(Contra Haereses) 428

28. Kapitel: Lohn oder Strafe, beides nach Verdienst

428 1.

Hier wie dort also ist die strafende Gerechtigkeit Gottes dieselbe, dort vorbildlich, zeitlich, gemäßigter; hier eigentlich, ewig und strenger. Denn das ewige Feuer und der Zorn Gottes, der vom Himmel her sich offenbaren wird, von dem auch David sagt: „Das Angesicht des Herrn über denen, welche Böses tun, damit er von der Erde ihr Andenken vertilge“ (
Ps 33,17), bedeutet eine strengere Strafe für die, welche ihr verfallen. Wenn also einige nach den Strafen, welche die trafen, die Gott ehemals nicht gehorchten, einen anderen Vater einzuführen versuchen, indem sie entgegenhalten, wieviel andererseits der Herr bei seiner Ankunft getan hat, um diejenigen zu retten, welche ihn aufnahmen, da er sich ihrer erbarmte, so werden diese von den Priestern als unverständig erwiesen. Sie schweigen nämlich von seinem Gerichte und allem, was die treffen wird, welche seine Worte hörten und nicht taten (Lc 11,28) , daß es ihnen besser wäre, wenn sie nicht geboren wären (Mt 26,24) , und daß es erträglicher Sodoma und Gomorrha ergehen wird (Mt 10,15) , als jener Stadt, welche die Worte seiner Schüler nicht aufnahm.



2.

Wie nämlich im Neuen Testamente der Gottesglaube der Menschen wuchs und als Zusatz[91] den Sohn Gottes bekam, damit der Mensch Gottes teilhaftig werde, so wuchs auch die für den Wandel erforderliche Sorgfalt, indem wir nicht nur von bösen Werken uns enthalten sollen, sondern auch von solchen Gedanken, müßigen Reden, eitlen Gesprächen, schlüpfrigen Worten. Und eben so ist auch die Strafe derer gewachsen, die dem Worte Gottes nicht glauben, seine Ankunft verachten und sich rückwärts wenden. Aus der zeitlichen ist eine ewige Strafe geworden. Denn, zu denen Gott spricht: „Weichet von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer“ (Mt 25,41), die werden auf immer verdammt sein, und zu denen er spricht: „Kommet, ihr Gesegneten meines Vaters, und empfanget die Erbschaft des Reiches, das euch für ewig bereitet ist“ (Ebd. 25,34), die werden immer das Reich empfangen und zunehmen. Ein und derselbe Gott und sein Wort, wenn auch auf verschiedenen Wegen, standen immer dem menschlichen Geschlecht bei und wirkten vieles. Er rettete von Anfang an die, welche gerettet wurden, d. h. die, welche Gott lieben und nach Ihrer Art dem Worte Gottes folgen. Und er verurteilt die, welche verurteilt werden, d. h. die, welche Gott vergessen, ihn lästern und sein Wort übertreten.



3.

Denn die vorgenannten Häretiker haben sich selbst abgesondert, indem sie Gott anklagen, an den sie vorgeblich glauben. Was sie nämlich Gott vorwerfen, daß er damals die Ungläubigen zeitlich gestraft und die Ägypter geschlagen hat, die Gehorsamen aber rettete, das fällt geradeso auf den Herrn zurück, der auf ewig die Verurteilten verurteilt und auf ewig freiläßt, welche er freiläßt, und er wird sogar nach ihren Darlegungen als die Ursache der größten Sünde für die erscheinen, welche an ihn Hand anlegten und ihn durchbohrten. Wäre er nämlich nicht so gekommen, so wären freilich jene nicht die Mörder des Herrn geworden, und wenn er zu ihnen die Propheten nicht geschickt hätte, so hätten sie die Propheten nicht getötet, und ähnlich mit den Aposteln. Denen also, die uns vorhalten: Wären die Ägypter nicht geschlagen und auf der Verfolgung Israels im Meere ertränkt worden, so hätte Gott sein Volk nicht retten können, ist dies entgegen zu halten: Wären also die Juden nicht die Mörder des Herrn geworden, was sie das ewige Leben kostete, so hätten sie die Apostel nicht getötet und die Kirche nicht verfolgt, weswegen sie in die Tiefe des Zornes stürzten, und so hätten wir nicht gerettet werden können. Denn wie jene durch die Blindheit der Ägypter, so empfangen auch wir durch die Blindheit der Juden das Heil. Wenn nämlich der Tod des Herrn denjenigen, welche ihn ans Kreuz hefteten und an seine Ankunft nicht glaubten, zur Verdammnis gereicht, so dient er zur Rettung denen, die an ihn glauben. Denn auch der Apostel sagt im zweiten Briefe an die Korinther: „Christi Wohlgeruch sind wir für Gott sowohl unter denen, die gerettet werden, als auch unter denen, die verloren gehen; einigen also ein Geruch des Todes zum Tode, einigen aber ein Geruch des Lebens zum Leben“ (2Co 2,15 f.). Für wen also ist er ein Geruch des Todes zum Tode, wenn nicht für die, welche nicht glauben und dem Worte Gottes nicht gehorchen? Wer sind aber die, welche sich damals dem Tode überlieferten? Doch nur die, welche nicht glauben und Gott nicht gehorchen. Wer aber wiederum wurde gerettet and empfing die Erbschaft? Doch die, welche Gott glauben und die Liebe zu ihm bewahrten, wie Chaleb Jephone und Jesus Nave (Nb 14,30) und die unschuldigen Knaben (Mt 2,16) , welche vom Bösen nichts verstanden. Wer sind aber die, welche gerettet werden und das ewige Leben erhalten? Doch die, welche Gott lieben, seinen Verheißungen glauben und in Bezug auf das Böse kleine Kinder geworden sind.





29. Kapitel: In wiefern Gott das Herz Pharaos verhärtete

429 1.

Aber er verhärtete, sagen jene, das Herz des Pharao und seiner Diener (
Ex 9,35) . Die dies einwenden, lesen nicht die Stelle im Evangelium, wo der Herr seinen Jüngern auf ihre Frage: „Warum sprichst du zu ihnen in Gleichnissen?“ antwortete: „Euch ist es gegeben, das Geheimnis des Himmelreiches zu erkennen. Zu jenen aber spreche ich in Gleichnissen, damit sie sehen und nicht sehen, hören und nicht hören, einsehen und nicht verstehen, damit gegen sie die Prophezeiung des Isaias erfüllt wird, die da sagt: Verhärte das Herz dieses Volkes und ihre Ohren verdunkele und ihre Augen verblende! Glücklich aber eure Augen, die sehen, was ihr sehet, und eure Ohren, die hören, was ihr höret“ (Mt 13,10 ff.). Denn ein und derselbe Gott macht blind die, welche an ihn nicht glauben und ihn verleugnen, wie sein Geschöpf, die Sonne, die blendet, welche wegen irgend einer Schwäche der Augen ihr Licht nicht schauen können; denen aber, die ihm glauben und folgen, verleiht er eine vollere und höhere Erleuchtung des Verstandes. In diesem Sinne sagt auch der Apostel im zweiten Korintherbriefe; „Darin verblendete der Gott dieser Welt die Herzen der Ungläubigen, damit nicht leuchte die Erleuchtung des Evangeliums der Herrlichkeit Christi“ (2Co 4,4), Und abermals im Briefe an die Römer: „Und wie sie die Erkenntnis Gottes verwarfen, überlieferte sie Gott in ihrem verwerflichen Sinn, zu tun, was sich nicht schickt“ (Rm 1,28). Im zweiten Briefe an die Thessalonicher aber sagte er deutlich von dem Antichrist: „Und deshalb wird Gott ihnen schicken die Wirkung des Irrtums, damit sie der Lüge glauben, damit alle gerichtet werden, welche der Wahrheit nicht glaubten, sondern einwilligten in die Bosheit“ (2Th 2,11 f.).



2.

Da nun Gott alles vorausweiß, so überläßt er die, von denen er weiß, daß sie nicht glauben werden ihrem Unglauben, wendet sein Angesicht von solchen ab und läßt sie in der Finsternis zurück, die sie sich selbst erwählt haben. Was Wunder also, wenn er den Pharao, der ja niemals geglaubt hätte, samt seinem Anhang dem Unglauben preisgab? So spricht das Wort aus dem Dornbusche zu Moses: „Ich aber weiß, daß Pharao, der König von Ägypten, euch nicht wird fortziehen lassen, wenn nicht in meiner starken Hand“ (Ex 3,19). Und geradeso wie der Herr in Gleichnissen redete und Israel verblendete, damit sie sehen sollten und nicht sehen, da er ihren Unglauben kannte, geradeso verhärtete er auch das Herz des Pharao, damit er sah, daß es der Finger Gottes ist, der das Volk herausführt, und doch nicht glaubte, sondern sich in das Meer des Unglaubens stürzte, weil er wähnte, daß ihr Auszug durch eine Zauberkraft geschähe, und daß das Rote Meer nicht infolge göttlicher Kraft dem Volk den Durchgang gewähre, sondern daß es so natürlich zugehe.





30. Kapitel: Weshalb das jüdische Volk die ägyptischen Schätze mitnahm

430 1.

Die aber daraus einen Vorwurf ableiten, daß das Volk bei seiner Abreise auf Befehl Gottes all die verschiedenen Gefäße und Kleidungsstücke von den Ägyptern mitgehen ließ (Ebd. 11,2; 12,35) , aus denen sogar das Zelt in der Wüste gemacht worden ist, die verkennen die gerechten Anordnungen Gottes und klagen sich selbst an, wie auch der Priester sagte. Wenn Gott nämlich in dem vorbildlichen Aufbruch dies nicht gestattet hätte, so könnte auch heute niemand gerettet werden bei unserem Aufbruch, d. h. in dem neuen Glauben, durch den wir aus der Zahl der Heiden herausgehoben sind. Denn uns allen folgt ein großer oder kleiner Besitz, den wir aus dem „Mammon der Ungerechtigkeit“ (
Lc 16,9)erworben haben. Woher ist das Haus, in dem wir wohnen, die Kleider, die wir anhaben, die Gefäße, die wir gebrauchen, und all das übrige, das uns zum täglichen Lebensunterhalt dient, wenn nicht aus dem, was wir noch als Heiden in Habsucht erworben haben oder von heidnischen Eltern, Verwandten oder Freunden, die da ungerecht erwarben, erhalten haben? Davon zu schweigen, dass wir auch jetzt noch als Gläubige Erwerb suchen. Wer nämlich verkauft und will nicht von dem Käufer gewinnen? Wer aber kauft und will nicht von dem Kaufe einen Nutzen haben? Welcher Handelsmann aber treibt nicht deswegen seinen Handel, um sich davon zu ernähren? Und die Gläubigen am Hofe des Königs, haben sie nicht aus dem Eigentum des Herrschers ihren Unterhalt und gibt nicht jeder von ihnen denen, die nicht haben, soviel er kann? Die Ägypter schuldeten dem jüdischen Volke nicht nur tote Dinge, sondern auch ihr Leben wegen der früheren Güte des Patriarchen Joseph. Was aber schulden uns die Heiden, von denen wir Gewinn und Nutzen ziehen? Was jene mit Mühe herbeischaffen, das gebrauchen wir Gläubige mühelos.



2.

Außerdem stand das Volk bei den Ägyptern unter der schlimmsten Knechtschaft, wie die Schrift sagt: „Und Gewalt übten die Ägypter gegen die Söhne Israels und machten ihnen mit harten Arbeiten in Lehm und Backstein und all den Arbeiten, die sie auf den Feldern zu leisten hatten, das Leben zum Überdruß. Mit all diesen Arbeiten drückten sie sie gewaltsam“ (Ex 1,13 f.). Und sie bauten ihnen befestigte Städte mit vieler Mühe und vermehrten ihre Habe viele Jahre durch allerlei Frondienst; aber jene waren nicht nur undankbar gegen sie, sondern wollten sie alle vertilgen. Was war also Unrechtes dabei, wenn sie von vielem weniges nahmen? Sie hätten, wenn sie ihnen nicht gedient hätten, vielen Besitz haben und reich abziehen können; sie zogen aber arm von dannen mit ganz kleinem Lohn für große Arbeit. Wenn ein freier Mann von einem mit Gewalt fortgeführt würde, ihm viele Jahre diente und sein Vermögen vermehrte, alsdann einen kleinen Vorteil gewänne und fortgehen würde scheinbar mit fremdem Eigentum, in Wahrheit aber nur mit kleinem Lohn für seine vielen Arbeiten und Anstrengungen, und ihm dies von jemand als Unrecht ausgelegt würde, so wird noch ungerechter der Richter erscheinen, als der, welcher mit Gewalt in die Knechtschaft gebracht war. Ganz von der gleichen Art sind auch jene, welche dem Volke es anrechnen, daß es weniges von vielem nahm, jenen aber es nicht anrechnen, daß sie für die Wohltat ihrer Vorfahren ganz undankbar waren und sie sogar in die schwerste Knechtschaft brachten und den größten Nutzen aus ihnen zogen. Jene sollen unrecht gehandelt haben, wenn sie umgeprägtes Gold und Silber in wenigen Gefäßen, wie gesagt, mit sich nahmen; sie selbst aber — die Wahrheit nämlich muß man sagen, auch wenn sie einem lächerlich erscheint — glauben recht zu tun, wenn sie das mit fremder Mühe geprägte Gold, Silber oder Erz mit der Inschrift und dem Bildnis des Kaisers in ihren Gürteln bei sich tragen.



3.

Zieht man einen Vergleich zwischen uns und ihnen, wer nahm dann offenbar mit größerem Recht? Das Volk von den Ägyptern, die in jeder Hinsicht seine Schuldner waren, oder wir von den Römern und anderen Heidenvölkern, die uns gar nichts schulden? Durch sie hat auch die Welt Friede, und furchtlos wandeln wir auf ihren Straßen und segeln, wohin wir wollen. Auf solche paßt also das Wort des Herrn: „Du Heuchler, ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge und dann magst du sehen, fortzunehmen den Splitter aus dem Auge deines Bruders“ (Mt 7,5). Wenn also der, welcher dir dies vorhält und sich seiner Erkenntnis rühmt, sich abgesondert hat von der Gemeinschaft mit den Heiden und gar nichts Fremdes an sich trägt, sondern schlechthin nackt und barfuß und ohne Haus im Gebirge wandelt, wie einige von den Tieren, die sich nur von Kräutern nähren, dann wird man es ihm verzeihen, weil er eben unsere Lebensbedürfnisse nicht kennt. Wenn er aber von den Menschen das sog. fremde Gut annimmt und den Typus tadelt, dann zeigt er sich selber als ganz ungerecht und sein Vorwurf prallt auf ihn zurück. Denn offenbar trägt er Fremdes an sich und begehrt, was nicht sein ist, und deswegen sagte der Herr: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet, denn mit welchem Gerichte ihr richten werdet, wird man euch richten“ (Ebd. 7,1 f.). Dies sagte er nicht etwa, damit wir die Fehlenden nicht zurückweisen oder dem Bösen beistimmen, sondern damit wir die Anordnungen Gottes nicht ungerecht beurteilen, da er alles, was gut und recht ist, vorausgesehen hat. Weil er nämlich wußte, daß wir mit unserem Vermögen, das wir von anderen empfingen, gut umgehen würden, sprach er: „Wer zwei Röcke hat, gebe dem, der nicht hat, und wer Speise hat, tue ähnlich“ (Lc 3,11). Und: „Ich war nämlich hungrig, und ihr gabt mir zu essen, ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet“ (Mt 25,35). Und: „Wenn du Barmherzigkeit tust, möge deine Linke nicht wissen, was deine Rechte tut“ (Ebd. 6,3). Durch diese und andere Wohltaten werden wir gerechtfertigt, indem wir gleichsam mit Fremdem das Unsrige einkaufen. Von Fremdem aber rede ich nicht etwa, als ob die Welt für Gott etwas Fremdes wäre, sondern weil wir die Gaben solcher Art von anderen erhalten haben, ähnlich wie jene von den Ägyptern, die Gott nicht kannten. Und aus diesen Dingen erbauen wir uns das Zelt Gottes, indem in denen, welche Gutes tun, gemäß dem Worte des Herrn Gott wohnt: „Machet euch Freunde mit dem Mammon der Ungerechtigkeit, damit diese, wenn ihr vertrieben sein werdet, euch in die ewiges Zelte aufnehmen“ (Lc 16,9). Denn was immer wir noch als Heiden von der Ungerechtigkeit erworben haben, das verwenden wir als Gläubige zum Nutzen des Herrn und werden gerechtfertigt.



4.

Also hatte dies seine typische Bedeutung, und notwendigerweise wurde hieraus das Zelt Gottes gemacht. Jene taten nichts Böses, wenn sie es nahmen, und wiesen im voraus auf uns hin, die wir mit fremden Gütern Gott dienen sollten. Denn alles, was Gott bei dem Auszug des jüdischen Volkes aus Ägypten machte, war ein Typus und Vorbild des zukünftigen Aufbruches der Kirche aus dem Heidentum. Und deshalb wird er sie schließlich von hier in ihr Erbe führen, das nicht Moses, der Diener Gottes, sondern Jesus, der Sohn Gottes, ihnen zum Erbe geben wird. Und wenn jemand etwas sorgfältiger die Worte der Propheten über das Weltenende und das, was Johannes, der Schüler des Herrn, in der Apokalypse sagt, erwägt, so wird er finden, daß die Heiden insgesamt dieselben Strafen erleiden werden, welche damals ein Teil der Ägypter erlitten hat.





31. Kapitel: Die typische Bedeutung der Geschichte Lots

431 1.

Durch solche Erzählungen aus dem Altertum erquickte uns der Priester und sagte: Wegen derjenigen Verbrechen, welche die Schriften selbst an den Patriarchen und Propheten tadeln, dürfen wir ihnen keinen Vorwurf machen und Cham nicht ähnlich werden, der die Scham seines Vaters verlachte und in Fluch fiel. Sondern wir sollen Gott für sie danken, daß er in der Ankunft unseres Herrn ihnen ihre Sünden verzieh. Denn auch sie, sagte er, danken und freuen sich über unser Heil. Was aber die Schrift nicht tadelt, sondern einfach berichtet, das sollen auch wir nicht tadeln, denn wir können nicht gewissenhafter sein als Gott, noch „über dem Meister sein“ (
Mt 10,24). Da gilt es also, nur den Typus zu suchen. Denn nichts von dem ist bedeutungslos, was die Schrift berichtet, ohne einen Tadel auszusprechen. So führte Lot aus Sodoma seine Töchter, die von ihrem Vater empfingen, und ließ auf dem Grenzgebiet sein Weib als eine Bildsäule von Salz zurück bis auf den heutigen Tag. Denn nicht aus seinem Willen, noch aus seiner fleischlichen Lust empfing Lot den Sinn und Gedanken hieran und vollendete den Typus nach dem Zeugnis der Schrift: „Und es ging die ältere hinein und schlief bei dem Vater in jener Nacht, und Lot wußte es nicht, da sie schlief und aufstand“ (Gn 19,33). Und bei der jüngeren heißt es ebenso: „Und er wußte es nicht, da sie bei ihm schlief, noch da sie aufstand“ (Ebd. 19,35). Indem also, ohne daß der Mann es wußte und der Wollust diente, dieser Vorgang sich vollzog, wurden die beiden Töchter, d. h. die beiden Synagogen, angedeutet, die von ein und demselben Vater ohne Fleischeslust mit Kindern beschenkt wurden. Denn kein anderer war da, der ihnen den Samen des Lebens und Sohnesfrucht geben konnte, wie geschrieben steht: „Unser Vater ist alt und niemand ist auf der Erde, der zu uns eingeht, wie es sein muß auf der ganzen Erde, Komm, wir wollen unsern Vater mit Wein trunken machen und mit ihm schlafen, damit wir uns von unserm Vater Samen erwecken“ (Gn 19,31 f.).



2.

In ihrer Einfalt glaubten jene Mädchen, daß alle Menschen wie die Sodomiter untergegangen seien, und sprachen dies, indem sie meinten, daß der Zorn Gottes auf die ganze Erde gekommen wäre. Daher sind sie auch selbst entschuldbar, da sie glaubten, sie seien allein mit ihrem Vater zur Erhaltung des menschlichen Geschlechtes übrig geblieben, und deshalb hintergingen sie ihren Vater. Denn aus ihren Worten ergibt sich ihre Meinung, daß kein anderer der älteren und jüngeren Synagoge Kinder erwecken könne als dieser „unser Vater“. Der Vater des Menschengeschlechtes aber ist das Wort Gottes, wie Moses mit den Worten anzeigte: „Hat nicht eben dieser dein Vater dich besessen und gemacht und erschaffen?“ (Dt 32,6) Wann aber hat er den Samen des Lebens, d. h. den Geist zur Nachlassung der Sünden, auf das Menschengeschlecht ausgegossen? Nicht damals, als er mit den Menschen aß und auf Erden Wein trank? „Es kam der Menschensohn“, heißt es, „und aß und trank“ (Mt 11 Mt 19), und als er sich niedergelegt hatte, schlief er ein und schlummerte. So sagt ja auch David: „Ich entschlummerte und schlief ein“ (Ps 3,6). Und daß er zu unserem Nutzen und Leben dies tat, sagt er abermals mit den Worten: „Und mein Schlaf ist mir süß geworden“ (Jr 31,26). Das alles aber wurde durch Lot angedeutet, daß der Samen des Allvaters, d.h. der Geist Gottes, durch den alles gemacht worden ist, sich mit dem Fleische, d. h. mit seinem Geschöpfe, vermischte. Und aus dieser Vermischung und Vereinigung bringen die beiden Synagogen, d. h. die beiden Gemeinschaften, als Frucht von ihrem Vater lebendige Söhne dem lebendigen Gott.



3.

Und während dies geschah, blieb seine Frau in Sodoma zurück, schon nicht mehr als vergängliches Fleisch, sondern als eine unvergängliche Salzsäule. Aber indem sie die natürlichen Veränderungen des Menschen mitmachte, zeigte sie an, daß auch die Kirche, „das Salz der Erde“ (Mt 5,13), auf dem Grenzgebiet der Erde zurückgelassen und alles Menschliche erleidet: Obwohl oftmals von ihr ganze Glieder abgetrennt werden, bleibt sie die Salzsäule, d. h, das Firmament des Glaubens, und stärkt ihre Kinder und schickt sie zu ihrem Vater voraus.





32. Kapitel: Bedeutung des Alten Testamentes für die religiöse Erziehung des Menschen

432 1.

In dieser Weise sprach auch der alte Apostelschüler über die beiden Testamente und zeigte, daß sie von ein und demselben Gott stammen. Keinen anderen Gott gebe es außer dem, der uns geschaffen und gebildet hat, noch könne die Lehre derer bestehen, die da sagen, von einem Engel oder von irgend welcher Kraft oder von einem anderen Gott sei diese gegenwärtige Welt erschaffen worden. Sobald nämlich nur einmal einer von dem Schöpfer aller Dinge sich entfernt und annimmt, daß von irgend einem andern oder durch einen anderen die gegenwärtige Welt erschaffen sei, so muß er in viele Ungereimtheiten und sehr viele Widersprüche verfallen, für die er keinen Grund angeben kann, weder einen wahrscheinlichen noch einen wahren. Und deswegen verbergen die, welche andere Lehren einführen vor uns ihre eigenen Vorstellungen von Gott, da sie die unhaltbare Nichtigkeit ihrer Lehre kennen und fürchten, sie möchten besiegt werden und Gefahr laufen, gerettet zu werden. Wenn aber jemand an einen Gott glaubt, der durch sein Wort alles gemacht hat, wie Moses sagt: „Es sprach Gott: Es werde Licht! und es ward Licht“ (Gen. l,3), und wie wir in dem Evangelium lesen: „Alles ist durch ihn gemacht worden, und ohne ihn ist nichts gemacht worden“ (
Jn 1,3), und wie der Apostel Paulus ähnlich sagt: „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater, der da ist über alles und in uns allen“ (Ep 4,5 f.), so wird dieser zunächst „festhalten das Haupt, aus dem der ganze Körper zusammengefügt und verknüpft ist und durch jegliches Band des Wechseldienstes nach dem Maße eines jeden Teiles das Wachstum des Leibes vollzieht zu seiner Erbauung in der Liebe“ (Ebd. 4,16; Col 2,19). Und alsdann wird ihm die ganze Lehre feststehen, wenn er auch die Schriften sorgfältig bei den Priestern der Kirche liest, bei denen, wie wir gezeigt haben, die apostolische Lehre ist.



2.

Alle Apostel nämlich haben gelehrt, daß zwei Testamente bei zwei Völkern waren; daß aber von ein und demselben Gott beide zum Heil der Menschen, denen er die Testamente gab, angeordnet wurden, damit sie an Gott glauben sollten, das haben wir aus der Lehre der Apostel selbst im dritten Buche nachgewiesen. Auch zeigten wir, daß nicht zwecklos oder vergeblich oder zufällig das erste Testament gegeben wurde, sondern um die, denen es gegeben wurde, zu ihrem eigenen Nutzen unter die Knechtschaft Gottes zu beugen. Denn Gott gebraucht ja nicht ihren Dienst. Dann zeigte es aber auch das Vorbild der himmlischen Dinge, weil ja der Mensch mit eigenen Augen Gott noch nicht sehen konnte, und gab die Bilder von dem, was in der Kirche sein sollte, im voraus, damit unser eigener Glaube fest sei, und enthielt die Prophezeiungen der künftigen Dinge, damit der Mensch lernen sollte, daß Gott alles voraus weiß.





33. Kapitel: Der Herr wird alle Häretiker richten. — Die Kirche allein ist vom Hl. Geiste geleitet. — Messianische Weissagungen

433 1.

Solch ein Schüler, der in Wahrheit geistig ist, weil er den Geist Gottes empfangen hat, welcher von Anfang an bei allen Maßnahmen Gottes den Menschen beistand und die Zukunft verkündete und auf die Gegenwart hinwies und die Vergangenheit erzählte, „richtet zwar alle, wird aber von niemand gerichtet“ (
1Co 2,15). Denn er richtet die Heiden, die „mehr dem Geschöpfe als dem Schöpfer dienen“ (Rm 1,25)und in verwerflichem Sinne all ihre Mühe umsonst aufwenden. Er richtet aber auch die Juden, die das Wort der Freiheit nicht annehmen und als Freie nicht fortziehen wollen, obwohl der Befreier bei ihnen steht. Zur Unzeit geben sie vor, außerhalb des Gesetzes ihrem Gott zu dienen, der doch nichts gebraucht; und die Ankunft Christi, die er wegen des Heiles der Menschen angeordnet hat, erkennen sie nicht und wollen nicht einsehen, daß eine zweifache Ankunft von ihm alle Propheten verkündet haben: die eine, wo er als Mann der Schmerzen unsere Schwäche tragen wollte (Is 53,3) und auf dem Füllen der Eselin saß (Za 9,9 f.)



2.

Prüfen aber wird er auch die Lehre des Markion, wie er nur die Existenz zweier Götter annimmt, die von einander durch einen unendlichen Zwischenraum getrennt sind; wie der Gott als gut betrachtet werden kann, der fremde Menschen von ihrem Schöpfer ablenkt und sie hinüberzieht in sein Reich; und warum seine Güte aufhört, indem er sie nicht alle rettet, und warum er gegen die Menschen als gut erscheint, gegen ihren Schöpfer aber ganz ungerecht, indem er ihm sein Eigentum stiehlt. Wie hat dann der Herr, wenn er von einem andern Vater als die Schöpfung stammt, mit Recht jenes Brot, das zu dieser Schöpfung gehört, als seinen Leib bezeichnet und den Inhalt des Kelches als sein Blut? (Ebd. 26,26; 28) . Wie konnte er sich als den Menschensohn (Ebd. 26,24 u.a.) bezeichnen, wenn er nicht von einem Menschen geboren war; wie konnte er uns die Sünden nachlassen (Ebd. 9,6 u.a.) , durch die wir vor Gott unserm Schöpfer schuldig waren.; wie konnte er, wenn er kein wirklicher Mensch war, sondern nur einen Scheinleib hatte, gekreuzigt werden; wie konnte aus seiner durchbohrten Seite Blut und Wasser hervorkommen (Jn 19,34) ; und welchen Leib begrab man bei dem Begräbnis und was war es, was denn eigentlich von dem Toten auferstand?



3.

Richten wird er aber auch die Valentinianer, die mit der Zunge zwar einen Gott Vater bekennen, aus dem alles ist, den aber, der alles gemacht hat, als die Frucht eines Fehltritts oder einer Irrung hinstellen, und ähnlich einen Herrn Jesus Christus als Sohn Gottes mit der Zunge bekennen, in ihrem Innern aber eine besondere Emanation dem Eingeborenen, eine besondere dem Worte und wieder eine andere Christo und eine andere dem Erlöser zuschreiben, sodaß nach ihnen dies alles zwar ein Begriff ist, jeder von ihnen aber besonders verstanden werden und seine eigene Emanation gemäß seiner ehelichen Zugehörigkeit haben muß. Es ist also klar, nur ihre Zungen neigen sich zur Einheit, ihr Sinnen und Denken aber hat sich von der Einheit abgewandt, weil sie die „Tiefe“ erforschen wollten, und verfällt dem vielgestaltigen Gerichte Gottes, da sie über ihre Erfindungen von Christus examiniert werden, der, wie sie behaupten, erst nach dem Pleroma geboren wurde und nach der Schwächung oder dem Fehltritt hervortrat, und dem sie selbst wegen der bei der Sophia eingetretenen Leidenschaft ans Licht geholfen haben wollen. Doch ihr eigener Prophet Homer wird sie verklagen, aus dessen Unterricht sie solche Lehren erfunden haben, indem er spricht:

   Feind nämlich ist mir der, gleich wie die Pforten des Hades, 

   Der, was er denkt, verbirgt, und anderes wiederum redet[92] . 

   Doch auch das Geschwätz der bösen Gnostiker wird er richten und dartun, daß sie die Schüler des Zauberers Simon sind.



4.

Richten wird er auch die Ebioniten. Wie können sie gerettet werden, wenn nicht Gott es ist, der ihr Heil auf Erden gewirkt hat? Und wie wird der Mensch in Gott übergehen, wenn nicht Gott in den Menschen überging? Wie aber wird er die Geburt des Todes verlassen, wenn er nicht wiedergeboren wird zu der neuen Geburt, die da von Gott wunderbar und unbegreiflich zum Zeichen des Heils aus der Jungfrau (Is 7,13 f.) durch den Glauben geschenkt wurde? Oder wie sollen sie an Kindesstatt von Gott angenommen werden, wenn sie in dieser irdischen menschlichen Geburt verharren? Oder wie konnte er mehr als Salomon (Mt 12,42) und mehr als Jonas (Ebd. 12,41) oder der Herr Davids (Ebd. 22,43) sein, wenn er von ebenderselben Wesenheit war wie jene? Oder wie besiegte er den, der gegen die Menschen so mächtig war und den Menschen nicht nur besiegte, sondern auch unter seiner Gewalt hielt, und überwand den, der gesiegt hatte, und befreite den Menschen, der besiegt worden war (Lc 11,21 ff.) , wenn er nicht etwas Höheres gewesen wäre als jener Mensch, der besiegt worden war? Wer aber soll dann besser sein als der Mensch, der nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen war, und tüchtiger als der Sohn Gottes, nach dessen Ebenbild eben der Mensch erschaffen war? Und deshalb offenbarte er schließlich das Ebenbild: der Sohn Gottes wurde Mensch und stellte die alte Schöpfung in sich selber dar, wie wir in dem vorigen Buche gezeigt haben.



5.

Er wird aber auch die richten, die einen Scheinleib annehmen. Wie glauben sie denn selber in Wahrheit zu disputieren, wenn ihr Lehrer nur ein Schein war? Oder wie können sie von ihm etwas Zuverlässiges haben, wenn er nur Schein und nicht Wahrheit war? Wie können sie in Wahrheit das Heil erlangen, wenn jener, an den sie zu glauben behaupten, sich nur als Schein erweist? Also ist alles bei ihnen nur Schein und nicht Wahrheit, und man muß jetzt schon die Frage aufwerfen, ob sie nicht vielleicht selbst größtenteils nicht wirkliche Menschen, sondern stumme Tiere sind oder bloß den Schatten von Menschen herumtragen.



6.

Richten wird er aber auch die Pseudopropheten, die von Gott keine Prophetengabe empfangen haben und Gott nicht fürchten, die eitlen Ruhmes oder irgend eines Vorteiles wegen oder vielleicht auch mit Hilfe eines bösen Geistes zu prophezeien vorgeben, aber gegen Gott nur lügen.



7.

Richten wird er auch die, welche Spaltungen verursachen. Leer von Gottesliebe, schauen sie auf den eigenen Nutzen, aber nicht auf die Einsicht der Kirche, wegen kleiner und nichtiger Ursachen zerschneiden sie den großen und herrlichen Leib Christi in Stücke und möchten ihn, so viel an ihnen liegt, töten. Sie sagen Friede und machen Krieg, seihen die Mücken und verschlingen das Kamel (Mt 23,24) . Denn nimmermehr können sie irgend eine Besserung bewerkstelligen, die so groß ist wie der Schaden eines Schismas.

  Richten wird er auch alle, die außerhalb der Wahrheit, d.h. außerhalb der Kirche, sind. Er selbst aber wird von niemand gerichtet werden. Denn alles ist bei ihm wohlbegründet: ein vollständiger Glaube an den einen allmächtigen Gott, aus dem alles ist; ein festes Vertrauen auf Jesus Christus, den Sohn Gottes, unseren Herrn, durch den alles ist, und an seine Fürsorge, durch die der Mensch zum Sohne Gottes wurde, and an den Geist Gottes, der die Erkenntnis der Wahrheit verleiht und die Fürsorge des Vaters und des Sohnes darlegt, kraft deren er nach dem Willen des Vaters dem Menschengeschlecht beistand.



8.

Die wahre Gnosis ist die Lehre der Apostel und das alte Lehrgebäude der Kirche für die ganze Welt. Den Leib Christi erkennt man an der Nachfolge der Bischöfe, denen die Apostel die gesamte Kirche übergeben haben. Hier sind die Schriften in treuer Überlieferung bewahrt; nichts ist hinzugetan, nichts ist fortgenommen. Hier werden sie unverfälscht verlesen und gesetzmäßig, sorgfältig, gefahrlos und gottesfürchtig erklärt. Hier ist vor allem das Geschenk der Liebe, das kostbarer ist als die Erkenntnis, ruhmvoller als die Prophetengabe, vortrefflicher als alle übrigen Charismen.



9.

Daher schickt die Kirche an allen Orten wegen ihrer Liebe zu Gott eine Menge Märtyrer allezeit zum Vater voraus, und alle übrigen können nichts Derartiges bei sich aufweisen. Sie behaupten freilich, daß sie solch ein Blutzeugnis gar nicht gebrauchen, denn ein Martyrium sei ihre Lehre. Aber in der ganzen Zeit, seit der der Herr auf Erden erschien, hat vielleicht einer oder zwei mit unsern Märtyrern, gleichsam als ob er selbst Barmherzigkeit erlangt hätte, die Schmach des Namens ertragen und ist mit ihnen abgeführt worden, gleichsam wie eine Zugabe, die man ihnen geschenkt hat. Denn die Schmach derer, die „Verfolgung erleiden wegen der Gerechtigkeit“ (Ebd. 5,10)und alle Leiden aushalten und getötet werden wegen ihrer Liebe zu Gott und wegen des Bekenntnisses seines Sohnes, nimmt nur die Kirche rein auf sich. Oft wurde sie verstümmelt, doch sogleich wuchsen ihre Glieder wieder nach, und sie war unversehrt, wie auch ihr Vorbild, die Salzsäule der Frau des Lot (Gn 19,26 Gn 19, oben IV, Gn 31,6) . Und ähnlich erlitten auch die alten Propheten Verfolgung, wie der Herr sagt: „So nämlich haben sie die Propheten verfolgt, die vor mir gewesen sind“ (Mt 5,12). Denn derselbe Geist der nur in neuer Weise auf ihr ruht, leidet Verfolgung von denen, die das Wort Gottes nicht aufnehmen.



10.

Unter anderem, was die Propheten prophezeiten, haben sie auch das prophezeit, daß alle, über welchen der Geist Gottes ruhen würde (1P 4,14) , und die den Worten des Vaters gehorchen und ihm nach ihrer Kraft dienen würden, Verfolgung erleiden, gesteinigt und getötet werden würden. An sich selbst haben die Propheten dies alles dargestellt wegen der Liebe Gottes und seines Wortes. Denn da sie selber Glieder Christi waren, so stellte auch jeder von ihnen, in der Weise, wie er sein Glied war, eine Weissagung dar; in ihrer Gesamtheit stellten die vielen aber nur den einen dar und zielten auf den einen mit ihren Verkündigungen. Wie nämlich durch unsere Glieder die Wirksamkeit des gesamten Körpers sich darstellt, die Gestalt des Menschen aber nicht durch ein Glied, sondern erst durch alle gezeigt wird, so stellten die Propheten in ihrer Gesamtheit den einen dar, jeder aber, insofern er ein Glied war, erfüllte die entsprechende Anordnung und stellte die entsprechende Tätigkeit Christi im voraus dar.



11.

Die einen sahen ihn in seiner Herrlichkeit und schauten seinen herrlichen Aufenthalt zur Rechten des Vaters (Jes. 6,l ff.) . Andere sahen ihn aus den Wolken des Himmels als Menschensohn kommen (Jn 12,41) und sagten von ihm: „Sie werden schauen auf den, welchen sie durchbohrt haben“ (Za 12,10), und wiesen hin auf seine Ankunft, von der er selbst sagt: „Meinst du, wenn der Menschensohn kommt, wird er Glauben finden auf Erden?“ (Lc 18,8) Hiervon spricht auch Paulus: „Wenn es je gerecht ist bei Gott, denen, welche euch betrüben, mit Trübsal zu vergelten, dann wird er euch, die ihr verfolgt werdet, zugleich mit uns mit Ruhe vergelten in der Offenbarung unseres Herrn Jesu Christi vom Himmel her mit den Engeln seiner Kraft und in der Flamme des Feuers“ (2Th 1,6 ff.). Andere stellen ihn hinwiederum als Richter dar und den Tag des Herrn wie eine glühende Esse — „er sammelt den Weizen in seine Scheune, die Spreu aber wird er verbrennen in unauslöschlichem Feuer“ (Mt 3,12)—. Den Ungläubigen drohten sie, wie von ihnen der Herr sagt: „Gehet von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet hat mein Vater dem Teufel und seinen Engeln“ (Mt 25,41).



12.

Andere aber schildern ihn als schwachen, armseligen Menschen, der da weiß, die Schwachheiten zu tragen (Is 53,3) und nach Jerusalem kommen werde, sitzend auf dem Füllen der Eselin (Za 9,9) , der seinen Rücken den Geißeln darreichen werde und seine Wangen den Händen (Is 50,6) , der wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt werde (Is 53,7) und mit Essig und Galle getränkt (Ps 68,22) , der von seinen Freunden und denen, die ihm am nächsten sind, werde verlassen werden (Ebd. 37,12) und seine Hände den ganzen Tag ausstrecken werde (Is 65,2) und von denen, die auf ihn schauen, verspottet (Ps 21,8) und verflucht; daß sie seine Kleider unter sich teilen und über sein Gewand das Los werfen würden (Ebd. 21,19) , daß er in den Schoß des Todes hinabsteigen werde (Ps 21,16) und anderes derart. Seine Ankunft als Mensch, seinen Einzug in Jerusalem, sein Leiden dort und seinen Kreuzestod und alles übrige sagten also sie voraus. Andere wieder sagten: „Es gedachte der Heilige Geist seiner Toten, die entschlafen waren in der Erde des Schlammes, und er stieg zu ihnen hinab, um sie aufzurichten und zu erlösen“ (Vgl. oben III, 20, 4)und gaben die Ursache an, weshalb der Herr dies alles litt. Noch andere sagten: „An jenem Tage, spricht der Herr, wird untergehen die Sonne am Mittag, und es wird Finsternis über der Erde am Tage des Lichtes sein, und ich werde eure Festtage umwandeln in Trauer und alle eure Loblieder in Wehklagen“ (Am 8,9 f.). Damit zeigten sie deutlich jene Sonnenfinsternis an, die bei seiner Kreuzigung um die sechste Stunde eintrat, und daß alsdann ihre Festtage nach dem Gesetz und ihre Loblieder in Trauer und Wehklagen würden verwandelt werden, wenn sie den Heiden würden überliefert werden. Noch deutlicher zeigt ebendies Jeremias an, indem er also spricht: „Entkräftet ist, die gebärt, gramvoll ihre Seele; untergeht ihr die Sonne, da es noch Mittag ist, verwirrt ist sie und leidet Schmach. Den übrigen von ihnen werde ich das Schwert geben vor dem Angesicht ihrer Feinde“ (Jr 15,9 f.).



13.

Andere sagten, er sei eingeschlafen und entschlummert und auferstanden, da der Herr ihn aufnahm (Ps 3,6) , und forderten die Fürsten der Himmel auf, zu öffnen die ewigen Tore, damit einziehe der König der Herrlichkeit (Ps 23,7) ; dadurch haben sie seine Auferstehung von den Toten durch den Vater und seine Aufnahme in den Himmel vorher verkündet. Indem sie aber sagten: „Von der Höhe des Himmels ist sein Ausgang und sein Hingang bis zu der Höhe des Himmels, und keiner ist, der sich bergen könnte vor seiner Hitze“ (Ebd. 18,7), zeigten sie an, daß er dorthin aufgenommen wurde, von wo er gekommen ist, und dass niemand seinem gerechten Gerichte entfliehen kann. Auch sagten sie: „Der Herr ist König, es mögen zürnen die Heiden; der über den Cherubim sitzt, möge erschüttern die Erde“ (Ebd. 98,1). Damit weissagten sie teils den Zorn von allen Völkern, der sich nach seiner Himmelfahrt wider die erhob, die an ihn glaubten, und die Bewegung der ganzen Erde wider die Kirche, teils auch die Erschütterung der gesamten Erde, wenn er vom Himmel her kommen wird mit den Engeln seiner Kraft. So sprach er selbst: „Es wird sein eine große Bewegung der Erde, wie sie von Anfang an nicht gewesen ist“ (Mt 24,21). Und wiederum heißt es: „Wer immer gerichtet wird, trete ihm gegenüber, und wer immer gerechtfertigt wird, nähere sich dem Knechte Gottes“ (Is 50,8). Und: „Wehe euch, denn ihr alle werdet altern wie ein Gewand, und die Motte wird euch verzehren“ (Ebd. 50,9). Und: „Gedemütigt wird werden alles Fleisch, und erhöht wird werden der Herr allein in der Höhe“ (Ebd. 2,17). Das bedeutet, daß nach seinem Leiden Gott zu seinen Füßen legen wird, die gegen ihn gewesen sind, und daß er selber über alle erhöht werden wird, und daß niemand vor ihm wird gerechtfertigt werden oder bestehen können.



14.

Ferner heißt es, daß Gott einen neuen Bund mit den Menschen anordnen werde, nicht wie er ihn für die Väter auf Horeb angeordnet hat (Jr 31,31 f.) , sondern daß er ein neues Herz und einen neuen Geist den Menschen geben werde (Ez 36,26) . Und wiederum: „Und das Alte sollt ihr nicht achten, siehe, ich mache neu, was jetzt entsteht, und wisset: Ich werde machen in der Wüste einen Weg und in der wasserlosen Erde Flüsse, zu tränken mein auserwähltes Volk, mein Volk, das ich mir erworben habe, damit es meine Taten verkünde“ (Is 43,18 ff.). Damit wiesen sie deutlich hin auf die Freiheit des Neuen Bundes und auf den neuen Wein, der in neue Schläuche gefüllt wird (Mt 9,17) , nämlich auf den Glauben an Christus. Dieser verkündete, daß in der Wüste der Weg der Gerechtigkeit entstanden sei und in der wasserlosen Erde Ströme des Hl. Geistes, um das auserwählte Volk Gottes zu bewässern, „das er sich erworben hat“ (1P 2,9), um seine Taten zu verkünden, nicht aber, um den zu lästern, der es erschaffen hat, nämlich Gott.



15.

Und all das übrige, was, wie wir gezeigt haben, die Propheten sagten, wird der wahrhaft geistige Mensch im einzelnen erklären und in der langen Reihe der Schriften einer jeden Stelle den ihr gebührenden Platz in der Heilsordnung des Herrn und an dem unversehrten Leibe des Werkes des Gottessohnes zuweisen. Aber er weiß, daß es immer derselbe Gott ist, und erkennt immer dasselbe Wort Gottes, wenn es auch jetzt erst sich geoffenbart hat, und erkennt immer denselben Geist Gottes, wenn er auch in den letzten Zeiten auf neue Art auf uns ausgegossen ist, so doch von Erschaffung der Welt bis zu ihrem Ende auf dasselbe Menschengeschlecht, Durch ihn und von ihm erlangen die, welche Gott glauben und seinem Worte folgen, ihr Heil; die aber von ihm sich abwenden und seine Gebote verachten und durch ihre Werke den verunehren, der sie geschaffen hat, und in ihrem Herzen den lästern, der sie ernährt, die beschworen auf sich sein gerechtes Gericht. Ein geistiger Mensch also prüft alle, wird aber selbst von niemand geprüft, denn er lästert nicht seinen Vater, macht seine Anordnungen nicht vergeblich, beschuldigt nicht seine Väter, noch verunehrt die Propheten, indem er sagt, sie seien von einem andern Gott, oder ihre Prophezeiungen stammten aus einer ganz verschiedenen Substanz.






(Contra Haereses) 428