Augustinus - Bekenntnisse 1008

Zehntes Buch - Achtes Kapitel

1008
Ich werde mich also auch noch über diese Kraft meiner Natur erheben, schrittweise emporsteigend zu dem, der mich bereitet hat; werde kommen zu den Gefilden und weiten Palästen meines Gedächtnisses, wo sich befinden die Schätze unzähliger Vorstellungen, welche über irgendwelche Dinge durch die Sinne eingezogen sind, bald vermehrend, bald vermindernd, bald irgendwie verändernd, was die Sinne berührt hat; und wenn etwas anderes da zur Aufbewahrung niedergelegt ist, was nicht die Vergeßlichkeit verzehrte oder begrub. Daselbst fordere ich, solange ich bin, daß das Gedächtnis hervorbringe, was ich will; manches ist gleich zur Stelle, manches muß länger gesucht werden, manches tritt zutage gewissermaßen wie aus wohlversteckten Magazinen; manches stürzt sich scharenweise hervor, und während anderes verlangt und gesucht wird, ist es plötzlich da, als ob es sagen wollte: "Bin ich nicht auch noch da?" Aber ich beseitige es mit meiner geistigen Hand aus den Augen meiner Erinnerung, bis sich enthüllt, was ich will und zutage tritt aus Verborgenem. Manches stellt sich leicht und in ununterbrochener Reihe, so wie es gefordert wird, dar; es weicht das Frühere dem Nachfolgenden, und indem es weicht, verbirgt es sich, bis ich es wieder hervortreten lassen will. Das alles geschieht, so oft ich etwas aus dem Gedächtnisse erzähle.

Daselbst liegt alles einzeln und geschlechtsweise auf bewahrt, alles ist aufgehäuft, jedes auf seinem Wege hereingekommen; in dieser Weise das Licht und alle Farben und Formen der Körper durch die Augen, durch die Ohren aber alle Arten der Töne; alle Gerüche durch den Weg der Nase; alles, was schmeckt, durch den Weg des Mundes, durch das Gefühl aber des ganzen Körpers, was hart, was weich, was warm oder kalt, weich oder rauh, schwer oder leicht, außerhalb oder innerhalb des Körpers. Alles dies nimmt auf, um es, wenn nötig, aufzubewahren und wiederzugeben die große Haupthöhle des Gedächtnisses und ich weiß nicht, welche geheimen und unbeschreiblichen Verzweigungen es gibt; was alles zu ihm eintritt durch seine einzelnen Türen und darin niedergelegt wird. Dennoch gehen daselbst nicht die Dinge selbst ein, sondern nur ihre Vorstellungen sind daselbst für das Denken, das ihrer sich erinnert, gegenwärtig. Aber wer kann sagen, aus welchem Stoff sie gebildet sind, da nur augenfällig, durch welche Sinne sie entnommen und ins Innere verborgen werden? Denn auch in dem Schweigen der Nacht rufe ich mir, wenn ich will, die Farben ins Gedächtnis; und scheide zwischen Weiß und Schwarz und zwischen anderen Farben, die ich will; auch vermengen sich die Töne nicht noch verwirren sie, was ich mit den Augen heraufholend betrachte, da sie doch selbst hier sind und gewissermaßen abgesondert aufbewahrt sind. Denn auch sie rufe ich her, wenn mir's beliebt, und sie sind zur Stelle. Und während die Zunge ruht und die Kehle schweigt, singe ich doch, soviel ich will; und jene Vorstellungen der Farben, welche dessen ungeachtet da sind, stören und unterbrechen sich nicht, denn da wird eine andere Vorratskammer, welche vom Ohr ihren Ausgang hat, benutzt. So ist's auch mit dem übrigen, das durch die übrigen Sinne eingegangen und gehäuft ist, ich erinnere mich dessen, wenn ich will: und ich unterscheide den Duft der Lilien von den Veilchen, ohne daß ich dabei etwas rieche; und Honig vom Most, Weiches von Hartem, ohne daß ich dabei etwas schmecke oder fühle, sondern ich stelle mir's in der Erinnerung vor.

Innerlich tue ich das, im großen Hof meines Gedächtnisses. Daselbst sind mir Himmel, Erde und Meer gegenwärtig und alles, was ich darin wahrnehmen konnte, mit Ausnahme dessen, was ich vergessen habe. Daselbst begegne ich mir auch selbst und bilde mich wieder von neuem, was, wann und wo ich gehandelt habe und wie ich bei meinem Handeln gestimmt war. Dort ist alles, dessen ich mich erinnere, gleichviel, ob ich's selbst erfuhr oder von andern glaubte. Aus demselben Schatze entnehme ich bald diese, bald jene Vorstellungen der Dinge, weiche ich entweder selbst kennengelernt oder nach Analogie der mir bekannten andern geglaubt, und verwebe sie mit Vergangenem; und danach überlege ich, was in der Zukunft getan, gehofft werden und sich begeben kann, ich überlege dies, als wäre alles gegenwärtig. "ich werde dies oder jenes tun", spreche ich zu mir in dem ungeheuren Raume meines Geistes, der von von Vorstellungen so vieler und so großer Dinge ist, "und dies oder jenes möge folgen." O, wenn dies oder jenes schon da wäre." "Möge Gott dies oder jenes abwenden." So sage ich zu mir: und während ich rede, sind die Vorstellungen aller der Dinge da, von denen ich rede, aus demselben Schatze des Gedächtnisses; überhaupt würde ich nicht etwas davon nennen, wenn es fehlte.

Das ist die große Macht des Gedächtnisses, übergewaltig, mein Gott, ein geheimes Heiligtum, weit und grenzenlos. Wer kommt zu seinem Grunde? Und das ist die Kraft meines Geistes, die meiner Natur angehört; und doch fasse ich selbst nicht ganz, was ich bin. Denn der Geist ist zu eng, um sich selbst zu fassen. Und wo mag das sein, was er vom Seinen nicht faßt? Wäre es denn etwa außer ihm selbst, nicht in ihm selbst? Wenn aber in ihm selbst, wie faßt er es doch nicht? Gewaltige Bewunderung bemächtigt sich meiner, Staunen erfaßt mich. Es ziehen die Menschen dahin, um zu bewundern die Höhen der Berge und die gewaltigen Wogen des Meeres, den breiten Fall der Flüsse, den Umfang des Ozeans, die Kreise der Gestirne, und verlassen sie selbst, ohne sich zu wundem, daß ich das alles, während ich davon redete, nicht mit Augen sah und doch nur von Bergen, Strömen und Flüssen und Gestirnen sprach, die ich gesehen, und vom Ozean, den ich mir nur vorstellte, und schaute es in dem so ungeheuer großen Raume meines Gedächtnisses, als schaute ich es vor mir; und doch, als ich es sah, hat es mir beim Sehen nicht die Augen aufgezehrt; auch sind die Dinge nicht selbst in mir, sondern nur ihre Bilder. Und ich weiß nur, aus welchem Sinne meines Körpers sich mir etwas aufgeprägt hat.

Zehntes Buch - Neuntes Kapitel

1009
Aber nicht das allein trägt die gewaltige Fassungskraft meines Gedächtnisscs. Daselbst ist auch alles, was ich von den freien Wissenschaften, die ich erlernt, nicht verloren habe, die ich, als wären sie zurückgeschoben, in einem innerlichen Orte, der doch kein Ort ist, in mir trage; nicht ihre Vorstellungen, sondern die Dinge selbst. Denn was ich an Sprachkunst, an Disputierkunst und an gelehrten Untersuchungen weiß, ja was ich von dem allem weiß, das befindet sich so in meinem Gedächtnisse, daß ich nicht etwas außer mir gelassen, dessen Bild ich in mir zurückbehalten oder es getönt habe und vorübergezogen sei, sowie der Ton, der durch die Ohren sich mir einprägte, gewissermaßen tönt und doch nicht tönte; oder wie der Geruch, während er vorüberzieht und in die Luft sich verflüchtigt, einen Geruch hinterläßt, sobald er die Vorstellung von sich in (las Gedächtnis überträgt, die wir, wenn wir daran denken, wiederholen; oder wie die Speise, welche genossen, doch gewiß keinen Geschmack mehr hinterläßt, demnach in der Erinnerung daran gewissermaßen fortschmeckt; oder wie etwas vom Körper durch Berühren empfunden wird, auch nachdem es von mir entfernt ist, doch in der Erinnerung empfunden wird. Freilich werden diese Dinge nicht selbst da hineingelassen, sondern ihre Vorstellungen werden da mit wunderbarer Schnelligkeit aufgefaßt, gewissermaßen in wunderbaren Zellen aufbewahrt und wunderbarerweise durch die Erinnerung herausgeholt.

Zehntes Buch - Zehntes Kapitel

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Aber während ich höre, daß es dreierlei Arten der Abhandlung gibt; ob etwas sei, was es sei und wie es sei, so behalte ich allerdings nur die Vorstellung der Töne, durch welche die Worte zusammengesetzt sind und weiß, daß sie durch die Luft mit Geräusch hindurchgegangen und bereits nicht mehr vorhanden sind. Die Dinge selbst, welche mit diesen Tönen bezeichnet werden, habe ich weder mit irgendwelchem leiblichen Sinne berührt noch irgendwo gesehen, ausgenommen meine Seele, und in der Erinnerung aufbewahrt nicht ihre Bilder, sondern die Dinge selbst. Woher sie in mich eingedrungen, sage mir, wer es kann. Denn ich durchlaufe alle Türen meines Fleisches, ohne zu finden, durch welche von ihnen sie eingegangen sind. Die Augen sagten: Wenn sie farbig sind, so haben wir sie angezeigt. Die Ohren sagen: Wenn sie klangen, so sind sie von uns angezeigt worden. Die Nase sagte: Wenn sie dufteten, so haben sie durch mich ihren Eingang gefunden. Der Geschmackssinn sagt: Wenn kein Geschmack dabei ist, so brauchst du mich nicht zu fragen. Das Gefühl sagt: Wenn es nicht etwas Körperliches ist, so habe ich es nicht betastet; wenn ich es nicht betastet habe, so habe ich es auch nicht angezeigt. Woher und wie hat dies seinen Weg zum Gedächtnis gefunden? ich weiß nicht, auf welche Weise; denn während ich dies lernte, habe ich nicht auf Glauben angenommen vom Verstande eines andern, sondern im meinigen habe ich es erkannt und wahr gefunden und es ihm übergeben, gewissermaßen niederlegend an einen Ort, von wo ich es hervornehmen könnte, wann ich wollte. Daselbst war es auch schon, ehe ich es gelernt hatte, und doch war es nicht im Gedächtnis. Wo war es also, oder warum habe ich es anerkannt, da es ausgesprochen wurde, und gesagt: "So ist es, es ist wahr", wenn nicht, weil es schon im Gedächtnis war, aber so entfernt und verborgen, sozusagen in den versteckteren Höhlungen, daß, wäre es nicht durch jemandes Aufforderung ans Licht gezogen worden, ich es vielleicht nicht denken könnte?

Zehntes Buch - Elftes Kapitel

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Deshalb finden wir, daß es ebendasselbe ist, wovon wir nicht durch die Sinne die Vorstellungen schöpfen, sondern ohne Vorstellung, so wie sie sind, durch sich selbst sie erkennen als das, was zerstreut und ungeordnet das Gedächtnis behält, indem man denkt, es gewissermaßen zu sammeln, und durch darauf gerichtetes Denken dafür besorgt ist, so daß es gewissermaßen handlich im Gedächtnis Selbst, wo es vorher verstreut und vernachlässigt verborgen war, der mit ihm schon vertraut gewordenen Spekulation leicht sich bietet. Und wieviel Derartiges trägt mein Gedächtnis, was schon aufgefunden ist und wie ich sagte, gewissermaßen handlich gemacht ist, wovon man sagt, wir hätten es gelernt und kennten es. Wenn ich ablasse, es in mäßigen Zwischenräumen von Zeit zu Zeit ins Gedächtnis zurückzurufen, so taucht es wieder unter und verliert sich sozusagen in die inneren Gemächer, so daß es, als wäre es etwas Neues, von ebendaher wiederum auszudenken (denn es gibt dafür keinen andern Bereich) und wieder zusammenzubringen ist, so daß man es wissen kann, das will sagen, daß es wie aus einer gewissen Zerstreutheit zu sammeln ist, von wo es auch seinen Namen erhalten hat: cogito, d. i. "zusammendenken", "durch wiederholtes Denken zusammenbringen". Denn die Worte cogo und cogito, das ist "ich denk" und "ich denke wiederholt", sind ebenso wie die Worte ago und agito, d. i. ich handle und ich handle wiederholt, oder wie facio und factito, ich tue und ich tue wiederholt. Dennoch hat der Geist dies Wort für sich in Anspruch genommen, so daß nicht, was anderswo, sondern was im Geiste gesammelt wird, d. h. wiederum gedacht wird, schon im eigentlichen Sinne cogitari genannt wird.

Zehntes Buch - Zwölftes Kapitel

1012
Ebenso enthält mein Gedächtnis die Zahlen- und Maßbegriffe und ihre zahllosen Gesetze, deren keines der leibliche Sinn eingeprägt hat, denn sie sind selbst nicht farbig, noch tönen, noch riechen sie, noch kann man sie schmecken oder fühlen. Ich hörte nur den Klang der Worte, mit denen sie bezeichnet werden, wenn man sie behandelt; aber jener Klang davon ist etwas anderes als die Begriffe selbst: denn der Klang klingt im Griechischen anders als im Lateinischen; aber die Begriffe sind weder griechisch noch lateinisch noch einer andern Sprache angehörig. Ich sah auch die Linien der Künstler, mitunter sehr zart, wie der Faden, den die Spinne webt. Aber diese Linien sind wieder anderer Art, sie sind nicht die Vorstellungen von den Linien, welche mir das leibliche Auge anzeigt; es kennt sie jeder, der sie ohne ein sinnliches Bild mit seinem inneren Auge sieht. Ich kenne auch mit meinen leiblichen Sinnen Zahlen, die wir benennen. Aber jene Zahlen an sich sind verschieden von den Zahlen, die wir benennen, und sie sind Vorstellungen von ihnen und deshalb bestehen sie für sich. Mag mich, wer sie nicht gesehen, verlachen, wenn ich solches sage, ich bedaure den nur, der mich darüber verlacht.

Zehntes Buch - Dreizehntes Kapitel

1013
Das alles behalte ich im Gedächtnis sowie die Art und Weise, wie ich es erlernte. Auch vieles, was dagegen fälschlich eingewendet wurde, habe ich gehört und es im Gedächtnis behalten; ob es auch falsch ist, so ist es doch nicht falsch, wenn ich mich daran erinnere; auch daran erinnere ich mich, daß ich jenes Wahre unterschieden habe von dem Falschen, das dagegen eingewendet wurde. Ein anderes ist es, daß ich jetzt sehe, wie ich jenes unterscheide, ein anderes, daß ich mich erinnere, es oft unterschieden zu haben, da ich es oft durchdachte. Darum erinnere ich mich auch oft, es verstanden zu haben; und was ich jetzt unterscheide und verstehe, hebe ich im Gedächtnis auf, um mich später zu erinnern, daß ich es jetzt verstanden habe. Also erinnere ich mir mein früheres Erinnern, so wie ich später, wenn ich mich erinnern werde, daß ich jetzt imstande war, mir jenes frühere Erinnern ins Gedächtnis zu rufen, auch dieses spätere Erinnern der Kraft meines Gedächtnisses verdanken werde.

Zehntes Buch - Vierzehntes Kapitel

1014
Auch meine Gemütsbewegungen bewahrt mein Gedächtnis; nicht zwar auf dieselbe Weise, wie sie meine Seele hat, während sie dieselben empfindet, sondern auf eine andere um vieles verschiedene Weise, so wie es die Kraft des Gedächtnisses mit sich bringt. Denn ich erinnere mich, froh gewesen zu sein, ohne daß ich froh bin, und denke an vergangene Trauer ohne Trauer, ohne Furcht stelle ich mir vor, wie ich einst Furcht hatte, und bin früheren Verlangens eingedenk ohne Verlangen; zuweilen denke ich im Gegenteil an überstandene Traurigkeit mit Freuden und traurig an Freuden. Das ist körperlich nichts Wunderbares: denn etwas anderes ist der Geist, etwas anderes der Körper. Daher, wenn ich mit Freuden an vergangenen Körperschmerz denke, so ist das nicht wunderbar. Das ist vielmehr wunderbar, daß der Geist das Gedächtnis selbst ist; denn während wir ihm etwas auftragen, daß er es im Gedächtnis behalte, sagen wir: +Sieh, daß du es im Gedächtnis behältst«; und wenn wir vergessen, sagen wir: +Es war nicht im Gedächtnis« und +es ist dem Gedächtnis entschwunden«; indem wir den Geist selbst Gedächtnis nennen: wenn es also ist, was ist da Wunderbares dabei, daß, während ich mit Freuden an vergangene Traurigkeit denke, mein Geist Freude hat und meine Erinnerung Traurigkeit; und mein Geist deshalb froh ist, weil ihm Freude innewohnt, mein Gedächtnis aber, trotzdem daß ihm Trauer innewohnt, doch nicht traurig ist? Gehört das Gedächtnis etwa nicht zum Geiste? Wer könnte dies sagen? Daher ist allerdings das Gedächtnis gewissermaßen der Magen des Geistes, die Freude aber und Traurigkeit sozusagen die süße und saure Speise desselben: wenn dem Gedächtnis etwas übergeben wird, was sozusagen auf den Magen übertragen worden ist, so kann es hier nicht bleiben, kann keinen Geschmack erzeugen. Es mag lächerlich erscheinen, das mit jenem zu vergleichen, und doch ist es nicht gänzlich unähnlich.

Aber siehe, aus dem Gedächtnis nehme ich es, wenn ich sage, daß es vier Gemütsbewegungen gibt: Begierde, Freude, Furcht und Trauer und alles, was ich darüber werde zur Erörterung bringen können, das einzelne in die Arten einer jeden Gattung teilend und danach bestimmend - im Gedächtnis finde ich, was ich sagen soll, aus ihm bringe ich es hervor; dabei werde ich durch keine Irrung gestört, wenn ich dies aus der Erinnerung erwähne; ehe es noch von mir wiedergegeben ward, war es daselbst; darum konnte es von da mittels der Erinnerung hervorgeholt werden. Daher, wie die Speise aus dem Magen durch Wiederkäuen, so wird dies aus dem Gedächtnis durch die Erinnerung wieder zum Vorschein gebracht. Warum wird also in dem Munde des Denkens von dem, der darüber Erörterungen anstellt, das heißt, der daran sich erinnert, die Süßigkeit der Freude und die Bitterkeit der Trauer nicht empfunden? Oder ist das darum unähnlich, weil es nicht in allem Bezug ähnlich ist? Wer möchte solches mit Willen reden, wenn wir, so oft wir Traurigkeit oder Furcht nennen, allemal von Trauer oder Furcht bezwungen würden? Und doch würden wir nicht darüber reden, wenn wir in unserer Erinnerung nicht nur die Laute der Namen gemäß den Vorstellungen, wie sie uns durch die Empfindungen aufgedrückt sind, sondern nicht auch die Bezeichnungen der Begriffe selbst fänden, die wir durch keine körperliche Tür empfingen, sondern der Geist selbst hat im Gefühl seiner erlebten Leiden sie dem Gedächtnis anvertraut oder dieses selbst hat sie festgehalten ohne solch Anvertrauen.

Zehntes Buch - Fünfzehntes Kapitel

1015
Aber wer mag mit Leichtigkeit behaupten, ob die Tätigkeit des Gedächtnisses durch Vorstellungen wirke oder nicht? Ich nenne einen Stein, nenne die Sonne, da sie selbst meinen Sinnen nicht gegenwärtig sind, aber in meinem Gedächtnis sind freilich ihre Vorstellungen vorhanden. Ich nenne den Körperschmerz, obwohl er nicht vorhanden ist, solange ich keinen Schmerz empfinde; wenn nicht dennoch seine Vorstellung in meinem Gedächtnis wäre, so würde ich nicht wissen, was ich sagte, so könnte ich in meiner Aussage ihn nicht von der Lust unterscheiden. ich nenne körperliches Wohlbefinden, während ich mich wohl befinde: es ist mir die Sache selbst gegenwärtig, und doch, wenn das Bild davon nicht in meinem Gedächtnis wäre, so würde ich mich keinesfalls erinnern können, was der Klang dieses Namens bedeute. Auch würden die Kranken nicht erkennen können, was man Wohlbefinden nennt, wenn nicht die Vorstellung davon ebenso durch die Kraft des Gedächtnisses festgehalten würde, obgleich die Sache selbst dem Körper fernliegt. Ich nenne die Zahlen, mit welchen -wir zählen; nicht ihre Vorstellungen, sondern sie selbst sind in meinem Gedächtnis. Nenne ich die Vorstellung von der Sonne, so ist diese Vorstellung in meinem Gedächtnis; und nicht meine ich die Vorstellung von dieser Vorstellung, sondern die Vorstellung selbst; sie ist mir selbst in der Erinnerung gegenwärtig. Nenne ich Gedächtnis, so erkenne ich, was ich nenne. Und wo anders erkenne ich's als im Gedächtnis selbst? Ist dies nun sich selbst gegenwärtig durch eine Vorstellung, welche es von sich hat, oder nicht vielmehr durch sich selbst?

Zehntes Buch - Sechzehntes Kapitel

1016
Wie nun, wenn ich die Vergessenheit meine, erkenne ich da ebenso, was ich nenne? Woher sollte ich es erkennen, wenn ich mich nicht daran erinnerte? Nicht den Klang des Namens meine ich, sondern das, was er bezeichnet; hätte ich dies vergessen, so könnte ich freilich nicht die Bedeutung des Klanges verstehen. Daher, wenn ich mich an das Gedächtnis erinnere, so steht es selbst vor sich selbst: erinnere ich mich an die Vergessenheit, so ist das Gedächtnis und die Vergessenheit dabei; das Gedächtnis, durch welches, die Vergessenheit, deren ich mich erinnere. Aber was ist die Vergessenheit, wenn nicht ein Ermangeln des Gedächtnisses? Wie also ist diese Vergessenheit nun gegenwärtig, daß ich mich ihrer erinnern kann, da mir doch, wenn sie gegenwärtig, das Erinnern schwindet? Halten wir das, dessen wir uns erinnern, im Gedächtnis fest, könnten aber, wenn wir uns der Vergessenheit nicht erinnerten, auch nicht, wenn wir sie nennen hörten, wissen, was ihr Name bedeute, so folgt, daß +Vergessenheit« im Gedächtnis festgehalten wird. Sie ist also gegenwärtig im Gedächtnis, so daß wir sie nicht vergessen, wenn sie aber gegenwärtig ist, vergessen wir. Oder ergibt sich hieraus, daß sie nicht an sich im Gedächtnis ist, wenn wir uns ihrer erinnern, sondern nur die Vorstellung von ihr? Denn wäre die Vergessenheit selbst gegenwärtig, so würde sie nicht ein Erinnern, sondern ein Vergessen bewirken. Und wer wird dies endlich ergründen? Wer es erfassen, wie das ist?

Ich arbeite gewißlich daran, o Herr, und mache mir Arbeit in mir selber: ich bin mir geworden zum Acker der Mühsal und allzu großen Schweißes. Doch haben wir jetzt nicht die Zonen des Himmels zu ergründen noch der Gestirne Entfernung auszumessen noch nach der Erde Gewicht zu fragen: ich bin es, der sich seiner erinnert, ich, die Seele. Es ist nicht sehr zu verwundern. wenn das mir fernliegt, was ich nicht bin. Was aber ist mir näher, als ich mir selbst bin? Und siehe, die Kraft meines Gedächtnisses wird nicht von mit begriffen, da ich doch nicht sagen werde, ich selbst liege nicht im Bereich desselben. Denn was soll ich sagen, wenn mir gewiß ist, daß ich mich der Vergessenheit erinnere? Oder soll ich sagen daß das, dessen ich mich erinnere, nicht in meinem Gedächtnis sei? Oder soll ich sagen, die Vergessenheit sei deshalb in meinem Gedächtnis, damit ich nicht vergesse? Beides ist ganz sinnlos. Was ist nun das dritte? Wie soll ich sagen, daß nur das Bild der Vergessenheit in meinem Gedächtnis festgehalten werde, nicht die Vergessenheit selbst, wenn ich daran denke? Wie kann ich dies sagen, da, wenn sich von einer Sache das Bild im Gedächtnis einprägt, es vorher nötig ist, daß die Sache selber vorhanden ist, von welcher sich diese Vorstellung einprägen kann. Denn so erinnere ich mich Karthagos, so aller der Orte, in denen ich gewesen bin, so der Gestalten der Menschen und des übrigen sinnlich Wahmehmbaren, so selbst des Wohlergehens und des Schmerzes des Körpers. Als das gegenwärtig war, nahm von ihnen die Bilder das Gedächtnis, damit ich sie gegenwärtig sähe und im Geiste bewegte, indem ich mich jener und der abwesenden erinnerte. Wenn also durch ihr Bild, nicht durch sie selbst im Gedächtnis behalten wird die Vergessenheit, so mußte sie selbst einmal gegenwärtig sein, um ihr Bild aufzufassen. Als sie aber da war, wie verzeichnete sie ihr Bild im Gedächtnis, da sie ja durch ihre Gegenwart selbst das ins Gedächtnis Eingezeichnete auslöscht? Und doch bin ich gewiß, so unbegreiflich und unauseinandersetzbar es auch ist, daß ich mich auch selbst der Vergessenheit erinnere, durch welche alles, dessen ich in ich erinnere, ausgelöscht wird.

Zehntes Buch - Siebzehntes Kapitel

1017
Eine große Kraft ist das Gedächtnis, ich weiß nicht was, das mir einen heiligen Schauder erregt, mein Gott, eine tiefe und unbegrenzte Vielheit-, und so ist meine Seele, und so bin ich selbst. Was bin ich also, mein Gott, welche Natur bin ich? Ein mannigfaltiges, vielartiges und überaus unermeßliches Leben. Siehe, in des Gedächtnisses freien Gefilden, Grotten und unzähligen Höhlen, die voll sind von Dingen unzähliger Art, mögen sie in mich gekommen sein durch Bilder, wie bei allen Körpern, oder durch ihre Gegenwart, wie bei den Künsten oder durch - was weiß ich für Merkmale oder Begriffe wie die Gemütsstimmungen, welche, wenn auch die Seele sie nicht empfindet, doch das Gedächtnis festhält, da man im Sinn hat, was im Gedächtnis ist: dies alles durchlaufe und durchfliege ich, da und dorthin dringe ich, so weit ich kann und nirgends gibt's ein Ende; so groß ist die Kraft des Gedächtnisses, so groß die Kraft des Lebens in einem lebenden, sterblichen Menschen!

Was soll ich also tun, du mein wahres Leben, mein Gott? Ich werde mich erheben auch über dieses Leben, das Gedächtnis genannt wird, ich werde mich darüber erheben, daß ich mich strecke zu dir, mein süßes Licht. Was sagst du mir? Siehe, ich erhebe mich zu dir durch meinen Geist, der du über mir beharrst. Ich erhebe mich auch über diese meine Kraft, welche Gedächtnis genannt wird, indem ich dich erreichen will, wo du erreicht werden kannst, und dir anhaften will, wo man dir anhaften kann. Es haben nämlich Gedächtnis auch Vieh und Vögel; sonst könnten sie nicht ihre Lager und Nester wiederfinden und vieles andere nicht, daran sie gewöhnt sind; denn sie vermöchten nicht, sich an etwas zu gewöhnen, wenn nicht mit Hilfe des Gedächtnisses. Ich erhebe mich darum auch über das Gedächtnis, um den zu erreichen, der mich geschieden hat von den vierfüßigen Tieren und mich weiser gemacht hat als die Vögel des Himmels. Ich erhebe nüch über das Gedächtnis; und wo finde ich dich, wahrhaft gute Wonne des Friedens? Und wo finde ich dich? Wenn ich außerhalb meines Gedächtnisses dich finde, so bin ich deiner nicht eingedenk. Und wie soll ich dich nun finden, wenn ich deiner nicht eingedenk bin?

Zehntes Buch - Achtzehntes Kapitel

1018
Es hatte jenes Weib ihren Groschen verloren und suchte ihn mit der Leuchte; wäre er ihr nicht in der Erinnerung gewesen, sie hätte ihn nicht gefunden. Als er sich aber fand, woher hätte sie gewußt, ob er es wirklich wäre, wenn sie sich nicht an ihn noch erinnert hätte? Auch ich erinnere mich, schon viel Verlorenes gesucht und gefunden zu haben. Daher weiß ich, daß, wenn ich so etwas suchte und mir gesagt wurde: +Ist's vielleicht das oder jenes?« ich so lange sagte: +Nein«, bis mir das gebracht wurde, was ich suchte. Hätte ich mich nicht daran erinnert, was es sei, so hätte ich es auch nicht gefunden, wenn mir es gebracht worden wäre, denn ich hätte es nicht gekannt. Und so geht es immer zu, wenn wir etwas Verlorenes suchen und finden. Aber wenn zufällig etwas aus den Augen entschwindet, nicht aus dem Gedächtnis schwindet es da, wie irgendein sichtbarer Körper, sondern es wird sein Bild im Innern festgehalten und gesucht, bis es wieder vor die Augen gebracht wird. Sobald es gefunden ist, wird es erkannt aus dem Bilde,l das im Innern ist. Wir können nicht sagen, daß wir gefunden haben, was verloren war, wenn wir es nicht erkennen; und nicht erkennen können wir es, wenn wir uns nicht seiner erinnern: aber das war wohl für die Augen verlorengegangen, im Gedächtnis aber wurde es festgehalten.

Zehntes Buch - Neunzehntes Kapitel

1019
Wie nun, wenn das Gedächtns etwas verliert, wie es beim Vergessen geschieht, suchen wir es da auch, damit wir uns daran erinnern? Und wo suchen wir es, wenn nicht im Gedächtnis selbst? Und wenn hier etwas anderes zufällig für etwas anderes dargeboten wird, so weisen wir es zurück, bis das zum Vorschein kommt, was wir suchen; und wenn es zum Vorschein gekommen ist, so sagen wir: +Das ist es«, was wir nicht sagen würden, wenn wir es nicht kennten, was wir nicht kennen würden, wenn wir uns nicht daran erinnerten. Wir hätten es also sicher vergessen gehabt. Oder war es nicht ganz entfallen, sondern wurde von dem Teil aus, der festgehalten war, der andere gesucht; weil das Gedächtnis empfand, nicht alles zugleich in Bewegung setzen zu können, was es verbunden zu denken gewohnt war, und wie hinkend, weil das Gewohnte verstümmelt worden, Erstattung des Fehlenden verlangte? So ist es, wenn ein bekannter Mensch entweder mit den Augen erblickt oder gedacht wird und nach dessen Namen, den wir vergessen haben, wir suchen; wenn uns da ein anderer Name in den Weg kommt, so verbinden wir ihn nicht mit demselben; ist man doch nicht gewöhnt, ihn mit jenem zusammen zu denken, und daher weist man ihn zurück, bis uns der Name einfällt, mit welchem wir gewöhnt sind, den Menschen verbunden zu denken, und bei welchem sich unser Denken als bei dem entsprechenden Namen beruhigt. Und woher ist der Name da, wenn nicht aus dem Gedächtnis? Auch wenn wir ihn erkennen, sobald ihn uns ein andrer genannt hat, so kommt er von dort. Nicht glauben wir diesem gewissermaßen etwas Neues, sondern indem wir uns erinnern, billigen wir es, daß es so ist, wie gesagt wurde. Wenn er aber ganz dem Geiste entfallen wäre, so würden wir auch ermahnt uns nicht daran erinnern. Denn das haben wir noch nicht völlig vergessen, wovon wir uns auch nur erinnern, daß wir es vergessen haben. Das also werden wir nicht als Verlorenes suchen können, was wir überhaupt vergessen haben.

Zehntes Buch - Zwanzigstes Kapitel

1020
Wie nun suche ich dich, Herr? Denn wenn ich dich als meinen Gott suche, so suche ich das selige Leben. ich will dich suchen, damit meine Seele lebe. Denn es lebt mein Leib von meiner Seele und meine Seele lebt von dir. Wie also suche ich das selige Leben, da ich es noch nicht besitze, bis ich sage: +Ich habe genug«, hier, wo ich es sagen muß? Wie suche ich es? Etwa mittels der Erinnerung, als ob ich es vergessen habe und mich für einen halte, der es vergessen hat; oder durch die Begierde, es als etwas Unbekanntes kennenzulernen, oder als Solches, von dem ich noch niemals gewußt oder das ich derart vergessen habe, daß ich mich nicht erinnere, es vergessen zu haben? Ist das nicht das selige Leben, welches alle haben wollen und wo überhaupt keiner ist, der es nicht haben wollte? Woher kennen sie es, daß sie so danach trachten? Wo haben sie es gesehen, daß sie es lieben? Wir haben es, ich weiß nicht wie. Aber verschieden ist die Art, in welcher jeder glücklich ist, wenn er es hat; und es gibt welche, die in der Hoffnung glücklich sind. Sie haben es in einem niedereren Grade als die, welche schon durch die Hoffnung glücklich sind; und doch sind sie besser als die, welche weder in der Tat noch in der Hoffnung selig sind. Wenn sie selbst nicht auf irgendeine Art sie besäßen, so würden sie nicht also selig sein wollen, wie es von ihrem Willen als ganz bekannt feststeht. Ich weiß nicht, auf welche Weise sie die Seligkeit kennengelernt haben, und doch haben sie dieselbe infolge einer Kunde, betreffs welcher ich mich sorge, ob sie im Gedächtnis, ruhe; denn wenn sie dort ruht, so waren wir schon einmal glücklich, ob hie das alle einzeln waren oder ob in jenem Menschen, der zuerst gesündigt, in dem wir auch alle gestorben sind und aus dem wir alle im Elend geboren sind, danach frage ich jetzt nicht; aber ich frage, ob im Gedächtnis die Seligkeit ruhe. Denn wir könnten sie nicht lieben, wenn wir sie nicht kennten. Wir hören diesen Namen und bekennen, daß wir alle nach der Sache selbst trachten; denn nicht am Klange finden wir Ergötzen. Denn hört das der Grieche auf Lateinisch, so freut es ihn nicht, denn er versteht nicht, was gesagt wurde; wir Lateiner aber ergötzen uns wie jener, wenn er es auf Griechisch hörte; die Sache selbst ist ja weder Griechisch noch Lateinisch, welche zu erlangen die Griechen und Römer begierig trachten, sowie alle anders redenden Menschen. Sie ist demnach allen bekannt, und könnte man in Einer Sprache sie fragen, ob sie selig werden wollten, sie würden ohne Zweifel mit ja antworten. Das würde nicht geschehen, wenn nicht die Sache selbst, für welche das der Name ist, in ihrem Gedächtnis festgehalten würde.

Zehntes Buch - Einundzwanzigstes Kapitel

1021
Ist es mit dein Gedächtnis so, wie sich jemand Karthagos erinnert, wenn er es gesehen hat? Nein; das selige Leben wird nicht mit Augen gesehen, denn es ist nicht körperlich. Ist es so, wie wenn wir uns der Zahlen erinnern? Nein. Denn wer sie kennt, sucht nicht mehr in ihren Besitz zu kommen; vom seligen Leben aber haben wir Kunde, darum lieben wir es, und doch wollen wir es erlangen, um selig zu sein. Ist es so, wie wenn wir uns der Beredsamkeit erinnern? Nein, wenn auch bei Nennung ihres Namens sich an die Sache selbst erinnern diejenigen, welche noch nicht beredt sind, und viele es zu sein wünschen, woher es sich offenbart, daß sie im Bereich ihrer Kunde liegt, so haben sie durch ihre körperlichen Sinne nur andere beredt gesehen und sind dadurch ergötzt worden und wünschten es zu sein, obgleich sie nur durch ihre innere Kunde dadurch ergötzt würden und es nicht zu sein wünschten, wenn sie nicht ergötzt würden; aber die Seligkeit erfahren wir mit keinem körperlichen Sinne an anderen. Ist es so, wie wir uns an die Freude erinnern? Vielleicht ist es so. Denn an meine Freude erinnere ich mich auch, wenn ich traurig bin, sowie an die Seligkeit, wenn ich elend bin: denn nie habe ich mit meinem leiblichen Sinne die Freude gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt, berührt; sondern in meiner Seele habe ich es empfunden, wenn ich froh bin, und es haftet daran die Kunde in meinem Gedächtnis, so daß ich mich zuweilen daran erinnern kann mit Geringschätzung, dann wieder mit Sehnsucht, je nach Verschiedenheit der Dinge, über welche ich mich gefreut zu haben erinnere. Denn auch schändliche Genüsse haben mich mit einer gewissen Freude erfüllt, was ich jetzt, wo ich mich daran erinnere, durchaus verwünsche; zuweilen empfinde ich auch über Gutes und Ehrenwertes, wonach ich mich sehne, obwohl es nicht mehr da ist, darum traurig noch Freude.

Wenn nun und wo erfuhr ich von meinem seligen Leben, daß ich daran denke, es liebe und erstrebe? Und nicht nur ich oder mit wenigen, sondern alle wollen selig werden. Wenn wir keine sichere Kunde davon hätten, würden wir nicht mit so festem Willen danach streben. Aber wie ist es, wenn man zwei fragt, ob sie Kämpfer werden wollten, so könnte der eine von ihnen sagen, daß er es wolle, der andere, daß er es nicht wolle; wenn man sie aber fragt, ob sie selig werden wollen, so würde sich dies sofort jeder von ihnen wünschen; und jener wollte nur darum Kämpfer werden, dieser nicht, weil sie selig werden wollen. Darum der eine auf diese, der andere auf jene Weise sich freut und so sie alle übereinstimmen, selig werden zu wollen, wie würden sie übereinstimmen, wenn sie so gefragt würden, daß sie wollten Freude haben und gar die Freude selbst Seligkeit nennen? Wenn der eine auf diese, der andre auf jene Weise die Seligkeit erstrebt, so ist es doch eines, dahin zu gelangen sie trachten, daß sie Freude haben. Da nun das eine Sache ist, deren teilhaftig zu sein niemand behaupten kann, so wird deshalb, wenn man den Namen Seligkeit hört, dieselbe nach dem im Gedächtnis vorgefundenen Begriffe gedacht.


Augustinus - Bekenntnisse 1008