Augustinus - Bekenntnisse 615

Sechstes Buch - Fünfzehntes Kapitel

615
Inzwischen mehrten sich meine Sünden. Und da die von meiner Seite gerissen ward - ein Hindernis freilich für meine Vermählung -, mit welcher ich mein Bett zu teilen gewohnt war, ward mein Herz, das an ihr hing, durchbohrt, verwundet und blutete. Sie aber war nach Afrika zurückgekehrt und hatte dir gelobt, nie mehr einem andern Manne anzugehören, und ließ mir zurück den natürlichen Sohn, welchen ich mit ihr gezeugt hatte. Ich aber war unglücklich und konnte nicht einmal Nachahmer des Weibes sein, sondern des Aufschubs ungeduldig, da ich erst in zwei Jahren die erhalten würde, um die ich geworben, verband ich mich, weil ich nicht Freund der Ehe, sondern Sklave der Lust war, mit einer andern, freilich nicht als Gattin, um so die Krankheit meiner Seele zu nähren und durch den Dienst ununterbrochener Gewohnheit bis in das Reich der Ehe ungeschwächt oder gar vergrößert fortzuführen. Doch heilte darum jene Wunde nicht, welche mir durch die Trennung von jener ersten geschlagen wurde, sondern nach Brand und wütendem Schmerz ging sie in Fäulnis über, schmerzte wohl weniger brennend, aber um so hoffnungsloser.

Sechstes Buch - Sechzehntes Kapitel

617
Dir sei Preis, dir sei Ehre, du Quell des Erbarmens! Elender ward ich und du kamst mir näher. Schon nahete sich mehr und mehr deine Rechte, mich aus dem Pfuhle zu reißen und mich zu reinigen, und ich wußte nichts davon. Nichts rief mich zurück von dem tieferen Schlunde fleischlicher Lust als Furcht vor dem Tode und dem kommenden Gerichte, die, auch wenn meine Ansichten darüber wechselten, doch nie ganz aus meinem Herzen wich. Ich sprach mit meinen Freunden Alypius und Nebridius über das höchste Gut und höchste Übel; ich sagte ihnen, daß ich dem Epikur den Siegespreis zuerkennen würde, wenn ich nicht der festen Ansicht wäre, daß es nach dem Tode noch ein Leben der Seele und eine Vergeltung gäbe, eine Ansicht, die Epikurus verneinte. Ich stellte die Frage auf, warum wir, angenommen, wir könnten unsterblich und im beständigen Genusse des Körpers ohne die Furcht, ihn jemals zu verlieren, weiterleben, doch nicht glückselig seien oder was wir noch weiter suchten? Ich wußte nicht, daß darin eben die Größe meines Elends bestand, daß ich, zu versunken und zu verblendet, nicht imstande war, das Licht der Tugend und der ohne fleischlichen Genuß zu hebenden Schönheit zu denken, die das Auge des Fleisches nicht sieht, sondern die nur von den Tiefen der Seele aus geschaut wird. Ich Elender bedachte nicht, aus welcher Quelle mir flösse, was ich über dieses doch so Schändliche ruhig mit den Freunden besprach, und ohne diese Freunde konnte ich nicht glücklich sein, selbst nach der Gesinnung, die ich damals bei jedem Strome sinnlicher Lust bewies. Diese Freunde liebte ich wirklich ohne Eigennutz und wußte, daß auch sie mich ohne Eigennutz liebten. O wundersam gewundene Pfade!

Wehe dem verwegenen Geiste, der da gehofft hat, wenn er von dir gewichen, Besseres zu besitzen! Mag er sich vorwärts, rückwärts, auf den Rücken oder auf die Seite legen, überall findet er nur harte Beschwerden; du allein bist die Ruhe. Siehe, du bist da und befreist uns von unserem elenden Irrtum, führest uns auf deinen Weg, tröstest uns und sprichst: Wohlan! Ich will euch tragen, ich will euch fuhren, ich will euch geleiten zur Heimat göttlicher Ruhe.

SIEBENTES BUCH



Erstes Kapitel

701
Dahingegangen war die Zeit meiner verwerflichen Jugend und ich trat in das Mannesalter ein und war, je älter an Jahren, desto schändlicher an schnöder Eitelkeit. Da ich das Wesenhafte mir nur sichtbar vorstellen konnte, nicht anders dachte ich dich mir, o Gott, als in menschlicher Gestalt. Seitdem ich aber etwas von deiner Weisheit zu fassen begann, floh ich dies und freute mich, daß ich das auch im Glauben unserer geistigen Mutter, deiner Kirche, bestätigt fand. Aber wie ich dich anders ausdenken sollte, darauf verfiel ich nicht, und ich, ein Mensch und solch ein Mensch, wagte dich, den höchsten und allein wahren Gott, zu denken, und an dich, den Unvergänglichen, Unverletzlichen, Unwandelbaren, glaubte ich von Grund meines Herzens, weil ich klar erkannte und sicher war, obwohl ich nicht wußte, woher diese meine Ansicht komme, daß das, was vergänglich ist, geringeren Wert haben müsse als das, was unvergänglich ist; das Unverletzbare zog ich ohne Zögern dem Verletzlichen vor und das Unwandelbare dem Wandelbaren. Mein Herz schrie heftig auf gegen alle meine Truggebilde, und mit einem Schlage versuchte ich den mich umwirbelnden Schwarm von Unlauterkeit ans den Augen meines Geistes zu vertreiben; kaum aber hatte ich ihn für einen Augenblick zerstreut, so war er schon wieder da, zusammengescharrt, und stürzte sich auf mein Gesicht und verdunkelte es, so daß ich dich, mein Gott, wenn auch nicht in menschlicher Gestalt, so doch als etwas Körperliches, den Raum Erfüllendes zu denken gezwungen war, sei es nun innerhalb der Welt oder außerhalb der Welt ergossen durch das Unendliche, auch wohl als das Unzerstörbare, Unverletzbare, Unveränderbare, dem ich den Vorzug gab vor dem Zerstörbaren, Verletzbaren und Veränderbaren. Denn was ich mir nicht räumlich denken konnte, schien mir gar nichts sein zu können, ein völliges Nichts, nicht einmal eine Leere, wie etwa ein von seinem Körper verlassener Raum, sei nun dieser Körper erdig, feucht, luftig oder ätherisch; ein von ihm leerer Ort deuchte mir gleichsam ein räumliches Nichts.

Ich glaubte also, fühllosen Herzens und mir selbst nicht einmal erkennbar, daß alles, was keine räumliche Ausdehnung habe, sich ergieße oder zusammengedrängt werde oder aufschwölle oder irgendeine solche Beschaffenheit habe oder doch haben könne, überhaupt nichts sei. Denn aus den Formen, welche meine Augen durchzugehen pflegten, bildete sich mein Herz Vorbilder, und ich sah nicht ein, daß dies Vorstellungsvermögen, vermöge dessen ich diese Bilder erzeugte, nichts Körperliches noch Räumliches sei; und doch hätte es sich jene nicht gebildet, wenn es nicht selbst etwas Großes wäre. So dachte ich auch von dir, du Leben meines Lebens, ausgedehnt durch unendlichen Raum, durchdrängest du die ganze Weltmasse und außer ihr die Unendlichkeit ohne Schranke, so daß dich Erde, Himmel und das All habe und in dir begrenzt sei, du aber nirgends. Wie aber der Lichtkörper, der sich über der Erde befindet, dem Sonnenstrahl keinen Widerstand entgegengesetzt, so daß er sie nicht durchdringen könnte und durchschneiden - wie es ihn ganz erfüllt, so glaubte ich auch von dir, daß du nicht allein Himmel, Luft und Meer, sondern auch die Erde durchdrängest, und zwar in ihren größten und kleinsten Teilen, um deine Gegenwart zu fassen, daß du innerhalb und außerhalb des Alls alles Geschaffene regierst in geheimer geistiger Energie. So war meine Vermutung, weil ich ein anderes nicht zu denken vermochte, aber es war falsch. Denn auf diese Weise würde ein größerer Teil der Erde ein größeres Stück von dir innehaben und ein kleinerer ein kleineres; so würde alles von dir erfüllt sein, so daß der Leib eines Elefanten mehr von dir enthielte als der eines Sperlings in dem Maße, als der Elefantenleib größer ist und einen größeren Raum einnimmt; so würdest du zerstückt großen Teilen der Welt große Teile, kleinen Teilen derselben kleine Teile deines Wesens vergegenwärtigen. So bist du aber nicht. Aber noch immer hattest du meine Finsternis nicht erleuchtet.

Siebentes Buch - Zweites Kapitel

702
Es war genug, Herr, gegen die Betrogenen und Betrüger und stummen Schwätzer, weil aus ihnen nicht dein Wort hervortönte; genug war es, was Nebridius bereits in Karthago aufgebracht hatte und wovon wir alle, die wir es hörten, erschüttert waren. Was würde ein Geschlecht der Finsternis, welches sie dir aus einer entgegengesetzten Weltmasse entgegenzustellen pflegten, dir haben anhaben können, wenn du mit ihm nicht hättest streiten wollen? Wenn man antwortete, es hätte dir schaden können, so wärest du verletzbar und vergänglich. Wenn man aber gesagt hätte, es konnte dir keinen Schaden zufügen, so war keine Ursache zum Streit vorhanden, und zwar eines Streites, daß ein Teil oder ein Glied von dir oder ein Sproß deines Wesens sich mit den feindlichen Mächten und nicht von dir geschaffenen Naturen vermischte und so weit verdorben und zum Schlechten verwandelt würde, daß er von der Seligkeit ins Elend sänke und der Hilfe bedürfte, um befreit und gereinigt zu werden; ein solcher Teil, ein solcher Sprößling aber war die Seele, der dein freies Wort im Zustande der Knechtschaft, dein reines Wort im Zustande der Befleckung und dein unverderbtes Wort im Zustande des Verderbens zu Hilfe käme, aber auch dies verderbbar, weil es von einer und derselben Substanz ist. Wenn sie daher dich und was du bist, dein Wesen, unwandelbar nannten, so ist ihre ganze Lehre falsch und verwerflich; wenn sie es aber für verderbbar halten, so ist dies schon an und für sich falsch und von Grund aus verwerflich. Es war dies also Grund genug, mich von dem Druck zu befreien, der auf meinem Herzen lag, weil es für sie keinen Ausweg gab, ohne schreckliche Gotteslästerung des Geistes und der Zunge, wenn sie in dieser Weise von dir dachten und redeten.

Siebentes Buch - Drittes Kapitel

703
Noch aber war mir, obwohl ich dich als den Unbefleckbaren und Unwandelbaren bekannte und des festen Glaubens war, daß du, Herr, unser wahrer Gott seiest, der nicht nur unsere Seelen geschaffen, sondern auch unsere Körper, nicht nur unsere Seelen und Körper, sondern alle und alles - noch war, sage ich, mir die Ursache des Bösen nicht enträtselt und entwirrt. Was sie aber auch sein mochte, ich glaubte sie so suchen zu müssen, daß ich durch sie nicht genötigt würde, dich, Gott, den Unwandelbaren, für wandelbar zu halten, auf daß ich nicht selbst würde, wonach ich forschte. So suchte ich unbekümmert und war sicher, daß die diesbezüglichen Lehren der Manichäer Lügen seien, die ich aus Grund meiner Seele floh, weil ich sah, daß für Forschen nach dem Urgrunde des Bösen nur aus Bosheit geschehe, weil sie glaubten, daß dein Wesen viel eher dem Bösen unterliege, als daß ihr Wesen das Böse tue.

Ich bestrebte mich nun, die gehörte Lehre zu begreifen, daß nämlich die freie Entscheidung unseres Willens die Ursache des Bösen sei und daß dein Gericht, das wir erlitten, ein gerechtes sei. Diese klare Ursache einzusehen vermochte ich aber nicht. Sooft ich daher die Schärfe meines Geistes aus der Tiefe hervorzuführen versuchte, tauchte sie wiederum unter, und bei dem oft wiederholten Versuche sank ich immer und immer wieder zurück. Denn es erhob mich zu deinem Lichte, daß ich ebenso überzeugt war von dem Vorhandensein meines freien Willens wie von meinem Leben. Wenn ich daher etwas wollte oder nicht wollte, so war ich ganz sicher, daß niemand anders als ich es wollte oder nicht wollte, und allmählich kam ich zu dem Bewußtsein, daß hierin wohl der Urgrund des Bösen liege. Was ich aber wider Willen tat, das betrachtete ich mehr als ein Leiden von meiner Seite als eine Tat und glaubte, daß es keine Schuld, sondern eine Strafe wäre, die ich aber, da ich deine Gerechtigkeit anerkannte, sehr bald nicht ungerecht über mich verhängt bekannte. Wiederum aber sagte ich: Wer schuf mich? Mein Gott, der nicht nur gut, sondern überhaupt das Gute ist? Woher da der Wille zum Bösen und der Nichtwille zum Guten, so daß ich gerechte Strafe verbüßen muß? Wer legte das in mich und säete in mich hinein den Keim der Bitterkeit, da ich ganz und gar von meinem süßen Gott geschaffen bin? Ist der Teufel der Urheber, nun woher stammt denn der Teufel? Und wenn er selbst erst durch Verkehrung seines Willens aus einem guten ein böser Engel ward, woher kam ihm dieser böse Wille, durch den er zum Teufel ward, da er, der Engel, seinem ganzen Wesen nach von dem besten Schöpfer gut erschaffen ward? Von diesen Gedanken ward ich immer wieder niedergedrückt und geängstet; aber ich versank nicht in die Tiefe des Irrtums, wo niemand sich schuldig bekennt, indem man glaubt, du seiest eher der Dulder als der Mensch der Täter des Bösen.

Siebentes Buch - Viertes Kapitel

704
Nun strebte ich, auch das übrige aufzufinden, wie ich denn bereits gefunden hatte, daß das Unwandelbare besser sei als das Wandelbare, und ich bekannte, daß du, was du auch sein magst, unveränderlich seiest. Denn kein Geist vermag oder wird je vermögen, etwas Besseres, als du bist, auszudenken, der du das höchste und beste Gute bist. Wenn nun aber wahrhaftig und gewiß das Unwandelbare dem Wandelbaren vorzuziehen ist, wie ich davon schon überzeugt war, so konnte ich mit meinem Forschen etwas erreichen, nämlich, daß es etwas Besseres als dich, o mein Gott, geben müßte, wenn du veränderbar wärest.

Sobald ich einsah, daß das Unveränderbare dem Veränderlichen vorzuziehen sei, mußte ich dich suchen und von da aus forschen, wo der Sitz des Bösen sei, das heißt, woher das Verderben selbst stamme, von dem dein Wesen nie ergriffen werden kann. Denn keine Vergänglichkeit vermag unsern Gott in irgendeiner Weise zu verletzen, weder durch den Willen noch durch eine Notwendigkeit noch durch ein Ungefähr, weil er selbst Gott ist, und was er will, ist gut, er selbst ist das Gute, verderbt werden aber heißt nicht gut sein. Auch wirst du nie wider deinen Willen zu etwas genötigt, weil dein Wille nicht größer ist als deine Macht. Größer wäre er nur, wenn du selbst größer wärest, als du bist; denn Gottes Wille und Gottes Macht sind Gott selbst. Und was käme dir, der du alles kennst, wohl unvermutet? Es gibt kein Geschöpf als nur dadurch, daß du es erkennst. Was sollen wir noch viel darüber sagen, warum das Wesen, welches Gott heißt, unveränderlich ist? Denn wäre es nicht also, so wäre Gott nicht.

Siebentes Buch - Fünftes Kapitel

705
Ich forschte danach, woher denn das Böse komme, und forschte schlecht; ich erkannte in meinem Forschen selbst nicht das Böse. Vor meinen Geist stellte ich die ganze Schöpfung und was in ihr zu sehen ist, die Erde, das Meer und die Luft, die Gestirne, die Bäume und die anderen sterblichen Geschöpfe; ferner alles, was wir in ihr nicht erblicken, wie die Himmelsfeste droben mit ihren Engeln und sämtlichen Geistern; aber freilich auch dies ordnete meine Einbildung in bestimmte Räume, als ob es Körper wären, und ich bildete aus deiner Schöpfung eine einzige große Masse, in sich geschieden nach Geschlechtern, als seien sie wirklich Körper oder als stellte ich mir die Geister als Körper vor. Groß machte ich mir diese Masse, aber nicht, wie sie wirklich ist, denn das konnte ich nicht wissen, sondern nach meinem Belieben von allen Seiten begrenzt. Dich aber, o Herr, bildete ich mir ein als den sie Überall Umfassenden und Durchdringenden und Allbegrenzten. Gesetzt, das Meer erfüllte alles und allenthalben durch die unermeßlichen Räume wäre nur allein das Meer und Es enthielte in sich einen Schwamm von beliebiger, jedoch begrenzter Größe, so wäre dieser Schwamm vollständig und in jedem seiner Teile erfüllt von diesem unermeßlichen Meere. So stellte ich mir deine begrenzte Schöpfung, die von dir, dem Unbegrenzten, erfüllt ist, vor und sprach: Siehe, so ist Gott und so ist Gottes Schöpfung beschaffen, und gut ist Gott und viel besser als jenes; doch hat der Gute Gutes erschaffen, und siehe, wie er es umfaßt und erfüllt! Wo ist nun also der Sitz des Bösen, woher kommt es und auf welchem Wege hat es sich eingeschlichen? Was ist seine Würze und sein Same? Existiert es etwa überhaupt nicht? Warum fürchten wir uns aber denn und hüten uns vor dein, was nicht ist? Oder aber, wenn unsere Furcht mächtig ist, ist dann die Furcht selbst das Böse, von der das Herz vergebens gereizt und gepeinigt wird? Und das Übel ist um so schwerer, als nichts ist, was wir zu fürchten hätten, als unsere Furcht nichtig ist und wir uns dennoch fürchten? Es ist daher entweder das Böse wirklich, das wir fürchten, oder das Böse besteht eben darin, daß wir uns fürchten. Woher ist es doch, da der Gott alles schuf, der Gute Gutes? Das größere und höchste Gut schuf kleineres Gut, aber doch war der Schöpfer und Lenker in ihrer Gesamtheit gut. Woher kommt nun also das Böse? War es eine böse Materie, mit der er dies schuf? Hatte er dieselbe gebildet und geordnet und blieb etwas zurück, das er nicht ins Gute wandelte? Fehlte ihm die Macht, das Ganze umzuwandeln, daß nichts Böses zurückbliebe, da er doch allmächtig ist? Endlich, warum wollte er aus der bösen Materie etwas schaffen, warum hat er sie mit seiner Allmacht nicht gänzlich vernichtet? Oder konnte sie gegen seinen Willen existieren? Wenn sie ewig war, warum ließ er sie so lange durch unendliche Zeiten rückwärts gewendet sein und wollte erst so lange hernach etwas aus ihr machen? Und wenn er so plötzlich etwas mit ihr vornehmen wollte, so hätte er sie in seiner Allmacht vernichten sollen, damit er selbst allein das ganze, wahre, höchste, unbeschränkte Gute wäre? Und wenn nichts gut vorhanden war, aus dem er, der gut war, Gutes bilden und schaffen konnte, warum hat er nicht die böse Masse beseitigt und vernichtet und eine gute bereitet, aus der er alles schaffen konnte? Er wäre ja nicht der Allmächtige, wenn er nichts Gutes schaffen könnte; er würde dann von einer Masse unterstützt, die er nicht selbst schuf. - Solche Gedanken bewegte ich in meinem elenden Herzen, beschwert von nagenden Sorgen und Furcht vor dem Tode und dem fruchtlosen Suchen nach Wahrheit; doch haftete in meinem Herzen der kirchliche Glaube an Christum, unsern Herrn und Heiland, oft freilich noch gestaltlos und über die Schranke der wahren Lehre fließend; aber doch ließ ihn meine Seele nicht, sondern von Tag zu Tag sog sie mehr von ihm ein.

Siebentes Buch - Sechstes Kapitel

706
Schon hatte ich auch die trügerischen Prophezeiungen der Sterndeuter und ihre gottlosen Albernheiten verworfen. Auch das, mein Gott, dankt mein innerstes Herz nur deinen Erbarmungen. Denn du, nur du, wer anders ruft uns hinweg von allem tödlichen Irrtum als das Leben, das nicht zu sterben weiß, und die Weisheit, die den Geist in seiner Bedürftigkeit erleuchtet, sie, die keines Lichtes bedarf, die ihre Welt erhält bis zu der Bäume flatternden Blättern. Du lenktest meine Hartnäckigkeit, mit der ich dem scharfsinnigen Greise Vindicianus und dem Nebridius mit jener wunderbaren Jünglingsseele widerstand. Von diesen behauptete der eine mit eifriger Festigkeit, der andere zwar noch mit etwas Zweifel, aber desto öfter, es gäbe keine Kunst, die Zukunft vorauszusehen, die Berechnungen der Menschen hätten oft die Macht des Zufalls für sich, und wenn man so viel spreche, so werde zufällig auch manches gesagt, das in Erfüllung gehe, ohne Wissen derjenigen, die es sagten, nur durch vieles Reden träfen sie es zufällig. Du sorgtest mir für einen Freund, der kein lässiger Frager der Sterndeuter war, doch ihre Schriften nicht gründlich verstand, sie nur aus Neugierde befragte und einiges, was er wußte, von seinem Vater gehört haben wollte. Er ahnte nicht, wie viel das dazu beitrug, bei mir das Vertrauen zu jener Kunst zu entkräften. Dieser Mann, mit Namen Firminus, in der Beredsamkeit wohlunterrichtet und wohlbewandert, fragte mich als seinen vertrauten Freund über einige Dinge, auf die er seine zeitliche Hoffnung aufbaute, unter anderen auch, was ich von der Konstellation halte, unter der ich geboren sei, und ich, der ich mich schon in dieser Hinsicht der Ansicht des Nebridius zuneigte, versagte ihm zwar nicht, auf sein Verlangen einzugehen und ihm meine Deutung zu sagen, wendete ihm aber doch dabei ein, daß ich von der Lächerlichkeit und Nichtigkeit jener überzeugt sei. Darauf erzählte er mir, daß sein Vater auf derlei Bücher außerordentlich erpicht gewesen sei und einen Freund von gleicher Neigung besessen habe. Beide hätten sich mit einem wahren Feuereifer auf diese Possen geworfen, so daß sie selbst die Geburtsstunde ihrer Haustiere beobachteten und die dabei in Frage kommenden Stellungen der Gestirne sich aufmerkten, um Versuche für ihre Kunst zu sammeln. Im weiteren Gespräch sagte er mir dann, sein Vater habe ihm mitgeteilt, daß, als seine Mutter mit ihm schwanger gewesen, auch eine Sklavin des väterlichen Freundes in gleicher Lage gewesen sei, was ihrem Herrn nicht verborgen bleiben konnte, der ja auch die Geburten seiner Hunde mit größter Sorgfalt und Genauigkeit zu erfahren Sorge trug; und so geschah es, daß mein Vater für die Gattin, dieser für die Sklavin Tage, Stunden und Minuten ganz genau zählte. Beide wurden zu gleicher Zeit entbunden, so daß die Konstellationen bei beiden Geburten sowohl für den Sohn als für den kleinen Sklaven bis auf die Minute übereinstimmten. Als die Geburten bei beiden Weibern begannen, gaben sich beide durch bereitgehaltene Boten, die sie sich wechselseitig einander zuschicken wollten, Nachricht über das, was zu Hause vorging, sobald die Geburt des Kindes angekündigt wurde, was sie als Herren in ihrem Reiche leicht bewerkstelligen konnten. So begegneten sich die beiden Boten unterwegs zwischen den beiden Häusern und die Konstellationen der beiden zeigten auch nicht den geringsten Unterschied, und doch eröffnete sich dem Firminus eine glänzende Karriere, er kam zu Reichtum und gelangte zu Ehrenämtern; jenem Sklaven aber ward nie sein Joch erleichtert, und er diente seinem Herrn fort, wie Firminus der ihn kannte, bezeugte.

Als ich das hörte und glaubte, denn er war vollkommen glaubwürdig, sank aller Widerstand, und ich suchte nun sogleich den Firminus von jenem Aberglauben zu heilen, indem ich ihm sagte, wenn ich nach der Einsicht in seine Konstellationen die Wahrheit hätte verkünden sollen, hätte ich in derselben Konstellation gesehen haben müssen, daß seine Eltern vornehmen Standes, daß seine Familie angesehen in der Stadt sei, daß sie frei geboren seien, daß seine Erziehung eine freie, daß der Unterricht, den er genossen, ein wissenschaftlicher gewesen sei. Und wenn mich nun der Sklave über seine Konstellation gefragt hätte, die ja bei ihm ganz dieselbe sei, so hätte ich in ihr der Wahrheit gemäß wiederum seine geringe Familie, seinen Sklavenstand und alles andere von dem vorigen doch so ganz und gar verschieden sehen müssen. Woher sollte es geschehen, daß ich, um das Richtige auszusprechen, dieselben Konstellationen entgegengesetzt deuten sollte, daß ich dagegen falsch es spräche, wenn ich dasselbe sagte: Daraus ging für mich mit Bestimmtheit hervor, daß die richtigen Antworten auf Konstellationen nicht aus zuverlässiger Kunst, sondern aus Zufall sich ergaben, daß dagegen die falschen Antworten nicht aus Unkenntnis der Kunst hervorgingen, sondern durch Trug des Zufalls.

So war der Zugang eröffnet und ich dachte mir die Sache noch weiter aus, damit mir nicht einer von den Betrügern, welche ein Gewerbe damit trieben und die ich nun immer mehr und mehr zu widerlegen und zu verspotten suchte, den Vorwurf machte, als hätte Firminus mir oder sein Vater ihm Falsches berichtet, und wandte meine Aufmerksamkeit auf die Zwillingsgeburten, von denen die meisten einander so schnell folgen, daß der kleine Zeitunterschied, welchen Einfluß sie ihm auch auf die Natur beilegen, doch durch die menschliche Beobachtung nicht aufgefaßt und aufgezeichnet werden kann in Zeichen, in welche der Sterndeuter dann Einsicht nehmen muß, um Wahres zu prophezeien. Doch es wird nie wahr sein, da derjenige, der auf dieselben Aufzeichnungen sähe, von Esau und Jakob auch ein und dasselbe hätte aussagen müssen, und beide hatten doch verschiedene Schicksale. Er würde demnach Falsches sagen, oder wenn er Wahres aussagte, würde er aus denselben Zeichen nicht dasselbe sagen. Nicht also durch die Kunst, sondern einzig und allein durch den Zufall würde er Wahres sagen. Du aber, o Herr, gerechter Lenker des Weltalls, wirkst in den Fragenden und Befragten, ohne daß sie es wissen, durch deinen verborgenen Antrieb, so daß jeder, wenn er dich fragt, das hört, was er aus der Tiefe deines göttlichen Gerichts hören muß, nach dem, was menschlichen Augen verborgen, die Seelen verdient, welchem der Mensch nicht entgegnen darf: Was ist das, warum das? Er soll es nicht sprechen, denn er ist Mensch.

Siebentes Buch - Siebentes Kapitel

707
Aus diesen Banden hattest du mich, o mein Helfer, bereits befreit, noch aber forschte ich nach dem Urgrunde des Übels und noch fand ich keinen Ausgang. Aber du ließest mich nicht durch die Wogen meiner Gedanken hinwegreißen von dem Glauben, durch den ich der festen Überzeugung war, daß du bist und daß dein Wesen unveränderlich ist, daß dein ist die Sorge und das Gericht über die Menschen und daß du in Christo, deinem Sohne, unserem Herrn, und den heiligen Schriften, die das Ansehen deiner Kirche empfiehlt, einen Weg des Heils für die Menschen geschaffen hast zu dem Leben, das nach diesem zeitlichen Tode folgen wird. So war dies gerettet und stand unerschütterlich in meiner Seele fest, und mit glühender Sehnsucht forschte ich nun, was der Urgrund des Bösen sei. Welche Qualen meines keuchenden Herzens, welche Seufzer, o mein Gott! Und gegenwärtig war dein Ohr, doch wußte ich nicht davon. Und als ich im verborgenen fort und fort suchte, da war die stille Zerknirschung meines Herzens eine laute Stimme von deinem Erbarmen. Du wußtest. was ich litt, sonst keiner der Menschen. Wie wenig ward davon mitgeteilt durch die Sprache meines Mundes den Ohren meiner vertrautesten Freunde! Sprach sich etwa der ganze Aufruhr meiner Seele gegen sie aus, wozu weder die Zeit noch mein Mund hinreichte? Und dennoch kam alles zu deinem Ohre, was ich in der Angst meines Herzens schrie, vor dir war all mein Sehnen und meiner Augen Licht war mir entwichen. Denn es war in meinem Innern, ich aber war draußen. Das Licht war nichts Räumliches; ich aber lenkte meinen Sinn auf das, was den Raum einschließt, und fand dort keine Ruhestätte, auch nahm mich jenes nicht auf, daß ich hätte sagen können: Es ist genug und hier ist's gut; nicht ließ es mich in mein Inneres zurückkehren, wo mir genugsam wohl gewesen wäre. Denn ich war darüber erhaben, aber doch niedriger als du, und du bist die wahre Freude, wenn ich mich dir unterwerfe, und du unterwarfest, was du niedriger schufst als mich, und dies war das richtige Verhältnis und der mittlere Bereich meines Heils zwischen dem, was über mir, und dem, was unter mir, damit ich bleibe nach deinem Bilde und in deinem Dienste den Leib beherrschte. Aber da ich mich stolz wider dich erhob und wider den Herrn anlief, mein Nacken hart unter meinem Schilde, da erhob sich jenes Niedrige über mich und drückte mich, und nirgends fand ich Erleichterung und Erholung. Die Krassesten, die Dinge selbst traten mir, wenn ich die Augen auftat, haufenweise und zusammengebaut in den Weg, meinem Denken aber die Bilder der Dinge, wenn ich zurückkehren wollte, als sprächen sie: Wohin, du Unwürdiger und Unreiner? Und dies war aus meiner Wunde hervorgewachsen, weil du den Stolzen niederwirfst gleich einem Verwundeten. Meine Hoffart aber trennte mich von dir und meines Angesichtes Aufgeblasenheit schloß mir die Augen.

Siebentes Buch - Achtes Kapitel

708
Du aber, o Herr, bleibst in Ewigkeit und du zürnst uns nicht ewig. Weil du erbarmt dich hast des Staubes und der Asche, so wolltest du, dich mir erbarmend nahend, meine Mißgestalt umbilden, und du triebst mich mit dem innern Stachel, daß ich keine Ruhe hatte, bis ich deiner durch inneres Schauen gewiß wäre; da wich meine Geschwulst deiner verborgenen Heilkraft und die gestörte und verfinsterte Sehkraft meines Geistes ward von Tag zu Tag von dem scharfen Balsam heilbringender Schmerzen geheilt.

Siebentes Buch - Neuntes Kapitel

709
Vor allem wolltest du mir zeigen, wie du den Stolzen widerstehest, den Demütigen aber Gnade gibst, und wie groß sich dein Erbarmen den Menschen auf dem Wege der Demut erwiesen hat, da dein Wort Fleisch ward und unter uns wohnte. Du schafftest mir durch einen von unbändigem Stolze aufgeblasenen Menschen einige aus dem Griechischen und Lateinischen übersetzte Bücher der Platoniker, und ich las darin, zwar nicht mit denselben Worten, aber dem Sinne nach, mit vielen und mancherlei Gründen behauptet: Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort; dasselbe war im Anfang bei Gott, alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist, in ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen; und das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht begriffen. Daß aber die Menschenseele, obwohl sie Zeugnis gibt von dem Licht, doch nicht selbst das Licht ist, sondern das Wort, Gott selbst das wahre Licht ist, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen; es war in der Welt und die Welt ist durch dasselbige gemacht und die Welt kannte es nicht. Daß er in sein Eigentum kam und die Seinigen ihn nicht aufnahmen, wie viele ihn aber aufnahmen, daß er denen Macht gab, Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben - das las ich dort nicht.

Ferner las ich dort, das Wort, Gott selbst ist nicht aus dem Fleische, nicht aus dem Blute, nicht aus dem Willen des Mannes noch aus dem Willen des Fleisches, sondern aus Gott geboren. Aber daß das Wort Fleisch wurde und wohnete unter uns, das las ich dort nicht. In jenen Schriften fand ich auch oft und in verschiedener Weise ausgedrückt, daß der Sohn sei in Gestalt des Vaters und daß er es nicht für einen Raub gehalten, Gott gleich zu sein, wie er es schon von Natur sei. Allein daß er sich selbst erniedrigt, Knechtsgestalt angenommen und gleich ward wie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden, sich selbst erniedrigte und gehorsam wurde bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze, daß ihn Gott erhöhet und ihm einen Namen gegeben habe, der über alle Namen ist; daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters, das enthalten diese Schriften nicht. Daß vor Beginn der Zeiten und unwandelbar über den Zeiten dein eingeborener Sohn gleich ewig mit dir bliebe und daß die Seelen von seiner Fülle Gnade um Gnade nehmen, um selig zu sein, und durch Teilnahme an der immer für sich bestehenden Weisheit erneut werden, auf daß auch sie weise seien, das findet sich dort. Daß er aber nach der Zeit für uns Gottlose gestorben ist und daß du auch deines eigenen Sohnes nicht hast verschonet, sondern für uns alle dahingegeben, das suchst du vergeblich. Denn das hast du den Weisen und Klugen verborgen und hast es den Unmündigen geoffenbaret, daß zu ihm kommen sollten alle, die mühselig und beladen sind, und er sie erquicke, denn er ist sanftmütig und von Herzen demütig und er führt die Demütigen auf dem Wege der Gerechtigkeit und lehrt die Sanftmütigen seine Wege, indem er unsere Demut sieht und unsere Sünde vergibt. Die aber auf dem Kothurn einer angeblich erhabenen Weisheit dahinschreiten, sie hören nicht die Stimme, die ihnen zuruft: Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden für euere Seelen. Sie haben, obgleich sie Gott erkannt, ihn doch nicht als einen Gott gepriesen und gedanket, sondern sind in ihrem Dichten eitel geworden, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert; da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden. Deshalb las ich auch dort, wie sie die Herrlichkeit des unveränderlichen Gottes verwandelt haben in ein Bild gleich den vergänglichen Menschen und den Vögeln und den vierfüßigen und kriechenden Tieren, die ägyptische Speise nämlich, durch welche Esau seine Erstgeburt verlor, wie das erstgeborene Volk statt deiner einst das Haupt eines vierfüßigen Tieres verehrte, da es sein Herz nach Ägypten wandte und dein Bild ihre Seele vor dem Bilde eines heufressenden Kalbes beugte. Dies fand ich, doch genoß ich nicht davon. Denn es gefiel dir, Herr, von Jakob die Schmach der Erniedrigung hinwegzunehmen, damit der Größere dem Kleineren diene, und du riefst die Heiden in dein Erbe. Und ich kam zu dir von den Heiden und gierte nach dem Golde, was du dein Volk aus Ägypten mitnehmen ließest, weil es dein Eigentum war, wo es sich auch befand. Und zu den Athenern sprachst du durch deine Apostel: In ihm leben, weben und sind wir, wie auch einige von den Euren sagen, und von dieser Art waren auch jene Schriften. Ich wandte mich nicht zu den Götzen der Ägypter, denen sie von deinem Golde opferten, sie, welche die Wahrheit Gottes in Lüge verwandelten, und haben mehr gedient dem Geschöpfe, denn dem Schöpfer.


Augustinus - Bekenntnisse 615