Benedikt XVI Predigten

MISSA PRO ECCLESIA

ERSTE BOTSCHAFT

SEINER HEILIGKEIT BENEDIKT XVI.

BEI DER EUCHARISTIEFEIER MIT DEN WAHLBERECHTIGTEN KARDINÄLEN IN DER SIXTINISCHEN KAPELLE


1
Mittwoch, 20. April 2005

Verehrte Brüder Kardinäle,

liebe Brüder und Schwestern in Christus,
ihr alle, Männer und Frauen guten Willens!

1. Gnade sei mit euch und Friede in Fülle (vgl.
1P 1,2)! In diesen Stunden ist mein Inneres von zwei gegensätzlichen Empfindungen erfüllt. Einerseits ein Gefühl der Unzulänglichkeit und menschlichen Unruhe wegen der großen Verantwortung, die mir gestern als Nachfolger des Apostels Petrus für die universale Kirche an diesem Sitz in Rom übertragen wurde. Andererseits empfinde ich eine tiefe Dankbarkeit gegenüber Gott, der – wie die Liturgie uns singen läßt – seine Herde nicht im Stich läßt, sondern sie die Zeiten hindurch unter der Führung derer leitet, die er als Stellvertreter seines Sohnes erwählt und als Hirten eingesetzt hat (vgl. Präfation von den Aposteln I).

Meine Lieben, trotz allem überwiegt in meinem Herzen diese tiefe Dankbarkeit für ein Geschenk der göttlichen Barmherzigkeit. Und ich betrachte diese Tatsache als eine besondere Gnade, die mir von meinem verehrten Vorgänger Johannes Paul II. erwirkt wurde. Mir scheint es, seine feste Hand zu fühlen, die meine Hand drückt; mir scheint es, seine lächelnden Augen zu sehen und seine Worte zu hören, die in diesem Augenblick besonders mir gelten: »Hab keine Angst!«

Der Tod des Heiligen Vaters Johannes Paul II. und die Tage danach waren für die Kirche und für die ganze Welt eine außerordentliche Zeit der Gnade. Der große Schmerz über sein Ableben und das Gefühl der Leere, das er in allen hinterlassen hat, wurden gemildert durch das Wirken des auferstandenen Christus, das sich tagelang in der gemeinsamen Welle des Glaubens, der Liebe und der geistlichen Verbundenheit gezeigt und in den feierlichen Exequien seinen Höhepunkt gefunden hat.

Wir dürfen sagen: die Beerdigung Johannes Pauls II. war wirklich eine außerordentliche Erfahrung, bei der in gewisser Weise die Macht Gottes zu spüren war, der durch seine Kirche alle Völker zu einer großen Familie machen will mit der einenden Kraft der Wahrheit und der Liebe (vgl. Lumen gentium LG 1). Ähnlich seinem Meister und Herrn hat Johannes Paul II. in der Todesstunde sein langes und fruchtbares Pontifikat gekrönt, indem er das christliche Volk im Glauben gestärkt und es um sich versammelt hat, so daß sich die ganze Menschheitsfamilie geeinter fühlen konnte.

Wie könnte man sich von diesem Zeugnis nicht gestützt fühlen? Wie könnte man nicht die Ermutigung spüren, die von diesem gnadenvollen Ereignis ausgeht?

2. Entgegen all meinen Erwartungen hat die göttliche Vorsehung mich durch die Wahl der verehrten Väter Kardinäle dazu berufen, die Nachfolge dieses großen Papstes anzutreten. Ich denke in diesen Stunden an das, was im Gebiet von Cäsarea Philippi vor zweitausend Jahren geschehen ist. Es scheint mir, als hörte ich die Worte des Petrus: »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes«, und die feierliche Bestätigung des Herrn: »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen … Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben« ().

Du bist der Messias! Du bist Petrus! Es kommt mir vor, als würde ich die im Evangelium beschriebene Szene miterleben; ich, der Nachfolger des Petrus, wiederhole mit Bangen die furchtsamen Worte des Fischers von Galiläa und höre mit innerer Bewegung die beruhigende Verheißung des göttlichen Meisters. Wenn die Last der Verantwortung, die auf meine schwachen Schultern gelegt wird, übermäßig groß ist, so ist die göttliche Macht, auf die ich zählen kann, sicher grenzenlos: »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen« (Mt 16,18). Als er mich zum Bischof von Rom erwählt hat, wollte der Herr mich zu seinem Stellvertreter, er wollte mich zum »Felsen« machen, auf den sich alle sicher stützen können. Ich bitte ihn, meinen schwachen Kräften Abhilfe zu leisten, damit ich ein mutiger und treuer Hirt seiner Herde sein und den Eingebungen seines Geistes folgen kann.

Ich schicke mich an, dieses besondere Dienstamt anzutreten, das Petrusamt im Dienst der universalen Kirche, indem ich mich demütig den Händen der göttlichen Vorsehung überlasse. An erster Stelle erneuere ich Christus meine vollkommene und vertrauensvolle Zustimmung: »In Te, Domine, speravi; non confundar in aeternum

Mit dem Herzen voller Dank für das mir erwiesene Vertrauen bitte ich euch, meine Herren Kardinäle, mich durch das Gebet und die beständige, aktive und kluge Zusammenarbeit zu unterstützen. Ich bitte auch alle Brüder im Bischofsamt, mir mit ihrem Gebet und Rat zur Seite zu stehen, damit ich wirklich der »Servus servorum Dei« sein kann. Wie Petrus und die übrigen Apostel nach dem Willen des Herrn ein einziges apostolisches Kollegium bildeten, so sollen der Nachfolger des Petrus und die Bischöfe, die Nachfolger der Apostel – das Konzil betonte es ausdrücklich (vgl. Lumen gentium LG 22) –, miteinander verbunden sein. Trotz der unterschiedlichen Rollen und Aufgaben des römischen Papstes und der Bischöfe steht diese kollegiale Gemeinschaft im Dienst der Kirche und der Einheit im Glauben, von der in hohem Maße die Wirksamkeit der Evangelisierungstätigkeit in der Welt von heute abhängt. Auf diesem Weg, den meine verehrungswürdigen Vorgänger beschritten haben, will auch ich weitergehen in der einzigen Sorge, der ganzen Welt die lebendige Gegenwart Christi zu verkünden.

3. Mir steht insbesondere das Zeugnis von Papst Johannes Paul II. vor Augen. Er hinterläßt eine mutigere, freiere und jüngere Kirche. Eine Kirche, die nach seiner Lehre und seinem Beispiel gelassen auf die Vergangenheit blickt und keine Angst vor der Zukunft hat. Durch das Große Jubiläum ist sie in das neue Jahrtausend eingetreten, in den Händen das Evangelium haltend, das durch die maßgebliche vertiefte Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils auf die heutige Welt angewandt wurde. Zu Recht hat Papst Johannes Paul II. das Konzil als »Kompaß« bezeichnet, mit dem man sich im weiten Meer des dritten Jahrtausends orientieren kann (vgl. Apostolisches Schreiben -58). Auch in seinem geistlichen Testament schrieb er: »Ich bin überzeugt, daß es den jungen Generationen noch lange aufgegeben sein wird, die Reichtümer auszuschöpfen, die dieses Konzil des 20. Jahrhunderts uns geschenkt hat« (17.3.2000; in O.R. dt., Nr. 16, 22.4.2005, S. 5).

Deshalb will auch ich, wenn ich den Dienst übernehme, der dem Nachfolger Petri eigen ist, mit Nachdruck den festen Willen bekräftigen, daß ich mich weiter um die Verwirklichung des Zweiten Vatikanischen Konzils bemühen werde, auf den Spuren meiner Vorgänger und in treuer Kontinuität mit der zweitausendjährigen Tradition der Kirche. In diesem Jahr wird der 40. Jahrestag des Abschlusses der Konzilsversammlung (8. Dezember 1965) gefeiert. Die Konzilsdokumente haben im Laufe der Jahre nicht an Aktualität verloren; ihre Lehren erweisen sich sogar als besonders nützlich im Bezug auf die neuen Anliegen der Kirche und der jetzigen globalisierten Gesellschaft.

4. Sehr bedeutungsvoll ist, daß mein Pontifikat zu einer Zeit beginnt, in der die Kirche das besondere Jahr der Eucharistie begeht. Sollte man in diesem providentiellen Zusammentreffen nicht ein Element sehen, das das Dienstamt, zu dem ich berufen bin, kennzeichnen muß? Die Eucharistie, Herz des christlichen Lebens und Quelle der Evangelisierungssendung der Kirche, soll die ständige Mitte und Quelle des mir anvertrauten Petrusamtes sein.

Die Eucharistie setzt den auferstandenen Christus immer gegenwärtig, der sich uns weiterhin darbringt, indem er uns auffordert, am Gastmahl seines Leibes und seines Blutes teilzuhaben. Aus der vollen Gemeinschaft mit Ihm erwächst jedes weitere Element des Lebens der Kirche, an erster Stelle die Gemeinschaft zwischen allen Gläubigen, die Verpflichtung, das Evangelium zu verkünden und zu bezeugen, und die leidenschaftliche Liebe zu allen, besonders zu den Armen und Geringen.

In diesem Jahr muß deshalb das Hochfest des Leibes und Blutes des Herrn, Fronleichnam, besonders feierlich begangen werden. Die Eucharistie wird dann im August den Mittelpunkt des Weltjugendtages in Köln und im Oktober der Ordentlichen Versammlung der Bischofssynode bilden, deren Thema lautet: »Die Eucharistie, Quelle und Höhepunkt des Lebens und der Sendung der Kirche.« Ich bitte alle, in den kommenden Monaten die Liebe und Verehrung Jesu in der Eucharistie zu verstärken und den Glauben an die wirkliche Gegenwart des Herrn mutig und klar zum Ausdruck zu bringen, vor allem durch die Feierlichkeit und Korrektheit der Gottesdienste.

In besonderer Weise bitte ich die Priester darum, an die ich in diesem Augenblick mit großer Liebe denke. Das Priestertum ist im Abendmahlssaal zusammen mit der Eucharistie entstanden, wie mein verehrungswürdiger Vorgänger Johannes Paul II. viele Male unterstrichen hat. »Das Leben des Priesters muß in besonderer Weise eine ›eucharistische Gestalt‹ haben«, schrieb er in seinem letzten Brief zum Gründonnerstag 2005 (Nr. 1). Dazu trägt vor allem die andächtige tägliche Feier der heiligen Messe bei, die Mittelpunkt des Lebens und der Sendung jedes Priesters sein soll.

5. Genährt und gestützt von der Eucharistie, werden sich die Katholiken ganz selbstverständlich zum Streben nach jener vollen Einheit angespornt fühlen, die Christus im Abendmahlssaal so innig gewünscht hat. Der Nachfolger Petri weiß, daß er dieses tiefe Verlangen des göttlichen Meisters in ganz besonderer Weise auf sich nehmen muß. Denn ihm ist die Aufgabe übertragen, die Brüder zu stärken (vgl. Lk Lc 22,32).

Zu Beginn seines Amtes in der Kirche von Rom, die Petrus mit seinem Blut getränkt hat, übernimmt sein jetziger Nachfolger ganz bewußt als vorrangige Verpflichtung die Aufgabe, mit allen Kräften an der Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit aller Jünger Christi zu arbeiten. Das ist sein Bestreben, das ist seine dringende Pflicht. Er ist sich dessen bewußt, daß dafür die Bekundung aufrichtiger Gefühle nicht ausreicht. Es bedarf konkreter Gesten, die das Herz erfassen und die Gewissen aufrütteln, indem sie jeden zu der inneren Umkehr bewegen, die die Voraussetzung für jedes Fortschreiten auf dem Weg der Ökumene ist.

Der theologische Dialog ist notwendig, und die Untersuchung der geschichtlichen Beweggründe dieser Entscheidungen, die in der Vergangenheit geschehen sind, ist ebenfalls unerläßlich. Aber am dringendsten ist die »Reinigung des Gedächtnisses«, die von Johannes Paul II. so oft hervorgehoben wurde und die allein die Herzen darauf vorbereiten kann, die volle Wahrheit Christi aufzunehmen. Vor ihn, den höchsten Richter allen Lebens, muß jeder von uns hintreten in dem Bewußtsein, daß er Ihm eines Tages Rechenschaft ablegen muß über das, was er getan, und das, was er nicht getan hat im Hinblick auf das große Gut der vollen und sichtbaren Einheit aller seiner Jünger.

Der jetzige Nachfolger Petri läßt sich in erster Person diese Frage stellen und ist bereit, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um das grundlegende Anliegen der Ökumene zu fördern. Auf den Spuren seiner Vorgänger ist er fest entschlossen, jede Initiative zu pflegen, die angemessen erscheinen mag, um die Kontakte und das Einvernehmen mit den Vertretern der verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu fördern. Ja, ihnen sende ich bei dieser Gelegenheit meinen herzlichen Gruß in Christus, dem einen Herrn aller.

6. In diesem Augenblick gedenke ich der unvergeßlichen Erfahrung, die wir alle anläßlich des Todes und des Begräbnisses des verstorbenen Johannes Paul II. gemacht haben. Um seine sterbliche Hülle, die auf dem bloßen Erdboden ruhte, hatten sich die Oberhäupter der Nationen, Personen jedes Standes, und besonders die Jugendlichen in einer unvergeßlichen Umarmung der Liebe und Bewunderung versammelt. Die ganze Welt hat voll Zuversicht auf ihn geschaut. Vielen schien es, daß diese eindrucksvolle Teilnahme, die von den Medien bis an die Grenzen des Planeten übertragen wurde, gleichsam ein gemeinsamer Hilferuf an den Papst von seiten der heutigen Menschheit war, die sich, von Unsicherheiten und Ängsten beunruhigt, die Frage nach ihrer Zukunft stellt.

Die Kirche von heute muß in sich das Bewußtsein ihrer Aufgabe schärfen, der Welt die Stimme dessen anzubieten, der gesagt hat: »Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben« (Jn 8,12). Bei seiner Amtsübernahme weiß der neue Papst, daß es seine Aufgabe ist, vor den Männern und Frauen von heute das Licht Christi leuchten zu lassen: nicht das eigene Licht, sondern das Licht Christi.

In diesem Bewußtsein wende ich mich an alle, auch an diejenigen, die anderen Religionen angehören oder die einfach eine Antwort auf die Grundfragen des Daseins suchen und sie noch nicht gefunden haben. An alle wende ich mich in Einfachheit und Liebe, um sie dessen zu vergewissern, daß die Kirche mit ihnen weiterhin einen offenen und aufrichtigen Dialog pflegen will in der Suche nach dem wahren Guten des Menschen und der Gesellschaft.

Ich erbitte von Gott die Einheit und den Frieden für die Mernschheitsfamilie und erkläre die Bereitschaft aller Katholiken, für eine wahre gesellschaftliche Entwicklung zusammenzuarbeiten, die die Würde jedes Menschen achtet.

Ich werde weder an Kräften noch an Hingabe sparen, um den verheißungsvollen Dialog fortzusetzen, der von meinen verehrungswürdigen Vorgängern mit den verschiedenen Kulturen angeknüpft wurde, denn aus dem gegenseitigen Verständnis erwachsen die Bedingungen für eine bessere Zukunft aller.

In besonderer Weise denke ich an die jungen Menschen. Ihnen, den bevorzugten Gesprächspartnern von Papst Johannes Paul II., gilt meine liebevolle Umarmung in der Erwartung, daß ich – so Gott will – mit ihnen in Köln anläßlich des kommenden Weltjugendtages zusammentreffen werde. Liebe Jugendliche, ihr seid die Zukunft und Hoffnung der Kirche und der Menschheit, und ich setze mit euch den Dialog fort, indem ich eure Erwartungen anhöre in der Absicht, euch zu helfen, damit ihr dem lebendigen, ewig jungen Christus begegnet.

7. »Mane nobiscum, Domine!« Bleibe bei uns, Herr! Diese Aufforderung, die das Hauptthema des Apostolischen Schreibens von Johannes Paul II. für das Jahr der Eucharistie bildet, ist die Bitte, die spontan aus meinem Herzen aufsteigt, während ich mich anschicke, das Dienstamt anzutreten, in das Christus mich berufen hat. Wie Petrus, so erneuere auch ich mein Versprechen uneingeschränkter Treue. Nur Ihm will ich dienen, indem ich mich vollständig dem Dienst an seiner Kirche widme.

Zur Bekräftigung meines Versprechens bitte ich um die mütterliche Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, in deren Hände ich die Gegenwart und die Zukunft meiner Person und der Kirche lege. Mögen auch die hll. Apostel Petrus und Paulus und alle Heiligen ihre Fürsprache einlegen.

Mit diesen Gefühlen erteile ich euch, verehrte Kardinalsbrüder, sowie denen, die an diesem Ritus teilnahmen, und allen, die über Fernsehen und Rundfunk mit uns verbunden sind, meinen besonderen liebevollen Segen.
Hl. MESSE ZUR AMTSEINFÜHRUNG


VON PAPST BENEDIKT XVI.

MIT ÜBERGABE DES PALLIUMS

UND DES FISCHERRINGS



PREDIGT DES HEILIGEN VATERS BENEDIKT XVI. Petersplatz

Sonntag, 24. April 2005

Meine Herren Kardinäle,

verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt,
sehr geehrte Staatsoberhäupter, Mitglieder der offiziellen Delegationen und des Diplomatischen Corps,
liebe Brüder und Schwestern!

Dreimal hat uns in diesen ereignisreichen Tagen der Gesang der Allerheiligenlitanei begleitet: beim Begräbnis unseres heimgegangenen Heiligen Vaters Johannes Pauls II.; beim Einzug der Kardinäle ins Konklave, und jetzt haben wir es soeben wieder gesungen mit der Bitte: Tu illum adiuva - sostieni il nuovo successore di S. Pietro. Jedes Mal habe ich auf eigene Weise dieses gesungene Gebet als großen Trost empfunden. Wie verlassen fühlten wir uns nach dem Heimgang von Johannes Paul II., der gut 26 Jahre unser Hirt und Führer auf dem Weg durch diese Zeit gewesen war. Nun hatte er die Schwelle ins andere Leben – ins Geheimnis Gottes hinein überschritten. Aber er ging nicht allein. Wer glaubt, ist nie allein – im Leben nicht und auch im Sterben nicht. Nun konnten wir die Heiligen aller Jahrhunderte herbeirufen – seine Freunde, seine Geschwister im Glauben. Und wir wußten, daß sie gleichsam das lebendige Fahrzeug sein würden, das ihn hinüber- und hinaufträgt zur Höhe Gottes. Wir wußten, wenn er ankommt, wird er erwartet. Er ist unter den Seinen, und er ist wahrhaft zu Hause. Wiederum war es so, als wir den schweren Zug ins Konklave gingen, um den zu finden, den der Herr erwählt hat. Wie sollten wir nur den Namen erkennen? Wie sollten 115 Bischöfe aus allen Kulturen und Ländern den finden, dem der Herr den Auftrag des Bindens und des Lösens geben möchte? Aber wieder wußten wir: Wir sind nicht allein. Wir sind von den Freunden Gottes umgeben, geleitet und geführt. Und nun, in dieser Stunde, muß ich schwacher Diener Gottes diesen unerhörten Auftrag übernehmen, der doch alles menschliche Vermögen überschreitet. Wie sollte ich das? Wie kann ich das? Aber Ihr alle, liebe Freunde, habt nun die ganze Schar der Heiligen stellvertretend durch einige der großen Namen der Geschichte Gottes mit den Menschen herbeigerufen, und so darf auch ich wissen: Ich bin nicht allein. Ich brauche nicht allein zu tragen, was ich wahrhaftig allein nicht tragen könnte. Die Schar der Heiligen Gottes schützt und stützt und trägt mich. Und Euer Gebet, liebe Freunde, Eure Nachsicht, Eure Liebe, Euer Glaube und Euer Hoffen begleitet mich. Denn zur Gemeinschaft der Heiligen gehören nicht nur die großen Gestalten, die uns vorangegangen sind und deren Namen wir kennen. Die Gemeinschaft der Heiligen sind wir alle, die wir auf den Namen von Vater, Sohn und Heiligen Geist getauft sind und die wir von der Gabe des Fleisches und Blutes Christi leben, durch die er uns verwandeln und sich gleich gestalten will. Ja, die Kirche lebt – das ist die wunderbare Erfahrung dieser Tage. Durch alle Traurigkeit von Krankheit und Tod des Papstes hindurch ist uns dies auf wunderbare Weise sichtbar geworden: Die Kirche lebt. Und die Kirche ist jung. Sie trägt die Zukunft der Welt in sich und zeigt daher auch jedem einzelnen den Weg in die Zukunft. Die Kirche lebt – wir sehen es, und wir spüren die Freude, die der Auferstandene den Seinen verheißen hat. Die Kirche lebt – sie lebt, weil Christus lebt, weil er wirklich auferstanden ist. Wir haben an dem Schmerz, der auf dem Gesicht des Heiligen Vaters in den Ostertagen lag, das Geheimnis von Christi Leiden angeschaut und gleichsam seine Wunden berührt. Aber wir haben in all diesen Tagen auch den Auferstandenen in einem tiefen Sinn berühren dürfen. Wir dürfen die Freude verspüren, die er nach der kurzen Weile des Dunkels als Frucht seiner Auferstehung verheißen hat.

Die Kirche lebt – so begrüße ich in großer Freude und Dankbarkeit Euch alle, die Ihr hier versammelt seid, verehrte Kardinäle und Mitbrüder im Bischofsamt, liebe Priester, Diakone, pastorale Mitarbeiter und Katechisten. Ich grüße Euch, gottgeweihte Männer und Frauen, Zeugen der verwandelnden Gegenwart Gottes. Ich grüße Euch, gläubige Laien, die Ihr eingetaucht seid in den weiten Raum des Aufbaus von Gottes Reich, das sich über die Welt in allen Bereichen des Lebens ausspannt. Voller Zuneigung richte ich meinen Gruß auch an alle, die, im Sakrament der Taufe wiedergeboren, noch nicht in voller Gemeinschaft mit uns stehen; sowie an Euch, Brüder aus dem jüdischen Volk, mit dem wir durch ein großes gemeinsames geistliches Erbe verbunden sind, das in den unwiderruflichen Verheißungen Gottes seine Wurzeln schlägt. Schließlich gehen meine Gedanken – gleichsam wie eine Welle, die sich ausbreitet – zu allen Menschen unserer Zeit, zu den Glaubenden und zu den Nichtglaubenden.

Liebe Freunde! Ich brauche in dieser Stunde keine Art von Regierungsprogramm vorzulegen; einige Grundzüge dessen, was ich als meine Aufgabe ansehe, habe ich schon in meiner Botschaft vom Mittwoch, dem 20. April, vortragen können; andere Gelegenheiten werden folgen. Das eigentliche Regierungsprogramm aber ist, nicht meinen Willen zu tun, nicht meine Ideen durchzusetzen, sondern gemeinsam mit der ganzen Kirche auf Wort und Wille des Herrn zu lauschen und mich von ihm führen zu lassen, damit er selbst die Kirche führe in dieser Stunde unserer Geschichte. Statt eines Programms möchte ich einfach die beiden Zeichen auszulegen versuchen, mit denen die In-Dienst-Nahme für die Nachfolge des heiligen Petrus liturgisch dargestellt wird; beide Zeichen spiegeln übrigens auch genau das, was in den Lesungen dieses Tages gesagt wird.

Das erste Zeichen ist das Pallium, ein Gewebe aus reiner Wolle, das mir um die Schultern gelegt wird. Dieses uralte Zeichen, das die Bischöfe von Rom seit dem 4. Jahrhundert tragen, mag zunächst einfach ein Bild sein für das Joch Christi, das der Bischof dieser Stadt, der Knecht der Knechte Gottes auf seine Schultern nimmt. Das Joch Gottes – das ist der Wille Gottes, den wir annehmen. Und dieser Wille ist für uns nicht eine fremde Last, die uns drückt und die uns unfrei macht. Zu wissen, was Gott will, zu wissen, was der Weg des Lebens ist – das war die Freude Israels, die es als eine große Auszeichnung erkannte. Das ist auch unsere Freude: Der Wille Gottes entfremdet uns nicht, er reinigt uns – und das kann weh tun – aber so bringt er uns zu uns selber, und so dienen wir nicht nur ihm, sondern dem Heil der ganzen Welt, der ganzen Geschichte. Aber die Symbolik des Palliums ist konkreter: Aus der Wolle von Lämmern gewoben will es das verirrte Lamm oder auch das kranke und schwache Lamm darstellen, das der Hirt auf seine Schultern nimmt und zu den Wassern des Lebens trägt. Das Gleichnis vom verlorenen Schaf, dem der Hirte in die Wüste nachgeht, war für die Kirchenväter ein Bild für das Geheimnis Christi und der Kirche. Die Menschheit, wir alle, sind das verlorene Schaf, das in der Wüste keinen Weg mehr findet. Den Sohn Gottes leidet es nicht im Himmel; er kann den Menschen nicht in solcher Not stehen lassen. Er steht selber auf, verläßt des Himmels Herrlichkeit, um das Schaf zu finden und geht ihm nach bis zum Kreuz. Er lädt es auf die Schulter, er trägt unser Menschsein, er trägt uns – er ist der wahre Hirt, der für das Schaf sein eigenes Leben gibt. Das Pallium sagt uns zuallererst, daß wir alle von Christus getragen werden. Aber er fordert uns zugleich auf, einander zu tragen. So wird das Pallium zum Sinnbild für die Sendung des Hirten, von der die zweite Lesung und das Evangelium sprechen. Den Hirten muß die heilige Unruhe Christi beseelen, dem es nicht gleichgültig ist, daß so viele Menschen in der Wüste leben. Und es gibt vielerlei Arten von Wüsten. Es gibt die Wüste der Armut, die Wüste des Hungers und des Durstes. Es gibt die Wüste der Verlassenheit, der Einsamkeit, der zerstörten Liebe. Es gibt die Wüste des Gottesdunkels, der Entleerung der Seelen, die nicht mehr um die Würde und um den Weg des Menschen wissen. Die äußeren Wüsten wachsen in der Welt, weil die inneren Wüsten so groß geworden sind. Deshalb dienen die Schätze der Erde nicht mehr dem Aufbau von Gottes Garten, in dem alle leben können, sondern dem Ausbau von Mächten der Zerstörung. Die Kirche als Ganze und die Hirten in ihr müssen wie Christus sich auf den Weg machen, um die Menschen aus der Wüste herauszuführen zu den Orten des Lebens – zur Freundschaft mit dem Sohn Gottes, der uns Leben schenkt, Leben in Fülle. Das Symbol des Lammes hat aber auch noch eine andere Seite. Im alten Orient war es üblich, daß die Könige sich als Hirten ihrer Völker bezeichneten. Dies war ein Bild ihrer Macht, ein zynisches Bild: Die Völker waren wie Schafe für sie, über die der Hirte verfügt. Der wahre Hirte aller Menschen, der lebendige Gott, ist selbst zum Lamm geworden, er hat sich auf die Seite der Lämmer, der Getretenen und Geschlachteten gestellt. Gerade so zeigt er sich als der wirkliche Hirt. „Ich bin der wahre Hirte... Ich gebe mein Leben für die Schafe“, sagt Jesus von sich (Jn 10, 14f). Nicht die Gewalt erlöst, sondern die Liebe. Sie ist das Zeichen Gottes, der selbst die Liebe ist. Wie oft wünschten wir, daß Gott sich stärker zeigen würde. Daß er dreinschlagen würde, das Böse ausrotten und die bessere Welt schaffen. Alle Ideologien der Gewalt rechtfertigen sich mit diesen Motiven: Es müsse auf solche Weise zerstört werden, was dem Fortschritt und der Befreiung der Menschheit entgegenstehe. Wir leiden unter der Geduld Gottes. Und doch brauchen wir sie alle. Der Gott, der Lamm wurde, sagt es uns: Die Welt wird durch den Gekreuzigten und nicht durch die Kreuziger erlöst. Die Welt wird durch die Geduld Gottes erlöst und durch die Ungeduld der Menschen verwüstet.

So muß es eine Haupteigenschaft des Hirten sein, daß er die Menschen liebt, die ihm anvertraut sind, weil und wie er Christus liebt, in dessen Diensten er steht. „Weide meine Schafe“, sagt Christus zu Petrus, sagt er nun zu mir. Weiden heißt lieben, und lieben heißt auch, bereit sein zu leiden. Und lieben heißt: den Schafen das wahrhaft Gute zu geben, die Nahrung von Gottes Wahrheit, von Gottes Wort, die Nahrung seiner Gegenwart, die er uns in den heiligen Sakramenten schenkt. Liebe Freunde – in dieser Stunde kann ich nur sagen: Betet für mich, daß ich den Herrn immer mehr lieben lerne. Betet für mich, daß ich seine Herde – Euch, die heilige Kirche, jeden einzelnen und alle zusammen immer mehr lieben lerne. Betet für mich, daß ich nicht furchtsam vor den Wölfen fliehe. Beten wir füreinander, daß der Herr uns trägt und daß wir durch ihn einander zu tragen lernen.

Das zweite Zeichen, mit dem in der Liturgie dieses Tages die Einsetzung in das Petrusamt dargestellt wird, ist die Übergabe des Fischerrings. Die Berufung Petri zum Hirten, die wir im Evangelium gehört haben, folgt auf die Geschichte von einem reichen Fischfang: Nach einer Nacht, in der die Jünger erfolglos die Netze ausgeworfen hatten, sahen sie den auferstanden Herrn am Ufer. Er befiehlt ihnen, noch einmal auf Fang zu gehen, und nun wird das Netz so voll, daß sie es nicht wieder einholen können: 153 große Fische. „Und obwohl es so viele waren, zerriß das Netz nicht“ (Jn 21,11). Diese Geschichte am Ende der Wege Jesu mit seinen Jüngern antwortet auf eine Geschichte am Anfang: Auch da hatten die Jünger die ganze Nacht nichts gefischt; auch da fordert Jesus den Simon auf, noch einmal auf den See hinauszufahren. Und Simon, der noch nicht Petrus heißt, gibt die wunderbare Antwort: Meister, auf dein Wort hin werfe ich die Netze aus. Und nun folgt der Auftrag: „Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fischen“ (Lc 5,1 – 11). Auch heute ist es der Kirche und den Nachfolgern der Apostel aufgetragen, ins hohe Meer der Geschichte hinauszufahren und die Netze auszuwerfen, um Menschen für das Evangelium – für Gott, für Christus, für das wahre Leben – zu gewinnen. Die Väter haben auch diesem Vorgang eine ganz eigene Auslegung geschenkt. Sie sagen: Für den Fisch, der für das Wasser geschaffen ist, ist es tödlich, aus dem Meer geholt zu werden. Er wird seinem Lebenselement entrissen, um dem Menschen zur Nahrung zu dienen. Aber beim Auftrag der Menschenfischer ist es umgekehrt. Wir Menschen leben entfremdet, in den salzigen Wassern des Leidens und des Todes; in einem Meer des Dunkels ohne Licht. Das Netz des Evangeliums zieht uns aus den Wassern des Todes heraus und bringt uns ans helle Licht Gottes, zum wirklichen Leben. In der Tat – darum geht es beim Auftrag des Menschenfischers in der Nachfolge Christi, die Menschen aus dem Salzmeer all unserer Entfremdungen ans Land des Lebens, zum Licht Gottes zu bringen. In der Tat: Dazu sind wir da, den Menschen Gott zu zeigen. Und erst wo Gott gesehen wird, beginnt das Leben richtig. Erst wo wir dem lebendigen Gott in Christus begegnen, lernen wir, was Leben ist. Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht. Es gibt nichts Schöneres, als vom Evangelium, von Christus gefunden zu werden. Es gibt nichts Schöneres, als ihn zu kennen und anderen die Freundschaft mit ihm zu schenken. Die Arbeit des Hirten, des Menschenfischers mag oft mühsam erscheinen. Aber sie ist schön und groß, weil sie letzten Endes Dienst an der Freude Gottes ist, die in der Welt Einzug halten möchte.

Noch eins möchte ich hier anmerken: Sowohl beim Hirtenbild wie beim Bild vom Fischer taucht der Ruf zur Einheit ganz nachdrücklich auf. „Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; sie muß ich führen, und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten“ (Jn 10,16), sagt Jesus am Ende der Hirtenrede. Und das Wort von den 153 großen Fischen endet mit der freudigen Feststellung: „Und obwohl es so viele waren, zerriß das Netz nicht“ (Jn 21,11). Ach, lieber Herr, nun ist es doch zerrissen, möchten wir klagend sagen. Aber nein – klagen wir nicht! Freuen wir uns über die Verheißung, die nicht trügt und tun wir das Unsrige, auf der Spur der Verheißung zu gehen, der Einheit entgegen. Erinnern wir bittend und bettelnd den Herrn daran: Ja, Herr, gedenke deiner Zusage. Laß einen Hirten und eine Herde sein. Laß dein Netz nicht zerreißen, und hilf uns Diener der Einheit zu sein!

In dieser Stunde geht meine Erinnerung zurück zum 22. Oktober 1978, als Papst Johannes Paul II. hier auf dem Petersplatz sein Amt übernahm. Immer noch und immer wieder klingen mir seine Worte von damals in den Ohren: Non avete paura: Aprite, anzi spalancate le porte per Cristo! Der Papst sprach zu den Starken, zu den Mächtigen der Welt, die Angst hatten, Christus könnte ihnen etwas von ihrer Macht wegnehmen, wenn sie ihn einlassen und die Freiheit zum Glauben geben würden. Ja, er würde ihnen schon etwas wegnehmen: die Herrschaft der Korruption, der Rechtsbeugung, der Willkür. Aber er würde nichts wegnehmen von dem, was zur Freiheit des Menschen, zu seiner Würde, zum Aufbau einer rechten Gesellschaft gehört. Und der Papst sprach zu den Menschen, besonders zu den jungen Menschen. Haben wir nicht alle irgendwie Angst, wenn wir Christus ganz herein lassen, uns ihm ganz öffnen, könnte uns etwas genommen werden von unserem Leben? Müssen wir dann nicht auf so vieles verzichten, was das Leben erst so richtig schön macht? Würden wir nicht eingeengt und unfrei? Und wiederum wollte der Papst sagen: Nein. Wer Christus einläßt, dem geht nichts, nichts – gar nichts verloren von dem, was das Leben frei, schön und groß macht. Nein, erst in dieser Freundschaft öffnen sich die Türen des Lebens. Erst in dieser Freundschaft gehen überhaupt die großen Möglichkeiten des Menschseins auf. Erst in dieser Freundschaft erfahren wir, was schön und was befreiend ist. So möchte ich heute mit großem Nachdruck und großer Überzeugung aus der Erfahrung eines eigenen langen Lebens Euch, liebe junge Menschen, sagen: Habt keine Angst vor Christus! Er nimmt nichts, und er gibt alles. Wer sich ihm gibt, der erhält alles hundertfach zurück. Ja, aprite, spalancate le porte per Cristo – dann findet Ihr das wirkliche Leben. Amen.

BESUCH DES HL. VATERS

IN DER PATRIARCHALBASILIKA ST. PAUL VOR DEN MAUERN

PREDIGT VON BENEDIKT XVI. Montag, 25. April 2005

Meine Herren Kardinäle,

verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

Ich danke Gott, der mir zu Beginn meines Dienstes als Nachfolger Petri ermöglicht, im Gebet am Grab des Apostels Paulus zu verweilen. Dies ist eine von mir tief ersehnte Pilgerfahrt, eine Geste des Glaubens, die ich in meinem eigenen Namen tue, aber auch im Namen der geliebten Diözese Rom, zu deren Bischof und Hirten mich der Herr eingesetzt hat, sowie im Namen der Universalkirche, die meiner pastoralen Sorge anvertraut ist. Es ist gewissermaßen eine Pilgerfahrt zu den Wurzeln der Mission, jener Mission, die der auferstandene Christus dem Petrus, den Aposteln und in besonderer Weise auch Paulus übertrug. Er bewegte ihn dazu, den Völkern das Evangelium zu überbringen, wobei er schließlich hier in diese Stadt gelangte, in der er, nachdem er lange das Reich Gottes verkündet hatte (vgl. Apg Ac 28,31), mit seinem Blut das äußerste Zeugnis für seinen Herrn ablegte, der ihn »ergriffen« (Ph 3,12) und gesandt hatte.

Noch bevor ihn die göttliche Vorsehung nach Rom führte, schrieb der Apostel den Christen dieser Stadt, der Hauptstadt des Reiches, seinen in lehrmäßiger Hinsicht wichtigsten Brief. Soeben wurde dessen erster Teil vorgelesen, ein bedeutungsdichtes Vorwort, in dem der Apostel die Gemeinde von Rom grüßt und sich dabei als »Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel« vorstellt (Rm 1,1). Und etwas später fügt er hinzu: »Durch ihn [Christus] haben wir Gnade und Apostelamt empfangen, um in seinem Namen alle Heiden zum Gehorsam des Glaubens zu führen« (Rm 1,5).

Liebe Freunde, als Nachfolger Petri bin ich hier, um im Glauben diese »Gnade des Apostolats« wiederzubeleben, denn Gott hat mir gemäß einem anderen Wort des Völkerapostels »die Sorge für die Gemeinden« (2Co 11,28) anvertraut. Wir haben das Beispiel meines geliebten und verehrten Vorgängers Johannes Paul II. vor Augen, dessen so intensives Wirken, für das mehr als hundert Apostolische Reisen außerhalb der Grenzen Italiens Zeugnis geben, wirklich unnachahmlich ist. Was bewegte ihn zu einer solchen Dynamik, wenn nicht eben jene Liebe zu Christus, die auch das Leben des hl. Paulus verwandelte (vgl. 2Co 5,14)? Der Herr möge auch in mir eine solche Liebe nähren, damit ich mich rastlos einsetze für die so dringend notwendige Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. Die Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch, ihre vorrangige Aufgabe ist die Evangelisierung. Das Zweite Ökumenische Vatikanische Konzil widmete der Missionstätigkeit das Dekret mit dem Namen »Ad gentes«, in dem daran erinnert wird, daß »die Apostel … den Spuren Christi folgend, ›das Wort der Wahrheit verkündet und Kirchen gezeugt‹ [haben] (hl. Augustinus, Enarr. in Ps 44,23, PL 36,508)« und es »Pflicht ihrer Nachfolger ist …, diesem Werk Dauer zu verleihen, damit ›das Wort Gottes seinen Lauf nehme und verherrlicht werde‹ (2Th 3,1) und die Herrschaft Gottes überall auf Erden angekündigt und aufgerichtet werde« (Nr. 1).

Zu Beginn des dritten Jahrtausends spürt die Kirche mit neuer Lebendigkeit, daß der missionarische Auftrag Christi von besonderer Aktualität ist. Das Große Jubiläum des Jahres 2000 leitete sie dazu an, »neu anzufangen bei Christus«, der im Gebet betrachtet wird, damit das Licht seiner Wahrheit allen Menschen erstrahle, vor allem durch das Zeugnis der Heiligkeit. Es ist mir ein Herzensanliegen, an dieser Stelle an das Wort zu erinnern, das der hl. Benedikt in seiner Regel anführte, als er die Mönche ermahnte, »der Liebe zu Christus nichts vorzuziehen« (Kap. 4). In der Tat wurde Paulus durch seine Bekehrung auf dem Weg nach Damaskus genau dazu veranlaßt: Christus zum Mittelpunkt seines Lebens zu machen, indem er alles hinter sich ließ zugunsten der erhabenen Erkenntnis seiner Person und seines Geheimnisses der Liebe, und indem er sich dafür einsetzte, Ihn allen Menschen zu verkünden, insbesondere den Heiden, zur Verherrlichung seines Namens (vgl. Röm Rm 1,5). Die Begeisterung für Christus veranlaßte ihn, das Evangelium nicht nur mit Worten zu verkünden, sondern mit dem eigenen Leben, das er immer mehr an seinem Herrn ausrichtete. Schließlich verkündete Paulus den Messias durch sein Martyrium, und sein Blut tränkte zusammen mit dem des hl. Petrus und vieler anderer Zeugen des Evangeliums diesen Boden und befruchtete die Kirche von Rom, die in der universalen Gemeinschaft der Liebe den Vorsitz innehat (vgl. hl. Ignatius von Antiochien, Ad Rom., Inscr.: Funk, I, 252).

Das 20. Jahrhundert war, wie wir alle wissen, eine Zeit des Martyriums. Dies hat in besonderer Weise Papst Johannes Paul II. hervorgehoben, der die Kirche aufforderte, »das Martyrologium zu aktualisieren«, und der zahlreiche Märtyrer der jüngeren Geschichte selig- und heiligsprach. Wenn also das Blut der Märtyrer der Same neuer Christen ist, dann können wir berechtigterweise zu Beginn des dritten Jahrtausends ein neues Wiedererstarken der Kirche erwarten, vor allem dort, wo sie um des Glaubens und der Verkündigung des Evangeliums willen besonders gelitten hat.

Diesen Wunsch vertrauen wir der Fürsprache des hl. Paulus an. Er erwirke der Kirche von Rom und insbesondere ihrem Bischof sowie dem ganzen Volk Gottes, die Freude, allen Menschen die Frohe Botschaft von Christus, dem Erlöser, zu verkünden und zu bezeugen.



EUCHARISTIEFEIER

ANLÄSSLICH DER FEIERLICHEN INBESITZNAHME DER

KATHEDRA DES BISCHOFS VON ROM

PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI. Lateranbasilika

Samstag, 7. Mai 2005

Liebe Väter Kardinäle,

liebe Brüder im Bischofsamt,
liebe Brüder und Schwestern!

Am heutigen Tag, an dem ich als Nachfolger Petri zum ersten Mal die Kathedra, den Sitz des Bischofs von Rom, einnehmen kann, feiert die Kirche in Italien das Fest der Himmelfahrt des Herrn. Im Mittelpunkt dieses Tages steht Christus. Allein ihm, allein dem Geheimnis seiner Auffahrt in den Himmel ist es zu verdanken, daß es uns gelingt, die Bedeutung der Kathedra, die Symbol der Macht und der Verantwortung des Bischofs ist, zu verstehen. Was will uns also das Fest der Himmelfahrt des Herrn sagen? Es will uns nicht sagen, daß der Herr irgendwohin, weit weg von den Menschen und der Welt, gegangen ist. Die Himmelfahrt Christi ist keine Weltraumfahrt zu den fernsten Gestirnen; denn im Grunde genommen bestehen auch die Gestirne, ebenso wie die Erde, aus physischen Elementen. Die Himmelfahrt Christi bedeutet, daß er nicht mehr der Welt der Vergänglichkeit und des Todes angehört, die unser Leben bedingt. Sie bedeutet, daß er vollkommen Gott gehört. Er – der ewige Sohn – hat unser Menschsein vor das Angesicht Gottes getragen, er hat das Fleisch und Blut in einer verwandelten Gestalt mit sich getragen. Der Mensch findet Raum in Gott; durch Christus wurde das menschliche Sein in das innerste Leben Gottes selbst hineingenommen. Und da Gott den ganzen Kosmos umfaßt und trägt, bedeutet die Himmelfahrt des Herrn, daß sich Christus nicht von uns entfernt hat, sondern daß er jetzt, weil er beim Vater ist, jedem von uns für immer nahe ist. Jeder von uns darf zu ihm »Du« sagen; jeder kann ihn anrufen. Der Herr befindet sich immer in Hörweite. Wir können uns innerlich von ihm entfernen. Wir können leben, indem wir ihm den Rücken zukehren. Aber er erwartet uns immer und ist uns immer nahe.

Aus den Lesungen der heutigen Liturgie erfahren wir auch etwas mehr darüber, wie der Herr diese seine Nähe zu uns konkret verwirklicht. Der Herr verheißt den Jüngern seinen Heiligen Geist. Die Erste Lesung, die wir gehört haben, sagt uns, daß der Heilige Geist für die Jünger »Kraft« sein wird; das Evangelium fügt hinzu, daß er sie in die ganze Wahrheit einführen wird. Jesus hat seinen Jüngern alles gesagt, da er selbst das lebendige Wort Gottes ist, und Gott kann nicht mehr geben als sich selbst. In Jesus hat Gott sich uns selbst ganz geschenkt, das heißt, er hat uns alles geschenkt. Darüber hinaus oder daneben kann es für uns keine weitere Offenbarung geben, die in der Lage wäre, mehr mitzuteilen bzw. die Offenbarung Christi irgendwie zu ergänzen. In ihm, im Sohn, ist uns alles gesagt, ist uns alles geschenkt worden. Aber unsere Auffassungsgabe ist begrenzt; daher besteht die Sendung des Geistes darin, die Kirche immer wieder neu, von Generation zu Generation, in die Größe des Geheimnisses Christi einzuführen. Der Geist stellt nicht etwas anderes oder Neues neben Christus; es gibt nicht – wie einige behaupten – eine Geistoffenbarung neben der Offenbarung Christi, es gibt keine zweite Offenbarungsebene. Nein: »Er wird von dem, was mein ist, nehmen«, sagt Christus im Evangelium (Jn 16,14). Und wie Christus nur das sagt, was er vom Vater hört und empfängt, so ist der Heilige Geist Sprachrohr Christi. »Er wird von dem, was mein ist, nehmen.« Er führt uns nicht zu anderen Orten, die weit weg von Christus sind, sondern er führt uns immer tiefer in das Licht Christi. Deshalb ist die christliche Offenbarung immer alt und neu zugleich. Deshalb ist uns alles seit jeher geschenkt. Gleichzeitig lernt jede Generation in der unerschöpflichen Begegnung mit dem Herrn – einer vom Heiligen Geist vermittelten Begegnung – immer etwas Neues.

So ist der Heilige Geist die Kraft, durch die uns Christus seine Nähe erfahren läßt. Aber die Erste Lesung enthält noch eine weitere Aussage: Ihr werdet meine Zeugen sein. Der auferstandene Christus braucht Zeugen, die ihm begegnet sind, Menschen, die ihn durch die Kraft des Heiligen Geistes zutiefst kennengelernt haben. Menschen, die von ihm Zeugnis geben können, weil sie ihn sozusagen mit eigenen Händen berührt haben. Und so ist die Kirche, die Familie Christi, von »Jerusalem… bis an die Enden der Erde« gewachsen, wie es in der Lesung heißt. Durch die Zeugen ist die Kirche aufgebaut worden – angefangen bei Petrus und Paulus und den zwölf Aposteln bis hin zu all den Männern und Frauen, die, erfüllt von Christus, im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neu die Flamme des Glaubens entzündet haben und sie weiter entzünden werden. Jeder Christ kann und soll auf seine Weise Zeuge des auferstandenen Christus sein. Wenn wir die Namen der Heiligen lesen, können wir sehen, wie oft es sich bei ihnen vor allem um einfache Menschen gehandelt hat – und das gilt auch heute noch –, Menschen, von denen ein strahlendes Licht ausging – und ausgeht –, das zu Christus hinzuführen vermag.

Aber dieses Zusammenspiel der Zeugnisse hat eine klar festgelegte Struktur: Den Nachfolgern der Apostel, das heißt den Bischöfen, obliegt die öffentliche Verantwortung, dafür zu sorgen, daß das Netz dieser Zeugnisse durch die Zeiten hindurch weiterbesteht. Im Sakrament der Bischofsweihe wird ihnen die für diesen Dienst notwendige Macht und Gnade übertragen. In diesem Netz von Zeugen obliegt dem Nachfolger Petri eine besondere Aufgabe. Es war Petrus, der als erster im Namen der Apostel das Glaubensbekenntnis ausgesprochen hat: »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes« (Mt 16,16). Das ist die Aufgabe aller Nachfolger des Petrus: Führer zu sein im Bekenntnis des Glaubens an Christus, den Sohn des lebendigen Gottes. Die Kathedra von Rom ist vor allem Kathedra dieses Glaubensbekenntnisses. Der Bischof von Rom ist dazu verpflichtet, von dieser Kathedra herab ständig zu wiederholen: »Dominus Iesus« – »Jesus ist der Herr«, wie Paulus in seinen Briefen an die Römer (10,9) und an die Korinther (1Co 12,3) schrieb. An die Korinther gerichtet, sagte er mit besonderem Nachdruck: »Und selbst wenn es im Himmel oder auf der Erde sogenannte Götter gibt […], so haben doch wir nur einen Gott, den Vater […]. Und einer ist der Herr: Jesus Christus. Durch ihn ist alles, und wir sind durch ihn« (1 Kor 8,5f.). Die Kathedra Petri verpflichtet ihre Inhaber – wie es schon Petrus in einer Krisensituation der Jünger, als viele fortgehen wollten, getan hat – zu sprechen: »Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes« (Joh 6,68f.). Wer die Kathedra Petri in Besitz genommen hat, muß sich der Worte erinnern, die der Herr beim Letzten Abendmahl zu Petrus gesagt hat: »…und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder« (Lc 22,32). Der Träger des Petrusamtes muß sich bewußt sein, daß er ein zerbrechlicher und schwacher Mensch ist – wie seine eigenen Kräfte zerbrechlich und schwach sind –, der ständiger Läuterung und Umkehr bedarf. Aber er darf sich auch dessen bewußt sein, daß er vom Herrn die Kraft erhält, seine Brüder im Glauben zu stärken und sie vereint zu halten im Bekenntnis zum gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Im ersten Brief des hl. Paulus an die Korinther finden wir den ältesten Auferstehungsbericht, den wir besitzen. Paulus hat ihn von den Zeugen getreu übernommen. Dieser Bericht spricht zunächst vom Tod des Herrn für unsere Sünden, von seiner Grablegung, von seiner Auferstehung am dritten Tag und sagt dann: »Christus erschien dem Kephas, dann den Zwölf…« (1Co 15,4). So wird noch einmal die Bedeutung des Auftrags zusammengefaßt, der dem Petrus bis ans Ende der Zeiten erteilt worden ist: Zeuge des auferstandenen Christus zu sein.

Der Bischof von Rom sitzt auf seiner Kathedra, um von Christus Zeugnis zu geben. Daher ist die Kathedra das Symbol der »potestas docendi«, jener Lehrvollmacht, die wesentlich zur Aufgabe des Bindens und Lösens gehört, die vom Herrn dem Petrus und nach ihm den Zwölf aufgetragen worden ist. In der Kirche gehören die Heilige Schrift, deren Verständnis unter der Eingebung des Heiligen Geistes wächst, und der den Aposteln aufgetragene Dienst der authentischen Auslegung unlösbar zusammen. Wo die Heilige Schrift von der lebendigen Stimme der Kirche losgelöst ist, wird sie zum Diskussionsthema der Experten. Sicher, alles, was sie uns zu sagen haben, ist wichtig und wertvoll; die Arbeit der Gelehrten ist für uns eine beachtliche Hilfe, um jenen lebendigen Wachstumsprozeß der Schrift erfassen und somit ihren historischen Reichtum verstehen zu können. Aber die Wissenschaft allein kann uns keine endgültige und verbindliche Interpretation liefern; sie ist nicht in der Lage, uns in ihrer Interpretation jene Gewißheit zu geben, mit der wir leben können und für die wir auch sterben können. Dafür braucht es ein größeres Mandat, das nicht allein aus menschlichen Fähigkeiten entstehen kann. Dazu braucht es die Stimme der lebendigen Kirche, jener Kirche, die bis ans Ende der Zeiten dem Petrus und dem Apostelkollegium anvertraut wurde.

Diese Lehrvollmacht erschreckt viele Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche. Sie fragen sich, ob sie nicht die Gewissensfreiheit bedrohe, ob sie nicht eine Anmaßung darstelle, die im Gegensatz zur Meinungsfreiheit steht. Dem ist aber nicht so. Die von Christus dem Petrus und seinen Nachfolgern übertragene Macht ist, absolut verstanden, ein Auftrag zum Dienen. Die Lehrvollmacht in der Kirche schließt eine Verpflichtung zum Dienst am Glaubensgehorsam ein. Der Papst ist kein absoluter Herrscher, dessen Denken und Willen Gesetz sind. Im Gegenteil: Sein Dienst garantiert Gehorsam gegenüber Christus und seinem Wort. Er darf nicht seine eigenen Ideen verkünden, sondern muß – entgegen allen Versuchen von Anpassung und Verwässerung sowie jeder Form von Opportunismus – sich und die Kirche immer zum Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes verpflichten. Das tat Papst Johannes Paul II., wenn er – angesichts sämtlicher, für den Menschen scheinbar gut gemeinter Versuche – den falschen Interpretationen der Freiheit gegenüber unmißverständlich die Unverletzlichkeit des menschlichen Wesens, die Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod betonte. Die Freiheit zu töten, ist keine wahre Freiheit, sondern eine Tyrannei, die den Menschen zur Sklaverei erniedrigt. Der Papst ist sich bewußt, daß er in seinen wichtigen Entscheidungen an die große Gemeinschaft des Glaubens aller Zeiten, an die verpflichtenden, auf dem Pilgerweg der Kirche entstandenen Interpretationen gebunden ist. So steht seine Macht nicht über dem Wort Gottes, sondern in dessen Dienst; und ihm obliegt die Verantwortung dafür, daß dieses Wort in seiner Größe erhalten bleibt und in seiner Reinheit erklingt, auf daß es nicht von den ständig wechselnden Moden zerrissen werde.

Die Kathedra ist – wir sagen es noch einmal – Symbol der Lehrvollmacht, die eine Macht des Gehorsams und Dienstes ist, damit das Wort Gottes – die Wahrheit! – unter uns erstrahlen und uns so den Weg des Lebens weisen kann. Aber wie könnten wir, wenn wir von der Kathedra des Bischofs von Rom reden, die Worte unerwähnt lassen, die der hl. Ignatius von Antiochien an die Römer schrieb? Von Antiochien, seinem ersten Sitz, steuerte Petrus Rom an, seinen endgültigen Sitz. Endgültig bekräftigt wurde dieser Sitz durch das Martyrium, mit dem er seine Nachfolger für immer an Rom gebunden hat. Ignatius, der Bischof von Antiochien blieb, wurde seinerseits in den Märtyrertod geführt, den er in Rom erleiden sollte. In seinem Brief an die Römer bezieht er sich auf die Kirche von Rom, »die den Vorsitz in der Liebe hat«, eine sehr bedeutsame Formulierung. Wir wissen nicht mit Sicherheit, was Ignatius mit der Verwendung dieser Worte im Sinn hatte. Aber für die alte Kirche war das Wort Liebe, »agape«, ein Hinweis auf das Geheimnis der Eucharistie. In diesem Mysterium wird die Liebe Christi immer mitten unter uns greifbar. Hier gibt er sich immer wieder hin. Hier läßt er sein Herz immer wieder durchbohren; hier hält er seine Verheißung aufrecht, die Verheißung, daß er vom Kreuz her alles an sich ziehen wird. In der Eucharistie erlernen wir selber die Liebe Christi. Dank dieser Herzensmitte, dank der Eucharistie haben die Heiligen gelebt, als sie die Liebe Gottes in immer neuen Formen in die Welt trugen. Dank der Eucharistie wird die Kirche immer wieder neu geboren! Die Kirche ist nichts anderes als jenes Netz – die eucharistische Gemeinschaft! –, in dem wir alle, wenn wir denselben Herrn empfangen, zu einem einzigen Leib werden und die ganze Welt umfangen. Der Vorsitz in der Lehre und der Vorsitz in der Liebe müssen letzten Endes ein und dasselbe sein: Die ganze Lehre der Kirche führt schließlich zur Liebe. Und die Eucharistie als gegenwärtige Liebe Jesu Christi ist das Kriterium, an dem jede Lehre gemessen wird. An der Liebe hängen das ganze Gesetz und die Propheten, sagt der Herr (Mt 22,40). Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes, schrieb der hl. Paulus an die Römer (Rm 13,10).

Liebe Römer, ich bin jetzt euer Bischof. Danke für eure Großherzigkeit, danke für eure Sympathie, danke für eure Geduld mit mir! Als Katholiken sind wir alle in gewisser Weise auch Römer. Mit den Worten von Psalm 87, einem Loblied auf Zion, die Mutter aller Völker, sang Israel und singt die Kirche: »Doch von Zion wird man sagen: Jeder ist dort geboren …« (Ps 87,5). In ähnlicher Weise könnten auch wir sagen: Als Katholiken sind wir in gewisser Weise alle in Rom geboren. So will ich mit ganzem Herzen versuchen, euer Bischof, der Bischof von Rom zu sein. Und wir alle wollen versuchen, immer mehr katholisch zu werden – immer mehr zu Brüdern und Schwestern in der großen Familie Gottes, jener Familie, in der es keine Fremden gibt. Schließlich möchte ich dem Vikar für die Diözese Rom, dem lieben Kardinal Camillo Ruini, den Weihbischöfen und allen ihren Mitarbeitern von Herzen danken. Herzlich danke ich den Pfarrern, dem Klerus von Rom und allen, die als Gläubige dazu beitragen, um hier das lebendige Haus Gottes zu errichten. Amen.
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Benedikt XVI Predigten