Bostschaft 2005-2010 6

BENEDICTUS PP. XVI



BOTSCHAFT VON BENEDIKT XVI.

AN DIE TEILNEHMER DES II. WELTKONGRESSES DER

KIRCHLICHEN BEWEGUNGEN UND NEUEN GEMEINSCHAFTEN




Liebe Brüder und Schwestern!

In Erwartung der für Samstag, den 3. Juni, auf dem Petersplatz vorgesehenen Begegnung mit den Mitgliedern von mehr als 100 kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften freue ich mich, euch, den in Rocca di Papa zum Weltkongreß versammelten Vertretern all dieser kirchlichen Realitäten mit den Worten des Apostels Paulus einen herzlichen Gruß zu übermitteln: »Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und mit allem Frieden im Glauben, damit ihr reich werdet an Hoffnung in der Kraft des Heiligen Geistes« (Rm 15,13). In meinem Gedächtnis und in meinem Herzen lebt noch die Erinnerung an den letzten Weltkongreß der kirchlichen Bewegungen, der vom 26. bis 29. Mai 1998 in Rom stattfand und zu dem ich, damals noch als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, eingeladen war, um einen Vortrag zu halten über den theologischen Standort der Bewegungen. Der Höhepunkt jenes Kongresses war die denkwürdige Begegnung mit dem geliebten Papst Johannes Paul II. am 30. Mai 1998 auf dem Petersplatz, bei der mein Vorgänger seine Wertschätzung für die kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften bekräftigte, die er »Hoffnungszeichen« für das Wohl der Kirche und der Menschen nannte.

Im Bewußtsein des Weges, der seit jenen Tagen auf dem von der Hirtensorge, der Liebe und der Lehre Johannes Pauls II. vorgezeichneten Pfad zurückgelegt worden ist, möchte ich heute dem Päpstlichen Rat für die Laien in der Person seines Präsidenten, Erzbischof Stanislaw Rylko, sowie des Sekretärs, Bischof Josef Clemens, und ihrer Mitarbeiter meine Glückwünsche aussprechen zu der wichtigen und wertvollen Initiative dieses Weltkongresses. Sein Thema – »Die Schönheit, Christ zu sein und die Freude, es anderen mitzuteilen« – wurde von einer meiner Aussagen in der Predigt zu Beginn meines Petrusamtes angeregt und lädt zum Nachdenken über das wesentliche Kennzeichen des christlichen Ereignisses ein: In ihm kommt uns nämlich derjenige entgegen, der in Fleisch und Blut, sichtbar, in der Geschichte den Glanz der Herrlichkeit Gottes auf die Erde gebracht hat. Auf ihn beziehen sich die Worte des 45. Psalms: »Du bist der Schönste von allen Menschen«, und paradoxerweise auch die Worte des Propheten: »Er hatte keine schöne und edle Gestalt, so daß wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, daß wir Gefallen fanden an ihm« (Is 53,2). In Christus treffen die Schönheit der Wahrheit und die Schönheit der Liebe aufeinander; aber die Liebe schließt bekanntlich auch die Bereitschaft zum Leiden ein, eine Bereitschaft, die bis zur Hingabe des Lebens für diejenigen, die man liebt, gehen kann (vgl. Jn 15,13)! Christus, der »die Schönheit aller Schönheit« ist, wie der hl. Bonaventura zu sagen pflegte (Sermones dominicales 1,7), wird im Herzen des Menschen gegenwärtig und zieht ihn zu seiner Berufung, die die Liebe ist. Durch diese außerordentliche Anziehungskraft wird die Vernunft aus ihrer Trägheit geweckt und für das Geheimnis geöffnet. So offenbart sich die erhabene Schönheit der barmherzigen Liebe Gottes und zugleich die Schönheit des nach dem Abbild Gottes geschaffenen Menschen, der von der Gnade erneuert wird und zur ewigen Herrlichkeit bestimmt ist.

Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Christentum weitergegeben und fand Verbreitung dank der Neuheit des Lebens von Menschen und Gemeinschaften, die in der Lage waren, ein prägendes Zeugnis der Liebe, der Einheit und der Freude zu geben. Gerade diese Kraft hat in der Aufeinanderfolge der Generationen so viele Menschen in »Bewegung« gesetzt. Hat nicht vielleicht die Schönheit, die der Glaube auf dem Antlitz der Heiligen hervorgebracht hat, viele Männer und Frauen veranlaßt, ihren Spuren zu folgen? Im Grunde gilt das auch für euch: Durch die Gründer und Initiatoren eurer Bewegungen und Gemeinschaften habt ihr mit einzigartiger Klarheit das Antlitz Christi erkannt und euch auf den Weg gemacht. Auch heute läßt Christus viele Menschen im Herzen jenes »Komm und folge mir nach!« vernehmen, das über ihr Schicksal entscheiden kann. Das geschieht normalerweise durch das Zeugnis dessen, der eine persönliche Erfahrung der Gegenwart Christi gemacht hat. Auf dem Antlitz und im Wort dieser »neuen Geschöpfe« wird sein Licht sichtbar und seine Einladung hörbar.

Deshalb sage ich euch, liebe Freunde in den Bewegungen: Laßt diese stets Schulen der Gemeinschaft sein, Gruppen von Menschen, die auf dem Weg sind, auf dem man lernt, in der Wahrheit und in der Liebe zu leben, die Christus uns offenbart und durch das Zeugnis der Apostel vermittelt hat, im Schoße der großen Familie seiner Jünger. In euren Herzen möge stets die Mahnung Jesu erklingen: »So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen« (Mt 5,16). Tragt das Licht Christi in alle gesellschaftlichen und kulturellen Umfelder, in denen ihr lebt! Der missionarische Eifer ist der Prüfstein für die Radikalität einer Erfahrung immer wieder erneuerter Treue zum eigenen Charisma, die über jeden müden und egoistischen Rückzug auf sich selbst hinausführt. Erhellt die Dunkelheit einer Welt, die von den widersprüchlichen Botschaften der Ideologien verwirrt ist! Es gibt keine Schönheit, die etwas wert ist, wenn es keine Wahrheit zu erkennen und zu befolgen gibt, wenn die Liebe zu einem vorübergehenden Gefühl abgewertet wird, wenn das Glück zu einer nicht greifbaren Illusion wird, wenn die Freiheit zur Triebhaftigkeit entartet. Wieviel Übel vermag die Gier nach Macht, nach Besitz und nach Lust im Leben des Menschen und der Nationen hervorzurufen! Tragt in diese verstörte Welt das Zeugnis der Freiheit, zu der Christus uns befreit hat (vgl. Ga 5,1). Das außergewöhnliche Einswerden von Gottes- und Nächstenliebe macht das Leben schön und bringt die Wüste, in der wir uns im Leben häufig befinden, neu zum Blühen. Wo die Liebe als Leidenschaft für das Leben und für das Schicksal der anderen zum Ausdruck kommt, indem sie in die Beziehungen und in die Arbeit hinein ausstrahlt und zur Kraft für den Aufbau einer gerechteren Sozialordnung wird, dort entsteht eine Zivilisation, die imstande ist, dem Vormarsch der Barbarei Einhalt zu gebieten. Werdet Baumeister einer besseren Welt gemäß dem »ordo amoris«, in dem sich die Schönheit des menschlichen Lebens offenbart.

Die kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften sind heute ein leuchtendes Zeichen der Schönheit Christi und der Kirche, seiner Braut. Ihr gehört zur lebendigen Struktur der Kirche. Sie dankt euch für euren missionarischen Einsatz, für eure Bildungstätigkeit zugunsten der christlichen Familien sowie für die Förderung der Berufungen zum Amtspriestertum und zum geweihten Leben unter euch. Sie dankt euch auch für die Bereitschaft, die ihr zeigt, die entsprechenden Weisungen nicht nur des Nachfolgers Petri, sondern auch der Bischöfe der verschiedenen Ortskirchen anzunehmen, die zusammen mit dem Papst Hüter der Wahrheit und der Liebe in der Einheit sind. Ich vertraue auf euren bereitwilligen Gehorsam. Über das Recht auf die eigene Existenz hinaus muß der Aufbau des Leibes Christi unter den Menschen stetigen Vorrang und unbestreitbare Priorität besitzen. Jede auftretende Frage muß von den Bewegungen in der Gesinnung tiefer Gemeinschaft und im Geist der Verbundenheit mit den legitimen Hirten angegangen werden. Es möge euch die Teilnahme am Gebet der Kirche stützen, deren Liturgie der höchste Ausdruck der Schönheit der Herrlichkeit Gottes ist und gewissermaßen ein Offenbarwerden des Himmels auf der Erde bedeutet.

7 Ich vertraue euch der Fürsprache derjenigen an, die wir als »Tota pulchra«, als »ganz Schöne«, anrufen, ein Schönheitsideal, das die Künstler in ihren Werken stets wiederzugeben versucht haben, die »Frau, mit der Sonne bekleidet« (Ap 12,1), in der menschliche Schönheit und die Schönheit Gottes zusammentreffen. Mit diesen Empfindungen sende ich allen als Unterpfand meiner stetigen Zuneigung einen besonderen Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 22. Mai 2006

BENEDICTUS PP. XVI



SCHREIBEN VON BENEDIKT XVI.

AN MSGR. DOMENICO SORRENTINO

ANLÄSSLICH DES 20. JAHRESTAGES DES "INTERRELIGIÖSEN TREFFENS ZUM GEBET FÜR DEN FRIEDEN IN ASSISI"


An den verehrten Bruder

Domenico Sorrentino,
Bischof von Assisi - Nocera Umbra-Gualdo Tadino

In dieses Jahr fällt der 20. Jahrestag des »Interreligiösen Treffens zum Gebet für den Frieden«, das auf Wunsch meines verehrten Vorgängers Johannes Paul II. am 27. Oktober 1986 in Assisi stattfand. Zu diesem Treffen lud er bekanntlich nicht nur die Christen unterschiedlicher Konfessionen ein, sondern auch Vertreter der verschiedenen Religionen. Die Initiative fand große Resonanz in der Öffentlichkeit: Sie stellte eine weitreichende Botschaft für den Frieden dar und erwies sich als ein Ereignis, das in der Geschichte unserer Zeit seine Spuren hinterlassen sollte. So ist verständlich, daß die Erinnerung an das, was damals geschah, auch weiterhin Initiativen der Reflexion und des Einsatzes hervorbringt. Einige sind anläßlich des 20. Jahrestages jenes Ereignisses in Assisi vorgesehen. Ich denke dabei an die Feier, die – in Absprache mit der Diözese – von der Gemeinschaft »Sant’Egidio« organisiert wurde, nach dem Vorbild ähnlicher Begegnungen, die jährlich von dieser Gemeinschaft veranstaltet werden. In den eigentlichen Jubiläumstagen wird dann eine vom »Istituto Teologico Assisano« organisierte Tagung stattfinden, und die Teilkirchen der Region werden zu einer Eucharistiefeier zusammenkommen, die die Bischöfe Umbriens in der Basilika des hl. Franziskus gemeinsam feiern werden. Schließlich wird der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog dort eine Begegnung des Dialogs, des Gebetes und der Erziehung zum Frieden für junge Katholiken und Jugendliche anderer Religionszugehörigkeit veranstalten.

Diese Initiativen heben – jede auf ihre Art – den Wert der Intuition hervor, die Johannes Paul II. hatte, und belegen deren Aktualität im Lichte der Ereignisse der vergangenen zwei Jahrzehnte und der Situation, in der sich die Menschheit heute befindet. Das bedeutendste Ereignis in diesem Zeitraum war zweifellos der Sturz der Regime kommunistischer Prägung in Osteuropa. Damit ging der »Kalte Krieg« zu Ende, der eine Art Aufteilung der Welt in einander entgegengesetzte Einflußbereiche bewirkt hatte, was zum Aufbau furchterregender Waffenarsenale und zum totalen Krieg bereiter Heere führte. Es war eine Zeit allgemeiner Hoffnung auf Frieden, die viele dazu brachte, von einer anderen Welt zu träumen, in der sich die Beziehungen zwischen den Völkern ohne das Schreckgespenst des Krieges entwickelt hätten und der »Globalisierungsprozeß« im Zeichen eines friedlichen Gegenübers von Völkern und Kulturen im Rahmen eines gemeinsamen internationalen Rechts stattgefunden hätte, das orientiert ist an der Achtung der Anforderungen der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität. Leider ist dieser Traum vom Frieden nicht Wirklichkeit geworden. Vielmehr hat das dritte Jahrtausend mit scheinbar nicht enden wollenden Szenen des Terrors und der Gewalt begonnen. Darüber hinaus kann die Tatsache, daß die bewaffneten Auseinandersetzungen heute besonders auf dem Hintergrund der vielerorts vorhandenen geopolitischen Spannungen ausgetragen werden, den Eindruck erwecken, daß nicht nur die kulturellen, sondern auch die religiösen Unterschiede Faktoren der Instabilität oder der Bedrohung für die Aussichten auf Frieden darstellen können.

Gerade unter diesem Gesichtspunkt erhält die Initiative, die Johannes Paul II. vor nunmehr 20 Jahren ins Leben gerufen hat, prophetischen Charakter. Seine an die Führer der Weltreligionen gerichtete Einladung zu einem gemeinsamen Zeugnis des Friedens diente dazu, unmißverständlich deutlich zu machen, daß die Religion nichts anderes sein kann als eine Verkünderin des Friedens. Wie das Zweite Vatikanische Konzil in der Erklärung Nostra aetate über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen lehrt, können wir »Gott, den Vater aller, nicht anrufen, wenn wir irgendwelchen Menschen, die ja nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, die brüderliche Haltung verweigern« (Nr. 5). Trotz der Unterschiede, die die verschiedenen religiösen Wege kennzeichnen, muß die Erkenntnis der Existenz Gottes, zu der die Menschen auch dann gelangen können, wenn sie von der Erfahrung der Schöpfung ausgehen (vgl. Rm 1,20), die Gläubigen veranlassen, die anderen Menschen als Brüder zu betrachten. Niemand darf also religiöse Unterschiede als Voraussetzung oder Vorwand für eine feindselige Haltung anderen Menschen gegenüber nehmen.

Dem könnte man entgegenhalten, daß die Geschichte das traurige Phänomen der Religionskriege kennt. Wir wissen jedoch, daß derartige Gewaltakte nicht der Religion als solcher zuzuschreiben sind, sondern vielmehr der kulturellen Begrenzung, mit der sie gelebt wird und sich im Laufe der Zeit entwickelt. Wenn jedoch der religiöse Sinn zur Reife gelangt ist, weckt er im Gläubigen das Bewußtsein, daß der Glaube an Gott, den Schöpfer des Universums und Vater aller, Beziehungen universaler Brüderlichkeit unter den Menschen unbedingt fördern muß. In der Tat gibt es in allen großen religiösen Traditionen Zeugnisse jener engen Verbindung, die zwischen der Beziehung zu Gott und der Ethik der Liebe besteht. Wir Christen fühlen uns durch das Wort Gottes darin bestätigt und noch tiefer erleuchtet. Bereits das Alte Testament bezeugt die Liebe Gottes zu allen Völkern: Er vereint sie durch seinen Bund mit Noah in einer einzigen großen Umarmung – symbolisiert durch den »Bogen in den Wolken« (Gn 9,13 Gn 9,14 Gn 9,16) – und will sie letztendlich, gemäß den Worten der Propheten, in einer einzigen universalen Familie versammeln (vgl. Is 2,2ff; Is 42,6). Im Neuen Testament findet die Offenbarung dieses universalen Liebesplanes ihren Höhepunkt dann im Ostergeheimnis, in dem sich der menschgewordene Sohn Gottes in einem ergreifenden Akt erlösender Solidarität als Opfer für die ganze Menschheit am Kreuz hingibt. So zeigt Gott, daß sein Wesen die Liebe ist. Das ist es, was ich in meiner ersten Enzyklika hervorheben wollte, die mit den Worten beginnt: »Deus caritas est« (1Jn 4,7). Diese Aussage der Heiligen Schrift bringt nicht nur Licht in das Geheimnis Gottes, sondern sie erleuchtet auch die Beziehungen zwischen den Menschen, die alle berufen sind, nach dem Liebesgebot zu leben.

Das vom Diener Gottes Johannes Paul II. ins Leben gerufene Treffen in Assisi legte zu Recht Nachdruck auf den Wert des Gebets beim Aufbau des Friedens. Wir sind uns nämlich bewußt, wie schwierig und nach menschlichem Ermessen zuweilen hoffnungslos der Weg zu diesem grundlegenden Gut ist. Der Frieden ist ein Wert, in den zahlreiche Faktoren einfließen. Um ihn aufzubauen, sind Wege kultureller, politischer und wirtschaftlicher Art natürlich wichtig. In erster Linie jedoch muß der Frieden in den Herzen aufgebaut werden. Hier entwickeln sich Empfindungen, die ihn nähren, oder im Gegenteil bedrohen, schwächen, ersticken können. Das Herz des Menschen ist auch der Ort, an dem Gott wirkt. Daher zeigt sich, daß in diesem Bereich neben der »horizontalen« Dimension – der Beziehung zu anderen Menschen – die »vertikale« Dimension – die Beziehung jedes einzelnen Menschen zu Gott, in der alles seine Grundlage hat – fundamentale Bedeutung besitzt. Genau das ist es, was Papst Johannes Paul II. mit der Initiative von 1986 der Welt nachdrücklich in Erinnerung rufen wollte. Er rief auf zu einem echten Gebet, das das ganze Leben einbezieht. Daher sollte es vom Fasten begleitet sein und sich durch die Wallfahrt, dem Symbol des Weges zur Begegnung mit Gott, ausdrücken. Er erklärte: »Das Gebet verlangt die Bekehrung des Herzens unsererseits« (Ansprache zu Beginn des Weltgebetstages der Religionen für den Frieden in der Basilika Santa Maria degli Angeli in Assisi; in O.R. dt., Nr. 45, 7.11.1986, S. 9). Unter den bezeichnenden Aspekten des Treffens von 1986 muß hervorgehoben werden, daß dieser Wert des Gebets für den Aufbau des Friedens bezeugt wurde von Vertretern verschiedener religiöser Traditionen, und das geschah nicht aus der Ferne, sondern im Rahmen einer Begegnung. Auf diese Weise konnten die Betenden der verschiedenen Religionen in der Sprache des Zeugnisses zeigen, daß das Gebet nicht trennt, sondern vereint, und daß es ein entscheidendes Element für eine wirksame Pädagogik des Friedens ist, die auf Freundschaft, gegenseitiger Annahme und Dialog zwischen den Menschen verschiedener Kulturen und Religionen gründet. Mehr denn je brauchen wir diese Pädagogik, vor allem im Hinblick auf die jungen Generationen. Viele Jugendliche werden in den von Konflikten gezeichneten Gebieten der Welt zu Haß- und Rachegefühlen erzogen, innerhalb ideologischer Rahmenbedingungen, in denen die Keime alter Feindseligkeiten genährt und die Herzen für zukünftige Gewaltakte vorbereitet werden. Diese Barrieren müssen niedergerissen und die Begegnung gefördert werden. Daher freut es mich, daß die in diesem Jahr in Assisi vorgesehenen Initiativen in diese Richtung gehen und daß der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog sie besonders auf die Jugendlichen zugeschnitten hat.

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen über den Sinn dessen, was Johannes Paul II. 1986 verwirklichen wollte und was gewöhnlich mit einem von ihm geprägten Ausdruck als »Geist von Assisi« bezeichnet wird, darf nicht vergessen werden, wie sehr damals darauf geachtet wurde, daß das Gebetstreffen der Religionen keinen Anlaß geben sollte für synkretistische Auslegungen, die auf einer relativistischen Sichtweise gründen. Gerade deshalb erklärte Johannes Paul II. von Anfang an: »Die Tatsache, daß wir hierher gekommen sind, beinhaltet nicht die Absicht, unter uns selbst einen religiösen Konsens zu suchen oder über unsere religiösen Überzeugungen zu verhandeln. Es bedeutet weder, daß die Religionen auf der Ebene einer gemeinsamen Verpflichtung gegenüber einem irdischen Projekt, das sie alle übersteigen würde, miteinander versöhnt werden könnten. Noch ist es eine Konzession an einen Relativismus in religiösen Glaubensfragen…« (ebd.). Ich möchte diesen Grundsatz bekräftigen, der die Voraussetzung ist für jenen Dialog zwischen den Religionen, den vor nun bereits 40 Jahren das Zweite Vatikanische Konzil in der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (vgl. Nostra aetate NAE 2) als Wunsch zum Ausdruck brachte. Gerne nehme ich die Gelegenheit wahr, um die Vertreter der anderen Religionen zu grüßen, die an der einen oder der anderen Gedenkfeier in Assisi teilnehmen. So wie wir Christen wissen auch sie, daß man im Gebet Gott auf ganz besondere Weise erfahren und aus dem Gebet wirkungsvolle Anregungen schöpfen kann, um sich der Sache des Friedens zu widmen. Dennoch müssen auch hier unangebrachte Verwechslungen vermieden werden. Daher muß, auch wenn man zusammenkommt, um für den Frieden zu beten, das Gebet in unterschiedlichen, den verschiedenen Religionen eigenen Weisen stattfinden. Dies ist die Entscheidung, die 1986 getroffen wurde, und diese Entscheidung ist auch heute noch gültig. Übereinstimmung unter Verschiedenartigem darf nicht den Eindruck erwecken, daß man jenem Relativismus Raum gibt, der den Sinn der Wahrheit und die Möglichkeit, zu ihr zu gelangen, leugnet.

8 Für seine mutige und prophetische Initiative wählte Johannes Paul II. den beeindruckenden Hintergrund Assisis, jener Stadt, die durch die Gestalt des hl. Franziskus weltweit bekannt ist. Tatsächlich verkörperte der »Poverello« auf vorbildliche Weise die von Jesus im Evangelium verkündete Seligpreisung: »Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden« (Mt 5,9). Das Zeugnis, das er in seiner Zeit ablegte, macht ihn zu einem natürlichen Bezugspunkt für jene, die auch heute das Ideal des Friedens, der Achtung der Natur und des Dialogs zwischen Menschen, Religionen und Kulturen pflegen. Dennoch ist es wichtig, wenn die Botschaft des hl. Franziskus nicht entstellt werden soll, sich daran zu erinnern, daß es seine radikale Entscheidung für Christus war, die ihm den Schlüssel zum Verständnis jener Brüderlichkeit gegeben hat, zu der alle Menschen berufen sind und an der in gewisser Weise auch unbeseelte Wesen – von »Bruder Sonne« bis hin zu »Schwester Mond« – teilhaben. Ich möchte daher in Erinnerung rufen, daß gleichzeitig mit diesem 20. Jahrestag des von Johannes Paul II. ins Leben gerufenen Friedensgebets die 800-Jahrfeier der Bekehrung des hl. Franziskus stattfindet. Die beiden Gedenkfeiern erhellen sich gegenseitig. Mit den Worten, die durch das Kreuz von »San Damiano« an Franziskus gerichtet wurden – »Geh, und stelle mein Haus wieder her…« –, mit seiner Entscheidung für die radikale Armut, mit dem Kuß, den er dem Aussätzigen gab und in dem seine neue Fähigkeit, Christus in den leidenden Brüdern zu sehen und zu lieben, zum Ausdruck kam, begann jenes menschliche und christliche Abenteuer, das immer noch viele Menschen unserer Zeit fasziniert und diese Stadt zum Ziel unzähliger Pilger werden läßt.

Ihnen, verehrter Bruder, Hirt der Kirche von Assisi-Nocera Umbra-Gualdo Tadino, vertraue ich die Aufgabe an, diese Gedanken den Teilnehmern der verschiedenen Feierlichkeiten, die zum Gedächtnis an den 20. Jahrestag jenes historischen Ereignisses – des »Treffens der Religionen« vom 27. Oktober 1986 – geplant sind, weiterzugeben. Bitte übermitteln Sie allen auch meinen herzlichen Gruß und meinen Segen, den ich mit dem Wunsch und dem Gebet des »Poverello« von Assisi begleite: »Der Herr schenke euch seinen Frieden!«

Aus Castelgandolfo, am 2. September 2006

BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI.

AN DIE KATHOLIKEN IN DEN LÄNDERN DES NAHEN OSTENS

An die Hochwürdigsten Mitbrüder im bischöflichen und priesterlichen Dienst

an die lieben katholischen Brüder und Schwestern
in den Ländern des Nahen Ostens

Umstrahlt vom Glanz des Weihnachtsfestes, betrachten wir die Gegenwart des Wortes, das unter uns sein Zelt aufgeschlagen hat. Es ist »das Licht, das in der Finsternis leuchtet« und das uns »die Macht gab, Kinder Gottes zu werden« (vgl. Jn 1,5 Jn 1,12). In dieser für den christlichen Glauben so bedeutsamen Zeit möchte ich an euch, katholische Schwestern und Brüder, die ihr in den Ländern des Nahen Ostens lebt, einen besonderen Gedanken richten. Ich fühle mich euch in jeder auch kleinsten Teilkirche geistig nahe, um mit euch die Sehnsucht und die Hoffnung zu teilen, mit der ihr den Herrn Jesus, den Friedensfürst, erwartet. Allen gelte der biblische Gruß, den sich auch der hl. Franz von Assisi zu eigen gemacht hat: »Der Herr schenke euch Frieden

Mit Zuneigung wende ich mich an die Gemeinden, die eine »kleine Herde« sind und sich als solche fühlen sowohl auf Grund der geringen Anzahl von Brüdern und Schwestern (vgl. Lc 12,32), als auch deshalb, weil sie in einer Gesellschaft leben, die in der großen Mehrheit aus Andersgläubigen besteht, und auf Grund der gegenwärtigen Tatsache, daß sich manche der Ursprungsländer in dürftigen Verhältnissen und Schwierigkeiten befinden. Ich denke vor allem an die Länder, die von starken Spannungen gezeichnet und oft abscheulichen Gewalttaten ausgesetzt sind, die nicht nur große Zerstörungen hervorrufen, sondern mitleidlos unschuldige und wehrlose Menschen treffen. Die Nachrichten, die jeden Tag aus dem Nahen Osten kommen, zeigen eine stetige Zunahme dramatischer Situationen, die fast ausweglos sind. Es sind Ereignisse, die in den Menschen, die darin verwickelt sind, natürlich Gegenklagen und Wut hervorrufen und die Gemüter auf Vergeltung und Rache einstimmen.

Wir wissen, daß das keine christlichen Gefühle sind. Geben wir ihnen nach, so erfüllen sie uns im Innern mit Groll und Härte, weit entfernt von jener »Güte und Demut«, als deren Vorbild sich Christus Jesus uns dargestellt hat (vgl. Mt 11,29). Damit ginge die Gelegenheit verloren, einen wirklich christlichen Beitrag zur Lösung der äußerst schwierigen Probleme dieser unserer Zeit zu leisten. Es wäre gerade in diesem Moment wirklich unklug, Zeit auf die Frage zu verwenden, wer mehr gelitten hat, oder das erlittene Unrecht anzuführen und dabei die Gründe aufzuzählen, die die eigene These untermauern. Das ist in der Vergangenheit oft geschehen und führte zu gering gesagt enttäuschenden Ergebnissen. Das Leiden verbindet im Grunde alle, und wenn man leidet, sollte man vor allem den Wunsch verspüren, zu verstehen, wie sehr der andere leidet, der sich in einer ähnlichen Lage befindet. Der geduldige und demütige Dialog, der im gegenseitigen Aufeinanderhören geführt wird und auf das Verständnis der Lage des andern ausgerichtet ist, hat schon in vielen, ehedem durch Gewalt und Rache verwüsteten Ländern gute Frucht getragen. Ein wenig mehr Vertrauen in die Menschlichkeit des andern, vor allem wenn er leidet, kann nur zu wirksamen Ergebnissen führen. Diese innere Bereitschaft wird heute von vielen Seiten maßgebend gefordert.

Ich denke ständig, aber in der Weihnachtszeit mit besonderer Sorge, an die katholischen Gemeinden in euren Ländern. In eure Länder führt uns der Stern, den die Sterndeuter sahen, jener Stern, der sie zur Begegnung mit dem Kind und seiner Mutter Maria führte (vgl. Mt 2,11). In einem Land des Orients hat Jesus sein Leben hingegeben: »Er vereinigte die beiden Teile und riß durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder« (Ep 2,14). Dort sagte Er zu den Jüngern: »Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen« (Mc 16,15). Dort wurden die Jünger des Meisters erstmals als Christen bezeichnet (vgl. Ac 11,26). Dort entstand und entwickelte sich die Kirche der großen Väter und erblühten reiche geistliche und liturgische Traditionen.

Liebe Brüder und Schwestern, euch, den Erben dieser Traditionen, spreche ich mit Zuneigung meine persönliche Nähe aus in eurer Lage menschlicher Unsicherheit, täglicher Leiden, der Angst und der Hoffnung, die ihr erlebt. Euren Gemeinden wiederhole ich vor allem die Worte des Erlösers: »Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben« (Lc 12,32). Ihr dürft auf meine volle Solidarität unter den gegenwärtigen Umständen zählen. Ich bin sicher, daß ich das auch im Namen der universalen Kirche sagen kann. Deshalb soll sich kein katholischer Gläubiger des Nahen Ostens zusammen mit seiner Heimatgemeinde allein oder verlassen fühlen. Eure Kirchen sind auf ihrem schweren Weg vom Gebet und von der karitativen Unterstützung der Teilkirchen der ganzen Welt begleitet, dies nach dem Vorbild und gemäß dem Geist der im Entstehen begriffenen Kirche (vgl. ).

9 In der jetzigen Lage, die sich durch wenig Licht und viel Schatten auszeichnet, ist es für mich ein Grund des Trostes und der Hoffnung zu wissen, daß die christlichen Gemeinden des Nahen Ostens, deren schwere Leiden mir voll und ganz gegenwärtig sind, weiterhin lebendige und tatkräftige Gemeinschaften bleiben und ihren Glauben in den sie umgebenden Gesellschaften durch ihre besondere Identität mit Entschiedenheit bezeugen. Sie wollen dazu beitragen, die dringenden Bedürfnisse ihrer jeweiligen Gesellschaft und der ganzen Region in konstruktiver Weise zu erleichtern. In seinem ersten Brief, den er an ärmliche und ausgegrenzte Gemeinden schrieb, die in der damaligen Gesellschaft nicht viel galten und auch verfolgt waren, zögerte der Apostel Petrus nicht zu sagen, daß ihre schwierige Lage als »Gnade« zu betrachten sei (vgl. 1,7–11). In der Tat, ist es denn nicht eine Gnade, an den Leiden Christi teilhaben zu können, sich mit dem Tun zu vereinen, durch das er unsere Sünden auf sich geladen hat, um sie zu sühnen? Die katholischen Gemeinden, die oft in einer schweren Lage sind, sollen sich der mächtigen Kraft bewußt sein, die von ihren mit Liebe angenommenen Leiden ausströmt. Es ist dies ein Leiden, das das Herz des andern und das Herz der Welt zu verändern vermag. Deshalb ermutige ich jeden, den eigenen Weg beharrlich fortzusetzen, gestützt von dem Wissen um den »teuren Preis«, mit dem Christus ihn gerettet hat (vgl. 1Co 6,20). Für die Glieder dieser Gemeinden, die in ihrem Umfeld und in der Gesellschaft in Minderheit und zahlenmäßig oft unbedeutend sind, ist es um so schwerer, der eigenen christlichen Berufung zu entsprechen. Aber eure Patriarchen haben in ihrem Hirtenbrief zu Ostern 1992 geschrieben: »Das Licht in einem Haus mag schwach sein, aber es erhellt das ganze Haus. Das Salz ist das geringste der Nahrungsmittel, aber es ist das, was ihnen den Geschmack gibt. Mengenmäßig ist die Hefe im Teig sehr gering, aber sie ist es, die ihn aufgehen läßt und vorbereitet, damit er Brot wird.« Ich mache mir diese Worte zu eigen und ermutige die katholischen Hirten, in ihrem Dienst fortzufahren, indem sie die Einheit untereinander pflegen und ihrer Herde immer nahe bleiben. Sie sollen wissen, daß der Papst die Sorgen, die Hoffnungen und die in ihren jährlichen Hirtenbriefen sowie in der täglichen Erfüllung ihrer heiligen Pflichten ausgesprochenen Mahnungen teilt. Er ermutigt sie in ihrem Bemühen, die ihnen anvertraute Herde im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu stützen und zu stärken. Die Gegenwart ihrer Gemeinden in den einzelnen Ländern der Region bildet unter anderem ein Element, das für den Ökumenismus sehr förderlich sein kann.

Seit langem ist zu beobachten, daß viele Christen den Nahen Osten verlassen, so daß die Heiligen Stätten Gefahr laufen, sich in archäologische Gebiete ohne kirchliches Leben zu verwandeln. Gefährliche geopolitische Situationen, kulturelle Konflikte, wirtschaftliche und strategische Interessen sowie eine Aggressivität, die dadurch gerechtfertigt werden soll, daß ihnen ein sozialer oder religiöser Ursprung zugeschrieben wird, erschweren sicher das Überleben der Minderheiten, und deshalb kommen viele Christen dazu, der Versuchung der Auswanderung nachzugeben. Oft mag das Übel nicht wieder gutzumachend sein. Dennoch darf man nicht vergessen, daß auch das einfache Zusammensein und Zusammenleben in einem gemeinsamen Leiden wie Balsam auf die Wunden wirkt und zu Gedanken und Werken der Versöhnung und des Friedens anleitet. Daraus entsteht ein familiärer und brüderlicher Dialog, der sich mit der Zeit und durch die Gnade des Heiligen Geistes in einen erweiterten kulturellen, sozialen und auch politischen Dialog verwandeln kann. Außerdem weiß der Gläubige, daß er auf eine Hoffnung zählen kann, die nicht enttäuscht, da sie auf der Gegenwart des Auferstandenen gründet. Von ihm kommt das Werk des Glaubens und die Opferbereitschaft der Liebe (vgl. 1Th 1,3). Auch in den schmerzhaftesten Schwierigkeiten beweist die christliche Hoffnung, daß die passive Resignation und der Pessimismus die eigentliche Gefahr sind, die die Antwort auf die Berufung gefährden, die aus der Taufe erwächst. Daraus können Mißtrauen, Angst, Selbstmitleid, Fatalismus und Flucht entstehen.

In der gegenwärtigen Stunde wird von den Christen verlangt, daß sie in der Kraft des Geistes Christi mutig und entschlossen sind und wissen, daß sie auf die Nähe ihrer in der Welt verstreuten Glaubensbrüder zählen können. Der hl. Paulus erklärt in einem Brief an die Römer offen, daß die Leiden, die wir hier auf Erden erdulden, nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die uns erwartet (vgl. 8,18). In gleicher Weise erinnert uns der Apostel Petrus in seinem ersten Brief daran, daß wir Christen jetzt unter mancherlei Prüfungen leiden müssen, aber eine lebendige Hoffnung haben, die uns mit Freude erfüllt (vgl. 1,6). Paulus bekräftigt dann im zweiten Brief an die Korinther mit Überzeugung, daß »der Gott allen Trostes … uns in all unserer Not (tröstet), damit auch wir die Kraft haben, alle zu trösten, die in Not sind« (13–4). Wir wissen wohl, daß der vom Heiligen Geist verheißene Trost nicht nur aus guten Worten besteht, sondern sich in eine Erweiterung von Herz und Sinn umsetzt, so daß man die eigene Lage im größeren Rahmen der ganzen Schöpfung sehen kann, die in Erwartung des Offenbarwerdens der Söhne Gottes in Geburtswehen liegt (vgl. ). In dieser Hinsicht kann jeder so weit kommen, daß er mehr an die Leiden des andern als an die eigenen Leiden denkt, mehr an die gemeinsamen Leiden als an die privaten Leiden. Und er wird sich bemühen, etwas zu tun, damit der andere oder die anderen erkennen, daß ihre Leiden verstanden und angenommen sind und man diesen, so weit wie möglich, abhelfen möchte.

Durch euch, meine Lieben, möchte ich mich auch an eure Mitbürger wenden, an die Männer und Frauen der verschiedenen christlichen Bekenntnisse, der verschiedenen Religionen und an alle, die aufrichtig den Frieden, die Gerechtigkeit, die Solidarität suchen durch gegenseitiges Hören und den wahren Dialog. Allen sage ich: Haltet stand mit Mut und Vertrauen! Von denjenigen, die für die Lenkung der Geschicke Verantwortung tragen, erbitte ich dann Sensibilität, Aufmerksamkeit und eine konkrete Nähe, die Berechnungen und Strategien überwindet, damit unter wahrer Achtung jedes Menschen gerechtere und friedlichere Gesellschaften aufgebaut werden.

Meine lieben Brüder und Schwestern, wie ihr wißt, hoffe ich wirklich, daß die göttliche Vorsehung es so fügt, daß die Umstände mir eine Pilgerfahrt in das Land erlauben, das durch die Ereignisse der Heilsgeschichte geheiligt worden ist. So hoffe ich, in Jerusalem beten zu können, in der »Heimat des Herzens aller geistigen Nachkommen Abrahams, denen es besonders teuer ist« (Johannes Paul II., Redemptionis anno, AAS LXXVI, 1984, 625). Ich bin wirklich überzeugt, daß es sich »zum Symbol der Begegnung, der Einigung und des Friedens für die ganze Menschheitsfamilie « erheben kann (ebd., S. 629). In Erwartung, daß sich dieser Wunsch erfüllt, ermutige ich euch, den Weg des Vertrauens fortzusetzen, indem ihr Gesten der Freundschaft und des guten Willens vollbringt. Ich meine sowohl die einfachen, alltäglichen Gesten, die in euren Ländern seit langem vom einfachen Volk geübt werden, das von je her alle Menschen mit Respekt behandelt hat, als auch die Gesten, die in gewisser Weise heroisch und von der wahren Achtung der Menschenwürde inspiriert sind – dies in dem Versuch, für extrem konfliktreiche Situationen Auswege zu finden. Der Frieden ist ein so großes und dringliches Gut, daß er auch große Opfer von seiten aller rechtfertigt.

Wie mein verehrter Vorgänger Papst Johannes Paul II. schrieb: »Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden.« Deshalb ist es notwendig, daß die Rechte eines jeden anerkannt und gewürdigt werden. Johannes Paul II. fügte jedoch hinzu: »Ohne Vergebung gibt es keine Gerechtigkeit.« Ohne über vergangene Fehler hinwegzugehen, kann man normalerweise nicht zu einer Vereinbarung kommen, die es ermöglicht, den Dialog im Hinblick auf eine künftige Zusammenarbeit zu eröffnen. In dem Fall ist die Vergebung eine unerläßliche Bedingung, um für die Planung einer neuen Zukunft frei zu sein. Aus der gewährten und angenommenen Vergebung können viele Werke der Solidarität entstehen und sich entfalten, dies gemäß den Richtlinien, die in euren Ländern auf Grund der Initiative der Kirche, der Regierungen und der nicht zur Regierung gehörenden Instanzen schon bestehen.

Der Gesang der Engel über der Hütte von Betlehem: »Frieden auf Erden bei den Menschen von Gottes Gnade« nimmt in diesen Tagen seine volle Prägnanz an und bringt von jetzt an jene Früchte hervor, die man im ewigen Leben in Fülle haben wird. Mein Wunsch ist es, daß die Weihnachtszeit ein Ende oder zumindest eine Erleichterung der vielen Leiden bringen und den vielen Familien jenes Mehr an Hoffnung schenken möge, das notwendig ist, um in der schwierigen Aufgabe fortzufahren, den Frieden in einer noch so zerrissenen und gespaltenen Welt zu fördern. Meine Lieben, seid sicher, daß euch auf diesem Weg das inbrünstige Gebet des Papstes und der ganzen Kirche begleitet. Die Fürsprache und das Beispiel so vieler Märtyrer und Heiliger, die in euren Ländern mutig Zeugnis für Christus abgelegt haben, mögen euch stützen und in eurem Glauben stärken. Und die Heilige Familie von Nazaret wache über eure guten Vorsätze und eure Bemühungen.

Mit diesen Gefühlen erteile ich jedem von euch als Zeichen meiner Zuneigung und meines ständigen Gedenkens von ganzem Herzen einen besonderen Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 21. Dezember 2006


Bostschaft 2005-2010 6