ANSPRACHE 2005 90

90 Im vorchristlichen Gebrauch waren die Worte »Ite, missa est« lediglich eine Formel, um zu sagen: »Die Versammlung ist aufgelöst, ist beendet«. Die römische Liturgie hat diesen so schlichten Ausdruck gewählt, um zu sagen: »Diese unsere gottesdienstliche Versammlung ist nun beendet.« Mit der Zeit hat dieses Wort jedoch einen tieferen Sinn erhalten. Im antiken Rom bedeutete es lediglich »beendet«. »Missa« bedeutete »Entlassung«. Heute ist es nicht mehr »Entlassung«, sondern »Entsendung«, denn diese Versammlung ist keine technische, keine bürokratische Versammlung, sondern ein Zusammensein mit dem Herrn, der unsere Herzen berührt und uns ein neues Leben schenkt.

Nach dieser Synode kehren auch wir heim nicht nur mit einer Menge beschriebenem - wenn auch wertvollem - Papier, sondern vor allem mit neuer und tiefer Liebe zum Herrn, zu seiner Kirche, und in diesem Sinn auch mit einer neuen Aufgabe, die wir uns zu eigen machen müssen, damit die Sendung des Herrn verwirklicht werde und das Evangelium alle erreichen möge.

Aber in diesem Augenblick sollten wir nicht nur über diese erhabenen Dinge sprechen, die der Kern unseres Zusammenseins sind, sondern gewissermaßen auch unsere Freude und Dankbarkeit für die Dinge dieser Welt zum Ausdruck bringen. Der Herr hätte nicht das Bild des Festmahls gewählt, um den Himmel symbolisch anzukündigen, wenn er nicht auch die Schönheit eines Mahls, des Beisammenseins, des gemeinsamen Essens, die Freude auch an den weltlichen Dingen gutgeheißen hätte, die von ihm geschaffen worden sind. Daher danke ich all jenen, die diese Tafel feierlich geschmückt und dieses Festmahl aufgetragen und zubereitet haben. Im Namen aller glaube ich sagen zu können, daß es ein dieser Synode wahrhaft würdiges Mahl war!

Erneut möchte ich allen meinen Dank bekunden, angefangen bei den Delegierten Vorsitzenden, den Referenten, dem Generalsekretär, allen Vätern, die zur Synode beigetragen haben, bis hin zu all jenen, die hinter den Kulissen gearbeitet haben. Herzlichen Dank für alles! Mögen wir diese Dankbarkeit, auch für die Erfahrung der Brüderlichkeit, in unseren Herzen tragen.

Nochmals kehre ich zum »Ite, missa est« zurück. Zahlreiche moderne Übersetzungen haben diesem schlichten Ausdruck des römischen Ritus das Schlußwort des byzantinischen Ritus hinzugefügt: »Gehet hin in Frieden«. Diese Worte mache ich mir nun zu eigen. Liebe Brüder und Schwestern, gehet hin in Frieden! Wir sind uns bewußt, daß der Frieden Christi nicht ein statischer Frieden ist, also lediglich eine Art von Ruhe, sondern vielmehr ein dynamischer Frieden, der die Welt verändern will, damit sie eine friedvolle Welt werde, beseelt von der Gegenwart des Schöpfers und Erlösers. In diesem Sinn sage ich in aufrichtiger Dankbarkeit: Gehen wir hin in Frieden!


AM ENDE DES KONZERTES MIT DEN REGENSBURGER DOMSPATZEN

Sixtinische Kapelle

Samstag, 22. Oktober 2005



Liebe Freunde!

Am Ende dieser schönen musikalischen Darbietung bringe ich sicherlich die Gedanken aller Anwesenden zum Ausdruck, wenn ich den Regensburger Domspatzen, die von Domkapellmeister Roland Büchner so meisterhaft geleitet und vom Organisten Franz Josef Stoiber begleitet wurden, meinen herzlichen Dank ausspreche. Wir konnten einige wunderschöne Musikstücke genießen, während unser Blick über die Meisterwerke Michelangelos und anderer berühmter Künstler schweifte, deren Kunstwerke hier gehütet werden. Beim Zuhören kam uns ganz spontan Psalm 84 in den Sinn: »Wie liebenswert ist deine Wohnung, Herr der Heerscharen! […] Auch der Sperling findet ein Haus und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen - deine Altäre, Herr der Heerscharen, mein Gott und mein König. Wohl denen, die wohnen in deinem Haus, die dich allezeit loben« (V. 2.4-5). Glücklich dürfen sich auch die Knaben dieses berühmten Chores schätzen, die vor dieser großartigen Kulisse der Sixtinischen Kapelle durch ihren Gesang Gott loben konnten. Und glücklich sind auch wir, die wir uns beim Hören ihrer Gesänge ihrem Lobpreis angeschlossen haben. [Nach diesen Worten auf italienisch sagte der Heilige Vater auf deutsch:]

Im Namen aller möchte ich noch einmal dem Chorleiter und dem Organisten sowie allen Domspatzen meine herzliche Gratulation aussprechen zu dieser schönen Aufführung, die sie uns heute in dem eindrucksvollen Rahmen der Sixtinischen Kapelle geschenkt haben. Sie haben uns an diesem Abend vorwiegend mit Meistern des 19. Jahrhunderts konfrontiert; mit großen Namen, aber auch mit Komponisten, die außerhalb des kirchlichen Raumes kaum bekannt sind, und uns gerade mit diesem vielfältigen Programm beglückt. Was Sie gesungen haben, war immer Musik, die, aus der Inspiration des Glaubens geboren, wieder zum Glauben und zum Gebet hinführt - Musik, die in uns die Freude an Gott weckt. Ich habe mich dabei in meine Regensburger Jahre zurückversetzt gefühlt - in die schönen Zeiten, als ich durch meinen Bruder selber ein wenig in die Familie der Domspatzen hineinwachsen durfte. Am Ende seiner 30jährigen Arbeit mit Eurem Chor hat er über diese Zeit gesagt: "Der liebe Gott hätte mir keine bessere Aufgabe geben können." Das ist nicht nur ein persönlicher Dank für eine wunderbare Berufung gewesen; es ist zugleich ein Segenswunsch: Mögen die Domspatzen weiterhin Botschafter des Schönen, Botschafter des Glaubens, Botschafter Gottes in dieser Welt sein und immer, wie es ihre erste Berufung ist, die Mitte ihres Wirkens im liturgischen Dienst zur Ehre Gottes finden. [Daraufhin sagte der Papst in italienischer Sprache:]

Der Beter von Psalm 84 sieht sich selbst als einen »Spatzen« an, der beim Altar Gottes seinen Lieblingsort gefunden hat, einen Ort, an dem er verweilen und »glücklich« sein kann. Das Bild des Spatzen ist ein frohes Bild, durch das der Psalmist zeigen will, daß sein ganzes Leben zum Gesang wird. Er kann singen und fliegen. Das Singen ist auch eine Art Fliegen, bei dem wir uns zu Gott erheben und in gewisser Weise die Ewigkeit vorauskosten, in der wir »Gott allezeit loben« werden. Mit diesen Gedanken entbiete ich allen Anwesenden meinen herzlichen Gruß und rufe auf einen jeden den Segen Gottes herab.

SONDERAUDIENZ FÜR DIE PILGER, DIE ZUR HEILIGSPRECHUNG NACH ROM GEKOMMEN SIND

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Montag, 24. Oktober 2005



Liebe Brüder und Schwestern!

Nach der feierlichen Heiligsprechung am gestrigen Sonntag freue ich mich über diese weitere Begegnung mit euch. Ihr seid gekommen, um den fünf neuen Heiligen die Ehre zu erweisen: Józeph Bilczewski, Zygmunt Gorazdowski, Alberto Hurtado Cruchaga, Gaetano Catanoso und Felix von Nicosia. Ich begrüße euch alle herzlich und danke euch für die Zuneigung, die ihr mir entgegengebracht habt. Mein Gruß gilt den hier anwesenden Kardinälen, Bischöfen und Priestern sowie den zivilen Obrigkeiten; ich grüße die Ordensmänner und -frauen und alle Laiengläubigen. [Nach diesen Worten auf italienisch sagte der Papst auf ukrainisch:]

Meinen Willkommensgruß richte ich an die Hirten und Gläubigen, die aus der Ukraine hierhergekommen sind, sowie an die staatlichen Autoritäten. Heute danken wir für die Heiligsprechung zweier großer Heiliger: des Bischofs Józef Bilczewski und des Priesters Zygmunt Gorazdowski. Beide übten ihren priesterlichen Dienst vereint mit Christus und in voller Hingabe an ihre Mitmenschen aus. Das Gebet, die Liebe zur Eucharistie und die praktizierte Nächstenliebe - darin bestand ihr Weg zur Heiligkeit. Dem Schutz dieser Heiligen empfehle ich die Kirche in der Ukraine und das ganze ukrainische Volk. Gott möge, auf ihre Fürsprache, alle überreich segnen. [… auf polnisch:]

Herzlich begrüße ich die hier anwesenden Polen. Es freut mich, daß wir die neuen Heiligen gemeinsam ehren können. Die Heiligkeit von Józef Bilczewski läßt sich in drei Worten zusammenfassen: Gebet, Arbeit, Entsagung. »Allen alles sein, um wenigstens einen zu retten« - das war der Wunsch des hl. Zygmunt Gorazdowski. Beide schöpften ihre Kraft aus dem Gebet und der Eucharistie; sie schenkten sich Gott völlig hin und leisteten den Bedürftigsten wirksame materielle und geistliche Hilfe. Ihrem Schutz vertraue ich alle Gläubigen der Kirche in Polen an, insbesondere die Bischöfe und Priester. Gott segne euch. [… auf spanisch:]

Eine herausragende Gestalt der chilenischen Nation ist Pater Alberto Hurtado Cruchaga, Priester der Gesellschaft Jesu, den ich gestern heiligsprechen konnte. Bei dieser Begegnung mit euch, liebe Brüder und Schwestern, fühle ich mich dem ganzen Volk Chiles sehr nahe. Ich wünsche mir, daß mein Gruß auch die Menschen erreicht, die sich diesem großen Fest des Lobes und des Dankes an den Herrn für die Proklamation des neuen Heiligen im Geiste angeschlossen haben. Sein Lebensziel bestand darin, ein anderer Christus zu sein. Dadurch versteht man besser seine bewußte Sohnschaft gegenüber dem Vater sowie seinen Geist des Gebets, seine tiefe Liebe zu Maria, seine Großherzigkeit in der vollkommenen Hingabe, sein Engagement und seinen Dienst an den Armen. Im Licht der Wahrheit des mystischen Leibes erlebte er den Schmerz anderer, als wäre es der eigene, und dies regte ihn zu einem intensiveren Einsatz für die Armen an, so daß er für sie den »Hogar de Cristo« gründete. Es ist schön, daß heute eine Gruppe in Vertretung dieses Zentrums hier ist. Es legt Zeugnis ab für die familiäre Atmosphäre, die ihm der Heilige vermittelte, und es kann noch heute auf die Mitarbeit vieler Menschen guten Willens zählen. Das Leben von Pater Hurtado ruft alle zur Verantwortung, vor allem aber zur Heiligkeit auf. Der hl. Alberto Hurtado sei euer aller Fürsprecher, damit ihr in eure Häuser, Kirchengemeinden und euer soziales Umfeld jenes Licht bringt, das seinem Leben Glanz und seinem Herzen Freude gab. [… auf italienisch:]

Mein Gruß geht nun an euch, liebe Freunde und Anhänger des hl. Gaetano Catanoso. Besonders denke ich dabei an die Gläubigen aus der Erzdiözese Reggio Calabria-Bova, der er angehörte, wie auch an die Veronikaschwestern vom Heiligen Antlitz. Pater Gaetano lebte sein priesterliches Amt in ganzer Fülle: Vom Tag seiner Weihe im Jahr 1902 bis zu seinem Tod 1963 war er ein wahrer Diener des ihm anvertrauten Gottesvolkes, zunächst in einem kleinen Dorf auf dem Aspromonte, dann in einer großen städtischen Gemeinde. Er verkündete das Reich Gottes mit apostolischer Begeisterung und in der Gewißheit, Zeuge zu sein; er spendete die Sakramente, vor allem die heilige Eucharistie, wobei er jeden Tag in das Geheimnis der hingebungsvollen Liebe Christi eintauchte. Er stellte sich in den Dienst der Geringsten, der Entferntesten, denen er sein Herz öffnete und Hoffnung schenkte; er widmete sich den armen und verlassenen Kindern durch eine intensive Tätigkeit zur Evangelisierung und menschlichen Entfaltung. Um den Anliegen der Bedürftigen entgegenzukommen, gründete er eine Kongregation, die sich an der Gestalt der Veronika orientierte, das heißt mit der Gabe ausgestattet war, das Heilige Antlitz des Herrn in dem der Brüder und Schwestern zu erkennen, um sie zu lieben und ihnen zu dienen.

Nun begrüße ich euch, die ihr gekommen seid, um an der Heiligsprechung von Felix von Nicosia teilzunehmen, besonders die Kapuzinerbrüder und die große Pilgergruppe aus Sizilien. Liebe Brüder und Schwestern! Nicht nur verkörpert der neue Heilige die wesentlichen und tief verwurzelten Charaktereigenschaften eurer Heimat: Durch sein ganz vom Evangelium geprägtes Dasein bereichert er außerdem die lange Tradition der Heiligkeit und christlichen Kultur, die seit der Antike auf eurer Insel blüht. In einer Welt, die von der starken Verlockung des Scheins und von der Suche nach egoistischem Wohlergehen gekennzeichnet ist, erinnert der hl. Felix alle Menschen daran, daß die wahre Freude oft hinter den kleinen Dingen verborgen ist und man sie erreicht, wenn man im Geist der Dienstbereitschaft seine Pflicht tut. Ich wünsche von Herzen, daß ihr euch mit seiner Hilfe und seiner Fürsprache jene bedeutende Botschaft des Glaubens und der Spiritualität zu eigen machen könnt, die der Heilige von Nicosia bis heute an seine Mitbrüder und an alle Gläubigen richtet: immer stärker am Willen Gottes festzuhalten, um darin wahren Frieden, vollständige Selbstverwirklichung und vollkommene Freude zu finden.

Liebe Brüder und Schwestern, laßt uns alle gemeinsam Gott danken, der nicht aufhört, stets neue, bedeutende Vorbilder der Heiligkeit in der Kirche hervorzubringen. Wir rufen die Heiligen und Seligen als Beschützer an und zählen auf ihre himmlische Hilfe. Gleichzeitig jedoch sind wir durch ihr Zeugnis zur Nachahmung angeregt, um im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu wachsen. Euch alle empfehle ich der Fürbitte dieser neuen Heiligen, damit jeder von euch einen Strahl der Heiligkeit Gottes im Herzen trage und ihn in jeder Lebenslage widerspiegle. Über euch wache vor allem die allerseligste Jungfrau Maria, Königin der Heiligen. Es begleite euch mein Segen, den ich von Herzen auf eure Familien und alle eure Freunde ausweite.

SELIGSPRECHUNG DER DIENER GOTTES JOSEP TÁPIES UND SECHS GEFÄHRTEN

UND MARIA DE LOS ÁNGELES GINARD MARTÍ

GRUSSWORTE VON BENEDIKT XVI.

NACH DER SELIGSPRECHUNGSFEIER


Konfessionsaltar, Petersdom

Samstag, 29. Oktober 2005



92 Liebe Brüder und Schwestern!

Am Schluß dieser Eucharistiefeier, bei der die Priester und Märtyrer Josep Tàpies und sechs Gefährten sowie die Märtyrerin María de los Ángeles Ginard Martí seliggesprochen wurden, habe ich die große Freude, mich euch anzuschließen, die ihr aus verschiedenen Orten gekommen seid, um ihnen die Ehre zu erweisen. Sehr herzlich begrüße ich meine Mitbrüder im Bischofsamt, die Vertreter des öffentlichen Lebens und alle hier anwesenden Priester, Ordensleute und Gläubigen.

Diese vorbildlichen Priester aus dem Bistum Urgell haben zur Zeit der Kirchenverfolgung in Spanien ihr Leben dargebracht in Treue zu ihrem priesterlichen Dienst, den sie mit großer Hingabe in den ihnen anvertrauten Pfarrgemeinden ausübten. Sie legten Zeugnis ab von ihrem Priestertum, vergaben ihren Verfolgern, gaben ihr Leben hin und riefen dabei den König des Universums an. [Nach diesen Worten auf spanisch sagte der Heilige Vater auf katalanisch:]

Mögen sie Fürbitte einlegen für das Bistum Urgell und für die anderen spanischen Bistümer ebenso wie für Berufungen zum Priester- und Ordensstand und für das Wachstum aller Gläubigen in den christlichen Tugenden. [Danach fuhr Benedikt XVI. auf spanisch fort:]

Die neue Selige, die im Bistum Mallorca geboren wurde und der Kongregation der »Hermanas Celadoras del Culto Eucaristico« angehörte, erlitt das Martyrium in Madrid während derselben Verfolgungswelle. Sie hatte sich im Ordensleben ganz dem Herrn hingegeben und verbrachte viele Stunden mit eucharistischer Anbetung, ohne dabei ihren Dienst an der Gemeinschaft zu vernachlässigen. So bereitete sie sich darauf vor, ihr Leben als höchsten Ausdruck der Liebe zu Christus darzubringen.

Diese neuen Seligen sind für uns alle ein lebendiges Beispiel priesterlicher Identität und religiöser Weihe. Laßt uns Gott danken für das große Geschenk dieser heroischen Glaubenszeugen. Seliger Josep Tàpies und Gefährten und selige María de los Ángeles, betet für die kirchlichen Gemeinschaften von Urgell, Madrid, Mallorca und ganz Spanien! Amen.


                                                    November 2005


AN DIE MITGLIEDER DER BAYERISCHEN STAATSREGIERUNG UND DES BAYERISCHEN LANDTAGES

Donnerstag, 3. November 2005

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Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

verehrte Mitglieder der Bayerischen Staatsregierung
und des Bayerischen Landtages,
meine Damen und Herren!

Eine so hohe Abordnung aus der geliebten bayerischen Heimat hier im Apostolischen Palast begrüßen zu können, ist für mich ein Grund zu großer Freude. Seien Sie alle herzlich willkommen!

Mit Ihrem Besuch geben Sie der langen und in vielerlei Hinsicht fruchtbaren Verbundenheit Bayerns mit der Kathedra Petri zum Ausdruck. Bayern kann nicht nur auf eine mehr als 1200-jährige Geschichte zurückblicken; es ist auch ein Land, in dem modernste Forschung und Technik seit Jahrzehnten eine bevorzugte Heimstatt gefunden haben. Es zeichnet Bayern aus, daß sich auf seinem Boden zukunftsgerichtete Wissenschaft, Technik und Industrie mit einer überaus reichen kulturellen und religiösen Überlieferung harmonisch verbinden. Gerade in dieser Harmonie liegt auch die Verheißung einer wahrhaft menschenfreundlichen Zukunft.

Gewiß nehmen besonders die schwierigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch. Dazu kommen auch jene immer komplizierteren Fragen neuer wissenschaftlicher und technologischer Entwicklungen, vor die sich die politischen Entscheidungsträger gestellt sehen. Aus dem Fortschritt der Wissenschaften können ebenso Segen wie Verderben erwachsen. Hier kommt es darauf an, ob jene, die über rechten Gebrauch oder Mißbrauch zu entscheiden haben, dabei bloß den Gesetzen vordergründigen Nutzens oder aber den Gesetzen Gottes folgen. Männer und Frauen, die sich ihrer Verantwortung vor Gott, dem Geber allen Lebens, bewußt sind, werden ihr Bestes tun, damit die unantastbare Würde des Menschen, dessen Leben in allen Phasen heilig ist, den Umgang mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen bestimmt.

Damit die höchsten Güter unserer abendländischen Kultur auch in Zukunft geachtet und gefördert werden, bedarf es freilich einer Formung der Jugend nicht bloß nach technokratisch-ökonomischen Maßstäben, sondern durch jenes geistige Erbe, das durch die Namen Athen, Jerusalem und Rom charakterisiert wird. In diesem Zusammenhang möchte ich den besonderen und unersetzlichen Beitrag erwähnen, den die Theologischen Fakultäten an den Universitäten des Landes dazu leisten. Ich selbst hatte die Ehre, an der Theologischen Fakultät der Universität Regensburg als Professor für Dogmatik einige Jahre zu forschen und zu lehren. An diese Zeit denke ich gerne zurück.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, verehrte Damen und Herren! Im Herzen Münchens, meiner unvergessenen Bischofsstadt, erhebt sich die Mariensäule, die das Bild der Patrona Bavariae trägt. Möge die Gottesmutter Maria weiterhin einen Ehrenplatz auch in den Herzen der Bayern einnehmen! Dann wird sie mit ihrer Fürsprache unser Beten begleiten: „Gott mit dir, du Land der Bayern, ... über deinen weiten Gauen walte seine Segenshand“. Mit diesem Gebetsruf vereine ich mich im Geiste mit meiner Heimat und erteile Ihnen allen von Herzen den Apostolischen Segen.



AN DIE BISCHÖFE AUS ÖSTERREICH ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Samstag, 5. November 2005

Sehr geehrter Herr Kardinal!

Liebe Brüder im Bischofsamt!

Der Besuch der Hirten der Kirche in Österreich an den Gräbern der hl. Apostel Petrus und Paulus ist ein Fixpunkt und eine Zeit der Vergewisserung in der Ausübung dieses verantwortungsvollen Amtes. So heiße ich Euch, liebe Brüder, anläßlich Eures Ad-limina-Besuches mit großer Freude hier im Apostolischen Palast willkommen. Eure Pilgerfahrt festigt Eure Bande mit dem Nachfolger Petri und läßt Euch zugleich die Gemeinschaft der Weltkirche an ihrem Zentrum neu erfahren. Gerade während der Ereignisse der letzten Monate haben wir die Lebendigkeit der Kirche in ihrer ganzen Frische und in ihrer weltumspannenden, missionarischen Energie von neuem erleben dürfen, insbesondere während des XX. Weltjugendtags im August dieses Jahres in Köln. Auch wenn nicht immer derselbe geistliche Schwung in der Kirche sichtbar ist, den Gott uns in diesen besonderen Stunden seiner Gnade erfahren ließ, wissen wir, daß die Verheißung unseres göttlichen Herrn und Meisters alle Zeiten und alle Räume umfaßt: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“ (Mt 28,18). Und wir wissen, daß diese lebendige Gegenwart des auferstandenen Herrn in seiner Kirche gewährleistet und gleichsam aktualisiert wird durch die sakramentale Feier seines Opfers, durch die Kommunion, in der wir seinen heiligen Leib und sein Blut empfangen, und durch die stete, in der Anbetung gegebene Erfahrung seiner realen Gegenwart unter dem Schleier der heiligen Zeichen. Das soeben mit der Bischofssynode abgeschlossene „Jahr der Eucharistie“ hat den Gläubigen vor Augen führen wollen, wo der eigentliche Quell des Lebens und der Sendung der Kirche liegt, und welcher der wahre Gipfel ist, dem alle unsere Bemühungen zustreben müssen, um die Menschen zu ihrem Erlöser zu führen und sie in ihm mit dem Dreifaltigen Gott zu versöhnen.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen gilt es nun, gelassen und zuversichtlich die Lage der österreichischen Diözesen gemeinsam zu analysieren, um die neuralgischen Punkte zu erkennen, an denen vornehmlich Euer Einsatz zum Heil und Nutzen der Herde gefordert ist, „in der Euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, damit Ihr als Hirten für die Kirche Gottes sorgt, die er sich durch das Blut seines eigenen Sohnes erworben hat“ (Ac 20,28). In der Gewißheit der Gegenwart des Herrn blicken wir mutig der Realität ins Auge, ohne daß jener gläubige Optimismus, von dem wir jederzeit getragen sein müssen, ein Hindernis dafür darstellen könnte, zur gebotenen Stunde die Dinge in aller Sachlichkeit und ohne Schönfärberei beim Namen zu nennen.

94 Schmerzliche Tatsachen liegen da offen zutage: Der für Europa zur Zeit immer noch signifikante Säkularisierungsprozeß hat auch an den Toren des katholischen Österreich nicht haltgemacht. Die Identifikation mit der Lehre der Kirche schwindet bei vielen Gläubigen und damit löst sich das Glaubenswissen auf und die Ehrfurcht vor den Geboten Gottes nimmt ab. Über diese wenigen Anmerkungen hinaus muß ich hier, liebe Mitbrüder im Bischofsamt, nicht im einzelnen an die zahlreichen kritischen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens im allgemeinen und der kirchlichen Situation im besonderen erinnern. Ich weiß, daß diese ständig Gegenstand Eurer wachen Hirtensorge sind. Ich teile Eure Sorgen um die Kirche in Eurem Land. Doch was können wir tun? Gibt es ein Heilmittel, das Gott für die Kirche in unserer Zeit bereithält, damit sie sich mutig den Herausforderungen stellen kann, denen sie auf ihrem Weg im dritten christlichen Jahrtausend begegnet? Zweifellos bedarf es einerseits des klaren, mutigen und begeisterten Bekenntnisses des Glaubens an Jesus Christus, der auch hier und heute in seiner Kirche lebt und in dem die ihrem Wesen nach auf Gott ausgerichtete menschliche Seele allein ihr Glück finden kann. Andererseits sind es die vielen kleinen und großen missionarischen Maßnahmen, die wir setzen müssen, um eine „Trendwende“ herbeizuführen.

Was das Bekenntnis des Glaubens anbelangt, so gehört dieses, wie Ihr wißt, zu den ersten Pflichten des Bischofs. „Ich habe mich der Pflicht nicht entzogen“, sagt der heilige Paulus in Milet zu den Hirten der Kirche von Ephesus, „euch den ganzen Willen Gottes zu verkünden“ (
Ac 20,27). Es ist wahr, daß wir Bischöfe mit Bedacht handeln müssen. Aber solche Umsicht darf uns nicht daran hindern, Gottes Wort in aller Klarheit darzulegen - auch jene Punkte, die man meist weniger gern hört oder die mit Sicherheit Reaktionen des Protestes, mitunter auch Spott und Hohn hervorrufen. Ihr, liebe Brüder im Hirtenamt, wißt es selbst am besten: Es gibt Themen - im Bereich der Glaubenswahrheit und vor allem im Bereich der Sittenlehre -, die in Euren Diözesen in Katechese und Verkündigung nicht ausreichend präsent sind, die manchmal, zum Beispiel in der pfarrlichen oder verbandlichen Jugendpastoral, gar nicht oder nicht eindeutig im Sinn der Kirche zur Sprache kommen. Das ist Gott sei Dank nicht überall der Fall. Aber vielleicht fürchten die mit der Verkündigung Beauftragten hier und da, die Menschen könnten sich abwenden, wenn klar gesprochen wird. Dabei lehrt die Erfahrung beinah überall, daß genau das Gegenteil wahr ist. Macht Euch keine Illusionen. Eine katholische Glaubensunterweisung, die verstümmelt angeboten wird, ist ein Widerspruch in sich und kann auf die Dauer nicht fruchtbar sein. Die Verkündigung des Reiches Gottes geht immer Hand in Hand mit der Forderung nach Umkehr und ebenso mit der Liebe, die Mut macht, die den Weg weist, die begreifen lehrt, daß mit Gottes Gnade auch das scheinbar Unmögliche möglich ist. Überlegt, in welcher Form nach und nach der Religionsunterricht, die Katechese auf den verschiedenen Ebenen und die Predigt in dieser Hinsicht verbessert, vertieft und sozusagen vervollständigt werden können. Nützt dabei bitte mit allem Eifer das Kompendium und den Katechismus der Katholischen Kirche selbst. Sorgt dafür, daß alle Priester und Katecheten dieses Werkzeug verwenden, daß es in den Pfarren, Verbänden und Bewegungen erklärt, in Glaubensrunden besprochen und in den Familien als wichtige Lektüre zur Hand genommen wird. Gebt in den Ungewißheiten dieser Zeit und Gesellschaft den Menschen die Gewißheit des unverkürzten Glaubens der Kirche. Die Klarheit und Schönheit des katholischen Glaubens sind es, die das Leben der Menschen auch heute hell machen! Dies wird besonders dann der Fall sein, wenn er von begeisterten und begeisternden Zeugen vorgelegt wird.

Das klare, öffentliche, beherzte Zeugnis der Bischöfe, an dem sich alle Gläubigen und vornehmlich die Priester, denen Eure besondere Zuwendung gilt, orientieren können und das allen Mut gibt, den Glauben durch das eigene Verhalten zu bekräftigen, muß von vielen, oft scheinbar kleinen und nicht unbedingt publikumswirksamen Maßnahmen begleitet sein. Manches ist getan worden, um die missionarische Gesinnung der Christen in Euren Diözesen neu zu wecken. Ich denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an die herausragende Stadtmission in Wien und natürlich an den Mitteleuropäischen Katholikentag, der ein großartiges Zeugnis des völkerverbindenden katholischen Glaubens vor der europäischen Öffentlichkeit war. Vieles muß noch getan werden, damit die Kirche in Österreich ihrem missionarischen Auftrag noch besser gerecht wird. In Wirklichkeit sind es oft die Maßnahmen der ordentlichen Leitungsgewalt, wie z.B. kluge und richtige Personalentscheidungen, die die Situation nachhaltig verbessern. Ob es um den Besuch der Sonntagsmesse geht oder um den Empfang des Bußsakramentes - wie oft sind das Beispiel und das ermunternde Wort von entscheidender Bedeutung! Es ist das Gebot der Liebe, das uns dazu drängt, dem Nächsten nicht bloß diesen oder jenen sozialen Dienst zu erweisen, sondern ihm zu helfen, das höchste Gut zu erlangen - die beständige Hinwendung zum lebendigen Gott, die Gemeinschaft mit Jesus Christus, die Entdeckung der eigenen Berufung zur Heiligkeit, die Offenheit für den Willen Gottes, die Freude eines Lebens, das in gewissem Sinn das Glück der Ewigkeit schon vorwegnimmt!

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt! Zahlreiche positive Gegebenheiten des kirchlichen Lebens - ich möchte hier nur beispielhaft die Übung und Wiederentdeckung der eucharistischen Anbetung in den Pfarren und die Treue vieler einzelner und Gemeinschaften zum Rosenkranzgebet nennen - und die weitgehend gute Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche zum Segen der Menschen prägen das Bild der Kirche Österreichs ebenso wie die Fülle der kulturellen Reichtümer der durch und durch christlichen Geschichte Eures von Gott so vielfach gesegneten Landes. An vielen Ansatzpunkten kann sich der Funke christlichen Eifers neu entzünden. Nützt alle diese Gaben, wo Ihr nur könnt, aber gebt Euch nicht mit einer äußerlichen Religiosität zufrieden. Gott genügt es nicht, daß sein Volk ihn mit den Lippen ehrt - er will unser Herz. Und er schenkt uns seine Gnade, wenn wir uns nicht selbst von ihm entfernen oder gar trennen. Ich weiß sehr gut um Euer hingebungsvolles Mühen und um das so vieler Priester, Diakone, Ordensleute und Laien; und ich bin sicher, daß der Herr Eure Treue und Euren Eifer mit Seinem göttlichen Segen begleitet und lohnen wird. Die Magna Mater Austriae, die gütige Gnadenmutter von Mariazell und hohe Schutzfrau Österreichs, deren Heiligtum mir so lieb geworden ist, kann Euch und den Gläubigen in Eurem Land die Kraft und Ausdauer erwirken, um das große Werk einer authentischen Erneuerung des Glaubenslebens in Eurer Heimat in Treue zu den universalkirchlichen Vorgaben mutig und vertrauensvoll fortzusetzen. Auf ihre Fürsprache erteile ich Euch allen für die Aufgaben Eures Hirtendienstes sowie auch allen Gläubigen in Österreich von Herzen den Apostolischen Segen.

AN DEN PRÄSIDENTEN DES LUTHERISCHEN WELTBUNDES

Montag, 7. November 2005



Lieber Bischof Hanson,
liebe lutherische Freunde!

Mit großer Freude heiße ich Sie, die Vertreter des Lutherischen Weltbundes, anläßlich Ihres offiziellen Besuches in Rom willkommen. Dankbar erinnere ich mich an die Anwesenheit Ihrer Delegation beim Begräbnis des verstorbenen Papstes Johannes Paul II. und bei meiner feierlichen Amtsübernahme als Bischof von Rom.

Die katholische Kirche und der Lutherische Weltbund unterhalten seit vielen Jahren enge Kontakte und nehmen an einem intensiven ökumenischen Dialog teil. Dieser Gedankenaustausch war äußerst ergiebig und vielversprechend. Denn eines der Ergebnisse dieses fruchtbaren Dialogs war die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die ein wichtiger Meilenstein auf unserem ökumenischen Weg zur sichtbaren und vollen Einheit ist. Das ist ein bedeutsames Ergebnis. Wenn wir davon ausgehend weiterbauen wollen, müssen wir akzeptieren, daß im Hinblick auf die Kernfrage der Rechtfertigung Unterschiede bestehen; mit ihnen muß man sich befassen, ebenso wie mit der verschiedenen Art und Weise, durch die Gottes Gnade in der Kirche und durch die Kirche mitgeteilt wird.

Wie ich bei meinem jüngsten Besuch in Köln bekräftigt habe, hoffe ich, daß unser Dialog über solche Themen in Zukunft nicht nur im Kontext der »institutionellen« Fragen weitergeführt wird, sondern daß er die authentische Quelle jedes Dienstamtes in der Kirche berücksichtigt. Denn die Sendung der Kirche besteht im Zeugnisgeben für die Wahrheit Jesu Christi, des menschgewordenen Wortes. Wort und Zeugnis gehen Hand in Hand: Das Wort fordert und formt das Zeugnis. Das Zeugnis schöpft seine Authentizität aus der vollen Treue zum Wort, so wie es in der apostolischen Glaubensgemeinschaft unter der Führung des Heiligen Geistes ausgedrückt und gelebt wird. Die Internationale lutherische/römischkatholische Kommission für die Einheit wird ihre vierte Dialogphase bald zum Abschluß führen und die Ergebnisse in einem Dokument über die Apostolizität der Kirche veröffentlichen. Wir wissen alle, daß unser brüderlicher Dialog nicht nur vor der Herausforderung steht, die Aufnahme dieser gemeinsamen Lehraussagen in unseren jeweiligen Gemeinschaften prüfen zu müssen, sondern daß er sich heute mehr denn je auseinanderzusetzen hat mit einem weitverbreiteten Klima der Unsicherheit hinsichtlich der christlichen Wahrheiten und ethischen Prinzipien, die früher nicht angezweifelt wurden. Dieses gemeinsame Erbe wird in einigen Fällen durch veränderte hermeneutische Ansätze untergraben.

Unser gemeinsamer ökumenischer Weg wird noch öfter Schwierigkeiten begegnen und eines geduldigen Dialogs bedürfen. Aber ich fühle mich sehr ermutigt durch die solide Tradition des ernsthaften Studiums und Austausches, die die Beziehungen zwischen Lutheranern und Katholiken im Laufe der Jahre gekennzeichnet hat. Uns ermutigt zudem die Tatsache, daß unsere Suche nach der Einheit von der Gegenwart des auferstandenen Herrn und von der unerschöpflichen Kraft seines Geistes geleitet wird, »der weht, wo er will« (Jn 3,8). Wenn wir uns auf die 500-Jahr-Feier der Ereignisse von 1517 vorbereiten, müssen wir die Anstrengungen intensivieren, damit wir noch besser erkennen, was wir gemeinsam haben und was uns trennt und dadurch die Gaben sehen, die wir uns gegenseitig anbieten können. Während wir diesen Weg ständig weitergehen, bitten wir darum, daß das Antlitz Christi immer heller in seinen Jüngern erstrahle, denn alle sollen eins sein, damit die Welt glaubt (vgl. Jn 17,21).


ANSPRACHE 2005 90