BOTSCHAFT 2006-2010 63

63 4. Die Heilige Schrift lädt uns ein, das Almosen mit einem tieferen Blick zu betrachten, der die rein materielle Dimension transzendiert, und sie lehrt uns, dass mehr Freude im Geben als Nehmen liegt (vgl. Ac 20,35). Wenn wir mit Liebe handeln, dann drücken wir die Wahrheit unseres Seins aus: Wir sind nämlich nicht für uns selbst geschaffen, sondern für Gott und für die Mitmenschen (vgl. 2Co 5,15). Jedes Mal, wenn wir aus Liebe zu Gott unsere Güter mit dem bedürftigen Nächsten teilen, erfahren wir, dass die Fülle des Lebens aus der Liebe kommt und dass alles zu uns zurückkehrt als Segen des Friedens, der inneren Zufriedenheit und Freude. Der himmlische Vater belohnt unser Almosen mit seiner Freude. Mehr noch: Der heilige Petrus erwähnt unter den geistlichen Früchten des Almosens die Vergebung der Sünden. „Die Liebe“ – schreibt er – „deckt viele Sünden zu“ (1P 4,8). Wie die Liturgie der Fastenzeit oft wiederholt, bietet Gott uns Sündern die Möglichkeit der Vergebung an. Zu deren Empfang macht es uns bereit, wenn wir mit den Armen unseren Besitz teilen. In diesem Moment denke ich an all jene, die die Last des Bösen spüren, das sie begangen haben, und sich gerade deshalb fern von Gott fühlen, ängstlich und fast unfähig, sich an ihn zu wenden. Indem uns das Almosen dem Nächsten nahe bringt, bringt es uns Gott nahe, und es kann zu einem Werkzeug einer wahren Umkehr und einer Versöhnung mit ihm sowie mit den Brüdern und Schwestern werden.

5. Das Almosen erzieht zu einem liebevollen Großmut. Der heilige Giuseppe Benedetto Cottolengo pflegte zu empfehlen: „Zählt nie die Münzen, die ihr ausgebt, denn so sage ich immer: Wenn beim Almosengeben die linke Hand nicht wissen darf, was die rechte tut, so darf auch die rechte nicht wissen, was sie selbst tut“ (Detti e pensieri, Edilibri, Nr. 201). In diesem Zusammenhang hat die Episode des Evangeliums über die Witwe, die in ihrer Armut „ihren ganzen Lebensunterhalt“ (Mc 12,44) in den Opferkasten des Tempels warf, hohe Bedeutung. Ihre kleine und unbedeutende Münze wird zu einem aussagekräftigen Symbol: Diese Witwe gibt Gott nicht etwas von ihrem Überfluss; nichts, was sie besitzt; sie gibt, was sie ist. Sie gibt sich selbst ganz.

Diese bewegende Erzählung ist eingebettet in die biblische Schilderung der Tage, die der Passion und dem Tod Jesu unmittelbar vorausgehen. Jesus ist arm geworden, um uns durch seine Armut reich zu machen, so schreibt der Völkerapostel (vgl. 2Co 8,9); er hat sich selbst ganz für uns hingegeben. Die Fastenzeit drängt uns dazu – auch durch das Almosengeben – seinem Beispiel zu folgen. In Jesu Schule können wir lernen, aus unserem Leben eine Gabe zu machen; indem wir ihn nachahmen, wächst die Bereitschaft, nicht nur von unserem Besitz zu geben, sondern uns selbst. Ist nicht etwa das ganze Evangelium in dem einen Gebot der Liebe zusammengefasst? Die Praxis des Almosens in der Fastenzeit wird also zu einem Mittel, in unserer christlichen Berufung voranzuschreiten. Wenn der Christ sich hingibt ohne zu zählen, bezeugt er: Nicht der materielle Reichtum diktiert die Gesetze der Existenz, sondern die Liebe. Was dem Almosen seinen Wert gibt, ist je nach den Möglichkeiten und Umständen des einzelnen die Liebe, die zu verschiedenen Formen der Hingabe inspiriert.

6. Liebe Brüder und Schwestern, die Vorbereitung auf Ostern lädt uns auch durch das Almosengeben zu einer geistlichen Schulung ein, damit wir in der Liebe wachsen und Christus selbst in den Armen erkennen. In der Apostelgeschichte wird berichtet, was der Apostel Petrus zum Gelähmten sagt, der am Tor des Tempels um Almosen bittet: „Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, geh umher“ (Ac 3,6). Mit dem Almosen schenken wir etwas Materielles; es kann ein Zeichen der größeren Gabe sein, die wir anderen mit Wort und Zeugnis von Christus geben, in dessen Namen das wahre Leben ist. Diese Zeit nötigt uns daher durch persönliche und gemeinschaftliche Anstrengung, Christus anzuhangen und seine Liebe zu bezeugen. Maria, die Mutter und treue Magd des Herrn, helfe den Gläubigen in ihrem „geistlichen Kampf“ der Fastenzeit, die Waffen des Gebetes, des Fastens und des Almosengebens recht zu nutzen. Im Geist erneuert gehen wir dann den österlichen Festen entgegen. Mit diesen Wünschen erteile ich gerne Ihnen allen den Apostolischen Segen.



Vatikan, 30. Oktober 2007

BENEDICTUS PP. XVI






BOTSCHAFT VON BENEDIKT XVI. FÜR DIE FASTENZEIT 2009


"Nachdem er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte,


bekam er Hunger" (@MT 4,1-2@)



Liebe Brüder und Schwestern!

Zu Beginn der Fastenzeit, die ja ein Weg vertieften geistlichen Tuns ist, empfiehlt uns die Liturgie erneut drei Bußpraktiken, die der biblischen und christlichen Tradition sehr wichtig sind – das Gebet, das Almosengeben und das Fasten. Sie dienen der inneren Vorbereitung, damit das Osterfest besser begangen und so die Macht Gottes erfahren werden kann. Diese – so verkündigt es uns neu die Ostervigil – „nimmt den Frevel hinweg, reinigt von Schuld, gibt den Sündern die Unschuld, den Trauernden Freude. Weit vertreibt sie den Hass, sie einigt die Herzen und beugt die Gewalten“ (Osterlob). In meiner diesjährigen Fastenbotschaft möchte ich besonders beim Wert und Sinn des Fastens verweilen. Die österliche Bußzeit ruft ja die vierzig Tage in Erinnerung, in denen der Herr vor dem Antritt seines öffentlichen Wirkens in der Wüste fastete. Im Evangelium lesen wir: „Jesus [wurde] vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden. Nachdem er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, bekam er Hunger“ (Mt 4,1-2). Wie Mose vor dem Empfang der Gesetzestafeln (vgl. Ex 34,28), wie Elias vor der Begegnung mit dem Herrn auf dem Berg Horeb (vgl. 1R 19,8), so bereitete sich auch Jesus durch Beten und Fasten auf seine Sendung vor, an deren Anfang eine harte Auseinandersetzung mit dem Versucher steht.

Wir können uns fragen, welchen Wert und Sinn es für uns Christen hat, sich etwas zu versagen, das an sich gut und zu unserem Unterhalt nützlich ist. Die Heilige Schrift und die ganze christliche Tradition lehren, dass das Fasten eine große Hilfe ist, die Sünde zu meiden sowie das, was zu ihr verleitet. Darum kehrt in der Heilsgeschichte die Aufforderung zum Fasten des öfteren wieder. Schon in den ersten Kapiteln der Bibel untersagt der Herr dem Menschen den Genuss der verbotenen Frucht: „Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen. Von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen aber darfst du nicht essen. Denn am Tag, da du davon isst, musst du sicher sterben“ (Gn 2,16-17). In einem Kommentar über das göttliche Gebot schreibt der heilige Basilius: „Das erste Fastengebot wurde im Paradies erlassen“, und „im genannten Sinn empfing Adam das erste Gebot.“ Daraus folgert er: „Nicht zu essen, heisst also zu fasten und das Gesetz der Enthaltsamkeit zu beachten“ (vgl. Sermo de ieiunio: , 163, 98). Da wir alle an der Sünde und ihren Folgen tragen, wird uns das Fasten als ein Mittel empfohlen, neu Freundschaft mit dem Herrn zu schliessen. So tat es Esra vor seiner Rückkehr aus dem Exil in das verheißene Land, als er das versammelte Volk zum Fasten aufrief, „damit wir“, wie er sagte, „uns vor unserem Gott verdemütigen“ (8,21). Der Allmächtige erhörte ihr Gebet und sicherte ihnen seine Huld und seinen Schutz zu. Gleiches vollzogen die Einwohner von Ninive, die auf Jonas Appell zur Umkehr hörten und als Zeugnis ihrer Aufrichtigkeit ein Fasten ausriefen. Dabei hofften sie: „Vielleicht reut es Gott noch einmal, und er lässt ab von seinem glühenden Zorn, so dass wir nicht zugrunde gehen“ (3,9). Auch damals schaute Gott auf ihr Tun und verschonte sie.

Im Neuen Testament erhellt Jesus den tiefen Sinn des Fastens: Er geißelt die Pharisäer, die die vom Gesetz angeordneten Vorschriften in allen Einzelheiten beachteten, deren Herz jedoch weit von Gott entfernt war. Wie der göttliche Meister an anderer Stelle lehrt, besteht das wahre Fasten vielmehr darin, den Willen des himmlischen Vaters zu tun, „der ins Verborgene sieht“ und „vergelten“ wird (Mt 6,18). Jesus selbst bezeugt dies am Ende der vierzig Tage in der Wüste gegenüber dem Satan: „Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt“ (Mt 4,4). Das wahre Fasten richtet sich also auf das Essen der „wahren Nahrung“, nämlich: den Willen des Vaters zu tun (vgl. Jn 4,34). Während also einst Adam Gottes Gebot übertrat, „von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen“ nicht essen zu dürfen, unterwirft sich nun der Gläubige durch das Fasten Gott in Demut, weil er auf dessen Güte und Barmherzigkeit vertraut.

In der christlichen Urgemeinde gehörte das Fasten zur festen Gewohnheit (vgl. Ac 13,3 Ac 14,22 Ac 27,21 2Co 6,5). Auch die Kirchenväter sprechen von der Wirkkraft des Fastens: Es hält die Sünde in Zaum, dämpft die Begierden des „alten Adams“, eröffnet Gott den Weg im Herzen des Gläubigen. Das Fasten ist zudem eine geläufige Übung, die die Heiligen jeder Zeit empfohlen haben. Der heilige Petrus Chrysologus schreibt: „Die Seele des Gebetes ist das Fasten, das Leben des Fastens ist die Barmherzigkeit (…) Wer also betet, der faste auch; wer fastet, übe auch Barmherzigkeit; wer selbst gehört werden will, der höre auf den Bittenden; wer sein Ohr dem Bittenden nicht verschließt, der findet Gehör bei Gott“ (Sermo 43: PL 52, 320. 332).

64 In unseren Tagen scheint das Fasten an geistlicher Bedeutung verloren zu haben; eine Kultur, die von der Suche nach materiellem Wohlstand gekennzeichnet ist, gibt ihm eher den Wert einer therapeutischen Maßnahme zum Besten des Körpers. Fasten dient sicherlich der körperlichen Gesundheit; für die Gläubigen aber ist es in erster Linie eine „Therapie“ zur Heilung all dessen, was sie hindert, Gottes Willen anzunehmen. In der Apostolischen Konstitution Paenitemini von 1966 ordnete der Diener Gottes Paul VI. das Fasten der Berufung eines jeden Christen zu, die darin besteht, „nicht mehr für sich selbst [zu] leben, sondern für den, der ihn liebte und sich selbst für ihn hingab, sowie (…) für die Brüder und Schwestern“ (vgl. Kap. I). Die Fastenzeit könnte daher eine passende Gelegenheit sein, die Normen der eben erwähnten Konstitution wieder aufzugreifen und so die echte und dauernde Bedeutung dieser alten Bußpraxis aufzuwerten. Sie kann uns dazu verhelfen, unseren Egoismus zu bändigen und das Herz zu weiten für die Liebe zu Gott und zum Nächsten, für das erste und höchste Gebot des Neuen Gesetzes und die Summe des ganzen Evangeliums (Mt 22,34-40).

Unbeirrte Fastenpraxis trägt außerdem dazu bei, Leib und Seele der Person stärker zu vereinen, die Sünde zu meiden und in der Vertrautheit mit Gott zu wachsen. Der Heilige Augustinus, der seine bösen Neigungen gut kannte und sich danach sehnte, „diese mehrfach verschlungene und verwickelte Verknotung“ möchte gelöst werden (Bekenntnisse, II, 10.18), schrieb in seiner Abhandlung über den Nutzen des Fastens: „Gewiss, ich töte mich ab, damit er mich schone; ich lege mir Züchtigungen auf, damit er mir zu Hilfe komme, damit ich Wohlgefallen finde in seinen Augen, damit ich ihm, dem Allmächtigen, Freude mache“ (Sermo 400, 3, 3: PL 40, 708). Auf körperliche Speise zu verzichten, die den Leib nährt, fördert die innere Bereitschaft, auf Christus zu hören und sich mit seinem Heilswort zu sättigen. Unser Fasten und Gebet erlauben es ihm, den tiefliegenderen Hunger zu stillen, den wir in unserem Innersten empfinden: den Hunger und Durst nach Gott.

Zugleich lässt uns das Fasten ein wenig von der Situation erfahren, in der viele unserer Brüder leben. In seinem Ersten Brief mahnt der heilige Johannes: „Wenn jemand irdisches Vermögen besitzt, seinen Bruder Not leiden sieht und sein Herz vor ihm verschließt, wie kann in ihm die Gottesliebe bleiben?“ (3,17). Freiwillig zu fasten verhilft uns dazu, den guten Samariter nachzuahmen, der sich hinneigt und sich des notleidenden Bruders annimmt (vgl. Enz. Deus caritas est ). Freiwilliger Verzicht zum Heil anderer bekundet, dass uns der bedürftige Nächste nicht fremd ist. Um Sensibilität und Fürsorge für die Brüder und Schwestern wach zu halten, ermutige ich die Pfarrgemeinden und jede Gemeinschaft, in der österlichen Bußzeit persönliches und gemeinschaftliches Fasten häufiger zu üben und sich zugleich dem Hören auf Gottes Wort, dem Gebet und der Wohltätigkeit zu widmen. Das war von Anfang an die Lebensart der christlichen Gemeinde, in der besondere Kollekten gehalten (vgl. 2Co 8-9 Rm 15,25-27), und die Gläubigen aufgefordert wurden, den Armen das zu geben, was sie dank des Fastens zur Seite gelegt hatten (vgl. Didascalia Ap., V, 20,18). Auch heute muss diese Praxis wiederentdeckt und gefördert werden, vor allem in der Fastenzeit.

Das bislang Gesagte überzeugt davon: Zu fasten ist eine wichtige Form der Askese, eine geistliche Waffe zur Bekämpfung jeder möglichen ungeordneten Anhänglichkeit an uns selbst. Freiwillig auf den Genuss von Nahrung und andere materielle Güter zu verzichten, hilft dem Jünger Christi, das Verlangen der durch die Ursünde geschwächten Natur im Zaum zu halten, deren negative Wirkungen den Menschen als ganzen treffen. Ein alter liturgischer Hymnus der Fastenzeit mahnt: „Utamur ergo parcius, / verbis, cibis et potibus, / somno, iocis et arctius / perstemus in custodia – Lasst uns maßvoll Wort, Nahrung, Trank, Schlaf und Spiel gebrauchen und mit größerer Aufmerksamkeit wach bleiben“.

Liebe Brüder und Schwestern, genau gesehen will – wie der Diener Gottes Papst Johannes Paul II. schrieb – das Fasten letztlich jedem dazu verhelfen, aus sich selbst eine Gabe an Gott zu machen (vgl. Veritatis splendor VS 21). Die österliche Bußzeit werde daher in jeder Familie und in jeder christlichen Gemeinde genutzt, all das fernzuhalten, was den Geist ablenkt und all das zu fördern, was die Seele nährt und sie für die Gottes- und Nächstenliebe öffnet. Ich denke hier insbesondere an vermehrten Eifer im Gebet, in der lectio divina, im Empfang des Sakraments der Versöhnung und in der Mitfeier der Eucharistie, vor allem der Sonntagsmesse. Das ist die rechte seelische Bereitschaft, die österliche Bußzeit zu beginnen. Die selige Jungfrau Maria möge uns als Causa nostrae letitiae – als Ursache unserer Freude – begleiten und uns in unserem Ringen mit der Sünde beistehen, damit unser Herz immer mehr zu einem „lebendigen Tabernakel Gottes“ werde. Mit diesem Wunsch sichere ich mein Gebet zu, auf dass alle Gläubigen und jede kirchliche Gemeinschaft den Weg der Fastenzeit mit Gewinn gehen und erteile allen aus ganzem Herzen den Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, 11. Dezember 2008

BENEDICTUS PP. XVI


BOTSCHAFT VON BENEDIKT XVI. FÜR DIE FASTENZEIT 2010

Die Gerechtigkeit Gottes ist offenbart worden, aus dem Glauben an Jesus Christus (vgl. @RM 3,21-22@)

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Liebe Brüder und Schwestern,

jedes Jahr lädt uns die Kirche ein, vom Evangelium her in der Fastenzeit ehrliche Rückschau auf unser Leben zu halten. Dieses Jahr möchte ich Euch einige Überlegungen zum weiten Thema der Gerechtigkeit vortragen, ausgehend vom Wort des hl. Paulus: Die Gerechtigkeit Gottes ist offenbart worden aus dem Glauben an Jesus Christus (vgl.
Rm 3,21-22).

Gerechtigkeit: „dare cuique suum“

Ich beziehe mich an erster Stelle auf die Bedeutung des Ausdrucks „Gerechtigkeit“, der nach allgemeiner Auffassung und nach der Formulierung des römischen Juristen Ulpian – er lebte im 3. Jahrhundert – bedeutet, „jedem das Seine zu geben – dare cuique suum“. In Wirklichkeit erläutert diese klassische Definition jedoch nicht hinreichend, worin jenes „Seine“ besteht, das jedem zukommen soll. Das für den Menschen Notwendige kann ihm nicht vollkommen durch ein Gesetz zugesprochen werden. Für ein wahrhaft erfülltes Leben braucht es etwas Tieferes, das nur geschenkt werden kann: Wir könnten sagen, dass der Mensch aus jener Liebe lebt, die allein Gott dem geben kann, den er nach seinem Abbild und ihm ähnlich erschaffen hat. Ganz gewiss sind die irdischen Güter nützlich und notwendig, - Jesus selbst war besorgt, die Kranken zu heilen, die Menge, die ihm gefolgt ist, zu sättigen, und er verurteilt ganz sicher jene Gleichgültigkeit, die auch heute noch hunderttausende Menschen in den Hungertod treibt, weil ihnen Nahrung, Wasser und Medizin fehlen –, aber „Verteilungsgerechtigkeit“ gibt dem Menschen noch nicht alles Notwendige, das „Seine“. Genauso, wie die Menschheit mehr Brot braucht, braucht sie Gott. Der hl. Augustinus bemerkt: „Wenn die Gerechtigkeit die Tugend ist, die jedem das Seine zuteilt, […] wie kann man beim Menschen Gerechtigkeit nennen, was dem Menschen den wahren Gott entzieht?“ (De civitate Dei, XIX, 21).

Woher kommt die Ungerechtigkeit?

Der Evangelist Markus überliefert uns folgende Worte Jesu, die beim Streitgespräch über Reinheit und Unreinheit ansetzen: „Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein. […] Was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein. Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken“ (Mc 7,15 Mc 7,20-21). Über die Frage der Pharisäer hinaus, die sich unmittelbar auf die Speisevorschriften bezieht, können wir an ihrer Reaktion eine ständige Versuchung des Menschen ausmachen: den Ursprung für das Böse außerhalb seiner selbst zu suchen. Viele der modernen Ideologien gehen, wie klar zu erkennen ist, von dieser Voraussetzung aus: Weil die Ungerechtigkeit „von außen“ kommt, ist es zur Verwirklichung der Gerechtigkeit hinreichend, die äußeren Umstände, die ihre Umsetzung behindern, zu beseitigen. Diese Vorstellung – warnt Jesus – ist naiv und kurzsichtig. Die Ungerechtigkeit, die aus dem Bösen hervorgeht, hat nicht nur einen äußeren Ursprung; sie gründet im Herzen des Menschen, wo sich die Keime für ein geheimnisvolles Übereinkommen mit dem Bösen finden lassen. Diese bittere Einsicht gewinnt der Psalmist: „Denn ich bin in Schuld geboren, in Sünde hat mich meine Mutter empfangen“ (Ps 51,7). Ja, der Mensch ist durch einen tiefen Stoß zerbrechlich geworden, der ihn in der Gemeinschaft mit seinem Gegenüber einschränkt. Von Natur aus offen und fähig zum Austausch, spürt er in sich eine seltsame Schwerkraft, die ihn dazu bringt, sich in sich zu verkrümmen, sich über und gegen die anderen durchzusetzen: Dies ist der Egoismus, die Folge der Erbschuld. Als Adam und Eva, verführt durch die Lüge Satans, wider das göttliche Gebot nach der geheimnisvollen Frucht gegriffen haben, setzten sie an die Stelle der Logik der Liebe jene des Misstrauens und des Widerstreitens, an die Stelle der Logik des Empfangens, der vertrauensvollen Erwartung gegenüber dem Nächsten jene gierige des Raffens und des Selbermachens (vgl. Gn 3,1-6). So spürten sie am Ende ein Gefühl der Unruhe und Unsicherheit. Wie kann sich der Mensch aus diesem egoistischen Zwang befreien und sich für die Liebe öffnen?

Gerechtigkeit und Sedaqah

Im Herzen der Weisheit Israels finden wir eine tiefe Verbindung zwischen dem Glauben an Gott, der „den Schwachen aus dem Staub emporhebt“ (Ps 113,7), und der Gerechtigkeit gegenüber dem Nächsten. Das Wort, das im Hebräischen die Tugend der Gerechtigkeit bezeichnet, sedaqah, drückt diesen Sachverhalt gut aus. Denn sedaqah bezeichnet einerseits, den Willen des Gottes Israels völlig anzunehmen, andererseits ohne Vorbehalt gegen den Nächsten (vgl. Ex 20,12-17), besonders den Armen, den Fremden, den Waisen und die Witwe (vgl. Dt 10,18-19) zu sein. Aber die beiden Bedeutungen sind miteinander verbunden, weil der Israelit nicht unterscheidet zwischen der Hilfe dem Armen gegenüber und der Gegenleistung, die er Gott schuldig ist, der sich des Elends seinesVolks erbarmt hat. Die Übergabe der Gesetzestafeln an Mose auf dem Berg Sinai geschieht nicht zufällig nach dem Durchzug durch das Rote Meer. Das Hören des Gesetzes setzt also den Glauben an Gott voraus, der zuerst das Klagegeschrei seines Volkes gehört hat und herabgestiegen ist, um sie der Hand der Ägypter zu entreißen (vgl. Ex 3,8). Gott ist empfänglich für den Schrei des Armen und erwartet im Gegenzug Hörbereitschaft: er verlangt Gerechtigkeit gegenüber dem Armen (vgl. Sir Si 4,4-5 Sir Si 4,8-9), dem Fremden (vgl. Ex 22,20), dem Sklaven (vgl. Dt 15,12-18). Um Gerechtigkeit zu erlangen, ist es unumgänglich, den Trug der Selbstgenügsamkeit aufzugeben, jenen tiefen Zustand der Verschlossenheit, der selbst der Ursprung für die Ungerechtigkeit ist. In anderen Worten: Ein tiefergehender „Exodus“ steht an als der, den Gott durch Mose bewirkt hat, eine Befreiung des Herzens, die durch ein bloßes Wort des Gesetzes nicht realisiert werden kann. Gibt es also für den Menschen überhaupt Hoffnung auf Gerechtigkeit?

Christus, die Gerechtigkeit Gottes

Die christliche Botschaft antwortet zustimmend auf die Sehnsucht des Menschen nach Gerechtigkeit, wie es der Apostel Paulus in seinem Brief an die Römer unterstreicht: „Jetzt aber ist unabhängig vom Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbart worden: […] aus dem Glauben an Jesus Christus, offenbart für alle, die glauben. Denn es gibt keinen Unterschied: Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus. Ihn hat Gott dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne, wirksam durch Glauben“ (3,21-25).

Worin besteht also die Gerechtigkeit Christi? Es ist vor allem die Gerechtigkeit aus Gnade, in der nicht der Mensch wiedergutmacht, sich selbst und die anderen heilt. Die Tatsache, dass „Sühne“ wird in Jesu „Blut“, weist aus: Nicht die Opfer des Menschen befreien ihn von der Last der Schuld, sondern die Liebestat Gottes; er geht bis zum Äußersten, nimmt den „Fluch“ auf sich, der dem Menschen zukommt, um ihn umzuwandeln in den „Segen“, der Gott entspricht (vgl. Ga 3,13-14). Aber hier erhebt sich sogleich ein Einwand: Was ist das für eine Gerechtigkeit, wenn der Gerechte für den Schuldigen stirbt und der Schuldige seinerseits den Segen empfängt, der eigentlich dem Gerechten gebührt? Empfängt nicht auf diese Weise jeder gerade das Gegenteil des „Seinen“? Wahrhaftig, hier enthüllt sich die göttliche Gerechtigkeit, die grundverschieden von jener der Menschen ist. Gott hat für uns mit seinem Sohn den Kaufpreis bezahlt, wirklich einen ungeheuer hohen Preis. Im Angesicht der Gerechtigkeit des Kreuzes kann der Mensch rebellieren, weil dieser Anblick aufzeigt, dass er sich selbst nicht genügt, sondern eines anderen bedarf, um wahrhaft er selbst zu sein. Sich zu Christus bekehren, an das Evangelium zu glauben, hat im letzten diese Bedeutung: sich aus der Illusion der Selbstgenügsamkeit zu befreien und die eigene Not einzugestehen – das Bedürfnis der anderen und das Bedürfnis Gottes, seines Erbarmens und seiner Freundschaft.

So ist also zu verstehen, dass der Glaube keineswegs etwas natürliches ist, angenehm und selbstverständlich: Es braucht Demut, um anzunehmen, dass ich jemand anderen nötig habe, der mich aus dem „Meinen“ befreit, der mir freigiebig das „Seine“ schenkt. Das geschieht in besonderer Weise in den Sakramenten der Buße und der Eucharistie. Dank der Erlösungstat Christi wird uns die ungleich größere Gerechtigkeit zuteil, jene, die aus der Liebe erwächst (vgl. Rm 13,8-10), in der man sich stets mehr als Empfänger denn als Gebender fühlt, weil man mehr empfangen hat, als man eigentlich erwarten kann.

Gerade durch diese Erfahrung gestärkt wird der Christ dazu angetrieben, eine gerechte Gesellschaft zu schaffen, in der alle das Notwendige erhalten, um menschenwürdig leben zu können, und in der die Gerechtigkeit aus der Liebe lebt.

Liebe Schwestern und Brüder, die Fastenzeit gipfelt im Triduum Sacrum, an dem wir auch in diesem Jahr wieder die göttliche Gerechtigkeit feiern, die voll ist von Nächstenliebe, Zuwendung und Rettung. Möge diese Zeit der Buße für alle Christen eine Zeit wahrer Umkehr und intensiver Erkenntnis des Geheimnisses Christi sein, der gekommen ist, um die Gerechtigkeit zu vollenden. Mit diesen Gedanken erteile ich Euch allen von Herzen meinen Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 30. Oktober 2009

BENEDICTUS PP. XVI



BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI. ZUM XXI. WELTJUGENDTAG (9. APRIL 2006)

"Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte,

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ein Licht für meine Pfade" (Ps 118,105[119], 105)


Liebe Jugendliche!

Während ich mich mit Freude an Euch wende, die ihr Euch auf den XXI. Weltjugendtag vorbereitet, erlebe ich im Geiste noch einmal die Erinnerung an die bereichernden Erfahrungen, die ich im vergangenen August in Deutschland gemacht habe. Der diesjährige Weltjugendtag wird in den verschiedenen Ortskirchen gefeiert werden und eine gute Gelegenheit sein, die Flamme der Begeisterung, die in Köln entzündet wurde und die viele von Euch in die eigenen Familien, Pfarrgemeinden, Vereinigungen und Bewegungen hineingetragen haben, wieder aufleuchten zu lassen. Er wird gleichzeitig ein günstiger Augenblick sein, um viele Eurer Freunde in den geistlichen Pilgerweg der jungen Generationen zu Christus einzubeziehen.

Das Thema, das ich Euch zur Betrachtung vorschlage, ist ein Vers aus dem 119. Psalm: »Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade« (V. 105). In diesem Psalmwort, so kommentierte der geliebte Johannes Paul II., »lobt der Beter eingehend das Gesetz Gottes, das ihm eine Leuchte ist für seine Schritte auf dem oft dunklen Weg des Lebens« (bei der Generalaudienz Am 14 Am 11 Am 2001 in O.R. dt., Nr. Dt 47,23 Dt 47,11 Dt 47, S. Dt 2). Gott offenbart sich in der Geschichte, er spricht zu den Menschen und sein Wort ist ein schöpferisches Wort. Der hebräische Ausdruck »dabar«, der gewöhnlich mit »Wort« übersetzt wird, bedeutet in Wirklichkeit sowohl »Wort« als auch »Tat«. Gott sagt, was er tut, und er tut, was er sagt. Im Alten Testament verkündet er den Kindern Israels die Ankunft des Messias und den Schluß eines »neuen« Bundes; im fleischgewordenen Wort erfüllt er seine Verheißungen. Dies hebt auch der Katechismus der Katholischen Kirche deutlich hervor: »Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, ist das vollkommene, unübertreffbare, eingeborene Wort des Vaters. In ihm sagt der Vater alles, und es wird kein anderes Wort geben als dieses« (Nr. 65). Der Heilige Geist, der das auserwählte Volk führte, indem er die Verfasser der Heiligen Schrift inspirierte, öffnet das Herz der Gläubigen zum Verständnis ihres Inhalts. Derselbe Heilige Geist ist in der Eucharistiefeier anwesend und wirkt, wenn der Priester »in persona Christi« die Einsetzungsworte spricht und so Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandelt, damit sie den Gläubigen zur geistlichen Nahrung werden. Um auf dem irdischen Pilgerweg zur himmlischen Heimat fortzuschreiten, müssen wir alle uns mit dem Wort und dem Brot des ewigen Lebens nähren, die nicht voneinander zu trennen sind!

Die Apostel haben das Wort des Heils angenommen und es ihren Nachfolgern überliefert wie ein kostbares Schmuckstück, das im Schrein der Kirche sicher aufbewahrt wird: Ohne die Kirche besteht die Gefahr, daß diese Perle verlorengeht oder zersplittert. Liebe Jugendliche, liebt das Wort Gottes und liebt die Kirche, die Euch den Zugang zu einem so wertvollen Schatz ermöglicht und Euch lehrt, seinen Reichtum zu würdigen. Liebt die Kirche und folgt ihr, die von ihrem Gründer die Sendung erhalten hat, den Menschen den Weg des wahren Glücks zu weisen. Es ist nicht einfach, in der Welt, in der wir leben, das wahre Glück zu erkennen und es zu finden, in einer Welt, in der der Mensch oft Gefangener von Denkströmungen ist, die ihn, obwohl er »frei« zu sein glaubt, dahin führen, sich in Irrtümern oder den Illusionen falscher Ideologien zu verlieren. Es ist dringend notwendig, »die Freiheit zu befreien« (vgl. Enzyklika Veritatis splendor VS 86), die Dunkelheit zu erhellen, in der die Menschheit tastend ihren Weg sucht. Jesus hat uns gezeigt, wie das geschehen kann: »Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien« (). Das fleischgewordene Wort, das Wort der Wahrheit, macht uns frei und lenkt unsere Freiheit zum Guten. Liebe Jugendliche, meditiert oft über das Wort Gottes, und erlaubt dem Heiligen Geist euer Lehrer zu sein. Dann werdet ihr entdecken, daß Gottes Gedanken nicht die der Menschen sind; ihr werdet dahin geführt werden, den wahren Gott zu betrachten und die Ereignisse der Geschichte mit seinen Augen zu lesen; ihr werdet in Fülle die Freude kosten, die der Wahrheit entspringt. Auf dem Weg des Lebens, der weder einfach noch ohne Gefahren ist, werdet ihr vielleicht Schwierigkeiten und Leid begegnen, und manchmal werdet ihr versucht sein, mit dem Psalmisten auszurufen: »Ganz tief bin ich gebeugt« (Ps 119, V.107). Vergeßt nicht, wie der Psalmist hinzuzufügen: »Durch dein Wort belebe mich … Mein Leben ist ständig in Gefahr, doch ich vergesse nie deine Weisung« (ebd., V.107.109). Die liebende Gegenwart Gottes durch sein Wort ist das Licht, das die Finsternis der Angst vertreibt und den Weg auch in den schwierigsten Augenblicken erhellt.

Der Verfasser des Briefes an die Hebräer schreibt: »Denn lebendig ist das Wort Gottes, kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert; es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenk und Mark; es richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens« (4,12). Die Aufforderung, das Wort Gottes als unverzichtbare »Waffe« im geistlichen Kampf zu betrachten, muß ernst genommen werden; es wirkt kraftvoll und trägt Früchte, wenn wir lernen, auf dieses Wort zu hören, um ihm dann zu gehorchen.Der Katechismus der Katholischen Kirche erklärt: »Im Glauben gehorchen [›ob-audire‹] heißt, sich dem gehörten Wort in Freiheit unterwerfen, weil dessen Wahrheit von Gott, der Wahrheit selbst, verbürgt ist« (Nr. 144). Wenn Abraham das Vorbild ist für dieses Hören, das Gehorsam bedeutet, dann erweist sich Salomo seinerseits als Mensch, der leidenschaftlich nach der im Wort enthaltenen Weisheit sucht. Als Gott ihn auffordert: »Sprich eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll«, antwortet der weise König: »Verleih … deinem Knecht ein hörendes Herz« (1R 3,5 1R 3,9). Das Geheimnis, »ein hörendes Herz« zu erlangen, besteht darin, sein Herz zu bilden, damit es zum Hören fähig ist. Das erreicht man, wenn man fortwährend über das Wort Gottes meditiert und in ihm verwurzelt bleibt, im Bemühen, es immer besser kennenzulernen.

Liebe Jugendliche, ich fordere Euch auf, Euch mit der Bibel vertraut zu machen, sie immer bei der Hand zu haben, damit sie euch gleichsam zum Kompaß werde, der den Weg weist, dem man folgen muß. Wenn ihr sie lest, werdet ihr Christus kennenlernen. Der hl. Hieronymus sagt dazu: »Die Schrift nicht kennen heißt Christus nicht kennen« (PL 24,17; vgl. Dei Verbum DV 25). Ein wohlerprobter Weg, das Wort Gottes zu vertiefen und zu verkosten, ist die »lectio divina«, die ein wirklicher geistlicher Weg in mehreren Schritten ist. Von der »lectio«, die darin besteht, einen Abschnitt der Heiligen Schrift wiederholt zu lesen und seine hauptsächlichen Elemente zu erfassen, geht man über zur »meditatio«, die wie eine innere Ruhepause ist, in der die Seele sich Gott zuwendet und zu verstehen versucht, was sein Wort heute für das konkrete Leben sagt. Dann folgt die »oratio«, die uns im direkten Gespräch mit Gott verweilen läßt, und schließlich gelangt man zur »contemplatio«, die uns hilft, unser Herz offen zu halten für die Gegenwart Christi. Sein Wort »ist ein Licht, das an einem finsteren Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in eurem Herzen« (2P 1,19). Das Lesen, das Studium und die Meditation des Wortes müssen dann einmünden in ein Leben der konsequenten Treue zu Christus und zu seiner Lehre.

Der hl. Jakobus mahnt: »Hört das Wort nicht nur an, sondern handelt danach; sonst betrügt ihr euch selbst. Wer das Wort nur hört, aber nicht danach handelt, ist wie ein Mensch, der sein eigenes Gesicht im Spiegel betrachtet: Er betrachtet sich, geht weg, und schon hat er vergessen, wie er aussah. Wer sich aber in das vollkommene Gesetz der Freiheit vertieft und an ihm festhält, wer es nicht nur hört, um es wieder zu vergessen, sondern danach handelt, der wird durch sein Tun selig sein« (1,22–25). Wer das Wort Gottes hört und sich stets an ihm orientiert, stellt seine Existenz auf eine feste Grundlage. »Wer diese meine Worte hört und danach handelt«, sagt Jesus, »ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute« (Mt 7,24): Es wird den Unwettern nicht nachgeben.

Das Leben auf Christus aufbauen, freudig sein Wort annehmen und seine Lehre in die Tat umsetzen: das, liebe Jugendliche des dritten Millenniums, muß Euer Programm sein! Es ist dringend notwendig, daß eine neue Generation von Aposteln entsteht, die im Wort Christi verwurzelt sind, in der Lage, eine Antwort zu geben auf die Herausforderungen unserer Zeit und bereit, überall das Evangelium zu verkünden. Darum bittet der Herr Euch, dazu lädt Euch die Kirche ein, das erwartet die Welt – auch ohne es zu wissen – von Euch! Und wenn Jesus Euch ruft, habt keine Angst, ihm großherzig zu antworten, besonders dann, wenn er Euch bittet, ihm im geweihten oder im priesterlichen Leben zu folgen. Habt keine Angst; vertraut ihm, und Ihr werdet nicht enttäuscht werden.

Liebe Freunde, mit dem XXI. Weltjugendtag, den wir am kommenden Palmsonntag, dem 9. April, feiern, werden wir einen ideellen Pilgerweg zum Weltjugendtreffen antreten, das im Juli 2008 in Sydney stattfinden wird. Wir werden uns auf dieses große Ereignis vorbereiten, indem wir gemeinsam über das Thema »Der Heilige Geist und die Mission« nachdenken werden, und zwar in mehreren Abschnitten. In diesem Jahr wird die Aufmerksamkeit ganz dem Heiligen Geist gelten, dem »Geist der Wahrheit«, der uns Christus offenbart, das fleischgewordene Wort, indem er allen Menschen das Herz öffnet für das Wort des Heils, das zur ganzen Wahrheit führt. Im nächsten Jahr, 2007, werden wir über einen Vers des Johannesevangeliums nachdenken: »Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben« (13,34), und wir werden noch tiefer verstehen, daß der Heilige Geist der »Geist der Liebe« ist, der uns die göttliche Liebe eingibt und uns einfühlsam macht gegenüber den materiellen und geistlichen Bedürfnissen unserer Brüder und Schwestern. Wir werden schließlich zum Weltjugendtreffen 2008 gelangen, das zum Thema haben wird: »Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein« (Ac 1,8).

Bittet schon jetzt, liebe Jugendliche, in einer Atmosphäre des beständigen Hörens auf das Wort Gottes, den Heiligen Geist, den »Geist der Stärke und des Zeugnisses«, daß er Euch fähig mache, furchtlos das Evangelium zu verkünden bis an die Enden der Erde. Maria, die im Abendmahlssaal zusammen mit den Aposteln das Pfingstereignis erwartete, möge Eure Mutter sein und Euch leiten. Sie möge Euch lehren, das Wort Gottes anzunehmen, es zu bewahren und in Euren Herzen darüber nachzudenken (vgl. Lc 2,19), wie sie selbst es ihr ganzes Leben lang getan hat. Sie ermutige Euch, dem Herrn Euer Jawort zu geben und den »Gehorsam des Glaubens« zu leben. Sie möge Euch helfen, fest im Glauben, beständig in der Hoffnung, ausdauernd in der Liebe und stets fügsam gegenüber dem Wort Gottes zu bleiben. Ich begleite Euch mit meinem Gebet, während ich Euch alle von Herzen segne.

67 Aus dem Vatikan, 22. Februar 2006, Fest Kathedra Petri


BOTSCHAFT 2006-2010 63