ANSPRACHE 2006 5

AN DIE MITGLIEDER DES NEOKATECHUMENALEN WEGES


Audienzenhalle

Donnerstag, 12. Januar 2006

6
Liebe Brüder und Schwestern!


Herzlichen Dank für euren Besuch, der mir Gelegenheit bietet, auch den anderen Mitgliedern des Neokatechumenalen Weges in vielen Teilen der Welt einen besonderen Gruß zu senden. Ich grüße alle Anwesenden, angefangen bei den verehrten Kardinälen, Bischöfen und Priestern. Mein Gruß gilt den Verantwortlichen des Neokatechumenalen Weges: Herrn Kiko Argüello, dem ich für die Worte danke, die er in eurem Namen an mich gerichtet hat, Frau Carmen Hernández und Pater Mario Pezzi. Ich grüße die Seminaristen, die Jugendlichen und besonders die Familien, die sich darauf vorbereiten, eine besondere missionarische »Aussendung« zu erhalten, um in verschiedene Länder vor allem innerhalb Lateinamerikas zu gehen.

Diese Aufgabe fällt in den Bereich der Neuevangelisierung, bei der die Familie eine äußerst wichtige Rolle spielt. Ihr habt darum gebeten, daß euch diese Aufgabe der Nachfolger Petri übertragen möge, wie es bereits durch meinen verehrten Vorgänger Johannes Paul II. am 12. Dezember 1994 geschehen ist, denn eure apostolische Tätigkeit soll vom Herzen der Kirche ausgehen. Sie soll in vollkommener Übereinstimmung mit ihren Richtlinien und in Gemeinschaft mit den Teilkirchen, in denen ihr tätig sein werdet, erfolgen, wobei der Reichtum an Charismen, die der Herr durch die Initiatoren des Neokatechumenalen Weges geweckt hat, zur Geltung kommt. Liebe Familien, das Kreuz, das ihr erhalten werdet, wird euer unzertrennlicher Wegbegleiter sein, während ihr durch eure Missionsarbeit verkünden werdet, daß es nur in Jesus Christus, der gestorben und auferstanden ist, das Heil gibt. Ihr werdet sanftmütig und freudig Zeugnis von ihm ablegen und in Einfachheit und Armut auf den Straßen aller Erdteile unterwegs sein, getragen vom unablässigen Gebet und Hören auf das Wort Gottes und genährt durch die Teilnahme am liturgischen Leben der Teilkirchen, in die ihr gesandt seid.

Die große Bedeutung, die die Liturgie und besonders die heilige Messe für die Evangelisierung besitzt, ist mehrmals von meinen Vorgängern hervorgehoben worden, und durch eure langjährige Erfahrung könnt ihr sehr wohl bestätigen, daß die zentrale Bedeutung des Mysteriums Christi, das in den liturgischen Riten gefeiert wird, ein wichtiges und unverzichtbares Mittel ist, um lebendige und beständige christliche Gemeinschaften aufzubauen. Um dem Neokatechumenalen Weg dabei zu helfen, seiner Evangelisierungsarbeit in Gemeinschaft mit dem ganzen Gottesvolk noch größeren Nachdruck zu verleihen, hat euch die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung kürzlich, nach Ablauf einer Zeit, in der ihr Erfahrungen sammeln konntet und die vom Diener Gottes Johannes Paul II. gewährt worden war, in meinem Namen einige Normen auferlegt, die die Feier der Eucharistie betreffen. Ich bin sicher, daß ihr diese Normen, die das aufgreifen, was die von der Kirche approbierten liturgischen Bücher vorsehen, achtsam befolgen werdet. Durch treues Festhalten an allen Richtlinien der Kirche werdet ihr in Übereinstimmung und in voller Gemeinschaft mit dem Papst und den Hirten jeder Diözese eurem Apostolat noch größere Wirkungskraft verleihen. Und so wird der Herr euch auch weiterhin mit überreichen pastoralen Früchten segnen.

Ihr konntet in diesen Jahren wirklich viel erreichen, und zahlreiche Berufungen zum Priestertum und zum geweihten Leben sind innerhalb eurer Gemeinschaften entstanden. Heute gilt unsere Aufmerksamkeit jedoch vor allem den Familien. Über 200 von ihnen sollen in die Mission ausgesandt zu werden; es sind Familien, die sich ohne große menschliche Unterstützung aufmachen, die aber vor allem darauf zählen, von der göttliche Vorsehung getragen zu werden. Liebe Familien, ihr könnt mit eurer Geschichte bezeugen, daß der Herr diejenigen nicht verläßt, die sich auf ihn verlassen. Verbreitet auch weiterhin das Evangelium des Lebens. Wo eure Mission euch auch hinführt, da laßt euch durch das trostspendende Wort Jesu erleuchten: »Euch muß es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben«, und »Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen« (
Mt 6,33-34). Zeigt in einer Welt, die menschliche Gewißheiten und irdische Sicherheiten sucht, daß Christus der unerschütterliche Fels ist, auf den man sein Leben gründen kann, und daß das Vertrauen, das man in ihn legt, niemals vergeblich ist. Die Heilige Familie von Nazaret möge euch schützen und euer Vorbild sein. Ich sichere euch und allen Mitgliedern des Neokatechumenalen Weges mein Gebet zu und erteile jedem mit Zuneigung den Apostolischen Segen.

AN DIE "SEDIARI PONTIFICI"

Freitag, 13. Januar 2006



Liebe Freunde!

Ich freue mich, euch zu empfangen und begrüße euch und eure lieben Ehefrauen von Herzen mit meinen besten Wünschen für das neue Jahr, das soeben begonnen hat. Fast täglich sehe ich euch bei der Ausübung meines Amtes, besonders wenn ich hohe Persönlichkeiten und Gruppen empfange. Heute bietet sich jedoch eine günstige Gelegenheit, euch allen gemeinsam in einer familiären Atmosphäre zu begegnen und euch meine Anerkennung und meinen Dank auszusprechen für euren Beitrag zu einem geregelten Verlauf der Audienzen und der päpstlichen Zeremonien. Pflichtbewußtsein, Höflichkeit und Diskretion sind die Eigenschaften, die euch bei eurer Arbeit auszeichnen müssen, wodurch eure Liebe zur Kirche und eure Hingabe gegenüber dem Nachfolger Petri konkret zum Ausdruck kommen.

Das Amt des »Sediario Pontificio«, das eine lange Tradition besitzt, hat sich im Laufe der Jahrhunderte den Gebräuchen und Anforderungen der Zeit entsprechend weiterentwickelt und sich gleichzeitig mit der Vorrangstellung der Kirche von Rom und ihres Bischofs konsolidiert. Wie schon der Name sagt, ist eure Aufgabe seit jeher mit dem Stuhl Petri verbunden. Bereits seit dem 14. Jahrhundert sprechen die Quellen von einer Bruderschaft der »Sediari«. Diese waren dem Präfekten der Apostolischen Palastes oder dem Maggiordomo untergeordnet und hatten verschiedene Aufgaben, die in veränderter Form weitgehend auch heute noch bestehen.

All das, liebe Freunde, muß euch in eurer Tätigkeit jenseits aller vorübergehenden und vergänglichen Aspekte den Wert erkennen lassen, der in der Verbundenheit mit dem Stuhl Petri liegt. Eure Arbeit fügt sich daher in einen Kontext ein, in dem alles zu allen Menschen konsequent von der Kirche Christi sprechen und diesen nachahmen muß, denn er »ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (Mc 10,45). Auf diesem Hintergrund muß man die Reformen betrachten, die meine verehrten Vorgänger in jüngerer Zeit durchgeführt haben, insbesondere Papst Paul VI., dem die Aufgabe zufiel, die neuen Forderungen, die das Konzil erhoben hatte, in die Tat umzusetzen. Das Zeremoniell ist vereinfacht worden, um es zu größerer Nüchternheit und Schlichtheit zurückzuführen, die der christlichen Botschaft und den Anforderungen der Zeit besser entsprechen.

Ich wünsche euch, liebe Freunde, daß ihr sowohl im Vatikan als auch zu Hause, in der Pfarrgemeinde und an allen Orten stets Menschen sein könnt, die ihrem Nächsten mit Hilfsbereitschaft und Aufmerksamkeit entgegentreten. Dies ist eine wertvolle Lehre für eure Kinder und Enkel, die aus eurem Vorbild lernen werden, daß der Dienst am Heiligen Stuhl vor allem eine christliche Denk- und Lebensweise erfordert. Im familiären Klima dieser Begegnung versichere ich euch meines besonderen Gebetes für eure Anliegen und für die eurer Lieben und erbitte für alle den mütterlichen Schutz der allerseligsten Jungfrau Maria und des hl. Petrus. Der Herr helfe euch, eure Arbeit stets im Geist des Glaubens und der aufrichtigen Liebe zur Kirche zu erfüllen. Euch, die ihr hier anwesend seid, und euren Lieben erteile ich von Herzen den Apostolischen Segen. AN DIE VERANTWORTLICHEN UND POLIZEIBEAMTEN DES SICHERHEITSINSPEKTORATS BEIM VATIKAN
Clementina-Saal

7

Samstag, 14. Januar 2006



Herr Präfekt,
Herr Polizeipräsident,
Herr Generalinspektor,
liebe Verantwortliche und Polizeibeamte!

Es ist eine schöne, sich jährlich erneuernde Tradition, daß der Papst euch begegnet, liebe Freunde, die ihr euch engagiert und professionell in den Dienst der Pilger stellt und für die Gewährleistung der Sicherheit auf dem Petersplatz und in der Umgebung des Vatikans sorgt. Das heutige Treffen ist zudem eine willkommene Gelegenheit zum Austausch herzlicher und tiefempfundener Glück- und Segenswünsche zu Beginn des neuen Jahres, das, so wünsche ich, für uns alle friedlich und erfolgreich sein möge. Ich habe die Freude, euch zum ersten Mal als Nachfolger des Apostels Petrus zu empfangen, aber in der Vergangenheit konnte ich euch beinahe täglich auf dem Petersplatz und dessen Umgebung begegnen, und ich konnte stets persönlich feststellen, wie verdienstvoll eure nicht einfache Arbeit ist. Mit Zuneigung entbiete ich daher einem jeden von euch meinen aufrichtigen Willkommensgruß, den ich gerne auf eure Familien ausweite und auf alle, die euch nahestehen. Besonders grüße ich euren Generalinspektor, Dr. Vincenzo Caso, der das Sicherheitsinspektorat seit wenigen Monaten leitet, und ich danke ihm für die freundlichen Worte, die er im Namen der Anwesenden und aller, die zu eurer besonderen Arbeitsgemeinschaft gehören, an mich gerichtet hat. Mein ehrerbietiger Gruß gilt auch dem Präfekten Salvatore Festa.

Ihr seid Hüter von Recht und Ordnung: eine Aufgabe, die technisches und berufliches Können erfordert, gepaart mit viel Geduld, ständiger Wachsamkeit, Höflichkeit und Opferbereitschaft. Alle, die in den verschiedenen Ämtern des Heiligen Stuhls tätig sind, wie auch die Pilger und Touristen, die hierherkommen, um dem Papst zu begegnen oder im Petersdom zu beten, wissen, daß sie auf eure diskrete und effiziente Unterstützung zählen können. Ihr seid für sie stille und aufmerksame »Schutzengel«, die Tag und Nacht über dieses Gebiet wachen. Wie könnte man etwa die großen Anstrengungen vergessen, die von eurem Inspektorat und von der Polizei, dank der Unterstützung durch verschiedene Einheiten der Italienischen Streitkräfte und anderer Einrichtungen, in den aufreibenden Tagen der Krankheit, des Todes und der Beisetzung unseres geliebten Papstes Johannes Paul II. unternommen wurden? Ebenso viel geleistet habt ihr anläßlich meiner Wahl auf den Stuhl Petri. Ich nutze die Gelegenheit des heutigen Treffens, um meinerseits und seitens meiner Mitarbeiter all jenen aufrichtig zu danken, die in jenen historischen Stunden ihren Beitrag geleistet haben, damit alles geordnet und in Ruhe ablaufen konnte. Die ganze Welt hat die Effizienz der damals an den Tag gelegten Organisation bewundern können.

Dies führt uns zum Nachdenken darüber, wie wichtig es ist, stets einträchtig und mit echtem Willen zur Kooperation aller Beteiligten zu arbeiten. Die Familien, die Gemeinden, die verschiedenen Organisationen, die Nationen und die Welt selbst wären besser, wenn jedes Glied - wie in einem gesunden und wohlgestalteten Körper - seine jeweilige Aufgabe, sei sie groß oder klein, gewissenhaft und selbstlos erfüllen würde. Liebe Freunde, öffnen wir unser Herz für Christus und nehmen wir vertrauensvoll sein Evangelium an, diese wertvolle Lebensregel für alle Menschen, die auf der Suche nach dem wahren Sinn der menschlichen Existenz sind. Bitten wir die Jungfrau Maria um ihre Hilfe, damit sie als fürsorgliche Mutter jeden von euch, eure Familien und eure Arbeit beschütze und im soeben begonnenen Jahr 2006 über Italien wache. Mit diesen Empfindungen rufe ich auf euch und eure Angehörigen die Fülle der himmlischen Gaben herab und erteile allen von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. AN DR. RICCARDO DI SEGNI, OBERRABBINER VON ROM

Montag, 16. Januar 2006



Verehrter Herr Oberrabbiner,
liebe Freunde, Shalom!

8 »Meine Stärke und mein Lied ist der Herr, er ist für mich zum Retter geworden« (Ex 15,2): so sang Mose mit den Kindern Israels, als der Herr sein Volk durch das Meer hindurch rettete. So sang auch Jesaja: »Ja, Gott ist meine Rettung; ihm will ich vertrauen und niemals verzagen. Denn meine Stärke und mein Lied ist der Herr. Er ist für mich zum Retter geworden« (12,2). Euer Besuch bereitet mir große Freude und er weckt in mir den Wunsch, mit euch dasselbe Danklied für die erfahrene Rettung erneut anzustimmen. Das Volk Israel wurde mehrmals aus den Händen seiner Feinde gerettet, und in den Jahrhunderten des Antisemitismus, in den dramatischen Augenblicken der Shoa hat die Hand des Allmächtigen es getragen und geführt. Immer hat die Auserwählung durch den Gott des Bundes es begleitet und ihm die Kraft verliehen, die Prüfungen zu überwinden. Von dieser liebenden göttlichen Zuwendung kann auch eure jüdische Gemeinde Zeugnis ablegen, die in der Stadt Rom seit über 2000 Jahren ansässig ist.

Die katholische Kirche ist euch nahe, und sie ist euch freundschaftlich gesinnt. Ja, wir lieben euch und können wegen der Väter nicht umhin, euch zu lieben: Um ihretwillen seid ihr unsere sehr geliebten und bevorzugten Brüder (vgl. Rm 11,28). Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil sind diese Hochachtung und dieses gegenseitige Vertrauen stets gewachsen. Es haben sich immer brüderlichere und herzlichere Kontakte entwickelt, die im Verlauf des Pontifikats meines verehrten Vorgängers, Johannes Paul II., noch intensiver geworden sind.

In Christus haben wir am Erbe, das die Väter euch hinterlassen haben, Anteil, um dem Allmächtigen »einmütig« zu dienen (So 3,9), eingepfropft in den einen »heiligen Stamm« (vgl Is 6,13 Rm 11,16) des Volkes Gottes. Das ruft uns Christen die Verantwortung ins Bewußtsein, mit euch für das Wohl aller Völker zusammenzuarbeiten, in Gerechtigkeit und Frieden, in Wahrheit und in Freiheit, in Heiligkeit und Liebe. Im Licht dieser gemeinsamen Sendung können wir nicht umhin, Haß und Unverständnis, Ungerechtigkeit und Gewalt, die immer noch die Gemüter der Männer und Frauen guten Willens mit Sorge erfüllen, entschlossen anzuklagen und zu bekämpfen. Wie sollten wir in diesem Zusammenhang nicht traurig und besorgt sein über die neuerlichen Bekundungen des Antisemitismus, die zuweilen zu verzeichnen sind?

Verehrter Herr Oberrabbiner, vor kurzem ist Ihnen die geistliche Leitung der jüdischen Gemeinde von Rom anvertraut worden; Sie haben diese Verantwortung übernommen mit Ihrer reichen Erfahrung als Wissenschaftler und Arzt, die Sie Anteil nehmen ließ an den Freuden und Leiden vieler Menschen. Ich bringe von Herzen meine besten Wünsche für Ihre Mission zum Ausdruck und versichere Sie der Hochachtung und der herzlichen Freundschaft meiner Mitarbeiter. Es gibt in Rom und in der Welt viele dringende Nöte und Herausforderungen, die uns ermahnen, unsere Hände und Herzen zu vereinen in konkreten Initiativen der Solidarität, »tzedek« (Gerechtigkeit) und »tzedekah« (Liebe). Gemeinsam können wir daran arbeiten, die Fackel des Dekalogs und der Hoffnung an die jungen Generationen weiterzugeben.

Der Ewige möge über Sie und über die ganze jüdische Gemeinde von Rom wachen! Bei diesem einzigartigen Anlaß mache ich mir das Gebet von Papst Clemens I. zu eigen und rufe damit den Segen des Himmels auf euch alle herab: »Gib Friede und Eintracht uns und allen Bewohnern der Erde, wie Du ihn verliehen hast unseren Vätern, die fromm Dich angerufen haben in Glaube und Wahrheit« (Brief an die Korinther 60,4). Shalom

AN EINE ÖKUMENISCHE DELEGATION AUS FINNLAND

Donnerstag, 19. Januar 2006



Lieber Bischof Heikka,
lieber Bischof Wróbel,
verehrte Freunde aus Finnland!

Mit großer Freude begrüße ich euch, die Mitglieder der ökumenischen Delegation aus Finnland, am heutigen Fest des hl. Henrik, eures Schutzpatrons.

Gerne erinnere ich daran, daß mein geliebter Vorgänger Papst Johannes Paul II. viele Jahre lang mit Freude und Dankbarkeit die Teilnehmer der jährlichen Pilgerfahrt nach Rom empfangen hat, die Zeichen unserer engen Beziehungen und unseres fruchtbaren ökumenischen Dialogs geworden ist. Diese Besuche sind auch weiterhin Gelegenheit zu gewinnbringender Arbeit wie auch zur Vertiefung jenes »geistlichen Ökumenismus« (vgl. Ut unum sint UUS 21), der die getrennten Christen veranlaßt, all das zu erkennen und zu schätzen, was sie bereits vereint.

9 Die derzeitige Kommission für den lutherisch/ katholischen Dialog in Finnland und Schweden gründet auf der wesentlichen Verwirklichung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Im besonderen Kontext der nordeuropäischen Länder vertieft die Kommission die Ergebnisse und konkreten Auswirkungen der Gemeinsamen Erklärung. Im innigen und eifrigen Zeugnis für die Wahrheit des Evangeliums befaßt sie sich so mit den noch bestehenden Unterschieden zwischen Lutheranern und Katholiken hinsichtlich einiger den Glauben und das kirchliche Leben betreffenden Fragen.

In diesen Tagen der Gebetswoche für die Einheit der Christen sind wir uns ganz besonders bewußt, daß die Einheit eine Gnade ist und daß wir den Herrn unermüdlich um dieses Geschenk bitten müssen. Wir vertrauen auf seine Verheißung: »Weiter sage ich euch: Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen« (
Mt 18,19-20).

Laßt uns Gott für all das danken, was bisher in den katholisch/lutherischen Beziehungen erreicht worden ist, und laßt uns beten, daß er uns mit seinem Geist erfülle, der uns zur Fülle der Wahrheit und der Liebe führt.

AN DIE KOLLEGSGEMEINSCHAFT DES "ALMO COLLEGIO CAPRANICA"

Freitag, 20. Januar 2006



Herr Kardinal,
verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Alumnen des Capranica-Kollegs!

Ich freue mich, euch am Vortag des liturgischen Gedächtnisses der hl. Agnes, eurer himmlischen Schutzpatronin, zu dieser Sonderaudienz zu empfangen. Dies ist meine erste Begegnung mit euch nach meiner Wahl auf den Stuhl des Apostels Petrus, und gern nehme ich die Gelegenheit wahr, an alle einen herzlichen Gruß zu richten. Ich möchte zunächst Kardinal Camillo Ruini und alle weiteren Bischöfe grüßen, aus denen sich die Bischöfliche Kommission zusammensetzt, die eurem Kolleg vorangestellt ist; ich grüße den Rektor, Msgr. Ermenegildo Manicardi, und die anderen Ausbilder; ich grüße euch, liebe junge Männer, die ihr euch darauf vorbereitet, den priesterlichen Dienst auszuüben. Ihr befindet euch in einer sehr wichtigen Lebensphase, nämlich der eurer Ausbildung, einer Zeit, die voller Möglichkeiten steckt, um in menschlicher, kultureller und geistlicher Hinsicht zu wachsen.

Liebe junge Männer, die ganze Struktur des Kollegs hilft euch dabei, euch gut auf eure zukünftige pastorale Sendung vorzubereiten: das Gebet, die innere Sammlung, das Studium, das Gemeinschaftsleben und die Unterstützung, die ihr von den Ausbildern erhaltet. Ihr könnt von der Tatsache profitieren, daß euer Seminar, das auf eine reiche Geschichte zurückblickt, in das Leben der Diözese Rom eingebunden ist, und es war stets das Bemühen und der Stolz der Familie des Capranica-Kollegs, starke Bande der Treue zum Bischof von Rom zu pflegen. Auch für euch ist die Möglichkeit, in dieser Stadt den theologischen Studien nachzugehen, eine einzigartige Chance, zu wachsen und euch den Ansprüchen zu öffnen, die die Universalkirche stellt. Bemüht euch in diesen Jahren darum, jede Gelegenheit zu nutzen, um das Evangelium unter den Menschen unserer Zeit wirksam zu bezeugen.

Um den Erwartungen der modernen Gesellschaft zu genügen und an der umfassenden Evangelisierungsarbeit, die alle Christen einbezieht, mitzuwirken, brauchen wir gut ausgebildete und mutige Priester, die ohne Karrierestreben und Furcht, aber überzeugt von der Wahrheit des Evangeliums, vor allem Sorge dafür tragen, Christus zu verkünden, und die in seinem Namen bereit sind, sich dem menschlichen Leid zuzuwenden und alle Menschen - besonders die Armen und diejenigen, die sich in schwierigen Lebenslagen befinden - den Trost der Liebe Gottes und die Wärme der himmlischen Familie spüren zu lassen. Dies erfordert, wie ihr sehr gut wißt, zusammen mit einem menschlichen Reifeprozeß und eifrigem Eintreten für die offenbarte Wahrheit, die vom Lehramt der Kirche in Treue dargelegt wird, ein ernsthaftes Bemühen um persönliche Heiligung und um die Übung der Tugenden, besonders der Demut und der Liebe. Es ist außerdem notwendig, Gemeinschaft zu pflegen mit den verschiedenen Gliedern des Volkes Gottes, damit jeder im Bewußtsein wachse, Teil des einen Leibes Christi zu sein, Glieder, die zueinander gehören (vgl. Rm 12,4-5). Damit all dies Wirklichkeit werden kann, lade ich euch ein, liebe Freunde, den Blick stets fest auf Christus zu richten, den Urheber und Vollender des Glaubens (vgl. He 12,2). Je mehr ihr nämlich in Gemeinschaft mit ihm bleibt, desto mehr werdet ihr in der Lage sein, treu seinen Spuren zu folgen, so daß eure Liebe zum Herrn unter der Führung des Heiligen Geistes reifen kann, »denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht« (Col 3,14). Ihr habt die Zeugnisse engagierter Priester vor Augen, die euer ehrwürdiges Kolleg im Laufe der Jahre unter seine Alumnen gezählt hat, Priester, die Schätze der Wissenschaft und der Güte im Weinberg des Herrn verteilt haben. Folgt ihrem Beispiel!

Liebe Freunde, der Papst begleitet euch mit seinem Gebet und bittet den Herrn, euch Kraft zu schenken und mit überreichen Gaben zu erfüllen. Möge die hl. Agnes für euch Fürbitte einlegen, die in noch jugendlichem Alter Verlockungen und Drohungen widerstand, als ihren Schatz die wertvolle »Perle« des Gottesreiches wählte und Christus bis zum Martyrium liebte. Die allerseligste Jungfrau Maria gewähre euch, überreiche Früchte guter Werke zu tragen, zum Lob des Herrn und zum Wohl der Heiligen Kirche. Zur Bekräftigung dieser Wünsche erteile ich euch und der ganzen Gemeinschaft des Capranica- Kollegs mit Zuneigung den Apostolischen Segen, den ich gern auch auf all jene ausweite, die euch nahestehen.

AN DIE TEILNEHMER EINES VOM PÄPSTLICHEN RAT "COR UNUM" AUSGERICHTETEN INTERNATIONALEN KONGRESSES

Clementina-Saal

10

Montag, 23. Januar 2006



Eminenzen, Exzellenzen,
meine Damen und Herren!

Die kosmische Reise, in die Dante in seiner Göttlichen Komödie den Leser miteinbeziehen will, endet vor dem ewigen Licht, das Gott selbst ist, vor jenem Licht, das zugleich »die Liebe ist, die auch die Sonne bewegt und die anderen Sterne« (Par. XXXIII, V. 145). Licht und Liebe sind ein und dasselbe. Sie sind die uranfängliche schöpferische Macht, die das Universum bewegt. Auch wenn diese Worte aus Dantes Paradies das Denken des Aristoteles durchscheinen lassen, der im Eros jene Macht sah, die die Welt bewegt, so nimmt dennoch Dantes Blick etwas völlig Neues wahr, was für den griechischen Philosophen noch unvorstellbar war. Nicht nur, daß sich ihm das ewige Licht in drei Kreisen offenbart, an die er sich mit jenen uns bekannten eindringlichen Versen wendet: »Du ewig Licht ruhst in dir selbst allein, verstehst, erkennst dich, bist erkannt, verstanden in dir und lächelst dir in Liebe zu« (Par. XXXIII, V. 124-126). Wahrnehmung des Antlitzes Jesu Christi Tatsächlich noch überwältigender als diese Offenbarung Gottes als trinitarischer Kreis der Erkenntnis und der Liebe ist die Wahrnehmung eines menschlichen Antlitzes - das Antlitz Jesu Christi -, das sich Dante in dem zentralen Kreis des Lichtes zeigt. Gott, unendliches Licht, dessen unermeßliches Geheimnis der griechische Philosoph erahnt hatte, dieser Gott hat ein menschliches Antlitz und - so dürfen wir hinzufügen - ein menschliches Herz. In dieser Vision Dantes zeigt sich zum einen die Kontinuität zwischen dem christlichen Glauben an Gott und der von der Vernunft und von der Welt der Religionen entwickelten Suche; gleichzeitig jedoch kommt auch die Neuheit zum Vorschein, die jede menschliche Suche übertrifft - die Neuheit, die allein Gott uns offenbaren konnte: die Neuheit einer Liebe, die Gott dazu veranlaßt hat, ein menschliches Antlitz, ja Fleisch und Blut, das ganze menschliche Sein anzunehmen. Der göttliche Eros ist nicht nur eine uranfängliche kosmische Kraft. Er ist Liebe, die den Menschen geschaffen hat und sich zu ihm hinunterbeugt, wie sich der barmherzige Samariter zu dem verwundeten und beraubten Mann hinuntergebeugt hat, der am Wegrand der Straße von Jerusalem nach Jericho lag.

Das Wort »Liebe« ist heutzutage so nichtssagend, abgenutzt und mißbraucht, daß man sich fast scheut, es in den Mund zu nehmen. Und doch ist es ein Urwort, Ausdruck der urweltlichen Wirklichkeit; wir dürfen es nicht einfach aufgeben, sondern müssen es wiederaufnehmen, reinigen und zu seinem ursprünglichen Glanz zurückführen, damit es unser Leben erleuchten und auf den rechten Weg bringen kann. Dieses Bewußtsein war es denn auch, das mich veranlaßt hat, die Liebe als Thema meiner ersten Enzyklika zu wählen. Zentrale Stellung des Glaubens an Gott Ich wollte versuchen, für unsere Zeit und für unser Dasein etwas von dem zum Ausdruck zu bringen, was Dante in seiner Vision so wagemutig zusammengefaßt hat. Er erzählt von der »Sehkraft«, die sich »mehrte«, während er schaute, und die ihn innerlich verwandelte (vgl. Par XXXIII., V. 112-114). Genau darum geht es: Daß der Glaube zu einem schauenden Begreifen wird, das uns verwandelt. Ich wollte die zentrale Stellung des Glaubens an Gott - an jenen Gott, der ein menschliches Antlitz und ein menschliches Herz angenommen hat - hervorheben. Der Glaube ist keine Theorie, die man sich zu eigen machen oder auch zurückstellen kann. Er ist etwas sehr Konkretes: Er ist das Kriterium, das über unseren Lebensstil entscheidet. In einer Zeit, in der die Feindseligkeit und die Habgier zu Supermächten geworden sind, in einer Zeit, in der wir den Mißbrauch der Religion bis zur Apotheose des Hasses erleben müssen, ist die reine neutrale Rationalität nicht imstande, uns zu schützen. Wir brauchen den lebendigen Gott, der uns bis zum Tod geliebt hat.

So werden in dieser Enzyklika die Themen »Gott«, »Christus« und »Liebe« zu einem zentralen Leitbild des christlichen Glaubens zusammengeschlossen. Ich wollte die Menschlichkeit des Glaubens zeigen, zu dem der Eros gehört - das »Ja« des Menschen zu seiner von Gott geschaffenen Leiblichkeit, ein »Ja«, das in der unauflöslichen Ehe zwischen Mann und Frau seine in der Schöpfung verwurzelte Gestalt findet. Und dort, in der Ehe, verwandelt sich der Eros in Agape - die Liebe zum anderen sucht nicht mehr sich selbst, sondern wird zur Sorge für den anderen, zur Bereitschaft, sich für ihn aufzuopfern und auch für das Geschenk eines neuen menschlichen Lebens offen zu sein. Die christliche Agape, die Liebe zum Nächsten in der Nachfolge Christi, ist nicht etwas Fremdes, das den Eros beiseite schieben oder sich gar gegen ihn richten würde. Ja, sie hat in dem Opfer, das Christus für den Menschen erbracht hat, eine neue Dimension gefunden, die sich in der Geschichte der barmherzigen Hinwendung der Christen zu den Armen und Leidenden immer mehr entfaltet hat.

Eine erste Lektüre der Enzyklika könnte vielleicht den Eindruck erwecken, sie zerfalle in zwei Teile, die nur lose miteinander verbunden sind: einen ersten theoretischen Teil, der vom Wesen der Liebe spricht, und einen zweiten, der von der kirchlichen Caritas, den karitativen Organisationen handelt. Mir ging es jedoch gerade um die Einheit der beiden Themen, die nur dann richtig zu verstehen sind, wenn sie als ein einziges gesehen werden. Zuerst sollte das Wesen der Liebe, wie es sich uns im Licht des biblischen Zeugnisses darstellt, behandelt werden. Vom christlichen Gottesbild ausgehend, sollte gezeigt werden, wie der Mensch dazu geschaffen ist zu lieben, und wie diese Liebe, die am Anfang vor allem als Eros zwischen Mann und Frau in Erscheinung tritt, sich dann innerlich in Agape, das Geschenk seiner selbst an den anderen, wandelt - und das gerade, um der wahren Natur des Eros zu entsprechen. Auf dieser Grundlage sollte dann dargelegt werden, daß das Wesen der in der Bibel beschriebenen Liebe zu Gott und zum Nächsten das Zentrum der christlichen Existenz bildet, Frucht des Glaubens ist. Danach jedoch sollte in einem zweiten Teil deutlich gemacht werden, daß der ganz und gar persönliche Akt der Agape niemals eine rein individuelle Angelegenheit bleiben kann, sondern auch zu einem wesentlichen Akt der Kirche als Gemeinschaft werden muß, das heißt, es bedarf auch der institutionellen Gestalt, die im gemeinschaftlichen Handeln der Kirche zum Ausdruck kommt. Die kirchliche Organisation der Caritas ist nicht eine Form sozialer Hilfe, die sich der kirchlichen Realität mehr oder weniger zufällig anschließt, eine Initiative, die man auch anderen überlassen könnte. Sie ist vielmehr Teil der Natur der Kirche. So wie dem göttlichen Logos die menschliche Verkündigung, das Wort des Glaubens entspricht, so muß die Agape, die Gott ist, der Agape der Kirche, das heißt ihrer karitativen Tätigkeit, entsprechen. Gott und Christus - Quelle der kirchlichen Caritas Außer der ersten ganz konkreten Bedeutung der Hilfe für den Nächsten hat diese Tätigkeit wesentlich auch die Aufgabe, die Liebe Gottes, die wir selbst empfangen, den anderen mitzuteilen. Sie muß gewissermaßen den lebendigen Gott sichtbar machen. Gott und Christus dürfen in der karitativen Organisation keine Fremdworte sein. Sie zeigen in Wirklichkeit die ursprüngliche Quelle der kirchlichen Caritas. Die Kraft der Caritas hängt von der Kraft des Glaubens aller Mitglieder und Mitarbeiter ab.

Das Drama des leidenden Menschen berührt unser Herz. Aber der Sinn des karitativen Engagements geht weit über bloße Philanthropie hinaus. Es ist Gott selbst, der uns innerlich antreibt, das Elend zu lindern. So ist es letztendlich er selbst, den wir in die leidende Welt tragen. Je bewußter und klarer wir ihn als Geschenk mitbringen, um so wirksamer wird unsere Liebe die Welt verwandeln und in ihr wieder Hoffnung wecken - eine Hoffnung, die über den Tod hinausgeht und nur so wahre Hoffnung für den Menschen ist. Ich wünsche euch für euer Symposion den Segen des Herrn.

AN DIE VORBEREITUNGSKOMMISSION DER DRITTEN EUROPÄISCHEN ÖKUMENISCHEN VERSAMMLUNG


Clementina-Saal

Donnerstag, 26. Januar 2006



Liebe Brüder und Schwestern!

11 Mit großer Freude heiße ich euch willkommen und danke euch für eure Anwesenheit. Ich grüße jeden von euch, und durch euch richte ich meinen Gruß an die Bischofskonferenzen, Gemeinschaften und ökumenischen Gremien in Europa. Mein besonderer Gruß gilt den Vorsitzenden des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen und der Konferenz der Europäischen Kirchen, denen ich dafür danke, daß sie sich zum Sprachrohr für eure brüderlichen Empfindungen gemacht haben. Euer Besuch ist eine weitere Gelegenheit, die gemeinschaftlichen Bande, die uns in Christus vereinen, sichtbar zu machen und den Willen zur Zusammenarbeit zu erneuern, um so bald wie möglich zur vollen Einheit zu gelangen.

Ich freue mich besonders, euch heute von neuem zu begegnen, nach der gestrigen Teilnahme am Abschluß der Gebetswoche für die Einheit der Christen in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern. Es war euer Wunsch, den Europäischen Ökumenischen Pilgerweg, dessen Höhepunkt das Treffen von Sibiu in Rumänien im September 2007 sein wird, hier in Rom zu beginnen, wo die Apostel Petrus und Paulus gepredigt und das Martyrium erlitten haben. Und das ist sehr bedeutsam, weil die Apostel uns als erste jenes Evangelium verkündet haben, das wir als Christen berufen sind, dem heutigen Europa zu verkünden und zu bezeugen. Um dieser Verkündigung größere Wirksamkeit zu verleihen, wollen wir auf dem Weg der Suche nach der vollen Einheit mutig voranschreiten. Das Thema, das ihr für diesen geistlichen Weg gewählt habt - »Das Licht Christi erleuchtet alle Menschen. Hoffnung auf Erneuerung und Einheit in Europa« - zeigt, worin die wirkliche Priorität für Europa besteht: sich dafür einzusetzen, daß das Licht Christi erstrahlen und mit neuer Kraft den Weg des europäischen Kontinents zu Beginn des neuen Jahrtausends erhellen möge. Ich wünsche mir, daß das Licht Christi jede Etappe dieses Pilgerwegs erhellen und daß die nächste Europäische Ökumenische Versammlung dazu beitragen möge, den Christen unserer Länder ihre Pflicht stärker ins Bewußtsein zu rufen, im kulturellen Kontext der heutigen Zeit, der oft von Relativismus und Gleichgültigkeit geprägt ist, den Glauben zu bezeugen. Dies ist ein unverzichtbarer Dienst, der für die Europäische Gemeinschaft, die in diesen Jahren ihre Grenzen erweitert hat, geleistet werden muß.

In der Tat muß Europa seine christlichen Wurzeln wiederentdecken und den ethischen Werten, die Teil seines großen, tiefverwurzelten geistlichen Erbes sind, Raum geben, damit der Vereinigungsprozeß, den es in die Wege geleitet hat, Früchte tragen kann. Wir Jünger Christi haben die Aufgabe, Europa zu helfen, sich bewußt zu machen, daß ihm in dieser Hinsicht eine besondere Verantwortung innerhalb der Völkergemeinschaft zukommt. Dennoch werden wir Christen durch unsere Präsenz nur dann Einfluß haben und Licht bringen, wenn wir mutig entschlossen den Weg der Versöhnung und Einheit gehen. Ich erinnere mich an die Frage, die mein geliebter Vorgänger Johannes Paul II. in der Predigt beim ökumenischen Wortgottesdienst anläßlich der ersten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa am 7. Dezember 1991 stellte: »Können wir zulassen, daß in einem Europa auf dem Weg zur politischen Einheit gerade die Kirche Christi ein Faktor der Uneinigkeit und Zwietracht ist? Wäre dies nicht einer der größten Skandale unserer Zeit?« (O.R. dt., Nr. 1/2, 10.1.1992, S. 15,6). Wie wichtig ist es doch, in Christus das Licht zu finden, das uns konkret zur Einheit voranschreiten läßt! Dieser Einsatz wird von allen verlangt, liebe Vertreter der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in Europa, weil wir alle eine besondere Verantwortung tragen, was den ökumenischen Weg der Christen auf unserem Kontinent und in den anderen Teilen der Welt anbelangt. Nach dem Fall der Mauer, die die Länder Osteuropas von denen Westeuropas trennte, ist die Begegnung der Völker einfacher geworden; es gibt mehr Gelegenheiten, einander besser kennen- und schätzenzulernen, wobei ein gegenseitiger Austausch von Gaben stattfindet, der Bereicherung bringt; man merkt, daß es notwendig ist, sich mit vereinten Kräften den großen Herausforderungen des Augenblicks zu stellen, angefangen bei der Moderne und der Säkularisierung. Die Erfahrung zeigt deutlich, daß der aufrichtige und brüderliche Dialog Vertrauen erzeugt, Ängste und Vorurteile beseitigt, Schwierigkeiten überwindet und Offenheit schafft für eine friedliche und konstruktive Gegenüberstellung.

Liebe Freunde, meinerseits erneuere ich hiermit meinen festen Willen, den ich zu Beginn meines Pontifikats zum Ausdruck gebracht habe, als vorrangige Verpflichtung die Aufgabe zu übernehmen, mit allen Kräften an der Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit aller Jünger Christi zu arbeiten. Ich danke euch nochmals für euren freundlichen Besuch und bitte Gott, mit seinem Geist eure Bemühungen bei der Vorbereitung der nächsten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Sibiu zu begleiten. Der Herr segne eure Familien, Gemeinschaften, Kirchen und alle diejenigen, die sich in jeder Region Europas als Jünger Christi bekennen.


ANSPRACHE 2006 5