(De Officiis) - XXI. Kapitel

XXI. Kapitel

Vom Nützlichen: Gar sehr empfiehlt einen die Beschützung der Schwachen (102) und die Übung der Gastfreundschaft (103—108). Die zwei Arten des Gebens : Freigebigkeit und Verschwendung (109—110). Gerade dem Priester geziemt Maß in der Freigebigkeit (111).

  Auch das trägt zur Förderung des guten Rufes bei, wenn man einen Armen den Händen eines Mächtigen entreißt, einen Verurteilten vom Tode errettet, soweit es ohne Aufsehen und Aufregung geschehen kann; es soll ja nicht den Anschein gewinnen, als handelten wir mehr aus Prahlerei denn aus Mitleid und schlügen, während wir leichtere Wunden zu heilen wünschen, schwere. Wenn man nämlich einen bedrängten Menschen, der mehr unter der Gewalttat und Machenschaft eines Mächtigen, als unter der verdienten Strafe für ein Verbrechen leidet, befreit, so gewinnt der gute Ruf, in dem man steht.

  Gar manchem dient auch die Gastlichkeit zur Empfehlung[191]. Die allgemeine Tugend der Menschenfreundlichkeit verlangt nämlich, daß der Fremde nicht der gastlichen Herberge entrate; daß er zuvorkommend aufgenommen werde; daß ihm beim Kommen die Türe offen stehe. In der ganzen Welt gilt es für überaus edel, Fremde in Ehren aufzunehmen, es nicht am gastlichen Tische fehlen zu lassen, den Gästen mit Erweisen von Freigebigkeit entgegenzukommen, nach ihrer Ankunft sich zu erkundigen.

  Dieses Lob nun fand Abraham, der vor seiner Türe sich umsah, daß kein Fremdling etwa vorübergehe; der Obacht gab, um einem Gast entgegenzueilen, ihm zuvorzukommen, ihn mit Bitten zu bestürmen, er möchte nicht vorbeigehen. „Herr“, so bat er, „wenn ich Gnade vor dir gefunden habe, so geh nicht vorüber an deinem Diener“ (Gn 18, 1—3.). Dafür erhielt er zum Lohn seiner Gastlichkeit die Frucht der Nachkommenschaft (Ebd. 18, 10. 14.).

  Ebenso wendete sein Neffe Lot, nicht bloß der Abstammung, sondern auch der Tugend nach sein Nächstverwandter, infolge seiner gastfreundlichen Gesinnung die Strafe der Sodomiten von sich und den Seinigen ab (Ebd. 19, 1 ff.).

  So geziemt es sich denn, gastlich, wohlwollend, gerecht zu sein, nicht fremdes Gut zu begehren, vielmehr, wenn man herausgefordert wird, lieber irgendwie auf sein eigenes Recht zu verzichten, als an fremden Rechten zu rühren, Streitigkeiten zu meiden, Gezanke zu verabscheuen, Eintracht und holden Frieden wiederherzustellen. Ist doch der etwaige Rechtsverzicht von Seiten der Guten nicht bloß ein Akt der Freigebigkeit, sondern gar oft auch eine Quelle des Vorteils. Fürs erste ist es kein geringer Gewinn, von Prozeßkosten verschont zu bleiben; dazu kommt als weitere Frucht die Mehrung der Freundschaft, aus der so viele Vorteile entspringen, die dem, der für den Augenblick einigen Verzicht leistet, später reichen Segen zeitigen werden.

  Der Pflichtenkreis der Gastfreundschaft schließt gegen jedermann das Gebot der Menschenfreundlichkeit in sich, ein besonders reiches Maß von Ehrenbezeigung aber gebührt dem Gerechten. Denn „wer immer einen Gerechten im Namen eines Gerechten aufnimmt, wird den Lohn des Gerechten empfangen“ (Mt 10,41), wie der Herr feierlich versicherte. Soviel gilt Gastfreundschaft bei Gott, daß selbst der Trunk kalten Wassers nicht unbelohnt bleibt (Mt 10,42). Du siehst, wie Abraham, da er sich nach Gästen umsah, Gott selbst gastlich aufnehmen durfte (Gn 18,2). Du siehst, wie Lot Engel beherbergte (Ebd. 19, 1.). Wer weiß, ob nicht auch du, wenn du einen Gast aufnimmst, Christus aufnimmst? Doch im Gaste selbst birgt sich Christus, wie er im Armen sich birgt. So beteuert er selbst: „Ich war im Gefängnisse, und ihr seid zu mir gekommen“; „ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet“ (Mt 25,36).

  Süß ist's, nicht auf Geld, sondern auf Liebenswürdigkeit bedacht zu sein. Doch hat jenes Übel sich längst in den menschlichen Sinn eingeschlichen, wonach Geld als Ehrensache gilt und das Menschenherz von Bewunderung für den Reichtum eingenommen ist[192]. Daher die Habsucht, die wie eine Dürre eingedrungen ist, die den Pflichtenkreis des Guten verheert, so daß der Mensch jeden Aufwand für Verlust erachtet, der über das herkömmliche Maß hinaus gemacht wird. Doch auch in diesem Punkte hat die ehrwürdige Schrift, um jede Schwierigkeit abzuschneiden, die man machen könnte, wider die Habsucht Vorsorge getroffen, indem sie erklärte: „Besser ist die Gastfreundschaft bei Gemüse“ (Pr 15,17), und im Folgenden: „Besser ist Brot in Lust genossen mit Frieden“ (Ebd. 17, 1.). Nicht verschwenderisch nämlich, wohl aber freigebig sollen wir nach der Lehre der Schrift sein.

  Es gibt nämlich zwei Arten des Gebens: die eine besteht in Freigebigkeit, die andere in Verschwendung und Vergeudung[193]. Freigebigkeit ist es, einen Gast aufzunehmen, einen Nackten zu bekleiden, Gefangene loszukaufen, Dürftige durch eine Geldspende zu unterstützen (Vgl. Matth. Mt 25,35 f.); Verschwendung ist es, bei kostspieligen Gelagen und reichlichem Weingenuß zu schlemmen. Daher lasest du: „Eine Verschwendung ist der Wein und eine Schande die Trunkenheit“ (Pr 20,1). Verschwendung ist es, um der Gunst der Leute willen sein Vermögen zu vergeuden, was jene tun, welche mit Zirkus- oder mit Theaterspielen, sowie mit Gladiatorenkämpfen oder aber mit Jagden ihr Vermögen vergeuden[194], um Berühmtheiten aus den höheren Kreisen[195] noch zu übertrumpfen. Ist doch all das, was sie treiben, eitel Ding, da es sogar ungeziemend ist, in Aufwendungen für gute Werke das rechte Maß zu überschreiten.

  Rechte Freigebigkeit hält selbst gegen Arme Maß, um für eine größere Anzahl genügend zu haben, und geht auch aus Gunsthäscherei nicht über das Maß hinaus. Nur was aus reiner und aufrichtiger Gesinnung kommt, ist geziemend: nicht an unnötige Bauten heranzutreten, notwendige nicht zu unterlassen.

  Am meisten schickt sich für den Priester folgendes: den Gottestempel mit geziemendem Schmuck zu zieren, damit der Palast des Herrn auch im Schimmer solcher Gottesverehrung erstrahle; häufige Spenden zu reichen, wie es sich für die Barmherzigkeit gebührt; nötigenfalls Fremden mitzuteilen, nicht in Überfluß, sondern was sich gehört, nicht in Übermaß, sondern was der Menschenfreundlichkeit angemessen ist. Er soll nicht mittels des Armenaufwandes fremde Gunst erschleichen, gegen die Kleriker weder zu knauserig noch zu freigebig sich erweisen. Das eine verstieße gegen die Menschenfreundlichkeit, das andere wäre Verschwendung, wenn einerseits die Mittel zur Linderung der Not derer, die man schmutziger Erwerbstätigkeit entziehen sollte, fehlen, andrerseits zu Vergnügen in Überfluß vorhanden sein würden.


XXII. Kapitel

Vom Nützlichen: Zu große Nachsicht und zu große Strenge ist zu vermeiden (112). Alles Unwahrhaftige ist nicht von Dauer. Absalons abschreckendes Beispiel (113—116).

  Sogar auch in Wort und Befehl ist Maßhalten angezeigt. Es soll hierbei weder zu große Nachsicht noch zu große Strenge zutage treten. So mancher möchte lieber etwas nachsichtig sein, um gut zu erscheinen. Doch das ist gewiß: keine Heuchelei und Verstellung hat mit wahrer Tugend etwas gemein. Ja sie pflegt auch gar nicht von langer Dauer zu sein. Anfänglich gedeiht sie, allmählich verweht und vergeht sie wie eine schwächliche Blüte. Das Wahre und Aufrichtige aber schlägt tiefe Wurzel.

  Um nun unsere Behauptungen durch Beispiele zu erhärten, daß Heuchelei nicht von Dauer sein kann, sondern wie vergängliche Blüte rasch abfällt, wollen wir zum Belege nur einen Fall von Heuchelei und Trug aus jener Familie herausgreifen, der wir schon so viele Beispiele zu unserer Tugendförderung entnommen haben.

  Absalon war ein Sohn König Davids, von einzigartiger Schönheit, herrlicher Gestalt, ausnehmender Jugendlichkeit, so daß sich kein solcher Mann in Israel fand, ohne Fehl von der Fußsohle bis zum Scheitel (2R 14,25). Derselbe „schaffte sich Wagen und Rosse an und fünfzig Mann, die vor ihm hergingen. Er stand in der Frühe auf und stellte sich vor das Tor an den Weg, und wenn er jemand sah, der des Königs Entscheidungen suchte, trat er zu ihm hinzu und fragte: Aus welcher Stadt bist du? Wenn er dann erwiderte: Aus einem von den Stämmen Israels bin ich, dein Diener, da versetzte Absalon: Deine Worte sind gut und recht; und ist dir niemand vom Könige bestellt, der dir Gehör schenkt? Wer will mich als Richter aufstellen? Und wer immer zu mir kommt, wer immer ein Urteil braucht, gegen den werde ich recht handeln“ (2R 16, 1—4.). Mit solchen Reden suchte er jeden zu gewinnen. „Und wenn die Leute ihm nahten, um ihm ihre Ehrfurcht zu bezeugen, streckte er ihnen die Hände entgegen, faßte sie und küßte sie“ (Ebd. 15, 5.). So nun gewann er sich aller Herzen, indem solche Schmeicheleien die Gefühlssaite der innersten Seele berühren.

  Jene gemächlichen und ehrgeizigen Leute aber zogen das vor, was sie für einen Augenblick ehrte und angenehm und wohltuend berührte. Als ein kleiner Aufschub (im Kampf gegen Absalon) statt hatte, den der klügste Prophet von allen durch eine kurze Pause eintreten lassen zu sollen glaubte (Ebd. 17, 16.), konnten sie's nicht leiden und ertragen. Schließlich empfahl David, der am Siege nicht zweifelte, seinen Sohn den Kriegern, die zum Kampf bereit standen, daß sie seiner schonten (Ebd. 18, 5.). Eben darum wollte er auch nicht selbst am Kampfe teilnehmen (Ebd. 18, 3 f.). Es sollte nicht scheinen, daß er auch nur zur Gegenwehr wider den die Waffen ergreife, der zwar dem Vater nach dem Leben strebte, aber doch sein Sohn war.

  So ist denn klar, daß nur das von Dauer und Bestand ist, was wahr ist, und was man lieber ehrlich denn hinterlistig gewinnt; daß hingegen das, was man sich durch Heuchelei und Schmeichelei verschaffte, nicht von langer Dauer sein kann.


XXIII. Kapitel

Vom Nützlichen: Wer durch Geld erkauft oder durch Schmeichelei gewonnen wird, ist nicht verlässig (117—118).

  Wer möchte sich von jenen Treue versprechen, deren Gehorsam durch Geld erkauft wird? Oder von jenen, die nur durch schmeichelhafte Worte sich dazu bestimmen lassen? Erstere wollen sich oftmals verkaufen lassen, letztere vermögen strenge Befehle nicht zu ertragen. Durch ein leichtes Schmeichelwörtchen lassen sie sich unschwer gewinnen; auf ein Tadelwort hin murren sie, reißen aus, laufen verbittert davon und verlassen einen tief gekränkt. Sie wollen lieber befehlen als gehorchen und glauben von ihren Vorgesetzten, die sie für solche halten sollten, sie seien ihnen gleichsam durch Wohltun (ihrerseits) verbunden und müßten ihnen daher willfährig sein.

  Wer nun möchte sich von Leuten Treue erwarten, die er sich, sei es durch Geld, sei es durch Schmeichelei verpflichten zu sollen glaubte? Der Geldempfänger würde sich nur gering und verächtlich eingeschätzt erachten, wenn er nicht oftmals wiedergekauft würde: er erwartet daher häufig seinen Preis. Der offensichtlich an Bitt- und Schmeichelworte Gewöhnte will immer nur gebeten sein.


XXIV. Kapitel

Vom Nützlichen: Strebsamkeit, nicht Strebertum die Vorstufe zu (kirchlichen) Ehrenämtern (119). Nicht zu große Strenge und nicht zu große Milde der Leitstern bei deren Ausübung (120). Unparteilichkeit ein erstes Erfordernis bei deren Besetzung (121). Der Priester halte sich fern von Eifersüchtelei gegen tüchtige Kleriker (122), letztere von Anmaßung und Nörgelei gegen ersteren (123). Gerechtigkeit ohne Ansehen der Person der oberste Grundsatz in der Rechtsprechung (124—125).

  Durch gutes Handeln und in reiner Absicht, glaube ich, soll ein Ehrenamt, besonders ein kirchliches, angestrebt werden. Es sollte hierbei weder hochnäsige Anmaßung oder gleichgültige Nachlässigkeit, noch schimpfliches Strebertum und unziemlicher Ehrgeiz hervortreten. Gerade, aufrechte Gesinnung genügt zu allem und empfiehlt sich hinlänglich selbst.

  Im Amte aber soll geziemenderweise weder schroffe Strenge noch zu große Nachgiebigkeit walten, um uns nicht den Anschein zu geben, es sei uns bloß um Ausübung der Macht zu tun, oder aber wir füllten keineswegs den übernommenen Dienst aus.

  Auch soll man sich bestreben, recht viele sich durch Wohltaten und Dienstgefälligkeiten verbindlich zu machen und die dankbare Gesinnung, die sie gegen einen hegen, zu erhalten, damit sie, wenn sie sich einmal schwer beleidigt fühlen, des genossenen Wohltuns mit Recht nicht vergessen. Denn es kommt erfahrungsgemäß oft vor, daß man Leute, die man begünstigte oder zu irgendeiner höheren Stufe beförderte, abstößt, wenn man ihnen jemand zu Unrecht vorziehen zu sollen glaubt. Aber auch dem Priester geziemt es, daß er seine Gewogenheit, die er in seinen Wohltaten und Entscheidungen zum Ausdruck bringt, unter Wahrung der Gerechtigkeit betätigt und einem Presbyter oder Kirchendiener wie einem Bruder Achtung bezeugt.

  Diese dürfen, weil sie einmal als erprobt befunden wurden, nicht anmaßend werden, sondern lieber im Bewußtsein der empfangenen Gnade demütig bleiben; der Priester aber soll nicht Anstoß daran nehmen, wenn ein Presbyter oder ein Diener oder sonst ein Mitglied des Klerus durch seine Mildtätigkeit oder Enthaltsamkeit oder Unbescholtenheit oder Gelehrsamkeit oder Schriftbelesenheit in der Achtung steigt. Denn die Gunst der Gemeinde bedeutet Lob für den Lehrer. Gut wenn das Wirken eines Klerikers Lob findet, doch so, daß ihm jede Ruhmsucht fern liegt. Des Nächsten Lippen, und nicht sein eigener Mund sollen ihn loben, sein Wirken, nicht Strebertum ihn empfehlen.

  Sollte übrigens jemand dem Bischof nicht gehorchen und darauf ausgehen, sich selbst zu überheben und großzumachen, die Verdienste des Bischofs dagegen durch erheuchelte Gelehrsamkeit oder Demut oder Mildtätigkeit in Schatten zu stellen, so ist er ein vom Wahren abgeirrter, hochmütiger Mensch; denn die Regel der Wahrheit verlangt, nichts zur eigenen Empfehlung zu tun um den Preis der Verkleinerung eines anderen, und nicht das Gute, das man etwa hat, zur Bemängelung und Verunglimpfung des Nächsten zu betätigen.

  Tritt nicht für einen Schlechten ein und glaube nicht einem Unwürdigen das Heilige anvertrauen zu sollen! Umgekehrt bedrücke und befehde keinen, dem du auf kein Verbrechen gekommen bist! Denn wenn Ungerechtigkeit an allen leicht Anstoß erregt, dann am meisten in der Kirche, wo Gleichheit herrschen soll, so daß sich der Mächtige nicht mehr anmaßen, der Reiche nicht mehr aneignen darf. Ob reich oder arm: in Christus ist das einerlei. Auch ein Heiliger darf nicht größere Ansprüche machen; denn für ihn geziemt sich noch größere Demut.

  Sodann aber fort mit jeder Rücksichtnahme auf die Person des Nächsten bei der Rechtsprechung! Fort mit Begünstigung! Nach Gebühr soll der Fall entschieden werden. Nichts belastet den Ruf, oder vielmehr den Glauben so sehr, als wenn man in der Rechtsprechung die Sache eines Niedereren dem Mächtigeren ausliefert, oder einen unschuldigen Armen beschuldigt, den schuldigen Reichen entschuldigt. Ist doch das Menschengeschlecht geneigt, Höhergestellte zu begünstigen, damit sie sich nicht beleidigt, nicht, weil unterlegen, gekränkt fühlen. Doch fürs erste brauchst du, wenn du Anstoß fürchtest, das Urteil nicht übernehmen, brauchst, wenn du Priester oder sonst jemand bist, nicht den Herausfordernden machen. Es ist dir gestattet, wenn es sich lediglich um eine Geldangelegenheit handelt, zu schweigen, obschon Charakterfestigkeit ein Eintreten für Recht und Gerechtigkeit verlangte. In einer Sache Gottes aber, wo das allgemeine Wohl auf dem Spiel steht, wäre schon bloßes Schweigen aus Verstellung keine geringe Sünde.


XXV. Kapitel

Vom Nützlichen: Gib lieber dem Armen als dem Reichen! Das gebieten religiöse (126), das empfehlen selbst weltliche Erwägungen (127). Der wahre Jünger Christi ein Verächter des Geldes (128).

  Was aber nützte dir die Begünstigung eines Reichen? Oder geschieht es, weil er seinem Gönner eher lohnt? Nur zu oft gilt ja denen unsere Gunst, von denen wir eine Vergeltung derselben erwarten[196]. Um so mehr aber gebührt es sich, uns des Schwachen und Dürftigen anzunehmen, indem wir uns statt vom Armen, der nicht dazu in der Lage ist, vom Herrn Jesus den Lohn erhoffen. Er stellte ja unter dem Bilde des Gastmahles (Lc 14,7 ff.) die allgemeine Regel auf, daß wir lieber denen unser Wohltun zuwenden sollen, die es uns nicht erwidern können, indem er zeigte, wie zu Gastmahlen und Gelagen nicht die Reichen, sondern die Armen zu laden sind. Denn Reiche — den Anschein weckt es — bittet man zu Gaste, daß auch sie uns hinwiederum zu Gaste laden: Arme, die nicht in der Lage sind, für das Empfangene eine Gegenleistung zu bieten, machen uns den Herrn zum Vergelter, der sich als Bürgen für den Armen erboten hat.

  Auch rein weltlich betrachtet, hat das Wohltun gegen Arme mehr für sich als das gegen Reiche[197], weil der Reiche auf Wohltun verzichtet und Dankespflicht als beschämend empfindet. Ja er schreibt anmaßend die Wohltat, die ihm erwiesen wurde, seinen Verdiensten zu: die empfangene Gabe sei ihm entweder gleichsam geschuldet gewesen, oder aber deshalb gespendet worden, weil der Spender vom Reichen eine um so ansehnlichere Gegengabe erwarte. Reiche glauben also, wenn sie eine Wohltat entgegennehmen, gerade wegen dieses Entgegennehmens mehr Geber denn Nehmer zu sein. Der Arme hingegen stattet, wenn er auch kein Geld zur Wiedererstattung hat, Dank ab[198] und erstattet damit sicherlich mehr, als er empfangen hat. Geldschuld trägt sich mit dem Hinzählen des Geldes ab, Dankbarkeit erschöpft sich nimmer. Der Geldsäckel leert sich mit der Rückzahlung, Dankbarkeit hingegen erstattet man dadurch, daß man sie hat, und hat man dadurch, daß man sie erstattet[199]. Was ferner dem Reichen widerstrebt: der Arme gesteht zu, daß er sich als Schuldner verpflichtet fühle und hält es nicht unter seiner Würde, daß er unterstützt wurde[200]. Er ist überzeugt davon, daß ihm die Kinder geschenkt, das Leben zurückgegeben, die Familie erhalten worden sei. Wieviel besser also ist es, seine Wohltat Guten statt Undankbaren in die Hand zu legen!

  Daher die Mahnung des Herrn an seine Jünger: „Besitzet nicht Gold, nicht Silber, noch Geld!“ (Mt 10,9) Wie mit einer Sichel schnitt er damit die in der Brust des Menschen wuchernde Habsucht ab. Desgleichen beteuert Petrus dem Lahmen, den man vom Mutterleibe an tragen mußte: „Silber und Gold habe ich nicht; aber was ich habe, gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi des Nazareners steh auf und wandle!“ (Ac 3,6) Nicht Geld spendete er, die Gesundheit spendete er. Wie unvergleichlich besser ist Gesundheit ohne Geld, als Geld ohne Gesundheit! Der Lahme konnte sich erheben, was er nicht erwartete; Geld empfing er nicht, das er erwartete. Doch diesen Edelmut der Geldverachtung trifft man kaum bei Heiligen an.


XXVI. Kapitel

Vom Nützlichen: Die Habsucht ein uraltes Laster, wie aus vielen Beispielen der Hl. Schrift erhellt (129—131). Wie töricht, daß man nur den Vermöglichen für ehrenwert hält (132)!

  Übrigens ist die Bewunderung des Reichtums so Sitte bei den Menschen geworden, daß niemand als der Reiche für ehrenwert gilt[201]. Dieser Brauch ist nicht neu. Schon längst, und das ist noch schlimmer, hat sich vielmehr dieses Übel im Menschengeiste eingebürgert. Machte doch, als die große Stadt Jericho auf den Schall der Priestertrompeten eingestürzt war und Jesus Nave den Sieg davon trug[202], letzterer die Beobachtung, daß die Tugend des Volkes durch Habsucht und Goldgier geschwächt sei. Denn als Achan[203] von der Beute der eingeäscherten Stadt ein goldenes Gewand und zweihundert Doppeldrachmen Silber und eine goldene Zunge fortgenommen hatte, vermochte er es, vor den Herrn gestellt, nicht zu leugnen, sondern gestand den Diebstahl ein[204].

  Etwas Uraltes ist sonach die Habsucht. Ihr Anfang fällt mit dem Eintritt des göttlichen Gesetzes selbst zusammen, ja gerade zu ihrer Unterdrückung wurde das Gesetz gegeben (Vgl. Ex 20,17). Aus Habsucht, so meinte Balak, lasse sich Balaam durch Belohnungen gewinnen, dem Volke der Väter zu fluchen. Und die Habsucht hätte auch den Sieg davongetragen, halte nicht der Herr ihm befohlen, von der Verfluchung abzustehen (Nb 22,2 ff.). Aus Habsucht war Achan gefallen und hatte das ganze Vätervolk ins Verderben gestürzt (). Jesus Nave, der die Sonne zum Stillstehen zu bringen vermochte, daß sie nicht weiter rückte, konnte der Habsucht nicht Einhalt tun, daß sie nicht um sich greife. Auf sein Wort hielt die Sonne inne, die Habsucht hielt nicht inne. Beim Stillstand der Sonne errang Jesus einen glänzenden Sieg, beim Fortschreiten der Habsucht verlor er beinahe den Sieg (Vgl. ebd. 10, 12 ff.).

  Wie? Beirrte nicht des Weibes Dalila Habsucht den Stärksten von allen, Samson? (Richt. 16, 4 ff.) Er, der einen brüllenden Löwen mit seinen Händen zerriß (Ebd. 14, 6 f.); der gebunden und den Fremden ausgeliefert, allein die Fesseln sprengte, ohne daß ihm jemand half, und tausend Mann von ihnen tötete; der Seile, aus Sehnen geflochten, wie schwache Spartonfäden zerriß (Ebd. 15, 9 ff.): er beugte seinen Nacken auf die Knie eines Weibes, ließ sich scheren und verlor so den Schmuck seines unbesieglichen Haares, den einzigartigen Vorzug seiner Kraft. Das Geld floß in den Schoß des Weibes, und die Gnade wich vom Helden (Ebd. 16, 18 f.).

  Verderblich also ist die Habsucht, verführerisch das Geld, das die Besitzenden mit Schuld befleckt, den Nichtbesitzenden nicht frommt. Gesetzt aber, das Geld komme einmal auch einem Geringeren zunutze, freilich auch ihm nur, weil er danach verlangte: warum wendet man sich mit seinem Interesse nicht auch jenem zu, der nicht danach verlangt, der nicht darauf ausgeht, der kein Bedürfnis nach solcher Hilfe empfindet? Warum nur anderen, wenn nämlich der Besitzende besonders vermöglich ist? Ist dieser vielleicht deshalb ehrenwerter, weil er einen Besitz hat, durch den die Ehrenhaftigkeit so oft verloren geht? Eine Habe, die er mehr zu bewahren als zu besitzen hat? Denn nur das besitzen wir, was uns zum Gebrauch dient; was darüber hinausgeht, das bringt wahrlich keine Besitzfrucht, sondern nur die Gefahr der Bewachung.


XXVII. Kapitel

Vom Nützlichen: Die Verachtung des Geldes ein Ausfluß der Gerechtigkeit (133). Sonstige Tugenden des Klerus (134). Von der Strafe der Exkommunikation (135).

  Um abzuschließen, so wissen wir, daß die Verachtung des Geldes eine Form der Gerechtigkeit ist. Eben darum müssen wir die Habsucht meiden und mit allem Eifer uns bestreben, nie etwas wider die Gerechtigkeit zu tun, sondern sie in all unserem Tun und Wirken zu wahren[205].

  Wenn wir uns bei Gott empfehlen wollen, so laßt uns Liebe haben, einträchtig sein, der Demut folgen, indem einer den anderen für über sich erhaben hält; denn das ist Demut, wenn einer sich nichts zugute tut und sich für den Niedrigeren hält. Der Bischof bediene sich der Kleriker, insbesonders der dienenden, die in Wahrheit seine Söhne sind, wie seiner Glieder. Nur wen er für ein Amt tauglich sieht, dem übertrage er es.

  Mit Schmerzen schneidet man ein Glied am Körper, selbst wenn es ein faules ist, weg und behandelt es lange, ob es sich nicht durch Arzneimittel ausheilen lasse. Ist das nicht möglich, dann wird es von einem tüchtigen Arzt weggeschnitten. Solcher Gesinnung ist auch ein guter Bischof. Er trachtet, Kranke zu heilen, um sich fressende Geschwüre zu beseitigen, das eine und andere auszubrennen, nicht wegzuschneiden, und schließlich, was unheilbar ist, zu seinem schmerzlichen Bedauern wegzuschneiden. So findet also jenes herrliche Gebot eine um so wirksamere Beleuchtung: Wir sollen nicht an das, was unser ist, denken, sondern an das, was der anderen ist (Ph 2,4). Auf diese Weise nämlich wird keine Gefahr bestehen, daß wir aus Unwillen unserer Leidenschaft Gehör schenken, oder aus Gewogenheit mehr, als recht wäre, unserem Wunsche stattgeben.


XXVIII. Kapitel

Vom Nützlichen: Rechtfertigung der von den Arianern beanstandeten Einschmelzung der Kirchengefäße zum Loskauf von Gefangenen (136—139). Das Beispiel des hl. Laurentius (140—141). Die notwendigen Vorbedingungen zu solchem Vorgehen (142—143).

  Der stärkste Beweggrund zur Barmherzigkeit ist das Mitleid mit fremdem Elend und das Verlangen, nach Kräften, mitunter sogar über unsere Kräfte der Not der anderen zu steuern. Denn es ist besser, das Mitleid rechtfertigen zu müssen oder auch sich begeifern zu lassen, als Hartherzigkeit vorzuschützen. So haben auch wir uns einmal gehässige Vorwürfe zugezogen, weil wir die gottesdienstlichen Gefäße zerbrechen ließen, um damit Gefangene loszukaufen. Nur den Arianern konnte das mißfallen. Es handelte sich auch weniger um das Mißfallen an dem Vorgang als darum, an uns etwas zu tadeln zu haben. Wer aber wäre so felsenhart, grausam, eisern, daß ihm der Loskauf eines Mannes vom Tode, einer Frau von den Schändlichkeiten der Barbaren, die noch härter denn der Tod sind, von Jünglingen und Knaben, ja Kindern von der ansteckenden Seuche des Götzendienstes, von der sie sich aus Angst vor dem Tode verunreinigen ließen, mißfiele?

  Obwohl wir diesen Schritt ohne irgendwelche Rechenschaft zu schulden tun konnten, haben wir uns gleichwohl auch beim Volke darüber in dem Sinn geäußert, daß wir offen darlegten, es sei viel zweckdienlicher gewesen, die Seelen als das Gold dem Herrn zu bewahren. Er, der die Apostel ohne Gold aussendete (Mt 10,9), hat auch die Kirche ohne Gold vereinigt. Die Kirche besitzt das Gold nicht, um es aufzubewahren, sondern um es aufzuwenden, um den Nöten abzuhelfen. Was braucht es auch eine Sache nutzlos aufbewahren? Oder wissen wir nicht, wieviel Gold und Silber die Assyrer vom Tempel des Herrn fortgeschleppt haben? (4 Kön. 24, 18.) Schmelzen nicht die Priester, wenn es sonst an Mitteln gebricht, es zum Unterhalt der Armen besser ein, als daß ein frevler Feind es verunehrt und fortschleppt? Würde nicht der Herr sprechen: Warum hast du es gelitten, daß so viele Arme des Hungers sterben? Und doch hattest du Gold. Hättest du dafür Nahrung geboten! Warum wurden so viele Gefangene als Kriegsbeute abgeführt und vom Feinde getötet, ohne daß man sie loskaufte? Besser wäre es gewesen, die lebendigen Gefäße zu bewahren als die metallenen.

  Auf diese Fragen ließe sich keine Antwort geben. Wie hätte man entgegnen können: Ich fürchtete, es möchte dem Tempel Gottes an Schmuck gebrechen? Er hätte erwidert: die Geheimnisse verlangen kein Gold; und was sich um Gold nicht kaufen läßt, verdankt auch Goldesglanz nicht seinen Reiz. Der Loskauf der Gefangenen gereicht den Geheimnissen zur Zierde. Kostbare Gefäße fürwahr sind jene, welche die Seele vom Tode erkaufen. Das ist der wahre Schatz des Herrn, der bewirkt, was das Blut Christi bewirkt hat. Da erkennt man das Gefäß mit dem Blute des Herrn, wenn man in beiden Erlösung schaut: im Kelch die Erlösung derer vom Feinde, welche das Blut von der Sünde erlöste. Wie schön, wenn sich von den Scharen der Gefangenen, welche von der Kirche losgekauft wurden, sagen läßt: Diese hat Christus losgekauft! Sieh, ein Gold, das erprobt ist! Sieh, ein Gold, das frommt! Sieh, das Gold Christi, das vom Tode befreit! Sieh, das Gold, durch das die Keuschheit erkauft, die Reinheit bewahrt wird!

  Diese Gefangenen nun wollte ich euch lieber als Befreite übergeben denn das Gold aufbewahren. Diese Zahl, diese Reihe von Gefangenen ist kostbarer als der Glanz der Becher. Diesem Zwecke sollte das Gold des Erlösers dienen: dem Loskauf der Gefangenen. Ich erkenne, wie das Blut Christi im Goldgefäß nicht nur leuchtete, sondern auch demselben durch seine Erlösungstat die Kraft seiner göttlichen Wirksamkeit mitteilte.

  Solches Gold wahrte der heilige Märtyrer Laurentius dem Herrn auf. Als man nämlich von ihm die Kirchenschätze forderte, versprach er dieselben aufzuzeigen. Am folgenden Tage führte er die Armen vor. Auf die Frage, wo die Schätze wären, die er versprochen hatte, zeigte er auf die Armen und sprach: Das sind die Schätze der Kirche. Und fürwahr Schätze, die Christus in sich bergen, die Christi Glauben in sich bergen! So sprach auch der Apostel: „Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen“ (2Co 4,7). Welche bessere Schätze hätte Christus als jene, denen er selbst nach seiner Versicherung innewohnt? Denn so steht geschrieben: ,,Ich hungerte, und ihr gabt mir zu essen; ich dürstete, und ihr gabt mir zu trinken; ich war fremd, und ihr nahmt mich auf“ (Mt 25,35). Und im folgenden: „Denn was ihr einem von diesen getan habt, das habt ihr mir getan“ (Ebd. 40.). Welche bessere Schätze hat Jesus als die, worin er selbst geschaut zu werden wünscht?

  Diese Schätze zeigte Laurentius vor, und er blieb Sieger, weil selbst der Verfolger sie nicht rauben konnte. Als Joachim bei der Belagerung das Gold zurückhielt, statt es zur Beschaffung von Nahrungsmitteln zu verwenden, mußte er sehen, wie einerseits das Gold geraubt, andrerseits er selbst in die Gefangenschaft abgeführt wurde (4 Kön. 24, 10 ff.). Laurentius, der das Gold der Kirche lieber an die Armen verteilen, als für den Verfolger aufbewahren wollte, empfing für seine einzigartig geistreiche Deutung die heilige Martyrkrone. Hat man nun etwa dem Laurentius entgegengehalten: Du durftest die Schätze der Kirche nicht aufwenden, die gottesdienstlichen Gefäße nicht verkaufen?

  Erforderlich ist, daß einer ein solches Handeln in reiner Absicht und aus offensichtlicher Fürsorglichkeit vollbringt. In der Tat, wenn jemand Aufwendungen zu seinem Vorteil macht, so ist es ein Verbrechen; wendet er es für die Armen auf, kauft er einen Gefangenen los, so ist es Barmherzigkeit. Denn niemand kann sagen: Wozu lebt der Arme? Niemand kann den Loskauf von Gefangenen bedauern. Niemand kann Klage erheben, daß ein Tempel Gottes erbaut wurde. Niemand kann darüber ungehalten sein, daß man zur Bestattung der leiblichen Überreste der Gläubigen geräumige Plätze schuf. Niemand kann es leid tun, daß die Toten ihre Ruhe in den Grabstätten der Christen finden. Auf solche dreifache Art ist es gestattet, Kirchengefäße, selbst geweihte, zu zerbrechen, einzuschmelzen und zu veräußern.

  Darauf ist notwendig zu sehen, daß kein geformter gottesdienstlicher Becher aus der Kirche fortkomme, damit der heilige Kelch nicht lasterhaftem Gebrauche dienstbar gemacht werde. Man sah sich darum innerhalb der Kirche zunächst nach den ungeweihten Gefäßen um, schlug sie hierauf klein, schmolz sie endlich ein und verteilte sie in kleinen Stücken unter die Dürftigen. Ebenso kamen sie den Gefangenen zugute. Fehlt es an neuen und ungeweihten Gefäßen, können meiner Überzeugung nach alle zu solchen Zwecken, wie wir sie oben aufführten, mit gutem Gewissen verwendet werden.


XXIX. Kapitel

Vom Nützlichen: Die Hinterlagen der Witwen und der Gläubigen überhaupt sind treu zu bewahren (144). Heliodors abschreckendes Beispiel (145—148). Dem Übergriff der Mächtigen muß der Klerus wehren (149), wie Ambrosius selbst wiederholt und der Bischof von Ticinum erst jüngst dem Kaiser Widerstand geleistet haben (150—151).

  Darauf fürwahr ist sorgfältig zu achten, daß die Hinterlagen von Witwen unangetastet bleiben und ohne jede Gefährdung aufbewahrt werden — nicht bloß von Witwen, sondern auch von allen anderen; denn allen ist die Treue zu wahren; obenan steht freilich die Sache der Witwen und Waisen.

  Ausschließlich auf diesen Namen der Witwen wurde denn auch, wie wir in den Büchern der Makkabäer (2M 8,4 ff.) lesen, die ganze Summe, die dem Tempel anvertraut war, aufbewahrt. Als nämlich Anzeige von den Geldern erstattet wurde, die, wie der gottlose Simon dem Könige Antiochus verriet, in großer Menge im Tempel zu Jerusalem zu finden waren, wurde Heliodor als Sachwalter abgesandt. Er kam zum Tempel und eröffnete dem Hohenpriester die traurige Anzeige und den Grund seiner Ankunft.

  Darauf erklärte der Priester, es sei die Hinterlage zum Unterhalte der Witwen und Waisen. Als Heliodor trotzdem an deren Raub gehen und sie dem königlichen Fiskus zu eigen machen wollte, warfen sich die Priester, mit der priesterlichen Kleidung angetan, vor den Altar und riefen unter Tränen zum lebendigen Gott, der das Gesetz über die Hinterlage gegeben hatte, er möchte sich als Beschützer seiner Gebote zeigen. Die Gesichtsfarbe des Hohenpriesters aber war verändert und verriet den Schmerz der Seele und den Kummer des tieferschütterten Herzens. Alles weinte, weil die Stätte der Verachtung anheimfallen müsse, wenn nicht einmal mehr im Tempel Gottes sich eine verlässige, sichere Hut durchhalten lasse, Weiber, die Brust umgürtet, und weltabgeschlossene Jungfrauen klopften an die Türe: die einen liefen den Mauern zu, andere lugten zum Fenster heraus; alles streckte die Hände zum Himmel und flehte, der Herr möge seine eigenen Gesetze schützen.

  Aber auch hierdurch ließ Heliodor sich nicht abschrecken. Er beschleunigte sein Vorhaben und hatte eben mit seinen Trabanten den Tempelschatz umringt. Da erschien ihm plötzlich ein furchtbarer Reiter, in goldener Waffenrüstung blitzend; sein Roß aber war mit einer Prachtdecke geschmückt. Noch weitere zwei Jünglinge erschienen, von leuchtender Kraft und holder Anmut, in herrlichem Glänze und kostbarem Gewande. Sie umringten ihn und geißelten den Tempelschänder ununterbrochen mit fortgesetzten Hieben. Wozu viele Worte? Von Finsternis umgeben, stürzte er zur Erde und lag — ein augenscheinlicher Beweis von Gottes Eingreifen — entseelt am Boden, und kein Hoffnungsstrahl auf Rettung ruhte auf ihm. Da überkam die Fürchtenden Freude, die Übermütigen Furcht, und niedergeschmettert baten einige von den Freunden Heliodors den Onias, er möchte um dessen Leben bitten. Schon lag er nämlich in den letzten Zügen.

  Während nun der Hohepriester betete, erschienen dem Heliodor wiederum die nämlichen Jünglinge im nämlichen Gewande mit der Aufforderung: Dem Hohenpriester Onias sage Dank; denn um seinetwillen ward dir das Leben wieder geschenkt! Du aber geh, nachdem du die Geißel des Herrn gekostet, und verkündige all den Deinigen, wie groß des Tempels Heiligkeit und Gottes Macht ist, die du kennen lerntest! Nach diesen Worten waren sie nicht mehr zu sehen. Heliodor nun brachte, nachdem er den Lebensodem zurückerhalten hatte, dem Herrn ein Opfer dar, sprach dem Priester Onias seinen Dank aus und kehrte mit dem Heere zum König zurück, zu dem er sprach: Hast du einen offenen Feind oder einen geheimen Gegner deiner Sache, schicke ihn dorthin, und du wirst ihn gezüchtigt zurückbekommen.

  So verlangen denn, meine Söhne, hinterlegte Gelder Treue und Sorgfalt. Herrliches Licht fällt auf euren Dienst, wenn der unerträglichen Bedrückung, sei es einer Witwe, sei es von Waisen durch einen Mächtigen mit Hilfe der Kirche ein Damm gesetzt wird; wenn ihr zeigt, daß bei euch das Gebot des Herrn mehr gilt als die Gunst eines Reichen.

  Ihr erinnert euch selbst, wie oft wir Übergriffen der Regierung gegenüber den Kampf für der Witwen, ja für jedermanns Hinterlagen aufgenommen haben. Ich teile mich in eure Aufgabe. Ein neues Beispiel aus der Kirche von Ticinum möchte ich anführen. Sie stand in Gefahr, die Hinterlage einer Witwe, die sie übernommen hatte, zu verlieren. Auf die Aufforderung des Beamten, der kraft kaiserlichen Reskriptes dieselbe zu sich nehmen wollte, wahrten die Kleriker ihren Standpunkt nicht. Da ihnen auch noch Ehre angetan und die Vermittlung übertragen wurde, berichteten sie, man könne doch den Verordnungen des Kaisers nicht entgegentreten. Der Erlaß, der nur in allzu bestimmter Form lautete, und die Weisungen des obersten Beamten wurden verlesen, das ausführende Organ drohte. Kurz, der Auslieferung war stattgegeben worden.

  Der heilige Bischof jedoch nahm, nachdem er mit mir Rat gepflogen hatte, die Schränke, wohin jene Hinterlage der Witwe, wie er wußte, gebracht war, in Beschlag. Da man sie also nicht fortschaffen konnte, wurde ein schriftliches Protokoll darüber aufgenommen. Später wurde das Geld neuerdings schriftlich gefordert. Wiederholt hatte der Kaiser Befehl gegeben zu einer persönlichen Zusammenkunft mit uns. Sie wurde abgelehnt. Erst nachdem dem Kaiser die Autorität des göttlichen Gesetzes und der Text der (einschlägigen) Schriftlesung sowie Heliodors Gefahr auseinandergesetzt worden waren, nahm er endlich zur Not Vernunft an. Auch später noch wurde ein Anschlag versucht. Doch der heilige Bischof kam dem zuvor. Er gab der Witwe das Empfangene zurück. Inzwischen ist die Treue unbehelligt; kein Druck zur Einschüchterung wird ausgeübt: Heute steht die Sache, nicht die Treue in Gefahr.



(De Officiis) - XXI. Kapitel