Botschaft "urbi et orbi" 2005-2009 9

OSTERN 2010 Bilder von der Feier




„Cantemus Domino: gloriose enim magnificatus est.”
„Dem Herrn will ich singen, machtvoll hat er sich kundgetan.“
(Stundengebet, Ostern, Lesehore, 1. Antiphon).



Liebe Brüder und Schwestern!

Mit diesen Worten der Liturgie, in denen der uralte Lobgesang der Hebräer nach dem Durchzug durch das Rote Meer anklingt, überbringe ich euch die Botschaft von Ostern. Das Buch Exodus (vgl. 15,19-21) erzählt, daß, nachdem die Israeliten auf trockenem Boden durch das Meer gezogen waren und die Ägypter im Wasser untergehen sahen, Mirjam – die Schwester Moses und Aarons – und die anderen Frauen mit Tanz dieses Jubellied anstimmten: „Singt dem Herrn ein Lied, denn er ist hoch und erhaben! Rosse und Wagen warf er ins Meer.“ Die Christen in aller Welt wiederholen diesen Gesang in der Osternacht, und ein besonderes Gebet erläutert seine Bedeutung: „Gott, deine uralten Wunder leuchten noch in unseren Tagen. Was einst dein mächtiger Arm an e i n e m Volk getan hat, das tust du jetzt an allen Völkern: Einst hast du Israel aus der Knechtschaft des Pharao befreit und durch die Fluten des Roten Meeres geführt; nun aber führst du alle Völker durch das Wasser der Taufe zur Freiheit. Gib, daß alle Menschen Kinder Abrahams werden und zur Würde des auserwählten Volkes gelangen.“

Das Evangelium hat uns die Erfüllung der alten Bilder offenbart: Mit seinem Tod und seiner Auferstehung hat Jesus Christus den Menschen von der tiefgreifenden Knechtschaft der Sünde befreit und ihm den Weg in das verheißene Land, in das Reich Gottes, in das universale Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens aufgetan. Dieser „Auszug“ geschieht zunächst im Menschen selbst und besteht in einer neuen Geburt im Heiligen Geist, einer Wirkung der Taufe, die Christus uns im Ostergeheimnis geschenkt hat. Der alte Mensch weicht dem neuen; das frühere Leben liegt hinter einem, man kann in einem neuen Leben wandeln (vgl. Rm 6,4). Der geistige „Auszug“ ist aber Anfang einer umfassenden Befreiung, die fähig ist, jede menschliche, persönliche und soziale Dimension zu erneuern.

Ja, Brüder und Schwestern, Ostern ist das wahre Heil der Menschheit! Wenn Christus – das Lamm Gottes – nicht sein Blut für uns vergossen hätte, hätten wir keine Hoffnung, wäre unser Schicksal und das der ganzen Welt unausweichlich der Tod. Aber Ostern hat diese Tendenz umgekehrt: Die Auferstehung Christi ist eine neue Schöpfung, wie ein Pfröpfling, der die ganze Pflanze regenerieren kann. Es ist ein Geschehen, das die tiefe Richtung der Geschichte verändert hat, indem es ein für alle Mal das Gewicht zugunsten des Guten, des Lebens, der Vergebung verschoben hat. Wir sind frei, wir sind gerettet! Das ist der Grund, warum wir aus innerstem Herzen jubeln: „Dem Herrn will ich singen, machtvoll hat er sich kundgetan.“

10 Aus dem Wasser der Taufe hervorgekommen, ist das christliche Volk in die ganze Welt gesandt, um dieses Heil zu bezeugen, um allen die Frucht von Ostern zu bringen, die in einem neuen Leben besteht, das von der Sünde befreit ist und das in seiner ursprünglichen Schönheit, seiner Güte und Wahrheit wieder hergestellt wurde. Ununterbrochen im Lauf von zweitausend Jahren haben die Christen – besonders die Heiligen – die Geschichte mit der lebendigen Ostererfahrung befruchtet. Die Kirche ist das Volk des Auszugs, da sie ständig das Ostergeheimnis lebt und dessen erneuernde Kraft zu jeder Zeit und an allen Orten verbreitet. Auch in unseren Tagen bedarf die Menschheit eines „Auszugs“, nicht oberflächlicher Verbesserungen, sondern einer geistigen und moralischen Verwandlung. Sie bedarf des Heils des Evangeliums, um aus einer Krise herauszukommen, die tief ist und als solche tiefe Veränderungen verlangt, angefangen von den Gewissen der Menschen.

Jesus, den Herrn, bitte ich, daß im Nahen Osten, und besonders in dem durch seinen Tod und seine Auferstehung geheiligten Land, die Völker einen wahren und endgültigen „Auszug“ aus dem Krieg und der Gewalt zum Frieden und zur Eintracht vollziehen mögen. An die christlichen Gemeinschaften, die insbesondere im Irak Prüfungen und Leid erleben, richte der Auferstandene erneut sein trostvolles und ermutigendes Wort, das er zu den Aposteln im Abendmahlssaal gesprochen hat: „Friede sei mit euch!“ (
Jn 20,21).

Für jene Länder Lateinamerikas und der Karibik, in denen die Kriminalität im Zusammenhang mit dem Rauschgifthandel gefährlich zunimmt, bedeute Ostern der Sieg des friedlichen Zusammenlebens und der Achtung des Gemeinwohls. Die geschätzte Bevölkerung Haitis, das von der ungeheueren Erdbebentragödie verwüstet wurde, vollziehe seinen „Auszug“ aus der Trauer und Verzweiflung zu einer neuen Hoffnung, die von der internationalen Solidarität gestützt wird. Die geliebten Bürger Chiles, die von einer weiteren schweren Katastrophe gebeugt sind, aber vom Glauben aufrecht gehalten werden, mögen mit Beharrlichkeit den Wiederaufbau in Angriff nehmen.

In der Kraft des auferstandenen Jesus möge in Afrika den Konflikten ein Ende bereitet werden, die weiter Zerstörung und Leid verursachen, um zu jenem Frieden und zu jener Versöhnung zu gelangen, die Gewähr für die Entwicklung bieten. Dem Herrn vertraue ich im besonderen die Zukunft der Demokratischen Republik Kongo, Guineas und Nigerias an.

Der Auferstandene stütze die Christen, die wie in Pakistan wegen ihres Glaubens Verfolgung und sogar Tod erleiden. Er gebe den Ländern, die vom Terrorismus und von sozialen oder religiösen Diskriminierungen betroffen sind, die Kraft, Wege des Dialogs und des friedvollen Zusammenlebens einzuschlagen. Den Verantwortlichen aller Nationen bringe das Osterfest Christi, seine Auferstehung, Licht und Kraft, damit das Wirtschaftsleben und die Finanzaktionen endlich nach Kriterien der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der brüderlichen Hilfe gestaltet werden. Die rettende Kraft der Auferstehung Christi stärke die ganze Menschheit, daß sie die vielfachen und tragischen Äußerungen einer sich ausbreitenden „Kultur des Todes“ überwinde, um eine Zukunft der Liebe und Wahrheit aufzubauen, in der jedes menschliche Leben geachtet und angenommen wird.

Liebe Brüder und Schwestern! Ostern vollbringt keine Zauberei. Wie die Hebräer jenseits des Roten Meeres die Wüste vorfanden, so findet die Kirche nach der Auferstehung stets die Geschichte mit ihren Freuden und Hoffnungen, Leiden und Ängsten vor. Und dennoch hat sich diese Geschichte verändert, ist sie von einem neuen und ewigen Bund geprägt, ist sie wirklich offen für die Zukunft. Deswegen setzen wir, gerettet auf Hoffnung hin, unsere Pilgerreise fort und tragen dabei das alte und stets neue Lied im Herzen: „Dem Herrn will ich singen, machtvoll hat er sich kundgetan!“.







BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI. BEIM SEGEN "URBI ET ORBI"

Weihnachten, 25. Dezember 2010

„Verbum caro factum est.“ – „Und das Wort ist Fleisch geworden“ (Jn 1,14).

Liebe Brüder und Schwestern, die ihr mich in Rom und auf der ganzen Welt hört, mit Freude verkünde ich euch die Botschaft von Weihnachten: Gott ist Mensch geworden und hat unter uns gewohnt. Gott ist nicht fern: Er ist nahe, ja, er ist der „Immanuel“, der „Gott mit uns“. Er ist kein Unbekannter: Er hat ein Gesicht, das Gesicht Jesu.

Es ist eine stets neue, stets überraschende Botschaft, die all unsere kühnsten Hoffnungen übersteigt – vor allem, weil es nicht bloß eine Botschaft ist: Es ist ein Ereignis, ein Geschehen, das glaubwürdige Zeugen in der Person des Jesus von Nazaret gesehen, gehört, angefaßt haben. Als sie mit ihm lebten, seine Taten sahen und seine Worte hörten, haben sie in Jesus den Messias erkannt; und wie sie ihn nach seiner Kreuzigung als Auferstandenen sahen, hatten sie die Gewißheit, daß ER als wahrer Mensch zugleich wahrer Gott war, der einzige Sohn vom Vater, voll Gnade und Wahrheit (vgl. Jn 1,14).

11 „Und das Wort ist Fleisch geworden.“ Angesichts dieser Offenbarung steigt in uns nochmals die Frage auf: Wie ist das möglich? Das Wort und das Fleisch sind einander entgegengesetzte Wirklichkeiten; wie kann das ewige, allmächtige Wort ein schwacher, sterblicher Mensch werden? Es gibt nur eine Antwort: die Liebe. Wer liebt, möchte mit dem Geliebten teilen, mit ihm vereint sein, und die Heilige Schrift stellt uns eben die große Geschichte der Liebe Gottes für sein Volk vor, die in Jesus Christus gipfelt.

Gott ändert sich eigentlich nicht: Er ist sich selbst treu. Der die Welt erschaffen hat, ist derselbe, der Abraham gerufen und Mose seinen Namen offenbart hat: Ich bin der „Ich-bin-da“, … der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, … ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue (vgl.
Ex 3,14 Ex 3,15 Ex 34,6). Gott verändert sich nicht, er ist seit jeher und für immer Liebe. Er ist in sich selbst Gemeinschaft, Einheit in der Dreifaltigkeit, und alle seine Werke und Worte streben nach Gemeinschaft. Die Menschwerdung Gottes ist der Höhepunkt der Schöpfung. Als Jesus, der menschgewordene Sohn Gottes, nach dem Willen des Vaters und durch die Kraft des Heiligen Geistes im Schoß Marias Gestalt annahm, erreichte die Schöpfung ihren Gipfel. Das Prinzip, welches das All ordnet, der Logos, begann, in der Welt, in Raum und Zeit zu existieren.

„Und das Wort ist Fleisch geworden.“ Das Licht dieser Wahrheit zeigt sich dem, der es mit Glauben aufnimmt, da es ein Geheimnis der Liebe ist. Nur wer sich der Liebe öffnet, wird vom Licht der Weihnacht umfangen. So war es in der Nacht von Betlehem, und so ist es auch heute. Die Menschwerdung des Sohnes Gottes ist ein Ereignis, das in der Geschichte geschehen ist, über diese aber zugleich hinausgeht. In der Nacht der Welt wird ein neues Licht entzündet, das sich den einfachen Augen des Glaubens, dem gütigen und demütigen Herzen, das den Erlöser erwartet, zeigt. Wenn die Wahrheit bloß eine mathematische Formel wäre, drängte sie sich gewissermaßen von selbst auf. Wenn jedoch die Wahrheit Liebe ist, verlangt sie Glauben, das „Ja“ unseres Herzens.

Und was sucht wirklich unser Herz, wenn nicht eine Wahrheit, die Liebe ist? Das Kind sucht sie mit seinen oft entwaffnenden und anregenden Fragen; sie sucht der junge Mensch, der den tiefen Sinn des eigenen Lebens finden muß; Männer und Frauen in reiferen Jahren suchen sie, um die Aufgaben in der Familie und in der Arbeit zu leiten und zu tragen; sie sucht der alte Mensch, um seinem irdischen Leben Erfüllung zu geben.

„Und das Wort ist Fleisch geworden.“ Die Nachricht von Weihnachten ist Licht auch für die Völker, für den gemeinsamen Weg der Menschheit. Der „Immanuel“, der „Gott mit uns“, kam als König der Gerechtigkeit und des Friedens. Sein Reich – wie wir wissen – ist nicht von dieser Welt, und doch ist es wichtiger als alle Reiche dieser Welt. Es ist wie der Sauerteig der Menschheit: Wenn er fehlte, ließe die Kraft nach, welche die wahre Entwicklung voranbringt – der Ansporn, für das Gemeinwohl, im selbstlosen Dienst am Nächsten, im friedlichen Kampf für die Gerechtigkeit zusammenzuarbeiten. An Gott glauben, der unsere Geschichte teilen wollte, ist eine ständige Ermutigung, sich für diese Geschichte, auch inmitten ihrer Widersprüchlichkeiten, einzusetzen. Es ist Grund zur Hoffnung für all jene, deren Würde beleidigt oder verletzt wurde, da ER, der zu Betlehem geboren wurde, gekommen ist, den Menschen von der Wurzel jeder Knechtschaft zu befreien.

Das Licht von Weihnachten strahle von neuem in jenem Land auf, wo Jesus geboren wurde, und leite Israelis und Palästinenser bei der Suche nach einem gerechten und friedlichen Zusammenleben. Die trostbringende Verkündigung des Kommens des Immanuels lindere den Schmerz der geliebten christlichen Gemeinden im Irak und im ganzen Nahen Ostern und stärke sie in ihren Prüfungen; sie schenke ihnen Kraft und Hoffnung für die Zukunft und beseele die Verantwortlichen der Nationen zu einer tätigen Solidarität ihnen gegenüber. Dies geschehe auch zugunsten aller, die in Haiti immer noch an den Folgen des verheerenden Erdbebens und der jüngsten Choleraepidemie leiden. Ebenso sollen diejenigen nicht vergessen werden, die in Kolumbien und Venezuela, aber auch in Guatemala und Costa Rica vor kurzem Naturkatastrophen erleiden mußten.

Die Geburt des Erlösers eröffne den Menschen in Somalia, Darfur und in der Elfenbeinküste Perspektiven eines beständigen Friedens und eines echten Fortschritts; sie fördere die politische und soziale Stabilität in Madagaskar; bringe Sicherheit und Achtung der Menschenrechte in Afghanistan und Pakistan; fördere den Dialog zwischen Nicaragua und Costa Rica sowie die Versöhnung auf der Halbinsel Korea.

Die Feier der Geburt des Erlösers stärke die Gläubigen der Kirche in Kontinental-China im Geist des Glaubens, der Geduld und des Mutes, daß sie wegen der Einschränkungen ihrer Religions- und Gewissensfreiheit nicht verzagen, sondern in der Treue zu Christus und seiner Kirche ausharren und die Flamme der Hoffnung am Leben erhalten. Die Liebe des „Gottes mit uns“ verleihe Beharrlichkeit allen christlichen Gemeinden, die Diskriminierung und Verfolgung erleiden, und leite die politischen und religiösen Führungskräfte dazu an, sich für die volle Achtung der Religionsfreiheit aller einzusetzen.

Liebe Brüder und Schwestern, „und das Wort ist Fleisch geworden“ und hat unter uns gewohnt, es ist der Immanuel, der Gott, der uns nahe ist. Betrachten wir gemeinsam dieses große Geheimnis der Liebe, lassen wir unser Herz hell werden vom Licht, das in der Grotte von Betlehem leuchtet! Gesegnete Weihnachten euch allen!







Botschaft "urbi et orbi" 2005-2009 9