Benedikt XVI Predigten 13

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HEILIGE MESSE UM MITTERNACHT

FEST DER GEBURT DES HERRN

PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI. Petersdom

Samstag, 24. Dezember 2005

„Der Herr sprach zu mir: ‚Mein Sohn bist du; heute habe ich dich gezeugt.” Mit diesen Worten aus dem Psalm 2 eröffnet die Kirche die Mitternachtsmesse zu Weihnachten, mit der wir die Geburt unseres Erlösers Jesus Christus im Stall zu Bethlehem feiern. Einst hat dieser Psalm dem Krönungsritual der Könige von Juda zugehört. Das Volk Israel wußte sich durch seine Erwählung in besonderer Weise als Gottes Sohn, als von Gott angenommen. Der König war nun die Verkörperung dieses Volkes, und seine Erhebung auf den Thron war so ein feierlicher Akt der Adoption durch Gott selber, durch den er irgendwie in das Geheimnis Gottes selbst einbezogen wurde. In der Nacht von Bethlehem haben diese Worte, die stets mehr Ausdruck einer Hoffnung als gegenwärtiger Wirklichkeit waren, einen neuen und unerwarteten Sinn angenommen. Das Kindlein in der Krippe ist wirklich Gottes Sohn. Gott ist nicht ewige Einsamkeit, sondern ein Kreis der Liebe in Hingabe und Zurückschenken: Vater, Sohn und Heiliger Geist.


Mehr noch: In Jesus Christus ist Gottes Sohn, Gott selbst ein Mensch geworden. Zu ihm sagt der Vater:„Mein Sohn bist du. ”Das ewige Heute Gottes ist in das vergängliche Heute dieser Welt herabgestiegen und zieht unser vergehendes Heute in Gottes immerwährendes Heute hinein. Gott ist so groß, daß er klein werden kann. Gott ist so mächtig, daß er sich wehrlos machen kann und als wehrloses Kindlein auf uns zugeht, damit wir ihn lieben können. Gott ist so gut, daß er auf seinen göttlichen Glanz verzichtet und in den Stall herabsteigt, damit wir ihn finden können und so seine Güte auch uns berührt, uns ansteckt, durch uns weiterwirkt. Das ist Weihnachten: „Mein Sohn bist du; heute habe ich dich gezeugt.“ Gott ist einer von uns geworden, damit wir mit ihm sein, ihm ähnlich werden können. Er hat das Kind in der Krippe zu seinem Zeichen gewählt: So ist er. So lernen wir ihn kennen. Und über jedem Kind steht etwas vom Strahl dieses Heute, von der göttlichen Nähe, die wir lieben und der wir uns beugen sollen – über jedem Kind, auch über dem ungeborenen.

Hören wir ein zweites Wort aus der Liturgie dieser Heiligen Nacht, diesmal dem Buch des Propheten Jesaja entnommen: „Über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf“ (9, 1). Das Wort Licht durchzieht die ganze Liturgie dieser heiligen Messe. Es klingt wieder an in der Lesung aus dem Brief des heiligen Paulus an Titus: „Die Gnade ist erschienen“ (2, 11). Der Ausdruck „ist erschienen“ gehört dem griechischen Sprachbereich zu und besagt dort dasselbe, was im Hebräischen „ein Licht strahlte auf“ heißt: Die „Erscheinung“ – die „Epiphanie“ – ist das Hereinleuchten von Gottes Licht in eine Welt voller Dunkel und voller ungelöster Fragen. Schließlich erzählt uns das Evangelium davon, daß den Hirten der Glanz Gottes erschien und daß er sie „umstrahlte“ (Lc 2,9). Wo Gottes Herrlichkeit erscheint, da wird es hell in der Welt. „Gott ist Licht, und keine Finsternis ist in ihm“, sagt uns der heilige Johannes (1Jn 1,5). Licht ist Quelle von Leben.

Licht bedeutet aber vor allem Erkenntnis, bedeutet Wahrheit im Gegensatz zum Dunkel der Lüge und der Unwissenheit. So läßt Licht uns leben, zeigt uns den Weg. Licht bedeutet aber dann, weil es Wärme schenkt, auch Liebe. Wo Liebe ist, geht ein Licht auf in der Welt; wo Haß ist, ist die Welt finster. Ja, im Stall von Bethlehem ist das große Licht erschienen, auf das die Welt wartet. In dem Kind, das da im Stall liegt, zeigt Gott seine Herrlichkeit – die Herrlichkeit der Liebe, die sich selbst verschenkt und die sich aller Größe begibt, um uns auf den Weg der Liebe zu führen. Das Licht von Bethlehem ist nicht mehr erloschen. In allen Jahrhunderten hat es Menschen berührt, hat es sie umstrahlt. Wo der Glaube an dieses Kind aufging, da blühte auch die Caritas auf – die Güte für die anderen, das Zugehen auf die Schwachen, auf die Leidenden; die Gnade des Verzeihens. Von Bethlehem her zieht sich eine Lichtspur, eine Spur der Liebe und der Wahrheit durch die Jahrhunderte: Wenn wir auf die Heiligen hinschauen von Paulus über Augustinus hinauf zu Franz von Assisi und Dominikus, über Franz Xaver und Teresa von Avila bis herauf zu Mutter Teresa – dann sehen wir diesen Strom der Güte, diesen Weg des Lichtes, der sich immer neu am Geheimnis von Bethlehem entzündet, an dem Gott, der ein Kind geworden ist. Der Gewalt dieser Welt hält Gott seine Güte in diesem Kind entgegen und ruft uns auf, dem Kind zu folgen.

Zusammen mit dem Christbaum haben uns unsere Freunde aus Österreich auch eine kleine Flamme mitgebracht, die sie in Bethlehem entzündet hatten, um uns zu sagen: Das eigentliche Geheimnis, um das es an Weihnachten geht, ist das innere Leuchten, das von diesem Kinde kommt. Lassen wir uns von diesem inneren Leuchten anstecken, das Flämmchen von Gottes Güte in unserem Herzen entzünden und tragen wir alle durch unsere Liebe Licht in die Welt; lassen wir dieses Licht nicht auslöschen durch die Zugluft der Zeit. Hüten wir es treulich und schenken wir es weiter. In dieser Nacht, in der wir auf Bethlehem schauen, wollen wir aber auch ganz besonders für den Geburtsort des Erlösers beten und für die Menschen, die dort leben und leiden. Wir wollen beten um Frieden im Heiligen Land: Herr, schau auf diesen Fleck Erde hin, der dir so lieb ist als deine menschliche Heimat. Laß dort dein Licht aufleuchten. Laß dort Friede werden.

Mit dem Wort Friede sind wir beim dritten Leitwort der Liturgie dieser Heiligen Nacht angelangt. Das Kind, das Jesaja voraussagt, wird von ihm Friedensfürst genannt. Von seiner Regierung wird gesagt: Der Friede wird ohne Ende sein. Den Hirten wird im Evangelium die Herrlichkeit Gottes in der Höhe angekündigt und der Friede auf Erden. Früher lasen wir: Friede den Menschen, die guten Willens sind; in der neuen Übersetzung heißt es: den Menschen seiner Gnade. Was bedeutet diese Änderung? Zählt der gute Wille nicht mehr? Oder fragen wir besser: Welche Menschen sind es, die Gottes Gnade erfahren, weil er sie liebt, und warum liebt er sie? Ist er parteilich? Liebt er nur Bestimmte und überläßt die anderen sich selber? Das Evangelium antwortet uns auf diese Frage, indem es uns Menschen zeigt, die von Gott geliebt sind. Da sind einzelne – Maria, Josef, Elisabeth, Zacharias, Simeon, Anna usw. Aber da sind auch zwei Gruppen von Menschen: die Hirten und die Weisen aus dem Morgenland. Bleiben wir in dieser Nacht bei den Hirten. Was sind das für Menschen? In ihrer Umwelt waren Hirten verachtet; sie galten als unzuverlässig und wurden als Zeugen bei Gericht nicht zugelassen. Aber was waren sie wirklich? Gewiß keine großen Heiligen, wenn man darunter Menschen mit heroischer Tugend versteht. Es waren einfache Seelen. Das Evangelium läßt einen Zug aufscheinen, der dann in den Worten Jesu eine große Rolle spielen wird: Es sind wachende Menschen. Das gilt zunächst in dem äußeren Sinn, daß sie nachts bei ihren Schafen wachten. Aber es gilt in einem tieferen Sinn: Sie sind ansprechbar für Gott. Ihr Leben ist nicht in sich selbst geschlossen; ihr Herz steht offen. Irgendwie im tiefsten warten sie auf ihn. Ihre Wachheit ist Bereitschaft – Bereitschaft zum Hören, Bereitschaft zum Aufbrechen; sie ist Warten auf das Licht, das uns den Weg zeigt. Darum geht es. Gott liebt alle, denn alle sind seine Geschöpfe. Aber manche Menschen haben ihre Seele zugemacht; seine Liebe findet keinen Eingang bei ihnen. Sie meinen, Gott nicht zu brauchen; sie wollen ihn nicht. Andere, die vielleicht auch in moralischer Hinsicht armselig und sündig sind, leiden doch darunter. Sie warten auf Gott. Sie wissen, daß sie seine Güte brauchen, auch wenn sie keine genaue Vorstellung davon haben. In ihre wartende Offenheit kann Gottes Licht hineintreten und mit ihm sein Friede. Gott sucht Menschen, die seinen Frieden weitertragen. Bitten wir ihn, daß er unser Herz nicht verschlossen findet. Machen wir uns bereit, aktive Träger seines Friedens zu sein – gerade in dieser Zeit.

Unter den Christen hat das Wort Friede dann eine ganz besondere Bedeutung angenommen: Es wurde ein Name für die heilige Eucharistie. In ihr ist sein Friede da. Durch all die Orte, in denen Eucharistie gefeiert wird, spannt er ein Netz des Friedens über die Welt. Die eucharistischen Gemeinden sind ein weltweites Königreich des Friedens.

Wenn wir Eucharistie feiern, sind wir in Bethlehem, im „Haus des Brotes“. Christus gibt sich uns und gibt uns seinen Frieden. Er gibt ihn, damit wir das Licht des Friedens in uns tragen und es weitergeben; damit wir Friedensstifter werden und so zum Frieden in der Welt beitragen. So bitten wir ihn: Herr, mache deine Verheißung wahr. Laß Frieden werden, wo Unfrieden ist. Laß Liebe aufstehen, wo Haß ist. Laß Licht werden, wo Dunkel ist. Mache uns zu Trägern deines Friedens. Amen.
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JAHRESSCHLUSSGOTTESDIENST IM PETERSDOM MIT TE DEUM

PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI. Samstag, 31. Dezember 2005

Liebe Brüder und Schwestern!


Am Ende eines Jahres, das für die Kirche und die Welt außergewöhnlich ereignisreich gewesen ist, haben wir uns an diesem Abend versammelt, um eingedenk der Weisung des Apostels Paulus: »Lebt … und haltet an dem Glauben fest …Hört nicht auf zu danken!« (Kol 2,6–7) gemeinsam Gott, dem Herrn der Zeit und der Geschichte, einen Dankeshymnus zu singen. Meine Gedanken gehen mit tiefer geistiger Ergriffenheit zurück zu dem Abend vor zwölf Monaten, als der geliebte Papst Johannes Paul II., wie wir heute, zum letzten Mal im Namen des Gottesvolkes dem Herrn für die zahlreichen, der Kirche und der Menschheit gewährten Wohltaten dankte. In demselben eindrucksvollen Rahmen der Vatikanischen Basilika fällt es nun mir zu, den Lobpreis und das Danklied, die am Ende des Jahres 2005 und am Vorabend des Jahres 2006 aus allen Teilen der Erde zu Gott aufsteigen, gedanklich aufzunehmen. Ja, es ist außer einem Bedürfnis des Herzens auch unsere Pflicht, Ihn zu loben und Ihm zu danken, dem Ewigen, der uns in der Zeit begleitet, ohne uns je zu verlassen, und der stets mit treuer und barmherziger Liebe über die Menschheit wacht.

Wir können wohl sagen, daß die Kirche lebt, um Gott zu loben und Ihm zu danken. Sie selbst ist eine »Danksagung«, durch alle Jahrhunderte hindurch die treue Zeugin einer Liebe, die nie vergeht, einer Liebe, die die Menschen aller Hautfarben und Kulturen einschließt und in fruchtbringender Weise Grundsätze des wahren Lebens unter ihnen verbreitet. Wie das Zweite Vatikanische Konzil in Erinnerung ruft, »betet und arbeitet die Kirche zugleich, daß die Fülle der ganzen Welt in das Volk Gottes eingehe, in den Leib des Herrn und den Tempel des Heiligen Geistes, und daß in Christus, dem Haupte aller, jegliche Ehre und Herrlichkeit dem Schöpfer und Vater des Alls gegeben werde« (Lumen gentium LG 17). Getragen vom Heiligen Geist, schreitet sie »zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg dahin« (Augustinus, De Civitate Dei, XVIII, 51,2) und erhält ihre Kraft aus der Hilfe des Herrn. Auf diese Weise besiegt sie »ihre Trübsale und Mühen, innere gleichermaßen wie äußere, durch Geduld und Liebe« und enthüllt das Mysterium des Herrn »wenn auch schattenhaft, so doch getreu in der Welt…, bis es am Ende im vollen Lichte offenbar werden wird« (Lumen gentium LG 8). Die Kirche lebt aus Christus und mit Christus. Er schenkt ihr seine bräutliche Liebe und führt sie durch die Jahrhunderte; und sie begleitet mit der Fülle ihrer Gaben den Weg des Menschen, damit diejenigen, die Christus annehmen, das Leben haben und es in Fülle haben.

Heute abend mache ich mich vor allem zur Stimme der Kirche von Rom, um den gemeinsamen Lobpreis und das gemeinsame Danklied zum Himmel zu erheben. Sie, unsere Kirche von Rom, wurde in den vergangenen zwölf Monaten von vielen anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften besucht, um den Dialog der Wahrheit in der Liebe, die alle Getauften vereint, zu vertiefen und um gemeinsam den Wunsch nach voller Gemeinschaft intensiver zu verspüren. Aber auch viele Gläubige anderer Religionen wollten dieser Kirche und ihrem Bischof ihre herzliche und brüderliche Wertschätzung bekunden, im Bewußtsein der Tatsache, daß die Begegnung in Frieden und gegenseitiger Achtung die Seele des einträchtigen Handelns zum Nutzen der gesamten Menschheit ist. Und was ist über die vielen Menschen guten Willens zu sagen, die ihren Blick dem Apostolischen Stuhl zugewandt haben, um einen fruchtbaren Dialog zu führen über die großen Werte, die die Wahrheit über den Menschen und das Leben betreffen und die verteidigt und gefördert werden müssen? Die Kirche will immer Aufnahme schenken, in der Wahrheit und in der Liebe.

Was den Weg der Diözese Rom betrifft, so möchte ich mich kurz ihren Pastoralplänen widmen, die sich in diesem Jahr auf die Familie konzentrieren und unter dem Thema »Familie und christliche Gemeinschaft: Bildung der Person und Weitergabe des Glaubens« stehen. Die Familie befand sich immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit meiner verehrten Vorgänger, besonders Johannes Pauls II., der ihr zahlreiche Beiträge gewidmet hat. Er war der Überzeugung, und er hat dies bei mehreren Gelegenheiten nachdrücklich bekräftigt, daß die Krise der Familie unserer Zivilisation großen Schaden zufügt. Auch ich habe dazu beitragen wollen, die Bedeutung der Familie auf der Grundlage der Ehe im kirchlichen und gesellschaftlichen Leben zu unterstreichen, und habe deshalb am Abend des vergangenen 6. Juni auf der Diözesankonferenz in der Lateranbasilika das Wort ergriffen. Ich freue mich, daß die Pastoralpläne der Diözese durch die weitreichende apostolische Arbeit, die in den Pfarrgemeinden und den zu ihnen gehörenden kirchlichen Einrichtungen durchgeführt wird, gute Fortschritte machen. Möge der Herr gewähren, daß die gemeinschaftlich unternommenen Anstrengungen zu einer wirklichen Erneuerung der christlichen Familien führen. Ich nehme an dieser Stelle die Gelegenheit wahr, die kirchlichen und die zivilen Vertreter von Rom zu grüßen, die bei dieser Jahresschlußfeier anwesend sind. Ich grüße in erster Linie den Kardinalvikar, die Weihbischöfe, die Priester, die Ordensleute und die Laien, die aus verschiedenen Pfarrgemeinden zusammengekommen sind; ich grüße darüber hinaus den Bürgermeister der Stadt und die anderen Obrigkeiten. Ich schließe in diesen Gruß die ganze römische Gemeinde ein, deren Hirte zu sein der Herr mich berufen hat, und ich erneuere allen den Ausdruck meiner geistlichen Nähe.

Zu Beginn dieser Feier haben wir, vom Wort Gottes erleuchtet, zusammen im Glauben das »Te Deum« gesungen. Aus vielen Gründen ist unser Dank groß und wird zu einem gemeinsamen Gebet. Während wir an die zahlreichen Ereignisse denken, die den Lauf der Monate in diesem Jahr, das sich seinem Ende zuneigt, geprägt haben, möchte ich besonders die Menschen in Erinnerung rufen, die sich in schwierigen Lebenslagen befinden: die Ärmsten und Verlassensten, diejenigen, die die Hoffnung verloren haben, einen Sinn in ihrem Leben zu finden oder die unfreiwillige Opfer eigennütziger Interessen sind, ohne daß nach ihrer Zustimmung oder Meinung gefragt wird. Indem wir ihr Leiden zu unserem Leiden machen, vertrauen wir sie alle Gott an, der alle Dinge zum Guten wenden kann; Ihm vertrauen wir unseren Wunsch an, daß jedem Menschen seine Würde als Kind Gottes zuerkannt werde. Den Herrn des Lebens bitten wir, durch seine Gnade die vom Bösen verursachten Schmerzen zu lindern und unserem irdischen Leben auch weiterhin Kraft zu geben und uns das Brot und den Wein des Heils zu schenken, als Nahrung auf unserem Weg zum himmlischen Vaterland.

Während wir uns vom alten Jahr verabschieden und uns dem neuen zuwenden, führt uns diese Vesperliturgie hinein in das Fest Mariens, der Mutter Gottes, der Theotókos. Acht Tage nach der Geburt Jesu feiern wir sie, die, als »die Zeit erfüllt war« (Ga 4,4), von Gott zur Mutter des Erlösers erwählt wurde. Mutter ist diejenige, die das Leben schenkt, aber die auch hilft und lehrt zu leben. Maria ist Mutter, die Mutter Jesu, dem sie ihr Blut, ihren Leib gegeben hat. Und sie ist es, die uns das ewige Wort des Vaters zeigt, das gekommen ist, um unter uns zu wohnen. Bitten wir Maria um ihre Fürsprache. Ihr mütterlicher Schutz begleite uns heute und immer, damit Christus uns eines Tages in seine Herrlichkeit, in die Gemeinschaft der Heiligen aufnehme: »Aeterna fac cum sanctis tuis in gloria numerari«. Amen!

                                                                      Januar 2006

AN DIE BEDIENSTETEN DES PÄPSTLICHEN VORZIMMERS Clementina-Saal

Donnerstag, 5. Januar 2006




Liebe Freunde!

Diese Begegnung findet in der eindrucksvollen Atmosphäre der Weihnachtszeit statt, zu Beginn des Jahres 2006, und sie ist eine sehr gute Gelegenheit, jedem von euch die besten Wünsche für ein friedvolles und erfolgreiches neues Jahr zu überbringen. Ich grüße euch herzlich und freue mich, euch zu dieser Sonderaudienz zu empfangen. Ich kann sagen, daß ihr hier zu Hause seid, und ich bin euch aufrichtig dankbar für den Ehrendienst, den ihr verseht und der euch einige Opfer abverlangt, da er ständige Einsatzbereitschaft erfordert bei Audienzen, Zeremonien und offiziellen Empfängen, wenn der Papst mit Staatsoberhäuptern, Premierministern und beim Heiligen Stuhl akkreditierten Botschaftern zusammentrifft. Ich habe diese Begegnung euch vorbehalten wollen, um euch zu sagen, daß ich den Eifer und die Herzlichkeit, mit denen ihr eurer einzigartigen Tätigkeit nachkommt, zu schätzen weiß. In diesen ersten Monaten meines Pontifikats habe ich aus noch größerer Nähe und unmittelbar den Geist erfahren dürfen, der euch und alle, die im Päpstlichen Vorzimmer arbeiten, beseelt. Ich weiß auch um die Verehrung, die ihr dem Nachfolger Petri entgegenbringt, und auch dafür danke ich euch. Gott vergelte es euch. Einen besonderen Gruß möchte ich an eure lieben Ehefrauen richten, die euch heute begleiten, wie auch an diejenigen, die bei unserer Begegnung, die wir mit Recht als familiär bezeichnen können, anwesend sein wollten.

Euer verdienstvolles Kollegium, das vom Dekan geleitet wird, steht in Abhängigkeit von der Präfektur des Päpstlichen Hauses und hat eine jahrhundertealte Geschichte hinter sich. Die Zeiten wechseln, die Sitten und Gebräuche ändern sich, aber der Geist, mit dem jeder berufen ist, an der Seite dessen zu arbeiten, den die göttliche Vorsehung dazu ausersieht, die Weltkirche zu leiten, bleibt unverändert. Da dieses Haus, das Päpstliche Haus, das Haus aller Gläubigen ist, ist es auch eure Aufgabe, liebe Bedienstete des Vorzimmers, es immer einladend zu gestalten für jeden Menschen, der kommt, um den Papst zu treffen.

Liebe Freunde, euer Dienst verlangt von euch auch eifriges Bemühen, Zeugnis abzulegen vom wahren Hausherrn: Jesus Christus. Daher ist es erforderlich, immer mit ihm im Gebet zu sprechen, in Freundschaft und Vertrautheit mit ihm zu wachsen, und bereit zu sein, seine Liebe und Gastfreundschaft jedem zu bezeugen, den man trifft. Wenn ihr mit diesem Geist euren Dienst verseht – und ich bin mir sicher, daß dies für euch alle der Fall ist –, dann kann dieser zu einem einzigartigen Apostolat werden, zu einer Gelegenheit, durch Höflichkeit und Herzlichkeit die Freude, Jünger Christi zu sein, in jeder Lebenslage und in jedem Augenblick unseres Lebens weiterzugeben.

Wir werden morgen das Hochfest der Erscheinung des Herrn feiern, und meine Gedanken gehen zu Maria, die das Jesuskind den Sterndeutern darbietet, die von weit her gekommen sind, um es anzubeten. Wie sie Jesus den Sterndeutern darbot, so bietet die Jungfrau Maria ihn auch weiterhin der Menschheit dar. Nehmen wir ihn aus ihren Händen an: Christus erfüllt die tiefsten Erwartungen unseres Herzens und gibt all unserem Vorhaben und Tun Sinnerfüllung. Möge er in den Familien gegenwärtig sein und überall mit der Macht seiner Liebe herrschen. Mögt ihr durch die mütterliche Fürbitte Mariens jeden Tag immer tiefer die Gemeinschaft mit ihm erfahren, eine Gemeinschaft, die auf Erden beginnt und im Himmel zur Vollkommenheit gelangen wird, wo wir, wie der hl. Paulus in Erinnerung ruft, »Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes« (Ep 2,19) sein werden. Meinerseits möchte ich euch meines Gebetsgedenkens versichern, damit der Herr euch das ganze soeben begonnene Jahr hindurch begleite, eure Familien segne und eure Arbeit gute Früchte tragen lasse. Mit diesen Empfindungen erteile ich euch von Herzen einen besonderen Apostolischen Segen, den ich gerne auf alle euch nahestehenden Menschen ausweite.

AN DIE MITGLIEDER EINER DELEGATION DES

REFORMIERTEN WELTBUNDES DER KIRCHEN Samstag, 7. Januar 2006



Liebe Freunde!

Zu Beginn dieses neuen Jahres begrüße ich euch, die Leiter des Reformierten Weltbundes der Kirchen, anläßlich eures Besuches im Vatikan. Mit Dankbarkeit erinnere ich mich an die Anwesenheit der Delegationen des Weltbundes sowohl bei der Begräbnisfeier meines Vorgängers, Papst Johannes Paul II., als auch bei meiner eigenen Amtseinführung. In diesen Zeichen gegenseitiger Achtung und Freundschaft sehe ich mit Freude eine gottgewollte Frucht des brüderlichen Dialogs und der Zusammenarbeit während der letzten 40 Jahre sowie ein Unterpfand sicherer Hoffnung für die Zukunft.

Im vergangenen Monat haben wir den 40. Jahrestag des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils begangen, welches das Ökumenische Dekret Unitatis redintegratio promulgierte. Der kurz darauf aufgenommene Dialog zwischen Katholiken und Reformierten hat einen wichtigen Beitrag geleistet zu jener anspruchsvollen Arbeit theologischer Reflexion und historischer Untersuchung, die zur Überwindung der tragischen Spaltungen unter den Christen, die im 16. Jahrhundert aufgetreten sind, unerläßlich ist. Unter anderem verdeutlichte der Dialog die Existenz wichtiger Annäherungspunkte zwischen der reformierten Auffassung der Kirche als »creatura verbi« und der katholischen Auffassung der Kirche als Ursakrament der Gnade Gottes, die in Christus ausgegossen wird (vgl. Lumen Gentium LG 1). Es ist ein ermutigendes Zeichen, daß die derzeitige Phase des Dialogs den Reichtum dieser Zugänge und ihren einander ergänzenden Charakter weiter vertieft.

Das Dekret über den Ökumenismus betonte, daß es »keinen echten Ökumenismus ohne innere Bekehrung« geben kann (Nr. 7). Gleich zu Beginn meines Pontifikats habe ich meine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß innere Umkehr »die Voraussetzung für jedes Fortschreiten auf dem Weg der Ökumene ist« (Predigt in der Sixtinischen Kapelle, 20.4.2005; in O.R. dt., Nr. 17, 29.4.2005, S. 9), und an das Vorbild meines Vorgängers, Papst Johannes Paul II., erinnert, der oft von der Notwendigkeit einer »Reinigung des Gedächtnisses« sprach, als Mittel zur Öffnung unserer Herzen für die volle Wahrheit Christi. Vor allem anläßlich des Großen Jubiläums des Jahres 2000 gab der verstorbene Papst derartigen Bestrebungen innerhalb der katholischen Kirche starken Antrieb, und es freut mich, daß mehrere der Reformierten Kirchen, die dem Weltbund angehören, ähnliche Initiativen ergriffen haben. Gesten wie diese dienen dem Aufbau einer tieferen Beziehung, die in Wahrheit und Liebe genährt werden muß.

Liebe Freunde, ich hoffe, daß auch unser heutiges Treffen Früchte tragen wird in Form eines erneuten Einsatzes für die Einheit aller Christen. Der vor uns liegende Weg erfordert Weisheit, Demut, beharrliches Lernen und Austausch. Mögen wir uns mit neuer Zuversicht auf den Weg machen, in Treue zum Evangelium und mit fester Hoffnung auf das Gebet Christi für seine Kirche, in der Liebe des Vaters und in der Kraft des Heiligen Geistes (vgl. Unitatis redintegratio UR 24).
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AUDIENZ FÜR DIE EHRENKÄMMERER ODER "GENTILUOMINI"

Clementina-Saal im Apostolischen Palast
Samstag, 7. Januar 2006

Liebe Freunde!


Mit großer Freude empfange ich euch am heutigen Vormittag zu dieser Sonderaudienz und grüße euch sehr herzlich. Dies ist eine günstige Gelegenheit, euch besser kennenzulernen und meine Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen für den Dienst, den ihr dem Nachfolger Petri erweist. Ich sehe euch anläßlich von Zeremonien und öffentlichen Empfängen, wenn ich Staatsoberhäupter, Premierminister, Botschafter und andere Obrigkeiten treffe. Ich bin euch aufrichtig dankbar für eure Mitarbeit! Heute seid ihr nicht mit hohen politischen Persönlichkeiten gekommen, sondern mit euren Ehegattinnen wie bei einem Familientreffen. Auch sie empfange ich gern und grüße sie mit väterlicher Zuneigung.

Euer Dienst, liebe »Gentiluomini«, ist ein Ehrendienst, der sich in die jahrhundertealte Tradition des Päpstlichen Hauses einfügt. Sicher scheint heute alles in ihm weitgehend vereinfacht, aber auch wenn sich Tätigkeiten und Aufgaben im Vergleich zur Vergangenheit wandeln, so bleibt doch das Ziel derer, die dort arbeiten, dasselbe, nämlich dem Nachfolger des Apostels Petrus zu dienen. Wir treffen uns am Ende der Weihnachtszeit, in den ersten Tagen des neuen Jahres. In dieser Zeit haben wir stets auf den Erlöser geschaut, der in die Welt gekommen ist. Er ist es, der uns in der entwaffnenden Einfachheit der Heiligen Nacht den Reichtum der Gemeinschaft mit seinem eigenen göttlichen Leben gebracht hat. Er ist das Licht, das nie verlöscht, der Mittelpunkt unserer Existenz, und wie die Hirten von Betlehem und die Könige, die aus dem Morgenland gekommen sind, um ihn anzubeten, so verharren auch wir im Gebet vor der Krippe und brechen dann auf, um mit der Freude im Herzen seine Gegenwart erfahren zu haben, unserer täglichen Arbeit nachzugehen. Umfangen von diesem großen Geheimnis beginnen wir ruhig und zuversichtlich dieses neue Jahr im Zeichen der Leben schenkenden Liebe Gottes.

In diesem Sinn, liebe Freunde, möchte ich euch ein erfolgreiches Jahr 2006 wünschen. In der Kirche ist jede Aufgabe von Bedeutung, wenn es darum geht, an der Verwirklichung des Reiches Gottes mitzuwirken. Damit das Schiff des Petrus sicher fahren kann, sind viele verborgene Tätigkeiten nötig, die zusammen mit anderen, die stärker ins Auge fallen, zu einem regulären Fahrtverlauf beitragen. Es ist jedoch unerläßlich, nie das gemeinsame Ziel, die Hingabe an Christus und sein Heilswerk, aus den Augen zu verlieren. Euch und eure Familien vertraue ich Maria, der Mutter des Erlösers, an, damit sie euch in allen Augenblicken eures Lebens Begleitung und Hilfe sei. Gleichzeitig wünsche ich euch, daß ihr immer stärker die Freude der Gegenwart Christi in eurem Leben erfahren mögt. Gerne erteile ich euch allen meinen Segen und versichere euch meines besonderen Gebetsgedenkens.
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AN DAS BEIM HL. STUHL AKKREDITIERTE

DIPLOMATISCHE KORPS BEIM NEUJAHRSEMPFANG Regia-Saal

Montag, 9. Januar 2006




Exzellenzen,
meine Damen und Herren!

Mit Freude begrüße ich Sie alle zu dieser traditionellen Begegnung des Papstes mit dem beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Korps. Nach der Feier der großen christlichen Feste Weihnachten und Epiphanie lebt die Kirche noch von dieser Freude: Es ist eine große Freude, weil sie von der Gegenwart des Immanuel – Gott mit uns – herrührt, aber es ist auch eine innere Freude, weil sie im häuslichen Rahmen der Heiligen Familie gelebt wird, deren schlichte und vorbildliche Geschichte die Kirche in diesen Tagen mit innerer Anteilnahme von neuem durchläuft; zugleich ist es eine Freude, die mitgeteilt werden muß, weil echte Freude nicht isoliert werden kann, ohne nachzulassen und zu erlöschen. Daher richte ich an Sie alle, meine Damen und Herren Botschafter, an die Völker und Regierungen, die Sie würdig vertreten, an Ihre lieben Familien und an Ihre Mitarbeiter meine Wünsche christlicher Freude. Möge es die Freude der von Christus gebrachten weltweiten Brüderlichkeit sein, eine Freude, die reich an echten Werten und offen für hochherzige Anteilnahme ist. Sie möge Sie begleiten und an jedem Tag des eben begonnenen Jahres wachsen.

Ihr Doyen, meine Damen und Herren Botschafter, hat die Wünsche des Diplomatischen Korps ausgesprochen und dabei mit Feingefühl Ihre Ansichten wiedergegeben. Ihm und Ihnen gilt mein Dank. Er hat auch einige der zahlreichen schwerwiegenden Probleme erwähnt, welche die heutige Welt in Unruhe versetzen. Sie sind Gegenstand ebenso Ihrer Sorge wie der des Heiligen Stuhls und der katholischen Kirche in der ganzen Welt, die solidarisch ist mit jedem Leid, mit jeder Hoffnung und mit jeder Mühsal, die den Weg des Menschen begleitet. So fühlen wir uns gleichsam in einem gemeinsamen Auftrag verbunden, der uns immer wieder vor neue, gewaltige Herausforderungen stellt. Wir treten ihnen jedoch mit Vertrauen entgegen in dem Willen, uns gegenseitig – jeder seiner Aufgabe entsprechend – mit Blick auf die großen gemeinsamen Ziele zu unterstützen.

Ich habe von »unserem gemeinsamen Auftrag« gesprochen. Und was ist dieser Auftrag, wenn nicht der Friede? Die Kirche tut nichts anderes, als die Botschaft Christi zu verbreiten, der – wie der Apostel Paulus im Brief an die Epheser schreibt – gekommen ist, um den Frieden zu verkünden denen, die fern waren, und denen, die nah waren (vgl. 2,17). Und Sie, als herausragende diplomatische Vertreter Ihrer Völker, haben aufgrund Ihres Statuts (vgl. Wiener Konvention über die diplomatischen Beziehungen, 18. April 1961, Art. 3,1,e) unter anderem die vornehme Aufgabe, internationale freundschaftliche Beziehungen zu fördern. Und von diesen nährt sich tatsächlich der Friede.

Der Friede wird – das stellen wir voll Schmerz fest – in vielen Regionen der Welt verhindert, verletzt oder bedroht. Welches ist der Weg zum Frieden? In meiner Botschaft zum diesjährigen Weltfriedenstag meinte ich sagen zu können, »daß der Mensch, wo und wann immer er sich vom Glanz der Wahrheit erleuchten läßt, fast selbstverständlich den Weg des Friedens einschlägt« (Nr. 3). In der Wahrheit liegt der Friede.

In Anbetracht der heutigen Weltlage, wo man, parallel zu den unheilvollen Szenarien offener oder versteckter oder nur zum Schein beschwichtigter bewaffneter Konflikte, Gott sei Dank von seiten vieler Menschen und zahlreicher Institutionen eine mutiges und beharrliches Streben nach Frieden feststellen kann, möchte ich nach Art einer brüderlichen Ermunterung einige Überlegungen anbieten, die ich in einfache Schlüsselsätze kleide.

Der erste: Die Verpflichtung zur Wahrheit ist die Seele der Gerechtigkeit. Wer sich zur Wahrheit verpflichtet, muß das Recht des Stärkeren ablehnen, das von der Lüge lebt und das so oft, auf nationaler und internationaler Ebene, die Geschichte der Menschen mit Tragödien überzogen hat. Die Lüge kleidet sich oft in eine Scheinwahrheit, ist aber in Wirklichkeit immer selektiv und tendenziös und zielt in egoistischer Weise auf eine Instrumentalisierung des Menschen und letzten Endes auf seine Unterwerfung ab. Politische Systeme der Vergangenheit, aber nicht nur der Vergangenheit, sind ein bitterer Beweis dafür. Dem gegenüber stehen die Wahrheit und die Wahrhaftigkeit, die zur Begegnung mit dem anderen, zu seiner Anerkennung und zur Verständigung führen: Die Wahrheit muß sich durch den ihr eigenen Glanz – »splendor veritatis« – verbreiten; und die Liebe zum Wahren ist durch den ihr innewohnenden Dynamismus, ungeachtet aller möglichen Schwierigkeiten, ganz auf das unparteiische und rechte Verständnis und auf Austausch und Teilnahme ausgerichtet.

Ihre Erfahrung als Diplomaten bestätigt sicher, daß es gerade auch in den internationalen Beziehungen der Suche nach der Wahrheit gelingt, die Verschiedenheiten bis in ihre feinsten Nuancen und die sich daraus ergebenden Erfordernisse und eben deshalb auch die Grenzen festzustellen, die zum Schutz aller legitimen Interessen der Parteien zu respektieren sind und nicht überschritten werden dürfen. Diese Suche nach der Wahrheit läßt Sie gleichfalls mit Nachdruck das bekräftigen, was allen gemeinsam ist, was zur Natur der Menschen, jedes Volkes und jeder Kultur gehört und was gleichfalls respektiert werden muß. Wenn diese unterschiedlichen und sich ergänzenden Aspekte – die Verschiedenheit und die Gleichheit – bekannt sind und anerkannt werden, dann lassen sich die Probleme lösen und die Auseinandersetzungen können auf gerechte Weise behoben werden; tiefgehende und dauerhafte Verständigung wird möglich. Wenn hingegen einer dieser Aspekte mißverstanden oder nicht berücksichtigt wird, dann brechen sich das Unverständnis, der Konflikt, die Versuchung zu Gewalt und Machtmißbrauch ihre Bahn.

Mit einer geradezu beispielhaften Deutlichkeit lassen sich diese Überlegungen, wie mir scheint, auf den neuralgischen Punkt der Weltbühne anwenden, den das Heilige Land nach wie vor darstellt. Der Staat Israel muß dort nach den Regeln des internationalen Rechts friedlich existieren können; das palästinensische Volk muß dort ebenfalls seine demokratischen Institutionen friedlich für eine freie und gedeihliche Zukunft entwickeln können.

In größerem Umfang lassen sich solche Überlegungen auf die gegenwärtige Weltlage anwenden, wo man nicht ohne Grund von der Gefahr eines Zusammenpralls der Kulturen spricht. Verschärft wird diese Gefahr durch den organisierten Terrorismus, der sich inzwischen weltweit ausbreitet. Die Ursachen dafür sind zahlreich und komplex; nicht zuletzt gehören dazu die mit irrigen religiösen Auffassungen vermengten ideologischen und politischen Gründe. Der Terrorismus scheut sich nicht, ohne Unterscheidung unschuldige Menschen anzugreifen oder durch die Durchführung unmenschlicher Erpressungsaktionen ganze Völker in Panik zu versetzen mit dem Ziel, die politisch Verantwortlichen zur Erfüllung der Absichten der Terroristen zu zwingen. Kein Umstand kann diese kriminelle Aktivität rechtfertigen, die den, der sie ausführt, mit Schande bedeckt, und die um so tadelnswerter ist, wenn sie sich hinter dem Schutzschild einer Religion verbirgt und so die reine Wahrheit Gottes auf das Niveau ihrer eigenen Blindheit und moralischen Perversion erniedrigt.

Die Verpflichtung zur Wahrheit seitens der Diplomaten sowohl auf bilateraler wie auf multilateraler Ebene kann einen wesentlichen Beitrag leisten, denn die unleugbaren Verschiedenartigkeiten, die die Völker verschiedener Regionen der Welt und ihre Kulturen kennzeichnen, können nicht nur in einem toleranten Nebeneinander, sondern in einem höheren und reicheren Plan von Humanität zusammenfinden. Im Laufe der vergangenen Jahrhunderte haben der kulturelle Austausch zwischen Judentum und Hellenismus, zwischen römischer, germanischer und slawischer Welt, sowie auch zwischen arabischer und europäischer Welt die Kultur befruchtet und Wissenschaften und Zivilisation gefördert. So sollte es heute wieder – und in noch größerem Maße – sein, gibt es doch in der Tat sehr viel günstigere Möglichkeiten zu Austausch und gegenseitigem Verständnis. Deshalb ist heute vor allem zu wünschen, daß jegliches Hindernis für den Zugang zur Information durch die Presse und durch die modernen Kommunikationsmittel beseitigt wird und sich außerdem der Austausch zwischen Lehrern und Studenten der humanistischen Fächer an den Universitäten der verschiedenen Kulturregionen intensiviert.

Der zweite Schlüsselsatz, den ich vorlegen möchte, lautet: Die Verpflichtung zur Wahrheit gibt dem Recht auf Freiheit das Fundament und verleiht ihm Kraft. Die einzigartige Größe des Menschen hat seine letzte Wurzel darin: Der Mensch kann die Wahrheit erkennen. Und der Mensch will sie kennen. Aber die Wahrheit kann nur in der Freiheit erlangt werden. Das gilt für alle Wahrheiten, wie aus der Geschichte der Wissenschaften hervorgeht; aber es trifft in außerordentlicher Weise auf die Wahrheiten zu, in denen der Mensch als solcher auf dem Spiel steht, die Wahrheiten des Geistes: jene Wahrheiten, die das Gute und das Böse, die großen Lebensziele und -perspektiven, die Beziehung zu Gott betreffen. Denn man kann sie nicht erlangen, ohne daß sich daraus tiefgreifende Konsequenzen für die eigene Lebensführung ergeben. Und wenn man sich diese Wahrheiten einmal freiwillig zu eigen gemacht hat, brauchen sie anschließend Freiheitsräume, um in sämtlichen Dimensionen des menschlichen Lebens gelebt werden zu können.

Hier hat natürlich die Tätigkeit aller Staaten ebenso wie die zwischenstaatliche diplomatische Tätigkeit ihren Platz. In den aktuellen Entwicklungen des internationalen Rechts nimmt man mit wachsender Sensibilität wahr, daß sich keine Regierung der Aufgabe, ihren Bürgern angemessene Freiheitsverhältnisse zu garantieren, entziehen kann, ohne gerade deshalb ihre Glaubwürdigkeit als Gesprächspartner in den internationalen Fragen aufs Spiel zu setzen. Und das ist richtig: Denn im Schutz der dem Menschen als solchem zustehenden und international garantierten Rechte muß man den Raum vorrangig bewerten, der den Rechten auf Freiheit innerhalb jedes Staates sowohl im öffentlichen wie im privaten Leben, in den wirtschaftlichen wie in den politischen Beziehungen, in den kulturellen wie in den religiösen Beziehungen, zugestanden wird.

Was diesen Zusammenhang betrifft, wissen Sie, meine Damen und Herren Botschafter, gut, daß die diplomatische Tätigkeit des Heiligen Stuhls ihrer Natur nach der Förderung des Aspekts der Religionsfreiheit in den verschiedenen Bereichen gilt, wo die Freiheit umgesetzt werden muß. Leider ist in zahlreichen Ländern, auch in solchen, die sich jahrhundertealter Kulturen rühmen können, diese Freiheit keineswegs garantiert, ja sie wird sogar schwer verletzt, was besonders die Minderheiten betrifft. Hier möchte ich einfach an das erinnern, was in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte klar festgelegt ist. Die menschlichen Grundrechte sind überall auf der Welt dieselben; und unter ihnen muß dem Recht auf die Religionsfreiheit ein Platz ersten Ranges zuerkannt werden, weil es die wichtigste menschliche Beziehung, die Beziehung zu Gott, betrifft. Allen, die für das Leben der Nationen verantwortlich sind, möchte ich sagen: Wenn ihr die Wahrheit nicht fürchtet, braucht ihr die Freiheit nicht zu fürchten. Der Heilige Stuhl, der überall für die katholische Kirche Bedingungen echter Freiheit erbittet, tut dies gleichzeitig für alle.

Ich will nun zu einem dritten Schlüsselsatz kommen: Die Verpflichtung zur Wahrheit öffnet den Weg zu Vergebung und Versöhnung. Zu der unerläßlichen Verbindung zwischen der Verpflichtung zur Wahrheit und dem Frieden erhebt man einen Einwand: Die unterschiedlichen Überzeugungen hinsichtlich der Wahrheit geben Anlaß zu Spannungen, Unverständnis, Debatten, die um so heftiger ausfallen, je tiefer die Überzeugungen selbst sind. Sie haben im Laufe der Geschichte gewaltsame Gegensätze, soziale und politische Konflikte und sogar Religionskriege ausgelöst. Das ist wahr, und man kann es nicht leugnen; aber es ist immer auch wegen einer Reihe von Begleitursachen geschehen, die wenig oder gar nichts mit der Wahrheit und der Religion zu tun hatten, und das in der Tat immer deshalb, weil man sich Mittel zunutze machen wollte, die in Wirklichkeit mit der reinen Verpflichtung zur Wahrheit und mit der Achtung der von der Wahrheit geforderten Freiheit unvereinbar waren. Und was diesbezüglich in besonderer Weise die katholische Kirche betrifft, so verurteilt sie die schweren Fehler, die in der Vergangenheit sowohl von einem Teil ihrer Mitglieder wie ihrer Institutionen begangen worden sind; und sie zögert nicht, um Vergebung zu bitten. Das verlangt die Verpflichtung zur Wahrheit.

Die Bitte um Vergebung und die Gewährung der Vergebung, die gleichfalls geschuldet ist – weil für alle die Mahnung unseres Herrn gilt: Wer ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein (vgl. Joh Jn 8,7) –, sind unverzichtbare Elemente für den Frieden. Das Gedächtnis wird dadurch gereinigt, das Herz beruhigt und der Blick auf das, was die Wahrheit für die Entwicklung von Friedensgedanken fordert, wird klar. Ich muß hier an die leuchtenden Worte von Johannes Paul II. erinnern: »Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit, es gibt keine Gerechtigkeit ohne Vergebung« (Botschaft zum Weltfriedenstag, 1. Januar 2002). Ich wiederhole sie mit Demut und einer großen Liebe vor den Verantwortlichen der Nationen, besonders jener, wo die physischen und moralischen Wunden von Konflikten am meisten brennen und wo das Bedürfnis nach Frieden am dringlichsten ist. Meine Gedanken wenden sich spontan dem Land zu, wo Jesus Christus, der Friedensfürst, geboren ist, der für alle Menschen Worte des Friedens und der Vergebung gehabt hat; sie gehen in den Libanon, dessen Bevölkerung auch mit Hilfe der internationalen Solidarität seine historische Berufung zur aufrichtigen und fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen den Gemeinschaften verschiedenen Glaubens wiederfinden muß; sie richten sich auf den ganzen Nahen Osten, besonders auf den Irak, Wiege großer Kulturen, der in diesen Jahren tagtäglich von blutigen Terrorakten überschattet wird. Meine Gedanken gehen nach Afrika, vor allem zu den Ländern im Gebiet der Großen Seen, wo noch immer die tragischen Folgen der Bruderkriege der vergangenen Jahre zu spüren sind; sie gehen zu den schutzlosen Bevölkerungen von Darfur, die von einer grausamen Brutalität heimgesucht werden, was gefährliche internationale Auswirkungen haben kann; sie gehen zu vielen anderen Ländern in verschiedenen Teilen der Welt, die Schauplatz blutiger Konflikte sind.

Zu den großen Aufgaben der Diplomatie muß man mit Sicherheit die zählen, allen Konfliktparteien begreiflich zu machen, daß sie, wenn sie die Wahrheit lieben, ihre eigenen Fehler – und nicht nur die der anderen – erkennen und zugeben müssen und sich nicht weigern sollen, sich der erbetenen und gewährten Vergebung zu öffnen. Die Verpflichtung zur Wahrheit – die ihnen sicher am Herzen liegt – fordert sie durch die Vergebung zum Frieden auf. Das vergossene Blut ruft nicht nach Rache, sondern es ruft zur Achtung des Lebens und zum Frieden auf. Auf diese Grundforderung der Menschheit könnte die kürzlich von der UNO errichtete Kommission zur Friedenskonsolidierung dank der gutwilligen Zusammenarbeit von seiten aller erfolgreich antworten.

Meine Damen und Herren Botschafter, ich möchte Ihnen noch einen letzten Schlüsselsatz vorlegen: Der Einsatz für den Frieden eröffnet neue Hoffnungen. Das ist gleichsam die logische Schlußfolgerung aus dem, was ich bis jetzt darzustellen versucht habe. Denn der Mensch ist zur Wahrheit fähig! Er ist es im Hinblick auf die schwierigen Fragen des Seins wie auf die großen Probleme des Handelns: im individuellen Bereich und in den sozialen Beziehungen, auf der Ebene eines Volkes wie der ganzen Menschheit. Der Friede, zu dem ihn sein Einsatz führen kann und soll, ist nicht nur das Schweigen der Waffen; es ist vielmehr ein Friede, der das Zustandekommen neuer Dynamismen in den internationalen Beziehungen fördert, dynamischer Kräfte, die sich ihrerseits in Faktoren der Friedenserhaltung verwandeln. Und sie sind das nur, wenn sie der Wahrheit des Menschen und seiner Würde entsprechen. Und deshalb kann man dort nicht von Frieden sprechen, wo der Mensch nicht einmal das Nötigste hat, um in Würde leben zu können. Unschuldige Opfer des Krieges Ich denke hier an die unübersehbaren Massen von Menschen, die Hunger leiden. Sie haben keinen Frieden, selbst wenn sich diese Völker nicht im Krieg befinden: ja, sie sind unschuldige Opfer des Krieges. Es kommen einem auch unwillkürlich die erschütternden Bilder der großen Lager von Vertriebenen oder Flüchtlingen – in verschiedenen Teilen der Welt – in den Sinn, die sich unter prekären Bedingungen zusammendrängen, um noch schlimmeren Verhältnissen zu entgehen; es fehlt ihnen aber an allem. Sind diese Menschen nicht unsere Brüder und unsere Schwestern? Sind ihre Kinder nicht mit denselben berechtigten Erwartungen auf Glück wie die anderen auf die Welt gekommen? Meine Gedanken gehen auch zu all jenen, die unwürdige Lebensbedingungen zur Emigration fernab von ihrem Land und ihren Angehörigen drängen – in der Hoffnung auf ein menschlicheres Leben. Nicht vergessen dürfen wir die Plage des Menschenhandels, der eine Schande für unsere Zeit ist.

Angesichts dieser »humanitären Notfälle« ebenso wie anderer dramatischer Probleme des Menschen sind zahlreiche Menschen guten Willens, verschiedene internationale Institutionen und Nichtregierungsorganisationen nicht untätig geblieben. Aber man verlangt eine vermehrte Anstrengung von seiten aller diplomatischen Einrichtungen, um die Hindernisse, die sich noch immer wirksamen und menschenwürdigen Lösungen entgegenstellen, wahrheitsgemäß auszumachen und sie mutig und hochherzig zu überwinden. Und die Wahrheit will, daß sich keiner der wohlhabenden Staaten seinen Verantwortlichkeiten und seiner Hilfspflicht entzieht, wenn er mit größerer Hochherzigkeit aus seinen Ressourcen schöpft. Aufgrund verfügbarer statistischer Daten kann man feststellen, daß weniger als die Hälfte der ungeheuren, weltweit für die Rüstung bestimmten Summen ausreichen würde, um das immense Heer der Armen dauerhaft aus der Not herauszuholen. Da wird das menschliche Gewissen angesprochen. Den Völkern, die mehr infolge von Situationen, welche von den internationalen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen abhängen, als wegen unkontrollierter Umstände unter der Armutsschwelle leben, kann und muß unser gemeinsamer Einsatz neue Hoffnungen geben.

Meine Damen und Herren Botschafter!

In der Geburt Christi sieht die Kirche die Erfüllung der Prophezeiung des Psalmisten: »Es begegnen einander Huld und Treue [Wahrheit]; Gerechtigkeit und Friede küssen sich. Treue [Wahrheit] sproßt aus der Erde hervor; Gerechtigkeit blickt vom Himmel hernieder« (Ps 85,11–12). In seinem Kommentar zu diesen erleuchteten Worten macht sich der große Kirchenvater und Heilige Augustinus zum Interpreten des Glaubens der ganzen Kirche, wenn er schreibt: »Die Wahrheit ist aus der Erde hervorgekeimt: Christus, der gesagt hat: ›Ich bin die Wahrheit‹, wird aus der Jungfrau geboren« (Sermo pro die natali Domini, 185).

Von dieser Wahrheit lebt die Kirche noch immer; und von dieser Wahrheit wird sie erleuchtet und an ihr freut sie sich zu diesem Zeitpunkt ihres Kirchenjahres ganz besonders. Und im Licht dieser Wahrheit wollen meine Worte vor Ihnen und für Sie, die Sie den überwiegenden Teil der Nationen der Welt vertreten, zugleich ein Zeugnis und ein Wunsch sein: In der Wahrheit liegt der Friede!

In diesem Geist richte ich an Sie alle meine herzlichsten Wünsche für ein gutes Jahr.

AN DIE POLITISCHEN VERTRETER UND MITARBEITER DER VERWALTUNGSEINRICHTUNGEN DER STADT UND PROVINZ ROM SOWIE DER REGION LATIUM Clementina-Saal

Donnerstag, 12. Januar 2006




Sehr geehrte Damen und Herren!

Mit Freude empfange ich Sie zu dem traditionellen Glückwunschaustausch zu Beginn dieses neuen Jahres, das auch das erste meines Amtes als Bischof von Rom und als Hirt der Gesamtkirche ist. Dieser Anlaß ist eine willkommene Gelegenheit, jene zwischen dem Nachfolger Petri und der Stadt Rom, ihrer Provinz und der Region Latium bestehenden Bande zu bekräftigen und zu stärken, die sich im Laufe der 2000jährigen Geschichte entwickelt und gefestigt haben. Herzlich und hochachtungsvoll grüße ich den Präsidenten der Region Latium, Herrn Pietro Marrazzo, den Bürgermeister von Rom, Herrn Abgeordneten Walter Veltroni, und den Präsidenten der Provinz Rom, Herrn Enrico Gasbarra, und danke ihnen für die freundlichen Worte, die sie auch im Namen der von ihnen geleiteten Verwaltungsbehörden an mich gerichtet haben. Mit ihnen grüße ich auch die Präsidenten der jeweiligen Ratsversammlungen sowie alle, die sich hier eingefunden haben.

“Vor allem ist es mir ein Bedürfnis, durch Sie allen Bürgern und Einwohnern Roms und Latiums meine Zuneigung und pastorale Sorge auszudrücken, wozu ich mir die Worte zu eigen mache, die mein verehrter Vorgänger und Diener Gottes, Johannes Paul II., am 15. Januar 1998 bei seinem Besuch auf dem Kapitol gebrauchte: »Der Herr hat dir, Rom, die Aufgabe anvertraut, in der Welt ›prima inter Urbes‹, die »Erste unter den Städten« zu sein, ein Leuchtturm der Zivilisation und des Glaubens. Sei auf der Höhe deiner ehrenvollen Vergangenheit, des Evangeliums, das dir anvertraut wurde, der Märtyrer und Heiligen, die deinen Namen groß gemacht haben. Öffne, Rom, die Reichtümer deines Herzens und deiner jahrtausendealten Geschichte für Christus. Fürchte dich nicht, denn er wird deine Freiheit nicht einschränken und deine Größe nicht erniedrigen. Er liebt dich und möchte dich deiner zivilen und religiösen Berufung würdig machen, damit du weiterhin die Schätze des Glaubens, der Kultur und der Menschlichkeit an deine Söhne und Töchter und an die Menschen unserer Zeit austeilst« (in O.R. dt., Nr. 5, 30.1.1998, S. 8). In den Monaten der Krankheit Johannes Pauls II. und im Augenblick seines Todes hat die Bevölkerung Roms und Latiums die Liebe des Papstes mit großer Tiefe und außerordentlicher und bewegender Deutlichkeit erwidert. Bei dem heutigen Anlaß möchte ich Ihnen, verehrte Damen und Herrn, wie auch den Institutionen, die Sie vertreten, aufrichtig für Ihren Beitrag zum Empfang von Millionen von Menschen danken, die aus allen Teilen der Welt nach Rom gekommen sind, um dem verstorbenen Papst den letzten Gruß zu erweisen, und dann auch anläßlich meiner Wahl auf den Stuhl Petri.

In Wahrheit haben Rom und Latium, wie im übrigen auch Italien und die gesamte Menschheit, in jenen Tagen ein zutiefst spirituelles Ereignis erlebt, eine Erfahrung des Glaubens und des Gebets, der Brüderlichkeit und der Wiederentdeckung jener spirituellen Güter, die unserem Leben Würde und tiefe Bedeutung verleihen. Eine solche Erfahrung darf auch im Bereich der bürgerlichen Gesellschaft, ihrer Aufgaben und zahlreichen Verantwortlichkeiten und Verbindungen nicht ohne Früchte bleiben. Insbesondere denke ich an den wichtigen und für die Formung und das Glück der Personen wie für die Zukunft der Gesellschaft entscheidenden Bereich der Familie. Seit nunmehr drei Jahren hat die Diözese Rom die Familie in den Mittelpunkt ihres pastoralen Einsatzes gestellt, um ihr zu helfen, den in unserem kulturellen Kontext verbreiteten Ursachen für Krisen und Mutlosigkeit entgegenzutreten und sich mit Klarheit und Überzeugung ihres Wesens und ihrer Aufgaben bewußt zu werden. Wie ich am 6. Juni des vergangenen Jahres bei der Tagung sagte, die die Diözese diesen Themen gewidmet hat, sind »Ehe und Familie in Wirklichkeit keine soziologische Zufallskonstruktion, sie sind nicht das Ergebnis besonderer historischer und wirtschaftlicher Situationen. Im Gegenteil, die Frage der richtigen Beziehung zwischen Mann und Frau hat ihre Wurzeln im tiefsten Wesen des Menschseins und kann ihre Antwort nur von daher finden«. Und weiter sagte ich: »Die Ehe als Institution ist also keine widerrechtliche Einmischung der Gesellschaft oder der Obrigkeit, die Auferlegung einer Lebensform von außen im privatesten Bereich des Lebens; sie ist vielmehr der wesenseigene Anspruch des Vertrags der ehelichen Liebe« (in O.R. dt., Nr. 24, 17.6.2005, S. 7). Hier handelt es sich nicht um besondere Normen der katholischen Moral, sondern um fundamentale Wahrheiten, die unsere gemeinsame Menschlichkeit betreffen: Ihre Achtung ist wesentlich für das Wohl der Person und der Gesellschaft. Sie fordern somit auch Ihre Verantwortung als Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung und Ihre normativen Kompetenzen in zweifacher Hinsicht heraus. Zum einen sind all jene Maßnahmen äußerst angebracht, die junge Paare bei der Bildung einer Familie und auch die Familie selbst bei der Zeugung und Erziehung der Kinder unterstützen: In diesem Zusammenhang denken wir unweigerlich an Probleme wie die Kosten für Unterkunft, Kinderkrippe und Kindergarten für die kleineren Kinder. Zum anderen ist es ein schwerer Fehler, den Wert und die Funktionen der rechtskräftigen, auf der Ehe gegründeten Familie zu verdunkeln und anderen Verbindungsformen unangemessene rechtliche Anerkennung zu gewähren, für die in Wirklichkeit keine effektive soziale Notwendigkeit besteht.

Gleiche Aufmerksamkeit und gleichen Einsatz erfordert der Schutz des beginnenden menschlichen Lebens: Wir müssen Sorge tragen, daß Schwangeren, die sich in schwierigen Situationen befinden, konkrete Hilfe zukommt, und es muß vermieden werden, Medikamente einzuführen, die in irgendeiner Form den Ernst der Abtreibung als einer Entscheidung gegen das Leben verbergen. In einer alternden Gesellschaft erhalten die Unterstützung alter Menschen und all die komplexen Probleme im Zusammenhang mit der Gesundheitsfürsorge der Bürger stets größere Bedeutung. Ich möchte Sie in Ihren Bemühungen auf diesen Gebieten bestärken und hervorheben, daß im Bereich des Gesundheitswesens die beständigen wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen wie auch die Initiativen zur Kostendämpfung gefördert werden sollten, dabei aber am obersten Grundsatz der zentralen Bedeutung der kranken Person unbedingt festgehalten werden muß. Angemessene Unterstützung für die psychisch Erkrankten Ganz besondere Beachtung verdienen die zahlreichen Fälle psychischer Leiden und Erkrankungen, auch damit die Familien, die häufig mit sehr problematischen Situationen konfrontiert sind, eine angemessene Unterstützung erhalten. Erfreulich ist, daß sich in den letzten Jahren zwischen den öffentlichen Verwaltungen der Stadt Rom, der Provinz und der Region und den Einrichtungen des kirchlichen Volontariats verschiedene Formen der Zusammenarbeit entwickelt haben, zur Linderung der alten und neuen Armut, unter der bedauerlicherweise ein keineswegs geringer Teil der Bevölkerung und vor allem zahlreiche Einwanderer leiden.

Verehrte Damen und Herren, ich versichere Sie meiner Nähe und meines täglichen Gebets für Sie persönlich wie auch für Ihre verantwortungsvolle Arbeit. Möge der Herr Ihre guten Vorhaben erleuchten und Ihnen die Kraft geben, sie zu verwirklichen. Mit diesen Empfindungen erteile ich jedem von Ihnen von Herzen meinen Apostolischen Segen, den ich mit Freude auf Ihre Familien und diejenigen ausweite, die in der Stadt Rom und ihrer Provinz sowie in der ganzen Region Latium leben und arbeiten.

AN DIE MITGLIEDER DES NEOKATECHUMENALEN WEGES Audienzenhalle

Donnerstag, 12. Januar 2006

Liebe Brüder und Schwestern!


Herzlichen Dank für euren Besuch, der mir Gelegenheit bietet, auch den anderen Mitgliedern des Neokatechumenalen Weges in vielen Teilen der Welt einen besonderen Gruß zu senden. Ich grüße alle Anwesenden, angefangen bei den verehrten Kardinälen, Bischöfen und Priestern. Mein Gruß gilt den Verantwortlichen des Neokatechumenalen Weges: Herrn Kiko Argüello, dem ich für die Worte danke, die er in eurem Namen an mich gerichtet hat, Frau Carmen Hernández und Pater Mario Pezzi. Ich grüße die Seminaristen, die Jugendlichen und besonders die Familien, die sich darauf vorbereiten, eine besondere missionarische »Aussendung« zu erhalten, um in verschiedene Länder vor allem innerhalb Lateinamerikas zu gehen.

Diese Aufgabe fällt in den Bereich der Neuevangelisierung, bei der die Familie eine äußerst wichtige Rolle spielt. Ihr habt darum gebeten, daß euch diese Aufgabe der Nachfolger Petri übertragen möge, wie es bereits durch meinen verehrten Vorgänger Johannes Paul II. am 12. Dezember 1994 geschehen ist, denn eure apostolische Tätigkeit soll vom Herzen der Kirche ausgehen. Sie soll in vollkommener Übereinstimmung mit ihren Richtlinien und in Gemeinschaft mit den Teilkirchen, in denen ihr tätig sein werdet, erfolgen, wobei der Reichtum an Charismen, die der Herr durch die Initiatoren des Neokatechumenalen Weges geweckt hat, zur Geltung kommt. Liebe Familien, das Kreuz, das ihr erhalten werdet, wird euer unzertrennlicher Wegbegleiter sein, während ihr durch eure Missionsarbeit verkünden werdet, daß es nur in Jesus Christus, der gestorben und auferstanden ist, das Heil gibt. Ihr werdet sanftmütig und freudig Zeugnis von ihm ablegen und in Einfachheit und Armut auf den Straßen aller Erdteile unterwegs sein, getragen vom unablässigen Gebet und Hören auf das Wort Gottes und genährt durch die Teilnahme am liturgischen Leben der Teilkirchen, in die ihr gesandt seid.

Die große Bedeutung, die die Liturgie und besonders die heilige Messe für die Evangelisierung besitzt, ist mehrmals von meinen Vorgängern hervorgehoben worden, und durch eure langjährige Erfahrung könnt ihr sehr wohl bestätigen, daß die zentrale Bedeutung des Mysteriums Christi, das in den liturgischen Riten gefeiert wird, ein wichtiges und unverzichtbares Mittel ist, um lebendige und beständige christliche Gemeinschaften aufzubauen. Um dem Neokatechumenalen Weg dabei zu helfen, seiner Evangelisierungsarbeit in Gemeinschaft mit dem ganzen Gottesvolk noch größeren Nachdruck zu verleihen, hat euch die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung kürzlich, nach Ablauf einer Zeit, in der ihr Erfahrungen sammeln konntet und die vom Diener Gottes Johannes Paul II. gewährt worden war, in meinem Namen einige Normen auferlegt, die die Feier der Eucharistie betreffen. Ich bin sicher, daß ihr diese Normen, die das aufgreifen, was die von der Kirche approbierten liturgischen Bücher vorsehen, achtsam befolgen werdet. Durch treues Festhalten an allen Richtlinien der Kirche werdet ihr in Übereinstimmung und in voller Gemeinschaft mit dem Papst und den Hirten jeder Diözese eurem Apostolat noch größere Wirkungskraft verleihen. Und so wird der Herr euch auch weiterhin mit überreichen pastoralen Früchten segnen.

Ihr konntet in diesen Jahren wirklich viel erreichen, und zahlreiche Berufungen zum Priestertum und zum geweihten Leben sind innerhalb eurer Gemeinschaften entstanden. Heute gilt unsere Aufmerksamkeit jedoch vor allem den Familien. Über 200 von ihnen sollen in die Mission ausgesandt zu werden; es sind Familien, die sich ohne große menschliche Unterstützung aufmachen, die aber vor allem darauf zählen, von der göttliche Vorsehung getragen zu werden. Liebe Familien, ihr könnt mit eurer Geschichte bezeugen, daß der Herr diejenigen nicht verläßt, die sich auf ihn verlassen. Verbreitet auch weiterhin das Evangelium des Lebens. Wo eure Mission euch auch hinführt, da laßt euch durch das trostspendende Wort Jesu erleuchten: »Euch muß es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben«, und »Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen« (Mt 6,33–34). Zeigt in einer Welt, die menschliche Gewißheiten und irdische Sicherheiten sucht, daß Christus der unerschütterliche Fels ist, auf den man sein Leben gründen kann, und daß das Vertrauen, das man in ihn legt, niemals vergeblich ist. Die Heilige Familie von Nazaret möge euch schützen und euer Vorbild sein. Ich sichere euch und allen Mitgliedern des Neokatechumenalen Weges mein Gebet zu und erteile jedem mit Zuneigung den Apostolischen Segen.

AN DIE "SEDIARI PONTIFICI" Freitag, 13. Januar 2006



Liebe Freunde!

Ich freue mich, euch zu empfangen und begrüße euch und eure lieben Ehefrauen von Herzen mit meinen besten Wünschen für das neue Jahr, das soeben begonnen hat. Fast täglich sehe ich euch bei der Ausübung meines Amtes, besonders wenn ich hohe Persönlichkeiten und Gruppen empfange. Heute bietet sich jedoch eine günstige Gelegenheit, euch allen gemeinsam in einer familiären Atmosphäre zu begegnen und euch meine Anerkennung und meinen Dank auszusprechen für euren Beitrag zu einem geregelten Verlauf der Audienzen und der päpstlichen Zeremonien. Pflichtbewußtsein, Höflichkeit und Diskretion sind die Eigenschaften, die euch bei eurer Arbeit auszeichnen müssen, wodurch eure Liebe zur Kirche und eure Hingabe gegenüber dem Nachfolger Petri konkret zum Ausdruck kommen.

Das Amt des »Sediario Pontificio«, das eine lange Tradition besitzt, hat sich im Laufe der Jahrhunderte den Gebräuchen und Anforderungen der Zeit entsprechend weiterentwickelt und sich gleichzeitig mit der Vorrangstellung der Kirche von Rom und ihres Bischofs konsolidiert. Wie schon der Name sagt, ist eure Aufgabe seit jeher mit dem Stuhl Petri verbunden. Bereits seit dem 14. Jahrhundert sprechen die Quellen von einer Bruderschaft der »Sediari«. Diese waren dem Präfekten der Apostolischen Palastes oder dem Maggiordomo untergeordnet und hatten verschiedene Aufgaben, die in veränderter Form weitgehend auch heute noch bestehen.

All das, liebe Freunde, muß euch in eurer Tätigkeit jenseits aller vorübergehenden und vergänglichen Aspekte den Wert erkennen lassen, der in der Verbundenheit mit dem Stuhl Petri liegt. Eure Arbeit fügt sich daher in einen Kontext ein, in dem alles zu allen Menschen konsequent von der Kirche Christi sprechen und diesen nachahmen muß, denn er »ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (Mc 10,45). Auf diesem Hintergrund muß man die Reformen betrachten, die meine verehrten Vorgänger in jüngerer Zeit durchgeführt haben, insbesondere Papst Paul VI., dem die Aufgabe zufiel, die neuen Forderungen, die das Konzil erhoben hatte, in die Tat umzusetzen. Das Zeremoniell ist vereinfacht worden, um es zu größerer Nüchternheit und Schlichtheit zurückzuführen, die der christlichen Botschaft und den Anforderungen der Zeit besser entsprechen.

Ich wünsche euch, liebe Freunde, daß ihr sowohl im Vatikan als auch zu Hause, in der Pfarrgemeinde und an allen Orten stets Menschen sein könnt, die ihrem Nächsten mit Hilfsbereitschaft und Aufmerksamkeit entgegentreten. Dies ist eine wertvolle Lehre für eure Kinder und Enkel, die aus eurem Vorbild lernen werden, daß der Dienst am Heiligen Stuhl vor allem eine christliche Denk- und Lebensweise erfordert. Im familiären Klima dieser Begegnung versichere ich euch meines besonderen Gebetes für eure Anliegen und für die eurer Lieben und erbitte für alle den mütterlichen Schutz der allerseligsten Jungfrau Maria und des hl. Petrus. Der Herr helfe euch, eure Arbeit stets im Geist des Glaubens und der aufrichtigen Liebe zur Kirche zu erfüllen. Euch, die ihr hier anwesend seid, und euren Lieben erteile ich von Herzen den Apostolischen Segen.
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Benedikt XVI Predigten 13