ANSPRACHE 2005 100

AN DIE MITGLIEDER DER PÄPSTLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER PÄPSTLICHEN AKADEMIE DER SOZIALWISSENSCHAFTEN

Montag, 21. November 2005



Sehr geehrte Damen und Herren!

101 Ich möchte allen Teilnehmern an dieser wichtigen Versammlung meine herzlichen Grüße entbieten. In besonderer Weise möchte ich Herrn Professor Nicola Cabibbo, Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, und Frau Professor Mary Ann Glendon, Präsidentin der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften, für ihre Grußworte danken. Es ist mir auch eine Freude, Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano, Kardinal Carlo Maria Martini und Kardinal Georges Cottier, der sich immer sehr engagiert für die Arbeit der Päpstlichen Akademien eingesetzt hat, zu begrüßen.

Besonders angetan bin ich davon, daß die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften als Thema für die Vollversammlung dieses Jahres »Der Begriff der Person in den Sozialwissenschaften « gewählt hat. Die menschliche Person bildet das Herzstück der gesamten Sozialordnung und folglich das eigentliche Zentrum eures Forschungsgebietes. Nach den Worten des hl. Thomas von Aquin »bedeutet die menschliche Person das Vollkommenste in der Natur« (Summa theologica, I, 29, 3). Die Menschen sind Teil der Natur und doch übersteigen sie als freie Subjekte, die über moralische und geistige Werte verfügen, die Natur. Diese anthropologische Wirklichkeit ist ein unverzichtbarer Bestandteil des christlichen Denkens und entspricht direkt den Versuchen, die in der modernen Gesellschaft oft vorgenommene Abgrenzung zwischen Humanwissenschaften und Naturwissenschaften aufzuheben.

Richtig verstanden, bietet diese Wirklichkeit eine tiefgründige Antwort auf die Fragen, die man sich heute über den Status des Menschen stellt. Es ist ein Thema, das weiterhin Teil des Dialogs mit der Wissenschaft sein muß. Die Lehre der Kirche stützt sich darauf, daß Gott Mann und Frau nach seinem Abbild und Gleichnis geschaffen und ihnen eine höhere Würde und einen gemeinsamen Auftrag gegenüber der ganzen Schöpfung übertragen hat (vgl.
Gn 1 und 2).

Dem Plan Gottes entsprechend, können die Personen nicht von den physischen, psychologischen oder geistigen Dimensionen der menschlichen Natur losgelöst werden. Selbst wenn sich die Kulturen im Laufe der Zeit ändern, kann die Unterdrückung oder Nichtbeachtung der Natur, die zu »kultivieren« sie vorgeben, schwerwiegende Folgen haben. Ebenso werden die einzelnen Individuen nur dann echte Erfüllung finden, wenn sie die angestammten Elemente der Natur, die sie als Personen ausmachen, akzeptieren. Der Personbegriff trägt weiterhin zu einem tiefen Verständnis des einzigartigen Charakters und der sozialen Dimension jedes Menschen bei. Das gilt besonders in rechtlichen und sozialen Einrichtungen, wo dem Begriff der »Person« fundamentale Bedeutung zukommt. Auch wenn das in internationalen Erklärungen und Gesetzestexten anerkannt wird, werden dennoch bestimmte Kulturen, besonders wenn sie nicht tiefgreifend vom Evangelium erfaßt sind, manchmal stark von Ideologien, die die Gruppe in den Mittelpunkt stellen, oder von einer individualistischen und säkularistischen Sicht der Gesellschaft beeinflußt.

Die Soziallehre der katholischen Kirche, die die menschliche Person in den Mittelpunkt und Ursprung der sozialen Ordnung stellt, kann viel beitragen zum heutigen Überdenken sozialer Themen.

Es ist von der Vorsehung so bestimmt, daß wir das Thema »Person« diskutieren, während wir meinem verehrten Vorgänger, Papst Johannes Paul II., ein besonders ehrendes Gedenken erweisen. In gewisser Weise kann sein unbestrittener Beitrag zum christlichen Denken als eine tiefgründige Meditation über die Person verstanden werden. Er bereicherte und entfaltete diesen Begriff in seinen Enzykliken und anderen Schriften. Diese Texte stellen ein Erbe dar, das besonders von den Päpstlichen Akademien sorgfältig aufgenommen, bewahrt und angeeignet werden soll.

Deshalb nehme ich selbst voll Dankbarkeit die Gelegenheit wahr, nun diese von zwei Gedenkinschriften eingerahmte Skulptur von Papst Johannes Paul II. zu enthüllen. Die Inschriften erinnern uns an das besondere Interesse des Dieners Gottes an der Arbeit eurer Akademien, besonders der 1994 von ihm gegründeten Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften. Sie lenken unsere Aufmerksamkeit auch auf seine erleuchtete Bereitschaft, in einem Heilsdialog die Welt der Wissenschaft und der Kultur zu erreichen, ein Verlangen, das in besonderer Weise den Päpstlichen Akademien anvertraut ist. Ich bete dafür, daß eure Aktivitäten weiterhin einen fruchtbaren Austausch zwischen der Lehre der Kirche über die menschliche Person und den von euch vertretenen Wissenschaften und Sozialwissenschaften bewirken werden. Auf alle, die bei diesem bedeutsamen Anlaß zugegen sind, rufe ich die Fülle des göttlichen Segens herab.



AN DIE TEILNEHMER DER 33. KONFERENZ DER ERNÄHRUNGS- UND LANDWIRTSCHAFTSORGANISATION DER VEREINTEN NATIONEN (FAO)

Donnerstag, 24. November 2005



Exzellenzen,
meine Herren Ministerpräsidenten,
Herr Präsident,
102 Herr Generaldirektor,
meine Damen und Herren!

Es freut mich, die Vertreter der Mitgliedstaaten anläßlich der 33. Konferenz der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen begrüßen zu können. Diese unsere erste Begegnung gibt mir Gelegenheit, Ihre Arbeit im Dienst an einem großen Ideal - die Menschheit vom Hunger zu befreien - aus nächster Nähe kennenzulernen. Ehrerbietig grüße ich alle, insbesondere Generaldirektor Jacques Diouf. Ich wünsche ihm zu Beginn seiner neuen Amtszeit von Herzen alles Gute.

Das heutige Treffen ist eine willkommene Gelegenheit, um meine aufrichtige Anerkennung für jene Programme zum Ausdruck zu bringen, die die FAO in ihren verschiedenen Büros seit 60 Jahren verwirklicht, indem sie kompetent und professionell die »Sache des Menschen« verteidigt, angefangen beim Grundrecht jeder Person, »frei von Hunger« zu sein. Gegenwärtig erlebt die Menschheit ein besorgniserregendes Paradoxon: Einerseits verzeichnen wir stets neue und positive Fortschritte im Bereich der Wirtschaft, der Wissenschaft und Technologie, andererseits aber beobachten wir die ständig zunehmende Armut. Zweifellos kann die Erfahrung, die Sie in diesen Jahren gesammelt haben, dazu beitragen, eine für den Kampf gegen Hunger und Armut angemessene Methode zu entwickeln, die sich durch jenen konkreten Realismus auszeichnet, der stets die Arbeit Ihrer verdienten Organisation geprägt hat. In den letzten Jahren hat sich die FAO für eine breitere Kooperation eingesetzt und sah im »Dialog zwischen den Kulturen« ein angemessenes Mittel zur Förderung von Entwicklung und Ernährungssicherheit. Dringender denn je brauchen wir heute konkrete, wirksame Instrumente, um das Konfliktpotential zwischen den verschiedenen kulturellen, ethnischen und religiösen Sichtweisen zu beseitigen. Internationale Beziehungen müssen auf der Achtung der menschlichen Person und auf wesentlichen Grundsätzen wie friedlicher Koexistenz, Einhaltung von Verpflichtungen und gegenseitiger Anerkennung der Völker als Mitglieder der einen Menschheitsfamilie basieren. Ferner muß erkannt werden, daß der sicherlich notwendige technische Fortschritt nicht alles ist. Wahrer Fortschritt ist allein das, was die Würde des Menschen ganzheitlich schützt und jedem Volk ermöglicht, die ihm eigenen spirituellen und materiellen Ressourcen für das Wohl aller zu teilen.

In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, wie wichtig es ist, die Gemeinschaften der einheimischen Bevölkerung zu unterstützen, die häufig profitbezogenen widerrechtlichen Aneignungen ausgesetzt sind, wie Ihre Organisation unlängst in den Leitlinien zum Recht auf Nahrung hervorgehoben hat. Auch darf nicht vergessen werden, daß, während einige Bereiche internationalen Maßnahmen und Kontrollen unterliegen, in anderen Gebieten hingegen, die Schauplatz gewaltsamer Konflikte sind, von denen die Öffentlichkeit nicht Kenntnis nimmt, weil sie sie als interne, ethnische oder stammesbedingte Auseinandersetzungen betrachtet, Millionen von Menschen zu Hunger, ja sogar zum Hungertod verurteilt sind. Diese Konflikte haben das Leben der Menschen systematisch zerstört, sie aus ihrer Heimat vertrieben und manchmal sogar gezwungen, ihre prekäre Unterkunft in Flüchtlingslagern zu verlassen, um dem sicheren Tod zu entgehen.

Ein ermutigendes Zeichen ist die Initiative der FAO, ihre Mitgliedstaaten zu versammeln, um die Frage der Agrarreform und der landwirtschaftlichen Entwicklung zu erörtern. Dies ist kein neues Gebiet, sondern eines, für das die Kirche seit jeher Interesse gezeigt hat, aufgrund ihrer besonderen Sorge um die Kleinbauern, die vor allem in den Entwicklungsländern einen wesentlichen Teil der aktiven Bevölkerung ausmachen. Ein Weg könnte möglicherweise darin bestehen, die Landbevölkerung mit den notwendigen Ressourcen und Mitteln zu versorgen, angefangen bei der Ausbildung und Schulung, einschließlich jener organisatorischer Strukturen, die in der Lage sind, kleine landwirtschaftliche Familienbetriebe und Genossenschaften zu schützen (vgl. Gaudium et spes
GS 71).

In wenigen Tagen werden zahlreiche Teilnehmer dieser Konferenz in Hongkong zusammentreffen, um Verhandlungen über den internationalen Handel, insbesondere im Hinblick auf landwirtschaftliche Erzeugnisse, zu führen. Der Heilige Stuhl ist überzeugt, daß Verantwortungsbewußtsein und Solidarität mit den Benachteiligten überwiegen werden, um lokale Interessen und die Logik der Macht zu überwinden. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Verletzlichkeit der ländlichen Regionen schwerwiegende Auswirkungen auf die Existenz kleiner Landwirte und deren Familien hat, wenn ihnen der Zugang zum Markt verwehrt ist. Ein konsequentes Vorgehen erfordert demnach die Anerkennung der wesentlichen Rolle der in den ländlichen Gebieten lebenden Familie als Hüterin von Werten und natürliche Vermittlerin von Solidarität in den Beziehungen zwischen den Generationen. Folglich soll auch die Rolle der auf dem Land lebenden Frauen gefördert werden, und ebenso muß nicht nur die Ernährung, sondern auch die grundlegende Bildung der Kinder gewährleistet sein.

Meine Damen und Herrn, obwohl ich mir der komplexen Natur Ihrer Arbeit bewußt bin, möchte ich Ihnen dennoch diese Überlegungen darlegen in der Überzeugung, daß sich die Herzen aller zunehmend für die zahlreichen Menschen in unserer Welt öffnen müssen, denen es am täglichen Brot fehlt. Die Arbeit dieser Konferenz wird die stets tiefere Überzeugung zum Ausdruck bringen, daß ein mutiger Kampf gegen den Hunger notwendig ist. Möge der allmächtige Gott Ihre Beratungen erleuchten und Ihnen die notwendige Kraft schenken, Ihren unerläßlichen Einsatz für den Dienst am Gemeinwohl fortzusetzen. Ihnen allen wünsche ich nochmals von Herzen ein gutes Gelingen der Arbeiten dieser Konferenz.



BEIM BESUCH IN DER KATHOLISCHEN UNIVERSITÄT VOM HEILIGEN HERZEN ANLÄSSLICH DER ERÖFFNUNG DES AKADEMISCHEN JAHRES

Freitag, 25. November 2005

103


Sehr verehrter Herr Rektor,
verehrte Dekane und Professoren,
geehrte Ärzte und Angestellte,
liebe Studenten!

Ich freue mich sehr, diesen römischen Sitz der Katholischen Universität »Sacro Cuore« zu besuchen, um das Akademische Jahr 2005-2006 offiziell zu eröffnen. Meine Gedanken gehen in diesem Augenblick zu den anderen Standorten der Hochschule: dem Hauptsitz in Mailand, neben der schönen Basilika des hl. Ambrosius gelegen, und zu den Standorten in Brescia, Piacenza- Cremona und Campobasso. Mein Wunsch ist, daß sich in dieser Stunde, zu Beginn eines neuen Wegabschnittes im Einsatz für Wissenschaft und Bildung, die ganze Familie der »Cattolica« unter den Augen Gottes vereint fühle. Geistig anwesend sind hier unter uns Pater Gemelli und viele andere Männer und Frauen, die mit ihrer erleuchteten Hingabe die Geschichte der Hochschule geprägt haben. Uns nahe empfinden wir auch die Päpste, von Benedikt XV. bis Johannes Paul II., die dieser Universität immer besonders verbunden waren. In der Tat knüpft mein heutiger Besuch an jenen an, den mein verehrter Vorgänger vor fünf Jahren eben hier aus demselben Anlaß durchführte. Einen herzlichen Gruß richte ich an Kardinal Dionigi Tettamanzi, Präsident des »Istituto Toniolo«, und an den Rektor Magnificus, Professor Lorenzo Ornaghi, denen ich für die zuvorkommenden Worte danke, die sie im Namen aller Anwesenden an mich gerichtet haben. Ferner geht mein ehrerbietiger Gruß an alle weiteren kirchlichen und weltlichen Persönlichkeiten, die sich hier eingefunden haben, besonders an Herrn Senator Emilio Colombo, der 48 Jahre lang Mitglied des Ständigen Ausschusses des »Istituto Toniolo« war, das er dann von 1986 bis 2003 als Präsident leitete. Ihm gilt meine tiefe Dankbarkeit für alles, was er im Dienst der Universität geleistet hat.

Wenn wir hier versammelt sind, verehrte und liebe Freunde, können wir nicht umhin, an die von Bangen und Betroffenheit erfüllten Augenblicke zu denken, die wir während der letzten Aufenthalte von Johannes Paul II. in dieser Klinik erlebt haben. In jenen Tagen richtete sich aus allen Teilen der Welt die Aufmerksamkeit und Sorge nicht nur der Katholiken auf die »Gemelli«- Klinik. Aus seinen Krankenzimmern hat der Papst allen eine unvergleichliche Lehre über den christlichen Sinn des Lebens und des Leidens erteilt, indem er mit seiner Person die Wahrheit der christlichen Botschaft bezeugte. Ich möchte deshalb meinerseits und im Namen unzähliger Menschen die dankbare Anerkennung für die sorgsame Behandlung erneuern, die dem Heiligen Vater hier zuteil wurde. Möge er für einen jeden den himmlischen Lohn erwirken.

Die Katholische Universität vom Heiligen Herzen zählt heute an ihren fünf Standorten und 14 Fakultäten ungefähr 40.000 eingeschriebene Studenten. Da kommt einem spontan der Gedanke: Was für eine Verantwortung! Tausende und Abertausende junge Menschen kommen in die Hörsäle der »Cattolica«. Wie kommen sie heraus? Welcher Kultur sind sie begegnet? Was für eine Kultur haben sie aufgenommen, verarbeitet? Hier liegt die große Herausforderung, die an erster Stelle die Leitung der Hochschule, den Lehrkörper und dann die Studenten selbst betrifft: Eine authentische Katholische Universität ins Leben zu rufen, die sich durch die Qualität von Forschung und Lehre und zugleich durch die Treue zum Evangelium und zum Lehramt der Kirche auszeichnet. In diesem Zusammenhang kommt es gelegen, daß die Katholische Universität »Sacro Cuore« an den Heiligen Stuhl gebunden ist, und zwar durch das »Istituto Toniolo« für Höhere Studien, dessen Aufgabe es war und ist, die Verwirklichung der institutionalisierten Ziele der Hochschule der italienischen Katholiken zu gewährleisten. Diese ursprüngliche Gestaltung, die von meinen Vorgängern stets bestätigt wurde, stellt in kollegialer Weise eine fest verankerte Bindung der Universität an den Stuhl Petri und an das von den Gründern als Erbe hinterlassene Vermächtnis an Werten sicher. Allen Mitgliedern dieser verdienten Einrichtung gilt mein aufrichtiger Dank.

Kehren wir also zu der Frage zurück: Was ist das für eine Kultur? Ich freue mich, daß der Rektor in seiner einleitenden Ansprache den Akzent auf die ursprüngliche und noch immer aktuelle »Mission« der Katholischen Universität gelegt hat, nämlich wissenschaftliche Forschung und Lehrtätigkeit nach einem kohärenten Kultur- und Ausbildungsplan im Dienst der jungen Generationen und der menschlichen und christlichen Entwicklung der Gesellschaft durchzuführen. In diesem Zusammenhang hat uns Papst Johannes Paul II. eine überaus reiche Lehre hinterlassen, das in der Apostolischen Konstitution Ex corde Ecclesiae aus dem Jahr 1990 seinen Höhepunkt gefunden hat. Er hat immer darauf hingewiesen, daß das »Katholisch«-Sein eine Universität in keiner Weise herabwürdige, sondern sie vielmehr aufwerte. Denn auch wenn der grundlegende Auftrag jeder Universität »das ständige Suchen nach Wahrheit durch Erforschen, Bewahren und Verbreiten von Wissen zum Wohl der Gesellschaft« ist (ebd., Nr. 30), zeichnet sich eine katholische Universitätsgemeinschaft aus durch die christliche Inspiration der einzelnen und der Gemeinschaft, durch das Licht des Glaubens, welches das Nachdenken erleuchtet, durch die Treue zur christlichen Botschaft, wie sie von der Kirche vorgelegt wird, und durch die institutionalisierte Verpflichtung im Dienst des Volkes Gottes (vgl. ebd., Nr. 13).

Die Katholische Universität ist daher ein großes Laboratorium, in dem, den verschiedenen Fachgebieten entsprechend, immer neue Forschungsansätze erarbeitet werden in einer anregenden Gegenüberstellung von Glaube und Vernunft, die zum Ziel hat, die von Thomas von Aquin und anderen großen christlichen Denkern erreichte harmonische Synthese wiederzugewinnen, eine Synthese, die leider von bedeutenden Strömungen der modernen Philosophie bestritten wurde. Die Folge dieser Anfechtung war, daß sich als Kriterium für Rationalität immer ausschließlicher die Beweisbarkeit durch das Experiment durchgesetzt hat. Die Grundfragen des Menschen - wie soll man leben und sterben - erscheinen so aus dem Bereich des rationalen Denkens ausgeklammert und werden in die Sphäre des Subjektiven verwiesen. Als Folge verschwindet am Ende die Frage, die den Anstoß zur Gründung der Universität gegeben hat - die Frage nach dem Wahren und Guten; sie wird durch die Frage der Machbarkeit ersetzt. Darin liegt also die große Herausforderung der Katholischen Universitäten: Wissenschaft betreiben im Blickfeld einer wahren Rationalität, die sich von jener, die heute weithin dominiert, unterscheidet, entsprechend einer Vernunft, die offen ist für die Frage nach der Wahrheit und nach den in das Sein selbst eingeschriebenen erhabenen Werten, offen also für das Transzendente, für Gott.

Nun wissen wir, daß dies gerade im Licht der Offenbarung Christi möglich ist, der in sich Gott und Mensch, Ewigkeit und Zeit, Geist und Materie vereint hat. »Im Anfang war das Wort« - der Logos, die schöpferische Vernunft - »Und das Wort ist Fleisch geworden« (
Jn 1,1 Jn 1,14). Der göttliche Logos, die ewige Vernunft, steht am Anfang des Universums und hat sich in Christus ein für allemal mit der Menschheit, der Welt und der Geschichte vereint. Im Licht dieser grundlegenden Wahrheit des Glaubens und zugleich der Vernunft ist es im dritten Jahrtausend wieder möglich, Glaube und Wissenschaft miteinander zu verbinden. Auf dieser Grundlage, so möchte ich sagen, findet die tägliche Arbeit einer Katholischen Universität statt. Ist das nicht ein mitreißendes Abenteuer? Ja, das ist es, weil man, wenn man sich innerhalb dieses Sinnhorizonts bewegt, die innere Einheit entdeckt, die die verschiedenen Wissenszweige verbindet: die Theologie, die Philosophie, die Medizin, die Wirtschaftswissenschaft, jede Disziplin bis hin zu den speziellen Technologien; denn sie alle stehen im Zusammenhang miteinander. Sich für die Katholische Universität zu entscheiden heißt, sich für diesen Ansatz zu entscheiden, der trotz der unvermeidlichen historischen Grenzen die Kultur Europas kennzeichnet, zu deren Gestaltung nicht umsonst die geschichtlich »ex corde Ecclesiae«, also aus dem Herzen der Kirche entstandenen Universitäten einen fundamentalen Beitrag geleistet haben.

Darum, liebe Freunde, werft mit neuer Leidenschaft für die Wahrheit und für den Menschen die Netze weit hinaus in das tiefe Meer des Wissens, im Vertrauen auf das Wort Christi, auch wenn ihr die Beschwernis und Enttäuschung erfahren müßt, nichts »gefangen« zu haben. Im weiten Meer der Kultur braucht Christus immer »Menschenfischer«, das heißt gewissenhafte und gut ausgebildete Personen, die ihre beruflichen Kompetenzen in den Dienst am Guten und letztlich in den Dienst am Reich Gottes stellen. Auch die Forschungsarbeit innerhalb der Universität gehört, wenn sie aus einer Sicht des Glaubens erfolgt, zu diesem Dienst am Reich Gottes und am Menschen! Ich denke an die Forschung insgesamt, die in den vielen Instituten der Katholischen Universität weiterentwickelt wird: Sie ist zur Ehre Gottes und zur geistigen und materiellen Förderung der Menschheit bestimmt. In diesem Augenblick denke ich besonders an das Angebot eines Wissenschaftlichen Instituts, das eure Hochschule Papst Johannes Paul II. am 9. November 2000 anläßlich seines Besuches hier zur feierlichen Eröffnung des akademischen Jahres gemacht hat. Ich möchte euch zusichern, daß das »Internationale Wissenschaftliche Institut Paul VI. zur Erforschung der menschlichen Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit für eine verantwortungsvolle Empfängnisregelung« auch mir sehr am Herzen liegt. Wegen seiner institutionellen Zielsetzungen erscheint es in der Tat ein beredtes Beispiel jener Synthese zwischen Wahrheit und Liebe, die das Lebenszentrum der katholischen Kultur bildet. Das Institut, das als Reaktion auf den von Papst Paul VI. in der Enzyklika Humanae vitae erlassenen Appell entstanden ist, setzt sich zum Ziel, sowohl der natürlichen Regelung der menschlichen Fruchtbarkeit als auch dem Bemühen um natürliche Überwindung eventueller Unfruchtbarkeit eine sichere wissenschaftliche Grundlage zu geben. Indem ich mir die dankbare Anerkennung meines verehrten Vorgängers für diese wissenschaftliche Initiative zu eigen mache, wünsche ich, daß sie bei der Weiterführung ihrer wichtigen Forschungsarbeit die notwendige Unterstützung finden könne.

Sehr geehrte Professoren und liebe Studenten, das Akademische Jahr, das wir heute eröffnen, ist das 85. der Geschichte der Katholischen Universität »Sacro Cuore«. Die Vorlesungen begannen nämlich in Mailand im Dezember 1921, mit 100 Studienanfängern in den beiden Fakultäten für Sozialwissenschaften und Philosophie. Während ich mit euch dem Herrn für den langen und fruchtbaren bisherigen Weg danke, ermahne ich euch, dem Geist der Anfänge ebenso treu zu bleiben wie den Satzungen, die dieser Institution zugrunde liegen. Auf diese Weise werdet ihr eine fruchtbare und harmonische Synthese zwischen der katholischen Identität und der vollen Eingliederung in das italienische Universitätssystem verwirklichen können, wie es dem Plan von Giuseppe Toniolo und Pater Agostino Gemelli entspricht. An euch alle richte ich heute diesen Wunsch: Fahrt fort, Tag für Tag voll Begeisterung und Freude die Katholische Universität »Sacro Cuore« aufzubauen! Diese Aufgabe begleite ich mit meinem Gebet und mit meinem besonderen Apostolischen Segen.

AN DIE ERSTE GRUPPE DER POLNISCHEN BISCHÖFE ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Samstag, 26. November 2005


104 Gelobt sei Jesus Christus!

Ich heiße euch herzlich willkommen, liebe Brüder im Bischofsamt. Ich freue mich, euch während dieses »Ad-limina«-Besuches empfangen zu können.

Ich habe mir eure Berichte über das Leben der Kirche in den Diözesen, für die ihr verantwortlich seid, aufmerksam angehört. Ich danke euch für die Mühe, die ihr als Hirten der Herde des Herrn Tag für Tag auf euch nehmt, wenn ihr mit eurer apostolischen Autorität lebendige Anregungen gebt zum pastoralen Dienst der Priester, zur Verwirklichung der Charismen der Ordensgemeinschaften und zur geistlichen Entwicklung der gläubigen Laien. Ich danke Gott für jede Frucht, die dieses gemeinsame Unterwegssein zum Haus des Vaters auf den Spuren Christi, im Licht und in der Kraft des Heiligen Geistes hervorbringt. Eure Anwesenheit hier ist Zeichen der geistlichen Verbundenheit der Kirche in Polen mit dem Apostolischen Stuhl und dem Nachfolger des hl. Petrus. Ich denke mit Ergriffenheit an die kraftvollen Gebete, mit denen die Polen Johannes Paul II. während seines ganzen Pontifikats und besonders in den Tagen seines Hinübergangs in die Herrlichkeit des Herrn begleitet haben. Ich bin dankbar dafür, daß ich als Papst auf dieselbe Gebetsunterstützung zählen darf. Das ist ein Geschenk, das ich sehr schätze und um das ich immer wieder bitte.

1. Die Erziehung der Jugend

Während unserer Gespräche wurden viele Themen behandelt. Ich habe daraus für heute das Problem der christlichen Erziehung ausgewählt. Denn sie ist eine der fundamentalsten Aufgaben und fester Bestandteil der Heilssendung der Kirche und unseres bischöflichen Dienstes.

In dem Apostolischen Schreiben Ecclesia in Europa ermutigte Johannes Paul II. die Kirche auf unserem Kontinent eindringlich dazu, der Erziehung der jungen Menschen zum Glauben vermehrte Aufmerksamkeit zu widmen (vgl. Nr. 61). Wir wissen, daß es hierbei nicht nur um Didaktik, um die methodische Perfektionierung der Wissensvermittlung geht, sondern um eine Erziehung, die auf der direkten und persönlichen Begegnung mit dem Menschen beruht, auf dem Zeugnis - das heißt auf der authentischen Vermittlung des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe und der von ihnen herrührenden Werte, und zwar direkt, von Person zu Person. Es handelt sich also um eine echte Begegnung mit einem anderen Menschen, der zuerst gehört und verstanden werden muß. Johannes Paul II. war für uns ein unübertreffliches Vorbild dieser Begegnung mit dem Menschen.

Die treue und fruchtbare Erfüllung des Erziehungsauftrags, vor dem die Kirche heute steht, verlangt eine richtige Einschätzung der Situation der jungen Menschen, in deren Dienst dieser Auftrag ausgeübt wird. Zuerst muß man sich ihre familiäre Situation ansehen, denn die Familie ist und bleibt die eigentliche Wiege der Formung der menschlichen Person. Ich weiß, daß sich die wirtschaftlichen Schwierigleiten, die hohe Arbeitslosenzahl und die Sorge um die Sicherstellung der materiellen Existenz auf die Lebensgestaltung vieler polnischer Familien auswirken. Ohne Berücksichtigung dieser Probleme, von denen auch der junge Mensch betroffen ist, ist die Ausbildung wahrhaftiger Haltungen unmöglich.

Man muß sicher auch die vielen positiven Erscheinungen sehen, die die Glaubenserziehung maßgeblich unterstützen. So gibt es zahllose Jugendliche, die eine tiefe Sensibilität für die Nöte anderer, besonders der Armen, Kranken, Einsamen und Behinderten, erkennen lassen. Sie ergreifen deshalb verschiedene Initiativen, um den Bedürftigen Hilfe zu bringen. Es besteht auch ein echtes Interesse für Glaubensfragen und Religion, das Bedürfnis, sich mit den anderen in organisierten, aber auch informellen Gruppen zusammenzufinden, sowie das Verlangen nach Gotteserfahrung. Ein beredtes Zeugnis davon gibt die zahlreiche Beteiligung polnischer Jugendlicher an den Geistlichen Übungen, an den europäischen Jugendtreffen und an den Weltjugendtagen. Das alles bildet eine gute Grundlage für die pastorale Sorge um die geistliche Entwicklung der Jugend.

Die Erziehung zum Glauben muß zuallererst in der Förderung des Guten im Menschen bestehen. Eine hervorragende erzieherische Gelegenheit bietet daher die Entwicklung des vom Geist des Evangeliums inspirierten Volontariats. Es würde sich vielleicht lohnen, in den Pfarreien oder an den Schulen Jugendgruppen der Caritas einzurichten. Bei den Aktivitäten der Kirche im Erziehungsbereich wäre es auch angebracht, auf das Interesse an den Glaubensfragen einzugehen und jede Initiative zu ergreifen, die dazu dient, die Kinder und Jugendlichen an die Freude am Beten zu gewöhnen. Eine großartige Gelegenheit dafür sind die Geistlichen Übungen, besonders wenn sie in vollkommener Stille gemacht werden; ebenso Einkehrtage für verschiedene Gruppen und auch die in den Pfarrgemeinden systematisch betriebenen Schulen des Gebets. Eine hervorragende Gelegenheit dafür sind die Geistlichen Übungen in der Schule im Advent oder in der Fastenzeit. Man muß sich auch um die Errichtung von Exerzitienhäusern und anderen Stätten für Gebet und Sammlung bemühen, damit es ungeachtet der materiellen Kosten tatsächlich Zentren für die geistliche Ausbildung gibt, die all jenen zugänglich sind, die einen tieferen Kontakt mit Gott suchen.

Unter den vielen Gebetsformen gebührt der Liturgie ein besonderer Platz. In Polen nehmen die jungen Menschen in großer Zahl und aktiv an der Sonntagsmesse teil. Es müssen noch die Anstrengungen intensiviert werden, damit der umsichtige Einsatz der Priester für die richtige Feier der Liturgie, für die Schönheit des Wortes, der Geste, der Musik immer mehr zu einem deutlichen Zeichen des Erlösungsmysteriums werden, das sich in ihr erfüllt. Wichtig ist auch, daß die Jugendlichen durch eine aktive Beteiligung an der Vorbereitung des Gottesdienstes, durch ihr Mitwirken beim Wortgottesdienst, beim Altardienst oder bei der musikalischen Gestaltung in die liturgische Handlung einbezogen werden. Dann werden sie sich als Teilhaber an dem Geheimnis fühlen, das in die Welt Gottes einführt und gleichzeitig zur Welt der Menschen hinführt, die von derselben Liebe Christi angezogen werden.

In den vergangenen 30 Jahren haben viele junge Menschen ihre Formung in diesem Sinne im Wirkungsbereich der »Licht und Leben« genannten »Oasen«-Bewegung erhalten. Im Mittelpunkt der Spiritualität dieser Bewegung steht die Begegnung mit Gott in der Heiligen Schrift und in der Eucharistie, weshalb sie mit der Pfarrgemeinde und ihrem liturgischen Leben eng verbunden ist. Liebe Brüder im Bischofsamt, ich bitte euch, unterstützt diese Bewegung, die sich in der Arbeit der Glaubenserziehung als besonders effektiv erwiesen hat, ohne natürlich die anderen Bewegungen zu vernachlässigen.

105 Ich weiß, daß euch bei eurem letzten »Ad-limina«-Besuch Johannes Paul II. aufforderte, in Polen die Katholische Aktion zusammen mit dem Katholischen Jugendverband wiedererstehen zu lassen. Auf struktureller Ebene ist diese Aufgabe verwirklicht worden. Es muß jedoch alles getan werden, damit die Katholische Aktion und der Katholische Jugendverband ein immer transparenteres und reiferes Programm erhalten und ihr eigenes geistliches Profil herausgearbeitet werde.

2. Die Zusammenarbeit mit der Familie und den Laien auf dem Gebiet der Erziehung

Die Erziehung der jungen Generation ist Aufgabe der Eltern, der Kirche und des Staates. Deshalb ist unter Wahrung der angemessenen Autonomie eine enge Zusammenarbeit der Kirche mit der Schule, mit den Hochschulen und mit anderen weltlichen Einrichtungen, die sich der Erziehung der Jugend annehmen, unbedingt notwendig.

Dank der im Jahr 1989 eingetretenen Veränderungen und aller daraus entstandenen Folgen hat diese Zusammenarbeit neue Dimensionen angenommen. Es wurden das »Polnische Katechetische Direktorium« und die »Programmatischen Grundlagen der Katechese« erarbeitet, und in einigen Zentren in Polen wurden Lehrpläne und Lehrbücher für den Religionsunterricht vorbereitet. Dieser programmatische Pluralismus kann zwar der Glaubensverkündigung und der religiösen Erziehung in der Schule und in den Pfarreien gut dienen, aber es sollte doch auch darüber nachgedacht werden, ob die Vielfalt der Lehrpläne und Lehrbücher den Schülern die Aneignung systematischer und geordneter religiöser Kenntnisse nicht erschwere.

Was den Religionsunterricht und die Katechese in der Schule betrifft, darf man jedoch diese Fächer nicht auf die Dimension einer Religionskunde oder Religionswissenschaft verkürzen, auch wenn das der Erwartung gewisser Kreise entspräche. Der von Klerikern und Laien an der Schule erteilte Religionsunterricht muß, vom Zeugnis gläubiger Lehrer unterstützt, die authentische, das heißt evangeliumsgemäße, Dimension der Glaubensvermittlung und des Glaubenszeugnisses bewahren.

Ich möchte euch meine Anerkennung dafür aussprechen, daß ihr euch um das Engagement für die Katechese in den Pfarrgemeinden als Ergänzung zum Religionsunterricht an der Schule bemüht habt. Dabei geht es gewöhnlich um die Katechese für die Kinder und Jugendlichen, die sich auf den Empfang der Sakramente der christlichen Initiation vorbereiten. Sie soll sich jedoch nicht auf diese Gruppen beschränken. Es handelt sich nämlich besonders darum, sicherzustellen, daß Jugendliche, die außerhalb des Bereiches ihrer eigenen Pfarrgemeinde die Schule besuchen, aktiv am Gemeindeleben teilnehmen.

3. Die Erwachsenenkatechese

Die Mitwirkung an der Erziehungsarbeit seitens der Eltern und der anderen Laien erfordert eine persönliche Vorbereitung und eine ständige Vertiefung des religiösen Wissens, der Spiritualität und der Korrektur des Verhaltens auf Grund des Evangeliums und des Lehramtes. Daher fordere ich euch Bischöfe inständig auf: Verstärkt die Anstrengungen, dort, wo es daran mangelt, die Erwachsenenkatechese aufzubauen und die Kreise zu unterstützen, die bereits einen derartigen Unterricht durchführen. Diese Katechese sollte sich auf die Schrift und auf das Lehramt stützen. Hilfreich bei der Durchführung der Katechese kann der Katechismus der Katholischen Kirche, das Kompendium der Soziallehre der Kirche und das kürzlich veröffentlichte Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche sein. Von besonderer Hilfe in der Erwachsenenkatechese kann die reiche lehramtliche Verkündigung meines verehrten Vorgängers Johannes Paul II. sein. Während seiner zahlreichen Pilgerreisen in Polen hat er ein reiches Erbe der aus dem Glauben erwachsenen Weisheit hinterlassen, das man sich - wie es scheint - bisher noch nicht ganz zu eigen gemacht hat. Wie sollte man in diesem Zusammenhang nicht an die Enzykliken, Apostolischen Schreiben, Briefe und die vielen anderen Beiträge erinnern, die eine unerschöpfliche Quelle christlicher Weisheit darstellen?

4. Die Hochschulpastoral

Die zahlenmäßige Zunahme der jungen Menschen, die sich für die höheren Schulen mit Reifeprüfung entscheiden, und jener, die ein Hochschulstudium aufnehmen, ist eine Herausforderung für die Bischöfe der Kirche in Polen, ständig nach neuen Formen der Hochschulpastoral zu suchen.

Nach Jahren der Unfreiheit konnte die Kirche in Polen neue eigene Universitäten und Theologische Fakultäten einrichten, von denen die meisten in die Strukturen der staatlichen Universitäten eingebunden sind. An den Theologischen Fakultäten sind viele fachlich hervorragende Theologen verpflichtet. Ihre auf die Offenbarung gegründete Forschungsarbeit ist die Darlegung der Wahrheit, daß Gott Liebe ist, daß die Welt sein Geschenk ist, daß der Mensch nicht nur Herr der geschaffenen Welt ist, sondern auch zu einer neuen Welt im Reich Gottes berufen. Ich ermutige euch, liebe Brüder im Bischofsamt, die kirchlichen Wissenschaftsbereiche zu unterstützen, euch um die Ausbildung und Weiterbildung des Personals aus dem Priester- und Laienstand zu kümmern und für eine angemessene materielle Grundlage für diese Beschäftigten zu sorgen.

106 5. Die Pastoral in der Welt der Kultur und der Massenmedien

Der Beitrag der Kirche im Erziehungsprozeß kommt auch in ihren Initiativen für die Kultur zum Ausdruck. Am Sitz der UNESCO in Paris sagte Johannes Paul II. am 2. Juni 1980: »Die Kultur ist eine besondere Form des ›Daseins‹ und des ›Seins‹ des Menschen. […] Kultur ist das, wodurch der Mensch als solcher mehr Mensch wird […]. Der Mensch, und allein der Mensch, ist ›Urheber‹ oder ›Baumeister‹ der Kultur […]; er bringt sich in ihr zum Ausdruck und findet in ihr sein Gleichgewicht« (Nr. 6-7).

Polen hat von den vorangegangenen Generationen ein reiches, auf die christlichen Werte gegründetes Kulturerbe erhalten. Mit diesem Erbe ist es der Europäischen Union beigetreten. Angesichts eines sich ständig intensivierenden Prozesses der Säkularisierung und der Preisgabe der christlichen Werte darf Polen dieses Erbe keinesfalls einbüßen. Im Gegenteil, die negativen Einstellungen und die Bedrohungen für die christliche Kultur, die auch in Polen sichtbar zu werden beginnen, sind für die Kirche ein Aufruf, weitere Anstrengungen für eine unermüdliche Evangelisierung der Kultur zu unternehmen. Es geht darum, die Kategorien des Denkens mit den Inhalten und Werten des Evangeliums, mit den Kriterien, Bewertungen und Normen des menschlichen Verhaltens, sowohl in seiner individuellen als auch sozialen Dimension, zu füllen.

Eine besondere Rolle spielen heute in der Welt der Kultur die Massenmedien. Wie man weiß, informieren sie nicht nur, sondern bilden den Geist ihrer Empfänger. Sie können daher ein wertvolles Instrument der Evangelisierung darstellen. Die Menschen, die der Kirche angehören, insbesondere die Laienchristen, sind aufgerufen, durch Presse, Rundfunk, Fernsehen und Internet die evangeliumsgemäßen Werte in einem noch größeren Umkreis zu fördern. Eine wichtige Aufgabe der Bischöfe der Kirche besteht allerdings darin, sich nicht nur um eine fachliche Schulung der Medienschaffenden zu kümmern, sondern auch für ihre geistliche, menschliche und ethische Ausbildung Sorge zu tragen. Ich ermutige euch, liebe Brüder im Bischofsamt, einen wohlwollenden Kontakt zu den Kreisen der Journalisten und anderer Medienschaffenden herzustellen. Man könnte sich vielleicht überlegen, für sie eine eigene Abteilung der Pastoral einzurichten.

Eurer besonderen Sorge, liebe Brüder, möchte ich im Zusammenhang mit der Evangelisierung der Kultur auch das Problem der Einsetzung und des Gebrauchs der lokalen, regionalen oder nationalen katholischen Rundfunk- und Fernsehsender anvertrauen. Diese Sender können eine wertvolle Arbeit für die Neuevangelisierung und die Verbreitung der Soziallehre der Kirche leisten. Sie sollen die Wahrheit Gottes dadurch verkünden, daß sie die moderne Welt für das Erbe der christlichen Werte sensibilisieren; ihr Hauptzweck soll die Hinführung zu Christus sein und der Aufbau der Gemeinschaft der Kirche im Geist der Suche nach Wahrheit, Liebe, Gerechtigkeit und Frieden, unter Respektierung der Autonomie des politischen Bereichs. Auf jeden Fall werden die katholischen Sender, da sie eine pastorale Aktivität ausüben, dazu verpflichtet sein, zu den Bischöfen wegen ihrer Verantwortung auf diesem Gebiet offene und vertrauensvolle Beziehungen herzustellen.

Unbedingt erwähnen muß ich die katholische Presse auf nationaler, diözesaner und Pfarrgemeindeebene, die in hohem Maße zur Verbreitung der Kultur der Wahrheit, des Guten und des Schönen beiträgt. Die Sorge um die Entwicklung der katholischen Presse bedeutet nicht nur, ihr Niveau zu heben, sondern betrifft auch die Erweiterung ihres Wirkungsbereiches. Mögen sich die Verantwortlichen daher beeilen, ihr ein herausragendes Profil zu geben, das der katholischen Kulturtradition Polens würdig ist.

Schluß

Am Ende dieser Betrachtung möchte ich abschließend die Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils zitieren, das in der Erklärung Gravissimum educationis lehrte: »Alle Christen, die, durch die Wiedergeburt aus dem Wasser und dem Heiligen Geist zu einer neuen Schöpfung geworden, Söhne Gottes heißen und es auch sind, haben das Recht auf eine christliche Erziehung. Diese erstrebt nicht nur die […] Reifung der menschlichen Person, sondern zielt hauptsächlich darauf ab, daß die Getauften, indem sie stufenweise in die Erkenntnis des Heilsmysteriums eingeführt werden, der empfangenen Gabe des Glaubens immer mehr bewußt werden. […] Deshalb erinnert die Heilige Synode die Oberhirten an die schwere Verantwortung, alles daranzusetzen, daß alle Gläubigen diese christliche Erziehung genießen, vor allem die jungen Menschen, die die Hoffnung der Kirche sind« (
GE 2).

Diese Aufforderung gilt noch immer; sie ist vielleicht heute anspruchsvoller angesichts der neuen Herausforderungen, vor die uns die aktuellen sozialen Erscheinungen stellen. Ich spreche den Wunsch aus, daß bei ihrer beharrlichen Erfüllung euch, die ihr hier anwesend seid, und alle polnischen Bischöfe das Licht des Heiligen Geistes begleiten möge.

Der Segen Gottes stehe euch und euren Diözesen beim Einsatz für die Bildung der menschlichen Sinne und Herzen bei. Gott segne euch!


ANSPRACHE 2005 100