ANSPRACHE 2010 91


ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI.

AN DIE MITGLIEDER DER ENTWICKLUNGSBANK DES EUROPARATS

Sala Clementina

Freitag, 12. Juni 2010

Herr Gouverneur, meine Herren Präsidenten,
meine Damen und Herren Botschafter,
verehrte Mitglieder des Verwaltungsrats,
liebe Freunde!

Die 45. gemeinsame Sitzung der Entwicklungsbank des Europarats hat Sie nach Rom geführt, und ich freue mich, Sie heute morgen zum Abschluß Ihres Treffens im Apostolischen Palast zu empfangen.

Ich danke Ihnen, Herr Gouverneur, für Ihre Worte, in denen Sie darauf hinweisen, welche Bedeutung der Heilige Stuhl der Entwicklungsbank des Europarats beimißt, deren Mitglied er seit 1973 ist. 1956 hat der Europarat eine Bank mit einer ausschließlich sozialen Bestimmung gegründet, damit er über ein geeignetes Instrument verfügt, um seine Solidaritätspolitik zu fördern. Diese Bank hat sich von Anfang an mit Flüchtlingsfragen befaßt und dann ihre Zuständigkeit auf den gesamten Bereich des sozialen Zusammenhalts ausgedehnt. Es ist selbstverständlich, daß der Heilige Stuhl eine Struktur mit Interesse betrachtet, die durch ihre Kredite soziale Projekte unterstützt, sich um die Entwicklung kümmert, auf Notfälle reagiert und zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen in Not beitragen möchte.

92 Die politischen Ereignisse, zu denen es Ende des letzten Jahrhunderts in Europa gekommen ist, haben es dem Kontinent erlaubt, endlich mit beiden Lungen zu atmen, um diesen Ausdruck meines verehrten Vorgängers nochmals zu verwenden. Wir alle wissen jedoch, daß noch ein langer Weg zurückzulegen ist, bevor dies wirklich Realität wird. Die Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zwischen West- und Osteuropa haben sich zwar entwickelt, doch hat es einen wirklichen menschlichen Fortschritt gegeben? Ist die Befreiung von totalitären Ideologien nicht einseitig für das Herbeiführen des wirtschaftlichen Fortschritts benutzt worden, auf Kosten einer menschlicheren Entwicklung, welche die Würde und den Rang des Menschen achtet, und hat sie nicht manchmal den geistlichen Reichtum mißachtet, der die europäische Identität gestaltet hat? Die Interventionen der Bank zugunsten der Länder Ost-, Mittel- und Südosteuropas haben es - da bin ich gewiß - ermöglicht, Ungleichgewichte zugunsten eines Prozesses zu korrigieren, der auf Gerechtigkeit und Solidarität gegründet ist. Diese sind unerläßlich für die Gegenwart und die Zukunft Europas.

Gemeinsam mit mir ist Ihnen bekannt, daß Europa und die Welt derzeit einen besonders schweren Moment der Wirtschafts- und Finanzkrise durchleben. Diese Zeit darf nicht zu Beschränkungen führen, die auf einer ausschließlich finanziellen Analyse basieren. Sie muß der Entwicklungsbank vielmehr ermöglichen, ihre Besonderheit dadurch zu zeigen, daß sie die soziale Integration, die Verwaltung der Umwelt und die Entwicklung der öffentlichen und sozialen Infrastrukturen stärkt. Ich möchte die Arbeit der Bank in dieser Richtung und in Richtung der Solidarität nachdrücklich ermutigen. So wird sie ihrem Auftrag treu bleiben. Angesichts der Probleme, die derzeit welt- und europaweit zu bewältigen sind, habe ich in meiner letzten Enzyklika Caritas in veritate die Aufmerksamkeit auf die Soziallehre der Kirche und ihren positiven Beitrag zum Aufbau der menschlichen Person und der Gesellschaft lenken wollen. Die Kirche sieht in der Nachfolge Christi die Gottes- und Nächstenliebe als mächtigen Motor an, der Energie zu liefern vermag, um das gesamte soziale, rechtliche, kulturelle, politische und wirtschaftliche Umfeld zu versorgen. Ich wollte hervorheben, daß die zwischen der Liebe und der Wahrheit bestehende Beziehung, wenn sie richtig gelebt wird, eine dynamische Kraft darstellt, welche die Gesamtheit der zwischenmenschlichen Beziehungen erneuert und ein wirkliches Novum für eine Umorientierung in der Wirtschafts- und Finanzwelt darstellt, die durch sie - im Dienst des Menschen und seiner Würde, für die es sie gibt - erneuert wird.

Die Wirtschafts- und die Finanzwelt sind kein Selbstzweck, sondern nur ein Werkzeug, ein Hilfsmittel. Ihr einziges Ziel ist die menschliche Person und ihre volle Erfüllung in Würde. Dies ist das einzige Kapital, das es zu bewahren gilt. Und in diesem Kapital findet sich die geistliche Dimension des Menschen. Das Christentum hat dem Kontinent Europa ermöglicht zu verstehen, was Freiheit, Verantwortung und Ethik bedeuten, die seine Gesetze und seine gesellschaftlichen Strukturen prägen. Das Christentum an den Rand zu drängen - auch durch den Ausschluß der Symbole, die es zum Ausdruck bringen -, würde dazu beitragen, unserem Kontinent seine fundamentale Quelle zu nehmen, die ihn unablässig nährt und zu seiner wahren Identität beiträgt. Tatsächlich ist das Christentum der Ursprung der »geistlichen und moralischen Werte, die das allgemeine Erbe der europäischen Völker darstellen«, Werte, an denen die Mitgliedsstaaten des Europarats entschlossen festhalten wollen, wie sie in der Präambel des Statuts des Europarats zum Ausdruck bringen. Das Festhalten an diesen Werten, das in der Warschauer Erklärung des Jahres 2005 nochmals bekräftigt worden ist, verankert die Grundsätze, auf denen das politische und soziale Leben Europas und vor allem die Tätigkeit des Europarats basieren, und gewährleistet deren Vitalität.

In diesem Kontext ist die Entwicklungsbank als Finanzeinrichtung ein wirtschaftliches Werkzeug. Ihre Gründung verfolgte jedoch die Absicht, Erfordernissen zu entsprechen, die über die Finanz- und Wirtschaftswelt hinausgehen. Der Grund für ihre Existenz ist ein sozialer. Sie ist daher aufgerufen, ganz das zu sein, für das man sie schaffen wollte: ein technisches Instrument, das Solidarität möglich macht. Diese muß in Brüderlichkeit gelebt werden. Brüderlichkeit ist großzügig, nicht berechnend. Vielleicht müßte man diese Kriterien in den internen Entscheidungen der Bank und in ihrem Wirken nach außen noch stärker berücksichtigen. Brüderlichkeit ermöglicht Räume der Selbstlosigkeit, die - wenngleich unerläßlich - schwer denkbar oder tragbar sind, wenn das einzige Ziel, das angestrebt wird, Effizienz und Profit sind. Wir alle wissen auch, daß dieser Dualismus keinen absoluten und unüberwindlichen Determinismus darstellt, da er überwunden werden kann. Daher würde die Neuheit darin bestehen, eine Logik einzuführen, welche die menschliche Person - und vor allem die Familien und die Menschen in einer schweren Notlage - in den Mittelpunkt der Wirtschaft stellt und zu ihrem Ziel macht.

Europa blickt auf eine reiche Vergangenheit zurück, in der wirtschaftliche Erfahrungen gemacht wurden, die auf der Brüderlichkeit beruhen. Es gibt Unternehmen, die ein soziales oder mutuales Ziel verfolgen. Sie hatten unter den Gesetzen des Marktes zu leiden, doch sie möchten zur ursprünglichen Stärke der Großzügigkeit zurückfinden. Mir scheint, daß auch die Entwicklungsbank des Europarats, um die Solidarität wirklich zu leben, gerne dem Ideal der Brüderlichkeit entsprechen möchte, das ich angesprochen habe, und Bereiche erforschen will, in denen die Brüderlichkeit und die Logik des Schenkens zum Ausdruck kommen könnten. Dies sind Ideale, die christliche Wurzeln haben und gemeinsam mit dem Wunsch nach Frieden zum Entstehen des Europarats geführt haben.

Die Medaille, die Sie, Herr Gouverneur, mir überreicht haben und für die ich Ihnen danke, gibt mir Gelegenheit, mich an diese Begegnung zu erinnern. Ich versichere Sie, meine lieben Freunde, meines Gebets, und ermutige Sie, Ihre Arbeit beherzt und klug fortzusetzen, um die wichtige Aufgabe zu erfüllen, die Ihnen anvertraut worden ist, nämlich zum Wohl unseres geliebten Europas beizutragen. Gott segne Sie alle. Vielen Dank.


AN DIE GEMEINSCHAFT DER PÄPSTLICHEN DIPLOMATENAKADEMIE

Konsistoriensaal

Montag, 14. Juni 2010



Verehrte Mitbrüder im Bischofsamt,
liebe Priester!

Ich empfange euch immer mit Freude zu unserer regelmäßigen Begegnung, die mir die Gelegenheit gibt, euch zu begrüßen, zu ermutigen und euch einige Gedanken über den Sinn der Arbeit in den Päpstlichen Vertretungen vorzulegen. Ich begrüße den Präsidenten, Erzbischof Beniamino Stella, der mit Hingabe und kirchlichem Sinn eure Ausbildung begleitet, und ich danke ihm für die Worte, die er im Namen aller an mich gerichtet hat. Mein Dank gilt auch seinen Mitarbeitern und den Franziskaner-Missionsschwestern vom Kind Jesu.

93 Ich möchte kurz bei dem Begriff der »Vertretung« verweilen. Nicht selten wird er heutzutage nur partiell verstanden: man neigt dazu, ihn mit etwas rein Äußerlichem, Formalem und wenig Persönlichen zu assoziieren.

Der Repräsentationsdienst, auf den ihr euch vorbereitet, ist dagegen etwas viel Tieferes, weil er Teilnahme an der »sollicitudo omnium ecclesiarum« ist, der den Dienst des römischen Papstes auszeichnet. Aus diesem Grund ist es eine ausgesprochen persönliche Wirklichkeit, die dazu bestimmt ist, tief auf denjenigen einzuwirken, der berufen ist, diese besondere Aufgabe zu übernehmen. Gerade aus dieser kirchlichen Perspektive heraus impliziert euer Repräsentationsauftrag die Notwendigkeit, im persönlichen priesterlichen Leben einige Dimensionen anzunehmen und zu pflegen, auf die ich, wenn auch nur zusammenfassend, hinweisen möchte, damit sie auf eurem Ausbildungsweg Gegenstand der Reflexion sein können.

Vor allem geht es darum, eine volle innere Zustimmung und Treue zur Person des Papstes, zu seinem Lehramt und seinem universalen Dienst zu pflegen; das heißt vollkommene Treue zu dem, der den Auftrag empfangen hat, die Brüder im Glauben zu stärken (vgl.
Lc 22,32) und der »das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen« ist (Zweites Vatikanisches Konzil, Konstitution Lumen gentium LG 23). Zweitens: als Lebensstil und tägliche Priorität eine aufmerksame Sorge - eine wahre »Leidenschaft« - für die kirchliche Gemeinschaft zu pflegen. Den Papst zu vertreten bedeutet außerdem, die Fähigkeit zu haben, eine feste »Brücke«, ein zuverlässiger Kommunikationskanal zwischen den Teilkirchen und dem Apostolischen Stuhl zu sein: einerseits dadurch, daß er dem Papst und seinen Mitarbeitern eine objektive, korrekte und vertiefte Sichtweise auf die kirchliche und soziale Realität, in der er lebt, übermittelt; andererseits dadurch, daß er sich einsetzt für die Übermittlung der Normen, Weisungen, Orientierungen, die vom Heiligen Stuhl ausgehen, und zwar nicht in bürokratischer Weise, sondern mit einer tiefen Liebe zur Kirche und mit Hilfe des persönlichen Vertrauens, das er geduldig aufgebaut hat, indem er die Bemühungen der Bischöfe und den Weg der Teilkirchen, zu denen er gesandt ist, sowohl respektiert als auch wertschätzt.

Wie man leicht erahnen kann, erfordert der Dienst, auf den ihr euch vorbereitet, volle Hingabe und eine großherzige Bereitschaft, wenn nötig eigene Intuitionen, persönliche Projekte und andere Möglichkeiten der Ausübung des priesterlichen Dienstes zu opfern. Aus der Sicht des Glaubens und der konkreten Antwort auf den Ruf Gottes - die immer durch eine intensive Beziehung zum Herrn genährt werden muß - vermindert dies nicht die Einzigartigkeit eines jeden, sondern erweist sich im Gegenteil als äußerst bereichernd: das Bemühen, sich in Einklang zu bringen mit der universalen Perspektive und dem Dienst an der Einheit der Herde Gottes, die das petrinische Amt auszeichnen, kann in der Tat in einzigartiger Weise die Gaben und Talente jedes einzelnen nutzen und erschließen, jener Logik entsprechend, die der hl. Paulus den Christen in Korinth gut verdeutlicht hat (vgl. 1 Kor 12,1-31). Auf diese Weise wird der päpstliche Vertreter - gemeinsam mit seinen Mitarbeitern -wahrhaft ein Zeichen der Gegenwart und der Liebe des Papstes. Und das ist ein Gewinn für das Leben aller Teilkirchen, vor allem in den besonders heiklen oder schwierigen Situationen, in denen die christliche Gemeinschaft aus verschiedensten Gründen lebt. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich um einen echten priesterlichen Dienst. Er ist gekennzeichnet von einer naheliegenden Analogie zur Stellvertretung Christi, die für den Priester charakteristisch ist und die als solche eine wesensmäßige Opferdimension besitzt.

Genau hierin hat auch der besondere Stil des Dienstes der Vertretung seinen Ursprung, den ihr bei den staatlichen Obrigkeiten oder Internationalen Organisationen auszuüben berufen seid. Denn auch in diesen Bereichen werden Gestalt und Auftreten des Nuntius, des Apostolischen Delegaten, des Ständigen Beobachters nicht nur vom Umfeld bestimmt, in dem er handelt, sondern zuerst und vor allem von dem, den sie zu vertreten berufen sind. Das verleiht dem päpstlichen Vertreter eine besondere Position im Vergleich mit den anderen Botschaftern oder Gesandten. Denn er wird in einem übernatürlichen Sinn immer tief identifiziert werden mit dem, den er repräsentiert. Sprachrohr des Stellvertreters Christi zu werden kann sehr anspruchsvoll, bisweilen äußerst fordernd sein, aber es wird nie demütigend oder entpersönlichend sein. Es wird dagegen eine echte Art und Weise, die eigene priesterliche Berufung zu verwirklichen.

Liebe Alumnen, ich wünsche, daß euer Haus, wie mein Vorgänger Paul VI. gerne zu sagen pflegte, eine »höhere Schule der Liebe« sein möge, und begleite euch mit meinem Gebet. Indem ich euch der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria, »Mater Ecclesiae«, und des heiligen Abtes Antonius, Schutzpatron der Akademie, anvertraue, erteile ich euch allen und euren Lieben von Herzen meinen Segen.




ERÖFFNUNG DES PASTORALKONGRESSES DER DIÖZESE ROM ZUM THEMA:

»"DA GINGEN IHNEN DIE AUGEN AUF UND SIE ERKANNTEN IHN". SONNTÄGLICHE EUCHARISTIE UND ZEUGNIS DER LIEBE«

(15.-17. JUNI 2010)

Basilika St. Johann im Lateran

Dienstag, 15. Juni 2010



Liebe Brüder und Schwestern!

Der Psalm sagt: »Seht doch, wie gut und schön ist es, / wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen« (Ps 133,1). Genau so ist es: Es ist für mich Grund zu tiefer Freude, wieder bei euch zu sein und mit euch das viele Gute zu teilen, das die Pfarreien und die anderen kirchlichen Realitäten Roms in diesem Pastoraljahr verwirklicht haben. Mit brüderlicher Zuneigung grüße ich den Kardinalvikar und danke ihm für die freundlichen Worte, die er an mich gerichtet hat, sowie für den Einsatz, den er tagtäglich bei der Leitung der Diözese für die Unterstützung der Priester und der Pfarrgemeinden leistet. Ich grüße die Weihbischöfe, die ganze Priesterschaft und einen jeden von euch. Einen herzlichen Gedanken richte ich an alle, die krank sind und sich in besonderen Schwierigkeiten befinden, und ich versichere sie meines Gebets.

Wie Kardinal Vallini in Erinnerung gerufen hat, sind wir seit dem letzten Jahr mit der Überprüfung der ordentlichen Seelsorgetätigkeit beschäftigt. Heute abend denken wir über zwei Punkte von erstrangiger Wichtigkeit nach: »Sonntägliche Eucharistie und Zeugnis der Liebe.« Ich weiß von der großen Arbeit, die die Pfarreien, Vereinigungen und Bewegungen durch Begegnungen zur Bildung und des Austausches getan haben, um diese beiden grundlegenden Komponenten des Lebens und der Sendung der Kirche und jedes einzelnen Gläubigen zu vertiefen und besser zu leben. Dies hat auch jene pastorale Mitverantwortlichkeit begünstigt, die sich bei aller Verschiedenheit der Ämter und der Charismen immer mehr verbreiten muß, wenn wir wirklich den Wunsch haben, daß das Evangelium das Herz der Einwohner Roms erreicht. Vieles ist getan worden, und dafür danken wir dem Herrn; doch mit seiner Hilfe bleibt noch viel zu tun.

94 Der Glaube darf nie vorausgesetzt werden, da es für jede Generation notwendig ist, dieses Geschenk durch die Verkündigung des Evangeliums zu empfangen und die Wahrheit zu kennen, die Christus uns offenbart hat. Daher setzt sich die Kirche immer dafür ein, allen das »depositum fidei« (Glaubensgut) vorzuschlagen; zu diesem gehört auch die Lehre über die Eucharistie - zentrales Geheimnis, in dem »das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle, Christus selbst, unser Osterlamm [enthalten ist]« (Presbyterorum ordinis PO 5); eine Lehre, die heute leider nicht ausreichend in ihrem tiefen Wert und ihrer Bedeutung für das Leben der Gläubigen verstanden wird. Aus diesem Grund ist es wichtig, daß eine tiefere Kenntnis des Geheimnisses des Leibes und Blutes des Herrn von den verschiedenen Gemeinden unserer Diözese Rom als Notwendigkeit wahrgenommen wird. Im missionarischen Geist, den wir nähren wollen, ist es gleichzeitig erforderlich, daß sich das Engagement für die Verkündigung dieses eucharistischen Glaubens verbreite, damit alle Menschen Jesus Christus begegnen, der uns den »nahen« Gott, den Freund der Menschheit, offenbart hat, und ihn mit einem eloquenten Leben der Liebe zu bezeugen.

Während seines ganzen öffentlichen Lebens hat Jesus durch die Verkündigung des Evangeliums und die zeichenhaften Wunder die Güte und die Barmherzigkeit des Vaters gegenüber dem Menschen verkündigt. Diese Sendung hat ihren Höhepunkt auf Golgatha erreicht, wo der gekreuzigte Christus das Antlitz Gottes offenbart hat, auf daß der Mensch in der Betrachtung des Kreuzes die Fülle der Liebe erkennen kann (vgl. Deus caritas est ). Das Opfer auf dem Kalvarienberg wird mystisch beim Letzten Abendmahl vorweggenommen, als Jesus mit den Zwölf Brot und Wein teilt und sie in seinen Leib und in sein Blut verwandelt, die er kurz darauf als Opferlamm aufopfern sollte. Die Eucharistie ist das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung Jesu Christi, seiner Liebe bis zur Vollendung zu einem jeden von uns, das Gedächtnis, das er der Kirche anvertrauen wollte, auf daß es über die Jahrhunderte hinweg gefeiert werde. Entsprechend der Bedeutung des hebräischen Wortes »zakar« ist das »Gedächtnis« keine einfache Erinnerung an etwas, das sich in der Vergangenheit zugetragen hat, sondern die Feier, die jenes Ereignis derart aktualisiert, daß dessen Kraft und Heilswirksamkeit wiederhergestellt wird. So ist »die Eucharistie Gedächtnis in dem Sinn, daß sie das Opfer, das Christus dem Vater am Kreuz ein für allemal für die Menschheit dargebracht hat, gegenwärtig und lebendig macht« (Katechismus der Katholischen Kirche - Kompendium, 280). Liebe Brüder und Schwestern, in unserer Zeit ist das Wort »Opfer« ungeliebt, ja es scheint gar zu anderen Zeitaltern und zu einer anderen Weise zu gehören, wie das Leben zu denken ist. Wohl verstanden jedoch ist und bleibt es grundlegend, da es uns offenbart, welcher Art die Liebe ist, mit der Gott uns in Christus liebt.

In der Selbsthingabe Jesu finden wir die ganze Neuheit des christlichen Gottesdienstes. In den alten Zeiten brachten die Menschen den Gottheiten Tiere oder die Erstlingsfrüchte der Erde dar. Dagegen bringt Jesus sich selbst dar, seinen Leib und sein ganzes Dasein: Er selbst wird in Person zu jenem Opfer, das die Liturgie in der heiligen Messe darbringt. Mit der Konsekration werden nämlich das Brot und der Wein zu seinem wahren Leib und Blut. Der hl. Augustinus forderte seine Gläubigen auf, nicht bei dem stehenzubleiben, was sie vor Augen hatten, sondern darüber hinauszugehen: »Erkennt im Brot«, so sagte er, »denselben Leib, der am Kreuz hing, und im Kelch dasselbe Blut, das aus seiner Seite floß« (Reden 228, B,2). Um diese Verwandlung zu erklären, hat die Theologie den Begriff der »Transsubstantiation« geprägt, ein Wort, das zum ersten Mal in dieser Basilika während des IV. Laterankonzils erklang, dessen 800. Jahrestag wir in fünf Jahren begehen werden. Bei jener Gelegenheit wurden in das Glaubensbekenntnis die folgenden Ausdrücke eingefügt: »Sein Leib und Blut sind im Sakrament des Altares unter den Gestalten von Brot und Wein wahrhaft enthalten, wenn durch göttliche Macht das Brot in den Leib und der Wein in das Blut wesenhaft verwandelt sind« (DS 802). Es ist also grundlegend, daß auf den Wegen der Glaubenserziehung der Kinder, der Heranwachsenden und der Jugendlichen wie auch in den »Zentren des Hörens« des Wortes hervorgehoben wird, daß im Sakrament der Eucharistie Christus wahrhaft, wirklich und substantiell gegenwärtig ist.

Die in Achtung der liturgischen Vorschriften und mit einem angemessenen Ausdruck des Reichtums an Zeichen und Gesten gefeierte heilige Messe begünstigt und fördert das Wachstum des eucharistischen Glaubens. Bei der Eucharistiefeier erfinden wir nicht etwas, sondern betreten eine Wirklichkeit, die uns vorausgeht, mehr noch: die Himmel und Erde umfaßt und daher auch Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart. Diese universale Öffnung, diese Begegnung mit allen Söhnen und Töchtern Gottes ist die Größe der Eucharistie: Wir gehen der Wirklichkeit Gottes entgegen, der in Leib und Blut des Auferstandenen unter uns gegenwärtig ist. Die von der Kirche verfügten liturgischen Vorschriften sind somit nichts Äußerliches, sondern bringen konkret diese Wirklichkeit der Offenbarung des Leibes und des Blutes Christi zum Ausdruck, und so offenbart das Gebet den Glauben nach dem alten Prinzip »lex orandi - lex credendi«. Daher können wir sagen, daß »die beste Katechese über die Eucharistie die gut zelebrierte Eucharistie selbst ist« (Nachsynodales Apostolisches Schreiben Sacramentum caritatis, 64). Es ist notwendig, daß in der Liturgie mit aller Klarheit die transzendente Dimension hervortritt, die Dimension des Geheimnisses, der Begegnung mit dem Göttlichen, die auch die »horizontale« Dimension erhellt und erhöht, das heißt das Band der Gemeinschaft und Solidarität, das unter allen besteht, die zur Kirche gehören. Wenn nämlich letztere Dimension vorwiegend ist, so begreift man nicht voll die Schönheit, die Tiefe und die Wichtigkeit des gefeierten Geheimnisses. Liebe Brüder im priesterlichen Dienst, euch hat der Bischof am Tag der Priesterweihe die Aufgabe anvertraut, der Eucharistie vorzustehen. Die Ausübung dieser Sendung soll euch stets am Herzen liegen: Feiert die göttlichen Geheimnisse mit eindringlicher und inniger Anteilnahme, damit die Männer und Frauen unserer Stadt geheiligt und mit Gott, der absoluten Wahrheit und ewigen Liebe, in Berührung gebracht werden können.

Vergegenwärtigen wir uns auch, daß die Eucharistie, die an das Kreuz, an die Auferstehung des Herrn gebunden ist, unserer Zeit eine neue Struktur auferlegt hat. Der Auferstandene hatte sich am Tag nach dem Sabbat gezeigt, am ersten Tag der Woche, dem Tag der Sonne und der Schöpfung. Von Anfang an haben die Christen ihre Begegnung mit dem Auferstandenen, die Eucharistie, an diesem ersten Tag gefeiert, an diesem neuen Tag der wahren Sonne der Geschichte, des auferstandenen Christus. Und so beginnt die Zeit immer wieder mit der Begegnung mit dem Auferstandenen, und diese Begegnung verleiht dem alltäglichen Leben Inhalt und Kraft. Daher ist es für uns Christen so wichtig, diesem Rhythmus der Zeit zu folgen, uns am Sonntag mit dem Auferstandenen zu treffen und so seine Gegenwart mit uns zu »nehmen«, damit sie uns und unsere Zeit verwandle. Darüber hinaus lade ich alle ein, die Fruchtbarkeit der Eucharistischen Anbetung neu zu entdecken: Vor dem Allerheiligsten Sakrament erfahren wir in einer ganz besonderen Weise jenes »Bleiben« Jesu, das er selbst im Evangelium des Johannes als notwendige Bedingung dafür setzt, reiche Frucht zu bringen (vgl. Jn 15,5) und es zu vermeiden, daß unser apostolisches Wirken zu einem sterilen Aktivismus verkommt, sondern vielmehr Zeugnis der Liebe Gottes ist.

Die Gemeinschaft mit Christus ist immer auch Gemeinschaft mit seinem Leib, der die Kirche ist, wie uns der Apostel Paulus in Erinnerung ruft, wenn er sagt: »Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot« (1 Kor 10,16-17). Die Eucharistie nämlich ist es, die eine einfache Gruppe von Menschen in eine kirchliche Gemeinde verwandelt: Die Eucharistie schafft Kirche. Es ist also grundlegend, daß die Feier der heiligen Messe tatsächlich der Höhepunkt, die »tragende Struktur« des Lebens einer jeden Pfarrgemeinde ist. Ich ermahne alle, auch durch eigens eingerichtete liturgische Gruppen auf bestmögliche Weise die Vorbereitung und die Feier der Eucharistie zu pflegen, damit alle, die daran teilnehmen, dem Herrn begegnen können. Der auferstandene Christus ist es, der in unserem Heute gegenwärtig wird und uns um sich versammelt. Indem wir uns von ihm nähren, sind wir von den Fesseln des Individualismus befreit und werden durch die Gemeinschaft mit ihm gemeinsam eine einzige Wirklichkeit, sein mystischer Leib. So werden die durch berufliche Stellung, Standeszugehörigkeit und Nationalität bedingten Unterschiede überwunden, da wir uns als Glieder einer einzigen großen Familie entdecken, der Familie Gottes, in der einem jeden eine besondere Gnade für den gemeinsamen Nutzen geschenkt ist. Die Welt und die Menschen brauchen keinen weiteren gesellschaftlichen Zusammenschluß, sondern sie bedürfen der Kirche, die in Christus gleichsam ein Sakrament, »das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« (Lumen gentium LG 1), und dazu berufen ist, über allen Völkern das Licht des auferstandenen Herrn erstrahlen zu lassen.

Jesus ist gekommen, um uns die Liebe des Vaters zu offenbaren, denn: »Der Mensch kann nicht ohne Liebe leben« (Johannes Paul II. , Redemptor hominis RH 10). Tatsächlich ist die Liebe die Grunderfahrung eines jeden Menschen, sie ist das, was dem alltäglichen Leben Sinn stiftet. Genährt an der Eucharistie leben auch wir nach dem Beispiel Christi für ihn, um Zeugen der Liebe zu sein. Wenn wir das Sakrament empfangen, treten wir in eine Blutsgemeinschaft mit Christus. In der jüdischen Sichtweise bedeutet das Blut Leben; so können wir sagen: Indem wir uns am Leib Christi nähren, nehmen wir das Leben Gottes an und lernen, auf die Wirklichkeit mit seinen Augen zu blicken und so die Logik der Welt aufzugeben, um jener göttlichen Logik des Geschenks und der Unentgeltlichkeit zu folgen. Der hl. Augustinus ruft in Erinnerung, daß es ihm während einer Vision schien, die Stimme des Herrn zu hören, die ihm sagte: »Ich bin die Speise der Starken; wachse, und du wirst mich genießen. Aber du wirst mich nicht in dich verwandeln wie die leibliche Speise, sondern du wirst in mich umgewandelt werden« (vgl. Bekenntnisse VII,10,16). Wenn wir Christus empfangen, breitet sich die Liebe in unserem Innersten aus, verändert radikal unser Herz und befähigt uns zu Gesten, die durch die sich mitteilende Kraft des Guten das Leben derer verändern können, die uns nahestehen. Die Liebe ist imstande, eine echte und bleibende Veränderung der Gesellschaft zu erzeugen, indem sie in Herz und Geist der Menschen wirkt, und wenn sie in der Wahrheit gelebt wird, ist sie »der hauptsächliche Antrieb für die wirkliche Entwicklung eines jeden Menschen und der gesamten Menschheit« (Caritas in veritate ). Das Zeugnis der Liebe ist für den Jünger Jesu kein vorübergehendes Gefühl, sondern es ist im Gegenteil das, was das Leben in jedem Umstand formt. Ich ermutige alle, besonders die »Caritas« und die Diakone, sich im delikaten und grundlegenden Bereich der Erziehung zur Liebe als bleibender Dimension des persönlichen und gemeinschaftlichen Lebens einzusetzen.

Verbunden mit einer erneuerten Verkündigung des Evangeliums fordert diese unsere Stadt von den Jüngern Christi ein deutlicheres und klareres Zeugnis der Liebe. Die Kirche spricht zu den Einwohnern Roms in der Sprache der Liebe, die das ganzheitliche Wohl des Menschen will. In diesen Jahren meines Dienstes als euer Bischof konnte ich verschiedene Orte besuchen, wo die Nächstenliebe intensiv gelebt wird. Ich bin all jenen, die sich in den verschiedenen karitativen Strukturen engagieren, für die Hingabe und die Großherzigkeit dankbar, mit denen sie den Armen und Ausgegrenzten dienen. Die Bedürfnisse und die Armut vieler Männer und Frauen fordern uns zutiefst heraus: Christus selbst ist es, der uns jeden Tag in den Armen darum bittet, daß ihm zu essen und zu trinken gegeben wird, daß er in den Krankenhäusern und Gefängnissen besucht wird, daß er angenommen und gekleidet wird. Die gefeierte Eucharistie drängt und befähigt uns gleichzeitig, unsererseits zu dem für die Brüder und Schwestern gebrochenen Brot zu werden, demzufolge ihren Bedürfnissen entgegenzukommen und uns selbst zu schenken. Daher offenbart eine Feier der Eucharistie, die nicht zur Begegnung mit den Menschen an den Orten führt, wo sie leben, arbeiten und leiden, um ihnen die Liebe Gottes zu bringen, nicht die Wahrheit, die sie beinhaltet. Um dem Geheimnis treu zu bleiben, das auf den Altären gefeiert wird, müssen wir, wie uns der Apostel Paulus ermahnt, in jenen Umständen, die es erfordern, unser Ich sterben zu lassen, unseren Leib, uns selbst, als geistliches Opfer darbringen, das Gott gefällt (vgl. Rm 12,1), und unseren alltäglichen »Altar« bilden.

Die Gesten des gemeinsamen Teilens schaffen Gemeinschaft, erneuern das Gewebe der zwischenmenschlichen Beziehungen, indem sie ihnen das Prägemal der Unentgeltlichkeit und des Geschenks verleihen und den Aufbau der Zivilisation der Liebe gestatten. In einer Zeit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise, wie dies gegenwärtig der Fall ist, wollen wir mit denen solidarisch sein, die in Armut leben, um allen die Hoffnung auf ein besseres und menschenwürdiges Morgen anzubieten. Wenn wir wirklich als Jünger des Gottes leben, der Liebe ist, dann werden wir den Einwohnern Roms helfen, sich als Geschwister und Kinder des einen Vaters zu entdecken.

Das Wesen der Liebe fordert endgültige und unwiderrufliche Lebensentscheidungen. Ich wende mich besonders an euch, meine lieben Jugendlichen: fürchtet euch nicht, die Liebe als höchste Lebensregel zu wählen. Fürchtet euch nicht, Christus im Priestertum zu lieben, und wenn ihr im Herzen den Ruf des Herrn wahrnehmt, folgt ihm in diesem außerordentlichen Abenteuer der Liebe und gebt euch vertrauensvoll ihm hin! Fürchtet euch nicht, christliche Familien zu bilden, welche die treue, unauflösliche und für das Leben offene Liebe leben! Legt Zeugnis dafür ab, daß die Liebe, wie sie Christus gelebt hat und das Lehramt der Kirche lehrt, unserem Glück nichts nimmt, sondern im Gegenteil jene tiefe Freude schenkt, die Christus seinen Jüngern verheißen hat.

Die Jungfrau Maria begleite mit ihrer mütterlichen Fürsprache den Weg unserer Kirche von Rom. Maria, die auf ganz einzigartige Weise die Gemeinschaft mit Gott und das Opfer ihres Sohnes auf dem Kalvarienberg erlebt hatte, erwirke es für uns, immer innigerer, andächtiger und bewußter das Geheimnis der Eucharistie zu leben, um mit dem Wort und dem Leben die Liebe zu verkündigen, die Gott für einen jeden Menschen hegt. Liebe Freunde, ich versichere euch meines Gebets und erteile euch allen von Herzen den Apostolischen Segen. Danke.


AN DIE BISCHÖFE DER BRASILIANISCHEN BISCHOFSKONFERENZ (REGION OST 2)

ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES


95
Samstag, 19. Juni 2010


Liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst!

»Berufen als Heilige mit allen, die den Namen Jesu Christi, unseres Herrn, überall anrufen, bei ihnen und bei uns. Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus« (
1Co 1,2 1Co 3). Mit diesen Worten heiße ich euch, liebe Bischöfe der Region Leste 2, im Wissen um die Kollegialität, die den Papst und die Bischöfe durch ein Band der Einheit, der Liebe und des Friedens vereint, zu eurem »Ad-limina«-Besuch in Rom herzlich willkommen. Ich danke Dom Walmor für die liebenswerten Worte, mit denen er eure Gefühle der Hochachtung dem Stuhl Petri gegenüber zum Ausdruck gebracht hat, wie auch für seine Schilderung der Herausforderungen und Probleme, vor die ihr bei der Sorge um das Wohl der euch von Gott anvertrauten Kirche in den Staaten Espírito Santo und Minas Gerais gestellt seid.

Ich sehe, wie sehr ihr eure Diözesen liebt, und ich nehme an dieser Liebe innigen Anteil, indem ich euch mit meinem Gebet und meiner apostolischen Sorge begleite. Der Anfang unserer schönen Geschichte wird durch die vom Nachfolger Petri für die Bischofsweihe erlassenen Bullen und durch die Worte »ich bin bereit« greifbar, die ein jeder von euch zu Beginn der Weihezeremonie und dem nachfolgenden Eintritt in das Bischofskollegium spricht. Teil dieses Kollegiums werdet ihr »kraft der Bischofsweihe und durch die hierarchische Gemeinschaft mit Haupt und Gliedern des Kollegiums« (Erläuternde Vorbemerkung zur Dog. Konst. Lumen gentium ), und damit werdet ihr auch Nachfolger der Apostel mit der dreifachen Aufgabe, das Gottesvolk zu lehren, zu heiligen und zu leiten.

Als Meister und Lehrer des Glaubens besteht eure Sendung darin, die Wahrheit, die geglaubt und gelebt werden muß, zu verkünden und sie authentisch darzulegen. Wie ich schon in Aparecida herausgestellt habe, »hat die Kirche die große Aufgabe, den Glauben des Volkes Gottes zu bewahren und zu nähren und auch die Gläubigen […] daran zu erinnern, daß sie kraft ihrer Taufe dazu berufen sind, Jünger und Missionare Jesu Christi zu sein« (Eröffnung der Arbeiten der 5. Generalversammlung der Bischofskonferenzen Lateinamerikas und der Karibik, 13. Mai 2007, 3). Helft also den eurer Seelsorge anvertrauten Gläubigen, die Freude des Glaubens zu entdecken; die Freude darüber, daß Gott, der seinen Sohn für unser Heil hingegeben hat, uns alle liebt. Wie ihr wißt, besteht der Glaube hauptsächlich darin, uns ganz diesem Gott zu schenken, der einen jeden von uns kennt und liebt - und das geschieht dann, wenn wir die Wahrheit, die er in Jesus Christus offenbart hat, mit einer Haltung akzeptieren, die uns Vertrauen in die Gnade haben läßt. Setzt euch also dafür ein, dieses Vertrauen im Gottesvolk zu verankern, damit der Glaube stets in seiner Reinheit und Integrität bewahrt, verteidigt und verbreitet werden kann.

Als Verwalter der höchsten Form des Priestertums müßt ihr die Liturgie zu einer wahren Epiphanie des göttlichen Geheimnisses werden lassen - Ausdruck der unverfälschten Natur der Kirche, die aktiv den Gottesdienst Gott durch Christus im Geist anbietet. Unter allen Obliegenheiten des Hirtenamtes des Bischofs »ist die Verpflichtung zur Feier der Eucharistie die dringendste und wichtigste«, und zu einer eurer Hauptaufgaben gehört es auch, »dafür zu sorgen, daß die Gläubigen die Möglichkeit haben, zum Tisch des Herrn zu kommen, vor allem am Sonntag, dem Tag, an dem, wie ich schon sagte, die Kirche als Gemeinschaft und Familie der Kinder Gottes rund um ihre Priester ihre besondere christliche Identität findet« (Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Pastores gregis ). Die euch übertragene Aufgabe der Heiligung gebietet euch überdies, Verfechter und Förderer des Gebets in unseren Städten zu sein, die oft so laut und chaotisch sind und Gott vergessen zu haben scheinen. Ihr müßt Orte und Gelegenheiten schaffen, wo der Mensch in der Stille, im Hören auf Gott, im persönlichen oder gemeinschaftlichen Gebet die lebendige Erfahrung Jesu Christi machen kann, der uns das wahre Antlitz des Vaters offenbart. Es ist notwendig, daß die Pfarreien und Heiligtümer, die Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser und Pflegeheime, die Familien, zu Stätten der Gemeinschaft mit dem Herrn werden.

Als Leiter des Christenvolkes müßt ihr euch schließlich dafür einsetzen, daß alle Gläubigen am Aufbau der Kirche Anteil haben. Tut dies mit dem Herzen eines demütigen Dieners und fürsorglichen Hirten, und habt dabei stets die Freude Gottes und das Seelenheil vor Augen. Im Rahmen seiner Leitungspflicht ist der Bischof aber auch gerufen, über das Leben des seiner Seelsorge anvertrauten Gottesvolkes zu urteilen und es zu disziplinieren. Das kann durch Gesetze, Richtlinien und Vorschriften geschehen, wie es von der universalen Kirchendisziplin vorgesehen ist. Dieses Recht, diese Pflicht, ist sehr wichtig, weil die Diözesangemeinschaft so in ihrem Innern geeint bleibt und in aufrechter Gemeinschaft des Glaubens, der Liebe und des Gehorsams gemeinsam mit dem Bischof von Rom und der gesamten Kirche voranschreiten kann. Werdet daher niemals müde, bei den Gläubigen den Sinn der Zugehörigkeit zur Kirche und die Freude an der Gemeinschaft mit ihren Brüdern und Schwestern zu stärken.

Die Leitungsgewalt des Bischofs kann jedoch erst dann pastoral wirksam sein, »wenn sie sich auf moralisches Ansehen stützt, das auf der Heiligkeit seines Lebens beruht. Dies wird die Herzen bereit machen, das vom Bischof in seiner Kirche verkündete Evangelium ebenso anzunehmen wie die Vorschriften, die von ihm zum Wohl des Gottesvolkes erlassen wurden« (ebd., 43). So soll also ein jeder von euch, innerlich vom Heiligen Geist geformt, »allen alles werden« (vgl. 1Co 9,22), indem ihr die Wahrheit des Glaubens verbreitet, die Sakramente für unsere Heiligung spendet und die Liebe des Herrn verkündet. Nehmt jeden, der an eure Tür klopft, mit offenen Armen auf: gebt diesen Menschen Rat und Trost und bestärkt sie auf dem Weg Gottes. Führt sie jener Einheit im Glauben und in der Liebe zu, die, dem Willen des Herrn entsprechend, sichtbares Prinzip und Fundament in euren Diözesen ist (vgl. Dog. Konst. Lumen gentium LG 23).

Liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst! Ich möchte euch alle abschließend noch einmal meiner Dankbarkeit für den Dienst versichern, den ihr der Kirche mit eurem Einsatz und eurer Liebe erweist. Durch die Fürsprache der Jungfrau Maria, »die in ihrem Leben das Beispiel jener mütterlichen Liebe war, von der alle beseelt sein müssen, die in der apostolischen Sendung der Kirche zur Wiedergeburt der Menschen mitwirken« (ebd., 65), bitte ich Christus, den ewigen Hohenpriester, euch in eurem Amt zahlreiche Gaben und den reichen Trost Gottes zu schenken, und spende euch sowie allen Priestern und Diakonen, Ordensmännern und Ordensfrauen, allen Seminaristen und gläubigen Laien eurer Gemeinschaften einen besonderen Apostolischen Segen.


ANSPRACHE 2010 91