carlo Balic OFM die Internationale Marianische Akademie gegründet, um die Bewegung, die auf das Dogma der Aufnahme Mariens in den Himmel hinwirkte, zu unterstützen und zu koordinieren.

In dem schwierigen und heiklen geschichtlichen Augenblick, der auf das Ende des Zweiten Weltkriegs folgte, wollte Pius XII. nicht nur den Katholiken, sondern allen Männern und Frauen guten Willens die einzigartige Gestalt Mariens als Vorbild und Urbild der neuen, von Christus erlösten Menschheit vor Augen halten. Er sagte: »Es ist auch zu hoffen, daß durch die Betrachtung des herrlichen Beispiels Marias mehr und mehr die Einsicht wächst, welch hohen Wert das menschliche Leben hat […]. Und ferner läßt sich […] wohl erwarten, daß die Wahrheit von der Himmelfahrt Mariens allen in klarem Lichte zeige, für welch erhabenes Ziel wir nach Leib und Seele bestimmt sind. Endlich wird der Glaube an die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel den Glauben auch an unsere Auferstehung stärken und wirksam beleben« (Munificentissimus Deus, 42). Ich halte diese Wünsche für äußerst zeitgemäß, und auch ich lade Sie alle ein, sich von Maria leiten zu lassen, um Verkündiger und Zeugen der Hoffnung zu sein, die der Betrachtung der Geheimnisse Christi entspringt, der für unser Heil gestorben und auferstanden ist.

Wie das Zweite Vatikanische Konzil in der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium lehrt, ist Maria in der Tat Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes für das in der Geschichte pilgernde Gottesvolk: »Wie die Mutter Jesu, im Himmel schon mit Leib und Seele verherrlicht, Bild und Anfang der in der kommenden Weltzeit zu vollendenden Kirche ist, so leuchtet sie auch hier auf Erden in der Zwischenzeit bis zur Ankunft des Tages des Herrn (vgl. 2P 3,10) als Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes dem wandernden Gottesvolk voran« (LG 68). In der Enzyklika Spe salvi, die der christlichen Hoffnung gewidmet ist, habe ich natürlich auch an die besondere Rolle Mariens erinnert, die den Weg der Gläubigen in die himmlische Heimat stützt und leitet. Ich habe mich an sie gewandt und sie als »Stern der Hoffnung« für die Kirche und für die gesamte Menschheit angerufen (vgl. ). Maria ist der Stern, der in Licht und Schönheit erglänzt, der unsere Zukunft ankündigt und vorwegnimmt, das endgültige Sein, zu dem Gott, der barmherzige Vater, uns beruft.

Die Kirchenväter und Kirchenlehrer haben, indem sie auch den allgemeinen Glaubenssinn der Gläubigen wiedergaben und über das nachdachten, was in der Liturgie gefeiert wurde, das einzigartige Vorrecht Mariens verkündigt und ihre leuchtende Schönheit beschrieben, die unsere Hoffnung stützt und nährt. Der hl. Johannes von Damaskus, der der Aufnahme Mariens in den Himmel drei großartige Predigten widmete, die um das Jahr 740 in Jerusalem an dem Ort gehalten wurden, wo die Überlieferung das Grab Mariens ansiedelt, sagt: »Deine Seele stieg nicht in die Unterwelt hinab; dein Fleisch erfuhr die Verwesung nicht. Dein völlig makelloser und schöner Leib blieb nicht in der Erde, im Gegenteil: Du sitzt auf dem Thron im Himmelreich als Königin, Herrin, Herrscherin, Gottesmutter, wahre in den Himmel aufgenommene Gottesgebärerin« (Predigt über die Entschlafung: ).

Dieser Stimme der Kirche des Ostens entspricht im lateinischen Westen unter vielen anderen jene des hl. Bernhard von Clairvaux, des großen Marienverehrers, der die Aufnahme Mariens in den Himmel so beschreibt: »Unsere Königin ist uns vorangegangen; sie ist uns vorangegangen und wurde so feierlich aufgenommen, daß die Diener ihrer Herrin vertrauensvoll folgen und sagen können: ›Köstlich ist der Duft deiner Salben ... Zieh mich her hinter dir! Laß uns eilen!‹ (). Unsere pilgernde Menschheit hat ihre Fürsprecherin vorausgesandt; als Mutter des Richters und Mutter der Barmherzigkeit kann sie sich unserem Heil mit Hingabe und Wirkkraft widmen. Unsere Erde hat heute ein kostbares Geschenk zum Himmel gesandt, damit sich im Geben und Nehmen, in glückseliger gegenseitiger Freundschaft das Menschliche mit dem Göttlichen, das Irdische mit dem Himmlischen, das Niedere mit dem Höchsten vereint […] Sie ist die Königin des Himmels, sie ist Barmherzigkeit, sie ist die Mutter des eingeborenen Sohnes Gottes« (In assumptione B.M.V., Sermo I: PL 183,415).

55 Jene »via pulchritudinis« beschreitend, die der Diener Gottes Paul VI. als fruchtbaren Weg theologischer und mariologischer Forschung angab, möchte ich auf die tiefe Übereinstimmung zwischen dem theologischen und dem mystischen Denken, der Liturgie, der Marienverehrung und der Kunstwerke verweisen, die in wunderbaren Farben und Formen das Geheimnis der Aufnahme Mariens in den Himmel und ihre himmlische Herrlichkeit bei ihrem Sohn besingen. Ich lade euch ein, unter den Kunstwerken zwei besonders bedeutende in Rom zu bewundern: die Apsismosaiken der Marienbasiliken »Santa Maria Maggiore« und »Santa Maria in Trastevere«.

Theologische und geistliche Reflexion, Liturgie, Marienverehrung und künstlerische Darstellung bilden wirklich eine Einheit, eine vollständige und wirkkräftige Botschaft, die in der Lage ist, den Betrachter in Staunen zu versetzen, das Herz zu berühren und die Intelligenz zu einem noch tieferen Verständnis des Geheimnisses Mariens anzuspornen, in dem wir unsere Bestimmung, unsere Hoffnung deutlich widergespiegelt und angekündigt sehen. Ich möchte daher diese Gelegenheit ergreifen, um Theologen und Mariologen einzuladen, die »via pulchritudinis« zu beschreiten, und ich hoffe, daß auch in unseren Tagen durch eine größere Zusammenarbeit zwischen Theologen, Liturgiewissenschaftlern und Künstlern allen Menschen einprägsame und wirkkräftige Botschaften zur Bewunderung und zur Betrachtung unterbreitet werden können.

Um alle zu ermutigen, die zur Förderung und Verwirklichung eines neuen christlichen Humanismus einen Beitrag leisten wollen, freue ich mich, dem vom Koordinierungsrat formulierten Vorschlag zu entsprechen und den »Preis der Päpstlichen Kirchlichen Akademien« »ex e »Marian Academy of India« zu verleihen, eine junge und tatkräftige mariologisch-marianische Gesellschaft mit Sitz in Bangalore in Indien – vertreten durch ihren Präsidenten Kulandaisamy Rayar –, und an Herrn Professor Luís Alberto Esteves dos Santos Casimiro für seine Dissertation mit dem Titel A Anunciação do Senhor na pintura quinhentista portuguesa (15001550). Análise geométrica, iconográfica e significado iconológico«.

Außerdem möchte ich, daß als Zeichen der Anerkennung und der Ermutigung der Gruppe »Gen Verde«, einer Ausdrucksform der Fokolarbewegung, eine Pontifikatsmedaille für ihre künstlerische Arbeit verliehen werde, die stark von den Werten des Evangeliums geprägt und offen ist für den Dialog zwischen den Völkern und den Kulturen. Abschließend wünsche ich euch einen immer leidenschaftlicheren Einsatz in den jeweiligen Tätigkeitsgebieten und vertraue einen jeden von euch und eure Arbeit dem mütterlichen Schutz der Jungfrau Maria an, der »Tota pulchra«, dem Stern der Hoffnung, und erteile Ihnen, Herr Kardinal, sowie allen Anwesenden einen besonderen Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 15. Dezember 2010




BENEDIKT XVI.





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