Benedikt XVI Predigten 4

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HOCHFEST DER HLL. APOSTEL PETRUS UND PAULUS

PREDIGT VON BENEDIKT XVI. Petersdom

Mittwoch, 29. Juni 2005

Liebe Brüder und Schwestern!


Das Fest der heiligen Apostel Petrus und Paulus ist zugleich ein dankbares Gedächtnis der großen Zeugen Jesu Christi und ein feierliches Bekenntnis zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. Es ist vor allem ein Fest der Katholizität. Das Zeichen von Pfingsten – die neue Gemeinschaft, die in allen Sprachen spricht und alle Völker in einem einzigen Volk, in einer Familie Gottes vereint –, dieses Zeichen ist Wirklichkeit geworden. Unsere liturgische Versammlung, zu der sich Bischöfe aus allen Teilen der Welt, Menschen vielfältiger Kulturen und Nationen eingefunden haben, ist ein Bild der über die ganze Erde verteilten Familie der Kirche. Fremde sind zu Freunden geworden; jenseits aller Grenzen erkennen wir uns als Brüder und Schwestern an. Damit ist die Mission des hl. Paulus erfüllt, der wußte, daß »als Diener Christi Jesu unter den Heiden zu sein…, eine Opfergabe [darstellt], die Gott gefällt, geheiligt im Heiligen Geist« (Rm 15,16). Das Ziel der Mission ist eine Menschheit, die selbst zu einer lebendigen Verherrlichung Gottes geworden ist, die wahre Verehrung, die Gott erwartet: Das ist der tiefste Sinn der Katholizität – einer Katholizität, die uns schon geschenkt wurde und zu der wir uns doch immer wieder auf den Weg machen müssen. Katholizität ist nicht nur Ausdruck einer horizontalen Dimension, also die Versammlung vieler Menschen in der Einheit; sie drückt auch eine vertikale Dimension aus: Nur dadurch, daß wir den Blick auf Gott richten, nur dadurch, daß wir uns ihm öffnen, können wir wirklich zu einer Einheit werden. Wie Paulus kam auch Petrus nach Rom, in die Stadt, die zum Ort geworden war, wo alle Völker zusammentrafen, und die eben deshalb eher als jede andere Ausdruck der Universalität des Evangeliums werden konnte. Als er die Reise von Jerusalem nach Rom unternahm, wußte er sich mit Sicherheit von den Stimmen der Propheten, vom Glauben und vom Gebet Israels geleitet. Die Entsendung in die ganze Welt ist nämlich auch Teil der Verkündigung des Alten Bundes: Das Volk Israel war dazu bestimmt, Licht für die Völker zu sein. Der große Psalm der Passion, Psalm 22, dessen ersten Vers »Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?« Jesus am Kreuz laut gerufen hat, endet mit der Vision: »Alle Enden der Erde werden umkehren zum Herrn: Vor ihm werfen sich alle Stämme der Völker nieder« (Ps 22,28). Als Petrus und Paulus nach Rom kamen, war der Herr, der diesen Psalm am Kreuz zu sprechen begonnen hatte, auferstanden; dieser Sieg Gottes mußte nun allen Völkern verkündet werden, wodurch die Verheißung, mit der der Psalm schloß, erfüllt wurde.

Katholizität bedeutet Universalität – Vielfalt, die zur Einheit wird; Einheit, die dennoch Vielfalt bleibt. Aus dem Wort des Paulus über die Universalität der Kirche haben wir schon ablesen können, daß zu dieser Einheit die Fähigkeit der Völker zur Selbstüberwindung gehört, um auf den einzigen Gott zu blicken. Der eigentliche Begründer der katholischen Theologie, der hl. Irenäus von Lyon, hat im 2. Jahrhundert diese Verbindung zwischen Katholizität und Einheit sehr schön ausgedrückt: »Diese Lehre und diesen Glauben bewahrt die Kirche, die sich über die ganze Welt erstreckt, sorgfältig und bildet gleichsam eine einzige Familie: derselbe Glaube mit einer einzigen Seele und einem einzigen Herzen, dieselbe Verkündigung, Lehre, Tradition, als hätte sie nur einen einzigen Mund. Unterschiedlich sind die Sprachen der verschiedenen Regionen, aber es wirkt ein und dieselbe Kraft der Tradition. Die Kirchen Germaniens haben ebenso wenig einen anderen Glauben oder eine andere Tradition wie jene in Spanien, Gallien, Ägypten, Libyen, im Osten oder im Zentrum der Erde; wie die Sonne als Geschöpf Gottes eine einzige und die gleiche in der ganzen Erde ist, so strahlt das Licht der wahren Verkündigung überall und erleuchtet alle Menschen, die zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen wollen« (Adversus haereses I,10,2). Die Einheit der Menschen in ihrer Vielfalt ist möglich geworden, weil Gott, dieser eine Gott des Himmels und der Erde, sich uns gezeigt hat; weil die wesentliche Wahrheit über unser Leben, über unser »Woher?« und »Wohin?« sichtbar geworden ist, als er sich uns zeigte und in Jesus Christus uns sein Angesicht, sich selbst, sehen ließ. Diese Wahrheit über das Wesen unseres Seins, über unser Leben und unser Sterben, eine Wahrheit, die von Gott her sichtbar geworden ist, vereint uns und läßt uns zu Brüdern werden. Katholizität und Einheit gehören zusammen. Und die Einheit hat einen Inhalt: den Glauben, den die Apostel uns im Auftrag Christi übermittelt haben.

Es ist mir eine Freude, daß ich gestern – am Fest des hl. Irenäus und am Tag vor dem Patronatsfest der hll. Petrus und Paulus – der Kirche eine neue Anleitung für die Weitergabe des Glaubens übergeben konnte, die uns helfen soll, den Glauben, der uns eint, besser zu verstehen und dann besser zu leben: das Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche. Was im großen Katechismus durch die Zeugnisse der Heiligen aller Jahrhunderte und mittels der in der Theologie gereiften Gedanken in detaillierter Form dargestellt ist, wird hier in seinen wesentlichen Inhalten zusammengefaßt, die dann in die Alltagssprache übersetzt und immer wieder konkretisiert werden müssen. Das Buch ist als Gespräch, in Fragen und Antworten, angelegt; vierzehn Bilder, die den verschiedenen Glaubensbereichen zugehören, laden zur Betrachtung und Meditation ein. Sie sind sozusagen eine sichtbare Zusammenfassung dessen, was das Wort im Detail entwickelt. Am Anfang sehen wir eine Christus-Ikone aus dem 16. Jahrhundert, die sich auf dem Berg Athos befindet und Christus in seiner Würde als Herr der Erde darstellt, aber zugleich als Verkünder des Evangeliums, das er in der Hand hält. »Ich bin, der ich bin« – dieser geheimnisvolle Name Gottes im Alten Bund – wird dort als sein Eigenname wiedergegeben: Alles Seiende kommt von ihm; er ist die Urquelle allen Seins. Und weil er einzig ist, ist er auch immer gegenwärtig, ist er uns immer nahe und geht uns zugleich immer voraus: als »Richtungsweiser« auf unserem Lebensweg, wobei er selbst der Weg ist. Man kann dieses Buch nicht lesen, wie man einen Roman liest. Man muß es mit Ruhe in seinen einzelnen Teilen meditieren und seinen Inhalt durch die Bilder in die Seele eindringen lassen. Ich hoffe, daß es in dieser Weise aufgenommen wird und zu einer guten Führung bei der Weitergabe des Glaubens werden kann.

Wir haben gesagt, daß die Katholizität der Kirche und die Einheit der Kirche zusammengehören. Die Tatsache, daß beide Dimensionen für uns in den Gestalten der heiligen Apostel sichtbar werden, weist uns bereits auf das nächste Wesensmerkmal der Kirche hin: Sie ist apostolisch.Was bedeutet das? Der Herr hat – so wie es zwölf Söhne Jakobs gab – zwölf Apostel eingesetzt und sie damit zu Stammvätern des Volkes Gottes gemacht, das nunmehr universal geworden ist und von da an alle Völker umfaßte. Der hl. Markus sagt uns, Jesus habe die Apostel berufen, weil »er sie bei sich haben und dann aussenden wollte« (Mc 3,14). Das scheint ein Widerspruch zu sein. Wir würden sagen: Entweder bleiben sie bei ihm oder sie werden ausgesandt und machen sich auf den Weg. Vom heiligen Papst Gregor dem Großen gibt es ein Wort über die Engel, das uns hilft, den Widerspruch aufzulösen. Er sagt, daß die Engel immer ausgesandt werden und gleichzeitig immer vor Gott stehen, und er fährt fort: »Wohin auch immer sie gesandt werden, wohin sie auch gehen, sie gehen immer in Gott« (Homilie 34,13). Das Buch der Offenbarung hat die Bischöfe als »Engel« ihrer Kirche bezeichnet, und wir können dies daher folgendermaßen übertragen: Die Apostel und ihre Nachfolger sollten immer bei ihrem Herrn sein und genauso – wohin sie auch gehen – immer in Gemeinschaft mit ihm sein und aus dieser Gemeinschaft leben.

Die Kirche ist apostolisch, weil sie den Glauben der Apostel bekennt und ihn zu leben sucht. Die vom Herrn berufenen Zwölf zeichnet eine Einmaligkeit aus, aber zugleich besteht eine Kontinuität in der apostolischen Sendung. Der hl. Petrus hat sich in seinem ersten Brief als »Mit-Ältester« mit den Ältesten, an die er schreibt, bezeichnet (1P 5,1). Und damit hat er das Prinzip der apostolischen Sukzession zum Ausdruck gebracht: Dasselbe Amt, das er vom Herrn empfangen hat, besteht nun dank der Priesterweihe in der Kirche fort. Das Wort Gottes ist nicht nur aufgeschrieben, sondern es bleibt lebendiges Wort – dank der Zeugen, die der Herr im Sakrament in den apostolischen Dienst aufgenommen hat. So wende ich mich nun an euch, liebe Mitbrüder im Bischofsamt. Ich begrüße euch herzlich, zusammen mit euren Angehörigen und mit den Pilgern aus euren Diözesen. Gleich werdet ihr aus den Händen des Nachfolgers Petri das Pallium erhalten. Wir haben es gleichsam von Petrus selbst segnen lassen, indem wir es neben sein Grab legten. Nun ist es Ausdruck unserer gemeinsamen Verantwortung vor dem »obersten Hirten« Jesus Christus, von dem Petrus spricht (1P 5,4). Das Pallium ist Ausdruck unserer apostolischen Sendung. Es ist Ausdruck unserer Gemeinschaft, die im Petrusdienst ihre sichtbare Garantie hat. Mit der Einheit ebenso wie mit der Apostolizität ist der Petrusdienst verbunden, der die Kirche aller Teile der Erde und aller Zeiten sichtbar vereint und auf diese Weise jeden von uns vor dem Abgleiten in falsche Autonomien bewahrt, die sich allzu leicht in interne Partikularismen der Kirche verwandeln und so deren innere Unabhängigkeit beeinträchtigen können. Dabei wollen wir nicht vergessen, daß der Sinn aller Funktionen und Dienste im Grunde der ist, daß »wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen [sollen], damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellen «, damit der Leib Christi wächst und »in Liebe aufgebaut wird« (Ep 4,13 Ep 4,16).

Aus dieser Sicht begrüße ich von Herzen und mit Dankbarkeit die Delegation der orthodoxen Kirche von Konstantinopel. Sie wurde vom Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. entsandt, an den ich einen herzlichen Gruß richte. Angeführt von Metropolit Ioannis ist die Delegation zu unserem Patronatsfest gekommen und nimmt an unserem Gottesdienst teil. Auch wenn wir in der Frage der Interpretation und Bedeutung des Petrusamtes noch unterschiedlicher Ansicht sind, stehen wir jedoch gemeinsam in der apostolischen Sukzession, sind wir zutiefst miteinander geeint durch das Bischofsamt und das Sakrament des Priestertums und bekennen gemeinsam den Glauben der Apostel, wie er uns in der Heiligen Schrift geschenkt und in den großen Konzilien interpretiert worden ist. In der heutigen Zeit, in der die Welt voll von Skepsis und Zweifeln, aber auch voller Sehnsucht nach Gott ist, erkennen wir neu unseren gemeinsamen Auftrag, miteinander Christus, den Herrn, zu bezeugen und auf der Grundlage jener Einheit, die uns schon geschenkt ist, der Welt zu helfen, daß sie glaubt. Bitten wir den Herrn mit ganzem Herzen, daß er uns zur vollen Einheit führe, so daß der Glanz der Wahrheit, die allein die Einheit schaffen kann, erneut in der Welt sichtbar werde.

Das Evangelium des heutigen Tages spricht vom Bekenntnis des hl. Petrus, von dem die Kirche ihren Anfang genommen hat: »Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes« (Mt 16,16). Nachdem wir heute von der einen, katholischen und apostolischen Kirche, aber noch nicht von der heiligen Kirche gesprochen haben, wollen wir jetzt an ein anderes Bekenntnis des Petrus erinnern, das er im Namen der Zwölf in der Stunde der großen Verlassenheit gesprochen hat: »Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes« (Jn 6,69). Was bedeutet das? Jesus sagt im Hohepriesterlichen Gebet, daß er sich für die Jünger heilige, und spielt damit auf das Opfer seines Todes an (Jn 17,19). Damit drückt Jesus implizit seine Rolle als wahrer Hoherpriester aus, der das Mysterium des »Versöhnungstages« nicht mehr nur in den stellvertretenden Riten, sondern in der Konkretheit seines Leibes und Blutes vollzieht. Der Ausdruck »der Heilige Gottes« im Alten Testament weist auf Aaron als Hohenpriester hin, der die Aufgabe hatte, die Heiligung Israels zu vollbringen (Ps 106,16 vgl. Sir Si 45,6). Das Bekenntnis des Petrus zu Christus, den er den Heiligen Gottes nennt, erfolgt im Zusammenhang mit der eucharistischen Rede, in der Jesus den großen Tag der Versöhnung durch seine Selbsthingabe im Opfer ankündigt: »Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, (ich gebe es hin) für das Leben der Welt« (Jn 6,51). Im Hintergrund dieses Bekenntnisses steht also das priesterliche Geheimnis Jesu, sein Opfer für uns alle. Die Kirche ist nicht von sich aus heilig; sie besteht in der Tat aus Sündern – das wissen wir, und das sehen wir alle. Sie wird vielmehr immer aufs neue vom Heiligen Gottes, von der reinigenden Liebe Christi geheiligt. Gott hat nicht nur gesprochen: Er hat uns sehr realistisch geliebt, geliebt bis hin zum Tod des eigenen Sohnes. Von daher zeigt sich uns die ganze Größe der Offenbarung, die alle Wunden gleichsam in das Herz Gottes eingeschrieben hat. Nun kann jeder von uns persönlich mit dem hl. Paulus sagen: »Ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat« (Ga 2,20). Bitten wir den Herrn, daß sich die Wahrheit dieses Wortes mit ihrer Freude und ihrer Verantwortung tief in unser Herz einprägt; bitten wir, daß sie, ausstrahlend von der Eucharistiefeier, immer mehr zu der Kraft wird, die unser Leben gestaltet.
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HL. MESSE AM HOCHFEST DER AUFNAHME MARIENS IN DEN HIMMEL

PREDIGT VON BENEDIKT XVI. Pfarrkirche von Castelgandolfo

Montag, 15. August 2005




Liebe Mitbrüder im Bischofsund im Priesteramt, liebe Brüder und Schwestern!

Zunächst richte ich einen herzlichen Gruß an euch alle. Es ist mir eine große Freude, am Tag der Aufnahme Marias in den Himmel die heilige Messe in dieser schönen Pfarrkirche zu feiern. Ich begrüße Kardinal Sodano und den Bischof von Albano, alle Priester, den Bürgermeister und euch alle. Danke für eure Anwesenheit. Das Hochfest der Aufnahme Marias in den Himmel ist ein Tag der Freude. Gott hat gesiegt. Die Liebe hat gesiegt. Das Leben hat gesiegt. Es hat sich gezeigt, daß die Liebe stärker ist als der Tod. Gott gehört die wahre Macht, und seine Macht ist Güte und Liebe.

Maria wurde mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen: Auch für den Leib ist in Gott Raum. Der Himmel ist für uns nicht mehr eine weit entfernte und unbekannte Sphäre. Wir haben eine Mutter im Himmel. Es ist die Mutter Gottes, die Mutter des Sohnes Gottes, sie ist unsere Mutter. Er selbst hat es gesagt. Er hat sie zu unserer Mutter gemacht, als er zu seinem Jünger und uns allen gesagt hat: »Siehe, deine Mutter!« Der Himmel steht offen, der Himmel hat ein Herz.

Im Evangelium haben wir das Magnificat gehört, diese großartige Dichtung, die aus dem Munde, ja aus dem Herzen Marias kam und vom Heiligen Geist inspiriert war. In diesem wundervollen Lied spiegelt sich die ganze Seele Marias wider, ihre ganze Persönlichkeit. Wir können sagen, daß dieser Gesang ein Porträt, eine wahre Ikone Marias ist, in der wir sie so sehen können, wie sie ist. Ich möchte nur zwei Aspekte dieses großartigen Gesangs hervorheben. Er beginnt mit dem Wort »Magnificat«: Meine Seele »macht den Herrn groß«, das heißt sie »preist die Größe des Herrn«. Maria möchte, daß der Herr in der Welt, in ihrem Leben groß ist, daß er unter uns allen gegenwärtig ist. Sie hat keine Angst, daß der Herr ein »Konkurrent« in unserem Leben sein könnte, daß er uns durch seine Größe etwas von unserer Freiheit, unserem Lebensraum nehmen könnte. Sie weiß, daß wenn Gott groß ist, auch wir groß sind. Unser Leben wird nicht unterdrückt, sondern es wird erhöht und weitet sich: gerade dann wird es groß im Glanz Gottes.

Die Tatsache, daß unsere Stammeltern das Gegenteil dachten, war der Kern der Erbsünde. Sie fürchteten, daß wenn Gott zu groß wäre, er ihnen etwas von ihrem Leben nehmen würde. Sie dachten, sie müßten Gott zurücksetzen, um Freiraum für sich selbst zu haben. Das war auch die große Versuchung der Moderne, der letzten drei bis vier Jahrhunderte. Immer häufiger hat man gedacht und auch gesagt: »Aber dieser Gott läßt uns nicht unsere Freiheit, mit all seinen Geboten engt er unseren Lebensraum ein. Gott muß also verschwinden; wir wollen autonom sein, unabhängig. Ohne diesen Gott werden wir selbst Götter sein und das tun, was wir wollen.« Dies waren auch die Gedanken des verlorenen Sohnes, der nicht verstanden hat, daß er gerade dadurch, daß er im Haus des Vaters war, »frei« war. Er ging weit weg in fremde Länder und verschleuderte sein Vermögen. Letztendlich sah er ein, daß er – gerade weil er sich vom Vater entfernt hatte – anstatt frei zu werden, ein Sklave geworden war. Er erkannte, daß er nur durch die Rückkehr in das Haus des Vaters wirklich frei sein würde, in der ganzen Schönheit des Lebens. So ist es auch in der Moderne. Zuerst dachten und glaubten wir, wir würden, wenn wir Gott beiseite ließen und autonom würden und nur unseren Ideen, unserem Willen folgten, wirklich frei, weil wir alles tun könnten, was wir wollten, ohne daß uns irgend jemand irgendwelche Befehle geben könne. Aber wo Gott verschwindet, wird der Mensch nicht größer. Im Gegenteil: Er verliert seine göttliche Würde, er verliert den göttlichen Glanz auf seinem Angesicht. Schließlich erweist er sich nur als das Produkt einer blinden Evolution und als solches kann er gebraucht und mißbraucht werden. Gerade das hat die Erfahrung dieser unserer Zeit bestätigt.

Nur wenn Gott groß ist, ist auch der Mensch groß. Mit Maria sollen wir beginnen zu verstehen, daß dies so ist. Wir dürfen uns nicht von Gott entfernen, sondern wir müssen Gott gegenwärtig werden lassen. Wir sollen Ihn in unserem Leben groß sein lassen, dann werden auch wir göttlich werden, und all der Glanz der göttlichen Würde wird dann auch uns zuteil. Es ist wichtig, daß Gott unter uns groß ist, im öffentlichen und privaten Leben. Im öffentlichen Leben ist es wichtig, daß Gott zum Beispiel durch das Zeichen des Kreuzes in den öffentlichen Gebäuden gegenwärtig ist und daß er in unserem gemeinschaftlichen Leben gegenwärtig ist, denn nur wenn Gott gegenwärtig ist, haben wir eine Orientierung, einen gemeinsamen Weg. Andernfalls werden die Gegensätze unversöhnlich, weil die Anerkennung einer gemeinsamen Würde fehlt. Lassen wir Gott groß sein im öffentlichen und privaten Leben. Das bedeutet auch, daß wir Gott jeden Tag im persönlichen Leben Raum geben, angefangen beim morgendlichen Gebet, und daß wir Gott Zeit geben, indem wir den Sonntag Gott schenken. Wir verlieren unsere freie Zeit nicht, wenn wir sie Gott schenken. Wenn Gott in unsere Zeit eintritt, wird die ganze Zeit größer, weiter, reicher.

Eine zweite Bemerkung. Dieses Gedicht Marias – das Magnificat – ist vollkommen neuartig; dennoch ist es zugleich ein »Gewebe«, das ganz aus »Fäden« des Alten Testaments besteht, aus dem Wort Gottes. Und so sehen wir, daß Maria sozusagen im Wort Gottes »zu Hause« war, vom Wort Gottes lebte und vom Wort Gottes durchdrungen war. In dem Maß, in dem sie mit den Worten Gottes sprach, mit ihnen dachte, waren ihre Gedanken die Gedanken Gottes, waren ihre Worte die Worte Gottes. Sie war vom göttlichen Licht durchdrungen und deshalb war sie so leuchtend, so gütig, so strahlend vor Liebe und Güte. Maria lebt vom Wort Gottes, sie ist vom Wort Gottes durchdrungen. Und dieses Eingetaucht- Sein in das Wort Gottes, diese vollständige Vertrautheit mit ihm schenkt ihr auch das innere Licht der Weisheit. Wer mit Gott denkt, denkt gut, und wer mit Gott spricht, spricht gut. Er hat Urteilskriterien, die für alle Dinge dieser Welt gelten. Er wird klug, weise und gleichzeitig gut; er wird auch stark und mutig mit der Kraft Gottes, die dem Bösen widersteht und das Gute in der Welt fördert.

Und so spricht Maria mit uns, sie spricht zu uns und lädt uns ein, das Wort Gottes kennenzulernen, das Wort Gottes zu lieben, mit dem Wort Gottes zu leben, mit dem Wort Gottes zu denken. Dies können wir auf ganz verschiedene Weise tun: indem wir die Heilige Schrift lesen, und vor allem indem wir an der Liturgie teilnehmen, in der die heilige Kirche im Lauf des Jahres vor uns das Buch der Heiligen Schrift öffnet. Sie öffnet es für unser Leben und läßt es in unserem Leben gegenwärtig werden. Aber ich denke auch an das Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche, das wir vor kurzem veröffentlicht haben und in dem das Wort Gottes auf unser Leben angewendet, die Wirklichkeit unseres Lebens interpretiert wird. Es hilft uns, in den großen »Tempel« des Wortes Gottes einzutreten, es lieben zu lernen und wie Maria von diesem Wort durchdrungen zu werden. So wird das Leben voller Licht und wir haben ein Kriterium, auf dessen Grundlage wir Urteile fällen können; wir empfangen Güte und Stärke zugleich.

Maria wurde mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen, und mit Gott und in Gott ist sie die Königin des Himmels und der Erde. Ist sie etwa dadurch weit von uns entfernt? Das Gegenteil ist wahr. Denn gerade weil sie mit Gott und in Gott ist, ist sie jedem von uns ganz nahe. Als sie auf der Erde war, konnte sie nur wenigen Menschen nahe sein. Weil sie in Gott ist, der uns nahe ist, der vielmehr uns allen »innerlich« ist, hat Maria Anteil an dieser Nähe Gottes. Weil sie in Gott und mit Gott ist, ist sie jedem von uns nahe, sie kennt unser Herz, sie kann unsere Gebete hören, sie kann uns mit ihrer mütterlichen Güte helfen und sie ist uns – wie der Herr gesagt hat – als »Mutter« gegeben, an die wir uns in jedem Augenblick wenden können. Sie hört uns immer, sie ist uns immer nahe, und weil sie die Mutter des Sohnes ist, hat sie Anteil an der Macht des Sohnes, an seiner Güte. Wir können immer unser ganzes Leben dieser Mutter anvertrauen, die niemandem von uns fern ist.

Danken wir dem Herrn an diesem Festtag für das Geschenk seiner Mutter, und bitten wir Maria, daß sie uns hilft, jeden Tag den rechten Weg zu finden. Amen

APOSTOLISCHE REISE NACH KÖLN

ANLÄSSLICH DES XX. WELTJUGENDTAGES

HL. MESSE AUF DER EBENE VON MARIENFELD

PREDIGT VON BENEDIKT XVI. Köln, Marienfeld

Sonntag, 21. August 2005




Am Beginn der Eucharistiefeier sagte Papst Benedikt XVI. nach der Grußadresse, die der Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, an ihn gerichtet hatte, die folgenden improvisierten Worte:

Lieber Herr Kardinal Meisner,
liebe junge Freunde!

Ich möchte Dir, lieber Mitbruder im Bischofsamt, ganz herzlich danken für diese bewegenden Worte, die uns so richtig in diesen Gottesdienst hineinführen. Ich wäre ja gerne mit dem Papamobil kreuz und quer durch das ganze Gelände gefahren, um möglichst jedem einzelnen nahe zu sein. Wegen der Schwierigkeit der Wege ging das nicht, aber ich grüße jeden einzelnen von ganzem Herzen. Der Herr sieht jeden einzelnen und liebt ihn, und wir alle sind miteinander lebendige Kirche und danken dem Herrn für diese Stunde, wo er uns das Geheimnis seiner Gegenwart und die Kommunion mit ihm selber schenkt.

Wir wissen alle, daß wir unvollkommen sind, daß wir eigentlich keine geeignete Wohnstätte für ihn sein können. Deswegen beginnen wir die heilige Messe damit, daß wir uns besinnen und daß wir ihn bitten, daß er von uns nimmt, was uns von Ihm und was uns voneinander trennt und uns so schenkt, die heiligen Geheimnisse recht zu begehen.



Liebe Jugendliche!

Vor der heiligen Hostie, in der Jesus sich für uns zum Brot gemacht hat, das unser Leben von innen her trägt und nährt, haben wir gestern abend den inneren Weg der Anbetung begonnen. In der Eucharistie soll Anbetung Vereinigung werden. Mit der Eucharistiefeier stehen wir in der »Stunde« Jesu, von der das Johannes-Evangelium spricht. Durch die Eucharistie wird diese seine »Stunde« unsere Stunde, Gegenwart unter uns. Mit den Jüngern feierte er das Paschamahl Israels, das Gedächtnis der befreienden Tat Gottes, die Israel aus der Knechtschaft ins Freie führte. Jesus folgt den Riten Israels. Er spricht das Preis- und Segensgebet über das Brot. Aber nun geschieht Neues. Er dankt Gott nicht nur für die großen Taten der Vergangenheit, er dankt ihm für seine Erhöhung, die im Kreuz und in der Auferstehung geschieht. Dabei spricht er auch zu den Jüngern mit Worten, die die Summe von Gesetz und Propheten in sich tragen: »Dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut.« Und so teilt er Brot und Kelch aus und trägt ihnen zugleich auf, das, was er jetzt sagt und tut, immer neu zu sagen und zu tun zu seinem Gedächtnis.

Was geschieht da? Wie kann Jesus seinen Leib austeilen und sein Blut? Indem er Brot zu seinem Leib und Wein zu seinem Blut macht und austeilt, nimmt er seinen Tod vorweg, nimmt er ihn von innen her an und verwandelt ihn in eine Tat der Liebe. Was von außen her brutale Gewalt ist – die Kreuzigung –, wird von innen her ein Akt der Liebe, die sich selber schenkt, ganz und gar. Dies ist die eigentliche Wandlung, die im Abendmahlssaal geschah und die dazu bestimmt war, einen Prozeß der Verwandlungen in Gang zu bringen, dessen letztes Ziel die Verwandlung der Welt dahin ist, daß Gott alles in allem sei (vgl. 1Co 15,28). Alle Menschen warten immer schon irgendwie in ihrem Herzen auf eine Veränderung und Verwandlung der Welt. Dies nun ist der zentrale Verwandlungsakt, der allein wirklich die Welt erneuern kann: Gewalt wird in Liebe umgewandelt und so Tod in Leben. Weil er den Tod in Liebe umformt, darum ist der Tod als solcher schon von innen her überwunden und Auferstehung schon in ihm da. Der Tod ist gleichsam von innen verwundet und kann nicht mehr das letzte Wort sein. Das ist sozusagen die Kernspaltung im Innersten des Seins – der Sieg der Liebe über den Haß, der Sieg der Liebe über den Tod. Nur von dieser innersten Explosion des Guten her, die das Böse überwindet, kann dann die Kette der Verwandlungen ausgehen, die allmählich die Welt umformt. Alle anderen Veränderungen bleiben oberflächlich und retten nicht. Darum sprechen wir von Erlösung: Das zuinnerst Notwendige ist geschehen, und wir können in diesen Vorgang hineintreten. Jesus kann seinen Leib austeilen, weil er wirklich sich selber gibt. [Der Papst fuhr fort in Englisch:]

Diese erste grundlegende Verwandlung von Gewalt in Liebe, von Tod in Leben zieht dann die weiteren Verwandlungen nach sich. Brot und Wein werden sein Leib und sein Blut. Aber an dieser Stelle darf die Verwandlung nicht Halt machen, hier muß sie erst vollends beginnen. Leib und Blut Jesu Christi werden uns gegeben, damit wir verwandelt werden. Wir selber sollen Leib Christi werden, blutsverwandt mit ihm. Wir essen alle das eine Brot. Das aber heißt: Wir werden untereinander eins gemacht. Anbetung wird, so sagten wir, Vereinigung. Gott ist nicht mehr bloß uns gegenüber der ganz Andere. Er ist in uns selbst und wir in ihm. Seine Dynamik durchdringt uns und will von uns auf die anderen und auf die Welt im ganzen übergreifen, daß seine Liebe wirklich das beherrschende Maß der Welt werde. Ich finde diesen neuen Schritt, den das Abendmahl uns geschenkt hat, sehr schön angedeutet im Unterschied zwischen dem griechischen und dem lateinischen Wort für Anbetung. Das griechische Wort heißt »proskynesis«. Es bedeutet den Gestus der Unterwerfung, die Anerkennung Gottes als unseren wahren Maßstab, dessen Weisung wir folgen. Es bedeutet, daß Freiheit nicht bedeutet, sich auszuleben und für autonom zu halten, sondern sich nach dem Maß der Wahrheit und des Guten zu richten und so selbst wahr und gut zu werden. Dieser Gestus ist notwendig, auch wenn unser Freiheitsstreben ihm zunächst entgegensteht. Aber uns zueignen können wir ihn erst ganz in der zweiten Stufe, die sich im Abendmahl eröffnet. Das lateinische Wort für Anbetung heißt »ad-oratio« – Berührung von Mund zu Mund, Kuß, Umarmung und so im tiefsten Liebe. Aus Unterwerfung wird Einung, weil der, dem wir uns unterwerfen, die Liebe ist. So wird Unterwerfung sinnvoll, weil sie uns nicht Fremdes auferlegt, sondern uns freimacht zum Innersten unserer selbst. […in Französisch:]

Kehren wir noch einmal zum Letzten Abendmahl zurück. Das Neue, das da geschah, lag in der neuen Tiefe des alten Segensgebetes Israels, das nun zum Wort der Verwandlung wird und uns die Teilhabe an der »Stunde« Christi schenkt. Nicht das Paschamahl zu wiederholen, hat Jesus uns aufgetragen; es ist ja auch ein Jahresfest, das man nicht beliebig wiederholen kann. Er hat uns aufgetragen, in »seine Stunde« einzutreten. In sie treten wir ein durch das Wort der heiligen Macht der Verwandlung, die durch das Preisgebet geschieht, das uns in die Kontinuität mit Israel und der ganzen Heilsgeschichte Gottes stellt und uns zugleich das Neue schenkt, auf das dieses Gebet von innen her wartete. Dieses Gebet – die Kirche nennt es Hochgebet – konstituiert Eucharistie. Es ist Wort der Macht, das die Gaben der Erde auf ganz neue Weise in die Selbstgabe Gottes verwandelt und uns in diesen Prozeß der Verwandlung hineinzieht. Deswegen nennen wir dieses Geschehen Eucharistie, was die Übersetzung des hebräischen Wortes »beracha« ist – Dank, Preisung, Segen und so vom Herrn her Verwandlung: Gegenwart seiner »Stunde«. Die »Stunde« Jesu ist die Stunde, in der die Liebe siegt. Das heißt: Gott hat gesiegt, denn er ist die Liebe. Die »Stunde« Jesu will unsere Stunde werden und wird es, wenn wir uns durch die Feier der heiligen Eucharistie in den Prozeß der Verwandlungen hineinziehen lassen, um die es dem Herrn geht. Eucharistie muß Mitte unseres Lebens werden. Es ist nicht Positivismus oder Machtwille, wenn die Kirche uns sagt, daß zum Sonntag die Eucharistie gehört. Am Ostermorgen haben zuerst die Frauen, dann die Jünger den Auferstandenen sehen dürfen. So wußten sie von da an, daß nun der erste Wochentag, der Sonntag, sein Tag ist, der Tag Christi. Der Tag des Schöpfungsbeginns wird zum Tag der Erneuerung der Schöpfung. Schöpfung und Erlösung gehören zusammen. Deswegen ist der Sonntag so wichtig. Es ist schön, daß in vielen Kulturen heute der Sonntag ein freier Tag ist oder gar mit dem Samstag ein sogenanntes freies Wochenende bildet. Aber diese freie Zeit bleibt leer, wenn Gott nicht darin vorkommt. Liebe Freunde! Manchmal ist es vielleicht im ersten Augenblick unbequem, am Sonntag auch die heilige Messe einzuplanen. Aber Ihr werdet sehen, daß gerade das der Freizeit erst die rechte Mitte gibt. Laßt Euch nicht abbringen von der sonntäglichen Eucharistie, und helft auch den anderen, daß sie sie entdecken. Damit von ihr die Freude kommt, die wir brauchen, müssen wir sie natürlich auch immer mehr von innen verstehen und lieben lernen. Mühen wir uns darum – es lohnt sich. Entdecken wir den inneren Reichtum des Gottesdienstes der Kirche und seine wahre Größe: daß da nicht wir selber uns allein ein Fest machen, sondern daß der lebendige Gott selbst uns ein Fest gibt. Mit der Liebe zur Eucharistie werdet Ihr auch das Sakrament der Versöhnung neu entdecken, in der Gottes verzeihende Güte immer wieder einen Neubeginn in unserem Leben möglich macht. [… in Italienisch:]

Wer Christus entdeckt hat, muß andere zu ihm führen. Eine große Freude kann man nicht für sich selbst behalten. Man muß sie weitergeben. Heute gibt es in großen Teilen der Welt eine merkwürdige Gottvergessenheit. Es scheint auch ohne ihn zu gehen. Aber zugleich gibt es auch ein Gefühl der Frustration, der Unzufriedenheit an allem und mit allem: Das kann doch nicht das Leben sein! In der Tat nicht. Und so gibt es zugleich mit der Gottvergessenheit auch so etwas wie einen Boom des Religiösen. Ich will nicht alles schlecht machen, was da vorkommt. Es kann auch ehrliche Freude des Gefundenhabens dabei sein. Aber – um die Wahrheit zu sagen – weithin wird doch Religion geradezu zum Marktprodukt. Man sucht sich heraus, was einem gefällt, und manche wissen, Gewinn daraus zu ziehen. Aber die selbstgesuchte Religion hilft uns im letzten nicht weiter. Sie ist bequem, aber in der Stunde der Krise läßt sie uns allein. Helft den Menschen, den wirklichen Stern zu entdecken, der uns den Weg zeigt: Jesus Christus. Versuchen wir selber, ihn immer besser kennenzulernen, damit wir überzeugend auch andere zu ihm führen können. Deswegen ist die Liebe zur Heiligen Schrift so wichtig, und deswegen ist es wichtig, den Glauben der Kirche zu kennen, in dem uns die Schrift aufgeschlüsselt wird: Es ist der Heilige Geist, der die Kirche in ihrem wachsenden Glauben immer weiter in die Tiefe der Wahrheit eingeführt hat und einführt (vgl. Joh Jn 16,13). Papst Johannes Paul II. hat uns ein wunderbares Werk geschenkt, in dem der Glaube der Jahrhunderte zusammenfassend dargelegt ist: den Katechismus der Katholischen Kirche.Ich selber konnte vor kurzem das Kompendium dieses Katechismus der Öffentlichkeit vorstellen, das auch auf Wunsch des heimgegangenen Papstes erstellt wurde. Es sind zwei Grundbücher, die ich Euch allen ans Herz legen möchte. [… in Spanisch:]

Natürlich reichen Bücher allein nicht aus. Bildet Gemeinschaften aus dem Glauben heraus. In den letzten Jahrzehnten sind Bewegungen und Gemeinschaften entstanden, in denen die Kraft des Evangeliums sich lebendig zu Worte meldet. Sucht Gemeinschaft im Glauben, Weggefährten, die gemeinsam die große Pilgerstraße weitergehen, die uns die Weisen aus dem Orient zuerst gezeigt haben. Das Spontane der neuen Gemeinschaften ist wichtig; aber wichtig ist auch, dabei die Gemeinschaft mit dem Papst und den Bischöfen zu halten, die uns garantieren, daß wir nicht Privatwege suchen, sondern wirklich in der großen Familie Gottes leben, die der Herr mit den zwölf Aposteln begründet hat. […in Deutsch:]

Noch einmal muß ich zur Eucharistie zurückkommen. »Weil wir ein Brot sind, sind wir viele auch ein Leib«, sagt der heilige Paulus (1Co 10,17). Er will damit sagen: Weil wir den gleichen Herrn empfangen und er uns aufnimmt, in sich hineinzieht, sind wir auch untereinander eins. Aber das muß sich im Leben zeigen. Es muß sich zeigen in der Fähigkeit des Vergebens. Es muß sich zeigen in der Sensibilität für die Nöte des anderen. Es muß sich zeigen in der Bereitschaft zu teilen. Es muß sich zeigen im Einsatz für den Nächsten, den nahen wie den äußerlich fernen, der uns angeht.

Heute gibt es Formen des Volontariats, Gestalten des gegenseitigen Dienens, die gerade unsere Gesellschaft dringend braucht. Wir dürfen zum Beispiel die alten Menschen nicht ihrer Einsamkeit überlassen, an den Leidenden nicht vorbeigehen. Wenn wir von Christus her denken und leben, dann gehen uns die Augen auf, und dann leben wir nicht mehr für uns selber dahin, sondern dann sehen wir, wo und wie wir gebraucht werden.

Wenn wir so leben und handeln, merken wir alsbald, daß es viel schöner ist, gebraucht zu werden und für die anderen da zu sein, als nur nach den Bequemlichkeiten zu fragen, die uns angeboten werden. Ich weiß, daß Ihr als junge Menschen das Große wollt, daß Ihr Euch einsetzen wollt für eine bessere Welt. Zeigt es den Menschen, zeigt es der Welt, die gerade auf dieses Zeugnis der Jünger Jesu Christi wartet und zuallererst durch das Zeichen Eurer Liebe den Stern entdecken kann, dem wir folgen.

Gehen wir vorwärts mit Christus und leben wir unser Leben als wirkliche Anbeter Gottes.
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Benedikt XVI Predigten 4