Benedikt XVI Predigten 17

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AN DIE VERANTWORTLICHEN UND POLIZEIBEAMTEN DES SICHERHEITSINSPEKTORATS BEIM VATIKAN Clementina-Saal

Samstag, 14. Januar 2006




Herr Präfekt,
Herr Polizeipräsident,
Herr Generalinspektor,
liebe Verantwortliche und Polizeibeamte!

Es ist eine schöne, sich jährlich erneuernde Tradition, daß der Papst euch begegnet, liebe Freunde, die ihr euch engagiert und professionell in den Dienst der Pilger stellt und für die Gewährleistung der Sicherheit auf dem Petersplatz und in der Umgebung des Vatikans sorgt. Das heutige Treffen ist zudem eine willkommene Gelegenheit zum Austausch herzlicher und tiefempfundener Glück- und Segenswünsche zu Beginn des neuen Jahres, das, so wünsche ich, für uns alle friedlich und erfolgreich sein möge. Ich habe die Freude, euch zum ersten Mal als Nachfolger des Apostels Petrus zu empfangen, aber in der Vergangenheit konnte ich euch beinahe täglich auf dem Petersplatz und dessen Umgebung begegnen, und ich konnte stets persönlich feststellen, wie verdienstvoll eure nicht einfache Arbeit ist. Mit Zuneigung entbiete ich daher einem jeden von euch meinen aufrichtigen Willkommensgruß, den ich gerne auf eure Familien ausweite und auf alle, die euch nahestehen. Besonders grüße ich euren Generalinspektor, Dr. Vincenzo Caso, der das Sicherheitsinspektorat seit wenigen Monaten leitet, und ich danke ihm für die freundlichen Worte, die er im Namen der Anwesenden und aller, die zu eurer besonderen Arbeitsgemeinschaft gehören, an mich gerichtet hat. Mein ehrerbietiger Gruß gilt auch dem Präfekten Salvatore Festa.

Ihr seid Hüter von Recht und Ordnung: eine Aufgabe, die technisches und berufliches Können erfordert, gepaart mit viel Geduld, ständiger Wachsamkeit, Höflichkeit und Opferbereitschaft. Alle, die in den verschiedenen Ämtern des Heiligen Stuhls tätig sind, wie auch die Pilger und Touristen, die hierherkommen, um dem Papst zu begegnen oder im Petersdom zu beten, wissen, daß sie auf eure diskrete und effiziente Unterstützung zählen können. Ihr seid für sie stille und aufmerksame »Schutzengel«, die Tag und Nacht über dieses Gebiet wachen. Wie könnte man etwa die großen Anstrengungen vergessen, die von eurem Inspektorat und von der Polizei, dank der Unterstützung durch verschiedene Einheiten der Italienischen Streitkräfte und anderer Einrichtungen, in den aufreibenden Tagen der Krankheit, des Todes und der Beisetzung unseres geliebten Papstes Johannes Paul II. unternommen wurden? Ebenso viel geleistet habt ihr anläßlich meiner Wahl auf den Stuhl Petri. Ich nutze die Gelegenheit des heutigen Treffens, um meinerseits und seitens meiner Mitarbeiter all jenen aufrichtig zu danken, die in jenen historischen Stunden ihren Beitrag geleistet haben, damit alles geordnet und in Ruhe ablaufen konnte. Die ganze Welt hat die Effizienz der damals an den Tag gelegten Organisation bewundern können.

Dies führt uns zum Nachdenken darüber, wie wichtig es ist, stets einträchtig und mit echtem Willen zur Kooperation aller Beteiligten zu arbeiten. Die Familien, die Gemeinden, die verschiedenen Organisationen, die Nationen und die Welt selbst wären besser, wenn jedes Glied – wie in einem gesunden und wohlgestalteten Körper – seine jeweilige Aufgabe, sei sie groß oder klein, gewissenhaft und selbstlos erfüllen würde. Liebe Freunde, öffnen wir unser Herz für Christus und nehmen wir vertrauensvoll sein Evangelium an, diese wertvolle Lebensregel für alle Menschen, die auf der Suche nach dem wahren Sinn der menschlichen Existenz sind. Bitten wir die Jungfrau Maria um ihre Hilfe, damit sie als fürsorgliche Mutter jeden von euch, eure Familien und eure Arbeit beschütze und im soeben begonnenen Jahr 2006 über Italien wache. Mit diesen Empfindungen rufe ich auf euch und eure Angehörigen die Fülle der himmlischen Gaben herab und erteile allen von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.
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AN DR. RICCARDO DI SEGNI, OBERRABBINER VON ROM Montag, 16. Januar 2006



Verehrter Herr Oberrabbiner,
liebe Freunde, Shalom!

»Meine Stärke und mein Lied ist der Herr, er ist für mich zum Retter geworden« (Ex 15,2): so sang Mose mit den Kindern Israels, als der Herr sein Volk durch das Meer hindurch rettete. So sang auch Jesaja: »Ja, Gott ist meine Rettung; ihm will ich vertrauen und niemals verzagen. Denn meine Stärke und mein Lied ist der Herr. Er ist für mich zum Retter geworden« (12,2). Euer Besuch bereitet mir große Freude und er weckt in mir den Wunsch, mit euch dasselbe Danklied für die erfahrene Rettung erneut anzustimmen. Das Volk Israel wurde mehrmals aus den Händen seiner Feinde gerettet, und in den Jahrhunderten des Antisemitismus, in den dramatischen Augenblicken der Shoa hat die Hand des Allmächtigen es getragen und geführt. Immer hat die Auserwählung durch den Gott des Bundes es begleitet und ihm die Kraft verliehen, die Prüfungen zu überwinden. Von dieser liebenden göttlichen Zuwendung kann auch eure jüdische Gemeinde Zeugnis ablegen, die in der Stadt Rom seit über 2000 Jahren ansässig ist.

Die katholische Kirche ist euch nahe, und sie ist euch freundschaftlich gesinnt. Ja, wir lieben euch und können wegen der Väter nicht umhin, euch zu lieben: Um ihretwillen seid ihr unsere sehr geliebten und bevorzugten Brüder (vgl. Röm Rm 11,28). Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil sind diese Hochachtung und dieses gegenseitige Vertrauen stets gewachsen. Es haben sich immer brüderlichere und herzlichere Kontakte entwickelt, die im Verlauf des Pontifikats meines verehrten Vorgängers, Johannes Paul II., noch intensiver geworden sind.

In Christus haben wir am Erbe, das die Väter euch hinterlassen haben, Anteil, um dem Allmächtigen »einmütig« zu dienen (So 3,9), eingepfropft in den einen »heiligen Stamm« (vgl Is 6,13 Rm 11,16) des Volkes Gottes. Das ruft uns Christen die Verantwortung ins Bewußtsein, mit euch für das Wohl aller Völker zusammenzuarbeiten, in Gerechtigkeit und Frieden, in Wahrheit und in Freiheit, in Heiligkeit und Liebe. Im Licht dieser gemeinsamen Sendung können wir nicht umhin, Haß und Unverständnis, Ungerechtigkeit und Gewalt, die immer noch die Gemüter der Männer und Frauen guten Willens mit Sorge erfüllen, entschlossen anzuklagen und zu bekämpfen. Wie sollten wir in diesem Zusammenhang nicht traurig und besorgt sein über die neuerlichen Bekundungen des Antisemitismus, die zuweilen zu verzeichnen sind?

Verehrter Herr Oberrabbiner, vor kurzem ist Ihnen die geistliche Leitung der jüdischen Gemeinde von Rom anvertraut worden; Sie haben diese Verantwortung übernommen mit Ihrer reichen Erfahrung als Wissenschaftler und Arzt, die Sie Anteil nehmen ließ an den Freuden und Leiden vieler Menschen. Ich bringe von Herzen meine besten Wünsche für Ihre Mission zum Ausdruck und versichere Sie der Hochachtung und der herzlichen Freundschaft meiner Mitarbeiter. Es gibt in Rom und in der Welt viele dringende Nöte und Herausforderungen, die uns ermahnen, unsere Hände und Herzen zu vereinen in konkreten Initiativen der Solidarität, »tzedek« (Gerechtigkeit) und »tzedekah« (Liebe). Gemeinsam können wir daran arbeiten, die Fackel des Dekalogs und der Hoffnung an die jungen Generationen weiterzugeben.

Der Ewige möge über Sie und über die ganze jüdische Gemeinde von Rom wachen! Bei diesem einzigartigen Anlaß mache ich mir das Gebet von Papst Clemens I. zu eigen und rufe damit den Segen des Himmels auf euch alle herab: »Gib Friede und Eintracht uns und allen Bewohnern der Erde, wie Du ihn verliehen hast unseren Vätern, die fromm Dich angerufen haben in Glaube und Wahrheit« (Brief an die Korinther 60,4). Shalom

AN EINE ÖKUMENISCHE DELEGATION AUS FINNLAND Donnerstag, 19. Januar 2006



Lieber Bischof Heikka,
lieber Bischof Wróbel,
verehrte Freunde aus Finnland!

Mit großer Freude begrüße ich euch, die Mitglieder der ökumenischen Delegation aus Finnland, am heutigen Fest des hl. Henrik, eures Schutzpatrons.

Gerne erinnere ich daran, daß mein geliebter Vorgänger Papst Johannes Paul II. viele Jahre lang mit Freude und Dankbarkeit die Teilnehmer der jährlichen Pilgerfahrt nach Rom empfangen hat, die Zeichen unserer engen Beziehungen und unseres fruchtbaren ökumenischen Dialogs geworden ist. Diese Besuche sind auch weiterhin Gelegenheit zu gewinnbringender Arbeit wie auch zur Vertiefung jenes »geistlichen Ökumenismus« (vgl. Ut unum sint UUS 21), der die getrennten Christen veranlaßt, all das zu erkennen und zu schätzen, was sie bereits vereint.

Die derzeitige Kommission für den lutherisch/ katholischen Dialog in Finnland und Schweden gründet auf der wesentlichen Verwirklichung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Im besonderen Kontext der nordeuropäischen Länder vertieft die Kommission die Ergebnisse und konkreten Auswirkungen der Gemeinsamen Erklärung. Im innigen und eifrigen Zeugnis für die Wahrheit des Evangeliums befaßt sie sich so mit den noch bestehenden Unterschieden zwischen Lutheranern und Katholiken hinsichtlich einiger den Glauben und das kirchliche Leben betreffenden Fragen.

In diesen Tagen der Gebetswoche für die Einheit der Christen sind wir uns ganz besonders bewußt, daß die Einheit eine Gnade ist und daß wir den Herrn unermüdlich um dieses Geschenk bitten müssen. Wir vertrauen auf seine Verheißung: »Weiter sage ich euch: Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen« (Mt 18,19–20).

Laßt uns Gott für all das danken, was bisher in den katholisch/lutherischen Beziehungen erreicht worden ist, und laßt uns beten, daß er uns mit seinem Geist erfülle, der uns zur Fülle der Wahrheit und der Liebe führt.

AN DIE KOLLEGSGEMEINSCHAFT DES

"ALMO COLLEGIO CAPRANICA" Freitag, 20. Januar 2006



Herr Kardinal,
verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Alumnen des Capranica-Kollegs!

Ich freue mich, euch am Vortag des liturgischen Gedächtnisses der hl. Agnes, eurer himmlischen Schutzpatronin, zu dieser Sonderaudienz zu empfangen. Dies ist meine erste Begegnung mit euch nach meiner Wahl auf den Stuhl des Apostels Petrus, und gern nehme ich die Gelegenheit wahr, an alle einen herzlichen Gruß zu richten. Ich möchte zunächst Kardinal Camillo Ruini und alle weiteren Bischöfe grüßen, aus denen sich die Bischöfliche Kommission zusammensetzt, die eurem Kolleg vorangestellt ist; ich grüße den Rektor, Msgr. Ermenegildo Manicardi, und die anderen Ausbilder; ich grüße euch, liebe junge Männer, die ihr euch darauf vorbereitet, den priesterlichen Dienst auszuüben. Ihr befindet euch in einer sehr wichtigen Lebensphase, nämlich der eurer Ausbildung, einer Zeit, die voller Möglichkeiten steckt, um in menschlicher, kultureller und geistlicher Hinsicht zu wachsen.

Liebe junge Männer, die ganze Struktur des Kollegs hilft euch dabei, euch gut auf eure zukünftige pastorale Sendung vorzubereiten: das Gebet, die innere Sammlung, das Studium, das Gemeinschaftsleben und die Unterstützung, die ihr von den Ausbildern erhaltet. Ihr könnt von der Tatsache profitieren, daß euer Seminar, das auf eine reiche Geschichte zurückblickt, in das Leben der Diözese Rom eingebunden ist, und es war stets das Bemühen und der Stolz der Familie des Capranica-Kollegs, starke Bande der Treue zum Bischof von Rom zu pflegen. Auch für euch ist die Möglichkeit, in dieser Stadt den theologischen Studien nachzugehen, eine einzigartige Chance, zu wachsen und euch den Ansprüchen zu öffnen, die die Universalkirche stellt. Bemüht euch in diesen Jahren darum, jede Gelegenheit zu nutzen, um das Evangelium unter den Menschen unserer Zeit wirksam zu bezeugen.

Um den Erwartungen der modernen Gesellschaft zu genügen und an der umfassenden Evangelisierungsarbeit, die alle Christen einbezieht, mitzuwirken, brauchen wir gut ausgebildete und mutige Priester, die ohne Karrierestreben und Furcht, aber überzeugt von der Wahrheit des Evangeliums, vor allem Sorge dafür tragen, Christus zu verkünden, und die in seinem Namen bereit sind, sich dem menschlichen Leid zuzuwenden und alle Menschen – besonders die Armen und diejenigen, die sich in schwierigen Lebenslagen befinden – den Trost der Liebe Gottes und die Wärme der himmlischen Familie spüren zu lassen. Dies erfordert, wie ihr sehr gut wißt, zusammen mit einem menschlichen Reifeprozeß und eifrigem Eintreten für die offenbarte Wahrheit, die vom Lehramt der Kirche in Treue dargelegt wird, ein ernsthaftes Bemühen um persönliche Heiligung und um die Übung der Tugenden, besonders der Demut und der Liebe. Es ist außerdem notwendig, Gemeinschaft zu pflegen mit den verschiedenen Gliedern des Volkes Gottes, damit jeder im Bewußtsein wachse, Teil des einen Leibes Christi zu sein, Glieder, die zueinander gehören (vgl. Röm 12,4–5). Damit all dies Wirklichkeit werden kann, lade ich euch ein, liebe Freunde, den Blick stets fest auf Christus zu richten, den Urheber und Vollender des Glaubens (vgl. Hebr He 12,2). Je mehr ihr nämlich in Gemeinschaft mit ihm bleibt, desto mehr werdet ihr in der Lage sein, treu seinen Spuren zu folgen, so daß eure Liebe zum Herrn unter der Führung des Heiligen Geistes reifen kann, »denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht« (Col 3,14). Ihr habt die Zeugnisse engagierter Priester vor Augen, die euer ehrwürdiges Kolleg im Laufe der Jahre unter seine Alumnen gezählt hat, Priester, die Schätze der Wissenschaft und der Güte im Weinberg des Herrn verteilt haben. Folgt ihrem Beispiel!

Liebe Freunde, der Papst begleitet euch mit seinem Gebet und bittet den Herrn, euch Kraft zu schenken und mit überreichen Gaben zu erfüllen. Möge die hl. Agnes für euch Fürbitte einlegen, die in noch jugendlichem Alter Verlockungen und Drohungen widerstand, als ihren Schatz die wertvolle »Perle« des Gottesreiches wählte und Christus bis zum Martyrium liebte. Die allerseligste Jungfrau Maria gewähre euch, überreiche Früchte guter Werke zu tragen, zum Lob des Herrn und zum Wohl der Heiligen Kirche. Zur Bekräftigung dieser Wünsche erteile ich euch und der ganzen Gemeinschaft des Capranica- Kollegs mit Zuneigung den Apostolischen Segen, den ich gern auch auf all jene ausweite, die euch nahestehen.

AN DIE TEILNEHMER EINES VOM PÄPSTLICHEN RAT "COR UNUM" AUSGERICHTETEN INTERNATIONALEN KONGRESSES Clementina-Saal

Montag, 23. Januar 2006




Eminenzen, Exzellenzen,
meine Damen und Herren!

Die kosmische Reise, in die Dante in seiner Göttlichen Komödie den Leser miteinbeziehen will, endet vor dem ewigen Licht, das Gott selbst ist, vor jenem Licht, das zugleich »die Liebe ist, die auch die Sonne bewegt und die anderen Sterne« (Par. XXXIII, V. 145). Licht und Liebe sind ein und dasselbe. Sie sind die uranfängliche schöpferische Macht, die das Universum bewegt. Auch wenn diese Worte aus Dantes Paradies das Denken des Aristoteles durchscheinen lassen, der im Eros jene Macht sah, die die Welt bewegt, so nimmt dennoch Dantes Blick etwas völlig Neues wahr, was für den griechischen Philosophen noch unvorstellbar war. Nicht nur, daß sich ihm das ewige Licht in drei Kreisen offenbart, an die er sich mit jenen uns bekannten eindringlichen Versen wendet: »Du ewig Licht ruhst in dir selbst allein, verstehst, erkennst dich, bist erkannt, verstanden in dir und lächelst dir in Liebe zu« (Par. XXXIII, V. 124–126). Wahrnehmung des Antlitzes Jesu Christi Tatsächlich noch überwältigender als diese Offenbarung Gottes als trinitarischer Kreis der Erkenntnis und der Liebe ist die Wahrnehmung eines menschlichen Antlitzes – das Antlitz Jesu Christi –, das sich Dante in dem zentralen Kreis des Lichtes zeigt. Gott, unendliches Licht, dessen unermeßliches Geheimnis der griechische Philosoph erahnt hatte, dieser Gott hat ein menschliches Antlitz und – so dürfen wir hinzufügen – ein menschliches Herz. In dieser Vision Dantes zeigt sich zum einen die Kontinuität zwischen dem christlichen Glauben an Gott und der von der Vernunft und von der Welt der Religionen entwickelten Suche; gleichzeitig jedoch kommt auch die Neuheit zum Vorschein, die jede menschliche Suche übertrifft – die Neuheit, die allein Gott uns offenbaren konnte: die Neuheit einer Liebe, die Gott dazu veranlaßt hat, ein menschliches Antlitz, ja Fleisch und Blut, das ganze menschliche Sein anzunehmen. Der göttliche Eros ist nicht nur eine uranfängliche kosmische Kraft. Er ist Liebe, die den Menschen geschaffen hat und sich zu ihm hinunterbeugt, wie sich der barmherzige Samariter zu dem verwundeten und beraubten Mann hinuntergebeugt hat, der am Wegrand der Straße von Jerusalem nach Jericho lag.

Das Wort »Liebe« ist heutzutage so nichtssagend, abgenutzt und mißbraucht, daß man sich fast scheut, es in den Mund zu nehmen. Und doch ist es ein Urwort, Ausdruck der urweltlichen Wirklichkeit; wir dürfen es nicht einfach aufgeben, sondern müssen es wiederaufnehmen, reinigen und zu seinem ursprünglichen Glanz zurückführen, damit es unser Leben erleuchten und auf den rechten Weg bringen kann. Dieses Bewußtsein war es denn auch, das mich veranlaßt hat, die Liebe als Thema meiner ersten Enzyklika zu wählen. Zentrale Stellung des Glaubens an Gott Ich wollte versuchen, für unsere Zeit und für unser Dasein etwas von dem zum Ausdruck zu bringen, was Dante in seiner Vision so wagemutig zusammengefaßt hat. Er erzählt von der »Sehkraft«, die sich »mehrte«, während er schaute, und die ihn innerlich verwandelte (vgl. Par XXXIII., V. 112–114). Genau darum geht es: Daß der Glaube zu einem schauenden Begreifen wird, das uns verwandelt. Ich wollte die zentrale Stellung des Glaubens an Gott – an jenen Gott, der ein menschliches Antlitz und ein menschliches Herz angenommen hat – hervorheben. Der Glaube ist keine Theorie, die man sich zu eigen machen oder auch zurückstellen kann. Er ist etwas sehr Konkretes: Er ist das Kriterium, das über unseren Lebensstil entscheidet. In einer Zeit, in der die Feindseligkeit und die Habgier zu Supermächten geworden sind, in einer Zeit, in der wir den Mißbrauch der Religion bis zur Apotheose des Hasses erleben müssen, ist die reine neutrale Rationalität nicht imstande, uns zu schützen. Wir brauchen den lebendigen Gott, der uns bis zum Tod geliebt hat.

So werden in dieser Enzyklika die Themen »Gott«, »Christus« und »Liebe« zu einem zentralen Leitbild des christlichen Glaubens zusammengeschlossen. Ich wollte die Menschlichkeit des Glaubens zeigen, zu dem der Eros gehört – das »Ja« des Menschen zu seiner von Gott geschaffenen Leiblichkeit, ein »Ja«, das in der unauflöslichen Ehe zwischen Mann und Frau seine in der Schöpfung verwurzelte Gestalt findet. Und dort, in der Ehe, verwandelt sich der Eros in Agape – die Liebe zum anderen sucht nicht mehr sich selbst, sondern wird zur Sorge für den anderen, zur Bereitschaft, sich für ihn aufzuopfern und auch für das Geschenk eines neuen menschlichen Lebens offen zu sein. Die christliche Agape, die Liebe zum Nächsten in der Nachfolge Christi, ist nicht etwas Fremdes, das den Eros beiseite schieben oder sich gar gegen ihn richten würde. Ja, sie hat in dem Opfer, das Christus für den Menschen erbracht hat, eine neue Dimension gefunden, die sich in der Geschichte der barmherzigen Hinwendung der Christen zu den Armen und Leidenden immer mehr entfaltet hat.

Eine erste Lektüre der Enzyklika könnte vielleicht den Eindruck erwecken, sie zerfalle in zwei Teile, die nur lose miteinander verbunden sind: einen ersten theoretischen Teil, der vom Wesen der Liebe spricht, und einen zweiten, der von der kirchlichen Caritas, den karitativen Organisationen handelt. Mir ging es jedoch gerade um die Einheit der beiden Themen, die nur dann richtig zu verstehen sind, wenn sie als ein einziges gesehen werden. Zuerst sollte das Wesen der Liebe, wie es sich uns im Licht des biblischen Zeugnisses darstellt, behandelt werden. Vom christlichen Gottesbild ausgehend, sollte gezeigt werden, wie der Mensch dazu geschaffen ist zu lieben, und wie diese Liebe, die am Anfang vor allem als Eros zwischen Mann und Frau in Erscheinung tritt, sich dann innerlich in Agape, das Geschenk seiner selbst an den anderen, wandelt – und das gerade, um der wahren Natur des Eros zu entsprechen. Auf dieser Grundlage sollte dann dargelegt werden, daß das Wesen der in der Bibel beschriebenen Liebe zu Gott und zum Nächsten das Zentrum der christlichen Existenz bildet, Frucht des Glaubens ist. Danach jedoch sollte in einem zweiten Teil deutlich gemacht werden, daß der ganz und gar persönliche Akt der Agape niemals eine rein individuelle Angelegenheit bleiben kann, sondern auch zu einem wesentlichen Akt der Kirche als Gemeinschaft werden muß, das heißt, es bedarf auch der institutionellen Gestalt, die im gemeinschaftlichen Handeln der Kirche zum Ausdruck kommt. Die kirchliche Organisation der Caritas ist nicht eine Form sozialer Hilfe, die sich der kirchlichen Realität mehr oder weniger zufällig anschließt, eine Initiative, die man auch anderen überlassen könnte. Sie ist vielmehr Teil der Natur der Kirche. So wie dem göttlichen Logos die menschliche Verkündigung, das Wort des Glaubens entspricht, so muß die Agape, die Gott ist, der Agape der Kirche, das heißt ihrer karitativen Tätigkeit, entsprechen. Gott und Christus – Quelle der kirchlichen Caritas Außer der ersten ganz konkreten Bedeutung der Hilfe für den Nächsten hat diese Tätigkeit wesentlich auch die Aufgabe, die Liebe Gottes, die wir selbst empfangen, den anderen mitzuteilen. Sie muß gewissermaßen den lebendigen Gott sichtbar machen. Gott und Christus dürfen in der karitativen Organisation keine Fremdworte sein. Sie zeigen in Wirklichkeit die ursprüngliche Quelle der kirchlichen Caritas. Die Kraft der Caritas hängt von der Kraft des Glaubens aller Mitglieder und Mitarbeiter ab.

Das Drama des leidenden Menschen berührt unser Herz. Aber der Sinn des karitativen Engagements geht weit über bloße Philanthropie hinaus. Es ist Gott selbst, der uns innerlich antreibt, das Elend zu lindern. So ist es letztendlich er selbst, den wir in die leidende Welt tragen. Je bewußter und klarer wir ihn als Geschenk mitbringen, um so wirksamer wird unsere Liebe die Welt verwandeln und in ihr wieder Hoffnung wecken – eine Hoffnung, die über den Tod hinausgeht und nur so wahre Hoffnung für den Menschen ist. Ich wünsche euch für euer Symposion den Segen des Herrn.

AN DIE VORBEREITUNGSKOMMISSION DER DRITTEN EUROPÄISCHEN ÖKUMENISCHEN VERSAMMLUNG Clementina-Saal

Donnerstag, 26. Januar 2006




Liebe Brüder und Schwestern!

Mit großer Freude heiße ich euch willkommen und danke euch für eure Anwesenheit. Ich grüße jeden von euch, und durch euch richte ich meinen Gruß an die Bischofskonferenzen, Gemeinschaften und ökumenischen Gremien in Europa. Mein besonderer Gruß gilt den Vorsitzenden des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen und der Konferenz der Europäischen Kirchen, denen ich dafür danke, daß sie sich zum Sprachrohr für eure brüderlichen Empfindungen gemacht haben. Euer Besuch ist eine weitere Gelegenheit, die gemeinschaftlichen Bande, die uns in Christus vereinen, sichtbar zu machen und den Willen zur Zusammenarbeit zu erneuern, um so bald wie möglich zur vollen Einheit zu gelangen.

Ich freue mich besonders, euch heute von neuem zu begegnen, nach der gestrigen Teilnahme am Abschluß der Gebetswoche für die Einheit der Christen in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern. Es war euer Wunsch, den Europäischen Ökumenischen Pilgerweg, dessen Höhepunkt das Treffen von Sibiu in Rumänien im September 2007 sein wird, hier in Rom zu beginnen, wo die Apostel Petrus und Paulus gepredigt und das Martyrium erlitten haben. Und das ist sehr bedeutsam, weil die Apostel uns als erste jenes Evangelium verkündet haben, das wir als Christen berufen sind, dem heutigen Europa zu verkünden und zu bezeugen. Um dieser Verkündigung größere Wirksamkeit zu verleihen, wollen wir auf dem Weg der Suche nach der vollen Einheit mutig voranschreiten. Das Thema, das ihr für diesen geistlichen Weg gewählt habt – »Das Licht Christi erleuchtet alle Menschen. Hoffnung auf Erneuerung und Einheit in Europa« – zeigt, worin die wirkliche Priorität für Europa besteht: sich dafür einzusetzen, daß das Licht Christi erstrahlen und mit neuer Kraft den Weg des europäischen Kontinents zu Beginn des neuen Jahrtausends erhellen möge. Ich wünsche mir, daß das Licht Christi jede Etappe dieses Pilgerwegs erhellen und daß die nächste Europäische Ökumenische Versammlung dazu beitragen möge, den Christen unserer Länder ihre Pflicht stärker ins Bewußtsein zu rufen, im kulturellen Kontext der heutigen Zeit, der oft von Relativismus und Gleichgültigkeit geprägt ist, den Glauben zu bezeugen. Dies ist ein unverzichtbarer Dienst, der für die Europäische Gemeinschaft, die in diesen Jahren ihre Grenzen erweitert hat, geleistet werden muß.

In der Tat muß Europa seine christlichen Wurzeln wiederentdecken und den ethischen Werten, die Teil seines großen, tiefverwurzelten geistlichen Erbes sind, Raum geben, damit der Vereinigungsprozeß, den es in die Wege geleitet hat, Früchte tragen kann. Wir Jünger Christi haben die Aufgabe, Europa zu helfen, sich bewußt zu machen, daß ihm in dieser Hinsicht eine besondere Verantwortung innerhalb der Völkergemeinschaft zukommt. Dennoch werden wir Christen durch unsere Präsenz nur dann Einfluß haben und Licht bringen, wenn wir mutig entschlossen den Weg der Versöhnung und Einheit gehen. Ich erinnere mich an die Frage, die mein geliebter Vorgänger Johannes Paul II. in der Predigt beim ökumenischen Wortgottesdienst anläßlich der ersten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa am 7. Dezember 1991 stellte: »Können wir zulassen, daß in einem Europa auf dem Weg zur politischen Einheit gerade die Kirche Christi ein Faktor der Uneinigkeit und Zwietracht ist? Wäre dies nicht einer der größten Skandale unserer Zeit?« (O.R. dt., Nr. 1/2, 10.1.1992, S. 15,6). Wie wichtig ist es doch, in Christus das Licht zu finden, das uns konkret zur Einheit voranschreiten läßt! Dieser Einsatz wird von allen verlangt, liebe Vertreter der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in Europa, weil wir alle eine besondere Verantwortung tragen, was den ökumenischen Weg der Christen auf unserem Kontinent und in den anderen Teilen der Welt anbelangt. Nach dem Fall der Mauer, die die Länder Osteuropas von denen Westeuropas trennte, ist die Begegnung der Völker einfacher geworden; es gibt mehr Gelegenheiten, einander besser kennen- und schätzenzulernen, wobei ein gegenseitiger Austausch von Gaben stattfindet, der Bereicherung bringt; man merkt, daß es notwendig ist, sich mit vereinten Kräften den großen Herausforderungen des Augenblicks zu stellen, angefangen bei der Moderne und der Säkularisierung. Die Erfahrung zeigt deutlich, daß der aufrichtige und brüderliche Dialog Vertrauen erzeugt, Ängste und Vorurteile beseitigt, Schwierigkeiten überwindet und Offenheit schafft für eine friedliche und konstruktive Gegenüberstellung.

Liebe Freunde, meinerseits erneuere ich hiermit meinen festen Willen, den ich zu Beginn meines Pontifikats zum Ausdruck gebracht habe, als vorrangige Verpflichtung die Aufgabe zu übernehmen, mit allen Kräften an der Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit aller Jünger Christi zu arbeiten. Ich danke euch nochmals für euren freundlichen Besuch und bitte Gott, mit seinem Geist eure Bemühungen bei der Vorbereitung der nächsten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Sibiu zu begleiten. Der Herr segne eure Familien, Gemeinschaften, Kirchen und alle diejenigen, die sich in jeder Region Europas als Jünger Christi bekennen.

AN DIE BISCHÖFE AUS DER DEMOKRATISCHEN REPUBLIK KONGO

ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES Freitag, 27. Januar 2006



Herr Kardinal,
liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

Mit Freude richte ich meinen brüderlichen Gruß an euch anläßlich eures Besuches »ad limina Apostolorum«. Ihr seid gekommen, um die Bande der Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom und dadurch mit dem gesamten Bischofskollegium zu festigen, und möchtet auf diese Weise eure Treue und die aller eurer Gläubigen zum Nachfolger Petri zum Ausdruck bringen. Ich wünsche mir, daß euer gemeinsames Gebet an den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus und eure Begegnungen mit den Mitgliedern der Römischen Kurie euch Freude und Kraft für euer Amt geben und euch mit neuem Eifer erfüllen. Mit Zuneigung grüße ich die Hirten und Gläubigen der Kirchenprovinzen Kinshasa, Mbandaka- Bikoro und Kananga, in denen ihr beauftragt seid, den Leib Christi aufzubauen und das Volk Gottes zu leiten. Die Katholiken der Demokratischen Republik Kongo bereiten sich zusammen mit allen Menschen guten Willens derzeit auf wichtige Ereignisse für die Zukunft ihres Landes vor, und ich möchte ihnen dazu meine geistige Nähe aussprechen. Zum Herrn erhebe ich ein inständiges Gebet, daß sie mit fester Hoffnung den Frieden und die Brüderlichkeit immer weiter voranbringen!

In den vergangenen Jahren war das Leben eures Landes geprägt von mörderischen Konflikten, die tiefe Narben im Gedächtnis der Völker hinterlassen haben. Im Laufe dieser Tragödie, von der besonders der Osten des Landes betroffen war, habt ihr in eindringlichen Botschaften die erfolgten Übergriffe verurteilt und die örtlichen Verantwortungsträger zu gewissenhaftem und mutigem Handeln aufgefordert, damit die Bevölkerung in Frieden und Sicherheit leben kann. Ich ermutige die Bischofskonferenz, in einträchtiger und furchtloser Zusammenarbeit wachsam zu bleiben, um die gegenwärtigen Fortschritte zu begleiten.

Die besonderen Zeiten des kirchlichen Lebens haben den letzten Jahren ihren Rhythmus gegeben. Sie, Herr Kardinal, erinnerten an das Große Jubiläum der Menschwerdung Christi. Außerdem sprachen sie vom Jahr 2005, in dem der 10. Jahrestag der Veröffentlichung des Nachsynodalen Schreibens Ecclesia in Africa begangen wurde. Durch die Einberufung dieser Versammlung wollte Papst Johannes Paul II. eine organische pastorale Solidarität auf dem afrikanischen Kontinent fördern, damit die Kirche allen Menschen guten Willens eine authentische Botschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe vermittelt im Hinblick auf einen neuen missionarischen Impuls der Ortskirchen. Während nun einige Diözesen das erste Jahrhundert ihrer Evangelisierung feiern, spreche ich den Wunsch aus, daß sich jeder von euch ein genaues Bild von der zentralen Frage der Darlegung des Evangeliums macht und daraus die nötigen pastoralen Schlußfolgerungen für das Leben der lokalen Gemeinden ableitet. Dadurch soll der apostolische Eifer der Hirten und Gläubigen erneuert werden und der sittliche, spirituelle und materielle Wiederaufbau die Gemeinschaften in einer einzigen Familie vereinen, als Zeichen der Brüderlichkeit für eure Mitmenschen.

Die Kirche erfüllt ihren prophetischen Auftrag, das Evangelium mit Mut und Begeisterung zu verkünden, in immer größerer Aufmerksamkeit gegenüber den Eingebungen des Heiligen Geistes und in immer engerer Verbundenheit mit Christus. Diese Sendung, zu der der auferstandene Herr seine Jünger beruft und dem sie sich nicht entziehen können, steht euch, liebe Brüder im Bischofsamt, in besonderem Maße zu, denn »die Evangelisierungstätigkeit des Bischofs, deren Ziel es ist, die Menschen zum Glauben zu führen oder sie im Glauben zu stärken, bildet einen herausragenden Ausdruck seiner Vaterschaft« (Pastores gregis, 26).

Daher ermutige ich euch, durch das Beispiel und die Redlichkeit eurer tief mit Christus vereinten Existenz das Evangelium Christi unermüdlich zu verkünden und euch von ihm erneuern zu lassen. Ich möchte euch auch daran erinnern, daß die Kirche vom Evangelium lebt, weil sie die Orientierungen für ihren Weg ständig aus ihm bezieht. Das Evangelium kann nur dann das Gewissen in der Tiefe erleuchten und die Kulturen von innen heraus verwandeln, wenn jeder Gläubige sich in seinem persönlichen und gemeinschaftlichen Leben vom Wort Christi ansprechen läßt, das uns zu einer persönlichen, reifen Glaubensantwort durch eine wahre, dauerhafte Bekehrung einlädt im Hinblick auf das soziale Wohlergehen und die Geschwisterlichkeit unter allen Menschen. Eure Liebe, eure Demut und euer schlichter Lebenswandel seien auch für eure Priester und Gläubigen ein anregendes Zeugnis, damit alle in der Wahrheit auf dem Weg der Heiligkeit vorangehen.

Ihr betont die Notwendigkeit, auf eine tiefgehende Evangelisierung der Gläubigen hinzuwirken. Die lebendigen kirchlichen Gemeinden, die überall in euren Diözesen zu finden sind, spiegeln gut diese »Evangelisierung aus der Nähe« wider, welche die Gläubigen im Glauben heranreifen läßt. Der brüderliche Geist des Evangeliums führt dann alle dazu, gemeinsam die unterschiedlichen Aspekte des kirchlichen Lebens zu überdenken, insbesondere das Gebet, die Evangelisierung, die Initiativen für die Armen und die Selbstfinanzierung der Pfarreien. Diese Gemeinschaften sind ebenfalls ein wertvolles Bollwerk gegen die Offensive der Sekten, die die Leichtgläubigkeit der Menschen ausnutzen und sie irreführen, indem sie ihnen eine falsche Auffassung vom Heil und vom Evangelium und bequeme Moralvorstellungen bieten.

In dieser Hinsicht fordere ich euch auf, mit äußerster Sorgfalt über die Qualität der ständigen Weiterbildung der in den Gemeinden verantwortlichen Personen zu wachen. Dies gilt vor allem für die Katecheten, deren Hingabe und kirchlichen Geist ich ausdrücklich loben möchte. Außerdem sollt ihr dafür sorgen, daß sie die geistigen, intellektuellen und materiellen Voraussetzungen besitzen, die es ihnen erlauben, ihre Aufgabe unter der verantwortungsvollen Leitung der Hirten bestmöglich zu erfüllen. Wacht auch darüber, daß diese lebendigen Kirchengemeinden wirklich missionarisch sind und sich darum bemühen, das Evangelium Christi nicht nur anzunehmen, sondern es auch vor den Menschen zu bezeugen. Vom Wort Christi und von den Sakramenten der Kirche gestärkt, werden die Gläubigen die nötige Freude und Kraft zu einem furchtlosen Zeugnis für die christliche Hoffnung finden. In diesen entscheidenden Zeiten für das Leben eures Landes sollt ihr besonders die Laiengläubigen an ihren dringenden Auftrag zur Erneuerung der weltlichen Ordnung erinnern und sie auffordern, »auf das Gesellschaftsgefüge einen Einfluß auszuüben, der nicht nur die Denkweisen, sondern die eigentlichen Strukturen der Gesellschaft so umwandeln soll, daß sich darin Gottes Pläne bezüglich der menschlichen Familie besser widerspiegeln« (Ecclesia in Africa, 54).

Meine Gedanken gehen nun mit herzlicher Zuneigung zu allen euren Welt- und Ordenspriestern, Mitarbeiter des bischöflichen Standes, die Christus als Amtsträger im Dienste des Gottesvolks und aller Menschen eingesetzt hat. Ich kenne die schwierigen Umstände, unter denen viele von ihnen ihr Amt ausüben, und ich danke ihnen für ihren oft heldenhaften Dienst zugunsten der geistigen Entfaltung ihrer Gemeinden. Zeigt ihnen eure Nähe durch die stete Präsenz in euren Diözesen, entwickelt mit ihnen einen vertrauensvollen Dialog und verfolgt ihr menschliches, intellektuelles und spirituelles Wachstum aufmerksam, damit sie durch das Streben nach Heiligkeit in ihrer Amtsausübung wahre Glaubenserzieher und Vorbilder der Liebe für die Gläubigen seien.

Außerdem sollt ihr die Priester zu einem vorbildlichen geistlichen und sittlichen Leben ermahnen. Diesbezüglich sollt ihr sie besonders an das einzigartige Band erinnern, das den Priester mit Christus vereint. Der priesterliche Zölibat, in vollkommener Keuschheit gelebt, offenbart die Tiefe und den vitalen Charakter dieser Verbindung. Sorgt auch für ihre ständige Weiterbildung, damit sie immer tiefer in das Mysterium Christi eindringen können. Sie mögen das Gewissen der Gläubigen erleuchten und solide, missionarische christliche Gemeinden aufbauen, die ihre Wurzeln und ihren Mittelpunkt in der Eucharistie haben, die von den Priestern im Namen Christi gefeiert wird.

»Alle Priester haben zusammen mit den Bischöfen so an ein und demselben Priestertum und Amt Christi teil, daß diese Einheit der Weihe und Sendung ihre hierarchische Gemeinschaft mit dem Stand der Bischöfe erfordert« (Presbyterorum ordinis PO 7). In dieser Hinsicht ermutige ich euch auch zu einer ständigen Weiterentwicklung der Bande der Gemeinschaft innerhalb eurer Diözesanpriesterschaft. Ihr selbst habt in euren Fünfjahresberichten darauf hingewiesen, daß das Andauern der Konflikte sich zuweilen negativ auf die Einheit dieser Priester ausgewirkt hat, indem nämlich die Entwicklung von Stammesdenken und Machtkämpfen gefördert wurde. Das ist dem Aufbau des Leibes Christi abträglich, und es stiftet Verwirrung unter den Gläubigen. Ich ermahne einen jeden, zu der tiefen priesterlichen Brüderlichkeit, die den geweihten Amtsträgern eigen ist, zurückzufinden, um die besondere Einheit zu verwirklichen, die die Menschen zu Christus zieht. Ihr sollt eure Priester ermutigen, einander gegenseitig zur brüderlichen Liebe anzuspornen, besonders indem ihr ihnen bestimmte Formen des Gemeinschaftslebens vorschlagt, um ihnen zu helfen, gemeinsam in der Heiligkeit zu wachsen und ihrer Berufung und ihrem Auftrag treu zu bleiben in voller Gemeinschaft mit euch.

Große Aufmerksamkeit sollt ihr außerdem der Qualität der Ausbildung eurer künftigen Priester widmen. Mit euch danke ich für die Großherzigkeit zahlreicher junger Männer, die den Aufruf Christi, ihm als Hirten in der Kirche zu dienen, gehört haben und zur Fortführung ihrer Entscheidungsfindung in die Seminare aufgenommen werden. Es kommt jedoch darauf an – und dies ist eine pastorale Pflicht des Bischofs als erstem Vertreter Christi in der Priesterausbildung –, daß die Kirche ihrer großen Verantwortung in der Begleitung und im Erkennen der Priesterberufungen immer besser nachkommt.

Dies gilt vor allem für die Wahl der Ausbilder, deren anspruchsvolle Arbeit ich an dieser Stelle würdigen möchte. Unter der Führung des Rektors entwickelt sich die Seminargemeinschaft um diese Personen. Ihre menschliche und spirituelle Reife, ihre Liebe zur Kirche und ihre pastorale Weisheit mögen ihnen dabei helfen, ihren schönen Auftrag, die geistlichen, menschlichen und intellektuellen Fähigkeiten der Priesteramtskandidaten zu prüfen, sicher und gerecht auszuüben. Abschließend möchte ich mir die Bemerkungen zu eigen machen, in denen die Synodenväter die grundlegenden Eigenschaften, die im Hinblick auf ein fruchtbringendes Priesteramt erworben werden müssen, ganz korrekt zum Ausdruck gebracht haben: »Man wird heute dafür Sorge tragen müssen, die künftigen Priester zu den echten kulturellen Werten der jeweiligen Länder zu erziehen, zum Sinn für Ehrlichkeit, Verantwortung und Treue zum gegebenen Wort. Sie sollen dahingehend ausgebildet werden, […] daß sie geistlich gefestigte Priester sind, verfügbar, der Sache des Evangeliums ergeben, fähig, das Vermögen der Kirche transparent zu verwalten und ein einfaches, ihrer Umgebung entsprechendes Leben zu führen« (Ecclesia in Africa, 95).

Liebe Brüder im Bischofsamt! Zum Schluß unserer Begegnung rufe ich euch zur Hoffnung auf. Seit über einem Jahrhundert wird die Frohe Botschaft in eurem Land verkündet. Ich danke dem Herrn für die hochherzige Arbeit aller an der Evangelisierung Beteiligten, unter ihnen viele Missionare, die die Einsetzung und das Wachstum eurer Kirche möglich gemacht haben. Heute ermahne ich euch zur mutigen Fortsetzung der von euren Vorgängern begonnenen Evangelisierung. Kirche Gottes in der Demokratischen Republik Kongo, verliere nie die Freude am Glauben und an der Verkündigung des Evangeliums Christi, unseres Erlösers! Gestützt von den Glaubenszeugen eures Landes, insbesondere von der sel. Marie-Clémentine Anuarite Nengapeta und dem sel. Isidore Bakanja, seien eure Gemeinden prophetische Zeichen einer von Christus erneuerten Menschheit, die von Ressentiments und Angst befreit ist. Ich vertraue euch der mütterlichen Fürsprache der Jungfrau Maria an und erteile euch von Herzen meinen Apostolischen Segen, den ich auf die Priester, die Ordensmänner und -frauen, die Katechisten und alle Laiengläubigen eurer Diözesen ausweite.

AN DIE MITGLIEDER DER

ITALIENISCHEN CHRISTLICHEN ARBEITERVERBÄNDE Clementina-Saal

Freitag, 27. Januar 2006




Verehrte Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Mitglieder der Italienischen Christlichen Arbeiterverbände!

Unsere heutige Begegnung findet aus Anlaß des 60. Jahrestages der Gründung der Italienischen Christlichen Arbeiterverbände statt. Ich grüße den Präsidenten Luigi Bobba und danke ihm herzlich für die freundlichen Worte, die er an mich gerichtet hat und die mich wirklich berührt haben; ich grüße die anderen Verantwortlichen und jeden einzelnen von euch. Einen besonderen Gruß richte ich an die Bischöfe und Priester, die euch begleiten und Sorge tragen um eure geistliche Bildung. Einführung des Festes des hl. Josef des Arbeiters Die Entstehung eures Verbandes geht auf den Weitblick und die Intuition Papst Pius’ XII. seligen Angedenkens zurück, der eine sichtbare und einflußreiche Präsenz der italienischen Katholiken in der Arbeitswelt schaffen wollte, wobei er sich der wertvollen Mitarbeit des damaligen Substituten des Staatssekretariats, Giovanni Battista Montini, bediente. Zehn Jahre später, am 1. Mai 1955, sollte derselbe Oberhirte dann das Fest des hl. Josef des Arbeiters einführen, um allen Arbeitern der Welt den Weg zur persönlichen Heiligung durch die Arbeit zu weisen und so der Mühe des Alltags die Perspektive einer echten Humanisierung zurückzugeben. Auch heute appelliert das Thema der »Arbeit«, die im Mittelpunkt rascher und komplexer Veränderungen steht, an das menschliche Gewissen und verlangt, das Wohl des einzelnen und der Gesellschaft, das die Orientierungsgrundlage für jede konkrete Entscheidung ist, nicht aus den Augen zu verlieren.

Auf dem Hintergrund dieser grundsätzlichen Treue zum ursprünglichen Plan Gottes möchte ich jetzt kurz mit euch und für euch die drei »Aufträge« oder »Treueversprechen« noch einmal betrachten, auf die ihr euch traditionell für eure verschiedenartigen Aktivitäten verpflichtet habt. Das erste »Treueversprechen«, das die ACLI zu leben berufen sind, ist die »Treue zu den Arbeitern«. Der Mensch ist »das Maß, an dem die Würde der Arbeit gemessen wird« (Kompendium der Soziallehre der Kirche, 271). Aus diesem Grund hat das Lehramt immer auf die menschliche Dimension der Arbeit verwiesen und hat sie so zu ihrem wahren Zweck zurückgeführt, ohne dabei zu vergessen, daß das Gebot der Sonntagsruhe die Krönung der biblischen Lehre über die Arbeit ist. Die Forderung, daß der Sonntag nicht den Werktagen gleichgemacht werde, ist daher eine Entscheidung zugunsten der Zivilisation.

Vom übergeordneten Stellenwert der Ethik in Bezug auf die menschliche Arbeit lassen sich weitere Prioritäten ableiten: der Vorrang des Menschen gegenüber der Arbeit (vgl. Laborem exercens LE 12), der Arbeit gegenüber dem Kapital (ebd.), der Bestimmung der Güter für alle gegenüber dem Recht auf Privatbesitz (ebd., 14): kurz gesagt, der Vorrang des Seins gegenüber dem Haben (ebd., 20). Diese Rangordnung der Prioritäten zeigt deutlich, daß der Bereich der Arbeit vollberechtigt zur anthropologischen Frage gehört. Heute tritt in dieser Hinsicht eine neue und nie dagewesene Kehrseite der mit dem Schutz des Lebens verbundenen sozialen Frage hervor. Wir leben in einer Zeit, in der Wissenschaft und Technik außergewöhnliche Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebensqualität aller Menschen bieten. Ein Mißbrauch dieser Macht kann jedoch zu einer ernsten und irreparablen Bedrohung für das Leben selbst werden. Daher muß die Lehre des geliebten Johannes Paul II., der uns aufforderte, das Leben als den neuen Horizont der sozialen Frage zu betrachten, noch einmal bekräftigt werden (vgl. Enzyklika Evangelium vitae EV 20). Der Schutz des Lebens von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende und überall dort, wo es bedroht, verletzt oder mit Füßen getreten wird, ist vorrangige Pflicht, in der eine wahre Ethik der Verantwortlichkeit zum Ausdruck kommt, die sich folgerichtig auch auf alle anderen Formen der Armut, der Ungerechtigkeit und der Ausgrenzung erstreckt.

Der zweite Auftrag, zu dem ich euch Mut zusprechen möchte, ist – in Übereinstimmung mit dem Geist eurer Gründerväter – die »Treue zur Demokratie«, denn nur sie kann die Gleichheit und die Rechte aller gewährleisten. Demokratie und Gerechtigkeit stehen nämlich in einer Art gegenseitiger Abhängigkeit voneinander, die alle Menschen auffordert, sich verantwortungsbewußt für den Schutz der Rechte jedes Menschen und besonders der Schwachen und Ausgegrenzten einzusetzen. Die Gerechtigkeit ist der Prüfstand für eine echte Demokratie. Unter diesen Voraussetzungen darf man nicht vergessen, daß die Suche nach der Wahrheit gleichzeitig die Bedingung ist, unter der eine echte Demokratie entstehen kann, die keine Scheindemokratie ist: »Eine Demokratie ohne Werte verwandelt sich, wie die Geschichte beweist, leicht in einen offenen oder hinterhältigen Totalitarismus« (Centesimus annus CA 46). Daher sind wir aufgefordert, an einer immer größeren Konsensbildung um den Rahmen gemeinsamer Bezugspunkte herum zu arbeiten. Andernfalls läuft die Berufung auf die Demokratie Gefahr, zur reinen Formalität zu werden, die Differenzen andauern läßt und Problematiken verschärft.

Der dritte Auftrag ist die »Treue zur Kirche«. Nur eine herzliche und leidenschaftliche Verbundenheit mit dem Weg der Kirche kann die Identität schaffen, die notwendig ist, um in jedem Teil der Gesellschaft und der Welt präsent zu sein, ohne dabei den Geschmack und den Duft des Evangeliums zu verlieren. Es ist kein Zufall, daß die Worte, die Johannes Paul II. am 1. Mai 1995 an euch gerichtet hat – »Nur das Evangelium erneuert die ACLI« – heute noch wegweisend für euren Verband sind, da sie euch ermutigen, das Wort Gottes zum Lebensmittelpunkt des Verbandes zu machen und die Evangelisierung als festen Bestandteil eurer Sendung zu betrachten. Die Anwesenheit der Priester, die euch im geistlichen Leben begleiten, hilft euch darüber hinaus, die Beziehungen zur Ortskirche aufzuwerten und den Einsatz für die Ökumene und den interreligiösen Dialog zu verstärken. Tragt als Laien und Angehörige eines christlichen Arbeiterverbandes stets Sorge um die Ausbildung eurer Mitglieder und Leiter, im Hinblick auf den besonderen Dienst, zu dem ihr berufen seid. Seid als Zeugen des Evangeliums und als Bauleute brüderlicher Verbundenheit in allen wichtigen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens mutig präsent.

Liebe Freunde, der rote Faden, der eure 60-Jahr-Feier durchzogen hat, war eine Neuinterpretation der traditionellen »Treueversprechen « in Anbetracht des vierten Auftrags, mit dem der verehrte Johannes Paul II. euch aufgerufen hat, »die Grenzen eurer Sozialarbeit zu erweitern« (Ansprache an die ACLI, 27. April 2002; in O.R. dt., Nr. 19, 10.5.2002, S. 9). Ein solches Bemühen um die Zukunft der Menschheit soll immer von christlicher Hoffnung beseelt sein. So werdet auch ihr als Zeugen des auferstandenen Christus, der Hoffnung für die Welt, dazu beitragen, der großen Tradition der Italienischen Christlichen Arbeiterverbände neue Dynamik zu verleihen und vom Heiligen Geist geleitet das Antlitz der Erde zu erneuern. Gott stehe euch bei, und die allerseligste Jungfrau Maria schütze euch, eure Familien und alle eure Initiativen. Mit Zuneigung segne ich euch und versichere euch meines besonderen Gedenkens im Gebet.

AN DIE MITGLIEDER DER RÖMISCHEN ROTA

ZUR FEIERLICHEN ERÖFFNUNG DES GERICHTSJAHRES Clementina-Saal

Samstag, 28. Januar 2006

Verehrte Richter, Offiziale und Mitarbeiter

des Apostolischen Gerichtshofs der Römischen Rota!

Fast ein Jahr ist vergangen seit dem letzten Treffen eures Gerichtshofs mit meinem geliebten Vorgänger Johannes Paul II., das den Abschluß einer langen Reihe von Begegnungen bildete. Von dem reichen Erbe, das er uns auch auf dem Gebiet des kanonischen Rechts hinterlassen hat, möchte ich heute die Aufmerksamkeit insbesondere auf die Instruktion Dignitas connubii lenken, die das Verfahren regelt, das bei Ehenichtigkeitsprozessen zu beachten ist. Mit ihr wollte man eine Art Vademecum erarbeiten, das die auf diesem Gebiet geltenden Normen nicht nur zusammenfaßt, sondern sie durch weitere Anordnungen bereichert, die für die rechte Anwendung der Normen notwendig waren. Der wichtigste Beitrag dieser Instruktion, die, wie ich wünsche, von den Mitarbeitern der kirchlichen Gerichtshöfe vollständig angewendet wird, besteht darin, aufzuzeigen, in welchem Maß und auf welche Weise in den Ehenichtigkeitsverfahren die Normen angewendet werden müssen, die in den Kanones bezüglich des ordentlichen Streitverfahrens enthalten sind, unter Beachtung der vorgeschriebenen besonderen Normen für Personenstandssachen und Sachen des öffentlichen Wohls.

Wie ihr sehr gut wißt, übersteigt die den Ehenichtigkeitsprozessen gewidmete Aufmerksamkeit immer mehr den Bereich der Spezialisten. Denn die kirchlichen Urteile auf diesem Gebiet wirken sich bei nicht wenigen Gläubigen auf die Möglichkeit aus, die eucharistische Kommunion empfangen zu können oder nicht. Gerade dieser vom Standpunkt des christlichen Lebens so entscheidende Aspekt erklärt, warum das Thema der Nichtigkeit der Ehe auch bei der jüngsten Bischofssynode über die Eucharistie wiederholt vorgebracht wurde. Auf den ersten Blick könnte es scheinen, daß die in den Arbeiten der Synode zum Ausdruck gebrachte pastorale Sorge und der Geist der in Dignitas connubii gesammelten Rechtsnormen weit auseinandergehen, ja beinahe entgegengesetzt sind. Einerseits könnte es scheinen, als hätten die Synodenväter die kirchlichen Gerichtshöfe eingeladen, sich dafür einzusetzen, daß die nicht kanonisch getrauten Gläubigen so bald wie möglich ihre eheliche Situation regeln und wieder zum eucharistischen Mahl hinzutreten können. Anderseits hat es aber den Anschein, die kanonische Gesetzgebung und die jüngste Instruktion würden diesem pastoralen Antrieb Grenzen setzen, als sei es die Hauptsorge, die vorgesehenen juridischen Formalitäten zu erledigen, unter der Gefahr, die pastorale Zielsetzung des Verfahrens außer acht zu lassen. Hinter diesem Ansatz verbirgt sich eine behauptete Gegensätzlichkeit zwischen Recht und Pastoral im allgemeinen. Ich möchte jetzt nicht erneut die Frage vertiefen, die schon Johannes Paul II. wiederholt, vor allem in seiner Ansprache an die Römische Rota von 1990 (vgl. O.R. dt., Nr. 5, 2.2.1990, S. 9f.), behandelt hat. Bei dieser ersten Begegnung mit euch will ich mich vielmehr auf das konzentrieren, was den grundlegenden Berührungspunkt zwischen Recht und Pastoral darstellt: die Liebe zur Wahrheit. Mit dieser Aussage schließe ich mich in geistiger Weise auch dem an, was euch mein verehrter Vorgänger in der Ansprache vom vergangenen Jahr gesagt hat (vgl. O.R. dt., Nr. 8, 25.2.2005, S. 7).

Der kanonische Ehenichtigkeitsprozeß ist im wesentlichen ein Mittel, um die Wahrheit über das Eheband festzustellen. Sein konstitutives Ziel ist daher nicht, das Leben der Gläubigen unnötig zu verkomplizieren und ebensowenig ihre Streitlust anzufachen, sondern nur der Wahrheit zu dienen. Im übrigen ist das Institut des Prozesses im allgemeinen kein Mittel an sich, um irgendein Interesse zu verfolgen, sondern ein qualifiziertes Mittel, um der Verpflichtung zur Gerechtigkeit, jedem das Seine zu geben, nachzukommen. Der Prozeß ist gerade in seiner Wesensstruktur ein Institut der Gerechtigkeit und des Friedens. Denn das Ziel des Prozesses ist die Erklärung der Wahrheit seitens eines unparteiischen Dritten, nachdem den Parteien gleiche Gelegenheit gegeben worden war, innerhalb eines angemessenen Zeitraums der Erörterung Argumente und Beweise vorzubringen. Dieser Austausch der Ansichten ist normalerweise notwendig, damit der Richter die Wahrheit erkennen und folglich das Verfahren nach Gerechtigkeit entscheiden kann. Jedes prozessuale System muß also darauf abzielen, die Objektivität, die Rechtzeitigkeit und die Wirksamkeit der richterlichen Entscheidungen sicherzustellen.

Auch auf diesem Gebiet ist die Beziehung zwischen Glaube und Vernunft von grundlegender Bedeutung. Wenn der Prozeß der rechten Vernunft entspricht, kann die Tatsache nicht verwundern, daß die Kirche das prozessuale Verfahren anwendet, um innerkirchliche Fragen rechtlicher Natur zu lösen. So hat sich eine nunmehr jahrhundertlange Tradition gefestigt, die in den kirchlichen Gerichten der ganzen Welt bis heute beibehalten wird. Man sollte sich auch vor Augen halten, daß das kanonische Recht in der Zeit des mittelalterlichen klassischen Rechts ganz erheblich dazu beigetragen hat, die Gestaltung des prozessualen Verfahrens selbst zu vervollkommnen. Seine Anwendung in der Kirche betrifft vor allem die Fälle, in denen, wenn die Streitfrage verfügbar ist, die Parteien eine Einigung finden könnten, die den Streit beilegt, was aber aus verschiedenen Gründen nicht geschieht. Die Anwendung des Prozeßweges bei der Suche nach der Bestimmung dessen, was gerecht ist, zielt nicht darauf ab, die Konflikte zu verschärfen, sondern sie menschlicher zu machen, indem Lösungen gefunden werden, die den Erfordernissen der Gerechtigkeit objektiv angemessen sind. Natürlich genügt diese Lösung allein nicht, weil die Personen Liebe brauchen, aber wenn es unvermeidlich ist, ist sie ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung. Die Prozesse können sich dann auch um Sachverhalte drehen, die über die Verfügungsfähigkeit der Parteien hinausgehen, insofern sie die Rechte der ganzen kirchlichen Gemeinschaft betreffen. Gerade in diesen Bereich gehört der Prozeß, der die Nichtigkeit einer Ehe erklärt. Denn die Ehe ist in ihrer zweifachen natürlichen und sakramentalen Dimension kein Gut, über das die Eheleute verfügen könnten, und ebensowenig ist es möglich, in Anbetracht ihrer sozialen und öffentlichen Natur irgendeine Art von Selbsterklärung anzunehmen.

Hier ergibt sich von selbst die zweite Bemerkung. Kein Prozeß ist streng gegen die andere Partei gerichtet, als ginge es darum, ihr einen ungerechten Schaden zuzufügen. Das Ziel ist nicht, jemandem ein Gut zu nehmen, sondern die Zugehörigkeit der Güter zu den Personen und den Institutionen zu bestimmen und zu schützen. Zu dieser für jeden Prozeß gültigen Überlegung kommt im Fall der Ehenichtigkeit noch eine weitere spezifische Überlegung hinzu. Hier gibt es kein zwischen den Parteien strittiges Gut, das der einen oder anderen Partei zuzusprechen wäre. Gegenstand des Prozesses ist hingegen, die Wahrheit zu erklären im Bezug auf die Gültigkeit oder Ungültigkeit einer konkreten Ehe, das heißt hinsichtlich einer Wirklichkeit, welche die Institution der Familie begründet und welche die Kirche und die zivile Gesellschaft im höchsten Maß betrifft. Deshalb kann man bekräftigen, daß in dieser Art von Prozessen die Adressatin des Antrags auf Erklärung die Kirche selbst ist. In Anbetracht der natürlichen Vermutung der Gültigkeit der formell geschlossenen Ehe bestellte mein Vorgänger Benedikt XIV., ein bedeutender Kanonist, den Bandverteidiger und machte dessen Beteiligung an besagten Prozessen zur Pflicht (vgl. Apostolische Konstitution Dei miseratione, 3. November 1741). Auf diese Weise wird die prozessuale Dialektik, die auf die Feststellung der Wahrheit ausgerichtet ist, in höherem Maße garantiert.

Das Kriterium der Suche nach der Wahrheit kann, ebenso wie es uns dazu anleitet, die Dialektik des Prozesses zu verstehen, auch dazu dienen, einen weiteren Aspekt der Frage zu erfassen: ihre pastorale Bedeutung, die von der Wahrheitsliebe nicht zu trennen ist. Denn es kann geschehen, daß die pastorale Liebe manchmal beeinträchtigt wird durch Haltungen, die den Menschen entgegenkommen wollen. Diese Haltungen scheinen pastoral zu sein, aber in Wirklichkeit entsprechen sie nicht dem Wohl der Personen und der kirchlichen Gemeinschaft; weil sie die Konfrontation mit der rettenden Wahrheit vermeiden, können sie sich geradezu als kontraproduktiv für die heilbringende Begegnung eines jeden mit Christus erweisen. Das Prinzip der Unauflöslichkeit der Ehe, das von Johannes Paul II. an dieser Stelle mit Nachdruck bekräftigt wurde (vgl. Ansprachen vom 21. Januar 2000, in O.R. dt., Nr. 7, 18.2.2000, S. 7f. und vom 28. Januar 2002, in O.R. dt., Nr. 8, 2.2.2002, S. 7f.), gehört zur Unversehrtheit des christlichen Mysteriums. Heute müssen wir leider feststellen, daß diese Wahrheit mitunter im Gewissen der Christen und der Menschen guten Willens verdunkelt ist. Gerade aus diesem Grund ist der Dienst trügerisch, den man den Gläubigen und den nichtchristlichen Eheleuten in Schwierigkeiten anbietet, wenn man in ihnen, vielleicht auch nur implizit, die Tendenz verstärkt, die Unauflöslichkeit der eigenen Ehe zu vergessen. So läuft gegebenenfalls das Eingreifen der kirchlichen Behörde in den Nichtigkeitsverfahren Gefahr, als reine Kenntnisnahme eines Scheiterns zu erscheinen.

Die in den Ehenichtigkeitsverfahren gesuchte Wahrheit ist jedoch keine abstrakte, vom Wohl der Personen losgelöste Wahrheit. Sie ist eine Wahrheit, die sich in den menschlichen und christlichen Weg jedes Gläubigen integriert. Es ist deshalb sehr wichtig, daß ihre Erklärung innerhalb eines vernünftigen Zeitraums erfolgt. Die göttliche Vorsehung weiß gewiß aus Bösem Gutes zu ziehen, auch wenn die kirchlichen Institutionen ihre Pflicht vernachlässigen oder Fehler begehen. Aber es ist eine dringende Pflicht, den Gläubigen das institutionelle Wirken der Kirche in den Gerichten immer näher zu bringen. Die pastorale Sensibilität muß dahin führen, daß man sich bemüht, den Ehenichtigkeiten schon bei der Zulassung zur Trauung vorzubeugen, und darauf hinwirkt, daß die Eheleute gegebenenfalls ihre Probleme lösen und den Weg der Versöhnung finden. Eben dieses pastorale Feingefühl muß angesichts der tatsächlichen Situation der Personen auch dazu führen, die Wahrheit zu verteidigen und die Normen anzuwenden, die vorgesehen sind, um sie im Prozeß zu schützen.

Ich hoffe, daß diese Überlegungen deutlich machen können, wie die Liebe zur Wahrheit die Institution des kanonischen Ehenichtigkeitsprozesses mit dem wahren pastoralen Sinn verbindet, der diese Prozesse erfüllen soll. Unter diesem Blickwinkel betrachtet, erweisen sich die Instruktion Dignitas connubii und die Sorgen, die in der letzten Synode vorgebracht wurden, als völlig übereinstimmend. Meine Lieben, diese Harmonie herbeizuführen ist die schwierige und faszinierende Aufgabe, für deren diskrete Erfüllung die kirchliche Gemeinschaft euch sehr dankbar ist. Mit dem herzlichen Wunsch, daß eure richterliche Tätigkeit zum Wohl all derer beitrage, die sich an euch wenden, und ihnen helfe in der persönlichen Begegnung mit der Wahrheit, die Christus ist, segne ich euch voll Dankbarkeit und Zuneigung.

Februar 2006


AN DEN NEUEN BOTSCHAFTER DES KÖNIGREICHS MAROKKO

BEIM HL. STUHL, ALI ACHOUR Montag, 20. Februar 2006


Herr Botschafter!

Ich freue mich, Eure Exzellenz anläßlich der Überreichung Ihres Beglaubigungsschreibens als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter Marokkos beim Heiligen Stuhl zu begrüßen.

Ich danke Ihnen für die liebenswürdigen Worte, die Sie an mich gerichtet haben, und für die freundlichen Grüße, die Seine Majestät König Mohammed VI. mir durch Sie übermitteln ließ. Indem ich noch einmal meine Wertschätzung für die traditionelle Gastfreundschaft und Verständigung ausspreche, die seit langer Zeit die Beziehungen des Königreiches Marokko zur katholischen Kirche kennzeichnet, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie meinerseits Seine Majestät meiner herzlichen Wünsche für seine Person sowie für das Glück und Wohlergehen des edlen marokkanischen Volkes versichern würden. Fortschritte in Richtung einer demokratischen Zukunft

Herr Botschafter, Sie haben mir von den Bemühungen berichtet, die von Ihrem Land, das eben den 50. Jahrestag seiner Unabhängigkeit begangen hat, unternommen werden, um Fortschritte in Richtung einer modernen, demokratischen und gedeihlichen Zukunft zu machen.

Man kann sich nur freuen über diese Fortschritte, die allen Marokkanern ein Leben in Sicherheit und Würde ermöglichen sollen, so daß jeder aktiv am gesellschaftlichen und politischen Leben des Landes teilnehmen kann. Eine echte Demokratie erfordert nämlich einen Konsens über eine Reihe von Grundwerten, wie die transzendente Würde der menschlichen Person, die Achtung der Menschenrechte, das »Gemeinwohl« als Ziel und Kriterium für die Regelung des politischen Lebens (vgl. Kompendium der Soziallehre der Kirche, 407).

Andererseits soll eine, schon vor mehreren Jahren begonnene, immer engere Zusammenarbeit zwischen den Anrainerländern des Mittelmeeres sich mit Entschlossenheit und Ausdauer nicht nur den Fragen der Sicherheit und des Friedens in der Region stellen, sondern sich auch des Problems der Entwicklung der Gesellschaften und der einzelnen Menschen annehmen und sich dabei neu der Pflicht zu Solidarität und Gerechtigkeit bewußt werden. Deshalb ist der Mittelmeerraum mehr denn je dazu berufen, ein Ort der Begegnung und des Dialogs zwischen den Völkern und zwischen den Kulturen zu sein.

Unter den schwerwiegenden Problemen, welche die Anrainerländer des Mittelmeeres zu bewältigen haben, stellt das Phänomen der Migration einen komplexen Tatbestand in den Beziehungen zwischen den Staaten dar. Die Migranten aus benachteiligten Regionen klopfen auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen in immer größerer Zahl an die Türen Europas, was eine ständig wachsende Zahl von ihnen in die Illegalität führt und mitunter Situationen schafft, die die Würde und Sicherheit der Menschen ernsthaft in Frage stellen.

Genauso müssen die Institutionen der Aufnahme- bzw. der Transitländer dafür sorgen, die Migranten nicht als Ware oder bloße Arbeitskräfte zu betrachten und ihre Grundrechte und ihre menschliche Würde zu achten. Die schwierige Situation so vieler Ausländer sollte die Solidarität zwischen den betroffenen Staaten fördern, um zur Entwicklung der Herkunftsländer der Migranten beizutragen.

Diese Probleme können nämlich nicht von der nationalen Politik im Alleingang gelöst werden. Durch eine immer intensivere Zusammenarbeit zwischen allen betroffenen Ländern wird die Suche nach Lösungen für diese leidvollen Situationen wirksame Fortschritte machen.

Herr Botschafter, Sie haben den Beitrag Ihres Landes zur Stärkung des Dialogs zwischen den Zivilisationen, Kulturen und Religionen hervorgehoben. In der internationalen Lage, die wir gegenwärtig erleben, ist die katholische Kirche ihrerseits davon überzeugt, daß es zur Förderung des Friedens und der Verständigung zwischen den Völkern und zwischen den Menschen notwendig und dringend geboten ist, die Religionen und ihre Symbole zu respektieren; die Gläubigen dürfen nicht zur Zielscheibe von Provokationen werden, die ihre Einstellung und ihre religiösen Gefühle verletzen.

Intoleranz und Gewalt jedoch lassen sich niemals als Antwort auf Beleidigungen rechtfertigen, denn solche Reaktionen sind mit den unantastbaren Grundsätzen der Religion nicht vereinbar. Man kann deshalb das Vorgehen jener Menschen, die bewußt die Verletzung religiöser Gefühle ausnutzen, um zu Gewalttaten anzustiften, nur beklagen; und das um so mehr, als es hier um Ziele geht, die mit der Religion nichts zu tun haben.

Für die Gläubigen sowie für alle Menschen guten Willens ist der einzige Weg, der zu Frieden und Brüderlichkeit führen kann, die Überzeugungen und religiösen Ausdrucksformen des anderen zu respektieren, damit durch gegenseitigen Respekt in allen Gesellschaften für jeden einzelnen die Ausübung der von ihm frei gewählten Religion wirklich sichergestellt ist. Durch Ihre Vermittlung,

Herr Botschafter, möchte ich auch einen herzlichen Gruß an die Mitglieder der katholischen Gemeinschaft in Marokko und ihre Hirten richten. Möge es ihnen ein Herzensanliegen sein, ihre christliche Berufung mit Freude zu leben, indem sie immer hochherziger und in fruchtbarer Zusammenarbeit mit allen Zeugnis geben von der Liebe Gottes zu allen Menschen!

In diesem Augenblick, wo Eure Exzellenz Ihr hohes Amt beim Heiligen Stuhl antreten, spreche ich Ihnen meine besten Wünsche für die vornehme Aufgabe aus, die Sie erwartet. Bei meinen Mitarbeitern werden Sie stets das aufmerksame Entgegenkommen und das freundliche Verständnis finden, dessen Sie bedürfen.

Auf Eure Exzellenz, auf Ihre Familie, auf Ihre Mitarbeiter, auf das marokkanische Volk und seine Verantwortlichen rufe ich von ganzem Herzen den reichen Segen des Allerhöchsten herab.



AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG DER KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE Clementina-Saal

Freitag, 10. Februar 2006

Meine Herren Kardinäle,

verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Es freut mich, die Kongregation für die Glaubenslehre am Schluß ihrer Vollversammlung zu empfangen. Ich hatte die Freude, ihr über 20 Jahre lang im Auftrag meines Vorgängers, des verehrten Papstes Johannes Paul II., vorzustehen. Eure Gesichter rufen mir auch die Gesichter derer in Erinnerung, die in diesen Jahren mit dem Dikasterium zusammengearbeitet haben. Ich denke an alle voll Dankbarkeit und Zuneigung. Denn ich kann nicht umhin, mit innerer Bewegung an diese so intensive und fruchtbringende Zeit zu denken, die ich in der Kongregation verbracht habe, der die Aufgabe zukommt, die Lehre über den Glauben und die Sitten in der ganzen katholischen Kirche zu fördern und zu schützen (vgl. Pastor Bonus, 48).

Im Leben der Kirche hat der Glaube eine grundlegende Bedeutung, denn das Geschenk, das Gott von sich selbst in der Offenbarung macht, ist grundlegend, und diese Selbsthingabe Gottes wird im Glauben angenommen. Hier wird die Bedeutung eurer Kongregation deutlich, die in ihrem Dienst an der ganzen Kirche und insbesondere an den Bischöfen, den Glaubenslehrern und Hirten, aufgerufen ist, im Geist der Kollegialität gerade die Zentralität des katholischen Glaubens in seinem authentischen Ausdruck zu fördern und ins Licht zu stellen. Wenn das Verständnis dieser Zentralität schwindet, verliert auch das Gefüge des kirchlichen Lebens seine ursprüngliche Lebendigkeit und verschleißt, weil es in einen sterilen Aktivismus verfällt oder auf eine Art politisches Kalkül mit weltlichem Charakter verkürzt wird. Wenn die Glaubenswahrheit hingegen mit Einfachheit und Entschlossenheit in die Mitte des christlichen Lebens gestellt wird, wird das Leben des Menschen von einer Liebe angeregt und belebt, die keinen Halt und keine Grenzen kennt, wie ich auch in meiner jüngsten Enzyklika Deus caritas est betont habe.

Aus dem Herzen Gottes gießt sich die Liebe durch das Herz Jesu Christi kraft seines Geistes über die Welt aus als Liebe, die alles neu macht. Diese Liebe erwächst aus der Begegnung mit Christus im Glauben: »Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluß oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt« (Deus caritas Est 1). Jesus Christus ist die Person gewordene Wahrheit, die die Welt zu sich hinzieht. Das von Jesus ausstrahlende Licht ist Glanz der Wahrheit. Jede andere Wahrheit ist ein Fragment der Wahrheit, die er ist, und weist auf ihn hin. Jesus ist der Polarstern der menschlichen Freiheit; ohne ihn verliert sie ihre Ausrichtung, denn ohne die Erkenntnis der Wahrheit entartet die Freiheit, sie isoliert sich und wird zu steriler Willkür. Mit Jesus findet sich die Freiheit wieder, sie erkennt, daß sie für das Gute gemacht ist, und kommt in Handlungen und Verhaltensweisen der Nächstenliebe zum Ausdruck.

Jesus schenkt deshalb dem Menschen die völlige Vertrautheit mit der Wahrheit und lädt ihn ein, ständig in ihr zu leben. Die Wahrheit wird als Wirklichkeit angeboten, die den Menschen erbaut und ihn zugleich übersteigt und überragt; sie wird als Geheimnis angeboten, das den Schwung der menschlichen Fassungskraft aufnimmt und gleichzeitig überschreitet. Nichts vermag die menschliche Intelligenz so auf unerforschte Horizonte hin zu leiten, wie es die Liebe zur Wahrheit tut. Jesus Christus, der die Fülle der Wahrheit ist, zieht das Herz jedes Menschen an sich, läßt es weit werden und erfüllt es mit Freude. Denn nur die Wahrheit ist imstande, den Geist zu durchdringen und ihm vollkommene Freude zu schenken. Diese Freude weitet die Dimensionen des menschlichen Herzens, indem sie es von der Enge des Egoismus befreit und zur wahren Liebe befähigt. Die Erfahrung dieser Freude bewegt und führt den Menschen zur freiwilligen Anbetung, nicht zu einem sklavischen Niederbücken, sondern zur Verneigung des Herzens vor der Wahrheit, die es gefunden hat.

Deshalb ist der Dienst am Glauben, der Zeugnis gibt für Ihn, der die ganze Wahrheit ist, auch Dienst an der Freude, und Christus will diese Freude in der Welt verbreiten: die Freude des Glaubens an ihn, die Freude der Wahrheit, die durch ihn mitgeteilt wird, und des Heils, das von ihm kommt! Diese Freude spürt das Herz, wenn wir uns niederknien, um Jesus im Glauben anzubeten! Diese Liebe zur Wahrheit inspiriert und leitet auch die Hinwendung der Christen zur Welt von heute und den Einsatz der Kirche in der Evangelisierung. Diese Themen habt ihr während der Arbeiten der Vollversammlung eingehend behandelt. Die Kirche begrüßt mit Freude die wahren Errungenschaften des menschlichen Wissens und erkennt, daß die Evangelisierung sich auch den Perspektiven und Herausforderungen stellen muß, die das moderne Wissen eröffnet. In der Tat haben die großen Fortschritte der Wissenschaft, die wir im vergangenen Jahrhundert erlebt haben, auch zum besseren Verständnis des Geheimnisses der Schöpfung verholfen, indem sie das Gewissen der Völker tief beeinflußt haben. Aber die Fortschritte der Wissenschaft entwickelten sich manchmal so rasch, daß es sehr kompliziert war zu erkennen, inwieweit sie mit den Wahrheiten zu vereinbaren sind, die Gott über den Menschen und die Welt geoffenbart hat. In einigen Fällen waren einige Aussagen der Wissenschaft diesen Wahrheiten geradezu entgegengesetzt. Das mag unter den Gläubigen eine gewisse Verwirrung gestiftet und auch zu Schwierigkeiten bei der Verkündigung und Aufnahme des Evangeliums geführt haben. Von entscheidender Bedeutung ist also jedes Forschen, das sich vornimmt, die Erkenntnis der von der Vernunft entdeckten Wahrheiten zu vertiefen, in der Gewißheit, daß es »keinen Konkurrenzkampf zwischen Vernunft und Glaube« gibt (Fides et ratio, 17).

Wir brauchen keine Angst zu haben, dieser Herausforderung zu begegnen. Denn Jesus Christus ist der Herr der ganzen Schöpfung und Geschichte. Der Glaubende weiß, daß »alles durch ihn und auf ihn hin geschaffen ist … und in ihm alles Bestand hat« (Col 1,16 Col 1,17). Wenn wir Christus, die Mitte des Kosmos und der Geschichte, tiefer erkennen, können wir den Menschen von heute zeigen, daß der Glaube an ihn für die Geschicke der Menschheit von Bedeutung ist. Ja, er ist die Vollendung alles wahrhaft Menschlichen. Nur mit dieser Perspektive werden wir dem suchenden Menschen überzeugende Antworten bieten können. Dieses Bemühen ist entscheidend für die Verkündigung und Verbreitung des Glaubens in der Welt von heute. Ein solcher Einsatz muß im Evangelisierungsauftrag Priorität haben. Der Dialog zwischen Glaube und Vernunft, Religion und Wissenschaft, bietet nicht nur die Möglichkeit, dem Menschen von heute wirksamer und überzeugender die Vernünftigkeit des Glaubens an Gott zu zeigen, sondern auch zu zeigen, daß die endgültige Vollendung jedes wahrhaft menschlichen Bestrebens in Jesus Christus besteht. Jede ernsthafte Evangelisierungsarbeit darf die Fragen, die auch aus den wissenschaftlichen Entdeckungen und philosophischen Instanzen heute erwachsen, in diesem Sinn nicht außer acht lassen.

Die Sehnsucht nach Wahrheit gehört zur Natur des Menschen selbst, und die ganze Schöpfung ist eine großartige Einladung, die Antworten zu suchen, die die menschliche Vernunft für die umfassende Antwort öffnen, die sie schon immer sucht und erwartet: »Die Wahrheit der christlichen Offenbarung, der wir in Jesus von Nazaret begegnen, ermöglicht jedem, das ›Geheimnis‹ des eigenen Lebens anzunehmen, sie achtet zutiefst die Autonomie des Geschöpfes und seine Freiheit, verpflichtet es aber im Namen der Wahrheit, sich der Transzendenz zu öffnen. Hier erreicht das Verhältnis von Freiheit und Wahrheit seinen Höhepunkt, und man versteht voll und ganz das Wort des Herrn: ›Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien‹ (Jn 8,32)« (Fides et ratio, 15).

Hier findet die Kongregation den Beweggrund für ihren Einsatz und den Horizont ihres Dienstes. Euer Dienst an der Fülle des Glaubens ist ein Dienst an der Wahrheit und damit an der Freude, einer Freude, die aus der Tiefe des Herzens kommt und aus dem Abgrund der Liebe strömt, den Christus durch sein am Kreuz geöffnetes Herz aufgerissen hat und den sein Geist mit unerschöpflicher Großzügigkeit in der Welt verbreitet. Aus dieser Sicht kann euer lehrmäßiger Dienst in treffender Weise »pastoral« genannt werden. Denn euer Dienst ist ein Beitrag zur vollständigen Verbreitung des Lichtes Gottes in der Welt! Möge das Licht des Glaubens, in seiner Fülle und Unversehrtheit ausgedrückt, immer eure Arbeit erhellen und der »Stern« sein, der euch leitet und euch hilft, das Herz der Menschen zu Christus zu führen! Das ist die schwere und reizvolle Aufgabe, die der Sendung des Nachfolgers Petri zusteht, an der mitzuarbeiten ihr berufen seid. Danke für eure Arbeit und für euren Dienst!

Mit diesen Empfindungen erteile ich euch allen meinen Segen.
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Benedikt XVI Predigten 17