Augustinus - Bekenntnisse 812

NEUNTES BUCH



Erstes Kapitel

901
O Herr, ich bin dein Knecht, deiner Magd Sohn; du hast meine Bande gelöset. Dir will ich Dank opfern und des Herrn Namen verkünden. Es soll dich loben mein Herz, preisen soll dich meine Zunge, und alle meine Gebeine müssen sagen: Herr, wer ist dir gleich? So sollen sie sagen, und antworte mir und sage meiner Seele: Ich bin dein Heil. Wer bin ich und was bin ich? Gibt es ein Böses, das ich nicht getan, oder wenn ich es nicht getan, so doch geredet, oder wenn ich es nicht geredet, so doch gewollt habe? Du aber, o Herr, du bist barmherzig, und die Tiefe meines Todes beachtend, schöpftest du mit deiner Rechten und bis auf den Grund meines Herzens die Tiefe des Verderbens aus. Und dadurch wollte ich nicht mehr nach meinem, sondern nur noch nach deinem Willen. Wo aber, wo in so später Zeit und aus welcher tiefen und doch so hohen Verborgenheit ward im Augenblick mein freier Wille hervorgerufen, daß ich meinen Nacken unter dein sanftes Joch beugte und meine Schultern unter deine leichte Bürde, Jesus Christus, mein Helfer und mein Versöhner? Wie herrlich war es mir plötzlich, die Reize der Nichtigkeiten zu entbehren, und wenn ich ihren Verlust sonst fürchtete, war es mir jetzt eine Freude, sie preiszugeben. Denn du warfst sie von mir, du wahre und höchste Wonne, du warfst sie von mir und tratest an ihre Stelle, wonniger als alle Wonne, freilich nicht dem Fleisch und dem Blute; leuchtender als alles Licht, aber tiefer liegend als alles Verborgene; höher als alle Herrlichkeit, doch nicht denen, die sich selbst hoch dünken. Schon war meine Seele frei von den nagenden Sorgen des Ehrgeizes und der Gewinnsucht, des Wälzens und Schattens im Schlamme der Lüste; ich lallte wie ein Kind dir entgegen- meiner Klarheit, meinem Reichtume, meinem Heile, Gott, meinem Herrn.

Neuntes Buch - Zweites Kapitel

902
Und ich beschloß vor deinem Angesichte, den Dienst meiner Zunge vom Markt der Geschwätzigkeit nicht gewaltsam, sondern unbemerkt zurücktreten zu lassen, damit nicht ferner Jünglinge, die nicht bedacht sind auf dein Gesetz, nicht auf deinen Frieden, sondern auf lügenhaften Unsinn und gerichtliche Streitigkeiten, sich nicht aus meinem Munde die Waffen kauften für ihre Raserei. Glücklicherweise waren nur noch wenige Tage bis zu den Ferien der Weinlese, und ich beschloß, so lange noch in meinem Berufe auszuharren, um ehrenhaft abzutreten und freigekauft von dir nicht wieder ein feiler Sklave zu werden. Diese unsere Absicht wurde einzig und allein unter deiner Zeugenschaft gefaßt, sie war niemandem außer den Unsrigen bekannt. Und wir kamen überein, daß dieser Plan nicht diesem oder jenem verraten wurde, obwohl du uns, die wir aus dem Tränental aufstiegen und den Stufenpsalm sangen, scharfe Geschosse gabest und glühende Kohlen gegen die trügliche Zunge, die unter dem Schein, Gutes zu raten, vom guten Vorsatz abrät und uns aus falscher Liebe verzehrt, die wir die Speise zu uns nehmen.

Du hattest unser Herz durch deine Liebe getroffen, und wie im Herzen haftende Pfeile trugen wir deine Worte; die Vorbilder deiner Knechte, die du aus Schatten zu Kindern des Lichtes, aus Toten zu Lebenden umgewandelt hattest, vereinigten sich im Schoß unserer Gedanken und verbrannten und verzehrten die schwere Erstattung, damit wir nicht zur Hölle führen, und sie begeisterten uns mächtig, so daß jeder Hauch der trügerischen Zunge des Widerspruchs uns nur um so schärfer entflammte, nicht aber erlöschen ließ. Da jedoch deines Namens wegen, den du auf Erden heiligtest, unser Vorhaben und unser Entschluß großes Lob erfahren würde, so erschien mir es wie Prahlerei, nicht bis zu den demnächstigen Ferien zu warten, sondern noch vorher aus meinem öffentlichen Amte vor den Augen aller auszuscheiden, so daß sich aller Blicke auf meine Tat gerichtet haben würden, wodurch es scheinen konnte, als ob ich dem Tage der Weinleseferien hätte zuvorkommen wollen, und viele hätten mir dann nachgesagt, daß ich es getan hätte, um groß zu erscheinen. Und wozu erst, daß über meine Gesinnung hin und her geurteilt und gestritten würde und unser Schatz verlästert würde?

Dazu kam, was mich zuerst beunruhigt hatte, daß durch angestrengte literarische Tätigkeit im Sommer meine Lunge angegriffen war, mir das Atemholen erschwerte und durch Brustschmerzen mir ihren leidenden Zustand verraten hatte. Meine frühere klare und volle Stimme versagte ihren Dienst, und ich war schon dadurch genötigt, die Bürde meines Amtes abzulegen, oder doch, um mich auszuheilen und gesunden zu können, eine Unterbrechung eintreten zu lassen. Als aber in mir der volle Wille aufging und fest ward, mein Amt aufzugeben und zu sehen, daß du der Herr bist, da freute ich mich, o mein Gott, du weißt es, daß diese Entschuldigung keine Lüge war, den Anstoß der Leute weniger zu erregen, die um ihrer Kinder willen mir keine Ruhe ließen. Voll Freude ertrug ich nun jene Zwischenzeit, bis sie ablief, ich glaube, es waren an die zwanzig Tage, aber tapfer wurden sie ertragen, weil die Begierde zurückgetreten war, welche mir die schwere Arbeit ertragen half, und ich war der Erdrückung preisgegeben, wäre nicht die Geduld an ihre Stelle getreten. Vielleicht hätte einer deiner Diener gesagt, daß ich gesündigt habe, weil ich, das Herz begierig dir zu dienen, es über mich gebracht habe, auch nur eine Stunde noch auf dem Lehrstuhle der Lüge zuzubringen. ich kann mich nicht dagegen wahren. Du aber, o Herr, voll Erbarmens, hast du nicht auch diese Sünde mit den übrigen schreckenvollen und trauererregenden mir in deinem heiligen Wasser verziehen und erlassen?

Neuntes Buch - Drittes Kapitel

903
Verecundus aber ward von Bangigkeit bei unserem Glücke verzehrt, weil er sah, daß er seiner Bande wegen, die ihn förmlich fesselten, von unserer Gemeinschaft ferngehalten werde. Er war, obwohl seine Gattin gläubig war, noch kein Christ; aber weil seine Frau gläubig war, ward er durch sie wie durch eine engere Fessel von dem Wege, den wir eingeschlagen hatten, zurückgehalten, denn er wollte, so sagte er, auf keine andere Weise Christ sein als auf die, da er es doch nicht sein konnte. In seiner Güte machte er uns das Anerbieten, die Zeit unseres dortigen Aufenthaltes auf seinem Landgute zu verbringen. Du wirst es ihm verzeihen, o Herr, bei der Auferstehung der Gerechten. Du selbst hast ihm ja sein Erbteil verliehen. Denn in unserer Abwesenheit, als wir schon in Rom waren, ward er von einer Krankheit ergriffen, und in ihr zum gläubigen Christen geworden, schied er aus diesem Leben. So hast du dich seiner und unser erbarmt, daß wir beim Andenken an die ungemeine Leutseligkeit des Freundes gegen uns nicht von unerträglichem Schmerz gequält wurden, wenn wir ihn nicht zu deiner Gemeinde zählen konnten.

Dank sei dir, unser Gott, wir sind die Deinen, das bezeugen deine Ermahnungen und Tröstungen: treuer Verheißer, vergelten wirst du dem Verecundus für Cassiciacum, sein Landgut, wo wir vom unruhigen Treiben der Welt ruhten in dir; vergelten wirst du es ihm mit der Wonne deines immer grünenden Paradieses, weil du ihm seine Sünden noch auf Erden vergabst, auf dem fruchtbaren Berge, auf deinem Berge, dem fruchtbaren Gebirge.

Damals aber war er in Betrübnis; Nebridius aber freute sich mit uns; denn obgleich er, noch kein Christ, in den Abgrund jenes verderblichen Irrtums gefallen war, daß er den Leib deines Sohnes, der die Wahrheit ist, für einen Scheinkörper hielt, erhob er sich doch aus solchem Irrtum und war, obwohl er noch nicht in die Geheimnisse unserer Kirche eingeweiht war, doch ein begeisterter Forscher der Wahrheit. Nicht lange nach unserer Bekehrung und der Wiedergeburt durch deine heilige Taufe ward er ein gläubiger Christ und diente dir in vollendeter Keuschheit und Enthaltsamkeit in Afrika bei den Seinigen; nachdem er sein ganzes Haus zum Christentum bekehrt hatte, da erlöstest du ihn von diesem Leibe, und nun lebt er in Abrahams Schoß. Was es auch ist, was mit diesem Schoße bezeichnet wird, dort lebt Nebridius, mein teurer Freund, einst ein Freigelassener, den du, Herr, zu deinem geistlichen Kinde angenommen hast; ja dort lebt er. Denn welchen andern Ort gäbe es für solch eine Seele? Dort lebt er, worüber er mich armen, unwissenden Menschen viel fragte. Er neigt nicht mehr sein Ohr zu meinem Munde, sondern den Mund seines Geistes an deine Quelle und trinkt in durstendem Verlangen Weisheit, selig ohne Ende. Doch glaube ich nicht, daß er so sehr davon trunken werde, daß er meiner vergessen könnte, da auch du, Herr, der du sein Trank bist, meiner gedenkest. So lebten wir also, den trauernden Verecundus tröstend, in ungetrübter Freundschaft über unsere Bekehrung und ermahnten ihn zur Treue in seinem Stande, d. h. in seinem ehelichen Leben, warteten aber, wann Nebridius nachfolgen würde, wozu er schon ganz fähig und vorauszusehen war, daß er es sehr bald tun würde; endlich nahte auch mein Tag, auf den ich im Verlangen nach Freiheit vom Berufe lange geharrt, um aus vollem Herzen zu singen: Mein Herz hält dir vor dein Wort, dein Angesicht habe ich gesucht! Dein Angesicht, o Herr, will ich suchen.

Neuntes Buch - Viertes Kapitel

904
Endlich kam der Tag, an welchem ich auch in der Tat von meinem Berufe erlöst werden sollte, wie ich es ja im Geiste schon war. Und es geschah. Frei wie mein Herz hattest du auch meine Zunge gemacht; freudig pries ich dich und ging mit all den Meinen auf das Landgut. Wie ich mich dort mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigte, die deinem Dienst geweiht waren, aber die Schule des Stolzes noch ausschnauften, wie beim Ausruhen, davon legen die Schriften Zeugnis ab, welche die Unterredungen mit den Anwesenden und mir selbst in deiner Gegenwart enthalten; wie ich aber mit dem Nebridius, der ja abwesend war, verkehrte, davon zeugt unser Briefwechsel. Warm aber würde die Zeit zureichen, alle deine großen Wohltaten, die du mir erwiesen hast in jener Zeit, zu erwähnen, besonders da ich zu andern größern eile? Meine Erinnerung ruft mir mein damaliges Ich ins Gedächtnis, und es ist süß für mich, Herr, dir zu bekennen, durch welchen innerlichen Stachel du mich vollends gezähmt und wie du die Berge und Hügel meiner Gedanken erniedrigt und, was krumm war und uneben, geebnet hast, wie du auch selbst den Alypius, den Bruder nach meinem Herzen, dein Namen deines Eingeborenen, unseres Herrn und Erlösers Jesu Christi, unterworfen hast, dem er anfangs in unserer literarischen Tätigkeit keinen Platz einräumen wollte. Er wollte sich lieber am Duft der Zedern, die der Herr schon zerbrochen hatte, als an dein heilbringenden Kraute der Kirche, dem Heilmittel wider die Schlange, laben.

Wie pries ich dich, o mein Gott, da ich die Psalmen Davids las, die Lieder des Glaubens, die Töne der Gottesfurcht, die mit ihrem Schall den Geist der Aufgeblasenheit vertreiben; ich las sie als Katechumen, noch ein Neuling in der wahren Liebe zu dir, da ich auf dem Landgute mit Alypius, der auch Katechumen war, der Ruhe lebte und die Mutter uns anhing in stiller Weiblichkeit, mit festem Glauben und der Sicherheit, die das Alter verleiht, mit der mütterlichen Liebe, in christlicher Frömmigkeit. Wie pries ich dich bei diesen Lobgesängen, wie ward ich durch sie zu dir begeistert und entflammt, sie, wenn es möglich gewesen, dem ganzen Erdkreise als heilsames Mittel wider des Menschen Stolz zu verkündigen! Und doch werden sie auf dem ganzen Erdkreis gesungen, und keiner ist, der sich vor deiner Hitze verbirgt. Von welch heftigem und großem Schmerze ward ich wider die Manichäer ergriffen und von ebenso großem Mitleid gegen sie, daß sie jene göttlichen Geheimnisse, jene Heilmittel nicht kannten und heillos der Arznei widerständen, durch welche sie gesunden könnten! Ich wünschte nur, daß sie damals ohne mein Wissen in meiner Nähe gewesen wären und mein Angesicht geschaut hätten und meine Stimme gehört, wenn ich in jener Ruhezeit den vierten Psalm las, und wie dieser Psalm auf mich wirkte: Erhöre mich, wenn ich rufe, Gott meiner Gerechtigkeit, der du mich tröstest in Angst; sei mir gnädig und erhöre mein Gebet. Sie hätten es hören sollen, wenn sie es ohne mein Wissen hätten hören können, damit sie nicht meinten, ich hätte um ihretwillen also gesprochen; sie hätten es hören sollen, was ich unter jenen Worten sprach. Denn ich hätte es gewißlich nicht gesprochen noch hätte ich es so gesprochen, wenn ich gewußt hätte, daß ich von ihnen gehört würde, noch würden sie es so aufgenommen haben, als wenn sie es hörten, wie ich mit mir und für mich in deiner Gegenwart in vertrauter Andacht meiner Seele redete.

Denn ich erschauderte fürchtend und zugleich erglühte ich hoffend in jubelnder Freude zu deiner Barmherzigkeit, o Vater. Und alles dies leuchtete aus meinen Augen, sprach aus meiner Stimme, wenn dein guter Geist zu uns gewendet spricht: Liebe Kinder, wie lange soll meine Ehre geschändet werden; wie habt ihr das Eitle so lieb und die Lügen so gerne? Denn ich hatte einst die Eitelkeit lieb und suchte die Lüge. Und du, Herr, hattest erhöhet schon deinen Heiligen und ihn erwecket von den Toten und gesetzt zu deiner Rechten, von wannen er niedersendet den verheißenen Geist der Wahrheit; und er hatte ihn bereits gesandt und ich wußte es nicht. Er hatte ihn gesandt, weil ich schon erhöhet war, auferstehend von den Toten und auffahrend gen Himmel. Vorher aber war der Geist noch nicht verliehen, weil Jesus noch nicht verherrlicht war. Und es ruft der Prophet: Wie lange soll meine Ehre geschändet werden? Wie habt ihr das Eitle so lieb und die Lüge so gerne? Erkennet doch, daß der Herr seine Heiligen wunderlich führet. Er ruft: Wie lange? Er ruft: Erkennet! Und ich hatte so lange in Unwissenheit das Eitle so lieb und die Lügen so gerne. Und ich hörte und zitterte, denn es ward zu solchen gesagt, wie ich wußte, daß ich gewesen war. Denn die Gebilde, die ich für Wahrheit hielt, sie waren nur Eitelkeit und Lüge. Und oft stieß ich laute und schwere Klagen aus, wenn ich schmerzlich bewegt daran zurückdachte. Wenn es doch die vernommen hätten, welche noch jetzt die Eitelkeit lieben und die Lügen so gern haben. Sie wären vielleicht erschüttert worden und hätten es von sich geworfen, und du würdest sie erhören, wenn sie dich anriefen; denn er starb eines wirklichen Todes im Fleisch für uns, der uns bei dir vertritt.

Ich las: Zürnet ihr, so sündiget nicht. Wie ward ich erschüttert, mein Gott, der ich bereits gelernt hatte, mir über das Vergangene zu zürnen, auf daß ich fortan nicht mehr sündigte. Und mit Recht zürnte ich mir, denn keine fremde Natur aus dem Geschlechte der Finsternis sündigte an mir, wie die sprechen, welche sich nicht selbst zürnen können, und die sich den Zorn häufen auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes. Meine Güter, sie lagen nicht mehr in der Außenwelt noch suchte ich sie mit Fleischesaugen im Sonnenlichte. Denn die ihre Freude in der Außenwelt finden, die werden leicht eitel und verlieren sich in das Sichtbare und Zeitliche, an dessen Vorstellungen sie mit hungrigem Denken lecken. O wenn sie doch der Hunger ermattete und sie riefen: Wer wird uns die wahren Güter zeigen, Und wir wollen sagen und sie mögen es vernehmen: Herr, erhebe über uns das Licht deines Angesichtes. Denn wir selbst sind nicht das Licht, das alle Menschen erleuchtet, sondern wir werden von dir erleuchtet, daß wir, die wir weiland in Finsternis waren, ein Licht in Finsternis waren, ein Licht in dir sind. O könnten sie im Innern das Ewige schauen; weil ich dies geschmeckt, ergrimmte ich, daß ich es ihnen nicht zeigen konnte, weil sie mir ein Herz zubrächten, das in ihren auf die Außenwelt gerichteten Augen war und sprächen: Wer wird uns die wahren Güter zeigen? Denn erst, da ich mir in meines Herzens Tiefe zürnte, als ich zerschlagen war, als ich meinen alten Menschen als Schlachtopfer darbrachte und durch begonnenes Sinnen auf meine Erneuung meine Hoffnung auf dich gründete, da erst begannst du mir süß zu werden und erfreutest mein Herz. Und ich schrie auf, da ich dies Wort las von außen und in meinem Innern seine Wahrheit erkannte; nimmer wollte ich reich werden an irdischen Gütern, Zeitliches verschlingend und selbst von ihm verschlungen, da ich in der ewigen Einfalt andere Früchte, andern Wein und anderes Öl gefunden hatte.

Und ich rief bei dem folgenden Verse mit lauter Stimme meines Herzens: O in Frieden! O in dir selbst will ich schlafen und ruhen! Denn wer mag wider uns sein, seit da geschrieben steht: Der Tod ist verschlungen in den Sieg? Und du bist der ganz Unwandelbare, und in dir ist die Ruhe, die alle Mühseligkeiten vergißt, denn nicht ein anderer neben dir und nicht um vieles andere zu erlangen, das doch nicht ist, was du bist, sondern du Herr allein hast meine Hoffnung fest gegründet. Ich las es und erglühte, und ich fand nicht, was ich mit den tauben Toten, deren einer ich gewesen bin, machen sollte, eine Pest, ein rauher Beller, blind gegen die Schriften, die da süß sind von himmlischem Honig und deinem Lichte erleuchtet, und ich verzehrte mich über diese Feinde der heiligen Schrift. -Wie soll ich alles dessen gedenken, das in jenen Tagen der Ruhe in mir vorging? Aber ich habe weder vergessen noch will ich verschweigen die Zucht deiner Geißel und die wunderbare Schnelligkeit deines Erbarmens. Damals züchtigtest du mich mit Zahnschmerzen, und da sie so schlimm wurden, daß ich nicht sprechen konnte, kam es in mein Herz, die Anwesenden zu ermahnen, für mich zu dir, dem Gott jeglichen Heils, zu beten. Ich schrieb es auf ein Wachstäfelchen und gab es ihnen, daß sie es lesen sollten. Und als wir das Knie zum Gebet gebeugt hatten, da schwand der Schmerz. Aber welch ein Schmerz und wie schnell verging er! Ich erschrak; offen bekenne ich es dir, mein Herr und mein Gott, denn ähnliches hatte ich seit meiner Jugend nicht erfahren. Und ich erkannte in meines Herzens Tiefe deinen Wink und pries in des Glaubens Freude deinen Namen. Und dieser Glaube ließ mich nicht sicher und sorglos sein über die Sünden meiner Vergangenheit, die mir damals noch nicht durch die Taufe vergeben waren.

Neuntes Buch - Fünftes Kapitel

905
Nach Ablauf der Herbstferien entsagte ich meinem Mailändischen Schulamte, damit sich die Mailänder nach einem andern Wortverkäufer für ihre Schulen umsähen, teils weil ich zu dein Entschlusse gekommen wäre, dir zu dienen, teils weil ich wegen Atmungsbeschwerden und Brustschmerzen meinem Amte nicht mehr genügen könnte. Zugleich teilte ich deinem Bischof Ambrosius, deinem heiligen Manne, meine früheren Irrtümer mit und zugleich meinen gegenwärtigen Wunsch, daß er mir einen guten Rat gäbe, welches deiner Bücher ich vor allem lesen sollte, um mich zum Empfange so großer Gnade geschickter und würdiger zu machen. Jener hieß mich den Propheten Jesaias lesen, vermutlich, weil derselbe vor allen ein Verkündiger des Evangeliums und der Berufung der Völker ist. Indes verstand ich ihn, als ich darin anfing zu lesen, nicht, und weil ich glaubte, daß das ganze Buch nach Art des Anfangs sei, so legte ich es einstweilen beiseite, um es erst wieder vorzunehmen, wenn ich geübter in der Redeweise des Herrn wäre.

Neuntes Buch - Sechstes Kapitel

906
Als nun die Zeit kam, wo ich mein Taufgesuch einreichen mußte, verließen wir das Landgut und kehrten nach Mailand zurück. Auch Alypius hatte den Entschluß gefaßt, mit mir zusammen die Taufe zu empfangen, schon ganz erfüllt mit der zur Aufnahme deiner Gnadenmittel geschickt machenden Demut; mit Charakterstärke bändigte er den Leib, so daß er den Winter hindurch mit bloßen Füßen ging. Auch den Knaben Adeodatus nahmen wir mit uns, den Sohn, den ich in Sünden gezeugt hatte. Doch du hattest ihn gut geschaffen. Fünfzehn Jahre war er alt und übertraf an Geist manche ältere und gelehrte Männer. ich bekenne dir deine Gaben, o Herr mein Gott, du Schöpfer des Alls, der du schön gestaltest unsere Mißgestalt, denn außer der Sünde hatte mir jener Knabe nichts zu verdanken. Denn daß er von uns in deiner Zucht aufgezogen ward, das hattest du uns eingegeben, kein anderer; ja, ich bekenne dir dankbar deine Gaben. In einem meiner Bücher, "Der Lehrer" betitelt, lasse ich den Adeodatus mit mir sprechen. Du weißt es, daß alle Gedanken, die ich ihn dort sprechen lasse, wirklich die seinigen waren, obwohl er erst im sechzehnten Lebensjahre stand. Vieles andere noch Bewundernswürdigere bemerkte ich an ihm, Heiliger Schauer erfaßte mich bei diesen wunderbaren Gaben, und wer anders als du ist der Geber solcher Wunder? Früh nahmst du ihn von dieser Erde und sorgenfreier gedenke ich nun seiner, ohne Furcht für den Knaben, für den Jüngling, für sein ganzes Leben. Wir hatten ihn uns als unsern Altersgenossen zugesellt in deiner Taufgnade, zur Erziehung in deiner Zucht, und wir wurden getauft und von uns wich der Kummer über unsere Vergangenheit. In jenen Tagen konnte ich nicht satt werden in der wunderbaren Süßigkeit, die Höhe deines Ratschlusses über das Heil des Menschengeschlechtes zu betrachten. Wie habe ich geweint unter deinen Hymnen und Gesängen, tief bewegt von dem Wohllaut der Stimmen deiner Kirche. jene Stimmen, sie fluteten in mein Ohr, und durch sie ward die Wahrheit in mein Herz eingeflößt und fromme Gefühle wallten in ihm auf, die Tränen strömten und mir war so selig in ihnen zumute.

Neuntes Buch - Siebentes Kapitel

907
Noch nicht lange hatte die Mailänder Kirche diese Art der Erbauung und des Trostes eingeführt unter großer Beteiligung der Brüder, die mit Mund und Herzen einstimmten. Ein Jahr war es ungefähr oder vielleicht auch etwas länger, da verfolgte Justina, die Mutter des jungen Königs Valentinian, deinen Anhänger, den Ambrosius, um ihrer Ketzerei willen, zu der sie von den Arianern verführt worden war. Das fromme Volk blieb die Nacht hindurch in deiner Kirche, bereit, mit ihrem Bischof, deinem Diener, zu sterben. Dort war auch meine Mutter, deine Magd; vor allen eifrig im Sorgen und Wachen, lebte sie nur dem Gebete. Wir, noch nicht erwärmt von der Glut deines Geistes, wurden doch von dem Bangen und der Verwirrung der Stadt mit ergriffen. Damals ward nach der Sitte der morgenländischen Kirche das Singen der Hymnen und Psalmen eingeführt, damit das Volk nicht durch ermüdende Trauer matt würde, und seitdem ist es bis auf den heutigen Tag so geblieben, und viele, ja fast alle deine Kirchen des Erdkreises sind uns gefolgt.

Damals offenbartest du deinem Bischof, dem schon erwähnten Ambrosius, wo die Leiber der Märtyrer des Protasius und Gervasius verborgen ruhten, die du so viele Jahre hindurch im Schoß deiner Verborgenheit unverwest verwahrt hattest, um sie zur rechten Zeit zur Bändigung der Wut jenes Weibes, das doch eine Kaiserin war, hervorzubringen. Denn als sie aufgefunden und ausgegraben mit den ihnen zukommenden Ehren zur Basilika des Ambrosius gebracht wurden, da wurden nicht nur die, welche von unreinen Geistern besessen waren, nach dem Bekenntnis ihrer Dämonen selbst, geheilt, sondern auch ein angesehener Bürger, der mehrere Jahre hindurch blind war. Als dieser nämlich nach der Ursache fragte, warum das Volk vor Freude jauchzte, und es hörte, da sprang er hinaus und bat seinen Führer, ihn dorthin zu führen. Nachdem er in die Kirche eingetreten war, bat er um die Erlaubnis, mit seinem Schweißtuche die Bahre der Heiligen berühren zu dürfen, deren Tod ist wert gehalten vor dem Herrn. Als er dies tat und dann seine Augen damit berührt hatte, da wurden sie sogleich ihm aufgetan. Der Ruf davon aber verbreitete sich weit und breit; alles war voll deines Lobes, und der Sinn jener Feindin wurde, wenn auch nicht zu gesundem Glauben fortschreitend, doch von der Wut zurückgehalten. Dank dir dafür, o mein Gott! Wohin hast du meine Erinnerung geführt, daß ich dir auch dieses bekenne, das ich, wiewohl so groß, doch am rechten Orte zu erwähnen vergessen hatte. Und damals, als so der Geruch deiner Salben lieblich entströmte, eilten wir dennoch nicht zu dir. Deshalb weinte ich so sehr unter dem Gesange deiner Hymnen, einst zu dir aufseufzend und nun endlich aus voller Brust die Himmelsluft einatmend, soweit sie eindringen kann in dieses Haus, das dem Heu gleicht.

Neuntes Buch - Achtes Kapitel

908
Der du Frieden bringst in die Wohnungen der Menschen, du geselltest uns auch den Evodius zu, einen jungen Mann aus unserer Vaterstadt. Er war kaiserlicher Sachwalter und hatte sich früher als wir zu dir bekehrt und sich taufen lassen, hatte den Staatsdienst verlassen und sich zu deinem Dienste gegürtet. Wir waren unzertrennlich und beschlossen, unser der Frömmigkeit geweihtes Leben zusammen zu führen. Wir suchten einen Ort, an dem wir ungestört dir dienen könnten, und traten zusammen die Heimreise nach Afrika an. Wir kamen nach Ostia an dem Tiber, da starb meine Mutter. Ober vieles gehe ich nun raschen Schrittes hinweg. Nimm an mein Bekenntnis und meinen Dank, o mein Gott, für Unzähliges, auch wenn ich darüber schweige. Das aber will ich doch nicht übergehen, was meine Seele über deine Magd ans Licht bringen will, die mich gebar, im Fleische für das zeitliche, im Herzen für das ewige Leben. Nicht ihre, sondern deine Gaben in ihr will ich nennen; denn nicht sie selbst hatte sich ja geschaffen oder erzogen. Du hast sie geschaffen, und weder Vater noch Mutter wußten, welcher Art ihr Kind werden würde. In deiner Furcht erzog sie der Hirtenstab deines Gesalbten, das Walten deines eingeborenen Sohnes in einem gläubigen Hause, einem treuen Glied deiner Kirche. Hinsichtlich ihrer Erziehung pries sie nicht so sehr die Sorgfalt der Mutter als vielmehr die einer ergrauten Dienerin, die bereits ihren Vater getragen hatte, wie so die ziemlich herangewachsenen Mädchen die Kleinen auf dein Rücken herumzutragen pflegen. Deswegen und wegen ihres Alters und ihrer strengen Sittlichkeit ward sie in dein christlichen Hause nicht wenig hoch gehalten, so daß man ihr die Beaufsichtigung der Töchter des Hauses übertrug, die sie mit treuer Sorge führte und, wo es nötig war, bei ihrer Erziehung eine heilige Strenge ausübte und beim Unterricht besonnene Umsicht. Außer den Stunden, in welchen sie am elterlichen Tische sehr mäßig genährt wurden, erlaubte sie ihnen nicht, auch wenn der Durst sie quälte, auch nur Wasser zu trinken, um übler Gewohnheit vorzubeugen, indem sie dies heilsame Wort hinzufügte: "Jetzt trinkt ihr Wasser, weil ihr euch keinen Wein verschaffen könnt; habt ihr aber erst Männer bekommen und seid Herrinnen von Vorrats- und Weinkammern, so wird euch das Wasser nicht mehr munden, aber die Gewöhnung zu trinken wird euch geblieben sein.« Durch diese Art der Belehrung und die Entschiedenheit, mit der sie befahl, zügelte sie die Begehrlichkeit des zarten Alters und minderte den Durst der Mädchen zu sittsamem Maßhalten, daß nur das Schickliche ihr Gefallen erregte.

Und dennoch hatte sich ein Gelüst nach Wein bei ihr eingeschlichen, wie nur, ihrem Sohne, deine Magd erzählte. Denn als sie, da sie ein nüchternes Mädchen war, von ihren Eltern den Auftrag erhielt, aus der Weinkufe Wein zu holen, indem sie einen Becher unter den Hahn hielt, schlürfte sie mit gespitzten Lippen, bevor sie den vollen Becher in die Flasche goß, zuerst ein weniges ab, da ihr mehr widerstand. Doch tat sie dies nicht in roher Begierde, sondern aus jugendlichem Übermut, der in mancherlei Gelüsten aufsteigt und den das Gewicht älterer Personen im Kinderherzen niederzuhalten pflegt. Zu dem wenigen fügte sie aber täglich wieder ein weniges, und weil, wer Geringes verachtet, allmählich zu Fall kommt, gewöhnte sie sich endlich daran, daß sie fast schon ganze Becherchen begierig austrank. Wo war da die verständige Alte und ihr strenges Verbot? Was hilft uns gegen die verborgene Krankheit, wenn nicht deine Hilfe, o Herr, über uns wacht? Da Vater, Mutter und Pflegerin fern waren, warst du da, der du sie schufst, der du uns zu dir rufst, der du auch durch verkehrte Menschen Gutes zum Heil der Seele wirkst, was tatest du damals, o mein Gott? Wie halfest, wie heiltest du sie? Ein hartes Schmähwort aus (-!er Seele eines andern brachtest du hervor nach deiner geheimen Fürsorge, daß es das Messer des Arztes würde, damit du auf einen Schnitt die Fäulnis ausschnittest. Die Magd, welche sie zur Weinkufe zu begleiten pflegte, geriet mit ihrer jüngeren Herrin in Streit, wie das ja, wenn sie allein sind, zu geschehen pflegt, und warf ihr diesen Fehler vor und schalt sie mit bitterem Schimpf eine Weinsäuferin. Von diesem Schimpf getroffen, erkannte sie ihren Fehler, verdammte ihn sogleich und legte ihn ab. Wie Freunde mit ihrer Schmeichelei uns verderben, so bessert uns gewöhnlich der Tadel der Feinde. Nicht aber das Gute, das du durch sie vollbringst, sondern ihren bösen Willen vergiltst du ihnen. jene wollte im Zorn ihre jüngere Herrin nur kränken, nicht heilen von ihrem Fehler, und zwar heimlich, sei es, daß Zeit und Ort, da der Streit ausbrach, es so fügten, sei es, daß sie nicht selbst in Ungelegenheiten käme, wenn sie so spät erst es anzeigte. Du aber, o Herr, du Lenker des Himmels und der Erden, der du zu deinen Zwecken die Wogen der Tiefe aufregst und den wüsten Strom der Zeiten ordnest, du heiltest durch die Heillosigkeit der einen Seele nur die andere; niemand aber möge, wenn er dies bedenkt, auch wenn er des Willens war, es seiner Macht zuschreiben, wenn durch sein Wort jemand gebessert wird.

Neuntes Buch - Neuntes Kapitel

909
Züchtig und verständig, mehr von dir den Eltern als von den Eltern dir untergeben, wurde sie, nachdem sie zur jugendlichen Reife gekommen war, einem Manne vermählt, dein sie wie ihrem Gebieter diente und sich bemühte, ihn dir zu gewinnen, indem sie dich durch ihre Sitten ihm predigte, durch welche du sie so schön gemacht hattest, daß sie ihrem Manne zugleich Liebe und Achtung einflößte. Auch seine Untreue ertrug sie so, daß sie mit ihrem Gatten darüber nie in Streit geriet. Denn sie hoffte von deinem Erbarmen über ihn, daß er im Glauben an dich keusch würde. Außerdem aber war er, so gutmütig er auch war, ebenso jähzornig. Sie aber verstand es, dem zornigen Manne weder mit der Tat noch dem Worte zu widerstehen. Wenn er ausgetobt und sich besänftigt hatte, dann gab sie ihm Rechenschaft über ihre Handlungsweise, wenn er sich etwa in Übereilung darüber aufgeregt hatte. Wenn viele Frauen, deren Männer doch sanftmütiger waren, im entstellten Gesichte die Spuren der Schläge trugen und in traulichem Gespräch sich über das Leben ihrer Männer beschwerten, so gab sie ihren Zungen die Schuld und erinnerte sie scherzweise und doch nachdrücklich daran, daß sie seit Abschluß ihres Ehekontraktes Dienerinnen geworden wären; deshalb dürften sie, eingedenk ihres Standes, gegen ihre Eheherrn sich nicht erhaben dünken. Wenn diese nun sich wunderten, daß man noch nie gehört oder gesehen habe, daß Patricius seine Gattin gemißhandelt, obwohl man wußte, wie jähzornig ihr Gatte sei, oder daß sie auch nur einen Tag in häuslichem Zwist miteinander uneinig gewesen wären und wenn sie dann vertraulich nach der Ursache forschten, so belehrte Monica sie über die Art und Weise, in der sie verfahre und die ich schon erwähnt habe. Und die, welche darnach handelten, dankten ihr, wenn sie ihre Weise erprobt hatten, die sie aber nicht befolgten, blieben ihrer Unbill unterworfen.

Auch ihre Schwiegermutter, die anfangs durch falsche Hinterbringungen schlechter Mägde gegen sie aufgereizt war, gewann sie so sehr durch stilles Ertragen, Sanftmut und aufmerksame Liebe, daß sie ihrem Sohn voll Unwillen aus freien Stücken die Zwischenträgerinnen angab, die den Hausfrieden zwischen ihr und der Schwiegertochter störten und ihre Bestrafung forderte. Als dieser Sohn, der Mutter nachgebend und für die Zucht des Hauses sowie für die Einigkeit unter den Seinigen besorgt, die Schuldigen nach dem Willen der Mutter durch Schläge gezüchtigt hatte, verhieß jene einer jeden den gleichen Lohn, die, um sich beliebt zu machen, ihrer Schwiegertochter etwas Böses nachreden werde. Von nun an wagte es keine mehr und sie lebten nun fortan in liebevollster Eintracht.

Auch die große Gabe hattest du deiner Magd, aus deren Leibe du mich geschaffen, o mein Gott, du mein Erbarmer, geschenkt, daß sie bei Hader und Zwietracht, wo sie nur konnte, Frieden stiftete. Wenn zum Beispiel die eine oder die andere in Abwesenheit der Feindin ihr einen Schwall von bittern Redensarten zum Anhören gab, wie sie hervorsprudelnde und leidenschaftliche Zwietracht auszustoßen pflegt, wenn in Gegenwart der Freundin sich der leidenschaftliche Haß in heftige Worte über die abwesende Feindin ergießt, so entdeckte sie der Anwesenden nie etwas davon, sondern redete nur zum Guten, um die Versöhnung herbeizuführen. Es würde mir dies als ein kleines Gut erscheinen, das du ihr zuteil werden ließest, hätte ich nicht zu meiner Betrübnis unzählige Zerwürfnisse kennenlernen, da sich die schreckliche Seuche dieser Sünde so weit verbreitet hat, mit der man dem zürnenden Feinde nicht nur die Worte zorniger Feinde überbringt, sondern sogar Verleumdungen hinzufügt, während der Menschenfreund es sich doch nicht damit genug sein lassen soll, die Feindschaft unter den einzelnen Menschen nicht zu vermehren, sondern auch bestrebt sein soll, sie durch freundliches Zureden zu tilgen. So tut es meine Mutter und du warst ihr Lehrer, der sie also in der Schule ihres Herzens lehrte.

Endlich gewann sie dir auch ihren Gatten am Ende seines zeitlichen Lebens und beklagte sich nicht mehr über das, was sie, da er noch Heide war, von ihm zu ertragen hatte, nachdem er gläubig geworden war. Auch eine Dienerin deiner Diener war sie. Wer sie kennenlernte, mußte dich aus vollem Herzen loben, ehren und lieben in ihr, weil in ihrem Herzen Früchte ihren heiligen Umgang mit Gott bezeugten. Sie war eines Mannes Weib gewesen, sie hatte ihren Eltern gleiches vergolten, ihr eigenes Haus göttlich regiert und hatte ein Zeugnis guter Werke. Sie hatte ihre Söhne auferzogen und so oft dieselben mit Ängsten geboren, als sie sie von dir abirren sah. Und endlich, o Herr, trug sie für uns alle, deine Diener, der du uns nach deiner Milde reden läßt, die wir vor ihrem Heimgange nach dem Empfang deiner Taufgnade in dir vereint lebten, also Sorge, als ob sie uns allesamt geboren hätte, und diente uns also, als ob sie unser aller Kind sei.


Augustinus - Bekenntnisse 812