(Contra Haereses) 434

34. Kapitel: Die Propheten sprachen im Namen des wahren Gottes

434 1.

Allen Häretikern, doch zunächst den Markioniten und ihresgleichen, welche die Propheten von einem anderen Gotte abstammen lassen, sagen wir: Leset aufmerksamer das Evangelium, das von den Aposteln stammt und leset aufmerksamer die Propheten, so werdet ihr finden, daß alle Taten und Lehren und das ganze Leiden unseres Herrn von ihnen verkündet ist! Sollte euch dann aber der Gedanke kommen, zu fragen: Was hat denn der Herr durch seine Ankunft uns Neues gebracht? so werdet ihr erkennen, daß er etwas ganz Neues brachte, indem er sich selbst darbot, wie er verheißen war. Und gerade dies wurde verkündet, daß das Neue kommen werde, um den Menschen zu erneuern und lebendig zu machen. Denn des Königs Ankunft wird von den vorausgesandten Dienern angemeldet, damit die, welche ihren Herrn aufnehmen sollen, sich rüsten und sich bereit machen. Und wenn dann der König kommt, dann erfüllt die Untertanen die verheißene Freude, und sie empfangen von ihm die Freiheit und nehmen teil an seinem Anblicke und hören seine Worte und ergötzen sich an seinen Geschenken, und kein verständiger Mensch wird dann noch fragen, was der König denn Neues gebracht hat, was nicht verkündet war. Sich selbst nämlich hat er gebracht, und die genannten Güter, in welche die Engel zu schauen begehrten, hat er den Menschen geschenkt.



2.

Wäre aber Christus nicht so gekommen, wie er verheißen wurde, und hätte er die Worte der Propheten nicht erfüllt, dann wären seine Diener Lügner gewesen und nicht vom Herrn gesandt. Deshalb sprach er: “Glaubet nicht, daß ich gekommen bin, aufzulösen das Gesetz oder die Propheten; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Wahrlich, sage ich euch, bis vergeht Himmel und Erde, wird kein Jota und kein Strichlein vergehen von dem Gesetz und den Propheten, bis daß alles geschieht“ (
Mt 5,17 f.). Alles nämlich erfüllte er bei seiner Ankunft und erfüllt noch in der Kirche bis zur Vollendung den von dem Gesetze verheißenen Neuen Bund. So sagt auch der Apostel Paulus in dem Briefe an die Römer: „Jetzt aber ist ohne Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden, bezeugt von dem Gesetz und den Propheten (Rm 3,21) ; denn der Gerechte lebt aus dem Glauben“ (Ebd. 1,17). Daß aber der Gerechte aus dem Glauben leben wird, war von den Propheten verheißen worden.



3.

Woher aber hätten die Propheten die Ankunft des Königs und die von ihm verliehene Freiheit voraus sagen können und all das, was Christus tat und lehrte und wirkte und litt, und den Neuen Bund verkünden, wenn sie von einem andern Gott die prophetische Inspiration empfangen hätten, wenn sie den unaussprechlichen Vater nicht gekannt hätten, wie ihr sagt, und seine Anordnungen, die der Sohn Gottes bei seiner Ankunft auf der Erde ausgeführt hat? Auch könnt ihr dies nicht dem Zufall zuschreiben, gleich als ob das, was durch die Propheten von einem andern gesagt war, dies ähnlich bei dem Herrn zugetroffen sei. Denn alle Propheten verkündeten ein und dasselbe, und bei keinem der Alten ist es eingetroffen. Wäre das nämlich bei einem der Alten eingetroffen, dann hätten die, welche später kamen, doch nicht gesagt, daß dies in den letzten Zeiten sein werde. Außerdem gibt es keinen unter den Vätern oder Propheten oder den alten Königen, bei dem auch nur etwas Derartiges wahrhaft und in Sonderheit eingetroffen wäre. Alle nämlich verkündeten die Leiden Christi voraus, sie selbst aber waren weit entfernt von einem ähnlichen Leiden, wie es verkündet war. Auch die verheißenen näheren Umstände von dem Leiden des Herrn sind bei keinem andern eingetroffen: Denn weder ging die Sonne am Mittag bei dem Tode irgend eines der Alten unter, noch zerriß der Vorhang des Tempels, noch wurde die Erde erschüttert, noch spalteten sich die Felsen, noch standen die Toten auf, noch stand jemand von ihnen am dritten Tage selber auf, noch wurde er in den Himmel aufgenommen, noch öffneten sich bei seiner Ankunft die Himmel, noch glaubten die Heiden an den Namen eines anderen, noch hat einer von ihnen, der gestorben war und auferstand, das Neue Testament der Freiheit geöffnet. Also sprachen die Propheten von keinem anderen als dem Herrn, auf den all die genannten Zeichen zutreffen.



4.

Wenn aber jemand als Anwalt der Juden behaupten wollte, daß die Erbauung des Zorobabelischen Tempels nach dem babylonischen Exil und der Auszug des Volkes nach Ablauf der vierzig Jahre der Neue Bund sei, so möge er wissen, daß damals nur ein steinerner Tempel wiedererbaut wurde, wie ja auch das Gesetz, das auf steinernen Tafeln gegeben war, aufbewahrt wurde; ein neuer Bund aber wurde nicht geschlossen, sondern sie gebrauchten das mosaische Gesetz weiter bis zur Ankunft des Herrn. Von der Ankunft des Herrn aber ging der Neue Bund, der zum Frieden führte, und das lebendigmachende Gesetz über die ganze Erde aus, wie die Propheten verkündet haben: „Von Sion nämlich wird das Gesetz ausgehen und das Wort des Herrn von Jerusalem und viel Volk überführen. Und umschmieden wird man die Schwerter zu Pflugscharen und die Lanzen in Sicheln, und nicht mehr werden sie lernen zu kämpfen“ (Is 2,3 f.; Mi 4,2 f.). Wenn also ein anderes Gesetz und Wort von Jerusalem ausgehen und so großen Frieden bei allen Völkern, die es aufnehmen, bewirken, und durch diese viel Volk der Torheit überführen soll, dann müssen die Propheten offenbar von dem anderen gesprochen haben. Wenn aber das Gesetz der Freiheit, d. h. das Wort Gottes, von den Aposteln, die von Jerusalem ausgingen, auf der ganzen Erde verkündet wurde und eine so große Veränderung bewirkt hat, daß es aus den kriegerischen Schwertern und Lanzen Pflugscharen und Sicheln gemacht hat, die es reichte zum Ernten, und wenn sie schon nicht mehr verstehen zu kämpfen, sondern „geschlagen, die andere Backe hinhalten“ (Mt 5,39), dann haben die Propheten nicht von einem anderen gesprochen, sondern von dem, der es erreicht hat. Das aber ist unser Herr, und in ihm wird das Wort wahr: „Wer den Pflug gemacht, hat auch die Sichel aufgebracht“, d. h. das Wort, welches die erste Menschensaat machte, d. h. die Erschaffung Adams, der sammelt auch in den letzten Zeiten die Frucht. Und deswegen verband es auch den Anfang mit dem Ende, und da er der Herr beider Testamente ist, so zeigte er am Ende den Pflug, Holz mit Eisen verbunden, und reinigte so seine Erde, da das feste Wort, mit dem Fleische verbunden und solcher Gestalt vereint[93] , die verwilderte Erde gesäubert hat. Im Anfang aber stellte er die Sichel dar durch Abel, der die Gesamtheit der gerechten Menschen bezeichnete. „Siehe nämlich“, heißt es, „wie der Gerechte umkommt und niemand danach schaut, und die gerechten Männer werden umgebracht, und niemand beachtet es im Herzen“ (Vgl. Jes. Is 57,1). Dies jedoch wurde in Abel vorausgedacht, von den Propheten verheißen, in dem Herrn aber vollendet, und geradeso verhält es sich mit uns, indem der Körper seinem Haupte nachfolgt.



5.

Das paßt auch gegen die, welche behaupten, daß von einem andern Gott die Propheten und von einem andern Vater unser Herr komme, wenn sie nur einmal aufhören wollten mit ihrer so großen Unvernunft. Deswegen nämlich bemühen wir uns, die Beweise aus den Schriften beizubringen, damit wir sie durch deren Worte, so viel an uns liegt, widerlegen und sie zurückhalten von ihrer schrecklichen Gotteslästerung und sinnlosen Fabrikation vieler Götter.





35. Kapitel: Über den angeblich verschiedenen Ursprung der einzelnen Schriftsteilen

435 1.

Gegen die Valentinianer und die zu Unrecht so benannten Gnostiker, die da behaupten, daß einige Schriftstellen aus der obersten Region stammen, von wo auch ihr Same her ist, andere aus der Mitte wegen ihrer vorwitzigen Mutter Prounika, viele jedoch von dem Demiurgen, von dem die Propheten gesandt wurden, sagen wir, daß es sehr unverständig ist, den Allvater in eine solche Verlegenheit zu bringen, gleich als ob er nicht seine eigenen Werkzeuge gehabt hätte, um die Vorgänge im Pleroma rein zu verkünden. Vor wem hatte er denn Angst, daß er nicht frei und ohne Vermischung mit dem in Schwund und Irrtum geratenen Geist deutlich und allein für sich seinen Willen verkündete? Oder fürchtete er, daß zu viele gerettet werden möchten, wenn mehrere die reine Wahrheit gehört hätten? Oder war er nicht imstande, sich selbst diejenigen vorzubereiten, welche die Ankunft des Erlösers verkünden sollten?



2.

Wenn aber der Erlöser bei seiner Ankunft hienieden seine eigenen Apostel in die Welt sandte, um rein seine Ankunft zu verkünden und den Willen des Vaters zu lehren, ohne auf die Lehre der Heiden und Juden irgendwie Bezug zu nehmen, dann hätte er um so mehr, als er noch im Pleroma war, eigene Prediger bestimmt, die seine bevorstehende Ankunft in diese Welt verkünden sollten ohne eine Beziehung zu den Weissagungen von dem Demiurgen. Wenn er aber noch im Pleroma der alttestamentlichen Propheten sich bediente und durch sie das Seinige offenbarte, dann bediente er sich um so mehr nach seiner Ankunft auf Erden derselben Lehrer und verkündete uns durch sie sein Evangelium. Sie sollen also fürderhin nicht mehr sagen, daß Petrus und Paulus und die übrigen Apostel die Wahrheit gepredigt hätten, sondern die Schriftgelehrten und Pharisäer und durch wen sonst das Gesetz verkündet wurde. Wenn er aber bei seiner Ankunft seine eigenen Apostel im Geist der Wahrheit aussandte und nicht im Geist des Irrtums, dann tat er dasselbe auch bei den Propheten, denn immer bleibt das Wort Gottes sich gleich. Und wenn nach ihrer Lehre der Geist von oben ein Geist des Lichts und ein Geist der Wahrheit und ein Geist der Vollkommenheit und ein Geist der Erkenntnis war, der vom Demiurgen aber ein Geist der Unwissenheit, des Schwundes und Irrtums und ein Ableger des Schattens, wie konnte dann in ein und demselben Vollkommenheit und Schwund, Erkenntnis und Unwissenheit, Irrtum und Wahrheit, Licht und Finsternis sein? Wenn dies aber bei den Propheten ganz unmöglich war, sie vielmehr von einem Gott das Wort des Herrn verkündeten und die Ankunft seines Sohnes meldeten, dann hat der Herr noch viel weniger seine Aussprüche bald aus der Höhe, bald aus der Tiefe genommen, indem er zugleich ein Lehrer der Erkenntnis und der Unwissenheit war, noch verherrlichte er bald den Demiurgen, bald den Vater, der über diesem ist. Sagt er doch selber: „Niemand setzt den Flicken eines neuen Kleides auf ein altes Kleid, noch tut man neuen Wein in alte Schläuche“ (
Lc 5,36 f.). Deswegen müssen sie auf die Propheten des Alten Bundes völlig verzichten und dürfen nicht sagen, sie hätten einiges von dem neuen aus der Höhe verkündet, da sie von dem Demiurgen vorausgeschickt waren — oder es trifft sie der Vorwurf des Herrn, daß man neuen Wein nicht in alte Schläuche tun darf.



3.

Wie konnte aber der Same ihrer Mutter die Geheimnisse im Innern des Pleroma erkennen und von ihnen sprechen? War doch ihre Mutter, als sie diesen Samen erzeugte, außerhalb des Pleroma, also auch außerhalb der Erkenntnis, d. h. in Unwissenheit. Wie konnte nur der in Unwissenheit empfangene Same nun die Erkenntnis verkünden? Oder wie kannte die Mutter selbst die Geheimnisse des Pleroma, wo sie doch form- und gestaltlos als eine Frühfrucht hinausgeworfen, dort erst Gestalt und Form erhält, von dem Horos aber an dem Eintritt ins Pleroma abgehalten wird und bis zum Weltenende außerhalb des Pleroma verbleiben wird, d. h. außerhalb der Erkenntnis. Diejenigen hinwiederum, die da sagen, das Leiden des Herrn sei ein Typus der Ausdehnung des oberen Christus, der bei der Berührung mit dem Horos ihre Mutter bildete, werden überführt, indem sie für die übrigen Stücke keinen Typus nach weisen können. Wo wäre nämlich der obere Christus mit Essig und Galle getränkt, wo seine Kleider verteilt, wo wäre er durchbohrt worden, und es kam Blut und Wasser heraus? Wo hätte er Blut geschwitzt, und was sonst noch die Propheten aus dem Leben des Herrn verkündet haben? Woher hätte dies, was damals noch nicht geschehen war, sondern erst geschehen sollte, die Mutter oder ihr Same ahnen können?



4.

Durch die Schriftstellen über die Ankunft Christi widerlegt, lassen sie einiges von dem höchsten Prinzip gesprochen sein; welches aber diese Stellen sind, darüber sind sie sich nicht einig und geben verschiede Auskunft. Wenn nämlich jemand der Probe halber einzeln ihre Leuchten über irgend eine Stelle befragt, dann wird er finden, daß der eine die fragliche Stelle auf den Propator, d. h. den Bythos, bezieht, der andere auf den Uranfang, d. h. den Eingeborenen, der andere auf den Allvater, d. h. das Wort, wieder ein anderer auf einen der Äonen im Pleroma, noch andere auf Christus oder den Heiland. Wer aber unter ihnen schlauer ist, der schweigt erst lange und bezieht es dann auf den Horos, ein anderer auf die Sophia im Pleroma, ein anderer auf die Mutter außerhalb des Pleroma, ein anderer auf den Demiurgengott. So groß sind unter ihnen die Verschiedenheiten, so verschieden die Meinungen über dieselben Schriftstellen! Liest du ihnen eine und dieselbe Stelle vor, so krausen alle die Augenbrauen, schütteln das Haupt und erklären, daß diese einen sehr tiefen Sinn habe und nicht alle die Tiefe des Ausspruches verstehen könnten, darum sei Stillschweigen die wichtigste Sache für den Weisen. Die obere Stille nämlich müsse durch das Stillschweigen bei ihnen abgebildet werden. Dann machen sich alle davon, so viele ihrer sind, tragen so gewichtige Meinungen mit sich herum und nehmen ihren Scharfsinn mit sich in diese Verborgenheit. Werden sie also einmal unter sich über den Sinn der Schriften einig sein, dann werden sie auch von uns widerlegt werden. Bis dahin aber widerlegen sie in ihrer Torheit sich selbst, indem sie über dieselben Worte nicht übereinstimmen.



5.

Wir aber folgen dem einzigen und wahren Gott als unserm Lehrmeister und haben als Richtschnur der Wahrheit seine Worte, erklären sie alle auf gleiche Weise, da wir ja wissen, daß es nur einen Gott gibt, der die Propheten gesandt, der das Volk aus Ägypten herausgeführt, der in den jüngsten Zeiten seinen Sohn geoffenbart hat, um die Ungläubigen zuschanden zu machen und die Frucht der Gerechtigkeit zu holen.






36 Kapitel: Die Patriarchen, die Propheten und Christus kommen von ein und demselben Gott

1.

Einem jeden verwehrt der Herr die Behauptung, die Propheten stammten von einem anderen als seinem Vater, oder von irgend einer anderen Wesenheit als von ebendiesem Vater, oder irgend ein anderer als sein Vater habe die Dinge dieser Welt erschaffen. Denn er lehrt: „Es war ein Hausvater, und er pflanzte einen Weinberg und umgab ihn mit einem Zaun und grub in ihm eine Kelter und baute einen Turm und vermietete ihn an Bauern und reiste in die Fremde. Als aber die Zeit der Früchte herangekommen war, schickte er seine Knechte zu den Bauern, damit sie von seinen Früchten empfingen. Und die Bauern ergriffen die Knechte; den einen schlugen sie, den andern steinigten sie, den andern töteten sie. Wiederum schickte er andere Knechte, mehr als die früheren, und sie taten ihnen ähnlich. Zuletzt aber sandte er ihnen seinen einzigen Sohn, indem er sprach: Vielleicht werden sie sich scheuen vor meinem Sohn, Als die Bauern aber den Sohn sahen, sprachen sie bei sich: Dies ist der Erbe, kommt, lasset uns ihn töten, und wir werden sein Erbe haben. Und sie ergriffen ihn und warfen ihn aus dem Weinberge hinaus und töteten ihn. Wenn aber der Herr des Weinberges kommen wird, was wird er mit jenen Bauern tun? Und sie sprachen zu ihm: Die Bösen wird er böse verderben, und er wird seinen Weinberg an andere Bauern vermieten, die ihm die Früchte geben werden zu ihrer Zeit. Und wiederum sprach der Herr: Habt ihr niemals gelesen: Den Stein, welchen die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden? Von dem Herrn ist er gemacht, und er ist wunderbar in unsern Augen. Deshalb sage ich euch, daß fortgenommen werden wird von euch das Reich Gottes und dem Volke gegeben wird, das seine Früchte bringt“ (
Mt 21,33 ff.). Hierdurch zeigte er seinen Jüngern deutlich, daß ein und derselbe Hausvater, d. h. Gott Vater, durch sich selbst alles gemacht hat, daß aber die Landleute verschieden sind: die einen sind schmähsüchtig, hochmütig, unfruchtbar und Mörder ihres Herrn, die andern aber bringen in allem Gehorsam Früchte zu ihrer Zeit, und daß derselbe Hausvater einmal seine Knechte sandte und dann seinen Sohn. Derselbe Vater also, der seinen Sohn zu den Bauern sandte, die ihn töteten, der schickte auch die Knechte. Da der Sohn jedoch mit der höchsten Vollmacht von seinem Vater kam, durfte er sprechen: „Ich aber sage euch“ (Mt 5,22 Mt 28 Mt 32 u. oft), die Knechte jedoch, die von dem Herrn eben als Knechte kamen, die sagen nur: „Also spricht der Herr“ (Ex 10,34 Ex 11,4 u. oft).



2.

Denselben Herrn also, den jene den Ungläubigen verkündeten, predigte Christus denen, die ihm gehorchten; und die der Herr zuerst durch das Gesetz der Knechtschaft berufen hatte, die nahm er hernach an Kindesstatt an. Es pflanzte nämlich Gott den Weinberg des Menschengeschlechtes zuerst durch die Erschaffung Adams und die Erwählung der Patriarchen und übergab ihn den Bauern durch die Gesetzgebung des Moses. Dann umgab er ihn mit einem Zaun, d. h. er umgrenzte ihr Gebiet, und baute einen Turm, indem er Jerusalem erwählte. Dann grub er eine Kelter, indem er das Gefäß für den prophetischen Geist vorbereitete. Und so schickte er die Propheten bereits vor der babylonischen Gefangenschaft und wieder andere nach derselben, und zwar mehr als vorher, die Früchte fordern sollten, indem sie zu ihnen sprachen: „Reiniget eure Wege und eure Sitten, richtet ein gerechtes Gericht und tuet Barmherzigkeit und Erbarmen ein jeder seinem Bruder. Gegen die Witwe und die Waise, gegen den Fremdling und den Armen übet nicht Gewalt, und niemand gedenke der Bosheit seines Bruders in seinem Herzen, und einen falschen Eid sollt ihr nicht lieben (Jr 7,3 Za 7,9 f. ) . Waschet euch, seid rein, schaffet fort die Bosheit aus euren Herzen, lernet Gutes tun und suchet das Rechte, verteidigt den, der Gewalt leidet, richtet die Waise und schaffet Recht der Witwe und dann kommt und laßt uns reden, spricht der Herr“ (Za 8,17 Is 1,16 ff. ). Und wiederum: „.Bewahre deine Zunge vom Bösen und deine Lippen, daß sie nicht Trug reden. Wende dich ab vom Bösen und tue Gutes, suche den Frieden und folge ihm!“ (Ps 33,14 f.) Indem die Propheten dies verkündeten, suchten sie die Frucht der Gerechtigkeit. Da sie aber jenen nicht glaubten, sandte der Herr zuletzt seinen Sohn, unsern Herrn Jesus Christus. Diesen schlugen die bösen Bauern und warfen ihn aus dem Weinberge hinaus. Nun aber umgab ihn der Herr Gott nicht mit einem Wall, sondern dehnte ihn aus über die ganze Welt und übergab ihn anderen Bauern, die Frucht geben zu ihrer Zeit, nachdem der Turm seiner Erwählung prächtig an allen Orten erhöht worden ist. Denn überall ist die herrliche Kirche und überall gegraben ringsherum die Kelter, denn überall nimmt man den Geist auf. Jene aber, die den Sohn Gottes verworfen haben und aus dem Weinberg hinausgeworfen und geschlagen haben, die hat gerechterweise Gott verworfen und die Bebauung den Heiden übergeben, die außerhalb des Weinberges waren. So sagt auch der Prophet Jeremias: „Verworfen hat der Herr und verstoßen das Volk, das solches tat, denn Böses taten Judas Söhne vor meinem Angesicht, spricht der Herr“ (Jr 7,29 f.). Und an anderer Stelle: „Ich habe über euch Wächter gesetzt. Höret die Stimme der Trompete! Und sie sprachen: Wir werden nicht hören. Darum haben die Heiden gehört, und die das Vieh hüten bei ihnen“ (Ebd. 6,17 f.). Es ist also ein und derselbe Gott Vater, der den Weinberg gepflanzt, das Volk herausgeführt, die Propheten sowie seinen Sohn gesandt, und den Weinberg anderen Bauern gegeben hat, welche die Früchte zu ihrer Zeit abliefern.



3.

Deshalb sprach der Herr zu seinen Jüngern, um uns zu guten Arbeitern vorzubereiten: „Gebet acht auf euch und wachet immer zu jeder Zeit, damit nicht einmal eure Herzen beschwert werden in Trank und Rausch und weltlichen Gedanken, und plötzlich vor euch steht jener Tag. Denn er wird über euch kommen wie eine Schlinge über alle, die da sitzen auf der Oberfläche der Erde. Es seien also eure Lenden umgürtet und eure Lampen brennend und ihr ähnlich den Leuten, die ihren Herrn erwarten. Denn wie es in den Tagen des Noe geschehen ist: sie aßen und tranken und kauften und verkauften, sie heirateten und gaben zur Ehe, und sie wußten es nicht, bis Noe in die Arche ging und die Sintflut kam und alles vernichtete. Und wie es geschehen ist in den Tagen des Lot: sie aßen und tranken, sie kauften und verkauften, sie pflanzten und bauten, bis daß Lot von Sodoma fortging. Da regnete Feuer vom Himmel und vernichtete alle. So wird es sein bei der Ankunft des Menschensohnes (Lc 17,26 ff.) . Wachet also, denn ihr wißt nicht, an welchem Tage euer Herr kommen wird“ (Mt 24,42). Womit er verkündet, daß ein und derselbe Herr zu den Zeiten des Noe wegen des Ungehorsams der Menschen die Sintflut kommen ließ und zu den Zeiten Lots wegen der Menge der Sünden der Sodomiter Feuer vom Himmel regnen ließ und am Ende der Welt wegen eben desselben Ungehorsams und ähnlicher Sünden den Tag des Gerichts wird kommen lassen, an dem es nach seinen Worten Sodoma und Gomorrha erträglicher ergehen wird als der Stadt und dem Hause, die das Wort seiner Apostel nicht aufnahmen. „Und du, Kapharnaum“, sprach er, „wirst du etwa zum Himmel erhoben werden? Bis zur Hölle wirst du hinabsteigen. Denn wenn in Sodoma die Wunder geschehen wären, welche in dir geschehen sind, wäre es geblieben bis auf den heutigen Tag. Jedoch sage ich euch, erträglicher wird es Sodoma sein an dem Tage des Gerichtes als euch“ (Ebd. 11,23 f.).



4.

Ebenso ist es auch immer ein und dasselbe Wort, welches denen, die ihm glauben, „die Quelle des Wassers zum ewigen Leben“ (Jn 4,14)gibt und den unfruchtbaren Feigenbaum sogleich, verdorren lässt (Mt 21,19) . Zu den Zeiten des Noe führte es die Sintflut herbei (Gn 6,2 ff.) , um das arge Geschlecht der damaligen Menschen auszulöschen, die für Gott keine Frucht bringen konnten, da sich die treulosen Engel mit ihnen vermischt hatten, und um ihren Sünden Einhalt zu gebieten, den Urtypus des Menschen aber, die Gestalt des Adam, zu bewahren. Ebendasselbe Wort regnete zu den Zeiten des Lot über Sodoma und Gomorrha Feuer und Schwefel vom Himmel (Ebd. 19,24) , als „ein Beispiel des gerechten Gerichtes Gottes“ (2 Thess. l,5), damit alle erkennen sollten, daß „ein jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, ausgehauen werden wird und ins Feuer geworfen“ (Lc 3,9); und „erträglicher wird es bei dem allgemeinen Gerichte mit Sodoma verfahren“ (Mt 11,24), als mit denen, die die Wunder sahen, welche es tat, und ihm nicht glaubten, noch seine Lehre aufnahmen. Wie er nämlich größere Gnade durch seine Ankunft denen verlieh, die an ihn glaubten und seinen Willen tun, so zeigte er auch an, daß im Gerichte größere Strafe die erleiden werden, die ihm nicht glaubten. Denn über alle ist er in gleicher Weise gerecht, und „wem er mehr gab, von dem wird er auch mehr verlangen“ (Lc 12,48), nicht weil er einen andern Vater kennen lehrte, wie wir weit und breit gezeigt haben, sondern weil er ein größeres Gnadengeschenk vom Vater durch seine Ankunft auf das Menschengeschlecht ausgegossen hat.



5.

Wenn aber jemandem das Gesagte noch nicht genügt, um zu glauben, daß ein und derselbe Vater die Propheten gesandt hat und unsern Herrn, so öffne er die Tür seines Herzens und rufe den Herrn und Lehrer Jesus Christus an und höre was er sagt: „Das Himmelreich ist einem Könige gleich, der seinem Sohne Hochzeit machte und seine Knechte ausschickte, um zusammenzubitten die, welche zur Hochzeit geladen waren. Und da sie nicht gehorchen wollten“, heißt es, „schickte er andere Knechte und ließ sagen: Saget denen, welche geladen sind: Kommet, mein Mahl habe ich bereitet, meine Ochsen und alles Mastvieh ist geschlachtet und alles ist bereit, kommet zur Hochzeit! Jene aber gingen fort und kümmerten sich nicht um ihn, die einen auf ihren Acker, die anderen zu ihrem Geschäft, die übrigen aber ergriffen die Knechte, taten den einen Schmach an und töteten die anderen. Als aber der König es gehört hatte, erzürnte er, und er schickte seine Heere aus und tötete jene Mörder und steckte ihre Stadt in Brand und sprach zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Geladenen waren nicht würdig. Gehet also hinaus an die Ausgänge der Straßen, und wieviele ihr findet, sammelt zur Hochzeit! Und es gingen aus seine Knechte und sammelten alle, wieviele sie fanden, gute und schlechte, und gefüllt wurde die Hochzeit von den Gästen. Als aber hineinging der König, um die Gäste zu sehen, sah er dort einen Menschen, nicht bekleidet mit dem Hochzeitskleide, und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hierher gekommen, da du nicht das Hochzeitskleid hast? Als jener aber verstummte, sprach der König zu den Dienern: Ergreifet ihn an Händen und Füßen und werfet ihn in die äußerste Finsternis, dort wird sein Weinen und Zähneknirschen. Viele nämlich sind berufen, wenige aber auserwählt“ (Mt 22,2 ff.). Denn deutlich zeigte der Herr auch durch diese seine Worte alles an: daß dieser eine König und Herr der Vater aller ist, wie er von ihm früher sagte: „Du sollst auch nicht bei Jerusalem schwören, weil es die Stadt des großen Königs ist“ (Ebd. 5,35), und daß er von Anfang an seinem Sohne die Hochzeit bereitete und gemäß seiner unendlichen Güte durch seine Knechte die früheren zum Hochzeitsmahle berufen hat, und als jene nicht gehorchen wollten, er wiederum andere Knechte aussandte, um sie zusammenzuberufen. Aber auch so gehorchten sie ihm nicht, sondern steinigten die, welche seinen Ruf überbrachten, und töteten sie. Da vernichtete er jene, indem er seine Heere aussandte, und steckte ihre Stadt in Brand. Alsdann, aber rief er von allen Wegen, d. h. aus sämtlichen Völkern, zu dem Hochzeitsmahle seines Sohnes zusammen, wie er auch durch Jeremias spricht: „Und ich schickte zu euch als meine Knechte die Propheten zu sagen: Bekehret euch ein jeder von seinem so bösen Wege und machet besser eure Werke!“ (Jr 35,15) Und abermals durch ebendenselben: „Und ich sandte zu euch alle meine Knechte, die Propheten, bei Tage und vor dem Lichte, und sie gehorchten mir nicht, noch spannten sie ihre Ohren. Und du sollst zu ihnen sprechen dieses Wort: Dies Geschlecht, das nicht gehorchte der Stimme des Herrn, noch Zucht annahm, es verschwand die Treue aus ihrem Munde“ (Jr 7,25 ff.). Derselbe Herr also, der uns von allen Seiten durch die Apostel berief, der hat auch ehemals durch die Propheten berufen, wie aus den Reden des Herrn gezeigt wird, und keineswegs haben die Propheten, wenn auch anderen Völkern, so doch von einem andern Gott gepredigt als die Apostel; ein and denselben gilt es, wenn diese von dem Herrn sprachen, jene den Vater verkündeten, jene die künftige Ankunft des Gottessohnes meldeten, diese seine bereits erfolgte Ankunft denen verkündeten, die ferne wohnten.



6.

Weiter tat der Herr kund, daß wir, abgesehen von der Berufung, uns auch mit den Werken der Gerechtigkeit schmücken müssen, damit über uns der Geist Gottes ruhe. Das ist das hochzeitliche Kleid, von dem auch der Apostel redet, wenn er sagt: „Wir wollen nicht ausgezogen, sondern bekleidet werden, damit das Sterbliche von der Unsterblichkeit verschlungen werde“ (2Co 5,4). Die aber zu dem Mahle Gottes berufen sind, wegen ihres schlechten Wandels jedoch den Hl. Geist nicht empfangen haben, die werden nach seinem Worte „in die äußerste Finsternis hinausgeworfen werden“ (Mt 22,13). Es ist also offenbar derselbe König, der die Gläubigen von allen Seiten zu der Hochzeit seines Sohnes berufen hat und das unvergängliche Gastmahl ihnen schenkte, und andererseits in die äußerste Finsternis den werfen läßt, der kein hochzeitliches Kleid an hat, d. h. ihn verachtet. Denn wie in dem Alten Testamente er „an vielen von ihnen kein Wohlgefallen hatte“ (1Co 10,5), so sind auch hier „viele berufen, wenige auserwählt“. Derselbe Gott also, der richtet, ist auch der Vater, der zum Heile beruft, er schenkt den einen das ewige Licht und läßt die, welche kein hochzeitliches Kleid anhaben, in die äußerste Finsternis hinauswerfen. Derselbe Herr, der Vater unseres Herrn, der die Propheten gesandt hat, beruft wegen seiner unendlichen Güte zwar Unwürdige, sieht aber darauf, ob die Berufenen auch ein geziemendes Kleid anhaben, wie es sich schickt für die Hochzeit seines Sohnes. Denn nichts Unpassendes oder Schlechtes kann ihm gefallen. So sagt ja auch der Herr zu dem, den er geheilt hatte: „Siehe, du bist gesund geworden, sündige nicht mehr, damit dir nicht etwas Schlimmeres geschehe“ (Jn 5,14). Denn der Gute, Gerechte, Reine und Unbefleckte wird nichts Böses, Ungerechtes oder Abscheuliches in seinem Brautgemache dulden. Das ist aber der Vater unseres Herrn, durch dessen Vorsehung alles besteht, und auf dessen Befehl alles gelenkt wird. Unverdienterweise gibt er seine Geschenke, denen es zukommt; nach Verdienst aber vergilt er ganz geziemend den Undankbaren, die seine Güte nicht erkennen wollen, als gerechtester Vergelter, und deswegen heißt es: Er sandte seine Heere aus und vernichtete jene Mörder und zündete ihre Stadt an. Sein Heer aber heißt es, weil alle Menschen Gott gehören: „Des Herrn ist die Erde und ihre Fülle, der Erdkreis und alle, die darauf wohnen“ (Ps 23,1). Und deshalb sagt Paulus im Römerbriefe: „Es gibt nämlich keine Gewalt außer von Gott. Die aber bestehen, sind von Gott angeordnet. Wer sich daher der Gewalt widersetzt, widersetzt sich der Anordnung Gottes; die sich aber widersetzen, ziehen sich selbst die Verdammnis zu. Denn die Fürsten sind nicht zum Schrecken für das gute Werk, sondern für das böse. Willst du aber die Gewalt nicht fürchten, dann tue Gutes, und du wirst davon Lob haben, denn Gottes Dienerin ist sie dir zum Guten. Wenn du aber Böses tust, so fürchte! Denn nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Denn sie ist Gottes Dienerin, Rächerin zum Zorne für den, der Böses tut. Seid daher untertan, nicht bloß wegen des Zornes, sondern auch wegen des Gewissens. Deswegen zahlt ihr auch Abgaben, als Gottes Dienerinnen dienen sie gerade hierzu“ (Rm 13,1 ff.). Der Herr also und die Apostel verkünden einen Gott Vater, den, der das Gesetz gab, die Propheten sandte und alles gemacht hat; und deswegen heißt es: „Er sandte seine Heere“ (Mt 22,7), denn jeder Mensch, insofern er Mensch ist, ist sein Geschöpf, wenn er auch seinen Gott nicht kennen sollte. „Der seine Sonne aufgehen läßt über Gute und Böse und regnet über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,45), dem verdanken auch alle ihr Dasein.



7.

Doch nicht allein durch das vorerwähnte Gleichnis, sondern auch durch die Parabel von den zwei Söhnen, von denen der jüngere sein Vermögen verschwendete, indem er mit Buhlerinnen lebte, wies er hin auf ein und denselben Vater, der dem älteren Sohne nicht einmal ein Böcklein gönnte, wegen des verloren gewesenen jüngeren Sohnes aber das Mastkalb schlachten ließ und ihm das erste Kleid schenkte (Lc 15,11 ff.) . Auch in dem Gleichnis von jenen Arbeitern, die zu verschiedenen Zeiten in den Weinberg geschickt wurden, offenbart sich ein und derselbe Hausherr: die einen berief er sogleich im Anfange der Erschaffung der Welt, die anderen später, wieder andere um die Mitte der Zeit und noch andere, als die Zeit schon vorgeschritten war, und abermals andere am Ende (Ebd. 5,45) : denn es gibt viele Arbeiter, jeder zu seiner Zeit, aber nur einen Hausvater, der sie beruft. Es gibt nämlich nur einen Weinberg, wie es auch nur eine Gerechtigkeit gibt, und einen Verwalter, den Geist Gottes, der alles anordnet, und ähnlich auch nur einen Lohn, denn alle empfingen einen Zehner mit dem Bilde und der Inschrift des Königs, die Erkenntnis des Sohnes Gottes, welche die Unsterblichkeit ist. Deswegen begann er auch bei den letzten mit der Austeilung des Lohnes, da sich der Herr in den letzten Zeiten offenbarte und allen sich vorstellte.



8.

Der Zöllner aber, der im Beten den Pharisäer übertraf, erhielt vom Herrn das Zeugnis, daß er mehr gerechtfertigt sei (Ebd. 18,10 ff.) , nicht deswegen, weil er einen andern Vater verehrte, sondern weil er mit großer Demut, ohne Stolz und Überhebung vor ebendemselben Gott seine Sünden bekannte. Auch das Gleichnis von den beiden Söhnen, die in den Weinberg geschickt wurden (Mt 21,28 ff.) , weist hin auf ein und denselben Vater. Der eine von ihnen widersprach dem Vater, was ihm nachher leid tat, als ihm die Reue nichts mehr nützte, der andere aber versprach sogleich dem Vater zu gehen, ging aber nicht — denn „jeder Mensch ist lügenhaft“ (Ps 115,2)und „das Wollen zwar liegt nahe, er findet aber nicht das Vollbringen“ (Rm 7,18). Auch in dem Gleichnis von dem Feigenbaume, von dem der Herr sagt: „Siehe, schon drei Jahre komme ich, Frucht zu suchen an diesem Feigenbaume, und ich finde sie nicht“ (Lc 13,6), weist er deutlich darauf hin, daß er durch die Propheten seine Ankunft verkündete, durch die er mehrmals gekommen ist, um die Frucht der Gerechtigkeit von ihnen zu suchen, die er nicht fand, und daß deswegen der Feigenbaum ausgehauen werden wird. Und ohne Gleichnisrede sprach der Herr zu Jerusalem: „Jerusalem, Jerusalem, das du tötest die Propheten und steinigest diejenigen, welche zu dir gesandt werden, wie oft wollte ich versammeln deine Söhne, wie die Henne ihre Küchlein unter den Flügeln, und du hast nicht gewollt. Siehe, es wird euch euer Haus öde zurückgelassen“ (Ebd. 13,34). Was nämlich gleichnisweise gesagt war: „Siehe, drei Jahre komme ich Frucht suchend“, und ebenso das deutliche Wort: „Wie oft wollte ich deine Söhne versammeln“, diese Worte sind eine Lüge, wenn wir sie nicht auf seine von den Propheten verkündete Ankunft beziehen, da er doch nur das einemal und niemals vorher zu ihnen gekommen ist. Da aber der, welcher die Patriarchen und auch uns erwählte, dasselbe Wort Gottes ist, das jene immer besuchte durch den prophetischen Geist und uns, die wir von allen Seiten berufen sind, durch seine Ankunft, so sagt er gleichfalls mit Recht: „Viele von Aufgang und Untergang werden kommen und zu Tische sitzen mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreiche. Die Söhne des Reiches aber werden in die äußerste Finsternis gehen, dort wird Weinen und Zähneknirschen sein“ (Mt 8,11 f.). Wenn nun diejenigen, die durch die Predigt seiner Apostel vom Aufgang und Niedergang an ihn glauben, mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreiche zu Tische sitzen werden, mit ihnen an dem Mahle teilnehmend, dann hat offenbar ein und derselbe Gott, der die Patriarchen erwählte, das Volk heimgesucht und die Heiden berufen.






37 Kapitel: Vom freien Willen des Menschen

1.

Jenes Wort: „Wie oft wollte ich versammeln deine Söhne, und du hast nicht gewollt“, weist auf das alte Gesetz von der Freiheit des Menschen hin. Denn frei hat ihn Gott im Anfang erschaffen, mit eigener Macht wie mit eigener Seele, sodaß er mit freiem Willen ohne Zwang von Seiten Gottes Gottes Einsicht folgen sollte. Denn bei Gott ist kein Zwang; gute Erkenntnis aber ist bei ihm immerzu, und deswegen gibt er auch allen guten Rat. Er legte aber in den Menschen wie in die Engel die Gewalt zu wählen, denn auch die Engel sind mit Vernunft begabt, damit die, welche ihm gehorchen würden, mit Recht das Gute besäßen, von Gott verliehen, aber von ihnen bewahrt. Die aber ihm nicht gehorchten, die werden gerechterweise nicht bei dem Guten gefunden und empfangen die verdiente Strafe. Gab ihnen doch Gott in seiner Güte das Gute; sie aber bewahrten es nicht sorgfältig, noch erachteten sie es als wertvoll, sondern verachteten die überaus große Güte. Die also das Gute fortwerfen und es gleichsam ausspeien, die werden alle verdientermaßen dem gerechten Gerichte Gottes verfallen, wie der Apostel Paulus im Römerbriefe mit den Worten bezeugt: „Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte und Geduld und Langmut, ohne zu wissen, daß die Güte Gottes zur Buße dich hinführt? Aber gemäß deiner Härte und deinem unbußfertigen Herzen häufst du dir den Zorn Gottes auf an dem Tage des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes. Ehre aber und Ruhm jedem, der Gutes tut“ (
Rm 2,4 f.). Gott also gab das Gute, wie auch der Apostel in diesem Briefe bezeugt, und die es tun, die werden Ehre und Ruhm erlangen, da sie das Gute getan haben, wo sie es auch nicht tun konnten; die es aber nicht tun, die werden das gerechte Gericht Gottes erdulden, weil sie das Gute nicht getan haben, wo sie es doch tun konnten.



2.

Wären von Natur die einen gut, die anderen schlecht geworden, dann wären die Guten nicht lobenswert, da sie ja so gemacht worden sind, noch jene tadelnswert, da von ihnen das Gleiche gilt. Da aber alle von der gleichen Natur und imstande sind, das Gutes sowohl an sich zu ziehen und zu tun, als auch von sich zu stoßen und nicht zu tun, so werden mit Recht bei verständigen Menschen, also vielmehr noch bei Gott, die einen gelobt und empfangen das ihrer guten Wahl und Ausdauer gebührende Zeugnis; die anderen aber werden getadelt und empfangen die gebührende Strafe, weil sie das Schöne und Gute von sich gewiesen haben. Und deshalb ermahnten auch die Propheten die Menschen, gerecht zu handeln und das Gute zu tun, wie wir vielfach gezeigt haben, weil dies in unserer Kraft steht, und weil wir durch vielfache Nachlässigkeit vergeßlich geworden sind und uns die Erkenntnis des Rechten fehlt, die uns der gute Gott durch die Propheten geben wollte.



3.

Deshalb sagte auch der Herr: „Es leuchte euer Licht vor den Menschen, damit sie eure guten Taten sehen und euren Vater verherrlichen, der im Himmel ist (Mt 5,16) . Habet acht auf euch, daß nicht vielleicht eure Herzen beschwert werden in Rausch und Trunkenheit und weltlichen Sorgen“ (Lc 21,34). Und: „Eure Lenden seien umgürtet und eure Lampen brennend, und ihr ähnlich den Leuten, die ihren Herrn erwarten, wann er zurückkommt von der Hochzeit, damit, wann er kommt und klopft, sie ihm öffnen. Glücklich jener Knecht, den sein Herr, wann er kommt, so tun findet“ (Ebd. 12,35). Und andererseits: „Der Knecht, der den Willen seines Herrn kennt und nicht tut, wird viele Streiche bekommen“ (Lc 12,47). Und: „Was sagt ihr zu mir: „Herr, Herr, und tut nicht, was ich sage?“ (Ebd. 6,46) Und abermals: „Wenn aber der Knecht in seinem Herzen spricht: Es zögert mein Herr, und anfängt, seine Mitknechte zu schlagen, und zu essen und zu trinken und sich zu berauschen, so wird sein Herr an dem Tage kommen, wo er nicht hofft, und er wird ihn absondern und ihm seinen Teil mit den Heuchlern geben“ (Ebd. 12,45 f.). All dies beweist, daß der Mensch frei und selbständig ist, und Gott uns mit seinem Rate nur leitet, indem er uns zum Gehorsam ermahnt und vom Unglauben hinwegführt, nicht aber mit Gewalt uns zwingt.



4.

Wenn also jemand dem Evangelium nicht folgen will, so steht es ihm frei, aber es nützt ihm nicht. Der Mensch kann sich für den Ungehorsam gegen Gott entscheiden und für den Verlust des Guten, zieht sich aber dadurch einen gewaltigen Nachteil und Schaden zu. Darum sagt Paulus: „Alles steht mir frei, aber nicht alles bringt Nutzen“ (1Co 6,12). „Alles ist erlaubt“, weist hin auf die Freiheit des Menschen, die keinem Zwange Gottes unterliegt, „es nützt aber nichts“, warnt uns, die „Freiheit zum Deckmantel der Bosheit zu mißbrauchen“ (1P 2,16), was nichts nützt. Und wiederum sagt er: „Redet Wahrheit ein jeder mit seinem Nächsten“ (Ep 4,25). Und: „Kein, böses Wort gehe aus eurem Munde hervor, nichts Schändliches oder eitles Gerede oder Schlüpfriges, was zur Sache nicht gehört, sondern vielmehr Danksagung“ (Ebd. 4,29). Und: „Ihr waret nämlich einst Finsternis, nun aber Licht im Herrn, als Söhne des Lichtes wandelt ehrbar, nicht in Schmausereien und Trinkgelagen, nicht in Schlafkammern und Lüsten, nicht in Zorn und Neid (Ebd. 4,8) . Und dies waren einige aus euch, aber ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt im Namen unseres Herrn“ (1Co 6,14). Läge es also nicht in unserer Hand, dies zu tun oder nicht zu tun, welchen Grund hätte dann der Apostel und noch viel mehr der Herr selbst gehabt, uns den Rat zu geben, daß wir einiges tun, von anderem aber uns enthalten sollen? Weil jedoch der Mensch von Anfang an einen freien Willen hat, wie Gott einen freien Willen hat, nach dessen Ebenbild er erschaffen worden ist, so gibt er ihm immer den Rat, das Gute festzuhalten, welches im Gehorsam gegen Gott vollendet wird.



5.

Aber nicht nur in den Werken, sondern sogar im Glauben hat Gott die Freiheit und Selbstentscheidung des Menschen beachtet, indem er spricht: „Nach deinem Glauben möge dir geschehen“ (Mt 9,29), womit gesagt ist, daß der Glaube ebenso Eigentum des Menschen ist wie sein freier Wille. Und abermals heißt es: „Alles ist möglich dem, der da glaubt“ (Mc 9,23), und: „Gehe, wie du geglaubt hast, soll dir geschehen!“ (Mt 9,22) Alle derartigen Stellen lehren, daß der Glaube von der freien Zustimmung des Menschen abhängt. Deswegen hat auch „der, welcher ihm glaubt, das ewige Leben; wer aber dem Sohne nicht glaubt, der hat nicht das ewige Leben, sondern der Zorn Gottes wird über ihm bleiben“ (Jn 3,36) . In dem Sinne also erklärt der Herr das Gute für sein Eigentum und beläßt dem Menschen den freien Willen und die Selbstentscheidung, wenn er zu Jerusalem spricht: „Wie oft wollte ich deine Söhne versammeln, wie die Henne ihre Küchlein unter den Flügeln, und du hast nicht gewollt. Deshalb wird euch euer Haus öde gelassen werden“ (Mt 23,37 f.) .



6.

Die aber die gegenteilige Ansicht vertreten, stellen sich den Herrn als zu schwach vor, so daß er das nicht durchsetzen konnte, was er wollte, oder als einen, der die Natur der von ihnen sogenannten Choiker nicht kannte, da diese ja seine Unsterblichkeit nicht annehmen konnten. Aber dann hätte er weder die Engel so schaffen dürfen, daß sie sündigen konnten, noch solche Menschen, die sogleich gegen ihn undankbar wurden. Wurden diese doch mit Verstand, Unterscheidungs- und Urteilskraft begabt und waren keineswegs wie die unverständigen und leblosen Geschöpfe, die nach eigenem Willen nichts tun können, sondern mit Zwang und Notwendigkeit zum Guten gezogen werden, so daß in ihnen ein Sinn und eine Sitte ist, so daß sie, unveränderlich und urteilslos, nichts anders sein können als das, wozu sie erschaffen wurden. Dann aber wäre ihnen das Gute nicht angenehm, noch wertvoll die Gemeinschaft mit Gott, noch das Gute sehr begehrenswert, wenn es ihnen ohne eigene Tätigkeit, Sorge und Eifer zufallen, sowie ohne eigenes Zutun und mühelos verliehen würde. Dann hätten auch die Guten nichts zu bedeuten, weil sie mehr von Natur als aus eigenem Willen so geworden wären und das Gute von selbst, aber nicht aus eigener Wahl hätten, und folglich würden sie auch nicht einmal einsehen, wie schön das Gute ist, noch könnten sie es genießen; denn nur das kann man als ein Gut genießen, was man als ein Gut kennt. Welchen Ruhm aber würden sie haben, wenn sie sich darum nicht bemüht haben, und welche Krone sollte ihnen werden, wenn sie sie nicht wie die Sieger im Kampfe erlangt haben?



7.

Deswegen spricht der Herr von einem gewaltsamen Himmelreiche. „Die Gewalt anwenden“, sagt er, „reißen es an sich“ (Mt 11,12), d. h. die mit Gewalt und Kampf beständig wachen, reißen es an sich. Und deswegen sagt auch Paulus im Korintherbriefe: „Wisset ihr nicht, daß die, welche in der Rennbahn laufen, zwar alle laufen, daß aber nur einer den Preis erhält? So laufet, daß ihr ihn erlanget. Jeder aber, der da kämpft, ist in allem enthaltsam, jene, damit sie eine vergängliche Krone empfangen, wir aber eine unvergängliche. Ich aber laufe so, nicht auf ein Ungewisses; ich kämpfe so, nicht als ob ich die Luft schlage, sondern ich züchtige meinen Körper und bringe ihn in Knechtschaft, damit ich nicht vielleicht, andern predigend, selbst verworfen werde“ (1Co 9,24 ff.). Als guter Streiter also ermahnt er uns zum Kampfe um die Unvergänglichkeit, damit wir gekrönt werden und die Krone als wertvoll schätzen, da sie nur durch Kampf erworben wird und nicht von selbst uns zufällt. Und je mehr sie uns durch Kampf zuteil wird, um so wertvoller ist sie; je wertvoller aber sie uns ist, um so mehr sollen wir sie immer lieben. Auf verschiedene Weise lieben wir das, was uns von selbst kommt, und das, was mit vieler Sorgfalt erst errungen wird. Weil es aber bei uns stand, Gott mehr zu lieben, hat uns der Herr gelehrt und der Apostel gezeigt, dies mit Anstrengung zu finden. Ferner würden wir auch das Gute nicht merken, wenn wir es nicht üben würden. Wäre doch auch das Sehen uns nicht so begehrenswert, wenn wir nicht wüßten, was für ein Übel es ist, nicht zu sehen. Die Gesundheit wird erst durch die Kenntnis des Krankseins wertvoll, das Licht durch den Vergleich mit der Finsternis, das Leben durch den Vergleich mit dem Tod. So ist auch das Himmelreich wertvoller, wenn man das irdische Reich kennen gelernt hat. Je wertvoller aber etwas für uns ist, um so mehr lieben wir es, und je mehr wir es lieben, um so ruhmreicher werden wir bei Gott sein. Für uns also hat der Herr alles so eingerichtet, damit wir, in allem unterrichtet, in Zukunft in allem vorsichtig seien und in aller Liebe zu ihm verharren, durch unsere Vernunft belehrt, Gott zu lieben. Denn Gott war großmütig bei dem Falle des Menschen, der Mensch aber sollte dadurch belehrt werden, wie der Prophet sagt: „Bessern soll dich dein Abfall“ (Jr 2,10). Denn alles hat Gott zur Vollendung des Menschen bestimmt und zur Durchführung und Offenbarung der Heilsordnung. So soll seine Güte sich zeigen, die Gerechtigkeit sich vollenden, die Kirche dem Bilde seines Sohnes angepaßt und der Mensch endlich einmal reif werden, indem er auf solchem Wege heranreift zur Anschauung und zum Besitz Gottes.






38 Kapitel: Weshalb der Mensch nicht ursprünglich vollkommen war

1.

Sollte aber jemand sagen: „Wie denn? Konnte Gott nicht von Anfang an den Menschen vollkommen machen?“ so soll er wissen, daß Gott, der Unveränderliche und Unerschaffene, an und für sich alles vermag, das Erschaffene aber, eben weil es seinen Anfang erst später genommen hat, deshalb auch seinem Schöpfer nachstehen muß. Was eben geworden ist, kann nicht unerschaffen sein. Weil sie nicht unerschaffen sind, daher bleiben sie hinter dem Vollkommenen zurück. Weil sie jünger sind, darum sind sie gleichsam Kinder und folglich noch nicht gewöhnt und ungeübt in der Wissenschaft des Vollkommenen. Wie nämlich die Mutter ihrem Kinde vollkommene Speise reichen könnte, das Kind aber die zu starke Speise nicht vertragen kann, so war auch Gott imstande, dem Menschen die Vollkommenheit von Anfang an zu gewähren, der Mensch aber war unfähig, sie aufzunehmen; denn er war noch ein Kind. Und deswegen kam unser Herr in den letzten Zeiten, indem er alles in sich rekapitulierte, zu uns, nicht wie er selber hätte können, sondern wie wir ihn zu sehen vermochten. Er hätte nämlich in seiner unaussprechlichen Herrlichkeit zu uns kommen können; aber wir waren nicht im geringsten imstande, die Größe seiner Herrlichkeit zu ertragen. Und deshalb gab er, der das vollkommene Brot (
Jn 6,51) des Vaters war, sich uns gleichsam wie Kindern als Milch — denn das war seine menschliche Ankunft — damit wir gleichsam von der Mutterbrust seines Fleisches genährt, durch solche Milchnahrung gewöhnt wurden, das Wort Gottes „zu essen und zu trinken“ (Mt 26,26 f.), und damit wir imstande wären, das Brot der Unsterblichkeit, welches der Geist des Vaters ist, in uns zu bewahren.



2.

Deswegen sagt Paulus zu den Korinthern: „Milch habe ich euch als Trank gereicht, nicht Speise, denn ihr konntet diese Speise noch nicht essen“ (1Co 3,2), d. h. von der Ankunft des Herrn als Mensch habt ihr zwar gehört, aber der Geist des Herrn ruht noch nicht auf euch wegen eurer Schwäche. „Wo nämlich Eifersucht und Zwietracht“, sagt er, „in euch und Zwistigkeiten sind, da seid ihr noch fleischlich und wandelt nach Menschenart“ (Ebd. 3,3). Das besagt, daß der Geist des Vaters in ihnen wegen der Unvollkommenheit und Schwäche ihres Wandels noch nicht war. Wie also der Apostel Speise hätte geben können — denen sie die Hände auflegten, die empfingen den Hl. Geist (Ac 8,17) , welcher das Brot des Lebens ist —, jene aber sie nicht empfangen konnten, weil das Verständnis ihrer Seele für ihr Verhalten gegen Gott noch ungeübt und schwach war, so hätte auch Gott gleich von Anfang dem Menschen die Vollkommenheit geben können, jener aber, der soeben erst gemacht war, konnte sie nicht annehmen, oder hätte er sie angenommen, nicht umfassen oder sicher nicht festhalten können. Deshalb wurde das Wort, der Sohn Gottes, mit uns zum Kinde, obgleich er vollkommen war, nicht seinetwegen, sondern wegen des Kindheitszustandes des Menschen, so begreifbar geworden, wie eben der Mensch ihn begreifen konnte. Also liegt die Unmöglichkeit und das Bedürfnis nicht bei Gott, sondern bei dem Menschen, der eben erst geworden und deswegen noch unvollkommen war.



3.

In Gott aber offenbart sich Macht und Weisheit und Güte zugleich: Seine Macht und Güte darin, daß er aus freiem Willen das, was noch nicht war, gründete und schuf; seine Weisheit aber darin, daß er alles, was ist, so zweckmäßig und harmonisch gestaltet hat. Einige Wesen aber empfangen wegen seiner unendlichen Güte Wachstum, dauern fort für die Länge der Zeit und nehmen teil an der Herrlichkeit des Unerschaffenen, indem Gott ihnen neidlos das Gute schenkt. Insofern sie gemacht sind, sind sie nicht unerschaffen; insofern sie aber fortdauern in langen Ewigkeiten, nehmen sie die Kraft des Unerschaffenen an, da ihnen Gott in Gnaden ewige Fortdauer schenkt. Und auf diese Weise bewahrt Gott in allem den Vorrang, da er allein der Unerschaffene, eher als alles andere und die Ursache von allem anderen ist. Das übrige also bleibt alles Gott untertan. Der Gehorsam gegen Gott bedeutet Fortdauer und Unvergänglichkeit; die Unvergänglichkeit aber ist der Ruhm des Unerschaffenen. Durch solche Ordnung, Harmonie und Führung wird der erschaffene Mensch zum Bild und Gleichnis des unerschaffenen Gottes, indem der Vater es will und beschließt, der Sohn es bewirkt und bildet, der Geist Nahrung und Wachstum gewährt, der Mensch aber allmählich vorwärts kommt und zur Vollkommenheit gelangt, d. h. dem Unerschaffenen ganz nahe kommt. Vollkommen nämlich ist nur der Unerschaffene, d. i. Gott. Der Mensch aber mußte zuerst werden, dann wachsen, dann erstarken, dann sich vervielfältigen, dann genesen, dann verherrlicht werden und schließlich seinen Gott schauen. Die Anschauung Gottes nämlich ist unser Ziel und die Ursache der Unvergänglichkeit; die Unvergänglichkeit aber führt uns in die Nähe von Gott.



4.

Unvernünftig also in jeder Hinsicht sind die, welche die Zeit des Wachstums nicht abwarten und die Schwäche ihrer Natur Gott zuschreiben. Diese Unersättlichen und Undankbaren kennen weder Gott noch sich, wenn sie das nicht sein wollen, was sie doch zuerst geworden sind: leidensfähige Menschen; und das Gesetz des menschlichen Geschlechtes übertretend, wollen sie, noch bevor sie Menschen geworden sind, dem Schöpfergott ähnlich sein und keinen Unterschied zulassen zwischen dem unerschaffenen Gott und dem jetzt entstandenen Menschen. Unverständiger sind sie als die stummen Tiere. Denn diese machen Gott keinen Vorwurf daraus, daß er sie nicht zu Menschen gemacht hat, sondern jedes von ihnen dankt mit dem, was es geworden ist, dafür, daß es geworden ist. Wir werfen ihm nämlich vor, daß wir nicht von Anfang an Götter geworden sind, sondern zunächst Menschen und dann erst Götter. Ist doch Gott in seiner einzigartigen Güte, damit niemand ihn für neidisch oder geizig halte, so weit gegangen, daß er spricht: „Ich habe gesagt: Götter seid ihr und Söhne des Höchsten allesamt“ (Ps 81,6). Von uns aber, die wir die Macht seiner Gottheit nicht zu tragen vermochten, sagt er: „Ihr aber werdet wie Menschen sterben“ (Ebd. 81,7). So hebt er beides hervor: seine Güte im Schenken und unsere Schwäche samt dem freien Willen. Denn gemäß seiner Güte gab er uns gütig das Gute und machte die Menschen sich ähnlich durch den freien Willen, gemäß seiner Vorsehung aber kannte er die Schwäche der Menschen, und was daraus folgen würde. Gemäß seiner Liebe und Kraft jedoch wird er das Wesen der erschaffenen Natur überwinden. Zuerst aber mußte die Natur erscheinen, dann das Sterbliche von dem Unsterblichen besiegt und verschlungen werden und das Vergängliche von dem Unvergänglichen (1Co 15,53) , und der Mensch nach dem Bild und Gleichnis Gottes werden, nachdem er die Kenntnis des Guten und Bösen (Gn 3,5) erlangt hatte.






39 Kapitel: Die Konsequenzen des freien Willens

1.

Es empfing also der Mensch die Kenntnis des Guten und Bösen. Gut ist es aber, Gott zu gehorchen und ihm zu glauben und seine Gebote zu beobachten; und das ist das Leben des Menschen, wie Gott nicht zu gehorchen, böse ist und der Tod des Menschen. Indem also Gott sich großmütig zeigte, lernte der Mensch das Gute des Gehorsams und das Böse des Ungehorsams, damit das Auge seines Geistes beides kennen lernte, für die Wahl des Besseren sich einsichtig entscheide und niemals träge oder nachlässig in den Geboten Gottes werde, und niemals mehr das, was ihm das Leben wegnimmt, nämlich den Ungehorsam gegen Gott — denn das ist böse — erprobe, oder es jemals versuche. Was aber das Leben erhält, den Gehorsam gegen Gott, sollte er mit aller Sorgfalt gewissenhaft beobachten, erkennend, daß das gut ist. Deshalb auch hatte er die doppelte Einsicht, welche die Kenntnis von beidem enthielt, damit er die Wahl des Besseren mit Verständnis vollziehe; diese aber hätte er nicht haben können, wenn er nicht das Gegenteil vom Guten kannte. Denn sicherer und zweifelloser ist die Kenntnis realer Dinge als die auf Vermutungen beruhende Meinung. Wie nämlich die Zunge durch den Geschmack die Kenntnis des Süßen und Bitteren empfängt und das Auge durch das Gesicht das Schwarze vom Weißen unterscheidet und das Ohr durch das Gehör die Unterschiede der Töne wahrnimmt, so empfing auch der Geist durch die Erfahrung des Guten und Bösen das Verständnis für das Gute und wurde gefestigt, es durch den Gehorsam gegen Gott zu bewahren. Zunächst verabscheute er den Ungehorsam durch die Buße, da er bitter und böse ist, und lernte dann aus eigener Wahrnehmung, wie entgegengesetzt er dem Guten und Süßen ist, so daß er fortan nicht einmal versucht, den Ungehorsam gegen Gott zu verkosten. Wenn aber jemand sich der Erkenntnis beider und dem doppelten Verständnis für die Erkenntnis entziehen wollte, so tötet er sich heimlich als Menschen.



2.

Wie will der also Gott werden, der noch nicht einmal Mensch geworden ist? Wie will vollkommen werden, der eben erst gemacht ist, unsterblich, der in seiner sterblichen Natur dem Schöpfer nicht gehorcht? Er muß doch zuerst die Ordnung im Menschen bewahren, bevor er teilnehmen kann an der Herrlichkeit Gottes, Denn du machst Gott nicht, sondern Gott macht dich. Wenn du also ein Werk Gottes bist, so erwarte die Hand deines Künstlers, die alles zur rechten Zeit macht, zur rechten Zeit nämlich für dich, der du gemacht wirst! Bringe ihm aber ein weiches und williges Herz entgegen und bewahre die Gestalt, die dir der Künstler gegeben, und halte die Feuchtigkeit in dir fest, damit du nicht verhärtest und die Spur seiner Finger verlierest! Wenn du so das Gefüge behütest, so wirst du zur Vollkommenheit emporsteigen, denn durch die Kunst Gottes wird der Lehm in dir verborgen. Gemacht hat den Stoff in dir seine Hand, umgeben wird sie dich von innen und außen mit reinem Gold und Silber und wird so sehr dich schmücken, daß sogar „der König nach deiner Schönheit verlangt“ (
Ps 44,12). Wenn du jedoch sogleich verhärtest und seine Kunst verwischst und undankbar gegen ihn wirst, weil du nur ein Mensch geworden bist, so hast du durch deine Undankbarkeit gegen Gott mit einem Schlag seine Kunst und das Leben verloren. Das Schaffen nämlich kommt der Güte Gottes zu, geschaffen zu werden ist die Eigentümlichkeit der menschlichen Natur. Wenn du ihm also das Deinige gibst, d. h. den Glauben an ihn und den Gehorsam gegen ihn, dann wirst du seine Kunst an dir erfahren und ein vollkommenes Werk Gottes sein.



3.

Wenn du ihm aber nicht glaubst und seinen Händen entfliehst, so ist die Ursache der Unvollkommenheit in dir, der du nicht geglaubt hast, aber nicht in dem, der dich berufen hat. Denn „er sandte seine Boten aus, dich zur Hochzeit zu rufen“ (Mt 22,3); die aber ihm nicht gehorchten, haben sich selbst vom königlichen Mahle ausgeschlossen. Also fehlt es nicht an der Kunst Gottes, denn er vermag „aus Steinen Abraham Söhne zu erwecken“ (Ebd. 3,9); vielmehr wird der, welcher sie nicht annimmt, sich selbst die Ursache seiner Unvollkommenheit. Wird doch auch das Licht nicht schwächer durch die, welche sich selbst blenden, es bleibt wie es ist; die, welche sich selbst blendeten, sitzen durch ihre Schuld in der Finsternis. Und wie das Licht keinen mit Zwang unter seine Gewalt bringt, so zwingt auch Gott niemand, seine Kunst anzunehmen, wenn er nicht will. Die sich also von dem Lichte des Vaters abwenden und das Gesetz der Freiheit übertreten, die fielen ab durch eigene Schuld, da sie freien Willen und Selbstenscheidung erhalten hatten.



4.

Gott aber, der alles voraussieht, hat beiden passende Wohnungen zubereitet: Denen, die das unvergängliche Licht suchen und nach ihm laufen, schenkte er gütig das Licht, das sie begehren; für die anderen aber, die es verachten und sich von ihm abwenden, die es fliehen und gleichsam sich selbst blenden, machte er die Finsternis, die für die Feinde des Lichtes paßt. So legte er denen, die sich dem Gehorsam gegen ihn entzogen, die geziemende Strafe auf. Der Gehorsam aber gegen Gott ist die ewige Ruhe; und die, welche vor dem Licht fliehen, haben einen Platz, der ihrem Fliehen entspricht, und die, welche die ewige Ruhe fliehen, haben eine Wohnung, passend zu ihrer Flucht. Da aber bei Gott alles Gute ist, so berauben sich jene selbst aller Güter, die aus eigenem Entschluß Gott fliehen, und fallen dementsprechend in das gerechte Gericht Gottes. Wer die Ruhe flieht, wird gerechterweise in Strafe umherziehen, wer das Licht flieht, wird gerechterweise in Finsternis wohnen. Wie aber die, welche dies zeitliche Licht fliehen, sich der Finsternis überantworten, sodaß es ihre Schuld ist, wenn sie von dem Lichte verlassen werden und in Finsternis wohnen und das Licht, wie gesagt, daran keine Schuld hat, so sind auch die, welche das ewige Licht Gottes fliehen, das alles Gute in sich enthält, allein daran schuld, daß sie in der ewigen Finsternis wohnen, verlassen von allen Gütern.






40 Kapitel: Derselbe Vater belohnt und bestraft

1.

Es ist ein und derselbe Vater, der denen, die nach seiner Gemeinschaft verlangen und im Gehorsam gegen ihn verharren, seine Güter bereitet hat, dem Urheber des Abfalls aber und seinen Mitschuldigen das ewige Feuer, in das nach den Worten des Herrn die zur Linken Abgesonderten geschickt werden (
Mt 25,41) . Das ist's, was der Prophet sagte: „Ich bin Gott und der Eiferer, der Friede macht und Übles schafft“ (Is 45,6); für die Bußfertigen nämlich, und die sich zu ihm bekehren, macht er Frieden und Freundschaft und stiftet Einigkeit, für die aber, die sich nicht bekehren und sein Licht fliehen, bereitet er das ewige Feuer und die äußerste Finsternis — das sind jene Übel, in welche sie hineinfallen.



2.

Wäre aber der Vater, welcher die Ruhe schenkt, ein anderer als der Gott, welcher das Feuer bereitet hat, dann müßten sie auch verschiedene Söhne haben, und einer schickt in das Reich des Vaters und der andere in das ewige Feuer. Doch ein und derselbe Herr hat gelehrt, daß im Gericht das ganze menschliche Geschlecht gesondert wird, wie „der Hirte die Schafe von den Böcken sondert“ (Mt 25,32), und zu den einen wird er sagen: „Kommet, ihr Gesegneten meines Vaters, empfanget das Reich, das euch bereitet ist“, zu den anderen aber: „Weichet von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das mein Vater bereitet hat dem Teufel und seinen Engeln“ (Ebd. 25, 41). Also ist es offenkundig ein und derselbe Vater, der „Frieden macht und Übles schafft“, indem er jedem bereitet, was für ihn paßt, wie auch ein Richter beide an den gehörigen Ort sendet. Dasselbe hat auch der Herr in dem Gleichnis von dem Unkraut und dem Weizen kundgetan, wo er spricht: „Wie das Unkraut gesammelt und im Feuer verbrannt wird, so wird es auch sein am Ende der Welt. Es wird senden der Sohn des Menschen seine Engel, und sie werden sammeln von seinem Reiche alle Ärgernisse und die, welche Unrecht tun, und er wird sie schicken in den Feuerofen, dort wird sein Weinen und Zähneknirschen. Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in dem Reiche ihres Vaters“ (Ebd. 13, 40 ff). Der Vater also, der für die Gerechten das Reich bereitet hat, in welches sein Sohn die Würdigen aufnahm, der hat auch den Feuerofen bereitet, in welches die nach dem Befehle des Vaters von dem Menschensohn abgesandten Engel diejenigen stoßen werden, welche es verdienen.



3.

Er säte nämlich auf seinen Acker einen guten Samen aus. Der Acker aber ist nach seinen Worten die Welt. „Als aber die Menschen schliefen, kam der Feind und säte darüber Unkraut zwischen den Weizen und ging fort“ (Ebd. 13, 40 ff). Seitdem nämlich er das Geschöpf Gottes benedeite, seitdem ist sein Engel abtrünnig geworden und sein Feind, und schickte sich an, auch dieses Gott zum Feinde zu machen. Deswegen hat auch Gott den, der heimlich aus eigenem Antrieb Unkraut säte, d. h. zur Übertretung verleitete, von seinem Umgang ausgeschlossen, über den Menschen aber, der ohne Überlegung, aber doch in Bosheit sein Gebot übertrat, sich erbarmt, und die Feindschaft, die jener gestiftet hatte, gegen den Urheber der Feindschaft selbst gekehrt, indem er seine Feindschaft gegen den Menschen aufgab und sie lediglich auf die Schlange zurückwarf. Deshalb sprach der Herr, wie die Schrift sagt, zu der Schlange: „Und Feindschaft werde ich setzen zwischen dir und der Schlange und zwischen deinem Samen und dem Samen des Weibes. Er wird deinen Kopf zertreten, und du wirst beobachten seine Ferse“ (Gn 3,15 f.). Und diese Feindschaft rekapitulierte der Herr in sich selbst, der von dem Weibe Mensch geworden war, und zertrat ihren Kopf, wie wir in dem vorigen Buche gezeigt haben.






41 Kapitel: „Kinder Gottes“ und „Söhne des Teufels“.

1.

Wenn er einige Engel des Teufels nannte, denen das ewige Feuer bereitet ist, und von dem Unkraut wiederum sagt: „Das Unkraut sind die Söhne des Bösen“ (
Mt 13,38), dann muß man bemerken, daß er alle Abtrünnigen dem zuschreibt, welcher der Urheber der Übertretung ist. Aber keineswegs hat jener aus eigener Kraft Engel oder Menschen gemacht. Denn offenbar konnte der Teufel gar nichts machen, da er ja wie die übrigen Engel selbst ein Geschöpf Gottes ist. Denn alles hat Gott gemacht, wie auch David sagt: „Er sprach, und es ist geworden; er befahl, und es ist erschaffen“ (Ps 148,5).



2.

Obgleich Gott alles gemacht hat und der Teufel für sich und die anderen nur die Ursache des Abfalls geworden ist, so nennt die Schrift mit Recht diejenige*» welche im Abfall verharren, immer Söhne des Teufels und Engel des Bösen. Sohn nämlich kann, wie einer vor uns gesagt hat, in zweifachem Sinne verstände» werden: Der eine gilt als Sohn der Natur nach, weil er als solcher geboren wurde, der andere insofern, als er dazu gemacht wurde, wiewohl zwischen beiden ein Unterschied ist, da ja der eine sein leiblicher Sohn ist, der andere aber nur dazu gemacht wurde, sei es durch die Erschaffung oder durch Lehrunterricht. Wer nämlich von jemand unterrichtet ist durch das Wort, der wird Sohn des Lehrers und jener sein Vater genannt. Infolge der natürlichen Erschaffung aber sind wir alle gleichsam Söhne Gottes, weil wir alle von Gott gemacht sind. In anbetracht ihres Gehorsams aber und ihrer Anschauungen sind nicht alle Söhne Gottes, sonder» nur die, welche ihm glauben und seinen Willen tun. Die aber ihm nicht glauben und seinen Willen nicht tun, sind Engel und Söhne des Teufels, Da nun dem so ist, spricht er bei Isaias: „Söhne habe ich erzeugt und erhöht, sie aber haben mich verachtet“ (Is 1,2). Und ein andermal nennt er diese fremde Söhne: „Fremde Söhne haben mir gelogen“ (Ps 17,16).



3.

Wie nämlich bei den Menschen ungehorsame Söhne, von den Vätern verstoßen, der Natur nach zwar ihre Söhne sind, aber nicht mehr dem Gesetz nach, weil sie ihre natürlichen Eltern nicht mehr beerben, geradeso werden bei Gott die, welche ihm nicht gehorchen, vom ihm verstoßen und hören auf, seine Söhne zu sein. Daher können sie auch von ihm kein Erbe empfangen, wie David sagt: „Entfremdet sind die Sünder seit dem Mutterleibe, der Zorn ist über ihnen nach dem Bilde der Schlange“ (Ps 57,4 f.). Deshalb nannte der Herr gewisse Menschen Natterngezücht (Mt 23,33) , weil sie wie jene Tiere in Arglist wandeln und die anderen verletzen. „Hütet euch“, sagt er, «vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer!“ (Mt 16,6) Von Herodes spricht er: „Saget diesem Fuchs“ (Lc 13,32), womit er auf seine Verschlagenheit und Hinterlist hinweist. Deswegen sagt David: „Der Mensch, zu Ehren erhoben, ist ähnlich geworden den Tieren“ (Ps 48,21), und Jeremias: „Rasende Hengste sind sie um die Weiber geworden, ein jeder wieherte nach dem Weibe seines Nächsten“ (Jr 5,8). Und als Isaias in Judäa predigte und mit Israel rechtete, nannte er sie Fürsten von Sodoma und Volk von Gomorrha (Is 1,10) , gebrauchte ähnliche Ausdrücke, weil ihr Abfall und ihre Sünden sie den Sodomitern ähnlich machten. Und weil sie nicht Gott von Natur so gemacht hatte, sondern weil sie auch gerecht hätten handeln können, gibt er ihnen den guten Rat: „Waschet euch und seid rein, schaffet weg die Bosheiten eurer Seelen aus meinen Augen, stehet ab von euren Ungerechtigkeiten!“ (Ebd. 1,16) Wenn sie ebenso wie die Sodomiter frevelten und sündigten, erhielten sie denselben Tadel wie jene; wollten sie sich aber bekehren und Buße tun und von ihrer Bosheit abstehen, dann konnten sie auch Söhne Gottes sein und die Erbschaft der Unvergänglichkeit erlangen, welche er gewährt. Insofern sie aber dem Teufel glauben und seine Werke tun, nennt er sie Engel des Teufels und Söhne des Bösen (Mt 13,36) , obgleich von Anfang alle von ein und demselben Gott gemacht wurden. Wenn sie also glauben und im Gehorsam gegen Gott verharren und seine Lehre bewahren, dann sind sie Söhne Gottes, wenn sie aber von ihm abfallen und gegen ihn sündigen, dann gehören sie zu dem Teufel als Herrn, der zuerst für sich und dann für die anderen der Urheber des Abfalls geworden ist.



4.

Da aber viele Aussprüche des Herrn übereinstimmend einen und denselben Vater als Schöpfer dieser Welt verkünden, so mußten wir wegen derer, die in vielen Irrtümern befangen sind, vielerlei beibringen, damit sie, auf so vielfache Weise widerlegt, sich vielleicht zur Wahrheit bekehrten und gerettet würden.



5.

Wir müssen aber der gegenwärtigen Abhandlung über die Reden des Herrn im folgenden noch die Lehre des Paulus anfügen, seine Anschauung untersuchen und den Apostel erklären, und auch darlegen, wie die Häretiker, welche die Worte Pauli ganz mißverstehen, diese anders deuten, und die Torheit ihres Unverstandes aufdecken. Wir werden aus demselben Paulus, aus dem sie uns Fragen vorlegen, beweisen, daß sie lügen, der Apostel aber der Prediger der Wahrheit ist und all seine Lehren mit dem Evangelium der Wahrheit übereinstimmen, wie er gelehrt hat, daß ein und derselbe Gott Vater, der zu Abraham gesprochen hat, auch das Gesetz gab, die Propheten vorausschickte, seinen Sohn sandte und seinem Geschöpfe, das aus Fleisch besteht, das Heil schenkt.



6.

Wenn wir dann noch die übrigen Reden des Herrn, in denen er nicht gleichnisweise, sondern in klaren Worten von seinem Vater spricht, und die Erklärung der Briefe des seligen Apostels im nächsten Buche auseinanderlegen, dann haben wir Dir das vollständige Werk über die Überführung und Widerlegung der fälschlich sogenannten Gnosis mit Gottes Hilfe dargeboten, uns selbst und Dich in der Bekämpfung aller Häretiker in fünf Büchern geübt.







Fünftes Buch



Vorrede

1.

In den vier vorausgegangenen Büchern haben wir Dir, Geliebtester, alle Häretiker benannt und ihre Lehren dargestellt. Wir haben jene, welche die gottlosen Lehren erfunden haben, widerlegt, indem wir teils aus ihrer eigenen Lehre, die sie in ihren Schriften niedergelegt haben, teils aus der Vernunft die Beweismittel hernahmen. Wir haben die Wahrheit dargelegt und die Predigt der Kirche kundgetan, welche die Propheten zwar schon verkündeten, Christus aber, wie wir ausgeführt haben, erst vollendet hat. Die Apostel haben sie überliefert, und von ihnen empfing sie die Kirche, bewahrte sie allein treu in der ganzen Welt und übergab sie ihren Söhnen. So lösten wir alle Fragen, die uns von den Häretikern vorgelegt wurden, erläuterten die Lehre der Apostel und erklärten mancherlei, was der Herr durch Gleichnisse gelehrt hat. 

   In diesem fünften Buche des gesamten Werkes, das von der Überführung und Widerlegung der fälschlich sogenannten Gnosis handelt, werden wir weiter aus der Lehre des Herrn und aus den Briefen der Apostel die Beweise, die Du von uns verlangt hast, liefern. Wir willfahren also Deinem Wunsche, da wir ja auch aufgestellt sind zur Verwaltung des Wortes, und werden uns in jeder Hinsicht nach Maßgabe unserer Kräfte bemühen, Dir möglichst viele Hilfsmittel gegen die Einreden der Häretiker darzubieten, die Irrenden aber zurückzubringen und zurückzuführen zur Kirche Gottes, auch den Sinn der Neugetauften zu stärken, daß sie standhaft den Glauben bewahren, den sie, treu gehütet, von der Kirche empfangen haben, damit sie sich auf keine Weise vom jenen verführen lassen, die da versuchen, sie übel zu belehren und von der Wahrheit abzulenken. 

   Dazu wird es nötig sein, daß Du und alle zukünftigen Leser dieser Schrift das vorher Gesagte recht sorgfältig noch einmal durchleset, damit die Argumente bekannt sind, gegen die wir angehen wollen. So wirst Du ein Recht haben, ihnen zu widersprechen, und wirst gegen ihre Einwände gewappnet sein; wirst kraft des himmlischen Glaubens ihre Lehren wie Kot beiseite werfen und keinem andern folgen als dem wahren und treuen Lehrer, dem Worte Gottes, Jesu Christo, unserm Herrn, der wegen seiner unendlichen Liebe das, was wir sind, geworden ist, damit er uns vollkommen zu dem mache, was er ist.






(Contra Haereses) 434