ANSPRACHE 2010 68

AN DIE MITGLIEDER DER STIFTUNG "CENTESIMUS ANNUS - PRO PONTIFICE"

Samstag, 22. Mai 2010

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Herr Kardinal,
verehrte Mitbrüder im bischöflichen
und priesterlichen Dienst,
sehr verehrte und liebe Freunde!

Es freut mich, euch anläßlich der von der Stiftung »Centesimus Annus - Pro Pontifice« organisierten Studientagung willkommenheißen zu dürfen. Ich grüße Herrn Kardinal Attilio Nicora, Erzbischof Claudio Maria Celli und alle weiteren hier anwesenden Bischöfe und Priester. Ein besonderer Gedanke gilt dem Präsidenten, Dr. Domingo Sugranyes Bickel, dem ich für seine freundlichen Worte danke, sowie euch, liebe Berater und Mitglieder der Stiftung, die ihr zusammen mit euren Familienangehörigen zu mir gekommen seid.

Ich schätze es sehr, daß eure Begegnung die Beziehung zwischen »Entwicklung, Fortschritt und Gemeinwohl« in den Mittelpunkt ihres Nachdenkens stellt. Die Menschheitsfamilie kann nämlich heute mehr denn je nur dann als eine freie Gesellschaft von freien Völkern wachsen, wenn die Globalisierung von der Solidarität und dem Gemeinwohl wie auch von der dazugehörigen sozialen Gerechtigkeit geleitet wird, die in der Botschaft Christi und der Kirche eine kostbare Quelle finden. Die Krise und die Schwierigkeiten, unter denen zum gegenwärtigen Zeitpunkt die internationalen Beziehungen, die Staaten, die Gesellschaft und die Wirtschaft leiden, sind nämlich in hohem Maße durch den Mangel an Vertrauen und an einer angemessenen Ausrichtung an kreativer und dynamischer, auf das Gemeinwohl ausgerichteter Solidarität verursacht, die zu echt menschlichen Beziehungen der Freundschaft, der Solidarität und der Gegenseitigkeit auch »im Binnenbereich« der wirtschaftlichen Tätigkeit führen könnte. Das Gemeinwohl ist das Ziel, das dem Fortschritt und der Entwicklung Sinn gibt, die sich andernfalls allein auf die Produktion von materiellen Gütern beschränken würden; sie sind notwendig, doch ohne die Ausrichtung auf das Gemeinwohl kommt es am Ende zur Vorherrschaft von Konsumismus, Verschwendung, Armut und Ungleichgewicht; letztere sind Faktoren, die der Entwicklung entgegenstehen.

Wie ich in der Enzyklika Caritas in veritate festgestellt habe, besteht eine der größten Gefahren der gegenwärtigen Welt darin, »daß der tatsächlichen Abhängigkeit der Menschen und der Völker untereinander keine ethische Wechselbeziehung von Gewissen und Verstand der Beteiligten entspricht, aus der eine wirklich menschliche Entwicklung als Ergebnis hervorgehen könnte« (). Eine derartige Wechselbeziehung scheint zum Beispiel bei jenen Regierenden zu schwach ausgeprägt zu sein, die angesichts der sich wiederholenden Episoden von unverantwortlichen Spekulationen gegenüber den schwächsten Ländern nicht mit angemessenen Entscheidungen zur Leitung des Finanzwesens reagieren. Die Politik muß den Vorrang vor dem Finanzwesen haben, und die Ethik muß allem Handeln Orientierung geben.

Ohne den Bezugspunkt des universalen Gemeinwohls kann man nicht sagen, daß es ein wahres Weltethos und den ihm entsprechenden Willen gibt, es mit angemessenen Institutionen zu verwirklichen. Es ist daher entscheidend, daß jene Güter ermittelt werden, zu denen alle Völker im Hinblick auf ihre menschliche Erfüllung Zugang erhalten müssen. Und dies darf nicht in irgendeiner Art und Weise geschehen, sondern in geordneter und harmonischer Weise. Das Gemeinwohl setzt sich nämlich aus verschiedenen Gütern zusammen: aus materiellen, kognitiven und institutionellen Gütern sowie aus moralischen und geistlichen Gütern; letztgenannte sind die höheren Güter, denen erstere unterzuordnen sind. Der Einsatz für das Gemeinwohl der Familie der Völker wie für jede Gesellschaft bedeutet, die Gesamtheit der Institutionen, die das soziale Leben rechtlich, zivil, politisch und kulturell strukturieren, einerseits zu schützen und andererseits sich ihrer zu bedienen, so daß auf diese Weise die pólis, die Stadt des Menschen, Gestalt annimmt (vgl. ebd., 7). Es ist daher sicherzustellen, daß die wirtschaftlich-produktive Ordnung sozial verantwortlich und nach dem Maß des Menschen ausgerichtet wird und zwar durch gemeinsames und einheitliches Handeln in verschiedenen Bereichen, auch auf internationaler Ebene (vgl. ebd., 57.67). Gleichzeitig wird die Festigung der Verfassungs-, Rechts- und Verwaltungssysteme in den Ländern, die sich dieser Güter noch nicht vollkommen erfreuen, gefördert werden müssen. Neben der wirtschaftlichen Hilfe bedarf es also der Unterstützung, um die dem Rechtsstaat eigenen Garantien, ein gerechtes und wirksames System der öffentlichen Ordnung unter Einhaltung der Menschenrechte sowie wirklich demokratische und Anteil haben lassende Institutionen zu stärken (vgl. ebd., 41).

Was jedoch hinsichtlich der Entwicklung der ganzen Familie der Völker grundlegend und vorrangig ist, ist der Einsatz für die Anerkennung der wahren Werte und Güter-Skala. Allein dank einer korrekten Hierarchie der menschlichen Güter ist es möglich zu verstehen, welche Art von Entwicklung gefördert werden muß. Die ganzheitliche Entwicklung der Völker ergibt sich nicht allein aus der Verbreitung der unternehmerischen Tätigkeit (vgl. ebd.), der materiellen und kognitiven Güter wie Wohnung und Bildung und der zur Verfügung stehenden Wahlmöglichkeiten. Sie ist besonders mit dem Wachstum jener guten Entscheidungen gegeben, die möglich sind, wenn ein Begriff von integralem menschlichen Wohl gegeben ist, wenn es ein »télos«, ein Ziel, gibt, in dessen Licht die Entwicklung konzipiert und gewollt wird.

Der Begriff der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung setzt präzise Koordinaten wie Subsidiarität und Solidarität sowie die wechselseitige Abhängigkeit von Staat, Gesellschaft und Markt voraus. In einer Weltgesellschaft, die sich aus vielen Völkern und unterschiedlichen Religionen zusammensetzt, müssen das Gemeinwohl und die ganzheitliche Entwicklung mit dem Beitrag aller erlangt werden. Dabei sind die Religionen von entscheidender Bedeutung, besonders wenn sie die Brüderlichkeit und den Frieden lehren, da sie dazu erziehen, in unseren von der Säkularisierung gezeichneten Gesellschaften Gott Raum zu geben und offen zu sein für die Transzendenz. Der Ausschluß der Religion vom öffentlichen Bereich wie andererseits der religiöse Fundamentalismus behindern die Begegnung zwischen den Menschen und ihre Zusammenarbeit für den Fortschritt der Menschheit; das Leben der Gesellschaft verarmt an Motivationen, und die Politik nimmt ein unerträgliches und aggressives Gesicht an (vgl. ebd., 56). Liebe Freunde, die christliche Sicht der Entwicklung, des Fortschrittes und des Gemeinwohls, wie sie aus der Soziallehre der Kirche hervorgeht, entspricht den tiefsten Erwartungen des Menschen, und euer Einsatz zu ihrer Vertiefung und Verbreitung bildet einen wertvollen Beitrag zur Errichtung der »Zivilisation der Liebe«. Daher bringe ich euch meine Dankbarkeit und meine besten Wünsche zum Ausdruck und erteile euch allen von Herzen meinen Segen.







AN DIE TEILNEHMER AN DER 61. VOLLVERSAMMLUNG DER ITALIENISCHEN BISCHOFSKONFERENZ

Donnerstag, 27. Mai 2010


Verehrte, liebe Mitbrüder!

70 Im Evangelium, das am vergangenen Sonntag, dem Hochfest Pfingsten, verkündet wurde, hat Jesus uns verheißen: »Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe« (Jn 14,26). Der Heilige Geist führt die Kirche in der Welt und in der Geschichte. Dank dieser Gabe des Auferstandenen bleibt der Herr im Lauf der Ereignisse gegenwärtig; durch den Heiligen Geist können wir in Christus den Sinn der menschlichen Begebenheiten erkennen. Der Heilige Geist macht aus uns Kirche, Einheit und Gemeinschaft, die unablässig versammelt, erneuert und auf die Erfüllung des Reiches Gottes ausgerichtet wird. Die kirchliche Gemeinschaft ist die Wurzel und der wesentliche Grund für euer Zusammenkommen sowie dafür, daß ich bei diesem jährlichen Anlaß erneut mit Freude unter euch bin. Ich möchte euch ans Herz legen, die Themen eurer Beratungen - bei denen ihr aufgerufen seid, über das Leben und die Erneuerung der Pastoralarbeit der Kirche in Italien nachzudenken - unter diesem Blickwinkel zu sehen.

Ich danke Herrn Kardinal Angelo Bagnasco für die freundlichen und tiefen Worte, die er an mich gerichtet und mit denen er euer aller Empfindungen zum Ausdruck gebracht hat: Der Papst weiß, daß er immer auf die italienischen Bischöfe zählen kann. Durch euch grüße ich die eurer Fürsorge anvertrauten Diözesangemeinschaften und schließe in meine Gedanken und meine spirituelle Nähe auch die gesamte italienische Bevölkerung ein.

Durch den Heiligen Geist gestärkt und in Fortführung des vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewiesenen Weges sowie insbesondere in Fortführung der pastoralen Orientierungen des eben zu Ende gegangenen Jahrzehnts habt ihr entschieden, die »Erziehung« als bestimmendes Thema für die kommenden zehn Jahre zu wählen. Dieser zeitliche Horizont entspricht der Radikalität und der Weite des Erziehungsproblems. Und es scheint mir notwendig zu sein, bis an die tiefen Wurzeln dieses Notstandes zu gehen, um angemessene Antworten auf diese Herausforderung zu finden. Ich sehe vor allem zwei Wurzeln. Ein wesentlicher Grund ist, so scheint es mir, ein falscher Begriff von der Freiheit des Menschen: Der Mensch soll sich nur aus sich selbst entwickeln, ohne die Auferlegung von Geboten durch andere, die zwar seine Selbstentwicklung fördern, aber in diese Entwicklung nicht eingreifen können. In Wirklichkeit ist für die menschliche Person die Tatsache grundlegend, daß sie nur durch den anderen sie selbst wird, das »Ich« findet sich selbst nur vom »Du« und vom »Ihr« her, es ist für den Dialog geschaffen, für die synchrone und diachrone Gemeinschaft. Und nur die Begegnung mit dem »Du« und dem »Wir« öffnet das »Ich« auf sich selbst hin. Daher ist die sogenannte antiautoritäre Erziehung keine Erziehung, sondern der Verzicht auf Erziehung: so wird das, was wir den anderen als Gabe schulden, nicht weitergegeben, das heißt dieses »Du« und »Wir«, in dem das »Ich« offen wird für sich selbst. Ein erster Punkt scheint mir daher folgender zu sein: Man muß die falsche Vorstellung von der Autonomie des Menschen überwinden, als die eines »Ich«, das in sich selbst vollständig da ist, während es dagegen auch in der gemeinsamen Begegnung mit dem »Du« und dem »Wir« »Ich selbst« wird.

Die zweite Wurzel des Erziehungsnotstandes sehe ich in Skeptizismus und Relativismus, oder einfacher und klarer ausgedrückt in den beiden Quellen, die dem Weg des Menschen Orientierung geben. Die erste Quelle sollte die Natur sein, die zweite Quelle die Offenbarung. Aber heute wird die Natur als ein rein mechanischer Sachverhalt betrachtet, der an sich überhaupt kein moralisches Gebot enthält, keine Werte, die Orientierung geben: sie ist ein rein mechanischer Sachverhalt und daher kommt aus dem Sein selbst keine Orientierung. Die Offenbarung wird entweder als ein Augenblick der historischen Entwicklung betrachtet und daher als relativ wie die gesamte historische und kulturelle Entwicklung. Oder man sagt, daß es vielleicht eine Offenbarung geben mag, aber diese habe keine objektiven Inhalte, sondern enthalte nur subjektive Entscheidungsgründe. Und wenn diese beiden Quellen, die Natur und die Offenbarung, schweigen, dann bleibt auch die dritte Quelle, die Geschichte, stumm, weil auch die Geschichte nur noch eine Ansammlung von kulturellen Entscheidungen wird, die zufällig, willkürlich getroffen werden und für Gegenwart und Zukunft keine Gültigkeit haben. Es ist also grundlegend, einen wahren Begriff von der Natur wiederzufinden als Schöpfung Gottes, die zu uns spricht; der Schöpfer spricht durch das Buch der Schöpfung zu uns und zeigt uns die wahren Werte. Und so müssen wir auch einen wahren Begriff von der Offenbarung wiederfinden: Wir müssen erkennen, daß das Buch der Schöpfung, in dem uns Gott die grundlegende Orientierung gibt, in der Offenbarung entschlüsselt sowie in der kulturellen und religiösen Geschichte umgesetzt und angeeignet wird, nicht ohne Irrtümer, aber im Kern in gültiger Weise, die immer neu zu entwickeln und zu läutern ist. In diesem »Konzert«, um es einmal so zu nennen, aus der Schöpfung, die in der Offenbarung entschlüsselt und in der immer weiter fortschreitenden Kulturgeschichte, in der wir immer mehr die Sprache Gottes finden, konkretisiert wird, eröffnen sich auch Hinweise für eine Erziehung, die nicht auferlegt wird, sondern wirkliche Öffnung des »Ich« für das »Du«, das »Wir« und das »Du« Gottes ist.

Die Schwierigkeiten sind enorm: Es gilt, die Quellen, die Sprache der Quellen wiederzufinden; aber auch im Bewußtsein der Last dieser Schwierigkeiten dürfen wir nicht mutlos werden und aufgeben. Erziehen war nie einfach, aber wir dürfen nicht aufgeben: wir würden den Auftrag sonst nicht erfüllen, den der Herr selbst uns anvertraut hat, als er uns dazu berief, mit Liebe seine Herde zu weiden. Wecken wir vielmehr in unseren Gemeinschaften wieder jene erzieherische Leidenschaft, die eine Leidenschaft des »Ich« für das »Du«, das »Wir«, für Gott ist und die nicht auf eine Didaktik hinausläuft, auf eine Gesamtheit von Techniken und nicht einmal auf die Weitergabe von trockenen Prinzipien. Erziehen bedeutet, die jungen Generationen zu formen, damit sie in Beziehung zur Welt zu treten wissen, gestützt auf eine bedeutungsvolle Erinnerung, die nicht nur zufällig geschieht, sondern von der Sprache Gottes bereichert wird, die wir in der Natur und in der Offenbarung finden, sowie von einem inneren geteilten Erbe, von der wahren Weisheit, die das transzendentale Ziel des Lebens erkennt und so den Gedanken, Gefühlen und dem Urteil Orientierung gibt.

Die jungen Menschen tragen einen Durst in ihrem Herzen, und dieser Durst ist eine Frage nach dem Sinn und die Sehnsucht nach echten menschlichen Beziehungen, die eine Hilfe sind, sich angesichts der Herausforderungen des Lebens nicht allein zu fühlen. Es ist der Wunsch nach einer Zukunft, die durch eine sichere und vertrauenswürdige Begleitung weniger unsicher wird - eine Begleitung, die sich jedem mit Feingefühl und Respekt nähert und solide Werte vorschlägt, von denen ausgehend man auf hohe, aber erreichbare Ziele hinwachsen kann. Unsere Antwort ist die Verkündigung Gottes als Freund des Menschen, der in Jesus jedem nahe geworden ist. Die Weitergabe des Glaubens ist ein unaufgebbarer Teil der ganzheitlichen Bildung der Person, denn in Jesus Christus verwirklicht sich der Plan eines gelungenen Lebens, wie es uns das Zweite Vatikanische Konzil lehrt: »Wer Christus, dem vollkommenen Menschen, folgt, wird auch selbst mehr Mensch« (Gaudium et spes GS 41). Die persönliche Begegnung mit Jesus ist der Schlüssel, um die Bedeutung Gottes im alltäglichen Leben wahrzunehmen, das Geheimnis, um es in der brüderlichen Nächstenliebe hinzugeben, die Bedingung, um sich immer wieder vom Fall zu erheben und zu ständiger Umkehr zu gelangen.

Der Erziehungsauftrag, den ihr als vorrangig erkannt habt, nutzt die Zeichen und Traditionen, an denen Italien so reich ist. Er braucht glaubwürdige Orte: vor allem die Familie mit ihrer besonderen und unaufgebbaren Rolle; die Schule, ein gemeinsamer Horizont jenseits der ideologischen Optionen; die Pfarrei, »Dorfbrunnen«, Ort und Erfahrung, die im Gewebe der alltäglichen Beziehungen in den Glauben einführt. In allen diesen Bereichen bleibt die Qualität des Zeugnisses, der bevorzugte Weg der kirchlichen Sendung, von entscheidender Bedeutung. Die Annahme des christlichen Angebots stützt sich auf Beziehungen aus der Nähe, die geprägt sind von Loyalität und Vertrauen. In einer Zeit, in der die große Tradition der Vergangenheit Gefahr läuft, toter Buchstabe zu bleiben, sind wir dazu berufen, jedem mit immer neuer Verfügbarkeit zur Seite zu stehen und ihn auf dem Weg der Entdeckung und der persönlichen Aneignung der Wahrheit zu begleiten. Und indem wir dies tun, können auch wir selbst die grundlegenden Wirklichkeiten neu entdecken.

Neue Zeit der Evangelisierung fördern Die Absicht, eine neue Zeit der Evangelisierung zu fördern, verheimlicht nicht die Wunden, von denen die kirchliche Gemeinschaft aufgrund der Schwäche und Sünde einiger ihrer Glieder gekennzeichnet ist. Dieses demütige und schmerzhafte Eingeständnis darf aber nicht den unentgeltlichen und leidenschaftlichen Dienst von so vielen Gläubigen vergessen lassen, angefangen von den Priestern. Das ihnen gewidmete besondere Jahr sollte eine Gelegenheit bieten, um eine innere Erneuerung zu fördern als Bedingung für einen wirksameren Einsatz im Dienst und für das Evangelium.

Zugleich hilft es uns auch, das Zeugnis der Heiligkeit derer zu erkennen, die sich - nach dem Vorbild des Pfarrers von Ars - restlos hingeben, um zur Hoffnung, zum Glauben und zur Liebe zu erziehen. In diesem Licht muß sich für uns das, was Grund des Anstoßes ist, verwandeln in einen Hinweis darauf, daß es zutiefst notwendig ist, neu zu lernen, Buße zu tun, die Reinigung anzunehmen; einerseits vergeben zu lernen, aber auch die Notwendigkeit der Gerechtigkeit zu sehen (vgl. Interview von Papst Benedikt XVI. mit den Journalisten auf dem Flug nach Portugal, 11. Mai 2010).

Liebe Mitbrüder, ich ermutige euch, den Weg des Einsatzes in der Erziehung ohne Zögern zu gehen. Der Heilige Geist möge euch helfen, nie das Vertrauen in die Jugendlichen zu verlieren; er sporne euch an, ihnen entgegenzugehen; er führe euch dazu, ihre Lebensumfelder zu frequentieren, einschließlich dem der neuen Kommunikationstechnologien, die mittlerweile die Kultur in jeder ihrer Äußerung durchdringen. Es geht nicht darum, das Evangelium der Welt anzupassen, sondern aus dem Evangelium jene ewige Neuheit zu schöpfen, die es ermöglicht, in jeder Zeit die angemessenen Formen zu finden, um das Wort, das nicht vergeht, zu verkünden und so die menschliche Existenz zu befruchten und ihr zu dienen. Stellen wir den jungen Menschen also wieder den hohen und transzendenten Maßstab des Lebens vor Augen, verstanden als Berufung. Berufen zum geweihten Leben, zum Priestertum, zur Ehe mögen sie großherzig auf den Ruf des Herrn zu antworten wissen, denn nur so werden sie das, was wesentlich für einen jeden von ihnen ist, erfassen können. Die Erziehungsaufgabe ist der Ort für eine weitreichende Konvergenz der Ziele: Die Erziehung und Bildung der jungen Generationen muß in der Tat allen Menschen guten Willens am Herzen liegen und ist eine Anfrage an die Fähigkeit der gesamten Gesellschaft, vertrauenswürdige Bezugspunkte für die harmonische Entwicklung der Personen zuzusichern.

Auch Italien ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt gekennzeichnet von einer Unsicherheit in bezug auf die Werte, die sich klar äußert in der Mühe vieler Erwachsener, den eingegangenen Verpflichtungen treu zu bleiben: das ist ein Zeichen für eine kulturelle und spirituelle Krise, die ebenso schwerwiegend ist wie die Wirtschaftskrise. Es wäre eine Illusion - das möchte ich unterstreichen -, der einen entgegentreten zu wollen und dabei die andere zu ignorieren. Während ich an alle Verantwortlichen der öffentlichen Hand und die Unternehmer appelliere, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Folgen der Beschäftigungskrise abzumildern, fordere ich daher alle auf, über die Voraussetzungen eines guten und sinnvollen Lebens nachzudenken, die jenes Ansehen begründen, das allein erzieherisch wirkt und zu den wahren Quellen der Werte zurückführt. Denn der Kirche liegt das Gemeinwohl am Herzen, das uns dazu verpflichtet, wirtschaftliche und intellektuelle, moralische und spirituelle Ressourcen zu teilen, indem wir lernen, die Probleme und Herausforderungen dieses Landes gemeinsam, in einem Kontext der Gegenseitigkeit anzugehen. Diese in eurem kürzlich veröffentlichten Dokument über die Kirche und den Süden Italiens bereits ausführlich entwickelte Perspektive wird in den kommenden »Sozialen Wochen der Katholiken Italiens« weiter vertieft werden. Diese sollen im Oktober in Reggio Calabria stattfinden, wo ihr euch gemeinsam mit den besten Kräften des katholischen Laientums dafür einsetzen werdet, eine Agenda der Hoffnung für Italien zu entwerfen, »damit die Ansprüche der Gerechtigkeit einsichtig und politisch durchsetzbar werden« (Enzyklika Deus caritas est ). Euer Dienst, liebe Mitbrüder, und die Lebendigkeit eurer Diözesangemeinschaften, deren Leitung euch anvertraut ist, sind die beste Versicherung dafür, daß die Kirche weiterhin verantwortungsvoll ihren Beitrag zum sozialen und moralischen Wachstum Italiens anbieten wird.

71 Aus Gnade dazu berufen, der Hirte der universalen Kirche und Hirte der wundervollen Stadt Rom zu sein, trage ich eure Sorgen und Erwartungen beständig in meinem Herzen. Ich habe sie in den vergangenen Tagen - zusammen mit denen der ganzen Menschheit - zu Füßen der Muttergottes von Fatima niedergelegt. An sie richten wir unser Gebet: »Jungfrau, Mutter Gottes und unsere über alles geliebte Mutter, deine Gegenwart lasse die Wüste unserer Einsamkeit neu erblühen und die Sonne über unserer Dunkelheit leuchten und bringe nach dem Sturm die Ruhe zurück, damit jeder Mensch das Heil des Herrn sehe, das den Namen und das Gesicht Jesu trägt, der sich in unseren Herzen widerspiegelt, da sie stets eins mit dem deinen sind. Amen« (Fátima, 12. Mai 2010). Ich danke euch und segne euch von Herzen.





AN HERRN COMLANVI THÉODORE LOKO, NEUER BOTSCHAFTER VON BENIN BEIM HL. STUHL


: Freitag, 28. Mai 2010



Herr Botschafter!

Mit Freude empfange ich Sie zu Beginn Ihrer Mission beim Heiligen Stuhl und danke Ihnen für die freundlichen Worte, die Sie soeben an mich gerichtet haben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie im Gegenzug Seiner Exzellenz Thomas Boni Yayi, an dessen Besuch ich mich gut erinnere, die besten Wünsche für seine Person und für die Erfüllung seiner hohen Sendung im Dienst am beninischen Volk übermitteln würden. Danken Sie ihm auch für seinen Wunsch, Benin durch einen in Rom residierenden Botschafter beim Heiligen Stuhl vertreten zu wollen. Ich schätze diese Geste, welche die Vortrefflichkeit der Beziehungen zwischen der Republik Benin und dem Heiligen Stuhl herausstellt sowie die große Wertschätzung, die das beninische Volk der katholischen Kirche entgegenbringt. Meine guten Wünsche gelten ebenfalls der Regierung und den Autoritäten Ihres Landes sowie allen Beninern.

In Ihrer Ansprache haben Sie den schmerzlich vermißten Kardinal Bernardin Gantin erwähnt. Dieser vor zwei Jahren verstorbene Mann der Kirche war nicht nur ein edler Sohn Ihrer Nation, sondern auch ein echter Brückenbauer zwischen den Kulturen und Kontinenten. Ich bin sicher, daß seine Gestalt für zahlreiche Beniner, insbesondere für die Jüngeren, ein Vorbild sein wird. Sein Dienst für die Kirche wird die Männer und Frauen der Kirche anspornen, einen großherzigen und immer kompetenteren Dienst zum Wohl Ihres geliebten Landes zu leisten, das im nächsten Jahr das 150-Jahr-Jubiläum seiner Evangelisierung feiern wird.

Vor zwanzig Jahren, im Februar 1990, hat sich die »Konferenz der lebendigen Kräfte der Nation« versammelt. Dieses wichtige Ereignis - das nicht nur politischer Natur war, sondern genauso von einer inneren Beziehung zwischen dem Glauben und dessen Ausdruck im öffentlichen Leben Benins zeugte - war entscheidend für die Zukunft des Landes und ist weiterhin eine Inspiration für die Gegenwart. Ich bitte Gott, die Anstrengungen all derer zu segnen, die für den Aufbau einer Gesellschaft tätig sind, die auf Gerechtigkeit und Frieden gegründet ist, in Anerkennung der Rechte aller Glieder der Nation. Die Verwirklichung dieses Ideals erfordert die brüderliche Einheit, die Liebe zur Gerechtigkeit und die Wertschätzung der Arbeit.

Als Hauptakteure ihres Schicksals sind die Beniner eingeladen, eine echte Brüderlichkeit zu fördern. Sie ist eine wesentliche Bedingung für den sozialen Frieden und ein Faktor der ganzheitlichen Förderung des Menschen. Sie ist eine wertvolle Perle, die man bewahren und pflegen muß, indem man Spaltungen vermeidet, die die Einheit der Nation und die Harmonie selbst im Herzen der Familien beeinträchtigen können. Angesichts solcher potentieller Destabilisierungen werden die aus eurem kulturellen Erbe geschöpften Werte eine wertvolle Hilfe sein, um eure Identität und Berufung zu stärken. Unter diesen Werten möchte ich besonders die Achtung der Heiligkeit und Unantastbarkeit des Lebens hervorheben. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden im Hinblick auf all das, was dagegen verstößt, insbesondere im Bereich der Gesetzgebung.

Als konkreter Ausdruck der gleichen Würde aller Bürger ist die Brüderlichkeit ein fundamentales Prinzip und eine grundlegende Tugend, um eine wahrhaft gut entwickelte Gesellschaft zu verwirklichen, denn sie ermöglicht die Nutzung aller menschlichen und spirituellen Potentiale.

Die Brüderlichkeit muß auch zum Streben nach Gerechtigkeit führen, deren Fehlen immer Ursache von sozialen Spannungen ist und zahlreiche unheilvolle Konsequenzen mit sich bringt. »Der Friede ist gefährdet, wenn dem Menschen das, was ihm aufgrund seines Menschseins zusteht, nicht gegeben wird, wenn seine Würde nicht respektiert wird und wenn das Zusammenleben nicht auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist« (Kompendium der Soziallehre der Kirche, 494).

Die Verfolgung des Eigeninteresses zum Schaden des Gemeinwohls ist ein Übel, das nach und nach die öffentlichen Institutionen untergräbt und so auch die ganzheitliche Entwicklung des Menschen hemmt. Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Akteure einer Nation sind gleichsam deren »wachsames Gewissen«, das die Transparenz ihrer Strukturen ebenso gewährleistet wie die Ethik, die das Leben der gesamten Gesellschaft beseelt. Sie müssen gerecht sein. Gerechtigkeit geht immer zusammen mit Brüderlichkeit. Sie ist ein Faktor der Effektivität und des sozialen Gleichgewichts, und sie ermöglicht der Bevölkerung Benins an den menschlichen und natürlichen Ressourcen Anteil zu haben, in Würde zu leben und die Zukunft ihrer Kinder sicherzustellen.

In der Entwicklung einer Gesellschaft nimmt die Arbeit einen herausragenden Platz ein. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil des Menschseins (vgl. ebd., 256), denn der Mensch verwirklicht sich durch seine Arbeit. Die Liebe zur Arbeit adelt ihn und schafft eine wirkliche Symbiose zwischen den Personen, wie auch zwischen den Menschen und den anderen Elementen der Schöpfung.

72 Wenn der Mensch die Arbeit wertschätzt, kann er seine vitalen Bedürfnisse erfüllen und zum Aufbau einer blühenden, gerechten und brüderlichen Gesellschaft beitragen. Das Motto Benins »Brüderlichkeit - Gerechtigkeit - Arbeit« ist also ein echtes Kompendium der Charta einer Nation, die von hohen menschlichen Idealen geprägt ist. Ihre Verwirklichung trägt auch dazu bei, die Solidarität auf die anderen Nationen auszuweiten. In dieser Hinsicht möchte ich allen Beninern danken für die aktive Brüderlichkeit, die sie vor kurzem nach dem dortigen Erdbeben gegenüber der Bevölkerung Haitis gezeigt haben.

Herzlich möchte ich durch Sie die katholische Gemeinschaft Benins und ihre Hirten grüßen. Ich ermutige sie, immer mehr echte Zeugen des Glaubens und der brüderlichen Liebe zu werden, wie Christus sie uns gelehrt hat. Ich begrüße auch alle Anstrengungen, die insbesondere von den Autoritäten unternommen werden, um die respektvollen und von gegenseitiger Wertschätzung geprägten Beziehungen zwischen den religiösen Bekenntnissen Ihres Landes zu konsolidieren. Die Religionsfreiheit trägt sicherlich dazu bei, die Demokratie zu bereichern und die Entwicklung zu fördern.

Jetzt da ihr hohes Amt als erster in Rom residierender, beim Heiligen Stuhl akkreditierter Leiter der Mission beginnt, spreche ich Ihnen, Herr Botschafter, meine besten Wünsche aus und versichere Sie der vollen Bereitschaft meiner Mitarbeiter, Ihnen jegliche Unterstützung zu geben, derer Sie in Erfüllung Ihrer Funktion bedürfen. Ich bitte Gott, dem beninischen Volk beizustehen und erteile Ihnen, Ihren Mitarbeitern und Angehörigen von Herzen den Apostolischen Segen.







AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG DES PÄPSTLICHEN RATES DER SEELSORGE FÜR DIE MIGRANTEN UND MENSCHEN UNTERWEGS

Sala Clementina - Freitag, 28. Mai 2010

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Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Mit großer Freude empfange ich euch anläßlich der Vollversammlung des Päpstlichen Rates der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs. Ich begrüße den Präsidenten des Dikasteriums, Erzbischof Antonio Maria Vegliò, dem ich für die herzlichen und freundlichen Worte danke, den Sekretär, die Mitglieder, die Konsultoren und die Mitarbeiter. Allen wünsche ich eine ertragreiche Arbeit.

Ihr habt diese Sitzungsperiode unter das Thema gestellt: »Seelsorge der menschlichen Mobilität heute, im Kontext der Mitverantwortung der Staaten und der Internationalen Organisationen«. Der Personenverkehr ist schon seit langem Gegenstand internationaler Konventionen, die darauf ausgerichtet sind, den Schutz der Grundrechte des Menschen zu gewährleisten und Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz zu bekämpfen. Diese Dokumente bieten nationenübergreifende Schutzprinzipien und -maßnahmen.

Anerkennung verdienen die Bemühungen, ein gemeinsames Regelwerk aufzubauen, das die Rechte und Pflichten des Fremden sowie der Gemeinschaften, die ihn aufnehmen, zum Inhalt hat. Die Würde eines jeden Menschen, der von Gott als sein Abbild geschaffen wurde, ihm ähnlich (vgl.
Gn 1,26), muß dabei an erster Stelle stehen. Der Erwerb von Rechten geht natürlich stets einher mit der Übernahme von Pflichten. In der Tat haben alle Menschen Rechte und Pflichten, die nicht willkürlich festgelegt sind, sondern aus der menschlichen Natur hervorgehen. In der Enzyklika Pacem in terris des seligen Papstes Johannes XXIII. heißt es, »daß jeder Mensch seinem Wesen nach Person ist. Er hat eine Natur, die mit Vernunft und Willensfreiheit ausgestattet ist; er hat daher aus sich Rechte und Pflichten, die unmittelbar und gleichzeitig aus seiner Natur hervorgehen. Weil sie allgemein gültig und unverletzlich sind, können sie auch in keiner Weise veräußert werden« (PT 5). Die Verantwortung der Staaten und der internationalen Organisationen zeigt sich besonders im Bemühen, auf Fragen Einfluß zu nehmen, die - unter Wahrung der Zuständigkeiten der jeweiligen nationalen Gesetzgebung - die gesamte Völkerfamilie einbeziehen und ein Einvernehmen zwischen den direkt betroffenen Regierungen und Organisationen erfordern. Ich denke dabei an Probleme wie die Aufnahme oder die Zwangsausweisung von Fremden sowie an die Nutzbarkeit der Güter der Natur, Kultur und Kunst, der Wissenschaft und der Technik, zu denen alle Zugang haben müssen. Auch darf die wichtige Mittlerrolle nicht vergessen werden, damit die nationalen und internationalen Beschlüsse zur Förderung des universalen Gemeinwohls von den örtlichen Instanzen übernommen werden und sich im täglichen Leben auswirken.

In diesem Zusammenhang unterstützen die Rechtsordnungen auf nationaler und internationaler Ebene, die das Gemeinwohl und die Achtung der Person fördern, die Hoffnung und die Bemühungen, zu einer weltweiten sozialen Ordnung auf der Grundlage des Friedens, der Brüderlichkeit und der Zusammenarbeit aller zu gelangen - trotz der kritischen Phase, die die internationalen Einrichtungen, die mit der Lösung der entscheidenden Fragen zu Sicherheit und Entwicklung zum Wohl aller befaßt sind, zur Zeit durchmachen. Es ist wahr, daß in einigen Teilen der Welt leider wieder partikularistische Bestrebungen zum Vorschein kommen, aber es ist auch wahr, daß einige sich der Übernahme der Verantwortung, die gemeinsam getragen werden sollte, entziehen.

Darüber hinaus besteht bei vielen immer noch der Wunsch, trennende Mauern niederzureißen und weitreichende Vereinbarungen zu treffen, auch durch gesetzliche Vorschriften und Verwaltungsmaßnahmen, die Integration, Austausch und gegenseitige Bereicherung fördern. Perspektiven des Zusammenlebens unter den Völkern können geboten werden durch umsichtige und gemeinsam vereinbarte Richtlinien zur Aufnahme und Integration, die den Eintritt in die Legalität ermöglichen, das Recht auf Familienzusammenführung, Asyl und Schutz fördern, notwendige Beschränkungen ausgleichen und dem verwerflichen Menschenhandel entgegenwirken. Gerade hier können die verschiedenen internationalen Organisationen in Zusammenarbeit miteinander und mit den Staaten ihren besonderen Beitrag leisten, um die Anerkennung der Rechte der Person und das Prinzip der nationalen Souveränität miteinander zu vereinbaren, besonders im Hinblick auf die Anforderungen der Sicherheit, der öffentlichen Ordnung und der Grenzkontrolle.

Die Grundrechte der Person können der Brennpunkt im Bemühen der nationalen und internationalen Einrichtungen um Mitverantwortung sein. Dies wiederum ist eng verbunden mit der »Offenheit für das Leben«, die »im Zentrum der wahren Entwicklung« steht, wie ich in der Enzyklika Caritas in veritate noch einmal bekräftigt habe (). Dort habe ich auch an die Staaten appelliert, eine Politik zugunsten der zentralen Stellung und der Unversehrtheit der Familie zu fördern (vgl. ebd., ). Die Offenheit für das Leben und die Rechte der Familie müssen andererseits natürlich in jedem Umfeld hervorgehoben werden, denn »in einer Gesellschaft auf dem Weg zur Globalisierung müssen das Gemeinwohl und der Einsatz dafür unweigerlich die Dimensionen der gesamten Menschheitsfamilie, also der Gemeinschaft der Völker und der Nationen, annehmen« (ebd.., ). Die Zukunft unserer Gesellschaften ruht auf der Begegnung zwischen den Völkern, auf dem Dialog zwischen den Kulturen unter Achtung der Identitäten und der rechtmäßigen Unterschiede. In diesem Zusammenhang spielt die Familie auch weiterhin eine grundlegende Rolle. Durch die Verkündigung des Evangeliums Christi in jedem Lebensbereich setzt sich die Kirche »nicht nur für den einzelnen Migranten, sondern auch für seine Familie, Ort und Quelle der Kultur des Lebens und Faktor zur Einbeziehung von Werten« ein, wie ich in der Botschaft zum Welttag der Migranten und Flüchtlinge des Jahres 2007 noch einmal hervorgehoben habe.

Liebe Brüder und Schwestern, es ist auch eure Aufgabe, die Organisationen, die sich der Welt der Migranten und Menschen unterwegs widmen, für die Mitverantwortung zu sensibilisieren. Dieser Bereich der Seelsorge ist mit einem Phänomen verbunden, das sich immer mehr ausweitet. Eure Rolle muß daher in der Nähe zu den Menschen und in ihrer seelsorglichen Begleitung konkreten Ausdruck finden, unter Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen Gegebenheiten. Auf einen jeden von euch rufe ich das Licht des Heiligen Geistes und den mütterlichen Schutz der allerseligsten Jungfrau Maria herab und danke euch noch einmal für den Dienst, den ihr an der Kirche und der Gesellschaft tut. Die Eingebung des sel. Giovanni Battista Scalabrini, den der Ehrwürdige Diener Gottes Johannes Paul II. als »Vater der Migranten« bezeichnete und dessen 105. Jahrestag der »Geburt zum Himmel« wir am kommenden 1. Juni begehen, möge euer Wirken für die Migranten und Menschen unterwegs erleuchten und euch anspornen zu einer immer aufmerksameren Nächstenliebe, die ihnen die unvergängliche Liebe Gottes bezeugen möge. Meinerseits versichere ich euch des Gebets und segne euch von Herzen.








ANSPRACHE 2010 68