ANSPRACHE 2010 111

111 Die Präsenz von Ordensleuten in katholischen Schulen ist in der Tat eine gewichtige Mahnung an das vieldiskutierte katholische Ethos, das jeden Bereich des schulischen Lebens durchdringen soll. Dies geht weit über das selbstverständliche Erfordernis hinaus, daß der Lehrinhalt immer mit der kirchlichen Lehre konform sein muß. Das bedeutet, daß das Glaubensleben die treibende Kraft hinter jeglicher schulischer Aktivität sein muß, so daß der Sendung der Kirche wirksam gedient werden kann und junge Menschen die Freude entdecken, sich an Christi „Dasein für andere“ (Spe salvi ) zu beteiligen.

Bevor ich schließe, möchte ich noch ein besonderes Wort der Anerkennung für jene anfügen, deren Aufgabe es ist, dafür zu sorgen, daß unsere Schulen eine sichere Umgebung für unsere Kinder und Jugendlichen bieten. Unsere Verantwortung gegenüber den uns für eine christliche Erziehung Anvertrauten verlangt nichts weniger. Das Glaubensleben kann ja nur wirksam genährt werden, wenn eine Atmosphäre von respektvollem und herzlichem Vertrauen herrscht. Ich bete, daß dies auch weiterhin ein Merkmal der katholischen Schulen in diesem Land sei.

Mit diesen Überlegungen, liebe Brüder und Schwestern, lade ich sie nun ein, sich zu erheben und zu beten.

Herr Weihbischof Stack, ich möchte Sie bitten, als Vorsitzender des Board of Governors der Saint Mary’s University im Namen des College dieses Mosaik der seligen Jungfrau Maria als Geschenk anzunehmen.



ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS AN DIE SCHÜLER Sportanlage des "St Mary’s University College"



Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Liebe junge Freunde!

Zunächst möchte ich sagen, wie sehr ich mich freue, heute hier bei euch zu sein. Ich grüße euch ganz herzlich - alle, die von katholischen Schulen und Colleges aus ganz Großbritannien hier zur St. Mary’s University gekommen sind, und alle, die über Fernsehen oder Internet zuschauen. Ich danke Bischof McMahon für seinen freundlichen Willkommensgruß, ich danke dem Chor und der Band für die schöne Musik zu Beginn unserer Feier, und ich danke Miss Bellot und Elaine für ihre guten Worte im Namen aller anwesenden jungen Menschen. Angesichts der bevorstehenden Olympischen Spiele in London war es eine große Freude, diese Sporteinrichtung zu eröffnen, die zur Ehren Papst Johannes Pauls II. benannt ist. Ich bete darum, daß alle, die hierher kommen, durch ihre sportliche Tätigkeit Gott ehren sowie sich selbst und anderen Freude bereiten.

Es ist nicht oft der Fall, daß ein Papst oder auch sonst jemand die Gelegenheit hat, zu den Studenten aller katholischen Schulen Englands, Wales’ und Schottlands gleichzeitig zu sprechen. Und da ich nun die Möglichkeit habe, gibt es etwas, was ich euch unbedingt sagen möchte. Ich hoffe, daß einige von euch, die mir heute zuhören, die künftigen Heiligen des 21. Jahrhunderts sind. Was Gott am meisten von einem jeden von euch wünscht, ist, daß ihr heilig werden sollt. Er liebt euch viel mehr, als ihr euch je vorstellen könnt, und er will das allerbeste für euch. Und das bei weitem Beste für euch ist es, an Heiligkeit zuzunehmen.

Vielleicht haben einige von euch zuvor noch nie darüber nachgedacht. Vielleicht denken einige von euch, ein Heiliger zu sein, das sei nichts für sie. Laßt mich erklären, was ich meine. Wenn wir jung sind, dann gibt es gewöhnlich Menschen, zu denen wir aufschauen, die wir bewundern, wo wir wünschen, wie sie zu sein. Es könnte jemand aus unserem Alltag sein, den wir zutiefst schätzen. Oder es könnte jemand Berühmter sein. Wir leben in einer Prominentenkultur, und junge Menschen werden oft dazu ermuntert, Gestalten aus der Welt des Sports oder der Unterhaltung zum Vorbild zu nehmen. Meine Frage an euch ist nun diese: Was sind die Qualitäten, die ihr in anderen seht und die ihr am liebsten selbst haben möchtet? Welcher Typ von Person möchtet ihr wirklich am liebsten sein?

Wenn ich euch einlade, Heilige zu werden, bitte ich euch, euch nicht mit dem Zweitbesten zufrieden zu geben. Ich bitte euch nicht, ein begrenztes Ziel zu verfolgen und alle anderen zu ignorieren. Geld zu haben, bietet die Möglichkeit, großzügig zu sein und Gutes in der Welt zu tun, aber Geld allein kann uns noch nicht glücklich machen. In irgendeiner Tätigkeit oder irgendeinem Beruf sehr geschickt zu sein, ist gut, aber es wird uns nicht wirklich zufriedenstellen, wenn wir nicht nach etwas noch Größerem streben. Das alles mag uns berühmt machen, aber es wird uns nicht glücklich machen. Glück ist etwas, das wir uns alle wünschen. Es ist aber eine der großen Tragödien in dieser Welt, daß viele Menschen dieses Glück nie finden, weil sie an den falschen Orten danach suchen. Der Schlüssel dazu ist hingegen sehr einfach - wahres Glück ist in Gott zu finden. Wir müssen den Mut haben, unsere tiefste Hoffnung allein auf Gott zu setzen, nicht auf Geld, Karriere, weltlichen Erfolg oder auf unsere Beziehungen zu anderen, sondern auf Gott. Er allein kann die tiefsten Bedürfnisse unseres Herzens stillen.

Gott liebt uns nicht nur mit einer Tiefe und Intensität, die wir selbst ansatzweise kaum begreifen können, sondern lädt uns auch ein, auf diese Liebe zu antworten. Ihr wißt alle, was es heißt, jemanden zu treffen, der interessant oder attraktiv ist, und ihr wollt mit dieser Person befreundet sein. Ihr hofft immer, daß sie euch interessant und attraktiv findet und euer Freund sein will. Gott will euer Freund sein. Und sobald ihr mit Gott Freundschaft schließt, beginnt sich alles in eurem Leben zu ändern. Wenn ihr ihn besser kennenlernt, wollt ihr etwas von seiner unendlichen Güte in eurem Leben widerspiegeln. Ihr seid begeistert, die Tugenden zu leben. Ihr beginnt, Habgier und Selbstsucht sowie alle anderen Sünden als das zu sehen, was sie wirklich sind, nämlich zerstörerische und gefährliche Neigungen, die tiefes Leid und großen Schaden verursachen, und ihr wollt vermeiden, selbst in diese Falle zu tappen. Ihr beginnt, Mitleid für Menschen in Schwierigkeiten zu empfinden, und ihr wollt ihnen unbedingt irgendwie helfen. Ihr wollt die Armen und Hungrigen unterstützen, ihr wollt die Traurigen trösten, ihr wollt gut und großzügig sein. Und wenn euch das alles einmal berührt, dann seid ihr wirklich auf dem Weg, Heilige zu werden.

112 In euren katholischen Schulen gibt es zusätzlich zu den einzelnen Fächern, die ihr studiert, oder den verschiedenen Fähigkeiten, die ihr euch aneignet, immer ein größeres Bild. Alles, was ihr tut, ist in den Kontext gestellt, in der Freundschaft mit Gott zu wachsen und in allem, was sich daraus ergibt. So lernt ihr nicht nur, gute Studenten zu sein, sondern auch gute Bürger, gute Menschen. Wenn ihr in höhere Jahrgangsstufen kommt, müßt ihr die Fächer wählen, die ihr studieren wollt, ihr beginnt, euch zu spezialisieren im Blick auf das, was ihr später im Leben tun wollt. Das ist gut und richtig. Aber erinnert euch immer daran, daß jedes Fach, das ihr studiert, Teil eines größeren Bildes ist. Laßt nie zu, daß ihr eng werdet. Die Welt braucht gute Wissenschaftler, aber die wissenschaftliche Auffassung wird gefährlich eng, wenn sie die religiösen oder ethischen Dimensionen des Lebens außer Acht läßt, genauso wie Religion eng wird, wenn sie den berechtigten Beitrag der Wissenschaft zu unserem Verständnis der Welt zurückweist. Wir brauchen gute Historiker, Philosophen und Wirtschaftswissenschaftler, aber wenn die von ihnen in ihrem Fachbereich gegebene Darstellung des menschlichen Lebens zu eng fokussiert wird, können sie uns ernsthaft auf Irrwege führen.

Eine gute Schule sieht eine ganzheitliche Erziehung für die Person vor. Und eine gute katholische Schule sollte darüber hinaus allen ihren Schülern helfen, Heilige zu werden. Ich weiß, daß viele Nicht-Katholiken an den katholischen Schulen Großbritanniens lernen, und ich möchte euch alle in meine Worte heute einschließen. Ich bete darum, daß auch ihr euch ermutigt fühlt, die Tugenden zu leben, und an der Seite eurer katholischen Klassenkameraden im Wissen und in der Freundschaft mit Gott wachst. Ihr seid für sie eine Erinnerung an das größere Bild, das außerhalb der Schule existiert, und es ist in der Tat nur recht, daß Achtung und Freundschaft für Mitglieder anderer religiöser Traditionen zu den Tugenden gehören sollen, die an einer katholischen Schule gelernt werden. Ich hoffe auch, daß ihr die Werte und Einsichten, die ihr in eurer christlichen Erziehung erhalten habt, mit jedem, dem ihr begegnet, teilt.

Liebe Freunde! Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit. Ich verspreche, für euch zu beten, und bitte euch, auch für mich zu beten. Ich hoffe, viele von euch im kommenden August beim Weltjugendtag in Madrid zu sehen. Bis dahin segne Gott euch alle!


APOSTOLISCHE REISE NACH GROSSBRITANNIEN

(16.-19. SEPTEMBER 2010)

BEGEGNUNG MIT KLERIKERN UND LAIENVERTRETERN

ANDERER RELIGIONEN

GRUSSWORT UND ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI.


Waldegrave Drawing Room

des "St Mary’s University College" in Twickenham

(London Borough of Richmond)

Freitag, 17. September 2010



Sehr geehrte Gäste, liebe Freunde!

Es ist für mich eine große Freude, Ihnen, den Vertretern der verschiedenen Religionsgemeinschaften in Großbritannien, begegnen zu können. Ich grüße sowohl die geistlichen Amtsträger als auch jene, die in Politik, Wirtschaft und Industrie tätig sind. Ich danke Dr. Azzam und Oberrabbiner Lord Sacks für die Grußworte, die sie in Ihrer aller Namen gesprochen haben. Ich begrüße Sie ebenso und wünsche bei dieser Gelegenheit der jüdischen Gemeinde in Großbritannien und auf der ganzen Welt ein frohes und gesegnetes Jom-Kippur-Fest.

Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich die Wertschätzung der Katholischen Kirche für das wichtige Zeugnis zum Ausdruck bringen, das Sie alle als gläubige Menschen in einer Zeit ablegen, in der religiöse Überzeugungen nicht immer verstanden und geschätzt werden. Die Präsenz von engagierten Gläubigen in den verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens zeigt klar auf, daß die geistliche Dimension unseres Lebens eine grundlegende Bedeutung für unsere menschliche Identität hat, daß - anders gesagt - der Mensch nicht vom Brot allein lebt (vgl. Deut Dt 8,3). Für uns Angehörige verschiedener religiöser Traditionen, die sich gemeinsam für das Wohl der gesamten Gesellschaft einsetzen, hat dieses Arbeiten „Seite an Seite“ eine große Wichtigkeit und ergänzt die Gespräche „von Angesicht zu Angesicht“ in unserem fortlaufenden Dialog.

113 Auf geistlicher Ebene sind wir alle auf unterschiedliche Weisen persönlich auf einem Weg, der eine Antwort auf die wichtigste aller Fragen gibt - die Frage nach dem letzten Sinn des menschlichen Daseins. Die Suche nach dem Heiligen ist das Streben nach dem einen Notwendigen, das allein das Verlangen des menschlichen Herzens stillen kann. Im fünften Jahrhundert hat der heilige Augustinus diese Suche mit folgenden Worten beschrieben: „Auf dich hin hast und uns geschaffen, Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir“ (Bekenntnisse I, 1). Wenn wir uns auf dieses Abenteuer einlassen, wird uns immer mehr bewußt, daß die Initiative nicht bei uns liegt, sondern beim Herrn: Es sind nicht so sehr wir, die ihn suchen, sondern vielmehr er, der uns sucht und der ja dieses Verlangen nach ihm tief in unser Herz gelegt hat.

Ihre Präsenz und Ihr Zeugnis in der Welt verweisen auf die grundlegende Bedeutung dieser geistlichen Suche, auf die wir uns eingelassen haben, für das Leben der Menschen. Innerhalb ihres jeweiligen Fachbereichs vermitteln uns die Human- und Naturwissenschaften ein wertvolles Verständnis verschiedener Aspekte unseres Lebens und helfen uns, das Zusammenspiel der Kräfte in der materiellen Welt tiefer zu erfassen, so daß diese dann mit großem Gewinn für die Menschheitsfamilie genutzt werden können. Diese Wissenschaften beantworten jedoch nicht die grundlegende Frage und können dies auch nicht tun, da sie sich allesamt auf einer anderen Ebene bewegen. Sie können das tiefste Verlangen des menschlichen Herzens nicht stillen, sie können uns unseren Ursprung und unsere Bestimmung letztlich nicht erklären und uns nicht sagen, warum und mit welchem Ziel wir existieren, noch können sie eine umfassende Antwort auf die Frage liefern, warum überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts.

Die Suche nach dem Heiligen nimmt den anderen Bereichen des menschlichen Forschens nicht ihren Wert. Im Gegenteil, sie stellt sie in einen Zusammenhang, der ihnen größere Bedeutung verleiht als Weisen, wie wir verantwortungsvoll für die Schöpfung sorgen können. In der Bibel lesen wir, daß Gott am Ende des Schöpfungswerks unsere Ureltern segnete und zu ihnen sprach: „Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch“ (
Gn 1,28). Er vertraute uns die Aufgabe an, die Geheimnisse der Natur zu erforschen und sie uns nutzbar zu machen, um so einem höheren Gut zu dienen. Was ist dieses höhere Gut? Im christlichen Glauben wird es als Liebe zu Gott und Liebe zu unserem Nächsten formuliert. Daher sind wir aus ganzem Herzen und voll Begeisterung in der Welt tätig, aber stets mit dem Blick auf den Dienst an diesem höheren Gut, da wir sonst die Schönheit der Schöpfung entstellen würden, indem wir sie für egoistische Zwecke ausbeuten.

In diesem Sinne verweist uns der authentische religiöse Glaube über die gegenwärtige Zweckmäßigkeit hinaus auf die Transzendenz. Er erinnert uns an die Möglichkeit und das Gebot der moralischen Umkehr, an die Pflicht, in Frieden mit unserem Nächsten zu leben, an die Bedeutung eines rechtschaffenen Lebenswandels. Richtig verstanden, spendet der Glaube Licht; er reinigt unser Herz und regt zu edlen und großzügigen Taten an, die der gesamten Menschheitsfamilie Nutzen bringen. Er spornt uns an, ein tugendhaftes Leben zu führen und einander in Liebe zu begegnen, mit größtem Respekt für andere religiöse Traditionen.

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil betont die Katholische Kirche besonders die Wichtigkeit des Dialogs und der Zusammenarbeit mit den Angehörigen anderer Religionen. Damit dies fruchtbar werden kann, ist ein Prinzip der Gegenseitigkeit unter allen Dialogpartnern und den Angehörigen der verschiedenen Religionen erforderlich. Dabei denke ich besonders an Situationen in manchen Teilen der Welt, wo die Zusammenarbeit und der Dialog zwischen den Religionen gegenseitigen Respekt erfordern wie auch die Freiheit, seine jeweilige Religion auszuüben und öffentliche Gottesdienste zu feiern. Sie beanspruchen die Freiheit, dem eigenen Gewissen zu gehorchen, ohne deswegen ausgegrenzt oder verfolgt zu werden, auch nicht im Falle einer Konversion von einer Religionsgemeinschaft zu einer anderen. Sobald ein solcher Respekt und eine solche Offenheit bestehen, werden die Menschen aller Religionen gemeinsam wirksam für den Frieden und das gegenseitige Verständnis arbeiten und so vor der Welt ein erstrebenswertes Zeugnis geben.

Diese Art des Dialogs muß auf einer Reihe verschiedener Ebenen geführt werden und sollte sich nicht auf offizielle Gespräche beschränken. Zum gelebten Dialog gehört auch das einfache Miteinander-Leben und Voneinander-Lernen, um so im Verständnis und im Respekt füreinander zu wachsen. Der Dialog des Handelns bindet uns in konkrete Formen der Zusammenarbeit ein, indem wir unsere religiösen Erkenntnisse in den Dienst der Förderung der umfassenden Entwicklung der Menschen stellen und uns für den Frieden, die Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen. Ein solcher Dialog kann auch gemeinsame Überlegungen einschließen, wie wir das menschliche Leben in jedem Stadium schützen können und wie wir erreichen können, daß die religiöse Dimension der einzelnen und der Gruppen nicht aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wird. Auf der Ebene offizieller Gespräche bedarf es nicht nur des theologischen Austauschs, sondern wir sollen auch unseren geistlichen Reichtum miteinander teilen, indem wir von unserer Erfahrung im Gebet und in der Kontemplation sprechen und einander die Freude über unsere Begegnung mit der göttlichen Liebe zum Ausdruck bringen. In diesem Zusammenhang sehe ich mit Freude die vielen Initiativen, die in diesem Land zur Förderung des Dialogs auf verschiedenen Ebenen unternommen werden. Wie die Bischöfe von England und Wales in ihrem jüngsten Dokument Meeting God in Friend and Stranger [Gott in Freunden und Fremden begegnen] geschrieben haben, werden die Bemühungen um freundschaftliche Kontakte mit den Angehörigen anderer Religionen zunehmend zu einem vertrauten Bestandteil der Sendung dieser Ortskirche (vgl. Nr. 228) und zu einem charakteristischen Merkmal der religiösen Landschaft dieser Nation.

Liebe Freunde, zum Abschluß meiner Ausführungen darf ich Ihnen versichern, daß die Katholische Kirche den Weg der Begegnung und des Dialogs aus wahrem Respekt für Sie und Ihr religiöses Bekenntnis verfolgt. Die Katholiken in Großbritannien und auf der ganzen Welt werden sich weiter dafür einsetzen, Brücken der Freundschaft zu anderen Religionen zu bauen, Fehler und Wunden der Vergangenheit zu heilen und das Vertrauen unter den einzelnen und unter den Gemeinschaften zu fördern. Ich danke Ihnen nochmals für die gastliche Aufnahme und für die Gelegenheit, Sie in Ihrem Dialog mit Ihren christlichen Brüdern und Schwestern zu ermutigen. Für Sie alle bitte ich um reichen göttlichen Segen! Herzlichen Dank.


APOSTOLISCHE REISE NACH GROSSBRITANNIEN

(16.-19. SEPTEMBER 2010)


FREUNDSCHAFTSBESUCH BEIM ERZBISCHOF VON CANTERBURY

Lambeth Palace (London Borough of Richmond) - Freitag, 17. September 2010

114

Euer Gnaden!


Es ist mir eine Freude, Ihre Besuche, die Sie mir in Rom freundlicherweise abgestattet haben, nun mit diesem brüderlichen Besuch bei Ihnen in Ihrem Amtssitz erwidern zu können. Ich danke Ihnen für Ihre Einladung und die Gastfreundschaft, die Sie mir so großzügig erwiesen haben. Desgleichen grüße ich die anglikanischen Bischöfe, die aus verschiedenen Teilen Großbritanniens hier zusammengekommen sind, meine bischöflichen Mitbrüder aus den katholischen Diözesen von England, Wales und Schottland wie auch die anwesenden ökumenischen Berater.

Euer Gnaden, Sie haben über das historische Treffen gesprochen, das vor fast 30 Jahren zwischen zwei unserer Vorgänger - Papst Johannes Paul II. und Erzbischof Robert Runcie - in der Kathedrale von Canterbury stattgefunden hat. Dort, genau an dem Ort, wo der heilige Thomas von Canterbury mit seinem Blut Zeugnis für Christus gegeben hat, beteten sie gemeinsam um das Geschenk der Einheit unter den Jüngern Christi. Heute bitten wir wiederum um diese Gabe im Bewußtsein, daß die Einheit, die Christus für seine Jünger wollte, nur als Antwort auf das Gebet geschehen kann, nämlich durch das Wirken des Heiligen Geistes, der die Kirche fortwährend erneuert und sie in die ganze Wahrheit führt.

Ich beabsichtige heute nicht, über die Schwierigkeiten zu sprechen, die sich auf dem ökumenischen Weg in der Vergangenheit ergeben haben und sich weiter ergeben werden. Diese Probleme sind allen hier bekannt. Vielmehr möchte ich mit Ihnen Dank sagen für die herzliche Freundschaft, die unter uns gewachsen ist, und für den beachtlichen Fortschritt in so vielen Bereichen des Dialogs während der 40 Jahre, seitdem die internationale anglikanisch-römisch-katholische Kommission ihre Arbeit aufgenommen hat. Laßt uns die Frucht dieser Arbeit dem Herrn der Ernte anvertrauen in der Hoffnung, daß er unsere Freundschaft mit weiterem bedeutsamem Wachstum segnen wird.

Das Umfeld, in dem der Dialog zwischen der Anglikanischen Gemeinschaft und der Katholischen Kirche stattfindet, hat sich seit dem privaten Treffen zwischen Papst Johannes XXIII. und Erzbischof Geoffrey Fisher im Jahr 1960 stark entwickelt. Einerseits entfernt sich die uns umgebende Kultur trotz eines tiefen und weitverbreiteten Hungers nach geistlicher Nahrung immer mehr von ihren christlichen Wurzeln. Andererseits bietet die - in diesem Land besonders ausgeprägte - zunehmend multikulturelle Dimension der Gesellschaft Gelegenheit, andere Religionen kennenzulernen. Dies gibt uns Christen die Möglichkeit, gemeinsam mit Mitgliedern anderer religiöser Traditionen Wege zu suchen, um für die transzendente Dimension des Menschen und den universalen Ruf zur Heiligkeit, die im persönlichen und gesellschaftlichen Bereich zu einem tugendhaften Leben führt, Zeugnis zu geben. Die ökumenische Zusammenarbeit in dieser Aufgabe ist unbedingt notwendig und wird gewiß im Bemühen um Frieden und Harmonie in einer anscheinend so oft von Zersplitterung gefährdeten Welt fruchtbar werden.

Ebenso sollten wir Christen niemals zögern, unseren Glauben an die Einzigartigkeit des uns von Christus erworbenen Heils zu bekennen und gemeinsam nach einem tieferen Verständnis der Mittel zu suchen, die er uns zur Verfügung gestellt hat, um dieses Heil zu erlangen. Gott „will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4). Und diese Wahrheit ist nichts anderes als Jesus Christus, der Ewige Sohn des Vaters, der durch sich alles in der Macht des Kreuzes versöhnt hat. In Treue zum Willen des Herrn erkennen wir, wie es in diesem Abschnitt aus dem ersten Timotheusbrief des heiligen Paulus heißt, daß die Kirche eine inklusive Berufung hat, jedoch nicht auf Kosten der christlichen Wahrheit. Hierin liegt das Dilemma, das alle betrifft, die sich ernsthaft um die Ökumene bemühen.

In der Gestalt von John Henry Newman, der am Sonntag selig gesprochen wird, ehren wir einen Vertreter der Kirche, dessen kirchliche Gesinnung durch seinen anglikanischen Hintergrund geprägt und in den vielen Jahren seines geistlichen Dienstes in der Kirche von England gereift ist. Er kann uns die Tugenden lehren, die für die Ökumene erforderlich sind: Einerseits fühlte er sich gedrängt, sogar unter hohem persönlichen Einsatz seinem Gewissen zu folgen; andererseits veranlaßte ihn die Herzlichkeit seiner bleibenden Freundschaft mit seinen früheren Kollegen, mit ihnen in echt irenischem Geist und in tiefer Sehnsucht nach Einheit im Glauben die Fragen, wo sie verschiedener Meinung waren, zu erörtern. Euer Gnaden, laßt uns in diesem gleichen Geist der Freundschaft unsere Entschlossenheit erneuern, gemäß dem Willen unseres einen Herrn und Erlösers Jesus Christus das Ziel der Einheit im Glauben, in der Hoffnung und der Liebe zu verfolgen.

Mit diesen Gedanken nehme ich von Ihnen Abschied. „Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ (2 Kor 13,13).


APOSTOLISCHE REISE NACH GROSSBRITANNIEN

(16.-19. SEPTEMBER 2010)

BEGEGNUNG MIT VERTRETERN DER GESELLSCHAFT

GROSSBRITANNIENS ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI.


Westminster Hall - City of Westminster

Freitag, 17. September 2010



Mister Speaker!

115 Ich danke Ihnen für den Willkommensgruß im Namen dieser erlesenen Versammlung. Wenn ich mich nun an Sie wende, so bin ich mir des Privilegs bewußt, hier in der Westminster Hall eine Ansprache an das britische Volk und seine Vertreter halten zu dürfen. Dieses Gebäude ist von einzigartiger Bedeutung in der gesellschaftlichen und politischen Geschichte des Volkes dieser Inseln. Dabei möchte ich auch meine Wertschätzung für das Parlament zum Ausdruck bringen, das schon seit Jahrhunderten an diesem Ort besteht und das einen großen Einfluß auf die Entwicklung von partizipativen Regierungsformen unter den Nationen ausgeübt hat, insbesondere im Bereich des Commonwealth und den englischsprachigen Ländern insgesamt. Ihre Tradition des common law bildet die Grundlage für die Rechtsordnungen in vielen Teilen der Welt, und Ihre Sicht der jeweiligen Rechte und Pflichten des Staates und der einzelnen Bürger sowie der Gewaltenteilung stellt weltweit eine bleibende Inspiration dar.

An diesem historischen Ort denke ich an die unzähligen Männer und Frauen im Lauf der Jahrhunderte, die ihre Rolle bei den bedeutsamen Ereignissen spielten, die in diesen Mauern stattfanden und das Leben vieler Generationen von Briten und auch anderen geprägt haben. Besonders rufe ich die Gestalt des heiligen Thomas More in Erinnerung, des großen englischen Gelehrten und Staatsmanns, der von Gläubigen wie von Nichtglaubenden wegen seiner Rechtschaffenheit bewundert wird, mit der er seinem Gewissen folgte, selbst um des Preises willen, daß es dem Herrscher mißfiel, dessen „treuer Diener“ er war; denn er wollte an erster Stelle Gott dienen. Das Dilemma, vor dem Thomas More in diesen schwierigen Zeiten stand, diese stets aktuelle Frage nach dem Verhältnis zwischen dem, was dem Kaiser gebührt, und dem, was Gott gebührt, bietet mir die Gelegenheit, mit Ihnen kurz über den der Religion im politischen Leben zukommenden Platz nachzudenken.

Die parlamentarische Tradition dieses Staates verdankt viel dem im Land verbreiteten Sinn für maßvolle Zurückhaltung und dem Wunsch, einen echten Ausgleich zwischen den legitimen Forderungen der Regierung und den Rechten der ihr untergebenen Menschen zu erreichen. Im Lauf der Geschichte wurden einerseits mehrmals entscheidende Maßnahmen zur Beschränkung der Machtausübung ergriffen, andererseits konnten sich die politischen Institutionen des Landes mit bemerkenswerter Stabilität entwickeln. Aus diesem Prozeß ist Großbritannien als eine pluralistische Demokratie hervorgegangen, die großen Wert auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und politische Freiheit legt und Respekt für die gesetzlichen Vorschriften zeigt mit einer starken Betonung auf den Rechten und Pflichten des einzelnen und der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. Auch wenn sie andere Begriffe verwendet, so hat die kirchliche Soziallehre mit diesem Ansatz viel gemeinsam. Dabei bestimmt sie die Sorge, die einzigartige Würde der als Ebenbild Gottes geschaffenen menschlichen Person zu bewahren und das Augenmerk auf die der staatlichen Autorität zukommende Pflicht der Förderung des Gemeinwohls zu legen.

Und doch begegnen uns die fundamentalen Fragen, um die sich der Prozeß von Thomas More drehte, im Lauf der Zeit auf stets neue Weise in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Umständen. Jede Generation muß sich auf der Suche nach dem Fortschritt im Gemeinwohl neu fragen: Welche Verpflichtungen können Regierungen den Bürgern rechtmäßig auferlegen und wie weit erstrecken sich diese? An welche Autorität muß man sich wenden, um moralische Konflikte zu lösen? Diese Fragen bringen uns direkt zu den ethischen Grundlagen des gesellschaftlichen Diskurses. Wenn die den demokratischen Abläufen zugrundeliegenden moralischen Prinzipien ihrerseits auf nichts Soliderem als dem gesellschaftlichen Konsens beruhen, dann wird die Schwäche dieser Abläufe allzu offensichtlich; darin liegt die wahre Herausforderung der Demokratie.

Die jüngste globale Finanzkrise hat nur zu klar gezeigt, daß pragmatische Kurzzeitlösungen für komplexe soziale und ethische Probleme unbrauchbar sind. Es besteht weitgehende Übereinstimmung darüber, daß der Mangel an soliden ethischen Grundlagen für die wirtschaftliche Tätigkeit zu den großen Schwierigkeiten beigetragen hat, unter denen jetzt Millionen von Menschen auf der ganzen Welt zu leiden haben. Genauso wie „jede wirtschaftliche Entscheidung eine moralische Konsequenz hat“ (Caritas in veritate ), so hat auch im Bereich der Politik die ethische Dimension der politischen Programme weitreichende Auswirkungen, die keine Regierung ignorieren kann. Ein positives Beispiel dafür ist eine der besonders bemerkenswerten Errungenschaften des britischen Parlaments, nämlich die Abschaffung des Sklavenhandels. Die Kampagne, die zu diesem epochalen Gesetz führte, basierte auf festen ethischen Prinzipien, die im Naturrecht verwurzelt waren, und es hat einen Beitrag zum Fortschritt der Zivilisation geleistet, auf die dieses Land zu Recht stolz sein kann.

Bei all dem geht es um folgende zentrale Frage: Wo finden wir die ethische Grundlage für politische Entscheidungen? Die katholische Lehrtradition sagt, daß die objektiven Normen für rechtes Handeln der Vernunft zugänglich sind, ohne daß dazu ein Rückgriff auf die Inhalte der Offenbarung nötig wäre. Dementsprechend besteht die Rolle der Religion in der politischen Debatte nicht so sehr darin, diese Normen zu liefern, als ob sie von Nichtgläubigen nicht erkannt werden könnten. Noch weniger geht es darum, konkrete politische Lösungen vorzuschlagen, was gänzlich außerhalb der Kompetenz der Religion liegt. Es geht vielmehr darum, auf der Suche nach objektiven moralischen Prinzipien zur Reinigung und zur Erhellung der Vernunftanstrengung beizutragen. Diese „korrigierende“ Rolle der Religion gegenüber der Vernunft ist nicht immer willkommen, unter anderem weil entstellte Formen der Religion wie Sektierertum und Fundamentalismus sich selbst als Ursachen schwerer gesellschaftlicher Probleme erweisen können. Diese Verzerrungen der Religion treten ihrerseits dann auf, wenn der reinigenden und strukturierenden Rolle der Vernunft im Bereich der Religion zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Es ist also ein Prozeß in beide Richtungen. Ohne die Korrekturfunktion der Religion kann jedoch auch die Vernunft den Gefahren einer Verzerrung anheimfallen, wenn sie zum Beispiel von Ideologien manipuliert wird oder auf einseitige Weise zur Anwendung kommt, ohne die Würde der menschlichen Person voll zu berücksichtigen. Ein solcher Mißbrauch der Vernunft war es ja auch, der den Sklavenhandel und viele andere gesellschaftliche Übel erst ermöglicht hat, nicht zuletzt die totalitären Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts. Darum würde ich sagen, daß die Welt der Vernunft und die Welt des Glaubens - die Welt der säkularen Rationalität und die Welt religiöser Gläubigkeit - einander brauchen und keine Angst davor haben sollten, zum Wohl unserer Zivilisation in einen tiefen und andauernden Dialog zu treten.

Die Religion ist, anders gesagt, für die Gesetzgeber nicht ein Problem, das gelöst werden muß, sondern ein äußerst wichtiger Gesprächspartner im nationalen Diskurs. In diesem Zusammenhang komme ich nicht umhin, meine Besorgnis zu äußern, daß die Religion und besonders das Christentum in einigen Bereichen zunehmend an den Rand gedrängt werden, auch in Ländern, die großen Wert auf Toleranz legen. Manche sprechen sich dafür aus, die Stimme der Religion zum Schweigen zu bringen oder wenigstens ganz auf die Privatsphäre zu beschränken. Andere behaupten, daß von der öffentlichen Feier von Festen wie Weihnachten abgesehen werden sollte, und begründen es mit der fragwürdigen Annahme, daß solche Bräuche Angehörige anderer Religionen oder Nichtgläubige auf irgendeine Weise verletzen könnten. Schließlich fordern einige - paradoxerweise mit dem Ziel, die Diskriminierung zu bekämpfen -, daß von Christen, die ein öffentliches Amt ausüben, gegebenenfalls verlangt werden sollte, gegen ihr Gewissen zu handeln. Das sind besorgniserregende Zeichen einer Mißachtung nicht nur der Rechte gläubiger Menschen auf Gewissens- und Religionsfreiheit, sondern auch der legitimen Rolle der Religion im öffentlichen Leben. Ich möchte Sie alle daher einladen, in Ihren Wirkungsbereichen nach Wegen zu suchen, wie der Dialog zwischen Glaube und Vernunft auf allen Ebenen im Leben dieses Landes gefördert und belebt werden kann.

Ihre Bereitschaft dazu zeigt sich bereits in der vorher nie dagewesenen Einladung des heutigen Tages an mich. Es kommt auch in den Anliegen zum Ausdruck, in denen Ihre Regierung mit dem Heiligen Stuhl zusammenarbeitet. Im Bereich der Friedensbemühungen werden Gespräche hinsichtlich der Ausarbeitung internationaler Abkommen zum Waffenhandel geführt; im Bereich der Menschenrechte haben der Heilige Stuhl und Großbritannien die Ausbreitung der Demokratie willkommen geheißen, besonders in den vergangenen 65 Jahren; in der Entwicklungshilfe gibt es Zusammenarbeit im Bereich des Schuldenerlasses, des fairen Handels und der Finanzierung der Entwicklung, insbesondere durch die International Finance Facility, den International Immunization Bond und das Advanced Market Commitment. Der Heilige Stuhl hofft darauf, in der Zukunft mit Großbritannien zum Wohl aller auch neue Wege zur Förderung des Umweltbewußtseins beschreiten zu können.

Ich möchte auch besonders erwähnen, daß die gegenwärtige Regierung die Verpflichtung übernommen hat, daß Großbritannien ab 2013 0,7 Prozent seines nationalen Einkommens für Entwicklungshilfe ausgeben wird. In den vergangenen Jahren war es ermutigend, die positiven Zeichen einer weltweit zunehmenden Solidarität gegenüber den Armen zu sehen. Aber die Umsetzung dieser Solidarität in effektive Maßnahmen erfordert ein neues Denken, das zu einer Verbessung der Lebensbedingungen in vielen Bereich führen kann wie der Nahrungsmittelproduktion, der Trinkwasserversorgung, der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Bildung, der Familienförderung, besonders von Migranten, und der grundlegenden Gesundheitsversorgung. Wo es um Menschenleben geht, drängt die Zeit immer: Doch die Welt wurde Zeuge der enormen Mittel, die Regierungen zur Rettung von Finanzinstitutionen aufbringen konnten, von denen man geglaubt hat, sie seien „zu groß zum Scheitern“. Die ganzheitliche Entwicklung der Völker dieser Welt ist gewiß nicht weniger wichtig: Das ist eine Aufgabe, die die Aufmerksamkeit der Welt verdient und die fürwahr „zu groß zum Scheitern“ ist.

Der Überblick über die Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und dem Heiligen Stuhl in jüngster Zeit zeigt gut, wie viel Fortschritt seit der Aufnahme bilateraler diplomatischer Beziehungen bei der Förderung der vielen gemeinsamen Grundwerte in der ganzen Welt erzielt werden konnte. Ich hoffe und bete, daß diese Beziehung weiter Frucht bringen wird und daß sie sich auf allen Ebenen der Gesellschaft in einer zunehmenden Anerkennung der Notwendigkeit eines Dialogs und des Respekts zwischen der Welt der Vernunft und der Welt des Glaubens widerspiegeln wird. Ich bin überzeugt, daß auch in diesem Land die Kirche und die staatlichen Autoritäten in vielen Bereichen zum Wohl der Bürger zusammenarbeiten können, in Übereinstimmung mit der historischen Tradition dieses Parlaments, den Beistand des Heiligen Geistes für jene anzurufen, die sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen einsetzen. Damit eine solche Zusammenarbeit möglich wird, bedürfen religiöse Verbände - unter ihnen die mit der katholischen Kirche verbundenen Institutionen - der Freiheit, nach ihren eigenen Prinzipien und spezifischen Überzeugungen zu handeln, die auf dem Glauben und der offiziellen Lehre der Kirche beruhen. Auf diese Weise werden so grundlegende Rechte wie die Religions-, Gewissens und Versammlungsfreiheit gewährleistet. Die Engel, die von der wunderbaren Decke dieses altehrwürdigen Saales auf uns herabblicken, erinnern uns an die lange Tradition, aus der sich die britische parlamentarische Demokratie entwickelt hat. Sie erinnern uns daran, daß Gott stets über uns wacht, uns führt und uns schützt. Und sie laden uns ein, den entscheidenden Beitrag anzuerkennen, den der Glaube zum Leben dieses Landes geleistet hat und noch weiter leisten kann.

Mister Speaker, ich danke Ihnen einmal mehr für die Gelegenheit, kurz zu diesem erlesenen Personenkreis zu sprechen. Gerne versichere ich Ihnen und dem Lord Speaker meine besten Wünsche und mein beständiges Gebet für Sie und für die fruchtbare Arbeit beider Häuser dieses altehrwürdigen Parlaments. Vielen Dank und Gott segne sie alle!


ANSPRACHE 2010 111